Frank Wedekind
Erdgeist
Frank Wedekind

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Vierter Aufzug

Prachtvoller Saal in deutscher Renaissance mit schwerem Plafond in geschnitztem Eichenholz. Die Wände bis zur halben Höhe in dunklen Holzskulpturen. Darüber an beiden Seiten verblaßte Gobelins. Nach hinten oben ist der Saal durch eine verhängte Galerie abgeschlossen, von der links eine monumentale Treppe bis zur halben Tiefe der Bühne herabführt. In der Mitte unter der Galerie die Eingangstür mit gewundenen Säulen und Frontispiz. An der rechten Seitenwand ein geräumiger hoher Kamin. Weiter vorn ein Balkonfenster mit geschlossenen schweren Gardinen. An der linken Seitenwand vor dem Treppenfuße eine geschlossene Portiere in Genueser Samt.

Vor dem Kamin steht als Schirm eine chinesische Klappwand. Vor dem Fußpfeiler des freien Treppengeländers auf einer dekorativen Staffelei Lulus Bild als Pierrot in antiquisiertem Goldrahmen. Links vorn eine breite Ottomane, rechts davor ein Fauteuil. In der Mitte des Saales ein vierkantiger Tisch mit schwerer Decke, um den drei hochlehnige Polstersessel stehen. Auf dem Tisch steht ein weißes Bukett.

Erster Auftritt

Schön. Lulu. Gräfin Geschwitz.

Geschwitz auf der Ottomane, in pelzbesetzter Husaren-Taille, hoher Stehkragen, riesige Manschettenknöpfe, Schleier vor dem Gesicht, die Hände krampfhaft im Muff; zu Lulu Sie glauben nicht, wie ich mich darauf freue, Sie auf unserem Künstlerinnenball zu sehen.

Schön links vorn Sollte denn für unsereinen gar keine Möglichkeit bestehen, sich einzuschmuggeln?

Geschwitz Es wäre Hochverrat, wenn jemand von uns einer solchen Intrige Vorschub leistete.

Schön geht hinter der Ottomane durch zum Mitteltisch. Die prachtvollen Blumen.

Lulu im Fauteuil, in großblumigem Morgenkleid, das Haar in schlichtem Knoten in goldener Spange Die hat mir Fräulein von Geschwitz gebracht.

Geschwitz O bitte. – Sie werden sich doch jedenfalls als Herr kostümieren?

Lulu Glauben Sie denn, daß mich das kleidet?

Geschwitz auf das Bild deutend Hier sind Sie wie ein Märchen.

Lulu Mein Mann mag es nicht.

Geschwitz Ist es von einem Hiesigen?

Lulu Sie werden ihn kaum gekannt haben.

Geschwitz Er lebt nicht mehr?

Schön rechts vorn, mit tiefer Stimme Er hatte genug.

Lulu Du bist verstimmt.

Schön beherrscht sich.

Geschwitz sich erhebend Ich muß gehen, Frau Doktor. Ich kann nicht länger bleiben. Wir haben heute abend Aktzeichnen, und ich habe noch so viel für den Ball vorzubereiten. – Grüßend Herr Doktor. Von Lulu geleitet, durch die Mitte ab.

 
Zweiter Auftritt

Schön allein, sich umsehend Der reine Augiasstall. Das mein Lebensabend. Man soll mir einen Winkel zeigen, der noch rein ist. Die Pest im Haus. Der ärmste Tagelöhner hat sein sauberes Nest. Dreißig Jahre Arbeit, und das mein Familienkreis, der Kreis der Meinen... sich umsehend Gott weiß, wer mich jetzt wieder belauscht! Zieht einen Revolver aus der Brusttasche Man ist ja seines Lebens nicht sicher! Er geht, den gespannten Revolver in der Rechten haltend, nach rechts und spricht an die geschlossene Fenstergardine hin. Das mein Familienkreis! Der Kerl hat noch Mut! Soll ich mich denn nicht lieber selber vor den Kopf schießen? Gegen Todfeinde kämpft man, aber der... er schlägt die Gardine in die Höhe; da er niemand dahinter versteckt findet Der Schmutz – der Schmutz... er schüttelt den Kopf und geht nach links hinüber der Irrsinn hat sich meiner Vernunft schon bemächtigt, oder – Ausnahmen bestätigen die Regel! Er steckt, da er Lulu kommen hört, den Revolver ein.

 
Dritter Auftritt

Lulu. Schön. Beide links vorn.

Lulu Könntest du dich für heute nachmittag nicht frei machen?

Schön Was wollte diese Gräfin eigentlich?

Lulu Ich weiß nicht. Sie will mich malen.

Schön Das Unglück in Menschengestalt, das einem seine Aufwartung macht.

Lulu Könntest du dich denn nicht frei machen? Ich würde so gerne mit dir durch die Anlagen fahren.

Schön Gerade der Tag, an dem ich auf der Börse sein muß. Du weißt, daß ich heute nicht frei bin. Meine ganze Habe treibt auf den Wellen.

Lulu Lieber wollte ich schon beerdigt sein, als mir mein ganzes Leben so durch meine Habe verbittern lassen.

Schön Wem das Leben leicht wird, dem fällt das Sterben nicht schwer.

Lulu Als Kind hatte ich auch immer die entsetzlichste Angst vor dem Tod.

Schön Deswegen habe ich dich ja geheiratet.

Lulu an seinem Hals Du bist schlecht gelaunt. Du machst dir zuviel Sorgen. Seit Wochen und Monaten habe ich nichts mehr von dir.

Schön ihr Haar streichelnd Dein Frohsinn sollte meine alten Tage erheitern.

Lulu Du hast mich ja gar nicht geheiratet.

Schön Wen hätte ich denn sonst geheiratet?

Lulu Ich habe dich geheiratet!

Schön Was ändert denn das daran?

Lulu Ich fürchtete immer, es werde vieles ändern.

Schön Es hat auch viel unter die Füße gestampft.

Lulu Nur gottlob eines nicht!

Schön Darauf wäre ich begierig.

Lulu Deine Liebe zu mir.

Schön zuckt mit dem Gesicht, winkt ihr, voranzugehen. Beide nach links vorn ab.

 
Vierter Auftritt

Gräfin Geschwitz öffnet vorsichtig die Mitteltür, wagt sich nach vorn und lauscht; schrickt zusammen, da Stimmen auf der Galerie laut werden O Gott, da ist jemand... Versteckt sich hinter dem Kaminschirm.


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