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Fünftes Kapitel.


Die Rose von Saron.

Er saß zu ihren Füßen, auf einem niedrigen Schemel. Sein Haupt lag, etwas rückwärts gebeugt, an ihrem Schooße, daß er ihr, aufblickend, in die Augen sehen konnte...

Sie strich mit ihrer Hand das schwarze Haar zurück, das ihm verwirrt um die heiße Stirn hing...

»Deine Stirne brennt und deine Augen glühen,« flüsterte Selma, »was bewegt die Seele meines Freundes?«

Er antwortete nicht, seine Seele lag in seinen Augen, mit denen er sie schaute...

Mitternacht war schon vorüber...

Eine mit Naphtha gefüllte, brennende Ampel, welche an seidnen Schnuren von der Mitte des Zimmers herabhing, warf ein mattes Licht auf die Gruppe...

Ein weißes, weites, faltiges Gewand umfloß die schönen, schlanken Glieder der Schauspielerin; in ungefesselter Fülle fielen ihre blonden Haare über ihre Schultern und weit über den rosafarbigen Gürtel herab, der das Gewand über den Hüften zusammenhielt. Ein Kranz von weißen und rothen Rosen schlang sich wie ein Diadem um ihre Stirne, auf dem weichen Teppich, der sich vor dem Sopha ausbreitete, waren Orangenblüthen, Myrtenzweige, Rosen und Hyazinthen gestreut... Auf einem Tabouret zu ihrer Linken lag ein aufgeschlagenes Buch...

Dieses Buch war das alte Testament...

Sie wiederholte ihre Frage.

»Was bewegt deine Seele, mein Freund, was läßt deine Stirne so fieberisch glühen und die Wellen deines Blutes so stürmisch durch ihre Adern ziehen?«

Er schloß die Augen und flüsterte mit leiser, von innerer Aufregung und gewaltigster Leidenschaft durchbebter Stimme:

»Du bist wie eine Blume zu Saron und eine Rose im Thale... Küsse mich mit dem Kusse deines Mundes, denn deine Liebe ist lieblicher denn Wein.«

Sie beugte sich zu ihm hinab, hauchte einen sanften Kuß auf sein Haupt und flüsterte:

»Mein Freund ist mein und ich bin sein... mein Freund ist auserkoren unter vielen Tausenden...«

Und er schlang seinen Arm um ihre Hüfte und zog sie sanft zu sich herab, indem er dabei murmelte:

»Siehe, meine Freundin, du bist schön, siehe, schön bist du... Komm, meine Braut, vom Libanon, komme vom Libanon... Du hast mir das Herz genommen, meine Schwester, liebe Braut.. Deine Augen sind wie Taubenaugen zwischen deinen Zöpfen...«

Und Selma beugte sich zu dem in leisen Liebestönen Flüsternden hinab, schlang ihre weichen, weißen Arme um seinen Nacken und flüsterte:

»Mein Freund, mein Joseph, wie schön und lieblich bist du...«

Er aber sprach weiter, indem er das reizende Weib immer inniger in seine Arme zog:

»Setze mich wie ein Siegel auf dein Herz und wie ein Siegel auf deinen Arm, denn Liebe ist stark, wie der Tod... und Eifer ist fest, wie die Hölle...«

Und sie entgegnete in demselben leisen Flüstertone, der alle seine Nerven mit ahnungsvollem Entzücken durchschauerte:

»Ihre Glut ist feurig und eine Flamme des Herrn... Daß auch viele Wasser nicht mögen die Liebe auslöschen, noch die Ströme sie ersäufen.. Wenn einer alles Gut in seinem Hause um die Liebe geben wollte, so gälte es alles nichts...«

Bei diesen Worten sprang Marecampus, denn er war der Mann, welcher zu den Füßen vor Selma Schütz, der Neubekehrten, lag, auf und das schöne, junge Weib umschlingend und an seine Brust ziehend rief er trunken vom Rausche einer wahnsinnigen Leidenschaft:

»Schwöre es mir, bei Allem, was dir heilig, schwöre es mir und ich ziehe hinaus mit dir in die Welt, in die weite, weite Welt; morgen schon schüttle ich den Staub dieser Stadt von meinen Füßen, lasse Alles zurück, was sie mir an Macht und irdischer Herrlichkeit bietet und fliehe mit dir in einen Winkel der Erde, wo wir uns eine Hütte bauen und glücklich sein können...«

Aber Selma wehrte ihn mit sanfter Zärtlichkeit ab...

»O, mein Freund, wir dürfen uns nur mit jener geistigen Liebe, mit jener Seelenneigung angehören, wie sie einst Plato schilderte... Ja, ich bin dein, mein Freund... aber nur dein, indem ich dich anbeten und bewundern darf... Ich darf nicht anders lieben, darf dir nicht anders angehören... Dir winken größere, edlere Ziele, als du sie in den Armen eines Weibes finden könntest, die nichts anderes mehr thun darf,« und ihre Stimme wurde hier klagend und wehmüthig, »als ein Leben voller Verirrung zu beweinen und durch Reue und Buße zu sühnen...«

»Und du sagst, daß du mich liebst, daß alle Ströme der Welt die Flamme nicht löschen könnten, die in deinem Busen für mich lodert...? O, du hast gelogen...« rief Marecampus mit leidenschaftlichem Schmerz aus, indem er sein Gesicht an der Schulter der jungen Frau verbarg...

»Joseph,« flüsterte sie, indem ihre Hand liebkosend über sein lockiges Haupt glitt, »verstehst du so wenig die Größe, die Unendlichkeit meiner Liebe... Ach, wie schwer mir dieser Entschluß würde... Freilich, freilich,« setzte sie zögernd hinzu, »wenn ich mit hellem Blicke in die Zukunft sehen könnte, wenn ich wüßte, daß du einst unglücklich würdest, daß du in diesem Kampfe unterliegen könntest... o, dann würde ich, um dich zu retten, sagen: ja, ich will dein sein, Joseph, ganz dein, mit Leib und Seele, dein treues, liebes Weib, das mit dir in einer einsamen Hütte, in einem vergessenen Winkel der Erde glücklich sein will... O, ich kenne solche stille, traute Thäler, mit sonnigen Rebengeländen, Kastanienbäumen und schattigen Ulmen... Es war unten in Italien, am Lago maggiore, wo ich einst einen Frühling verträumte...

O Joseph, Joseph, es ist ein himmlisch schöner Traum, den ich träume, mit dir Arm in Arm zu wandeln an den Ufern jenes reizenden See's, auf grünen Matten, unter breitästigen Bäumen an deiner Seite dann zu ruhen... Dich in meinen Armen zu halten... aber freilich es ist nur ein Traum....« Und sie neigte ihr Haupt mit schmerzlicher Bewegung gegen seine Brust...

»Und warum soll, warum darf dieser Traum,« rief Marecampus glühend, »nicht Wirklichkeit werden?... Weil mir größere Ziele winken, sagst du, weil du dich dieses Glückes nicht mehr würdig glaubst, weil du meinst, um zu büßen, wie eine Magdalena, müßtest du eine Diakonissin oder gar eine barmherzige Schwester werden... O, Weib, theures, holdes Weib... Ich bewundere diese Größe einer Reue, wie sie eine Heilige nicht tiefer fühlen kann... Aber sieh, meine Selma, ich kann nicht leben ohne dich, ich bin ein elender, unglücklicher Mensch, wenn ich nicht in deiner Nähe athmen, wenn ich dich nicht mein nennen darf... Sag', du willst mein Weib werden und fort werfe ich alle die Pläne, mit denen mein Geist sich trägt, mit denen mein Hirn sich zermartert... Was ist mir aller Ruhm der Welt gegen deine Liebe, was aller Genuß der Macht gegen die Seligkeit in deinen Armen... Noch einmal, Selma, bei der Erinnerung an jene Stunde beschwöre ich dich, wo du aus den Mahnungen des »Propheten« die Kraft nahmst, jenem Leben der Verirrungen und der Gemeinschaft mit jenen Verfluchten zu entsagen.. sei mein, ganz mein, laß uns fliehen von hier, hin, wo uns Niemand kennt und wir glücklich sein können...«

Selma hatte, wie in einem seligen Traum versunken, den Worten des Mannes, der jetzt zu ihren Füßen niedergesunken war, ihre Knieen umschlungen hielt und wie zu einer Gottheit zu ihr empor blickte, gelauscht...

Jetzt, als er geendet, zog sie ihn zu sich empor, hauchte einen leisen Kuß auf seine Stirn und flüsterte:

»O, mein Joseph... wie mich deine Liebe so glücklich macht, wie sie die Schmerzen lindert, von denen mein Herz so oft zerrissen, wenn die Vergangenheit meines Lebens ihre dunklen Schatten herein in meine Erinnerung wirft...

O, ich fühle es, Joseph, ich kann deinen Bitten nicht widerstehen, ich kann das Flehen deiner Liebe nicht länger ertragen..

Noch um zwei Tage bitte ich, theurer Mann, zwei Tage der Prüfung, der Sammlung... Und dann, mein Freund, sollst du das Wort aus meinem Munde hören, welches unser Geschick bestimmen wird... Und nun, gute Nacht, mein Freund... es ist spät... Mitternacht vorüber... meine Seele ist matt... ich bedarf der Ruhe... des Schlafes...«

Sie strich wie tief ermüdet das dichte, blonde Haar, das ihr über das Gesicht herabfiel, zurück, reichte ihrem Freunde die Hand und flüsterte mit einem Blick, in dem ein ganzer Himmel von Seligkeit für den lag, dem er galt:

»Gute Nacht, und träume von mir... wie ich von dir... gute Nacht... gute Nacht..«

Marecampus bedeckte die dargereichte Hand mit glühenden Küssen:

»Gute Nacht, Madonna,« stammelte er liebestrunken, »gute Nacht, du holde Blume... Stern meines Lebens... Rose von Saron...«


Wie ein Träumender wandelte der Museendirector nach diesem Abschied von Selma durch die mondhellen Straßen seiner Wohnung zu...

Er wußte selbst nicht, was ihm seit jenem Tage, wo er Selma Schütz in seiner Wohnung empfangen, geschehen war...

Nur drei Tage waren es her, daß er dieses Weib kannte – und welche Veränderungen hatten diese drei Tage in dem Wesen dieses Mannes erzeugt?

Eine unheimliche, dämonische Leidenschaft hatte sich seiner bemächtigt und trieb sein Blut in wildem Aufruhr durch seine Adern... Wo er stand, wo er saß, wo er ging – überall schwebte ihm das Bild dieses jungen, schönen Weibes vor...

Seine Pläne, seine hochfliegenden Ideen – Alles trat zurück vor dem Bilde ihrer Erscheinung und in ihrer Nähe war er wie berauscht von einem Zauberdufte, der alle seine Sinne gefangen nahm... Seit dem Tage, wo er sie kennen gelernt, war er jeden Abend bei ihr gewesen, hatte mit ihr geschwärmt und heute hatte er mit ihr das hohe Lied des Königs Salomo gelesen... Und entzündet von der berauschenden Glutsprache des alten orientalischen Dichterkönigs war seine Leidenschaft in hellen, verzehrenden Flammen aufgelodert...

Und Linda?...

Nur zuweilen noch, wenn er nicht in Selma's Nähe, trat ihr Bild vor seine Seele, aber immer blässer und blässer... In solchen Augenblicken fühlte er wohl auch noch eine gewisse unbestimmte Angst, die Vorahnung einer Gefahr, die ihm aus seiner Liebe zu der schönen Büßerin entstehen könnte – und dann, dann suchte er den Zauber von sich abzuschütteln, aber es war nur ein ohnmächtiger Versuch...

Wenn er den Zauberklang ihrer Stimme hörte, den feuchten Glanz ihrer Augen sah: da schmolzen seine Entschlüsse wie Schnee vor heißer Märzsonne...

Ein Mal auch, aber nur ein einziges Wal: da dämmerte es in seiner Seele mit furchtbarer Ahnung...

Der Gedanke an Mathilde flog durch seine Erinnerung; sollte er, der so freventlich mit dem Glücke zweier Menschen gespielt, vielleicht durch eben diese Leidenschaft, über die er sich oft so hoch erhoben glaubte, die Strafe für jene That erleiden – die ihre Folgen bis herein noch auf den jüngsten Tag erstreckte...

War doch diesen Morgen noch Fritz Schlepke bei ihm gewesen und hatte ihm gemeldet, daß er den Hans aufgespürt habe, daß er von einem Schriftsetzer Wenzel aufgenommen worden sei, mit dem er täglich in die Buchdruckerei ginge und häufig kleine Geschäfte, Gänge in die Nachbarschaft besorge...

»Morgen ist er unser...« hatte Schlepke gesagt, »wie das Vögelchen zappeln wird.«

»Daß Ihr dem Kinde kein Haar krümmt,« hatte Marecampus darauf erwidert, »nur in meine Hände sollt Ihr es mir liefern... Vergeßt das nicht.. Ihr habt Euch doch die Nummer des Hauses gemerkt?«

»Martergasse Nummer Neun... Ich kenne die alte Boutique; sie gehört dem alten Böhmen... Verlassen Sie sich darauf, Herr, morgen früh ist der Vogel gefangen...«

Auch die Erinnerung daran kam ihm in den Sinn, als er jetzt durch die stillen Straßen dahin schritt...

Wild und wüst drängten sich alle die Gedanken in seinem Hirn und als er sich endlich zu Hause müde auf sein Lager hinstreckte, da war es nicht Selma's reizende Gestalt, die ihm im Traume erschien, sondern häßliche, gräuliche Kobolde, ungestaltete Ungeheuer, die ihn ängstigeten und quälten...


Die helle, goldene Mittagssonne schien durch die rothen, dünnen Kattunvorhänge in das Mansardenstübchen des Schriftsetzers Wenzel... Der kleine, runde Tisch, an welchem Wenzel und Hans das Mittagsmahl einzunehmen pflegten, war gedeckt, die Schüssel mit Rindfleisch und Reis dampfte, daneben lagen ein paar braune Bratwürste, umringt von gebackenen Birnen und Pflaumen und auf der alten Commode glänzten hinter zwei Kuchen, von denen der Rand des einen mit fünf kleinen, gelben Wachslichtern umsteckt, Gläser und Flaschen hervor, mit Bier und Aepfelwein gefüllt... Nicht alle Tage war der Mittagstisch des Schriftsetzers so reich besetzt. Aber als Wenzel heute Morgen mit dem kleinen Hans nach der Offizin ging, hatte er zuvor seiner Wirthin einen Thaler mit den Worten in die Hand gedrückt:

»Sie wissen, Madame Gumprecht, heut ist der dritte April, mein Geburtstag... Mein kleiner Hans hat nun zwar keinen Taufschein, indessen einen Geburtstag muß er jedenfalls haben... und so wollen wir annehmen, daß er auch am dritten April in dieses Jammerthal gekommen ist... Besorgen Sie also außer dem gewöhnlichen Mittagstisch noch etwas Apartes und besonders den Kuchen mit den fünf Lichtern für den Hans vergessen Sie mir nicht... Und für den Kleinen eine Flasche Aepfelwein, für mich können Sie Lagerbier holen lassen...«

Und nun hatte es schon längst zwölf Uhr geschlagen, nun standen alle die Leckerbissen, die wir oben aufgezählt, schon über eine Viertelstunde auf dem Tisch und noch ließ sich Niemand sehen, weder der Schriftsetzer, noch Hans...

Da, es schlug eben ein Uhr, knarrte die Treppe, welche herauf zu der Mansardenstube des Schriftsetzers führte, unter schweren, langsamen Tritten... Das war der Gang eines todmüden Menschen, der nach der gewaltigsten Anstrengung endlich zusammengebrochen ist, sich wieder aufgerafft hat und nur noch mit Mühe und letzter Anstrengung, weiter schleppt... Es war Wenzel – und doch hätten selbst seine nächsten Bekannten in diesem Augenblick ihn schwerlich wieder erkannt, so furchtbar verändert war sein Aussehen... Auf seinem sonst so kräftigen, gebräunten Antlitz lag die Blässe äußerster körperlicher Ermattung, sein Bart war wirr und mit Staub bedeckt... Sein Haar klebte in einzelnen Strähnen, die vom Schweiß zusammengeleimt schienen, an seinen Schläfen, seine Lippen waren brennendtrocken, sein Athem ging keuchend, wie der eines zu Tode Gehetzten aus seiner Brust... Schlaff, wie gebrochen hingen die Arme ihm herab, mit mühsamster Anstrengung zog er ein Bein nach dem andern zur Treppe herauf... Solches Gebrochensein war die Folge furchtbarster körperlicher und seelischer Anstrengung... Und diese hatte Wenzel in vier entsetzlichen Stunden empfunden!

Er schloß die Thüre des Zimmers auf und sank in das alte Sopha, den Kopf in die auf die Kniee gestützten Hände legend...

War es denn ein Traum oder Wirklichkeit, grausame Wirklichkeit, die er erlebt?.. Es war heute früh nach acht Uhr gewesen. Der Factor hatte einen Gang zu einem in der Nähe der Druckerei wohnenden Corrector zu besorgen, kein Laufbursche war zur Hand und der kleine Hans, dienstfertig und gefällig wie stets, rief:

»Ich will gehen, Herr Holzapfel... weiß schon, wo der Herr Doctor wohnt...«

Wenzel hatte ihn noch einmal ermahnt, sich nicht mit den Straßenjungen, die ihn zuweilen neckten, einzulassen und so war der Kleine fortgesprungen...

In spätestens zehn Minuten konnte er wieder da sein... Aber es vergingen zehn, es vergingen funfzehn Minuten, es verging eine halbe Stunde und Hans kam immer noch nicht... Tausend Mal sah Wenzel mit weit vorgestrecktem Kopfe durch die Fenster, kein Hans ließ sich sehen...

Es schlug neun Uhr und er wartete noch immer vergebens. Länger ertrug es Wenzel nicht. Er warf den Winkelhaken weg, zog seinen Rock an und eilte fort...

Wie ein Rasender stürmte er in die Wohnung des Correctors.

»War mein Hans da?.. wie lange ist er fort?.. wo ist er hingegangen?«

Diese Fragen stürzten in wilder Eile aus seinem Munde. Der Knabe, so lautete die Antwort, war da gewesen, hatte seinen Auftrag richtig besorgt und war dann, es konnte nun wohl eine Stunde her sein, wieder fortgegangen. Wohin? wußte Niemand...

Mit einer wilden Geberde stürzte Wenzel die Treppe hinab, nach seiner Wohnung. Ob der kleine Hans oben sei, schrie er dem Hausmann schon von Weitem zu...

»Ich stehe nun seit einer Stunde da und habe ihn nicht hinaufgehen sehen... Doch da kommt Madame Gumprecht herunter, fragen Sie die.«

Auch die Wirthin verneinte Wenzel's Frage... Nun zurück in die Druckerei... Kein Hans hatte sich sehen lassen – das Kind war wie verschwunden... Mit der Miene eines Verzweifelten stürzte Wenzel von Neuem fort... Durch alle Straßen und Gassen der großen Stadt rannte er, überall frug, forschte, suchte er... An den Brücken, an den Canalufern, an den Flußquais, in die entlegendsten Vorstädte flog er... Nirgend eine Spur von dem Kinde zu entdecken... Er eilte in die Wohnung Hardungens, den zu beschwören, ihm suchen zu helfen, da außer diesen und Schilden nur noch einige Hausgenossen das Kind kannten... Er traf unglücklicher Weise weder den Redacteur der Tribune, noch Schilden an. Herr Hardungen, sagte man ihm in dessen Wohnung, sei heute sehr früh, vielleicht um sechs Uhr von ein paar fremden Herren, die in einer Droschke vorgefahren wären, geweckt worden, habe sich rasch angekleidet und sei, nachdem er ein Billet geschrieben und dieses zu Doctor Schilden geschickt, mit Jenen fortgefahren...

Und als er wieder nach seiner Wohnung zurückeilte, sagte ihm der Hausmann, daß der Herr Doctor vor einer Stunde nach Hause gekommen und nach Empfang des Briefes, den man in Abwesenheit des Doctors bei ihm, dem Hausmanne, abgegeben, in höchster Eile nach einem Wagen gerufen habe und dann, was die Pferde hätten laufen können, fortgefahren sei...

Freilich hörte Wenzel alle diese Dinge nur mit halber Aufmerksamkeit, der Gedanke an Hans beherrschte Alles Uebrige...

Und fort wieder stürzte er in rastlosem Suchen in die Straßen hinaus...

Weite Gärten dehnten sich an dem südwestlichen Ende der Stadt... Hans liebte die Blumen leidenschaftlich und obgleich es erst Frühling war, wo wenige blühten, so war es doch möglich, daß der Kleine, der auf seinen Spaziergängen mit Wenzel oft sehnsüchtig durch die Zäune in die Gärten geschaut, dort draußen zu finden... In athemloser Eile durchlief der Schriftsetzer, während die Aprilsonne heiß auf die Erde brannte, die großen Gärten, aber keine Spur von dem Kinde... keine...

Und so hetzte der arme Mensch vier lange Stunden ohne Ruhe und Rast von Straße zu Straße, sich die bittersten Vorwürfe und grauenhaftesten Vorstellungen über des Kindes Schicksal machend. Wenn er an einer Brücke, an einem Canalufer vorüberrannte und er sah eine etwas auffällige lebhafte Bewegung unter den Menschengruppen, die dort mit verschiedenster Hanthierung beschäftigt – da drang eisiges Entsetzen bis in sein innerstes Mark... Jeden Augenblick glaubte er den Leichnam des kleinen Knaben zu sehen, aus dem Wasser gezogen, mit blauen, kalten, starren Zügen, triefendem Haar, krampfig verzerrtem Munde... Oder wenn die Karossen und Reiter im raschen Trabe vorübereilten – wie ein spitziges Messer fuhr es ihm dann in's Herz bei jedem Ausruf, bei jedem Aufschrei, welcher aus der dichten Menge, die in lebhaftestem Verkehr sich drängte, herausscholl... Seine erhitzte Phantasie führte ihm dann die schrecklichsten Bilder vor, er sah wie man den kleinen blutigen und zerschmetterten Leichnam unter den Hufen hervorzog... »Hans, Hans..!« schrie er da plötzlich auf und eilte auf einen kleinen blonden Knaben zu, der vor einem Bilderladen stand...

Grausame Selbsttäuschung! Es war ein fremdes Kindergesicht, welches den bärtigen Mann, der so außer sich war, verwundert, ängstlich anstarrte; einige leichte Aehnlichkeiten hatten den armen Wenzel getäuscht... Endlich übermannte ihn die Verzweiflung und brach seine durch die ungeheure Anstrengung rastlosen Jagens durch die große Stadt schon erschöpfte Kraft... Die Kniee bebten ihm, die Zunge klebte an seinem Gaumen, Fieberschauer durchrieselten ihn...

In diesem Moment war es, wo ihn sein wilder, verzweiflungsvoller Kreislauf wieder in die Nähe seiner Wohnung geführt...

Noch einmal dämmerte ein Hoffnungsstrahl in ihm auf, als er unten am Thore den Hausmann sah, der ihm von Weitem zuwinkte...

»Der Kleine hat sich noch nicht wiedergefunden...« rief ihm der Portier von Weitem zu – und nun schwand dem Armen jeder Hoffnungsschimmer und wie zerschlagen an allen Gliedern schleppte er sich hinauf in sein Zimmer und saß nun da in dumpfem, verzweifeltem Brüten... Viertelstunde auf Viertelstunde verrann, Wenzel brütete fort... Er war in jenem lethargischen Zustande, welcher nur durch die energischeste Einwirkung gehoben werden kann... Seine Sinne waren so stumpf für Alles, was sich rings um ihn ereignete, geworden, seine ganze Seele hatte sich so in einen einzigen Gedanken concentrirt, daß er es nicht einmal bemerkte, wie sich die Thüre seines Zimmers öffnete und der Doctor mit Hardungen stumm hereintrat...

Sie hatten schon von dem Hausmanne und der Wirthin die Unglücksmähr erfahren...

Beide waren blaß und tiefbewegt; Hardungen, der den rechten Arm in einer schwarzseidenen Schlinge trug, noch mehr, als der Arzt, in dessen Augen ein lebhaftes Feuer blitzte und auf dessen Stirne ein energischer Entschluß zu lesen...

Hardungen setzte sich matt und erschöpft auf das alte Sopha, während Schilden langsam auf den Schriftsetzer zuging.

Er legte seine Hand auf den schlaff herabhängenden Arm Wenzel's und sprach das einzige Wort:

»Hans.«

Bei diesem Namen schnellte Wenzel, wie von einem electrischen Funken getroffen, empor und indem er den Doctor mit beiden Händen an den Schultern faßte, rief er in wüthendstem Schmerze aus:

»Er ist todt... er ist uns geraubt... gestohlen... man hat ihn ermordet...«

Der Arzt schüttelte ernst das Haupt:

»Er ist weder todt, noch wird man ihn ermorden; er ist nur gestohlen worden, aber wir kennen die Diebe und wir werden, noch ehe die Sonne sinkt, den Knaben wieder haben... Aber Sie müssen den Kopf nicht verlieren und hören, was ich Ihnen sage...«


Während die drei Männer im Mansardenstübchen des Schriftsetzers so Pläne zur Wiederauffindung des Knaben entwarfen, geschahen in der Höhle des Propheten in der Martergasse seltsame Dinge...

Es war um die neunte Morgenstunde gewesen, als Marecampus in das Redactionsbüreau gekommen war. Er wurde wieder von jener Stimmung beherrscht, die ihn trieb sich von dem Einflusse, welchen Selma Schütz auf ihn ausübte, zu emancipiren... Seine politischen Pläne, seine agitatorische Thätigkeit zum Umsturz der Verfassung und Aufrichtung der alten Feudalmonarchie waren wieder in den Vordergrund getreten. Er war bald aufgestanden und hatte als er in dem Redactonsbüreau erschien, schon mehrere Stunden gearbeitet: wichtige Korrespondenzen mit auswärtigen, einflußreichen, politischen Bundesgenossen, publicistische Artikel für Zeitschriften, die in seinem Dienste standen, Instructionen für die Wahlcomités auf dem platten Lande...

Er traf Niemand im Büreau, weder den Hauptmann, noch dessen Diener, noch Wolkowsky...

War er darüber auch unwillig und verwundert, da eine solche Nachlässigkeit des Hauptmanns bis jetzt nicht vorgekommen, so wollte er doch nicht erst hinüber in die Officin zu dem alten harthörigen Stracka und diesen nach der Ursache der Abwesenheit Klingens fragen...

Er zog sich einen Sessel an den Schreibtisch des Hauptmanns, um die für die Redaction des Propheten eingegangenen Berichterstattungen durchzusehen...

Da fand er einen von der Hand des Hauptmanns an ihn, Marecampus, adressirten Brief...

Die Züge der Schrift trugen das Gepräge fliegender Eile...

Hastig erbrach er ihn.

»In ein paar Stunden,« so lautete der Brief, »wird es entschieden sein, ob jene beiden Schufte noch länger unter den Lebendigen wandeln sollen...

Aber verdammt meine Seele, wenn ich zurückkehre, ohne ihr Herzblut gesehen zu haben... Entweder sie – oder ich. Falle ich, so erwartet mich mein Freund Ignaz, der von der Hand jenes Hundes bei Palermo fiel und ich sterbe für die gute Sache...

In tiefster Ergebenheit
Ihr

Vincent Klingen.«

Mit ernster Miene legte Marecampus den Brief bei Seite, ohne daß seine Mienen indessen eine gewisse Genugthuung ausdrückten; denn kannte er auch die furchtbare Fertigkeit des Hauptmanns im Gebrauche der Waffen, so waltet bei einem Zweikampf doch immer in starkem Maaße der Zufall...

Die Blicke noch auf die Unterschrift des Hauptmanns gerichtet, hörte Marecampus ein eiliges Klopfen am äußern Thore, ein rasches Oeffnen desselben und gleich darauf nahte sich der schlürfende Schritt des alten Valerian Stracka durch den dunklen Corridor dem Redactionsgemach. Die Thüre öffnete sich und die finstern, hagern, gelblichen und harten Züge des alten Böhmen wurden sichtbar.

»Der Mann mit dem Kinde, von dem Eure Gnaden gestern redeten, steht draußen und läßt fragen, ob Eure Gnaden ihn sprechen wollen...«

»Mit dem Kinde,« rief Marecampus, überrascht aufspringend, »ich bitte Sie, Herr Stracka, er soll gleich kommen...«

Einen Augenblick später stand Fritz Schlepke, den kleinen Hans an der Hand haltend, vor dem Museendirector, während sich die schlürfenden Schritte des alten Buchdruckers wieder hinüber nach der Offizin zu entfernten...

Das Kind war bleich und zitterte am ganzen Körper, die Zähne hielt es krampfig auf einander gepreßt... Mit einem Blick namenloser Angst durchflogen seine Augen das düstere Gemach und als er das Skelet neben dem Kamin erblickte, schrie das Kind in wilder Angst hell auf...

»Willst du ruhig sein, Bursche,« gebot ihm der wüste Mensch mit rauhem Tone; und zu dem Museendirector sich wendend, sprach er:

»Es ist der erste Laut, den der Vogel von sich giebt. Wie eine betrunkene Drossel lief er mir in die Hände. Seit ein paar Tagen stand ich auf der Lauer. Aber es paßte nicht. Heute früh endlich gelang's... Er kam aus einem Hause, wohin er ein Buch getragen, die Straße war so ziemlich leer und ich trat gerade auf ihn zu...

Aha, Bürschchen, treffe ich dich wieder... Na warte, du sollst heute Abend eine gepfefferte und gesalzene Prügelsuppe haben, weil du der Muhme Jette ausgekniffen bist.. Und so faßte ich ihn bei der Hand und er muckste nicht.. Der Schreck, wie er mich sah, war ihm wohl in die Glieder gefahren und hat ihn stumm gemacht. Wie ein Lamm lief er an meiner Hand – und nun ist er da...«

Mit sichtlichem Ekel hatte Marecampus den Bericht des Vagabunden angehört und als dieser von der Prügeldrohung sprach, loderte ein zorniges Feuer in seinen Augen auf; allein er brauchte diesen Menschen noch und mußte sich beherrschen.

»Laßt das Kind los,« gebot er rauh.

Und dann zu dem Kleinen sich wendend und ihn mit einer gewissen innern Bewegung zu sich ziehend, frug er ihn:

»Willst du bei mir bleiben, lieber Kleiner?..«

Das Kind antwortete nicht, es warf nur scheue, angstvolle Blicke um sich und als der Museendirector die Frage wiederholte und dem Kleinen ein Bonbon anbot, brach der Knabe in Schluchzen und Weinen aus und rief, die Händchen faltend:

»Ach, guter Mann, laß mich doch wieder zum Vetter Wenzel gehen.. Ich will auch recht folgen, will ganz artig sein. Nicht wahr, ich kann bei dem Vetter Wenzel bleiben und nicht bei dem Vetter Fritz und Muhme Jette, die mich immer so geschlagen haben... und mir so hartes Brod gaben...«

Der Museendirector warf dem Gauner einen drohenden Blick zu.

»Also so habt Ihr meine Befehle ausgeführt?«

Der wüste Mensch wollte sich entschuldigen, indem er Alles auf die Muhme Jette schob...

»Schon gut, schon gut,« antwortete in finsterem Tone der Museendirector, »wir werden ein anderes Mal darüber sprechen, einstweilen tretet in das Zimmer dort und wartet auf meine weiteren Befehle.. Auch du, Kleiner, geh' hinein, sei ruhig, weine nicht, es soll dir Niemand etwas zu Leide thun,« und er blickte dabei den Fritz Schlepke so drohend an, daß der Vagabund die Augen niederschlug...

Als Marecampus allein war, ging er, die Hände auf den Rücken gelegt, mit lebhaften Schritten in dem Gemache auf und ab... Er hatte bei dem Anblicke des Kindes ein Gefühl empfunden, welches ihn zu übermannen drohte... Deshalb hatte er den Kleinen so rasch wieder aus seinen Augen entfernt...

Was nun mit ihm beginnen?

Ihn auf die Dauer der Obhut dieses rohen, wüsten Menschen anzuvertrauen? Gegen diesen Gedanken empörte sich selbst sein Gefühl...

Aber er brauchte Fritz Schlepke noch, wenigstens zur Fortschaffung des Knaben an einen andern Ort, denn hier konnte, durfte er nicht bleiben... Konnte nicht Mathilde jeden Augenblick die Existenz des Kindes erfahren – und dann die Folgen davon? Noch nie war dieser Mann so unsicher, unschlüssig, so schwankend in seinen Entschlüssen gewesen... Linda, Selma, Mathilde, die Gestalten dieser drei Frauen, von denen eine jede einen so großen Einfluß auf seine Geschicke ausübte, sie stiegen vor seinen Blicken auf und ließen keinen Entschluß zur Reife kommen...

Da kam ihm ein Gedanke... Draußen in Westphalen kannte er einen Landwirth, einen Mann, der seinem Vater, wegen eines Darlehns, das noch als hypothekarische Schuld auf dem Gute lastete, verpflichtet gewesen war... Dorthin beschloß Marecampus für's Erste den Knaben durch Schlepke bringen zu lassen... Später wollte er anders für seine Erziehung sorgen... Er setzte sich, zufrieden mit diesem Ausweg, an den Schreibtisch, um den Brief an den westphälischen Bauer, den Schlepke mitnehmen sollte, zu schreiben, als ein Geräusch vor dem Hause, auf der Straße, ihn unterbracht..

Er sah durch die bestaubten Scheiben...

Draußen hielt ein Wagen, aus dem bleich, mit verstörter Miene der Geigenspieler Wolkowsky stieg, vom Rücksitze sprang der Diener des Hauptmanns herab...

Beide näherten sich dem Wagenschlage und hoben mit Hülfe eines Dritten, der ebenfalls im Wagen gesessen und in welchem Marecampus einen früheren Offizier und Bekannten des Hauptmanns erkannte, eine, in einem grauen Militärmantel gehüllte Person heraus...

Eine dunkle, blutige Ahnung, die sich bestätigen sollte, schoß durch die Seele des Museendirectors...

Wolkowsky schlug an das Thor, dieses öffnete sich und herein trug man, sterbend, auf den Tod verwundet, den Hauptmann...

Die Männer legten ihn auf das Feldbett, das in dem Schlafzimmer nebenan stand...

Der Verwundete röchelte und stieß zuweilen dumpfe unverständliche Laute aus... Ein leichter, blutiger Schaum stand vor seinem Mund, wirr hingen die Haare um sein erdfahles Antlitz, convulsivische Zuckungen ließen seine Gestalt erbeben...

Nicht ohne Grauen betrachtete Marecampus den Sterbenden, welcher schon bewußtlos zu sein schien... Ein blutiger Verband, dem man die kunstgeübte Hand des Arztes, der ihn umgelegt, ansah, bedeckte die Brust...

Mit verstörter Miene erzählte Wolkowsky leise flüsternd dem Museendirector in kurzen Worten die blutige Entwicklung des Drama's, welches mit dem Tode des Hauptmanns enden sollte... Zuerst erzählte er ihm den Vorgang vom gestrigen Abend im Cafe Parpalioni, den Auftritt, der zwischen Hardungen und dem Hauptmann stattgefunden und die Forderung zum Zweikampf. Der Hauptmann war die ganze Nacht nicht in's Bett gekommen. Er hatte Portwein getrunken und Zwiegespräche mit dem Skelet seines Freundes gehalten, das er fortwährend umarmt, ihm jauchzend zurufend, daß der Tag der Rache gekommen...

Denn er hatte darauf gerechnet, daß Schilden, wie wir Hayden fort nennen wollen, seinen Freund Hardungen zu dem Zweikampfe begleiten würde..

Und er hatte sich nicht geirrt, nur kam Schilden, erst am Morgen durch den Brief Hardungens von dem Duell unterrichtet, eine Stunde später auf dem ziemlich weit von der Stadt gelegenen Kampfplatz an...

Das Duell zwischen dem Hauptmann und dem Redacteur der Tribune hatte schon seinen Anfang genommen... Beide Kämpfer waren schon verwundet, Klingen leicht an der Hüfte, Hardungen durch einen ziemlich tiefen Stich am Oberarm, der ihn jedoch, da der Stoß keine edlern Theile verletzt, an der Fortsetzung des Kampfes nicht hinderte. Da hörte man das Rollen eines Wagens und zugleich wurde die Droschke, in welcher Schilden gefahren, unter den Bäumen sichtbar... Der Arzt sprang heraus und näherte sich mit eiligen Schritten dem Kampfplatz, auf welchem sich außer den beiden Kämpfenden nur noch er, Wolkowsky und jener frühere Offizier befand, welcher, da der Doctor nicht kam, Hardungen als Zeuge diente...

Den Doctor Schilden erblicken, einen wilden Schrei der Rache ausstoßen, von Hardungen ablassen und mit zum tödtlichen Stoße gesenkter Klinge auf Jenen einstürzen, war das Werk eines Moments.

Selbst ihn, den Geigenspieler, fesselte Bestürzung und eine Art Grauen an die Stelle...

Nur Hardungen machte einen Versuch, sich zwischen die Beiden zu werfen...

Aber schon war es unmöglich... Der Arzt, der scheinbar keine andere Waffe, als seinen starken und langen Stock, den er beständig trug, führte, war zwar anfänglich zurückgesprungen, indem er den Andern zurief, ob der Mensch vielleicht wahnsinnig sei...

Darauf aber hatte ihm der Hauptmann ein paar Worte zugerufen, welche das ganze Wesen des Doctors im Nu verwandelten...

»Und diese paar Worte – sie lauteten? Hörten Sie dieselben?« unterbrach hier der Museendirector den Erzähler...

»Ich hörte sie,« fuhr Wolkowsky zögernd fort, »er führte einen wüthenden Stoß nach des Andern Brust, den Jener noch mit dem Stocke parirte und schrie dabei: Nimm das, du Schuft, für Ignaz und Marecampus...«

Der Museendirector stieß einen Ruf des Zorns aus.

»Trunkenbold!« rief er, unbekümmert um den neben ihm im Sterben Röchelnden, »meinen Namen zu nennen... aber weiter... weiter...«

»Das was sich nun ereignete, geschah so rasch, daß wir erst zur Besinnung kamen, als es vollendet... Eine jähe Blässe flog über des Arztes Züge, er faßte seinen Stock, entblößte einen langen, dreischneidigen Stockdegen und stürzte mit dem Rufe:

»Ah, Bandit, dich sendet Jener, dein Blut komme über sein Haupt,« gegen den Hauptmann... Blendete dem Hauptmann die Wuth, oder war ihm der Andere in Führung der Waffe überlegen. Ich kann es nicht sagen... Ich sah nur, wie die stählernen Klingen gleich wüthenden Schlangen gegeneinander fuhren, sich faßten, Stoß auf Stoß gegeneinander führten – bis, o Herr, es schauert mir noch jetzt ein Entsetzen durch die Glieder, wenn ich an den Schrei denke, bis der Hauptmann einen furchtbaren Schrei ausstieß, taumelte, mit dem Degen einen unsicheren, schwankenden Kreis in der Luft beschrieb und zusammenstürzte...«

Wolkowsky wischte sich den perlenden Schweiß, der ihm während seiner Erzählung auf die Stirne getreten, ab und blickte stumm zu Boden nieder...

Marecampus sah stumm und finster auf den Verwundeten, der immer leiser röchelte und dessen Hände auf der Bettdecke jenes unheimliche Scharren und Kratzen begannen, welches das sicherste Zeichen des nahenden Todes ist...

»Und dann?« frug der Museendirector nach langem Schweigen...

»Als der Hauptmann gefallen, warf sein Gegner die blutige Waffe weg und eilte auf den Verwundeten zu, wie wir, die wir entsetzte Zuschauer dieses Auftritts gewesen... Aber der in die Brust Getroffene wehrte sich, wie ein Verzweifelter, als er sah, daß ihn der Arzt verbinden wollte und stieß die entsetzlichsten Flüche und Verwünschungen gegen ihn aus... Erst als er vollkommen erschöpft, gelang es dem Arzte mit unserm Beistand ihm einen Verband anzulegen... Und dann fuhren wir in die Stadt zurück...«

Da zerriß ein wilder Schmerzensschrei die Luft...

In einem letzten Fieberanfall hatte der Hauptmann die blutige Binde von seiner Brust gerissen, sich im Bette aufgerichtet und seine Hände drohend gegen den Museendirector ausgestreckt...

Wolkowsky und der Diener falteten von Schauder unwillkürlich die Hände, während Marecampus die Arme über die Brust gekreuzt einen Schritt näher an das Bett des Sterbenden trat...

Der Tod trübte schon die Augen des Hauptmanns und verwirrte seine Sinne... Es war offenbar, er glaubte in Marecampus seinen Gegner Schilden zu erblicken...

»Fort, fort, du Hund,« schrie er mit noch viel heiserer Stimme als sonst, »was willst du hier... ah!« und ein höhnisch-grimmiger Zug malte sich in seinem erdfahlen Gesicht, »ah, du willst mich sterben sehen... sterben« und ein dumpfes Lachen, das aber sofort von blutigem Schaum erstickt wurde, der ihm vor den Mund trat und seinen Bart röthlich färbte, wurde hörbar, »sterben... vor dir... meine Seele... mag ewig verdammt sein... wenn... wenn... ich eher... sterbe... ehe ich... dich... und deinen... Spießgesellen... in die Hölle... geschickt... Ignaz... wo bleibst du...« und er richtete seine gläsernen Augen nach der Stelle, wo das Gerippe seines Kameraden stand, »komm, komm... hilf... mir die Schurken... ah! ah! es brennt... ah! Ihr... habt... mir... Feuer in... die... Brust... gegossen... fort, fort« und sein Haar sträubte sich, seine Augen öffneten sich weit wie vor Entsetzen, seine Hände fuhren graspend durch die Luft, »was starrt Ihr mich ... an ... Ignaz ... komm, komm ... die Marguerita ... würgt mich ... ah! sie ... winkt mit der ... Linken ... ihren ... Mann ... ihre ... Brüder ... ah! die Christinos ... sie fassen ... mich ... sie ... wollen ... sich ... rächen ... für ... die Hochzeitsfeier ... die ... wir ... ihnen ... Hülfe! ich brenne... sie halten mich... ah! seid verdammt...« Ein blutiger Schaum erstickte die letzten Worte... Er fiel zurück auf die Kissen, noch ein dumpfes Röcheln, ein Zucken – und starr und todt lag der alte Landsknecht...

Eine tiefe, unheimliche Stille lag über den Umstehenden... Mit finsterem Blicke betrachtete Marecampus diese düsteren, wilden, noch im Tode drohenden Züge des Hauptmanns, der mit einem Fluch auf den Lippen eingegangen war in das Land der Ruhe.

Endlich erhob der Museendirector das gesenkte Haupt.

»Sorgt für den Todten,« sprach er kurz und gemessen zu Wolkowsky und den Diener und verließ langsamen Schritts das Gemach. –



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