Frank Wedekind
Der Marquis von Keith
Frank Wedekind

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Molly kramt das Frühstücksgeschirr zusammen Nimmt mich nur wunder, was Sie in diesem Narrenturm suchen! Sie blieben doch wirklich vernünftiger bei Ihrer Frau Mama zu Hause!

Hermann will sofort das Zimmer verlassen Meine Mutter lebt nicht mehr, gnädige Frau; aber ich möchte nicht lästig sein.

Molly Um Gottes willen, bleiben Sie nur! Sie genieren hier niemanden. – Aber diese unmenschlichen Eltern, die ihr Kind nicht vor dem Verkehr mit solchen Strauchdieben schützen! – Ich hatte mein glückliches Vaterhaus wie Sie und war weder älter noch klüger als Sie, als ich, ohne mir was dabei zu denken, den Sprung ins Bodenlose tat.

Hermann sehr erregt Der Himmel erbarme sich mein – ich muß notwendig einen Weg wählen! Ich gehe zugrunde, wenn ich noch länger hier in München bleibe! Aber der Herr Marquis wird mir seine Hilfe verweigern, wenn er ahnt, was ich vorhabe. Ich bitte Sie, gnädige Frau, verraten Sie mich nicht!

Molly Wenn Sie wüßten, wie es mir ums Herz ist, Sie hätten keine Angst, daß ich mich um Ihre Geschichte bekümmere! Wenn es Ihnen nur nicht noch schlimmer geht als mir! Hätte mich meine Mutter arbeiten lassen, wie ich jetzt arbeite, statt mich jeden freien Nachmittag Schlittschuh laufen zu schicken, ich hätte heute mein Lebensglück noch vor mir!

Hermann Aber – wenn Sie so grenzenlos unglücklich sind und wissen, – daß Sie noch glücklich werden können, warum – warum lassen Sie sich denn dann nicht scheiden?

Molly Reden Sie doch um Gottes willen nicht über Dinge, von denen Sie nichts verstehen! Wenn man hingehen will, um sich scheiden zu lassen, dann muß man erst einmal verheiratet sein.

Hermann Verzeihen Sie, ich – meinte, Sie wären verheiratet.

Molly Ich will mich hier weiß Gott über niemanden beklagen! Aber um sich zu verheiraten, hat man nun einmal in der ganzen Welt zuerst Papiere nötig. Und das ist ja unter seiner Würde, Papiere zu haben! Da es auf dem Korridor läutet Von früh bis spät geht es wie in einem Postbüro! Ab nach dem Vorplatz.

Hermann sich sammelnd Wie konnte ich mich nur so verplappern!

Molly geleitet die Gräfin Werdenfels herein.

Molly Wenn Sie hier vielleicht auf meinen Mann warten wollen. Er muß ja wohl gleich kommen. Darf ich die Herrschaften bekannt machen?

Anna Danke. Wir kennen uns.

Molly Natürlich! Dann bin ich ja überflüssig. Ins Wohnzimmer ab.

Anna läßt sich neben Hermann auf den Schreibtischsessel nieder und legt ihre Hand auf die seinige Nun erzählen Sie mir einmal offen und ausführlich, mein lieber junger Freund, wozu Sie auf Ihrer Schulbank so viel Geld brauchen.

Hermann Das sage ich Ihnen nicht.

Anna Ich möchte es aber so gerne wissen!

Hermann Das glaube ich Ihnen!

Anna Trotzkopf!

Hermann entzieht ihr seine Hand Ich lasse mich nicht so behandeln!

Anna Wer behandelt Sie denn? Bilden Sie sich doch nichts ein! – Sehen Sie, ich teile die Menschen in zwei große Klassen. Die einen sind hopp-hopp, und die andern sind etepetete.

Hermann Ich bin Ihrer Ansicht nach natürlich etepetete.

Anna Wenn Sie nicht einmal sagen dürfen, wozu Sie all das viele Geld nötig haben...

Hermann Jedenfalls nicht, weil ich etepetete bin!

Anna Das habe ich Ihnen doch auf den ersten Blick angesehen: Sie sind hopp-hopp!

Hermann Das bin ich auch; sonst bliebe ich gemütlich in München.

Anna Aber Sie wollen hinaus in die Welt!

Hermann Und Sie möchten gerne wissen, wohin. Nach Paris – nach London.

Anna Paris ist heutzutage doch gar nicht mehr Mode!

Hermann Ich will auch gar nicht nach Paris.

Anna Warum bleiben Sie denn nicht lieber hier in München? – Sie haben einen steinreichen Vater...

Hermann Weil man hier nichts erlebt! – Ich verkomme hier in München, besonders wenn ich noch länger auf der Schulbank sitzen muß. Ein früherer Klassenkamerad schreibt mir aus Afrika, wenn man sich in Afrika unglücklich fühle, dann fühle man sich noch zehnmal glücklicher, als wenn man sich in München glücklich fühle.

Anna Ich will Ihnen etwas sagen: Ihr Freund ist etepetete. Gehen Sie nicht nach Afrika. Bleiben Sie lieber hier bei uns in München und erleben Sie etwas.

Hermann Aber das ist hier doch gar nicht möglich!

Molly läßt den Kriminalkommissär Raspe eintreten. Raspe, anfangs der Zwanziger, in heller Sommertoilette und Strohhut, hat die kindlich-harmlosen Züge eines Guido Renischen Engels. Kurzes blondes Haar, keimender Schnurrbart. Wenn er sich beobachtet fühlt, klemmt er einen blauen Kneifer vor die Augen.

Molly Mein Mann wird gleich kommen; wenn Sie einen Augenblick warten wollen. Darf ich Sie vorstellen...

Raspe Ich weiß wirklich nicht, gnädige Frau, ob dem Herrn Baron damit gedient wäre, daß Sie mich vorstellen.

Molly Na, dann nicht! – um Gottes willen! Ins Wohnzimmer ab.

Anna Ihre Vorsicht ist übrigens vollkommen überflüssig. Wir kennen uns doch.

Raspe nimmt auf dem Diwan Platz Hm – ich muß mich erst in meinen Erinnerungen zurechtfinden...

Anna Wenn Sie sich zurechtgefunden haben, dann möchte ich Sie übrigens auch darum bitten, mich nicht vorzustellen.

Raspe Wie ist es aber möglich, daß ich hier nie ein Wort über Sie gehört habe!

Anna Das sind nur Namensunterschiede. Von Ihnen erzählte man mir, Sie hätten zwei Jahre in absoluter Einsamkeit zugebracht.

Raspe Worauf Sie natürlich nicht durchblicken ließen, daß Sie mich in meiner höchsten Glanzzeit gekannt hatten.

Anna Wen hat man nicht alles in seiner Glanzzeit gekannt!

Raspe Sie haben ganz recht. Mitleid ist Gotteslästerung. Was konnte ich dafür! Ich war das Opfer des wahnsinnigen Vertrauens geworden, das mir jedermann entgegenbrachte.

Anna Jetzt sind Sie aber wieder hopp-hopp?

Raspe Jetzt verwerte ich das wahnsinnige Vertrauen, das mir jedermann entgegenbringt, zum Wohle meiner Mitmenschen. – Können Sie mir übrigens etwas Näheres über diesen Genußmenschen sagen?

Anna Ich bedaure sehr; den hat man mir noch nicht vorgeritten.

Raspe Das wundert mich außerordentlich. Ein gewisser Herr Scholz, der sich hier in München zum Genußmenschen ausbilden will.

Anna Und dazu macht ihn der Marquis von Keith mit einem Kriminalkommissär bekannt?

Raspe Ein ganz harmloser Mensch. Ich wußte gar nicht, was ich mit ihm anfangen sollte. Ich führte ihn zu seiner Ausbildung ins Hofbräuhaus. Das liegt hier ja gleich nebenan.

Molly öffnet die Entreetür und läßt den Konsul Casimir eintreten. Er ist ein Mann in der Mitte der Vierziger, etwas vierschrötig, in opulente Eleganz gekleidet; volles Gesicht mit üppigen schwarzen Favorits, starkem Schnurrbart, buschigen Augenbrauen, das Haar sorgfältig in der Mitte gescheitelt.

Molly Mein Mann ist nicht zu Hause. – Ab

Casimir geht, ohne jemanden zu grüßen, auf Hermann zu Da ist die Türe! – – In dieser Räuberhöhle muß ich dich aufstöbern!

Hermann Du würdest mich hier auch nicht suchen, wenn du nicht für deine Geschäfte fürchtetest!

Casimir dringt auf ihn ein Willst du still sein! – Ich werde dir Beine machen!

Hermann zieht einen Taschenrevolver Rühr mich nicht an, Papa! – Rühr mich nicht an! Ich erschieße mich, wenn du mich anrührst!

Casimir Das bezahlst du mir, wenn du zu Hause bist!

Raspe Wer läßt sich denn auch wie ein Stück Vieh behandeln!

Casimir Beschimpfen lassen soll ich mich hier noch!...

Anna tritt ihm entgegen Bitte, mein Herr, das gibt ein Unglück. Werden Sie erst selbst ruhig. Zu Hermann Seien Sie vernünftig; gehen Sie mit Ihrem Vater.

Hermann Ich habe zu Hause nichts zu suchen. Er merkt es nicht einmal, wenn ich mich sinnlos betrinke, weil ich nicht weiß, wozu ich auf der Welt bin!

Anna Dann sagen Sie ruhig, was Sie beabsichtigen; aber drohen Sie Ihrem Vater nicht mit dem Revolver. Geben Sie mir das Ding.

Hermann Das könnte mir einfallen!

Anna Sie werden es nicht bereuen. Ich gebe ihn Ihnen zurück, wenn Sie ruhig sind. – Halten Sie mich für eine Lügnerin?

Hermann gibt ihr zögernd den Revolver.

Anna Jetzt bitten Sie Ihren Vater um Verzeihung. Wenn Sie einen Funken Ehre im Leibe haben, können Sie von Ihrem Vater nicht erwarten, daß er den ersten Schritt tut.

Hermann Ich will aber nicht zugrunde gehen!

Anna Erst bitten Sie um Verzeihung. Seien Sie fest überzeugt, daß Ihr Vater dann auch mit sich reden läßt.

Hermann – Ich – ich – bitte dich um... Er sinkt in die Knie und schluchzt.

Anna sucht ihn aufzurichten Schämen Sie sich! Blicken Sie doch ihrem Vater in die Augen!

Casimir Die Nerven seiner Mutter!

Anna Beweisen Sie Ihrem Vater, daß er Vertrauen zu Ihnen haben kann. – Jetzt gehen Sie nach Hause, und wenn Sie ruhig geworden sind, dann setzen Sie Ihrem Vater Ihre Pläne und Wünsche auseinander. – Sie geleitet ihn hinaus.

Casimir zu Raspe Wer ist diese Dame?

Raspe Ich sehe sie heute seit zwei Jahren zum erstenmal wieder. Damals war sie Verkäuferin in einem Geschäft in der Perusastraße und hieß Huber, wenn ich mich recht erinnere. Aber wenn Sie etwas Näheres wissen wollen...

Casimir Ich danke Ihnen. Gehorsamer Diener! Ab.

Molly kommt aus dem Wohnzimmer, um das Frühstücksgeschirr hinauszutragen.

Raspe Entschuldigen Sie, gnädige Frau; hatte der Herr Baron wirklich die Absicht, vor Tisch noch zurückzukommen?

Molly Ich bitte Sie um Gottes willen, fragen Sie mich nicht nach solchen Lächerlichkeiten!

Anna kommt vom Vorplatz zurück, zu Molly Darf ich Ihnen nicht vielleicht etwas abnehmen?

Molly Sie fragen mich auch noch, ob Sie mir nicht vielleicht etwas... Den Präsentierteller wieder auf den Tisch setzend Räume den Tisch ab, wer will; ich habe nicht daran gegessen! – Ins Wohnzimmer ab.

Raspe Das haben Sie einfach tadellos gemacht mit dem Jungen.

Anna Setzt sich wieder zum Schreibtisch Ich beneide ihn um die Equipage, in der ihn sein Alter nach Hause fährt.

Raspe Sagen Sie mir, was ist denn eigentlich aus diesem Grafen Werdenfels geworden, der damals vor zwei Jahren ein Champagnergelage nach dem andern gab?

Anna Ich trage seinen Namen.

Raspe Das hätte ich mir doch denken können! – Wollen Sie dem Herrn Grafen, bitte, meinen aufrichtigsten Glückwunsch zu seiner Wahl aussprechen?

Anna Das ist mir nicht mehr möglich.

Raspe Sie leben selbstverständlich getrennt?

Anna Selbstverständlich, ja. Da Stimmen auf dem Korridor laut werden Ich erzähle Ihnen das ein anderes Mal.


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