Frank Wedekind
Erdgeist
Frank Wedekind

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Dritter Aufzug

Garderobe im Theater, mit rotem Tuch ausgeschlagen. Links hinten die Tür. Rechts hinten eine spanische Wand. In der Mitte, mit der Schmalseite gegen den Zuschauer, ein langer Tisch, auf dem Tanzkostüme liegen. Rechts und links vom Tisch je ein Sessel. Links vorn Tischchen mit Sessel. Rechts vorn ein hoher Spiegel, daneben ein hoher, sehr breiter, altmodischer Armsessel. Vor dem Spiegel ein Puff, Schminkschatulle usw. usw.

Erster Auftritt

Lulu. Alwa, gleich darauf Schön.

Alwa links vorn, füllt zwei Gläser mit Champagner und Rotwein Seit ich für die Bühne arbeite, habe ich kein Publikum so außer Rand und Band gesehen.

Lulu unsichtbar, hinter der spanischen Wand Geben Sie mir nicht zuviel Rotwein. – Sieht er mich heute?

Alwa Mein Vater?

Lulu Ja.

Alwa Ich weiß nicht, ob er im Theater ist.

Lulu Er will mich wohl gar nicht sehen.

Alwa Er hat so wenig Zeit.

Lulu Seine Braut nimmt ihn in Anspruch.

Alwa Spekulationen. Er gönnt sich keine Ruhe. –

Da Schön eintritt.

Du? Eben sprechen wir von dir.

Lulu Ist er da?

Schön Du ziehst dich um?

Lulu über die spanische Wand wegsehend, zu Schön Sie schreiben in allen Zeitungen, ich sei die geistvollste Tänzerin, die je die Bühne betreten, ich sei eine zweite Taglioni und was weiß ich, und Sie finden mich nicht einmal geistvoll genug, um sich davon zu überzeugen!

Schön Ich habe so viel zu schreiben. Du siehst, daß ich recht hatte. Es waren kaum mehr Plätze zu haben. – Du mußt dich etwas mehr im Proszenium halten!

Lulu Ich muß mich erst an das Licht gewöhnen.

Alwa Sie hat sich strikte an ihre Rolle gehalten.

Schön zu Alwa Du mußt deine Darsteller besser ausnutzen! Du verstehst dich noch nicht genug auf die Technik. Zu Lulu Als was kommst du jetzt?

Lulu Als Blumenmädchen...

Schön zu Alwa In Trikots?

Alwa Nein. In fußfreiem Kleid.

Schön Du hättest dich lieber nicht mit dem Symbolismus einlassen sollen!

Alwa Ich sehe der Tänzerin auf die Füße.

Schön Es kommt darauf an, worauf das Publikum sieht! Eine Erscheinung wie sie hat deine symbolistischen Hanswurstiaden gottlob nicht nötig.

Alwa Das Publikum sieht nicht danach aus, als ob es sich langweilte!

Schön Natürlich! Weil ich in der Presse seit sechs Monaten auf ihren Erfolg hingearbeitet habe. – War der Prinz hier?

Alwa Es war niemand hier.

Schön Wer wird eine Tänzerin zwei Akte hindurch in Regenmänteln auftreten lassen!

Alwa Wer ist denn der Prinz?

Schön Wir sehen uns noch?

Alwa Bist du allein?

Schön Mit Bekannten. – Bei Peters?

Alwa Um zwölf?

Schön Um zwölf. Ab.

Lulu Ich hatte schon daran verzweifelt, daß er je kommen werde!

Alwa Lassen Sie sich durch seine griesgrämigen Nörgeleien nicht beirren. Wenn Sie nur ja darauf achten wollen, daß Sie Ihre Kräfte nicht vor Beginn der letzten Nummer vergeuden.

Lulu tritt hinter der spanischen Wand vor in antikem, fußfreiem, ärmellosem weißem Kleid mit rotem Saum, einen bunten Kranz im Haar, einen Korb voll Blumen in den Händen.

Lulu Er scheint es gar nicht gemerkt zu haben, wie geschickt Sie Ihre Darsteller ausnutzen!

Alwa Ich werde doch im ersten Akt nicht Sonne, Mond und Sterne verpaffen.

Lulu das Glas an den Lippen Sie enthüllen mich gradatim.

Alwa Ich wußte doch, daß Sie sich darauf verstehen, Kostüme zu wechseln.

Lulu Hätte ich meine Blumen so vor dem Alhambra-Café verkaufen wollen, man hätte mich schon gleich in der ersten Nacht hinter Schloß und Riegel gesetzt.

Alwa Warum denn?! Sie waren ein Kind!

Lulu Wissen Sie noch, wie ich zum erstenmal in Ihr Zimmer trat?

Alwa nickt Sie trugen ein dunkelblaues Kleid mit schwarzem Samt.

Lulu Man mußte mich verstecken und wußte nicht, wo.

Alwa Meine Mutter lag damals schon seit zwei Jahren auf dem Krankenbett...

Lulu Sie spielten Theater und fragten mich, ob ich mitspielen wolle.

Alwa Gewiß! Wir spielten Theater!

Lulu Ich sehe Sie noch, wie Sie die Figuren hin und her schoben.

Alwa Es war mir noch lange die entsetzlichste Erinnerung, wie ich mit einemmal klar in die Verhältnisse sah.

Lulu Da wurden Sie eisig gemessen gegen mich.

Alwa Ach Gott – ich sah etwas so unendlich hoch über mir Stehendes in Ihnen. Ich hegte vielleicht eine höhere Verehrung für Sie als für meine Mutter. Denken Sie, als meine Mutter starb – ich war siebzehn Jahre alt –, da trat ich vor meinen Vater und forderte ihn auf, daß er Sie augenblicklich zu seiner Frau mache, sonst müßten wir uns duellieren.

Lulu Das hat er mir damals erzählt.

Alwa Seit ich älter bin, kann ich ihn nur noch bemitleiden. Er wird mich nie begreifen. Da phantasiert er sich eine kleine Diplomatie zusammen, die mich dazu bestimmen soll, seiner Verheiratung mit der Komtesse entgegenzuarbeiten.

Lulu Blickt sie denn immer noch so unschuldig in die Welt hinaus?

Alwa Sie liebt ihn; das ist meine Überzeugung. Ihre Familie hat alles in Bewegung gesetzt, um sie zum Rücktritt zu veranlassen. Ich glaube nicht, daß ihr ein Opfer auf dieser Welt zu groß wäre um seinetwillen.

Lulu hält ihm ihr Glas hin Noch etwas, bitte.

Alwa ihr einschenkend Sie trinken zuviel.

Lulu Er soll an meinen Erfolg glauben lernen! Er glaubt an keine Kunst. Er glaubt nur an Zeitungen.

Alwa Er glaubt an nichts.

Lulu Er hat mich ans Theater gebracht, damit sich eventuell jemand findet, der reich genug ist, um mich zu heiraten.

Alwa Nun ja! Was braucht uns das zu kümmern!

Lulu Mich soll es freuen, wenn ich mich in das Herz eines Millionärs hineintanzen kann.

Alwa Gott verhüte, daß man Sie uns entführt!

Lulu Sie haben doch die Musik dazu komponiert.

Alwa Sie wissen, daß es immer mein Wunsch war, ein Stück für Sie zu schreiben.

Lulu Ich bin aber gar nicht für die Bühne geschaffen.

Alwa Sie sind als Tänzerin auf die Welt gekommen.

Lulu Warum schreiben Sie Ihre Stücke denn nicht wenigstens so interessant, wie das Leben ist?

Alwa Weil uns das kein Mensch glauben würde.

Lulu Wenn ich mich nicht besser aufs Theaterspielen verstände, als man auf der Bühne spielt, was hätte aus mir werden wollen?

Alwa Ich habe Ihre Rolle doch mit allen erdenklichen Unmöglichkeiten ausgestattet.

Lulu Mit solchem Hokuspokus lockt man in der Wirklichkeit noch keinen Hund vom Ofen.

Alwa Mir ist es genug, daß sich das Publikum in die wahnsinnigste Aufregung versetzt sieht.

Lulu Ich möchte mich aber gern selbst in die wahnsinnigste Aufregung versetzt sehen! Trinkt.

Alwa Dazu scheint Ihnen auch nicht viel mehr zu fehlen.

Lulu Wie können Sie sich darüber wundern, da mein Auftreten doch einen höheren Zweck hat! Es gehen schon einige da unten ganz ernstlich mit sich zu Rate. – Ich fühle das, ohne daß ich hinsehe.

Alwa Wie fühlen Sie denn das?

Lulu Keiner ahnt was vom andern. Jeder meint, er sei allein das unglückliche Opfer.

Alwa Wie können Sie denn das fühlen?

Lulu Es läuft einem so ein eisiger Schauer am Körper herauf.

Alwa Sie sind unglaublich... Eine elektrische Klingel tönt über der Tür.

Lulu Mein Tuch... Ich werde mich im Proszenium halten!

Alwa ihr einen breiten Schal über die Schultern legend Hier ist Ihr Tuch.

Lulu Er soll nichts mehr für seine schamlose Reklame zu fürchten haben.

Alwa Wahren Sie Ihre Selbstbeherrschung!

Lulu Gebe Gott, daß ich einem den letzten Funken Verstand zum Kopf hinaustanze. Ab.


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