Frank Wedekind
Erdgeist
Frank Wedekind

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Vierter Auftritt

Schwarz. Die Vorigen.

Schwarz einen Pinsel in der Hand, links unter der Portiere Was ist denn los?

Lulu zu Schön Nun, reden Sie doch.

Schwarz Was habt ihr denn?

Lulu Nichts, was dich betrifft...

Schön rasch Ruhig!

Lulu Man hat mich satt.

Schwarz führt Lulu nach links ab.

Schön blättert in einem der Bücher, die auf dem Tisch liegen Es mußte zur Sprache kommen. Ich muß endlich die Hände frei haben.

Schwarz zurückkommend Ist denn das eine Art zu scherzen?

Schön auf einen Sessel deutend Bitte.

Schwarz Was ist denn?

Schön Bitte.

Schwarz sich setzend Nun?

Schön sich setzend Du hast eine halbe Million geheiratet...

Schwarz Ist sie weg?

Schön Nicht ein Pfennig.

Schwarz Erklär' mir den eigentümlichen Auftritt.

Schön Du hast eine halbe Million geheiratet...

Schwarz Daraus kann man mir kein Verbrechen machen.

Schön Du hast dir einen Namen geschaffen. Du kannst unbehelligt arbeiten. Du brauchst dir keinen Wunsch zu versagen...

Schwarz Was habt ihr denn beide gegen mich?

Schön Seit sechs Monaten schwelgst du in allen Himmeln. Du hast eine Frau, um deren Vorzüge die Welt dich beneidet und die einen Mann verdient, den sie achten kann...

Schwarz Achtet sie mich nicht?

Schön Nein.

Schwarz beklommen – Ich komme aus den düstren Tiefen der Gesellschaft. Sie ist von oben her. Ich hege keinen heißeren Wunsch, als ihr ebenbürtig zu werden. Schön die Hand reichend Ich danke dir.

Schön halb verlegen seine Hand drückend Bitte, bitte.

Schwarz mit Entschlossenheit Sprich!

Schön Nimm sie etwas mehr unter Aufsicht.

Schwarz Ich – sie?

Schön Wir sind keine Kinder! Wir tändeln nicht. Wir leben. Sie fordert ernst genommen zu werden. Ihr Wert gibt ihr das volle Recht dazu.

Schwarz Was tut sie denn?

Schön Du hast eine halbe Million geheiratet!

Schwarz erhebt sich, außer sich Sie...

Schön nimmt ihn bei der Schulter Nein, das ist der Weg nicht! Nötigt ihn, sich zu setzen Wir haben hier sehr ernst miteinander zu sprechen.

Schwarz Was tut sie?!

Schön Rechne dir erst genau an den Fingern nach, was du ihr zu verdanken hast, und dann...

Schwarz Was tut sie – Mensch!!

Schön Und dann mach' dich für deine Fehler verantwortlich und nicht sonst jemand.

Schwarz Mit wem? Mit wem?

Schön Wenn wir uns schießen sollen...

Schwarz Seit wann denn?!

Schön ausweichend Ich komme nicht hierher, um Skandal zu machen. Ich komme, um dich vor dem Skandal zu retten.

Schwarz kopfschüttelnd Du hast sie mißverstanden.

Schön verlegen Damit ist mir nicht gedient. Ich kann dich in deiner Blindheit nicht so weiterleben sehen. Das Mädchen verdient eine anständige Frau zu sein. Sie hat sich, seit ich sie kenne, zu ihrem Besseren entwickelt.

Schwarz Seit du sie kennst? – Seit wann kennst du sie denn?

Schön Etwa seit ihrem zwölften Jahr.

Schwarz verwirrt Davon hat sie mir nichts gesagt.

Schön Sie verkaufte Blumen vor dem Alhambra-Café. Sie drückte sich barfuß zwischen den Gästen durch, jeden Abend zwischen zwölf und zwei.

Schwarz Davon hat sie mir nichts gesagt.

Schön Daran hat sie recht getan! Ich sage es dir, damit du siehst, daß du es nicht mit moralischer Verworfenheit zu tun hast. Das Mädchen ist im Gegenteil außergewöhnlich gut veranlagt.

Schwarz Sie sagte, sie sei bei einer Tante aufgewachsen.

Schön Das war die Frau, der ich sie übergab. Sie war die beste Schülerin. Die Mütter stellten sie ihren Kindern als Vorbild hin. Sie besitzt Pflichtgefühl. Es ist einzig und allein dein Versehen, wenn du bis jetzt versäumt hast, sie bei ihren besten Seiten zu nehmen.

Schwarz schluchzend O Gott...!

Schön mit Nachdruck Kein »O Gott«!! An dem Glück, das du gekostet, kann nichts etwas ändern. Geschehen ist geschehen. Du überschätzest dich gegen besseres Wissen, wenn du dir einredest, zu verlieren. Es gilt zu gewinnen. Mit dem »O Gott« ist nichts gewonnen. Einen größeren Freundschaftsdienst habe ich dir noch nicht erwiesen. Ich spreche offen und biete dir meine Hilfe. Zeig' dich dessen nicht unwürdig!

Schwarz von jetzt an mehr und mehr in sich zusammenbrechend Als ich sie kennen lernte, sagte sie mir, sie habe noch nie geliebt.

Schön Wenn eine Witwe das sagt! Ihr gereicht es zur Ehre, daß sie dich zum Manne gewählt. Stelle die nämliche Anforderung an dich, und dein Glück ist makellos.

Schwarz Er habe sie kurze Kleider tragen lassen.

Schön Er hat sie doch geheiratet! – Das war ihr Meisterstreich. Wie sie den Mann dazu gebracht, ist mir unfaßlich. Du mußt es jetzt ja wissen. Du genießt die Früchte ihrer Diplomatie.

Schwarz Woher kannte Dr. Goll sie denn?

Schön Durch mich! – Es war nach dem Tode meiner Frau, als ich die ersten Beziehungen zu meiner gegenwärtigen Verlobten anknüpfte. Sie stellte sich dazwischen. Sie hatte sich in den Kopf gesetzt, meine Frau zu werden.

Schwarz wie von einer entsetzlichen Ahnung befallen Und als ihr Mann dann starb?

Schön – Du hast eine halbe Million geheiratet!!

Schwarz jammernd Wär' ich geblieben, wo ich war! Wär' ich Hungers gestorben!

Schön mit Überlegenheit Glaubst du denn, ich mache keine Zugeständnisse? Wer macht keine Zugeständnisse? Du hast eine halbe Million geheiratet. Du bist heute einer der ersten Künstler. Dazu kommt man nicht ohne Geld. Du bist nicht derjenige, um über sie zu Gericht zu sitzen. Bei einer Herkunft, wie sie Mignon hat, kannst du unmöglich mit den Begriffen der bürgerlichen Gesellschaft rechnen.

Schwarz ganz wirr Von wem sprichst du denn?

Schön Ich spreche von ihrem Vater. Du bist Künstler, sag' ich. Deine Ideale liegen auf einem andern Gebiete als die eines Lohnarbeiters.

Schwarz Ich verstehe von alledem kein Wort.

Schön Ich spreche von den menschenunwürdigen Verhältnissen, aus denen sich das Mädchen dank seiner Führung zu dem entwickelt hat, was sie ist!

Schwarz Wer denn?

Schön Wer denn? – Deine Frau.

Schwarz Eva??

Schön Ich nannte sie Mignon.

Schwarz Ich meinte, sie hieße Nelli?

Schön So nannte sie Dr. Goll.

Schwarz Ich nannte sie Eva...

Schön Wie sie eigentlich hieß, weiß ich nicht.

Schwarz geistesabwesend Sie weiß es vielleicht.

Schön Bei einem Vater, wie sie ihn hat, ist sie ja bei allen Fehlern das helle Wunder. Ich verstehe dich nicht...

Schwarz Er ist im Irrenhause gestorben...?

Schön Er war ja eben hier!

Schwarz Wer war da?

Schön Ihr Vater.

Schwarz Hier bei mir?

Schön Er drückte sich, als ich kam. Da stehen ja noch die Gläser.

Schwarz Sie sagt, er sei im Irrenhause gestorben.

Schön ermutigend Laß sie Autorität fühlen! Sie verlangt nicht mehr, als unbedingt Gehorsam leisten zu dürfen. Bei Dr. Goll war sie wie im Himmel, und mit dem war nicht zu scherzen.

Schwarz kopfschüttelnd Sie sagte, sie habe noch nie geliebt...

Schön Aber mach' mit dir selber den Anfang. Raff' dich zusammen.

Schwarz Geschworen hat sie!

Schön Du kannst kein Pflichtgefühl fordern, bevor du nicht deine eigene Aufgabe kennst.

Schwarz Bei dem Grabe ihrer Mutter!

Schön Sie hat ihre Mutter nicht gekannt. Geschweige das Grab. – Ihre Mutter hat gar kein Grab.

Schwarz verzweifelt Ich passe nicht hinein in die Gesellschaft.

Schön Was hast du?

Schwarz Einen grauenhaften Schmerz.

Schön erhebt sich, tritt zurück, nach einer Pause Wahr' sie dir, weil sie dein ist. – Der Moment ist entscheidend. Sie kann morgen für dich verloren sein.

Schwarz auf die Brust deutend Hier, hier.

Schön Du hast eine halbe... sich besinnend Sie ist dir verloren, wenn du den Augenblick versäumst!

Schwarz Wenn ich weinen könnte! – Oh, wenn ich schreien könnte!

Schön legt ihm die Hand auf die Schulter Dir ist elend...

Schwarz sich erhebend, anscheinend ruhig Du hast recht, ganz recht.

Schön seine Hand ergreifend Wo willst du hin?

Schwarz Mit ihr sprechen.

Schön Recht so. Begleitet ihn zur Türe rechts.


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