Frank Wedekind
Erdgeist
Frank Wedekind

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Zweiter Auftritt

Lulu. Schigolch.

Schigolch von Lulu hereingeführt Ich hatte ihn mir etwas chevaleresker gedacht; ein wenig mehr Nimbus. Er ist etwas verlegen. Er brach ein wenig in die Knie, als er mich vor sich sah.

Lulu rückt ihm einen Sessel zurecht Wie kannst du ihn auch anbetteln?

Schigolch Deswegen habe ich meine siebenundsiebzig Lenze nämlich hergeschleppt. Du sagtest mir, er halte sich morgens an seine Malerei.

Lulu Er hatte noch nicht ausgeschlafen. Wieviel brauchst du?

Schigolch Zweihundert, wenn du soviel flüssig hast; meinetwegen dreihundert. Es sind mir einige Klienten verduftet.

Lulu geht an den Schreibtisch und kramt in den Schubladen Bin ich müde!

Schigolch sich umsehend Das hat mich nämlich auch bewogen. Ich hätte lange gerne gesehen, wie es jetzt so bei dir zu Hause aussieht.

Lulu Nun?

Schigolch Es überläuft einen. Emporblickend Wie bei mir vor fünfzig Jahren. Statt der Bummelagen hatte man damals noch alte verrostete Säbel. Den Teufel noch mal, du hast es weit gebracht. Scharrend Die Teppiche...

Lulu gibt ihm zwei Billetts Ich gehe am liebsten barfuß darauf.

Schigolch Lulus Porträt betrachtend Das bist du?

Lulu zwinkernd Fein?

Schigolch Wenn das alles Gutes ist.

Lulu Einen Süßen?

Schigolch Was denn?

Lulu erhebt sich Elixir de Spaa.

Schigolch Hilft nichts! – Trinkt er?

Lulu nimmt aus einem Schränkchen neben dem Kamin Karaffe und Gläser Noch nicht. Nach vorn kommend Das Labsal wirkt so verschieden!

Schigolch Er schlägt aus?

Lulu zwei Gläser füllend Er schläft ein.

Schigolch Wenn er betrunken ist, kannst du ihm in die Eingeweide sehen.

Lulu Lieber nicht. Setzt sich Schigolch gegenüber Erzähl' mir.

Schigolch Die Straßen werden immer länger und die Beine immer kürzer.

Lulu Und deine Harmonika?

Schigolch Hat falsche Luft, wie ich mit meinem Asthma. Ich denke nur immer, das Ausbessern ist nicht mehr der Mühe wert.

Stößt mit ihr an.

Lulu leert ihr Glas Ich glaubte schon du wärest am Ende...

Schigolch ... am Ende schon auf und davon? – Das glaubte ich auch schon. Aber wenn so erst die Sonne hinunter ist, dann läßt es einen doch noch nicht ruhen. Ich hoffe auf den Winter. Da wird hustend mein – mein – mein Asthma wohl eine Fahrgelegenheit ausfindig zu machen wissen.

Lulu die Gläser füllend Du meinst, man könnte dich drüben vergessen haben.

Schigolch Wär schon möglich, weil es ja nicht der Reihe nach geht. Ihr das Knie streichelnd Nun erzähl' du mal – lange nicht gesehen – meine kleine Lulu.

Lulu zurückrückend, lächelnd Das Leben ist doch unfaßlich!

Schigolch Was weißt du! Du bist noch so jung.

Lulu Daß du mich Lulu nennst.

Schigolch Lulu, nicht? Habe ich dich jemals anders genannt?

Lulu Ich heiße seit Menschengedenken nicht mehr Lulu.

Schigolch Eine andere Benennungsweise?

Lulu Lulu klingt mir ganz vorsintflutlich.

Schigolch Kinder! Kinder!

Lulu Ich heiße jetzt...

Schigolch Als bliebe das Prinzip nicht immer das gleiche!

Lulu Du meinst?

Schigolch Wie heißt es jetzt?

Lulu Eva.

Schigolch Gehupft wie gesprungen!

Lulu Ich höre darauf.

Schigolch sieht sich um So habe ich es für dich geträumt. Du bist darauf angelegt. Was soll denn das?

Lulu sich mit einem Parfümflakon besprengend Heliotrop.

Schigolch Riecht das besser als du?

Lulu ihn besprengend Das braucht dich wohl nicht mehr zu kümmern.

Schigolch Wer hätte den königlichen Luxus vorausgeahnt!

Lulu Wenn ich zurückdenke – – Hu!

Schigolch ihr das Knie streichelnd Wie geht's dir denn? Treibst du noch immer Französisch?

Lulu Ich liege und schlafe.

Schigolch Das ist vornehm. Das sieht immer nach so was aus. Und weiter?

Lulu Und strecke mich – bis es knackt.

Schigolch Und wenn es geknackt hat?

Lulu Was interessiert dich das!

Schigolch Was mich das interessiert? Was mich das interessiert? Ich wollte lieber bis zur jüngsten Posaune leben und auf alle himmlischen Freuden Verzicht leisten als meine Lulu hienieden in Entbehrung zurücklassen. Was mich das interessiert? Es ist mein Mitgefühl. Ich bin ja mit meinem besseren Ich schon verklärt. Aber ich habe noch das Verständnis für diese Welt.

Lulu Ich nicht.

Schigolch Dir ist zu wohl.

Lulu schaudernd Blödsinnig...

Schigolch Wohler als bei dem alten Tanzbär?

Lulu wehmütig Ich tanze nicht mehr...

Schigolch Für den war es auch Zeit.

Lulu Jetzt bin ich... Stockt.

Schigolch Sprich, wie es dir ums Herz ist, mein Kind! Ich hatte Vertrauen in dich, als noch nichts an dir zu sehen war als deine zwei großen Augen. Was bist du jetzt?

Lulu Ein Tier!...

Schigolch Daß dich der! – Und was für ein Tier! – Ein feines Tier! – Ein elegantes Tier! – Ein Prachtstier! – – – Dann will ich mich man beisetzen lassen. – Mit den Vorurteilen sind wir fertig. Auch mit dem gegen die Leichenwäscherin.

Lulu Du hast nicht zu fürchten, daß du noch mal gewaschen wirst!

Schigolch Macht auch nichts. Man wird doch wieder schmutzig.

Lulu ihn besprengend Es würde dich noch mal ins Leben zurückrufen.

Schigolch Wir sind Moder.

Lulu Bitte recht schön! Ich reibe mich täglich mit Kammfett ein und dann kommt Puder darauf.

Schigolch Auch wohl der Mühe wert, der Zierbengel wegen.

Lulu Das macht die Haut wie Satin.

Schigolch Als wäre es deswegen nicht auch nur Dreck.

Lulu Danke schön. Ich will zum Anbeißen sein.

Schigolch Sind wir auch. Geben da unten nächstens ein großes Diner. Halten offene Tafel.

Lulu Deine Gäste werden sich dabei kaum überessen.

Schigolch Geduld, Mädchen! Dich setzen deine Verehrer auch nicht in Weingeist. Das heißt schöne Melusine, solang es seine Schwungkraft behält. Nachher? Man nimmt's im Zoologischen Garten nicht. Sich erhebend Die holden Bestien bekämen Magenkrämpfe.

Lulu sich erhebend Hast du auch genug?

Schigolch Es bleibt noch genug übrig, um mir eine Terebinthe aufs Grab zu pflanzen. – Ich finde selber hinaus. Ab.

Lulu begleitet ihn und kommt mit Dr. Schön zurück.


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