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Zweites Kapitel.


Auf der Fasanen-Insel.

Es war am Nachmittag eines der nächsten Tage... Mit jenem raschen Wechsel, der den Frühlingszeiten eigenthümlich, hatte sich das trübe Wetter aufgeklärt und in den heutigen Nachmittagsstunden lag ein goldner Sonnenschein auf den Dächern, Zinnen und Thürmen der großen, weiten Stadt; spannte sich ein reiner, blauer Himmel über die Erde und lockte die Bewohner aus dem düsteren, kalten Straßen- und Häusermeer hinaus in das frische Grün, welches rings um die Stadt prangte...

Hardungen hatte an dem Morgen ein Billet an Selma geschrieben und sie zu einer Lustpartie nach der sogenannten Fasanen-Insel eingeladen...

Er war selbstverständlich nicht unter den nächtlichen Gästen im Salon der Schauspielerin, die dort ihre Leidenschaft beim Rouge et Noir und Pharao befriedigten, gewesen. So sonderbar es überhaupt klingen mag: Hardungen war noch nie des Abends in Selma's Wohnung gewesen. Wenn er zu ihr kam, geschah es des Morgens oder Nachmittags...

Selma hatte ihn früher oft deshalb geneckt, zuweilen scheinbar mit schmollender Miene; wenn ihr auch gerade diese Eigenheit Hardungens sehr bequem und erwünscht war. Ob er in ihrem Hause Gespenstern zu begegnen glaube, vor denen er sich fürchte?

»Gespenstern nicht,« hatte er ausweichend und lächelnd erwidert, »aber Zauberinnen, verhängnißvollen Loreleys mit blonden Haaren, schwarzen Augen und verführerischer Sirenen-Stimme...«

»Und fürchtest du dich so sehr vor solchem Zauber – vor goldenem Haar und schwarzem Auge?« hatte sie ihn darauf gefragt, indem sie ihn zärtlich mit ihren prachtvollen Augen anblickte und mit reizender Coquetterie das Band löste, das ihre üppigen Flechten zusammen hielt, daß ihr wundervolles Haar sie plötzlich wie eine goldige Welle umfluthete weit über Busen und Schultern herab, bis zu den Fersen, mit den äußersten Enden den Boden berührend...

»Weiche von mir, Loreley...« rief er aus, die Augen mit der Linken bedeckend und die Rechte wie abwehrend gegen das schöne Weib, welches die Arme nach ihm ausstreckte und ihn mit coquetter Zärtlichkeit anblickte, erhebend...

Sie aber, die Haare zusammenschüttelnd und sie mit geübter, rascher Hand in einen griechischen Knoten zusammenschlingend, sprang plötzlich auf und brach in ein helles, lustiges Gelächter aus, das sie mit einem Kuß auf Hardungens Stirn endigte...... Und zum ersten Male hatte Hardungen bei den Liebkosungen dieser Frau, die bis jetzt nur immer in dem Maaße von ihr gegeben und von ihm erwidert worden, das die Freundschaft gestattet – zum ersten Male hatte ihn ein seltsamer heißer Schauer durchbebt... Und von einem unwiderstehlichen Gefühl ergriffen, hatte er die Arme ausgestreckt, um sie an sich zu ziehen und Kuß um Kuß mit ihr zu tauschen. Da aber war sie ihm lachend entflohen, hatte sich in den Salon geflüchtet, von wo aus sie ihm schelmische Kußhände zuwarf...

Und seltsam! Von dem Tage an wurde er immer zärtlicher und leidenschaftlicher gegen Selma, während sie, die ihm früher vielleicht oft mit zu großer Hingebung entgegengekommen, jetzt zurückhaltend war und sich gegen seine oft stürmischen Liebkosungen mehr abwehrend verhielt...

Zuweilen war er von seiner plötzlich ausbrechenden Leidenschaft so zerstreut, daß er, Selma's schöne kleine Hände mit Küssen bedeckend, die Schauspielerin mit einem Namen nannte, welcher gar nicht der ihrige war...

»Mein Gott,« lachte die junge Frau bei einer solchen Gelegenheit, »seit wann bist du denn ein so leidenschaftlicher Verehrer dieser Linda von Chamouny... ich hielt dich bisher immer für einen Verächter der Oper, oder hat dich Fräulein Georgine Freitag, welche die Partie neulich sang – wirklich so bezaubert, daß du sogar bei mir von ihr schwärmst. Dann geh', geh', Treuloser,« fügte sie mit jenem pathetischen Ausdruck hinzu, welcher den Mimen auch außer der Bühne in der Regel anhaftet und oft nicht unterscheiden läßt, wie weit sich Wahrheit und Komödie dabei vermischen, »geh' zu dieser girrenden, schmachtenden Georgine – seufze zu ihren Füßen, vor Allem aber bringe ihr goldene Armbänder mit, denn diese Georgine, deine angebetete Linda von Chamouny – liebt diese glitzernden Dinge, wie die Raben und die Dohlen.«

Es war gut, daß Selma sich von ihrem Pathos zu einer solchen Declamation hinreißen ließ... Hardungen hatte Zeit seine Verlegenheit zu überwinden...

Wie, hatte er wirklich den Namen Linda genannt?... War sein tiefstes Geheimniß über seine Lippen geglitten?..

Linda von Chamouny! was wußte er von ihr – was von Georgine Freitag? Dieser hellen, blonden Tugend mit den schmachtenden wasserblauen Augen?

Die Linda, deren Bild durch seine Träume ging, war eine hohe, schlanke Erscheinung mit dunklem, nächtig-dunklem Haar, mit stolzem Nacken und mit Augen, o! mit Augen so groß und schön, so träumerisch und doch so klug, so tapfer, so geheimnißvoll in ihren Tiefen und doch so klar und rein wieder wie Krystall...

Aber dann wird man fragen, wenn er Linda liebte, wenn er durch sie kennen gelernt, was man den Blitz der Liebe nennt, der bei dem, den er trifft, zündet und Alles in Flammen setzt – im Nu, ohne Vermittlung, ohne nach »Gleichstimmung der Geister,« oder nach der »Verwandtschaft der Seelen« zu fragen – warum denn noch Selma zwischen ihm und ihr?..

Die Selbsttäuschung ist das größte Unglück der Menschen...

Hardungen täuschte sich über seine Empfindungen Linda und Selma gegenüber, wie nur ein Mann sich täuschen kann, der bis zum dreißigsten Jahre in der Ueberzeugung gelebt hat, daß die Frauen in seinem Leben wie ein hervorragender Moment sein werden, wie ein Mann sich nur täuschen kann, der bis zum Eintritt des vollen Mannesalters die Frauen als nebensächliche Wesen betrachtete, welche, darauf hätte er sterben wollen, niemals bestimmend in seinen Lebenskreis treten würden...

.... Solche Auffassungen, mögen sie nun aus äußeren Lebensverhältnissen, oder inneren, individuellen Motiven, aus dem Character entspringen, rächen sich immer. Die Frauen werden im Leben der meisten Männer immer große Hauptfactoren sein, deren falsche Berechnung leicht das ganze Facit unseres Wirkens und Seins zu einem falschen Rechenexempel machen kann.

Hardungen war dieser Gefahr nahe...

Sein Vater, ein alter Burschenschafter von 1819, war Arzt gewesen. Er hatte als solcher zwar weniger die unmittelbaren Wirkungen jener berüchtigten »Mainzer Centraluntersuchungscommission für demagogische Umtriebe« zu erdulden gehabt, wie einige seiner juristischen und theologischen Studiengenossen, denen man die Carriere gründlich verlegt hatte, allein dennoch hatte man ihm – eine einjährige Untersuchungshaft abgerechnet – das Leben so sauer gemacht, daß der Mann einen tiefen Groll gegen die politischen Zustände des deutschen Vaterlandes sein Lebelang hegte. Seine Gattin war frühzeitig gestorben; Bernhard Hardungen, das einzige Kind dieser Ehe. Er hatte die Universität erst wenige Monate bezogen, als sein Vater starb; dieser Todesfall wurde für ihn zum bedeutungsvollen Wendepunkt seines Lebens.

Er gab das medicinische Studium, welches er mehr dem Wunsche des Vaters, als eigner Neigung folgend gewählt, auf und wurde Jurist.

Sein väterliches Erbtheil reichte genau bis zu dem Tage, wo er die Staatsprüfung bestand. Von diesem Augenblicke an mußte er aus eignen Kräften für seinen Unterhalt sorgen. In diese Zeit fällt jener verhängnißvolle Abend am Spieltisch, wo er ohne Schilden fast ein Opfer der Geschicklichkeit geworden wäre, mit welcher es der Hauptmann verstand corriger la fortune... Wie es manchmal im Leben der Menschen geht: er wollte den Zufall zwingen, ihm zu dienen. Er hatte die letzten Dinge von Werth, Ringe und Uhr und Pretiosen verkauft, um durch das Spiel sich eine Existenzsumme zu erwerben. Den Verlauf – kennen wir aus der Erzählung, die er an jenem Morgen Selma gegeben.

Ein alter griechischer Philosoph, wenn wir nicht irren, so war es Anaxagoras, der Lehrer des Perikles, sagt: Um zu beurtheilen, ob ein Mensch wirklich ein Philosoph ist, muß man ihn nackt in eine Wüste versetzen... An diesen Ausspruch wird man lebhaft erinnert, wenn man den Zustand vieler unserer jungen Juristen, Mediziner und Theologen in dem Augenblick, in welchem sie nach bestandener Prüfung die Universität verlassen, betrachtet. Entsetzlich viel Theorie – wenig Praxis und sehr wenig Geld und wie unsere modernen Verhältnisse sind, auch keine Aussicht in der nächsten Zeit solches zu erwerben.

Kurzum: Die nackten Philosophen des Anaxagoras! Zum Glücke für die Armen leben sie nicht in der Wüste. Denn da man in der Wüste keine Schulden contrahiren kann, so würden sehr Viele, für welche diese Quelle die einzige des Lebensunterhalts ist, zu Grunde gehen...

... Hardungen gehörte indessen nicht zu denen, welche von dem Credit leben, welchen ihnen die Menschen in Hoffnung auf bessere Umstände gewähren...

Eine peinliche Erfahrung, welche er noch als Student mit einem Wucherer gemacht, hatte ihm eine tiefe Antipathie gegen diese Art der Existenzfristung eingeflößt...

Nachdem ihm der Zufall, die Glücksgöttin, ihre Dienste versagt, blieb ihm nur ein Weg als ehrlicher Mann noch übrig.

Er mußte arbeiten.

Durch seinen speciellen Beruf als Jurist konnte er nichts erwerben. Er machte eben bei einer Behörde jene Periode durch, welche man den Acceß nennt...

Er suchte deshalb seine Kenntnisse auf andere Weise zu verwerthen. Er schrieb publicistische Artikel für politische Zeitungen... Es war dies zum Beginn der Reactionsepoche, welche der Bewegung von 1848 gefolgt war. Die Grundsätze und die Erziehung seines Vaters, angeborne Neigung ließen ihn nicht lange zwischen den sich bekämpfenden Parteien wählen...

Er schloß sich der Partei an, welche den Fortschritt im Völkerleben, die bürgerliche und die religiöse Freiheit, auf ihre Fahne geschrieben hat...

Seine publicistischen Arbeiten fanden lebhaften Beifall, zumal, da Hardungen dabei genug juristische Bildung besaß, um den zweischneidigen Paßgesetzen zu entgehen, welche eine blinde, vernichtungswüthige Reaction, als Damoclesschwert über die Journalistik aufgehängt hatte...

Einmal im Kampfe der Parteien, fand er nicht Muße mehr für eine zeitraubende Privatleidenschaft – wie es das Verlieben ist...

So hatte er sich immer mehr des Umgangs mit Frauen entwöhnt, bis er durch das kleine Abenteuer im Schauspielhaus, wo ihm seine angeborne Abneigung gegen Feigheit und Niedrigkeit der Gesinnung die Partei der so brutal und feig beleidigten Selma Schütz ergreifen ließ, auf einmal in ein so vertrauliches Verhältniß zu einer Frau gerieth...

Und noch dazu zu einer so schönen, coquetten, verführerischen, gefährlichen Frau...

Und in dieselbe Zeit mußte die Begegnung mit Linda auf dem Ballfeste des Geheimeraths fallen!

Selma hatte den bis jetzt so unempfindlichen Boden gelockert und Linda's Erscheinung rief das Gefühl wie mit Zauberschlag wach, das so lange in Hardungen geschlummert: die Liebe!

Aber es sollte ihm dieses Glück, welches die Unsterblichen den Menschen nur einmal gewähren in der ganzen Fülle der Beseligung – nicht ohne eine bittere Beimischung werden.

Es konnte ihm nicht entgehen, wie sich Marecampus, der Museendirector und Günstling des Königs, um Linda's Gunst bewarb...

Wenn Hardungen nun auch diesen Mann, und zwar nicht blos aus politischen und religiösen Gründen, sondern aus Gründen, die in dem Character und der Vergangenheit desselben wurzelten – hatte ihm doch jene Unterhaltung, deren geheimer Zeuge er gewesen, einen tiefen Einblick in des Museendirectors Wesen thun lassen – wenn Hardungen Marecampus auch haßte, nach mancher Richtung hin sogar verachtete, so mußte er sich doch bei alledem gestehen, daß der Museendirector ein Mann von ungewöhnlicher Begabung sei, überhaupt eine Erscheinung, die in mehr als einer Weise sich von der Menge der Gestalten, die Linda umwogten, abhob...

Dazu kam noch, daß die gesellschaftliche und amtliche Stellung dem Museendirector immer die Thüre des Olbers'schen Hauses offen finden ließ, während sie ihm, dem Redacteur einer oppositionellen Zeitung, dem antiministeriellen Candidaten für den Landtag nur ausnahmsweise geöffnet war...

Die Zudringlichkeit aber lag seinem Wesen so fern, war ihm so zuwider, daß er um keinen Preis sich unter irgend welchem Vorwande ungeladen zu des Geheimeraths Gesellschaften gedrängt hätte...

Und dann, so vorurtheilsfrei Hardungen in Bezug auf alle gesellschaftlichen Verhältnisse auch war: als einem klugen und umsichtigen Kopfe mußte sich ihm doch die Betrachtung aufdrängen, daß er Linda nur dann die Seinige würde nennen können, wenn dieses Mädchen mit einer Energie, die bei den Frauen nicht allzuhäufig die Hindernisse, welche sich einer Verbindung mit ihm entgegenstellten, überwinden würde... Einer Verbindung mit ihm! Ein seltsamer Gedanke, der ihm dieses Wort denken ließ...

Liebte ihn Linda denn? Er hatte sich mit ihr kaum eine halbe Stunde unterhalten können, noch dazu auf einem Ballfeste, wo links und rechts neugierige, müssige Ohren lauschen...

Dachte sie überhaupt noch an ihn, erinnerte sie sich noch seiner? Vielleicht hatte sie ihn längst vergessen – war das Gedächtniß an ihm schon in demselben Augenblick in ihrer Seele erloschen, wo der schlaftrunkene Bediente am trüben, dämmernden Wintermorgen die letzte Kerze desselben Kronenleuchters auslöschte, unter welchem er am Abend vorher beim Tanz mit ihr gesprochen hatte... Bei ihm freilich war es anders... Ihm war es glühend, wie ein Feuerbrand in die Seele gefallen...

Das Gefühl der Sehnsucht, sich anzuschmiegen am Herzen eines geliebten Weibes, im wechselseitigen Austausch des geistigen und gemüthlichen Inhalts sich zu erholen, zu stärken zu den Kämpfen des Tags!..

Wohl hatte er einen Freund, einen guten, edlen Freund, wie nicht alle Menschen sich rühmen können, einen solchen zu besitzen...

Aber Schilden gehörte zu jenen Märtyrern des Menschengeschlechts, die, nachdem sie einmal überwunden, unberührt von den Leiden und Schmerzen des Daseins durch das Leben dahin schreiten, das wehmüthige Lächeln der Entsagung auf den Lippen, das Gefühl nie genug gethaner Pflichterfüllung im Herzen...

... Hardungen kannte das düstere, entsetzliche Geschick, welches über seines Freundes Lebensglück hereingebrochen...

Er erkannte es in seinem vollen Umfange aus der Bitterkeit, mit welcher sich des Freundes Mund öffnete, als er die Wunde durch jene Nachrichten, die er ihm über Mathilde von Olbers brachte, wieder zum Aufbruch gebracht...

Schilden hatte zwar sein bitteres, hartes Urtheil, das er in jenem Gespräch mit Hardungen über die junge Frau gefällt, später gemildert, aber Hardungen ließ sich durch diese Worte der Entschuldigung, welche ihm Schilden für die Verirrte sagte, nicht täuschen...

Schilden hatte den herbsten Seelenschmerz erduldet – den ein Mensch erdulden kann...

Die übrigen Prüfungen, die später das Schicksal, nachdem er sich wieder dem Leben hingegeben, ihm auferlegte – konnten sie für ihn etwas Herbes, Entsagung in sich Tragendes, enthalten?

Es giebt Lebensverhältnisse, bei denen Alles auf Gegenseitigkeit beruht...

In dem freundschaftlichen Bunde, welcher Hardungens und Schildens Herzen verband, war diese Bedingung bis auf einen Punkt erfüllt...

Hardungen hatte, jenen einzigen Ausbruch der Bitterkeit abgerechnet, der durch jene plötzliche Erscheinung des Museendirectors in später Mitternacht hervorgerufen wurde, nie einen Laut der Klage von des Freundes Lippen gehört.

Und war in der letzten Zeit jenes stumme, resignirte Schweigen auch einer gewissen, im Gegensatz zu der früheren Ruhe und Ergebung fast leidenschaftlich zu nennenden Aufregung gegen Marecampus gewichen, so traf dieser Zorn doch nicht blos den persönlichen Feind, sondern mehr noch den Gegner seiner politischen, religiösen Ueberzeugung...

Es mag sein, daß es ein Gefühl falscher Scham war, welches Hardungen abhielt, dem Freund sein Herz zu öffnen, ihn zum Vertrauten seiner Liebe, seines Schmerzes, der ihm aus dieser Liebe erwuchs, zu machen – aber er vermochte es nicht, nur ein Wort darüber gegen Schilden fallen zu lassen...

Wohl war Schilden zuweilen eine gewisse Bitterkeit nicht entgangen, mit welcher sein Freund von den sich zwischen Linda und Marecampus anspinnenden Beziehungen sprach; aber eines Theils hielt der Arzt diese Bitterkeit für den Nachklang seiner eignen Empfindungen, die in Hardungen ähnliche wachgerufen, und dann lag zwischen den Beiden so viel Anlaß in politischer Hinsicht zu bitterer Gegnerschaft, daß Schilden in den Aeußerungen Hardungens nichts Auffälliges sah, kein weiteres Motiv zu suchen nöthig hatte...

Hardungen wendete sich Selma zu...

Er suchte sich mit einer künstlichen Reflexion zu täuschen. Sollte die Liebe, so überredete er sich durch Trugschlüsse, das Gefühl, welches in ihm durch Linda erweckt worden ist, nicht auf ein anderes Weib übertragbar sein?..

Wie die Klugheit der Klügsten so oft doch den einfachsten, natürlichsten Empfindungen des Menschenherzens gegenüber zur Thorheit wird...

Selma war auch schön, war reizend in ihrem Umgange, verführerisch, begehrt von vielen Männern, die um einen freundlichen Blick, ein verbindliches Wort mit unermüdlicher Ausdauer warben...

Linda freilich war sie nicht. Doch! hinweg mit dem Gedanken an das Mädchen, er wollte sie ja vergessen, er wollte dieser Leidenschaft nicht den kleinsten Spielraum in seinen Phantasien überlassen...

Es war ein harter, schwerer Kampf. Wie oft schlüpfte ihm, wenn er, im Gefühl der Liebebedürftigkeit und von Selbsttäuschung befangen, Selma's Stirn mit Küssen bedeckte und das coquette Weib ihn dann neckend abwehrte, der Name: Linda, Linda über die Lippen...

Wie verwandelten sich so oft in seinen Augen die blonden Flechten der Schauspielerin in das dunkle, glänzende Haar Linda's, wie oft wähnte er ihre Stimme zu hören, wenn Selma ihn mit seiner Träumerei neckte...

Und Selma hätte kein Weib, keine so schlaue Natur, schlau bei aller ursprünglichen Leidenschaft, die in ihr glühte, sein müssen, wenn sie nicht endlich entdeckt hätte, daß es das Bild einer Andern war, welche Hardungen beschäftigte – und daß sie gewissermaßen den Ersatz bilden sollte für das Ideal seiner Träume – von dem ihm, sie wußte freilich noch nicht, welches Schicksal, welche Verhältnisse schieden...

Wenn Selma Schütz offen gegen sich war, so mußte sie sich gestehen, daß ihr diese Entdeckung etwas peinlich... Nicht etwa, als ob sie Hardungen leidenschaftlich liebte...

Das Verhältniß der Beiden war ein so eigenthümliches, wie es vielleicht noch nicht im Leben der Schauspielerin vorgekommen...

Allein ihre Eitelkeit fühlte sich verletzt... Und plötzlich flog ihr der Entschluß durch den Kopf, diesem Träumer, wie sie Hardungen oft gegen ihre Bekannten nannte, seinem Ideal untreu zu machen, ihn zu ihren Füßen liegen zu sehen...

Daher jenes coquette Fliehen und Abwehren, wenn seine Zärtlichkeit allzu stürmisch zu werden drohte...

Aber wer mochte das Weib sein, welches diesen Menschen mit einem solchen Rausch erfüllen konnte...

Wer war diese Linda?

Von den Personen, welche ihren kleinen Salon Abends besuchten, um hier die Fortuna zu versuchen, kannte nur der Hauptmann Klingen und Wolkowsky die Verhältnisse Hardungens etwas näher...

Beide hatte sie seit acht Tagen nicht gesehen, seit dem Abend, wo sie fast um Mitternacht in ihren Spiel-Salon getreten und hier in wenig Stunden über hundert Thaler verloren hatten...

Es war dies an demselben Abend gewesen, an welchem die Besprechung in der Höhle des Propheten stattgefunden und Marecampus dem Geigenspieler das Päckchen Kassenscheine für treu geleistete Dienste in die Hand geschoben...

Selma mußte die Entdeckung dieser unbekannten Linda für jetzt ihrem eigenen Scharfsinn überlassen...

Es war gegen drei Uhr Nachmittag, als der elegante Wagen, den Hardungen für die Fahrt nach der Fasanen-Insel gemiethet, an dem Landungsplatze hielt, wo Fähren und Nachen am Ufer lagen, die Besucher über den kleinen See, in welchem die Insel lag, hinüber zu dem eleganten Etablissement Buen-Retiro zu führen... Auch eine Brücke verband die Insel mit dem Festland, eine Art Schiffsbrücke, welche mit ihrem jenseitigen Brückenkopf der »Alhambra« gegenüber stand, jenem Pracht- und Lieblingsbau des Königs, für dessen Vollendung – Seine Majestät wollte den Bau zur Kaserne der Gardegrenadiere bestimmen – der Finanzminister die bewußten dreißigtausend Ducaten verweigert hatte...

Zur Linken der Alhambra dehnte sich ein reizender Wald von Ulmen, Buchen und Eichen, in dessen hinterstem Theile sich die königliche Fasanerie mit der Wohnung des Fasanenwärters befand...

In Mitten des Waldes lag das Vergnügungslocal, nach üblicher deutscher Sitte mit einem fremdländischen Namen Buen-Retiro getauft, obgleich, wie Sachverständige versicherten, in dem Wirthshause nichts Spanisches zu entdecken – die Preise abgerechnet...

Aus diesem spanischen Grunde wurde die Fasanen-Insel auch nur von dem reicheren Publicum besucht.

Selma bewegte sich nicht ungern unter solchen Kreisen – sie hatte verschiedene Gründe dafür – und deshalb hatte Hardungen, der sonst mehr volksthümlichere Erholungsorte liebte, die Fasanen-Insel zum Ziel dieser Lustpartie gewählt...

In einem Nachen fuhren sie über...

Hardungen führte selbst das Ruder. Sein Vater hatte lange Jahre dicht an der Elbe gewohnt, und in Hardungens Jugend war eine Fahrt auf dem Strome sein liebstes Knabenspiel gewesen. Selma hatte ihre kleinen, zierlichen, mit Sommerstiefelchen von hellfarbigem Zeug bekleideten Füße gegen eine der Ruderbänke gestützt, ihren blauen Schleier zurückgeschlagen und zog mit der Spitze ihrer »Marquise« wie man heut zu Tage eine gewisse Art ehrlicher chinesisch-deutscher Sonnenschirme nennt, leichte Kreise in dem blauen, klaren Wasser des ziemlich tiefen See's...

Weiter unten, hinter dem Ulmen- und Buchen Wald verengerte sich der See, welcher eigentlich ein großes, weites Becken war, welches hier der Fuß, an welchem die Hauptstadt lag, bildete, und stürzte über einen durch künstliche Felsen erzeugten Wasserfall in das enge, eigentliche Flußbett hinab, das sich zwischen schilfigten und morastigen Ufern hinzog...

In der Nähe dieses künstlichen Wasserfalls, welcher von der Insel beinahe eine Viertelstunde entfernt war, erhoben sich vier seltsame Bauwerke, von denen das höchste vielleicht 60 Fuß hoch und noch von einem Gerüste umgeben, während die übrigen sich in der Größe von fünfzig bis zu dreißig Fuß herab abstuften.

Diese seltsamen Bauwerke, deren Form und Bedeutung wir gleich näher beschreiben wollen, hatten noch ein sehr junges Alter. Sie waren gegen Ende Februar von einer Anzahl Arbeiter in Angriff genommen worden und jetzt gegen Ende März näherten sie sich so ziemlich der Vollendung...

Man wird sich über die Raschheit dieses Baues um so mehr wundern, wenn man erfährt, daß diese wunderlichen Monumente, welche, aus weiter Ferne betrachtet, auffallend jenen hohen Schornsteinen gleichen, die wir auf den Fabriken unserer Industrie-Städte erblicken, nichts weniger als Nachbildungen ägyptischer Pyramiden und Obelisken bedeuten sollten... Freilich nur en miniature, sehr en miniature...

Majestät hatte wunderbare Launen... Als der Museendirector an jenem königlichen ästhetischen Punschabende der Majestät von den Pyramidenbau der Pharaonen erzählte, von den ewigen Denkmälern jener alten Herrscher Aegyptenlands, zu welchen die Kinder Israels die Ziegel streichen mußten, da war ein glimmender Funken in die königliche Brust gefallen...

Er war ein rascher, heißblütiger Herr, der keinen langen Aufschub seiner oft phantastischen Pläne und Ideen ertragen konnte.

Er wollte auch Pyramiden haben! Und konnten es auch keine von der Art sein, wie die des Cheops, 460 Fuß hoch, 716 Fuß Basisfläche und 2866 Fuß im Umfange, so waren es doch immer Pyramiden, nur freilich angepaßt den kleinen Verhältnissen einer kleinen Zeit, wo es leider! Majestät seufzte bei dem Gedanken, keine so wohlfeilen Ziegelstreicher gab, wie es die Nachkommen Abrahams und Jacobs in Aegypten waren, die sich mit Zwiebeln und Gerstenbrod begnügten...

Schon am nächsten Morgen ließ der König den Museendirector rufen und theilte ihm seine »Pyramidable Idee,« wie Majestät selbst sie nannte, mit.

Wenn Marecampus anfänglich über die »Pyramidable Idee« etwas frappirt war, so ging er doch schon im nächsten Augenblick darauf ein.

Man zog die Herren Schlagfelder und Koppelsdorf zu Rathe, einige alte Hofgelehrte mußten in Hieroglyphenschrift eine Darstellung der Verdienste des königlichen Mäcen um die Künste und vorzüglich um die Antike aufsetzen, diese Hieroglyphen wurden in die Ziegel eingegraben, mit ihnen gebrannt – und schon vierzehn Tage nach jener Unterredung begann der Pyramidenbau...

Hardungen machte Selma lächelnd auf diese modernen Pyramiden aufmerksam...

»Was sich wohl die Levy's und Hersch's und die Abrahamson, Hoflieferanten Sr. Majestät des Königs, bei diesem Bau denken mögen... Wie sie schmunzeln und sich vergnügt die Hände reiben werden, daß das Volk Gottes erlöst ist von der schändlichen Arbeit des Ziegelstreichens und dafür christlich-germanische Hände in Bewegung gesetzt werden...

Ob Moses, als er den Aegypter erschlug, wohl eine Ahnung hatte, daß einst nach so vielen Jahrtausenden seine Nachkommen den Königen Geld zum Pyramidenbau vorschießen würden...«

»Du mußt nämlich wissen, Kind,« fügte er erklärend hinzu, »daß die Privatchatouille Seiner Majestät in Folge seiner kostspieligen Bauliebhaberei sehr auf's Trockene gerathen, und daß, wie es heißt, die Herren Raphael Bamberger und Joel Heinemann, ächte Vollblut-Juden aus dem Stamme Isaschar, die Mittel zu dieser kostspieligen Spielerei vorgeschossen haben – durch Vermittlung des Museendirectors Marecampus...«

»Marecampus?« wiederholte Selma Schütz, »ah, das ist der neue Minister ohne Portefeuille, wie man ihn nennt, der Mann mit dem Prophetengesicht, der jetzt der Gegenstand des Neids aller Höflinge ist...«

»Prophetengesicht,« lachte Hardungen bitter und spöttisch, »was für bombastische, erhabene Bezeichnungen man heut zu Tage doch solchen Alchymistenfiguren gibt, die zwischen Schwärmern à la Loyola und Charlatanen à la Cagliostro mitten inne stehen...

Vielvermögend ist er. Du könntest deine Künste einmal an ihm versuchen – vielleicht förderte er deine Zwecke bei dem unschlüssigen und bedenklichen Intendanten besser, als irgend Jemand...«

Selma lachte und indem sie die Hutbänder aufband und den Hut, der ihr lästig wurde, abnahm, warf sie leise abwehrend ihre schönen blonden Locken schüttelnd, ihr Haupt zurück...

»Ich liebe die Menschen nicht, die ohne Schminke im Gesichte und ohne Lampenschein vielleicht noch größere Komödianten sind, als die, welche es nur zwischen den Theatercoulissen sind...«

»Begreife ich vollkommen, theure Selma,« lächelte Hardungen nicht ohne einige Ironie, »Du gehst lieber mit offenen, naturwüchsigen Menschen um, die sich geben, wie sie sind, sans phrase und ohne Schminke... Es ist das eine Beobachtung, die ich schon öfters bei Künstlern deiner Branche gemacht und ein neuer Beleg für die gegenseitige Anziehung die ungleiche Elemente auf einander ausüben...«

Es gehörte zu Selma's kleinen Kunstgriffen, gewisse Bemerkungen todt zu schweigen oder sich auch durch raschen Uebergang auf ein anderes Thema einer Antwort darauf zu entledigen...

Ihr glänzendes, scharfes Auge, welches über den See hinstreifte, hatte unter den zahlreichen Nachen und Gondeln, welche theils Einzelne, theils ganze Gesellschaften von dem Ufer hinüber auf die Insel führten, eine entdeckt, welche ihre besondere Aufmerksamkeit fesselte...

»Sieh da,« und sie deutete dabei mit ihrem schönen, runden Arm, dessen Teint der Farbe weißen Sammets glich, über die Wasserfläche, »sind die Beiden dort in dem grünen Boote nicht deine Lieblinge: Herr von Wolkowsky und Hauptmann Klingen?...

Bei dem Karren der Thespis!« Selma liebte es zuweilen classisch zu schwören, »sie sind es; wie der graue, ehrwürdige Schnurrbart des alten Veteranen und die langen, schwarzen Haare des Künstlers im Winde flattern... Gestehe, nur mein Freund, der Anblick erinnert unwillkürlich an das mythologische Bild, das wir neulich in dem Museum sahen: Telemach und Mentor...«

Hardungen runzelte die Stirn...

»Daß diese widerwärtigen Gesellen mir seit einiger Zeit stets über den Weg laufen. Ist es Zufall oder Absicht? Ich weiß es nicht. Wenn ich Abends im Weinkeller einen Schoppen trinke, wenn ich im Kaffeehaus eine Zeitung ergreife – überall schiebt sich eine dieser Physiognomien durch; wir wollen hier links anlegen, damit wir beim Landen nicht mit den Beiden zusammen treffen...«

»Du weißt doch,« setzte er hinzu, »daß dein Partner am grünen Tisch seinen Abschied genommen hat und unter die Propheten gegangen ist...

Auch der süße Geigenspieler soll zuweilen um die Höhle in der Martergasse schleichen und sich in die Labyrinthe der hohen Politik verwirrt haben...«

»Sprich' von allen Schrecken des Gewissens – von Politik nur sprich mir nicht,« parodirte Selma, zugleich, da sich im Augenblicke der Nachen mit seiner Breitseite an's Land legte, ihren Shwal um die Schultern ziehend und mit einem leichten, graciösen Sprung das Ufer erreichend...

Unter breitästigen, hohen Ulmen und Buchen, an welchen die Frühlingswärme schon die Knospen hervorgelockt, gingen sie dem Etablissement zu...

Selma in einer jener launenhaften, zärtlichen Anwandlung, sich mit einer gewissen hingebenden Vertraulichkeit auf den Arm ihres Begleiters stützend und mit jenem langsamen Schritt, der die Vorzüge ihrer schlanken, eleganten Gestalt und ihres Ganges auf's Vortheilhafteste hervortreten ließ...

So mancher bewundernde und begehrliche Männerblick, durch goldene Lorgnetten ihr nachgesendet, folgte ihren Schritten...

Nicht blos die Pariserinnen verstehen zu gehen. Selma war eine Deutsche – in der Stadt, wo das alte Schloß der Welfen steht, an den Ufern der Ocker war sie geboren – aber sie besaß in vollem Maaße jenen Zauber des Ganges, welchen man eine stille Musik der Glieder nennen könnte, so harmonisch, so die Sinne gefangen nehmend war ihr Gang...

Es war nicht blos die sanfte Bewegung der Hüften, das Elastische des Schrittes, das Tragen des Nackens, was ihrem Gange einen solchen Zauber verlieh... Es war Alles, jede Bewegung an ihr schön, reizend... verführerisch...

Eins der besten Musikchöre der Hauptstadt gab in der Rotunde vor dem Etablissement das erste Frühlings- und Gartenconcert...

Eine glänzende, bunte Menge unter den breiten Colonnaden, welche sich vor dem Gebäude befanden und unter der Veranda des Hauses selbst...

Hardungen bestellte Erfrischungen bei einem der weißschürzigen, durch die Menge huschenden Schweizer-Kellner, deren Vaterland jener kleine Canton Graubünden ist, in welchem, wie Manche sagen, die Welt zuweilen mit Brettern verschlagen ist... Wobei man freilich so viel Phantasie haben muß, die steilen Bergwände der rhätischen Alpen für die weltverschlagenden Bretter anzusehen...

Die Musik übte eine erheiternde, anregende Wirkung auf Hardungen aus, der durch die Begegnung mit Klingen und dem Herrn von Wolkowsky etwas verstimmt worden war...

Er scherzte und tändelte mit Selma, welche auch hier Seitens der Männerwelt der Gegenstand mehrfacher Aufmerksamkeit und Beobachtung wurde...

»Was wohl der dicke Herr dort, mit dem gelben Bändchen im Fracke und der kühnen, in rundlicher Wölbung hervorspringenden und an der Spitze in Schneckenform in sich zurückstrebenden Nase für diesen Platz hier zahlen würde,« lächelte Hardungen, auf seinen Sessel deutend.

»Du kennst den Herrn nicht? Es ist Herr Raphael Bamberger, Banquier Sr. Majestät – ein gutes Haus, ein altes Haus,« setzte er mit einem eigenthümlichen Gutturaltone hinzu... Dann wieder in seine eigene Sprache übergehend, fuhr er heiter fort, »seit den fünf Minuten, die wir hier, hat er sein Lorgnon nicht auf die Dauer eines Athemzugs von dir abgewendet...«

Selma war heißblütig, leichtsinnig, eine über den Sümpfen und Untiefen des Lebens, wie über seinen Rosenfluren dahinflatternde Libelle... Aber bei allen ihren Fehlern besaß sie doch einen noblen Zug, der sie vortheilhaft von Vielen unterschied, mit denen man sie ihrer Sitten, ihrer Grundsätze und Lebensweise halber leicht in eine Kategorie zu werfen geneigt war: sie haßte jene Brutalität unserer modernen Geldaristokratie, welche Alles – und nicht zuletzt und als höchste Waare – auch die Frauen und ihre Liebe oder, was man in diesen Kreisen darunter versteht, mit Geld kaufen zu können glaubt..

Selma war häufig eine Verschwenderin, sie besaß kein eignes Vermögen und doch hätte sie um keinen Preis die Huldigungen eines dieser Verehrer des goldnen Kalbes hingenommen und sich für ihre Liebkosungen mit Geld bezahlen lassen...

Vielleicht war sie deshalb eine so leidenschaftliche Spielerin und da sie in der Regel glücklich spielte, so fand sie im Pharao und Rouge et Noir bis jetzt die Mittel, die zu dem Leben, welches sie führte, nöthig...

Am Spieltisch waren ihr übrigens solche goldene Kalbs-Priester, wie sie die Geldmenschen nannte, nicht unwillkommen, nur als girrende, verliebte Seladon's haßte sie das Volk...

»Es mag eine alberne Einbildung sein,« meinte sie, zu Hardungen gewendet, »aber mir kommt es immer vor, als wenn ich an den dicken, fleischigen Fingern dieser Leute den Schmutz eben gezählter, durch unzähliche Hände gegangener Courantmünze kleben sehe... und nichts ist mir widerlicher...«

Das Orchester begann ein neues Musikstück.

Es war eine wilde, rauschende Janitscharenmusik – viel Messing- und Trompetenwirbel und Paukenschall...

Man konnte ungestörter plaudern...

Hardungen kam in eine immer erregtere Stimmung; er bemerkte weder Wolkowsky, noch den Hauptmann, die wahrscheinlich unter den Seitencolonnaden einen Platz gefunden hatten...

Er sprach mit Selma von den Leidenschaften des Herzens, die er von denen des Verstandes unterschied...

»Leidenschaften des Verstandes«... lächelte sie, »offen gestanden, mein Freund, ich verstehe das nicht... Du müßtest denn die Art jener Georgine Freitag, der Linda von Chamouny« und sie richtete dabei eine forschenden Blick auf Hardungen, »darunter verstehen...

Wenn man Leidenschaften für Brillanten, goldene Armbänder und dergleichen hegt und darnach Leidenschaft für den Geber zeigt...«

Hardungen, welchem der Name Linda wieder Erinnerungen wachriefen, die er sich fest vorgenommen hatte, zu vergessen, antwortete nicht ohne einige Bitterkeit.

»Deine Auffassung ist etwas trivial. So meinte ich es nicht. Doch mit allgemein gehaltenen Definitionen ist Euch Frauen nicht viel gedient. Ich will dir ein Beispiel sagen... Die Liebe – und der Ehrgeiz. Die erste nenne ich eine Leidenschaft des Herzens, den letzteren eine Leidenschaft des Verstandes... Es ist im Grunde eine thörichte Frage, wenn man an eine Frau tritt und sie fragt, welche von den Beiden bei ihr vorherrschend. Und doch es giebt Ausnahmen... Ich kann mich täuschen, Selma, aber ich glaube du gehörst zu ihnen... Unterbrich mich nicht – ich muß solche Augenblicke, wo sich das Herz mir auf die Lippen drängt, benützen.. Ich kenne, wenn auch nur theilweise, deine Vergangenheit... Sie war bewegt, oft ging die Fluth hoch und stürmisch... Ich weiß, was du sagen willst,« fuhr er lebhaft fort, als er sah, wie Selma im Begriff ihn zu unterbrechen, »du hast mir Bruchstücke aus deinem Leben mitgetheilt... Du kamst als Kind von fünfzehn Jahren zur Bühne – und damit ist Alles gesagt. Ich kenne dich nur kurze Zeit, aber ich glaube, soviel Kenntniß des Frauenherzens zu besitzen« – dieser Glaube war die größte Selbsttäuschung, welcher sich der arme Hardungen hingeben konnte, denn auf keinem Gebiete war sein Wissen unsicherer – »daß ich sage: du kennst noch nicht die Leidenschaften des Herzens... Du hast noch nie wahr, aus vollstem, tiefstem Herzen geliebt... O, Selma, wenn du ahnen könntest, wie glücklich mich die Gewißheit dieser Behauptung machen würde...

Sieh, Selma, wenn ich dann hoffen könnte, daß du durch mich dieses hohe, erhabene Gefühl, das wie ein heiliges Feuer uns von allen Schlacken reinigt, kennen lernst, wenn ich...«

Er hatte dabei im überquellenden Gefühl ihre Hand ergriffen und wollte sie an seine Lippen drücken..

Aber Selma, welche den immer leidenschaftlicher hervorsprudelnden Ausbruch mit einem gewissen, überraschten Lächeln zugehört, besaß mehr Selbstbeherrschung und Sicherheit in diesem Augenblick, als Hardungen...

Indem sie ihm rasch die Hand entzog, entgegnete sie mit einem liebenswürdigen, wenn auch etwas spöttischen Lächeln...

»Nur keine sentimentale Schäferscene vor den Leuten, mein Freund, dieser Raphael Bamberger und ein paar andere Priester des goldnen Kalbs blicken mit doppelten Lorgnons zu uns herüber...

Wer wird über solche verfängliche Dinge bei hellem lichtem Sonnenschein und blauem Himmel, in einem Gartenconcert und in Gegenwart von hundert Menschen plaudern... Weißt du nicht,« setzte sie mit jener wunderbaren Virtuosität, die wir an ihr kennen, das spöttische Lächeln von ihrer Lippe verbannend und Hardungen mit einem jener schmachtenden Glutblicke, die wie Feuerflocken in die Seele fielen, in die Augen sehend fort, »weißt du nicht, was der Dichter sagt? Still wie die Nacht, tief wie das Meer, so soll die Liebe sein...«

»Aber freilich,« fügte sie wieder mit neckendem Tone hinzu, »du fürchtest dich des Abends in meinem Hause, du wagtest nur bei lichtem Sonnenschein es zu betreten, nie wenn der Mond seinen silbernen Schein durch die Fenster fallen läßt...«

»Die Loreley fürchte ich...« flüsterte von einem heißen Gefühl durchlodert Hardungen, »die Loreley-Augen und Loreley-Locken, die meine Seele fangen und umgarnen werden und hinunterziehen in die Tiefe...«

»Wie?« reizte ihn Selma, »hast du, der sich nicht vor dem Stahl und vor dem Blei fürchtet, hast du moderner Volkstribun so wenig Muth in der Liebe.. ah, ich spreche mit Hamlet, geh' in's Kloster, geh! Und weißt du nicht, daß die Frauen nur die Tapferen lieben und die Feigen hassen... Und der Mann muß immer und überall ein Tapferer sein...«

Da rauschte es in der Nähe, Stühle wurden gerückt, um einer kleinen Gesellschaft eben Ankommender einen Durchgang zu den Plätzen unter der Veranda zu gestatten...

Hardungen blickte auf... Auch Selma fixirte die Ankömmlinge...

Es waren zwei Paare: der Geheimerath von Olbers mit seiner Gemahlin und Linda von Olbers, am Arme des Museendirectors Marecampus...

Und nun ereignete sich eine jener stummen und blitzesschnell sich entwickelnden und vorübergehenden Scenen, die, obwohl ohne alle äußere, den Uneingeweihten sichtliche Handlung, doch häufig den tief einschneidensten Einfluß auf die Entwickelung der Verhältnisse ausüben...

Die Augen sind es, die in solchen Scenen statt des Mundes sprechen, aber wie beredt, wie eindringlich ist solche stumme Sprache der Augen...

Aus dem Auge des Museendirectors blitzte es stolz und triumphirend und Selma, die an Hardungens raschem Erbleichen und flammender Röthe sofort, instinktiv könnte man sagen, errieth, daß das junge, schöne Mädchen an dem Arme des Mannes mit den dunklen Augen, der stolzen Haltung, dem verschlossenen, geheimnißvollen Ausdruck – jene Linda sein müßte, welche durch die Träume Hardungens ging, verstand vollkommen diesen Blick des Triumphs, der von dem jungen Mädchen durch ein fast trauriges Niederblicken zur Erde erwidert wurde...

Selma bemerkte auch das seltsame Leuchten, welches bei Hardungens Anblick auf einen kurzen Moment das schöne, feine, so bleiche Antlitz der jungen Frau erhellte, die am Arme des Herrn im blauen Frack mit dem selbstzufriedenen Lächeln um die Lippen und den schlauen, diplomatischen Zug um die Augen hing...

Von den eigenthümlichen Beziehungen, welche diese verschiedenen Personen unter einander verband, hatte Selma bis zu diesem Augenblick nicht die geringste Kenntniß gehabt; diese kurze, so rasch vorüberrauschende Begegnung war hinreichend ihrem gewandten, scharf combinirenden Geiste und ihrem in diesen Dingen geübten Blick eine genügende Erklärung zu geben...

Selma sagte sich sofort: Diese junge, schöne Dame, sie war so gerecht, ihr dies zuzuerkennen, ist jenes Ideal, jene Linda, welche Hardungen liebt...

Der Mann an ihrer Seite ist ein durch seine äußere Stellung Hardungen gegenüber begünstigter Nebenbuhler... Er haßt diesen – und fühlt doch mit dem scharfen Instinkt eifersüchtiger Wuth, daß in irgend einem geheimnißvoll verborgenen Winkel ihres Herzens ein Bild, vielleicht noch verschleiert, ruht, welches die Züge jenes Verhaßten trägt...

Aber frohlocke nicht! und sie sendete dabei dem schon Vorbeigegangenen einen Drohblick nach, welcher, wenn er ihn gesehen, das triumphirende Lächeln rasch von seinen Lippen verscheucht – »du sollst ihn büßen diesen Triumph, der für mich,« und bei diesem Gedanken glühte eine dunkle Röthe in Selma's Antlitz auf, »ein Augenblick der Demüthigung war.« Denn wenn sie auch diesen stolzen Mann, der so hochmüthig, mit solchem Pharisäerblick auf sie herabsah, nicht kannte, – an dem Ausdruck seines Gesichts errieth sie, daß er sie kannte...

Und sie sah, wie das schöne, junge Mädchen an seinem Arm die Bedeutung seines Blicks auch sofort sich deutete...

Und konnte die Bedeutung desselben eine andere sein als die:

»Kennst du das Weib, in dessen Begleitung dieser Mann ist?.. Es ist die schöne... uns bekannte Selma Schütz, die Schauspielerin... die frühere Königin der Maskenbälle im Opernhaus, jene Frau, deren Coquetterie in blutigen Duellen mehr als ein Opfer forderte, die deshalb die Bühne und auf zwei Jahre die Stadt verlassen mußte – und jetzt zurückgekehrt ist, trotzend auf ihre Schönheit, auf den Zauber ihrer Persönlichkeit, mit welchem sie den Generalpolizeidirector entwaffnete und auf den Beistand dieses Mannes, der jetzt so vertraulich neben ihr sitzt, des einflußreichen Redacteurs der Tribune...«

Wie richtig doch diese Frau combinirte...

Treten wir heran an den runden Tisch mit der Marmorplatte, an welchem sich der Geheimerath und Marecampus mit den Damen niedergelassen...

Die eben stattgefundene Begegnung war für Alle so bedeutungsvoll, daß ein Jedes, wenn auch aus den verschiedensten Motiven, es dem Museendirector Dank wußte als dieser das Schweigen mit den Worten unterbrach:

»Auch eine signatura temporis, ein characteristisches Zeichen unserer vom Gift der Demokratie angefressenen Zeit. Wie sich das so keck und leicht über Zucht und Sitte hinwegsetzt. Sie kennen diesen Mann, diesen modernen Volkstribun, der alltäglich in den Spalten seines Blattes den Samen der Zwietracht, der Empörung, des Unglaubens aussäet... An der Seite eines Weibes zu erscheinen, die wie ein Irrlicht zwischen den Sümpfen und Morästen der Verderbniß wandelt... Aber was ficht das ihn an? Er trotzt der öffentlichen Meinung, ist er doch selbst einer von der geweihten Zunft, die sie zu Stande bringen – und clericus clericum non decimat...«

Noch nie hatte, obwohl die Gegencandidatur Hardungens oft zu Gesprächen der Art Anlaß gegeben, noch nie hatte sich Marecampus so schroff, so persönlich über den Mann ausgesprochen, den er, wie er immer dabei einschob, nur als politischen Gegner bekämpfte...

Wie Gifttropfen fiel ein jedes seiner Worte von den Lippen...

Selbst der Ton der Stimme wurde zischend, in seinen Augen funkelte wieder jenes unheimliche Feuer, das Linda schon einmal, an jenem Morgen im Garten in Schrecken gesetzt, in Schrecken vor der seltsamen, geheimnißvollen Doppelnatur dieses Mannes, der ihr in manchen Augenblicken, wie ein geweihter, gottbegeisterter Prophet, zuweilen wieder als ein Intriguant und kalter, selbstsüchtiger Egoist mit wildem, unversöhnlichem Haß erschien...

Doch gleichviel – das war es nicht, was sie jetzt drängte das Wort zu ergreifen... Aber sie fühlte, daß Marecampus seinen Gegner zu hart beurtheilte, vielleicht auch jenes Weib, und so tief auch die Abneigung war, welche Linda's keusche, jungfräuliche Natur gegen Selma empfand, sie ballte mit fast leidenschaftlicher Geberde ihren Glacehandschuh in der kleinen, zarten Hand zusammen als sie – ihr Schwager schnippte mit einem diplomatischen Achselzucken die Asche von seiner Cigarre, Mathilde sah still vor sich nieder – dem Museendirector entgegnete:

»Aber wenigstens ist er kein Heuchler, wenn er auch keck und rücksichtslos sein mag... Und kennen Sie die Beziehungen zwischen diesen Beiden überhaupt so genau, um ein so hartes Wort auszusprechen?... Die Gerechtigkeit, sagte ein alter König, ist das Fundament der Staaten. Das Wort gilt überall... Kann er nicht diese Frau, deren Vergangenheit ich nur aus Gerüchten kenne, die Sie aber so streng verurtheilen, herausziehen wollen aus den Sümpfen, zwischen denen sie, wie Sie sagen wandelt, ihr besseres Selbst retten wollen?.. Wenn er sie nun – Linda fühlte einen eigenthümlichen, krampfigen Schmerz in der Brust, als sie in ihrer Erregung diese Worte sprach, »wenn er sie nun liebt, mit jener ächten, wahren und heiligen Liebe, die nicht fragt den Geliebten, woher er kommt, woher er stammt, nicht frägt, was er besitzt an geistiger und irdischer Habe, mit jener Liebe, die sich hingiebt als Opfer für den Geliebten, die neben ihm steht, wenn man ihn steinigt und mit ihm stirbt, wenn man ihn tödtet...«

Sie stockte, der Athem versagte ihr, sie konnte vor innerer Erregung nicht weiter sprechen – mit glühenden Wangen, mit leuchtenden Augen erschien sie wie eine Priesterin jener erhabenen und heiligen Liebe, die überall, wo sie sich offenbaret, sich in dem Herzen ein nie geahntes Reich unendlichen, unzerstörbaren Glücks erbaut.

Wie diese Flammenworte urplötzlich ausbrechender Begeisterung einer edlen Mädchenseele so wunderbar auf Mathilde wirkten!.. Wie eine gebeugte Lilie, die allmählig immer tiefer ihr Kelchhaupt zur Erde senkt und verschmachten muß, weil sie den lichten Glanz der Sonne, den belebenden Thau des Himmels entbehrt und von giftigen Nebeln und Dünsten umwogt ist – so erschien sie seit jenem Tage, an dem der Museendirector wie eine furchtbare Erscheinung von Neuem in ihren Lebenskreis getreten war...

Und Niemand, dem sie sich anvertrauen, ihren Schmerz, ihr Elend klagen konnte...

Linda war noch die Einzige, der sie ihr Herz vielleicht erschlossen, aber gerade diese Einzige – sah sie nicht mit jedem Tag, wie Linda sich immermehr unter die geheimnißvolle Macht, unter dem Zauber beugte, welchen Marecampus auf sie ausübte?..

Und nun diese Feuerworte, die sie gegen den Entsetzlichen schleuderte, gegen diesen Mann, dessen Anblick sie täglich ertragen mußte, wenn ihre Seele auch Folterqualen dabei litt! –

Ah! das war ein freier, frischer Luftstrom, der die erstickende Schwüle um sie durchbrach...

Zum ersten Male seit Wochen glänzte in ihren Augen wieder ein heller Strahl, ein Strahl des Dankes für Linda, die den Zauber brach, welchen der, der einst ihr Verderber geworden, auch auf die Freundin ausübte...

Und Marecampus – und der Geheimerath?

Der Museendirector hatte während Linda's Verteidigung das Haupt auf die Brust gesenkt, die Linke an die Stirne gelegt – vor ihr gesessen, wie Einer, der so gefesselt von des Andern Worten ist, daß er, um keine Sylbe zu verlieren, sich ganz der Außenwelt verschließen will...

Keine Geberde, kein Laut, kein Zucken der Wimpern verrieth die Gefühle seiner Brust...

Er verharrte noch eine kurze Weile in derselben Stellung, als Linda geendet hatte...

Erst als Herr von Olbers mit seiner diplomatischen Schlauheit den üblen Eindruck, welchen diese »Gefühlsemotion« seiner Cousine auf den vielvermögenden Museendirector, dem Vertrauten der Majestät hervorbringen konnte, durch die von einem ironischen Lächeln begleitete Bemerkung zu verwischen suchte:

»Sie müssen meine gnädigste Cousine schon pardoniren: Sie kennen ja, mon ami, die Leidenschaft der Frauen, verlorene Seelen zu retten...« erhob Marecampus seine Augen zu dem jungen Mädchen, das ihm gegenüber saß...

Eine tiefe Blässe lag auf seinen Zügen und seine Stimme klang bewegt, feierlich fast, als er, die Hand gegen Linda ausstreckend, sprach:

»Es steht geschrieben: des Gerechten Mund ist ein lebendiger Brunnen... Wenn je, so habe ich in diesem Augenblick die Wahrheit dieses Worts empfunden... O, Linda – verzeihen Sie dem zornigen Herzen des Mannes, wenn es bittere Rede über die Lippen gehen läßt, wenn es zu hart in's Gericht geht mit dem Andern.

Trieb mir doch nur der Groll gegen den Vertreter der Empörung, des Unglaubens die bittere Galle auf die Zunge...

Verzeihen Sie mir um der einzigen Erkenntniß willen, die mir dieser Moment mit siegender Ueberzeugung gegeben, in Ihnen jenen lauteren, ewig sprudelnden Quell der Begeisterung gefunden zu haben, aus welchem man nur zu schöpfen braucht, um sich zur schwersten Aufgabe zu stärken...

O, sie sind selten geworden, diese Trägerinnen jenes heiligen Feuers, das neues Leben in die Adern des Mannes gießt, wenn er zu ermatten droht im strengen Kampf des Lebens...

Die Zeiten der Prophetinnen sind vorüber, jene Johanna von Orleans, die mit dem zweischneidigen Schwerte ihren Beruf kündete, war die Letzte...

Aber giebt es nicht noch heut zu Tage ein Amt, eben so schön und erhaben?

Die Hüterinnen zu sein der heiligen Stätten in der menschlichen Ordnung...

Die Verbündeten in dem großen Kampfe, den jetzt der Glaube mit dem Unglauben, die Treue mit der Empörung aufgenommen...

Wenn die Throne, die Altäre wanken – dann bebt die Gesellschaft, die Gesittung in ihren Grundvesten...

Kann es für ein edles Weib noch einen Zweifel geben, auf welche Seite sie sich in diesem Streite stellen muß?..

Lassen Sie uns Verbündete sein in diesem guten, edlen Kampfe, in diesem Streiten für die Erhaltung jener Güter, welcher das Menschengeschlecht verdankt, was es ist...«

Noch nie hatte der Museendirector in des Geheimeraths und seiner Gattin Gegenwart so feierlich, so bewegt zu Linda gesprochen.

Und dann noch dieser eigenthümliche bittende Ton seiner Stimme, dieses Zugeständniß, zu schonungslos geurtheilt zu haben, das Eingeständniß seines Fehlers auf Linda's Rede, welche aus einer Vertheidigung Hardungens und der Schauspielerin zu einer förmlichen Anklage gegen Marecampus geworden war...

Selbst die diplomatische Frosch-Natur des Geheimeraths konnte sich dem Eindruck dieser Worte nicht entziehen...

Und als Linda, seltsam bewegt, ihre Hand in die des Museendirectors legte, vielleicht weniger zum Zeichen, daß sie diese Bundesgenossenschaft annehme, sondern unter dem Einfluß der Situation: einem geistig hochbegabten Manne, mit bittend ausgestreckter Rechten vor sich zu sehen, sein Unrecht eingestehend, bereit, es wieder zu sühnen, da murmelte Herr von Olbers:

»Wenn der keine Carrière macht, so knüpfe ich mich am Bande meines Salamanderordens auf.«

Carrière war bei dem Geheimerath der Mittelpunkt, um den sich alle seine Gedanken drehten...

Und Mathilde? Sie starrte fast entsetzt mit weitgeöffneten Augen den Museendirector an und als Linda ihre Hand in die seinige legte, da ging es der jungen Frau schneidend durch das Herz, eine furchtbare Angst überkam sie. –

»Mein Gott, Mathilde... was ist dir?..«

»Aber ma chere... ah... diese Nervenzufälle...« Und Linda und der Geheimerath faßten die Hände der plötzlich Erbleichten, auf deren Stirne Perlen der Angst glänzten...

Marecampus hatte sich gleichfalls erhoben; er ergriff stillschweigend die Hand der Geheimeräthin, wie um den Puls zu fühlen und hielt diese eine Secunde in der seinigen.

»Sie werden sich erkältet haben, gnädige Frau, der Wind streicht an dieser Stelle scharf vom See herüber und wir sind bei unserer Promenade durch den Buchenwald warm geworden... Hüllen Sie sich in Ihren Shwal, gnädige Frau,« setzte er mit dem Ausdruck theilnehmendster Besorgniß hinzu, indem er der Geheimeräthin den Kaschmir reichte, »und lassen Sie uns,« setzte er, zu Herrn von Olbers und Linda gewendet, hinzu, »eine kleine Promenade am Ufer machen... Frau Baronin wird sich durch die Bewegung sicherlich erholen...«

Der Vorschlag wurde von dem Geheimerath und Linda für gut erklärt und Mathilde, welche die bittersten Qualen in diesen Momenten empfand, mußte es diesem Manne fast noch Dank wissen, daß er ihrer Aufregung eine so natürliche Ursache unterschob. Aber sie sollte den Kelch bis auf die Neige leeren. Mit nicht abzuweisender teilnahmsvoller Höflichkeit bot der zunächst stehende Museendirector Mathilde seinen Arm.

Linda und ihrem Vetter den Vortritt lassend, folgte der Museendirector langsam mit der jungen Frau, die blaß und bebend an seinem Arme hing: wie ein Schlachtopfer erscheinend, das zum Tode geführt wird...

»Gnädige Frau,« begann Marecampus mit leiser aber eindringlicher Stimme, »Sie können versichert sein, daß es mir eine schmerzliche Notwendigkeit ist, Sie an jenes Gespräch und jenes Versprechen zu erinnern, das Sie mir gaben, als uns das Schicksal nach jahrelanger Trennung an jenem Ballabende im Hause Ihres Gemahls wieder zusammenführte...

Sie versprachen mir, meine Bahn nicht zu durchkreuzen, Sie versprachen mir sogar, meinen Zwecken förderlich zu sein...«

»Was wollen Sie von mir?.. Was habe ich gethan... das Sie mir zum Vorwurf machen könnten...« hauchte die junge Frau mit fast tonloser Stimme hin...

»Und Sie fragen noch, Mathilde,« fuhr Marecampus, aus dem ernsten, beinahe strengen Tone, mit welchem er die Unterredung begonnen, in einen schmerzlich-wehmüthigen übergehend, fort...

»Wäre Herr von Olbers,« seine Worte klangen bei diesem Namen spöttisch, »nicht so sehr in seine diplomatischen Zukunftsträume verstrickt, wäre Fräulein Linda eine nur etwas argwöhnischere Natur – müßten sie nicht längst aus der Abneigung, welche Sie gegen mich so deutlich zur Schau tragen, einen Verdacht geschöpft haben, der hinreichend wäre, meine Pläne und Absichten mit Linda scheitern zu lassen?..«

»Pläne... Absichten mit Linda,« stammelte Mathilde, bis zum Tode erschrocken und sich jener Unterredung mit ihrem Gatten am Abend des Tages erinnernd, an welchem sie die Karte des Museendirectors erblickte... »was können Sie für Absichten mit Linda haben?... O, um der Barmherzigkeit Gottes willen, schonen Sie dieses edle, reine Herz...«

Marecampus blieb stehen und zog mit finsterer, drohender Miene die Brauen zusammen:

»Frau Baronin, halten Sie mich für einen elenden Verführer, für einen lüderlichen Lovelace, der um des gemeinen Sinnengenusses willen das Glück eines Weibes opfern könnte... O, schlagen Sie nicht die Augen zur Erde nieder,« fuhr er milder und indem sein Blick sanfter wurde, fort, »auch jenes Gefühl, das uns einst zusammenführte, stammte aus edlerem Boden... Damals war es die Pflicht, welche mir gebot, dem Weibe meiner Liebe zu entsagen;« bei diesen Worten flog ein Schauder über Mathildens Gestalt, ein Schauder, der eine unwillkürliche Protestation gegen dieses Wort war...

Marecampus bemerkte diese Geberde des Entsetzens, doch er ignorirte sie und fuhr in demselben Tone fort:

»Heute gebietet es mir dieselbe hohe Pflicht, mich dem Weibe meiner Liebe zu verbünden... Erschrecken Sie nicht bei dem Wort, Frau Baronin: ich liebe Linda, liebe sie mit der ganzen Kraft einer ernsten, gereiften Männerseele. Und sie wird, sie muß mein werden... Beben Sie nicht zurück bei dieser Erklärung, verstehen Sie mich nicht falsch: Linda soll mein Weib werden. Sie soll es werden, um meine natürliche Verbündete zu werden in dem Kampfe, welchen ich in diesem Lande gegen die Grundsätze der Empörung, gegen die Auflehnung gegen den Thron, gegen die heiligen Satzungen unseres Glaubens aufgenommen habe... Beurtheilen Sie mich, Frau Baronin, nicht mit dem Maaßstab der gewöhnlichen Menschensorte, die lebt, jene Zwecke zu verfolgen, welche auch dem thierischen Dasein gemein sind...

Ein wildes Fieber des Wahnsinns tobt in den Adern der Menschheit, die sich losreißen will von Allem, was da göttliche Ordnung heißt... Aufruhr und Empörung auf jedem Gebiete... Auf dem der Politik, der Kunst, der Literatur, der Wissenschaft, des Glaubens, der Familie...

Es fehlt eine eiserne Faust diesem Geschlecht, eine eiserne Ruthe, die es züchtigt... Gott ist stark in dem Schwachen – vielleicht erzeigt er mir die Gnade, diese Ruthe zu werden in der Hand des Ewigen...

Aber wer bin ich? Ein Einzelner, dem Tausende gegenüber stehen... Ich muß mir meinen Weg bahnen bis zu dem Punkte, von wo aus ich der Emeute ein mächtiges Halt! zurufen kann durch eigne Kraft... Wie jene Pioniere des Westens, welche mit der Fackel und der Axt die Cultur in die Urwälder des Westens tragen, muß auch ich mit Art und Fackel kämpfen...

In diesem Lande soll mein Wirken beginnen... Von hier aus soll die Umkehr zu den alten hochheiligen Satzungen, welche die Welt Jahrtausende lang in Angeln gehalten, verkündet werden... Linda soll mir Gefährtin in diesem Kampfe werden.... O, Mathilde, Sie kennen mich zu gut, um nicht zu wissen, daß es nicht jene gemeine Habgier niedriger Seelen ist, die mich die Hand nach einem reichen Weibe, wie man sagt im gewöhnlichen Leben, ausstrecken läßt... Was ist mir Gold, was diese glänzenden, nichtigen Schätze... Mir so gleichgiltig, wie der Kiesel am Uferrande dieses See's – nur als Mittel zum Zwecke in meinen Augen Geltung habend...

Und so, Mathilde, habe ich Ihnen enthüllt, was bis jetzt im tiefsten Innern verborgen ruhte, was außer mir kein Lebendiger weiß – Sie werden, wie das andere Geheimniß, welches uns verbindet, auch dieses zu bewahren verstehen...

Und nun noch ein Wort und die Erinnerung dabei an jenes, das jüngst ein königlicher Mund gesprochen: Vertrauen erweckt Vertrauen, werden Sie von diesem Augenblicke an mir bei meiner Werbung um Linda's Gunst noch feindselig entgegentreten?..«

Und als ob er Mathildens Gedanken in diesem Moment errathen, fuhr er fort:

»Nicht daß sich diese Feindseligkeit in Worte gekleidet... Aber eine Frau bedarf nicht der Sprache, um ihre Abneigung, ihren Haß gegen einen Mann kund zu geben... aus einem Blick, einer Geberde, einem Schweigen spricht oft eine entschiedenere Feindseligkeit, als aus der leidenschaftlichsten Anklage. Und dieser stille, stumme Krieg ist es, den Sie, Mathilde, gegen mich führen...

Linda liebt Sie, ein Wort aus Ihrem Munde...«

Ein starker Böllerschuß unterbrach ihn... Hinter dem Eichenwald und den Buchen wirbelten Rauchwolken empor. Zugleich wurde am obern Ende einer Allee der mit Linda vorausgegangene Geheimerath sichtbar... Marecampus hatte nur noch Zeit, der jungen Frau zuzuflüstern: »Darum aufrichtigen Frieden zwischen uns, Mathilde... ich will es...«

»Aber mon dieu,« rief der Geheimerath ihn von Weitem zu, »wo bleiben die Herrschaften denn?.. Haben Sie nicht die Kanonenschläge gehört, die Regatta beginnt... eilen wir, eilen wir, Königliche Hoheit, der Prinz Albin, Vetter Seiner Majestät, ist eben mit seiner Gondel angelangt und wird die Fahrt eröffnen... Sehen Sie, Linda winket dort mit dem Taschentuche, wir sollen uns beeilen..«

Es war ein Glück, daß der Geheimerath von dem großen Ereignisse: Prinz Albin eröffnet mit seiner Gondel die Wettfahrt, so echauffirt war und deshalb nicht die Aufregung und Blässe seiner Gattin bemerkte...

Bald war das andere Ufer der Insel, von welchem aus die Wettfahrt beginnen sollte, erreicht...

Eine dichte, elegante Menschenmenge drängte sich längs des Strandes, sechzig bis achtzig Gondeln und Boote mit bunten, flatternden Wimpeln wiegten sich auf dem Wasser...

Es begann schon zu dämmern, aber die Luft war noch lau und still, die Wellen des von dem Flusse durchströmten See's brachen sich leise plätschernd an den vorspringenden Erdzungen der kleinen Insel...

Der Geheimerath, das Lorgnon im Auge, war von lebhaftester Gesprächigkeit und Beweglichkeit... »Punkt acht Uhr, mit dem Eintritt der Dunkelheit beginnt die Wettfahrt... Drüben am Ufer, auf der Mitte der Brücke und längs des Inselufers sind hohe Pechpfannen aufgestellt, welche angezündet werden... Sehen Sie da und da... dort, wo die rothen Tonnen liegen kurz vor den Katarakten des Nils« und er lächelte dabei dem Museendirector, auf die Miniatur-Pyramiden deutend, ironisch zu, »ist das Ziel... Wer es zuerst erreicht, erhält den von Seiner Königlichen Hoheit ausgesetzten, ersten Preis, ein kleines silbernes, stark vergoldetes Ruder, welches man nöthigen Falls auch als eine große Punschkelle gebrauchen kann.

Auf der mittelsten jener rothen Tonnen brennt in einer eisernen Pfanne ein Signal- und Warnungsfeuer zur Verhütung von etwaigen Unglücksfällen durch die Strömung bei dem Wasserfall...«

»Ist diese so bedeutend?« frug Marecampus, während dabei sein Auge die Menge und die Gondeln musterte.

»Mein Vetter meinte schon vorhin, sie wäre niagaraähnlich,« lachte Linda, die sich durch den Anblick dieser frohen, beweglichen Gruppen und des bunten Schauspiels heiter gestimmt fühlte, »und ich glaube, wenn ein armer, gehetzter Hase hineingeräth, er ist ebenso verloren, wie die canadische Büffelheerde, die in dem Lorenzstrom von der Strömung des Falls gefaßt wird...«

»Scherz bei Seite, gnädigste Cousine,« warf der Geheimerath ein... »der Fluß, welcher diesen See durchströmt und dieses Becken in einen See verwandelt, hat eine sehr lebhafte Strömung und raschen Fall... Der Katarakt dort unten ist höchstens 15—20 Fuß hoch und kaum dreißig Fuß breit, aber eben diese plötzliche Enge, wodurch das Wasser gestauet wird, macht das Ding gefährlich...«

»Wie weit mag die Entfernung von hier aus betragen?...« frug Mathilde, nur um etwas zu sprechen und um die peinlichen Gedanken los zu werden, die seit der kurzen Unterhaltung mit dem Museendirector mit erneueter Macht auf sie eindrangen.

»In gerader Linie eine halbe Stunde... Ich erinnere mich noch lebhaft einer Jagd im vorigen Herbst auf diesem See... Majestät hatte die Gnade gehabt mich dazu einzuladen... Es war ein trüber, kalter Tag. Von den Ufern des See's und des Flusses, der sich dort unten zwischen den alten Waldungen verliert, stiegen dichte Nebel auf... Wir ließen die englischen Wasserhunde in das dichte Schilf und risch! rasch! flatterte das Gevögel auf...

Wasserhühner, wilde Enten, Rohrdommeln, Möven und wilde Gänse, Kibitze und allerlei graues Geflügel. Ich hatte die Ehre, im Boote der Majestät mich zu befinden... Sie wissen, Herr Director,« der Geheimerath lächelte dabei bedeutsam, »Majestät lieben Alles, was ein fremdländisches Colorit... Nun, damals standen unsere Pyramiden da unten noch nicht... Aber links und rechts die alten Waldungen, die dichten Nebel, das Rauschen des Wasserfalls, die Aufregung des Gefieders in dem hohen Schilfe... Der trübe Himmel, die Regenwolken, die über unsern Köpfen hinzogen – kurz, Majestät rieb sich vergnügt die Hände, knipp mich in's Ohrläppchen... sehen Sie, Director, hier in das linke Ohrläppchen, gerade so wie Napoleon es machte, wenn er guter Laune, und meinte: »Habe gestern mit dem Schlagfelder und Koppelsdorf eine Jagdgeschichte von dem Dings da... dem Gerstäcker gelesen... so eine canadische Wasserjagd auf dem Huronen-See... wahrlich, genau so, amüsire mich ganz süperb, lieber von Olbers... Doch, um wieder auf das Malheur zu kommen, das sich dabei ereignete... Ein Boot mit zwei Jägerburschen hatte die rothen Tonnen nicht beobachtet, wo die heftige Strömung beginnt... Sie fuhren über die Tonnen hinaus, kamen in den Wirbel, der sich dicht vor dem Fall befindet, das Ding schlug um – und wären nicht Fischer mit Nachen in der Nähe, die Stricke und Haken hinüberwarfen, so wären alle Beide ertrunken, so kam nur ein Einziger um, der Andere wurde gerettet...

Majestät war darüber ungemein alterirt und stellte die Jagd bald ein und flüsterte mir dabei zu: »Traurige Geschichte das, werde für die Mutter des armen Burschen sorgen, aber doch eine merkwürdige Aehnlichkeit...«

»Womit Majestät, wenn ich fragen darf?..«

»Mit der Jagdgeschichte von dem Gerstäcker, von der ich Ihnen heute erzählte... Kam auch ein Jäger dabei um... das Boot stürzte um, der Bursche wurde von einem Alligator gepackt...«

Der Geheimerath hielt in der Erzählung seiner Jagdgeschichte plötzlich inne und preßte sein Lorgnon dicht an das linke Auge.

»Sind die beiden Herren dort nicht... der Herr von Wolkowsky und jener Hauptmann Klingen, dessen Anblick mich unwillkürlich stets an jenen alten spanischen Kriegsobersten Julian Romero erinnert, dieser Zuchtruthe Alba's?..

Ah und in dem Boote mit der weißrothen Flagge unser Freund Volkstribun mit seiner schönen Freundin. Sie mögen moralisiren soviel Sie wollen, mein lieber Marecampus, aber das können Sie nicht wegraisonniren: die Frau ist schön, eine allerliebste verführerische Hexe...«

»Vetter!« fiel Linda ein, die der frivolen Miene ihres Cousins ansah, daß er im Begriff war das Thema weiter auszuspinnen...

Raketen und ein Bouquet blauer und rother Leuchtkugeln, die von einem freien Platze in Mitten des Waldes emporstiegen, gaben das Zeichen, daß der erste Theil der Festlichkeit, ein brillantes Feuerwerk seinen Anfang genommen...

»Bitte, einen Augenblick um Entschuldigung, mein Freund,« flüsterte der Museendirector, während die Damen die Künste des Feuerwerks betrachteten, dem Geheimerath zu, »aber ich sehe dort einen Herrn, mit dem ich einige Worte sprechen möchte...«

Und er war in dem Gedränge verschwunden...

Der Geheimerath folgte ihm mit den Blicken, doch konnte er die Persönlichkeit, nach welcher der Museendirector gedeutet, nicht auffinden...

Bei dem flüchtigen Leuchten einer aufsteigenden Schlangenrakete däuchte es ihm aber das Gesicht jenes Hauptmanns Klingen in der Richtung zu sehen, nach welcher hin sich Marecampus entfernt...

Eine gewisse Neugier, die Eigenschaft der meisten Höflingsnaturen, ließ ihn die Gläser seines Lorgnons mit dem seidnen Taschentuch hell reiben, allein als er eben mit dieser Manipulation fertig und von Neuem seine Beobachtungen anstellen wollte, kehrte der Museendirector schon zurück...

»Ich habe mich geirrt,« murmelte er verdrießlich, »es war eine andere Persönlichkeit, welche der von mir gesuchten nur ähnlich sah... Aber, meine Damen,« wendete er sich rasch und wie von einer augenblicklichen Eingebung ergriffen zu den Damen, »ich erlaube mir Ihnen einen Vorschlag zu machen, von dem ich hoffe, daß er Ihren Beifall haben wird... Wollen wir uns nicht dieser heitern Wasserfahrt anschließen? O, Sie brauchen keine Besorgniß zu hegen, gnädige Frau,« wendete er sich lebhaft und mit einem eigenthümlichen, fast drohenden Blitzen der Augen, das freilich nur diese verstand und wahrnahm, zu der jungen Frau, »ich bin nicht ganz unerfahren in der Kunst des Ruderns. Sie wissen, meine Heimath ist draußen an dem schönen Rheinstrom, nicht weit von dem Loreleyfelsen, wo die schöne Jungfrau sitzt und ihr goldnes Haar kämmt... Als Knabe habe ich fast mehr auf dem Strome, wie auf dem Lande gelebt, Sie können sich getrost meiner Führung anvertrauen...«

Linda, die in einer sehr erregten Stimmung war, nahm den Vorschlag freudig auf... Auch der Geheimerath war nicht abgeneigt. Nur Mathilde zögerte noch mit ihrer Einwilligung...

Aber Linda schmeichelte so, daß sie endlich nachgab.

»Meine süße, theure Mathilde,« liebkoste das junge Mädchen, »thue mir den einzigen Gefallen... Erinnerst du dich nicht an unsere italienische Reise. Wissen Sie noch, Vetter Olbers... unsere Fahrt auf den Lagunen! Eine Nacht wie in Venedig... nur ein wenig Phantasie und das Bild ist da.... Hier den Canale grande, dort der Rialto,« und sie deutete auf die hölzerne Schiffsbrücke, welche vom festen Lande herüber zur Insel führte... »Und die warme Luft... die blitzenden Sterne am klaren, wolkenlosen Himmel. Auf zu Schiffe, Mathilde!«

Einer solchen Aufforderung konnte die junge Frau nicht widerstehen...

Ein Boot wurde von einem der Fischer gemiethet und bald schaukelte es sich mit der kleinen Gesellschaft mitten unter den übrigen Fahrzeugen, die nur auf das Signal zur Abfahrt warteten, um hinaus in den See zu steuern...

Endlich, endlich! Drei Böllerschüsse krachten – bunte Raketen stiegen über dem Eichenwald empor...

Ein lustiges Hurrah tönte von den Booten auf dem Wasser, ein anderes antwortete aus der Menschenmenge am Ufer, die Damen schwenkten ihre weißen Taschentücher, die Männer die Hüte und die kleine Flotille setzte sich in Bewegung...

In erster Linie segelten die Boote, die sich an dem Wettkampfe betheiligten; ihnen folgten die übrigen, gefüllt mit Herren und Damen, die sich nur des Vergnügens halber dem Wasser-Corso anschlossen.

Marecampus saß auf der vordersten Ruderbank und ruderte, ein Schiffer, der Besitzer des kleinen Fahrzeugs, lenkte es... Linda stand aufrecht in der Mitte, Mathilde und der Geheimerath saßen auf den Seitenbänken...

Forschend flogen die Blicke des Museendirectors über die Wasserfläche...

Trotz der Pechfackeln, des Mondenscheins und des Sternenlichts gehörte ein scharfes Auge, wie es Marecampus besaß, dazu, um Personen und Gegenstände in einiger Entfernung zu erkennen...

Offenbar suchten seine Blicke Etwas...

Der Geheimerath hatte einige Flaschen Champagner als Proviant in das Boot tragen lassen und leerte nun mit geübter Hand eine Bouteille...

Er schenkte ein.

»Das erste Glas den Meergöttern und Göttinnen,« rief Linda und goß den perlenden Schaumwein in die Fluth, »daß sie uns glückliche Fahrt und Heimkehr zu den wirthlichen Gestaden dieser Insel geben...«

»Vergeßt auch die Todten nicht,« rief eine rauhe, heisere Stimme aus einem der zahlreichen Boote, welche am kleinen Fahrzeug vorüber in rascher Fahrt dahin durch die Wellen schnitten...

Die kleine Gesellschaft blickte sich bei diesem Unkenruf bestürzt nach dem unheimlichen Rufer um... Aber sie konnte ihn in den sich nach allen Seiten hindurchkreuzenden Kähnen, Booten und Nachen nicht entdecken...

»Galt das uns?« frug Mathilde, von einem ahnungsvollen Schauer durchrieselt, indem sie dabei einen angstvollen, scheuen Blick auf den Museendirector heftete, der am wenigsten von dem Rufe betroffen schien und mit Eifer sein Ruder in das Wasser tauchte...

»Den todten Olympiern,« warf Marecampus gleichgültig hin, »es war vermuthlich ein angetrunkener Student, der Fräulein Linda's Toast nur zur Hälfte verstanden... Geschieht Ihnen schon recht, Fräulein Linda,« setzte er in einem Tone hinzu, der halb wie Scherz, halb wie Ernst klang, »wenn Ihnen ein kleiner Schreck durch die Seele zuckt, warum opfern Sie den heidnischen Göttern; wissen Sie nicht, daß der heilige Dionysius der Schutzpatron christlicher Seefahrer ist?«

Da rauschte ein Boot vorbei, in welchem im Hintertheil eine Dame saß, während ein einziger Mann das Ruder führte.

Der Geheimerath, der das Lorgnon in's Auge gekniffen, fixirte das Paar.

»Auch Sirenen unter uns,« lächelte er den beiden Frauen zu, doch so vernehmlich, daß es auch der Museendirector an der Spitze des Boots hören konnte, »oder wenn Sie lieber Versucherinnen aus christlicher Zeit wollen, blonde Loreley's... Ah, jetzt erhebt sie sich.. Sie wirft den Shwal ab; wie sie sich in den Hüften wiegt und welche Taille, welche Taille!« Der Geheimerath, der ein großer, leidenschaftlicher Verehrer schlanker Taillen, kleiner Füße und zierlicher Hände war, schnalzte, die Gegenwart der beiden Damen vergessend, vor Entzücken förmlich mit der Zunge...

»Armer Volkstribun,« setzte er dann mit spöttischem Mitleid hinzu, »sieh dich vor, daß die Loreley-Locken dich nicht in die Tiefe ziehen.«

Herr von Olbers hatte sich nicht getäuscht.

Es war Hardungen und Selma, die in dem kleinen, raschen Boote vorüber segelten...

Linda's unvermuthete Erscheinung unter der Veranda des Schweizerhauses hatte Feuer in des jungen Mannes Adern gegossen...

Vergebens hatte er die Leidenschaft, welche sich bei dem Anblicke des jungen Mädchens von Neuem mit aller Macht in seinem Herzen entzündete, durch eine feurige Zärtlichkeit, welche er Selma spendete, befriedigen wollen...

Die Täuschung hielt nicht länger vor...

Seine Wangen glühten, seine Pulse klopften fieberisch, seine Augen strahlten in leuchtendem Glanze...

Selma mußte diese Aufregung natürlich bemerken... Daß diese Glut, welche Hardungen durchloderte, in Wahrheit nicht ihr galt – darüber war sie, die erfahrne Kennerin solcher Leidenschaften, nicht einen Moment im Zweifel... Aber sie zürnte ihrem Freunde deshalb nicht. Selma war nun eben kein gewöhnliches Weib, das nicht mit dem alltäglichen Maaßstab gemessen werden wollte, aber auch mit ihm Andere nicht maaß...

Sie war es, die Hardungen den Vorschlag machte, an dem Wasser-Corso Theil zu nehmen...

»Du bist aufgeregt, sehr aufgeregt, mein Freund,« lächelte sie mit eigenem Ausdruck, »die Arbeit des Ruderns und das sanfte Schaukeln auf den Wellen wird die Hitze deines Blutes dämpfen...«

Als der Geheimerath mit dem Museendirector den Nachen bestieg, hatte sie Hardungen durch eine, im gleichgültigen Tone hingeworfene Bemerkung darauf aufmerksam gemacht...

»Kennst du vielleicht die Leute?« frug sie Hardungen, mit ihrem Lorgnon die kleine Gesellschaft, die von dem Ufer über ein Brett in das Fahrzeug schritt, fixirend...

Hardungen blickte auf und wieder zuckte es in seinem Gesicht, das sich erst purpurn und dann bleich färbte..

Er sah wie Marecampus Linda eben die Hand reichte, um ihr von dem Brette herunter in das Boot steigen zu helfen...

Ein wildes Gefühl der Eifersucht krallte sich in sein Herz, er konnte den Anblick nicht ertragen und ohne Selma's Frage zu beantworten, tauchte er sein Ruder tief in das Wasser – und hin nach der entgegengesetzten Richtung schoß das kleine, flinke Fahrzeug...

Seine Brust keuchte von der Anstrengung, der Schweiß troff von seiner Stirne, er mußte etwas verschnaufen...

Selma lachte hell auf...

»Wie entsetzlich zerstreut du doch bist, Hast du vielleicht ein Medusenhaupt gesehen, das dir die Gedanken so wirr durcheinander hetzt? Ich habe dich gefragt, wer die zwei Herren und die Damen waren, die wir eben in das blaue Boot niedersteigen sahen und – du tauchst statt der Antwort die Ruder in das Wasser und fliegst fort, als ob eine Seeschlange uns verfolgte...«

»Es giebt Menschen, die vielleicht noch gefährlicher als Seeschlangen sind,« lächelte gezwungen der junge Mann, »doch ich kann deine Neugierde befriedigen... Der Herr im blauen Ueberrock und dem bunten Bändchen im Knopfloch ist der Geheimerath von Olbers, die eine der Damen seine Gattin, die jüngere seine Cousine...«

»Und der andere Herr, der Mann mit dem Magier-Gesicht...?«

»Auch du?« rief Hardungen überrascht von der Characteristik der Physiognomie des Museendirectors, die in diesem Worte Selma's lag, »es ist der Director der königlichen Museen, Joseph Marecampus...«

»O! Der... des Königs Günstling...«

»Derselbe...«

Selma versank in Nachdenken, auch Hardungen fühlte keine Anregung das Gespräch weiter fortzuführen...

Aber wie mit magischer Gewalt zog es ihn wieder in die Nähe Linda's, deren Boot sein scharfes Auge bald entdeckt hatte... Wie er nun so dicht an dem Nachen des Geheimeraths vorübergefahren, hörte er hinter sich die heisere Stimme des Hauptmanns, der sich mit dem Geigenspieler Victor von Wolkowsky in einem Kahne befand.

Beide schienen vom Weine angeregt; der Geigenspieler grüßte sogar durch Schwenken des Hutes herüber und warf Selma zärtliche Kußhände zu...

»Eine widerwärtige Brut dieses Virtuosengeschlecht, das gern möchte, dem aber die Kraft zum Können fehlt,« sprach Hardungen zu seiner Begleiterin, die ernst geworden in das Getümmel der sich kreuzenden Boote sah, »dieses künstlerische Eunuchengesindel, das um einen schwächlichen Ehrgeiz zu kitzeln die Hände seiner Mäcene leckt, wie es die Hunde mit ihrem Herrn thun... Und Alles drängt sich auf deutschem Boden zusammen, wie die Sumpfpflanzen in den Morästen... Das sind noch die Nachwehen jener politischen Misere, jener schmachvollen Zeit unseres deutschen Vaterlandes, in welcher man den Drang der Nation nach Macht, Größe und innerer Freiheit durch süßliche Melodien, durch byzantinischen Kunstschwindel ersticken wollte... Auch euer Stand wurde ein Handlanger jener brutalen, finsteren Gewalt, welche sich nur dann sicher glaubt, wenn sie alle edleren Keime des Volkslebens in den Sumpf getreten...

Possenreißer seid Ihr geworden, aus Schauspielern... Weichliche Opern und schlüpfrige Tänze kitzeln den vornehmen und niederen Pöbel... Kunstreitern werft ihr Lorbeerkränze zu, Ballettänzerinnen modelt ihr in Erz und Marmor und setzt sie als eure Penaten auf euren Herd... Aber der Geist Gottes schreitet wieder über die Weltbühne und bei seinem Nahen wird all das Gesindel scheu in die Winkel flüchten...«

Hardungen würde vielleicht in seinem raisonnement noch fortgefahren haben, wenn er nicht zur Linken eine Stimme gehört, die ihn wieder mit magischer Gewalt in die Gegenwart zog...

Es war Linda, die eben sprach... Sie hatte einen Kranz von Wasserlilien im dunklen Haar und stand hoch aufgerichtet den weißen, kurzen Mantel über dem seidnen Gewande, wie eine Nymphe des See's im Nachen... Ihre Wangen glühten, ihre Augen glänzten.

»So auf dem Meere zu schiffen, auf unbekanntem Ocean, wie Columbus einer neuen Welt entgegensteuernd...«

Selma störte in dem Augenblicke den Lauschenden, sie wollte an's Land steigen und vom Ufer aus das Schauspiel auf dem See betrachten...

Hardungen sollte noch im Boote bleiben – sie fühlte, wie sie sagte, das Bedürfniß, allein zu sein...

Ihre Stimme war bewegt, als sie dies sprach... Hardungen glaubte sogar eine Thräne in ihren Augen glänzen zu sehen – doch war es wohl nur eine Täuschung, denn gleich darauf lachte sie wieder:

»Nein, nein... fahre nur noch in deinem Kanöe, du thust mir einen Gefallen... Bringen Sie mir einen Sessel hierher,« sprach sie zu einem der Aufwärter, »so, nun lasse mich ruhig hier ein Viertelstündchen sitzen und gehe du wieder zu Schiffe... Dann winke mit dem Taschentuch, wenn du vom Ufer fährst... Ich winke dir wieder und träume mich dann in den Gedanken hinein, ich sei eines Schiffers Weib, die hier am Ufer der Rückkehr des Gatten harrt... Es ist das zugleich eine Studie für mich...«

So scherzte und plauderte sie, und bat so dringend, daß Hardungen ihr endlich gewährte...

» Fare well!« rief er, in das Boot steigend und seinen Hut schwenkend... Und dann lenkte er das Boot nach der Richtung, wo jene rothen Tonnen das Ende des Ziels und die Stelle bezeichneten, über die man sich nicht ohne Gefahr hinauswagen durfte...

Bald war er wieder in der Mitte des Schwarms kleiner Fahrzeuge, aus denen jetzt Scherz und Gelächter, Gesang und Gläserklirren tönte...

Da schallte ein Hurrah von dort her, wo die Flamme der Pechpfanne auf der mittleren rothen Tonne loderte. Zwei Boote hatten zu gleicher Zeit das Ziel erreicht und so den Preis errungen...

Es entstand eine Bewegung unter den kleinen Fahrzeugen und alle drängten sich um die Boote der Sieger...

Hardungen, der Linda's Gestalt in einem der Nachen wieder zu erkennen glaubte, drängte sich gleichfalls mit seinem kleinen Fahrzeug bis an die Tonne...

Ihm zur Seite lag ein anderes Boot, in welchem zwei Männer am Vordertheil saßen, deren Züge selbst ein scharfes Auge nicht erkennen konnte, da sie die breitkrämpigen Hüte tief hereingezogen und die Kragen ihrer Paletots, vielleicht der Abendkühle halber, die über das Wasser strich, heraufgeschlagen hatten...

Auch hatte sich seit einer halben Stunde der Himmel mit Wolken überzogen und das Mondlicht fiel matt durch weißliches Gewölk herab auf den See...

Nur die Flamme auf der Tonne verbreitete in einem engen Umkreis ein helles Licht...

Da plötzlich – riß das Seil, an welchem die Tonne befestigt, sie fiel, die Pfanne mit – und dichte Finsterniß bedeckte den Raum...

Ein Schrei des Unwillens und der Entrüstung über diesen bübischen Streich knabenhaften Muthwillens – für den ihn die Meisten hielten – wurde laut, ein Drängen und Stoßen der Fahrzeuge, die sich, wie das bei solchen Gelegenheiten stets der Fall, auf einmal in Bewegung setzten und nach der Insel zusegeln wollten, vermehrte die Verwirrung...

Da hörte Hardungen ein Plätschern der Wellen, ähnlich dem, wie wenn ein schwerer Gegenstand in's Wasser fällt...

»Ein Mensch in dem See...« schrieen die beiden Männer in dem Boote links.

»Faßt ihn – sonst kommt er in die Strömung...« riefen Andere...

»Es ist eine Dame...«

»Nein, nein... es ist Nichts,« riefen Andere, »ein schlechter Scherz...«

»Dort, dort auf dem Wasser... den weißen Mantel...« riefen zwei Stimmen, dieselben, die zuerst den Schreckensausruf ausgestoßen, wieder. Aber schon stob die Menge der Boote auseinander...

»Es soll ein Fräulein von Olbers sein...« rief eine heisere Männerstimme.

»Wer? Wer?« frugen Andere.

»Linda von Olbers?..« Und ohne eine Antwort abzuwarten, steuerte Hardungen in die Strömung... Da erhielt sein Boot am Hintertheil einen derben Stoß von einer langen Ruderstange... es schwankte, schöpfte Wasser... neigte sich nach der linken Seite... Mit äußerster Mühe bewahrte es Hardungen vor dem völligen Umschlagen... zugleich erkannte er aber auch die Gefahr, in der er schwebte. Er war, von der lebhaften Strömung getrieben, nur noch zehn Schritte von dem Wasserfall, der hier durch eingesenkte Felsenstücke und die natürliche Verengung des Flußbettes erzeugt in einer Höhe von vielleicht sechzehn Fuß in ein weites Becken hinabstürzte, aus welchem der Fluß zwischen Waldungen und dicht mit Schilf bewachsenen Ufern hindurch sich weiter drängte, bis er einige Meilen nördlicher in den großen Hauptstrom mündete... War Linda in diese Strömung gerathen, so war Rettung fast unmöglich... aber so sehr er auch seine Blicke anstrengte, er konnte Nichts entdecken...

Da brach der Mond wieder durch das Gewölk, vor sich sah er etwas Weißes hinschwimmen... Er beugte sich vor – fischte mit dem Ruder darnach... es war wirklich ein kurzer, weißer Damenmantel – da schlug das durch die heftige Bewegung nach dem Vordertheile von Neuem in's Schwanken gerathene, mit Wasser gefüllte Boot um.....

Hier galt es nun des eignen Lebens Rettung...

Obgleich Hardungen kein ungeübter Schwimmer, gegen die gewaltige Strömung der hier im engen Bette sich stauenden Wellen, deren Zug durch den Fall noch energischer wurde, konnte er nicht ankämpfen...

Nur ein Mittel der Rettung gab es für ihn: sich willenlos dem Strome bis dicht vor dem Falle zu überlassen, dann unterzutauchen und – er hatte nicht die Zeit mehr, den Gedanken auszudenken. Das Rauschen des Falls schlug an sein Ohr, er schloß die Augen, tauchte unter – und mit Zischen und Rauschen, schäumend und brausend stürzten die Wasser hinab in das Becken...

Aus einer leichten Kopfwunde blutend, die ihm die scharfe Kante eines der Felsenblöcke geschnitten, aber sonst unversehrt – gelang ihm der salto mortale... Die Gefahr, die so hart an ihn herangetreten, war nun verschwunden. Ein unglücklicher Stoß an einer der vielen hervorspringenden Felsenkanten, eine momentane Besinnungslosigkeit, vielleicht ein Krampfanfall und er war verloren...

Mit kräftigem Arme theilte er, aus dem Becken von der Fluth in das Bett getragen, die Wellen und erreichte glücklich das waldige Ufer...

Ein frohes Gefühl des Dankes gegen die Gottheit durchbebte ihn, als er wieder die sichere, feste Erde unter seinen Füßen fühlte und seine athemlos klopfende Brust die milde Abendluft einsog...

Rings um ihn Stille. Das Rauschen des Flusses verlor sich mit jedem Schritt weiter in den Wald hinein, durch dessen Baumwipfel ihm einzelne Sterne entgegenglitzerten... Lautlos verhallten seine Tritte auf dem weichen Moosteppich, der mit braunen Fichten- und Tannennadeln übersäet war... Ein Gefühl tiefen Friedens zog durch seine Brust; in dieser stillen Waldeinsamkeit erinnerte Nichts an den wilden Streit der Menschen, die da unten in der Ebene in der großen, weiten Stadt wohnten...

Da hemmte ein Hinderniß seine Schritte. Er fühlte sich festgehalten. Als er sich umblickte, sah er, wie ein weißes Stück Zeug, das sich um seine nasse Kleidung geschlungen, sich an einem Wachholdergebüsch gefangen und eingehakt hatte...

Er löste es von den Zweigen des Busches. Es war einer jener leichten Frühlingsmäntel von weißem Stoffe, wie ihn die Damen tragen...

Dies führte ihn mitten in die Schrecken des eben erlebten Abenteuers zurück, dessen Ursprung er über dem Gefühl der Rettung und des stillen, lange nicht empfundenen Friedens vergessen hatte...

So war Linda wirklich ein Opfer der Wellen geworden? Aber – und nun reihte sich Gedanke an Gedanke, wer war es, der deinem Boote jenen Stoß gab, daß es schwankend hinaus stieß in die Strömung?..

Ein Gedanke jagte den andern... Die Ungeduld beflügelte seine Schritte, er stürmte im vollen Lauf den Waldpfad, der jetzt bergab führte, hinunter. Noch zehn Schritte und der Wald lag hinter ihm – in geringer Entfernung sah er die große Stadt vor sich mit ihren Häusern und Thürmen, die in den Nachthimmel emporragten. Wie Nordlicht-Glanz lag über ihr der Reflex des Gasflammen-Lichts, das ihre Straßen, Plätze, Palläste erhellte. – In der Stadt angekommen, erfuhr er in dem Cafe, das er, nachdem er sich umgekleidet, noch auf eine Stunde besuchte, daß der ganze Lärm von dem Verunglücken einer Dame ein blinder gewesen sei, entweder von albernen Witzköpfen ausgesprengt, oder von Industrierittern, welche sich die dadurch entstehende Verwirrung hatten zu Nutzen machen wollen...

»Und deshalb um ein Haar ertrunken und ein Futter der Fische geworden,« lächelte Hardungen, ärgerlich über sich selbst und doch nicht ganz aufgeklärt über den Vorfall, denn was bedeutete der weiße Damenmantel, welchen er aus dem Wasser aufgefischt hatte?



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