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Schluß.


Der Abend dieses Tages, an welchem sich so verhängnißvolle Dinge vollzogen hatten, war angebrochen.

Es war ein trüber, windiger Aprilabend mit zeitweiligen kalten Regenschauern...

Im Hofe des alten Gebäudes, welches der Sitz des Propheten war, stand eine Reisekalesche... Ein Knecht, die Zügel in der Hand, lehnte wartend an der Kutsche...

Oben im ersten Stockwerke des Hinterhauses war ein Zimmer schwach erleuchtet... Zuweilen bemerkte man den Schatten eines Mannes, welcher sich an dem Fenster zeigte und ungeduldig hinab in den Hof sah...

Dieser Mann war Fritz Schlepke, welcher nur noch auf den Museendirector wartete, um seine Belohnung von hundert Thalern für das Einfangen des Knaben und die letzten Befehle wegen der Reise nach Westphalen, wohin er das Kind bringen sollte, zu erwarten...

Hans saß in einer Ecke des hohen Gemachs, das denselben düsteren, unheimlichen Character wie alle übrigen Zimmer des alten Hauses trug...

Der Kleine sprach weder, noch regte er sich mit der leisesten Bewegung...

Er war wie ein furchtsamer, zitternder Vogel, der sich scheu in die Ecke seines Käfig's schmiegt und dessen Angst nur das laute Klopfen seines Herzens verrathen wird...

Auf einem kleinen Tische vor ihm stand Speise und Trank. Er hatte Nichts berührt, einige Tropfen Wasser, die er am Nachmittage getrunken, war Alles, was er seit diesem Morgen genossen hatte... Es schlug sieben Uhr. Fritz Schlepke wurde ungeduldig...

»Verdammt,« murmelte er, »wie die großen Herren mit unser Einem umgehen... Warte nun schon seit heute früh in diesem alten Dachsbau... aber« und er schleuderte einen Drohblick auf das Kind, er mag sich vorsehen... wenn er mich vielleicht an der Nase herumführen und den Rothkragen in die Kost und Logis geben will... Dann wird es wohl etwas rothe Suppe zu essen geben.« Und der Vagabund griff, wie zu seiner Beruhigung, in seine Tasche, wo er den hörnern Griff eines großen Einschlage-Messers fühlte...

Da schallten kurze, feste Schritte durch das Haus... Sie nahten sich dem Gemach. Die Thüre öffnete sich und einen Leuchter mit zwei Armen in der Hand, trat Marecampus ein... Der Museendirector sah etwas bleich und angegriffen, aber ruhig und entschlossen aus...

Er reichte dem Menschen eine Rolle mit Geld, die dieser rasch in seiner Jacke verbarg und sprach dann mit gehobenem und sehr ernstem Tone:

»Ihr reist in ein paar Minuten mit dem Knaben ab. Der Bestimmungsort ist das Dorf Metelbeck, zwei Stunden von Lüdinghausen... Von Münster aus ist es eine Tagereise... Ihr erkundigt Euch nach den Mann, dessen Name auf diesem Briefe steht« und er übergab dem Schlepke ein Schreiben an jenen westphälischen Bauer gerichtet, dem er den kleinen Hans einstweilen anvertrauen wollte, »und reist dann sofort hierher zurück. Führt Ihr Euren Auftrag treu und pünktlich aus, so erhaltet Ihr bei Eurer Rückkehr von mir weitere hundert Thaler...

Außerdem habt Ihr hier eine Summe, die hinreichend sein wird für die Bedürfnisse der Reise...

Und nun noch eins, das ich Euch auf die Seele binde: wehe Euch, wenn Ihr den Knaben mißhandelt, so lange Ihr ihn noch unter Eurer Obhut habt. Glaubt nicht, daß Ihr mich täuschen könnt, ich werde Alles erfahren... Um übrigens gewiß zu sein, daß Ihr von der Route, die ich Euch auf diesem Blatte vorgezeichnet, nicht abweicht, werdet Ihr in jedem der mit einem Kreuz bezeichneten Orte einen dieser an mich adressirten Briefe« und er übergab ihm eine Anzahl solcher, »auf die Post geben... Es ist dies« schloß er, »übrigens eine fast überflüssige Maßregel, denn Ihr dürft versichert sein, daß ich meine Augen scharf auf Euch gerichtet halte...

Habt Ihr mich verstanden?«

Fritz Schlepke nickte.

»'s ist zwar verflucht Viel, was Sie mir da auftragen, indessen für hundert Thaler kann man den Schädel auch mal' anstrengen.«

»Und nun kommt,« sprach Marecampus in einem weniger gebieterischem Tone und sich zu den kleinen Hans wendend und diesen an der Hand ergreifend fuhr er fort:

»So komm, Kleiner, fürchte dich nicht, es soll dir Niemand etwas thun.«

Hans gehorchte noch immer wie ein Lamm, das geduldig Alles mit sich geschehen läßt...

Als er aber unten im Hofe bei dem düsteren Scheine der Wagenlaternen die Kutsche erblickte, in welche er mit Schlepke steigen sollte, um mit dem Vetter Fritz, vor dem er so gewaltige Furcht wegen der harten Püffe hatte, die ihm noch immer in der Erinnerung, in die weite Welt zu fahren, da brach er in lautes Jammergeschrei aus...

Er umschlang die Kniee des Museendirectors und sein in Thränen gebadetes Gesicht mit den guten, treuherzigen Augen zu dem ernsten Manne erhebend, schluchzte er:

»Ach, du guter Mann... schicke mich doch nicht mit dem Vetter Fritz fort... ich will ja ganz ruhig sein... und Alles thun... mich immer in den Winkel setzen... und will auch gar nicht viel essen...«

Die Dunkelheit verhüllte die Bewegung, die sich bei diesen flehenden Angstbitten des Kindes in den Zügen des Museendirectors zeigte...

Indessen bezwang er sich und suchte das Kind durch Zuckerwerk und Zureden zu beruhigen...

Aber der Knabe schmiegte sich mit einer gewissen Kraft der Verzweiflung an ihn und wollte nicht in den Wagen steigen...

Die Scene fing an Marecampus peinlich zu werden... Halb mit Gewalt, halb mit Zureden gelang es ihm sich von den Händchen des Kindes zu befreien... Auf einen Wink trat der Knecht und Schlepke näher, um den weinenden, sich sträubenden Knaben in den Wagen zu heben...

Marecampus litt doch mehr, als er geglaubt bei der Scene und als der schreiende Knabe nicht abließ ihn flehendlich anzurufen, wollte er sich zum Gehen wenden, um diesem peinlichen Auftritte zu entfliehen, als ein verdächtiges Geräusch ihn stille stehen ließ... Das Geräusch kam von dem Garten her, in welchem der Hof auslief...

Der Museendirector lauschte; es klang wie wenn Jemand eine verschlossene Thüre zu erbrechen sucht... Sein erster Gedanke war der: an Diebe. Der alte Stracka stand im Rufe eines reichen Geizhals, die einsame Lage, der Weg durch den düsteren Park, Alles das ließ diese Vermuthung berechtigt erscheinen...

Er sah sich nach einer Waffe um... Ein starker Pfahl lehnte an einer der Stallthüren... So ging er auf die Gartenthüre zu, während das stehende Hülfegeschrei des Kindes immer schwächer wurde...

Aber er hatte die Thüre noch nicht erreicht, als diese mit heftigem Geräusch erbrochen wurde und zwei Männer herein auf ihn zustürzten...

»Hcelf' mir doch, guter Mann...« schrie in demselben Augenblick noch einmal der kleine Hans... dann plötzlich verstummend...

Aber dieser Ruf schien ein Wegweiser für die beiden Unbekannten...

»Hyänen- und Krokodillenbrut...« schrie der Erste, indem er wie ein Wüthender auf den Museendirector losstürzte und den Schlag desselben mit dem Arme auffing, »wo habt Ihr meinen Hans! heraus mit ihm... oder bei allen Bestien der Urwälder... ich würge Euch die Seele aus dem Leibe...«

»Hierher, hierher... Wenzel...« schrie in demselben Moment die Stimme des Armendoctors, der, umsichtiger als Wenzel, den die Wuth blind machte, den Pferden eben in die Zügel gefallen war, als die Kutsche sich in Bewegung setzen wollte...

Den Museendirector zu Boden werfen, nach der Kutsche springen, die Wagenthür aufsprengen und den Schlepke, welcher wüthende Stöße gegen des Schriftsetzers Brust und Gesicht führte, herausreißen, war das Werk eines Moments.

»Elendes, versoffenes Meerkatzengesicht,« brüllte Wenzel, indem er den sonst so kräftigen Vagabunden wie einen Strohmann schüttelte und würgte, »wo ist mein Hans... mein Hans... Ah, Bestie, wenn du ihn nur rauh angeblasen hast, so will ich dich, Schandaffen, zu Teig kneten...«

»Vetter Wenzel... Vetter Wenzel...« rief in unendlichem Jubel eine jauchzende Kinderstimme und aus dem Wagen stürzte das Kind mit ausgebreiteten Armen auf den Schriftsetzer zu... Zugleich öffnete sich das vordere Hausthor, an welchem seit ein paar Minuten heftig und immer heftiger geklopft worden und ein eleganter Wagen rollte in den Hofraum...

Marecampus, welcher sich eben, noch wie betäubt von dem urplötzlichen Ueberfall, vom Boden aufgerichtet, kam eben herangestürzt, als dieser Wagen hielt, der Schlag sich öffnete und Hardungen, noch den Arm in der Binde, heraus sprang, um dann zwei Damen, in denen der Museendirector, trotz ihrer Verschleierung, augenblicklich Mathilde von Olbers und ihre Cousine Linda erkannte, aussteigen zu lassen...

Hardungen deutete stumm auf eine Gruppe von drei Personen: Wenzel, Schilden und Hans, die sich eng umschlungen hielten...

Die junge Frau flog bebend auf diese zu:

»Mein Kind, mein Kind!«

»Um Gott, Mathilde...«

»Hayden... Karl...« so scholl es aus ihrem und Schildens Munde..

Hardungen aber flüsterte, Linda's Hand an seine Lippen pressend, dem jungen Mädchen zu:

»Das ist das Werk unserer neuen Propheten.«

Ein Schauder überflog die Gestalt Linda's, ein stummer Druck der Hand war ihre Antwort...

Marecampus war verschwunden.



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