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Sechstes Kapitel.


Anknüpfungen und Erinnerungen.

Linda hatte an dem Ballfeste, welches ihr Vetter wenige Tage nach Weihnachten gab, anfänglich nicht Theil nehmen und auf ihren Zimmern bleiben wollen...

»Sie wissen, Cousin, daß ich an Ihren diplomatischen Fêten sehr wenig Geschmack finde...« sagte sie ihrem Vetter... »Diese langweiligen Gesichter, diese nichtigen, inhaltslosen Gespräche... Wenn diese Menschen nicht zufällig ein Wappen und einen Stammbaum aufzuzeigen hätten, wenn man sie in Bauernkittel oder Arbeiterblousen steckte, kein Mensch würde sich nach ihnen umsehen...«

»Bst, bst, kleine Jacobinerin,« lächelte ihr mit dem Finger drohend Herr von Olbers, »Sie raisonniren wie ein Conventsprediger von 1793... Aber ich glaube daran ist Ihre Lectüre schuld, liebe Cousine... Wie kann eine Dame von feinem Geschmack an Jacobinern wie Friedrich von Sallet, Kinkel, Freiligrath, Prutz, Gutzkow Gefallen finden... Warum wählen Sie nicht die Romane und Novellen unseres Freundes des Majors von Klosek, oder die des Herrn Hofrath Schlagfelder. Da bewegt man sich stets in guter Gesellschaft... Oh, es ist ein köstlicher Autor dieser Schlagfelder! Wie sinnig er über die Theebereitung zu beschreiben versteht, wie er die verschiedenen Cigarrendüfte schildert, ich versichere Ihnen, Cousine, ich rieche das Kraut der Havannah förmlich... und dann wie er die Freuden eines Garçondiners bei herabgelassenen Fenstervorhängen, mit dicken Teppichen auf den Dielen und hellem Feuer im polirten Kamin malt... Diese geistreichen Unterhaltungen, die er seine Barone, Majors, Rittmeister, Legationssecretärs und Grafen führen läßt, diese unnachahmliche Noblesse, die in Allem liegt, was sie thun, sprechen und dann die wohldressirten Bedienten und die feine Manier, mit der er das bürgerliche Pack lächerlich zu machen versteht, ach! er ist süperbe, süperbe... in's Feuer mit Ihren Jacobinern, lesen Sie Schlagfelder und Sie werden meine diplomatischen Fêten nicht mehr langweilig und die Legationssecretäre blasirt und inhaltslos... finden.« Der Geheimerath hatte das wieder mit jener Selbstironie in Ton und Geberde gesprochen, die ihm zur zweiten Natur geworden war...

Der Effect war ein sehr natürlicher.

Linda lachte herzlich über die seltsame Verteidigung der Leib-Lectüre ihres Vetters und als auch Mathilde ihre Bitte hinzu fügte, sie beim Empfang der Gäste zu unterstützen, versprach sie lächelnd:

»Es sei denn. Ich werde mich mit Euch gemeinschaftlich langweilen, aber wehe Ihnen, Vetter, wenn Ihr Schlagfelder gelogen hat...«

Es war eine zahlreiche Gesellschaft, die sich in den Salons des Geheimeraths von Olbers bewegte...

Viele Ordenssterne, bunte Bänder, goldne Kammerherrnschlüssel, rauschende Seidengewänder, um junge und alte Gestalten sich bauschend...

Man tanzte, man spielte und unterhielt sich oder erholte sich am Büffet...

Nur zwei der Eingeladenen fehlten noch.

Der Eine war der neue Director der königlichen Privat-Museen Dr. Joseph Marecampus, der Andere der Redacteur der Tribune, Hardungen... Daß Hardungen so spät kam, war dem Geheimerath nicht ganz unerwünscht...

Ein Mann ohne Titel, ohne officielle Stellung in der Bureaukratie und auch nicht jenen Kreisen angehörend, die sich – wir wissen nicht warum – »die Gesellschaft« nennen, war immerhin eine etwas auffällige Erscheinung in den Salons des Geheimeraths, selbst wenn dieser Mann der einflußreiche Redacteur der Tribune war... Wenn er jetzt kam, wo die Salons gefüllt, verschwand er unter der Menge und der Zweck, den Olbers mit der Einladung verband, war erreicht, ohne daß er sich zu sehr dabei compromittirt hätte.

Aber Marecampus Nicht-Erscheinen frappirte ihn. Zwar hatte er die Hoffnung noch nicht aufgegeben, allein er hätte es gern gesehen, wenn der Museen-Director, von dessen Einfluß auf den jungen König man sich viel in die Ohren flüsterte, beim Beginn der Fête zugegen gewesen wäre... Eine vertrauliche Annäherung wäre dadurch jedenfalls erleichtert worden...

Während der Geheimerath das Erscheinen des Directors mit einer sich von Minute zu Minute steigernden Ungeduld erwartete, sah seine junge Frau dem Augenblicke, wo dieser Mann ihre Schwelle überschreiten würde, mit einer Furcht, die an's Entsetzen streifte, entgegen...

Sie hatte nicht früher, als schon die ersten Gäste erschienen, von ihrem Manne erfahren, daß der Director sich auch unter den Eingeladenen befand.

»Wenn ich nicht irre, mein Kind,« hatte er ihr lächelnd zugeflüstert, »ist der neue Director der königlichen Museen ein Landsmann von dir. Du wirst dich gewiß freuen, ihn hier zu sehen. Aber ich bitte dich, erschrecke nicht, wenn er dir sein Compliment macht, wie neulich, als er uns seine Karte überschickte... Es ist übrigens eine ganz passable Persönlichkeit. Manche meinen sogar, er habe etwas Imponirendes. Mich freilich,« fuhr er mit seinem ironischen Lächeln fort, »erinnert er mit seinen gemessenen, feierlichen Bewegungen und seiner etwas metaphysischen Ausdrucksweise an die alten persischen Magier. Wahrlich, so denke ich mir die Kerls, die dem alten Astyages mit ihrer Prophezeihung so in Harnisch jagten...«

Er nahm ein paar Körner Spaniol aus seiner Brillantdose, schnippte sie in die Nase und flüsterte mit feinem Lächeln:

»Indessen würdest du mir einen Gefallen thun, wenn du ein klein wenig mit ihm kokettirst – so gescheut diese gelehrten Pedanten im Uebrigen auch sind, so leicht lassen sie sich doch von ein paar schönen Augen blenden...«

Bei den ersten Worten ihres Mannes hatte Mathilde diesen mit einem entsetzten Blicke angestarrt und wenn der Geheimerath nicht die häufige Angewohnheit gehabt hätte, während er sprach den Deckel seiner Tabatière mit einem diplomatischen Lächeln zu betrachten, so hätte er die Blässe, wie das Zittern seiner Frau bei den ersten Worten, die er ihr zuflüsterte, bemerken müssen.

Aber Herr von Olbers war viel zu sehr mit seinen Combinationen und Poliren seiner Dose beschäftigt. Er bemerkte weder die tiefe Blässe, noch die glühende Röthe, die dieser folgte, als er seiner Gattin die seltsame Verhaltungsregel in Betreff des Museen-Directors gab...

Einen Moment – aber nur einen Moment lang erwachte wieder ein die junge Frau in ihren innersten Lebenstiefen packender Argwohn in ihrem Gemüthe. Aber so viel Entsetzliches für sie auch in dem Gedanken lag, daß ihr Mann Alles wisse, sie hatte selbst die Bestätigung ihres Argwohns jener qualvollen Ungewißheit vorgezogen, in der sie sich jetzt befand...

Im ersten Falle hätte eine einzige peinvolle Scene Alles entschieden, auf diese oder jene Weise, während sie jetzt eine Reihe der qualvollsten Situationen erwartete...

Linda, welche die Blässe, die nervöse Unruhe ihrer Cousine bemerkte, frug sie flüsternd:

»Bist du krank, Mathilde – du siehst sehr blaß und angegriffen aus...«

»In der That... ich fühle mich etwas unwohl... Die Wärme, der Duft dieser verschiedenen Parfüms greift meine Nerven an; doch es wird vorübergehen, liebe Linda.«

»Wärme und Parfüms,« lächelte Linda, »daran gewöhnt man sich. Aber diese faden Schmeicheleien, mit denen man verfolgt wird, diese mit der wichtigsten Miene gehaltenen Gespräche über die Eintagsfliegen unter den Begebenheiten... das martert, das greift die Nerven an, wie die ätzendste Säure das Metall...«

»Man beobachtet uns,« flüsterte ihr die junge Frau zu, »dort die Gräfin von B... richtet ihre Lorgnette hierher... Neue Gäste... ich bitte dich, liebe Linda, hilf mir die Honneurs machen...«

In den Vorzimmern schlug es eben 10 Uhr, als Marecampus der Museendirector, und der Redacteur Hardungen eintraten. Der Letztere, welcher die Absicht des Geheimerathes bei seiner Einladung sofort errieth, wie aus der Andeutung, die er gegen Selma Schütz gab, hervorgeht, war noch wenige Stunden vorher von einem Zweifel befallen worden, ob er zu der Fête gehen solle oder nicht...

»Geh',« hatte ihm der Doctor Schilden, der ihn am Abend besuchte, gerathen, »du wirst wenigstens deine Neigung zur Satire befriedigen können, man muß diese sogenannte Gesellschaft in der Nähe betrachten – um sich wundern zu können, wie es sonst ziemlich verständige Menschen giebt, die Gewicht darauf legen, zu ihr gerechnet zu werden...«

»Hat der Mann Familie?... Kennst du ihn näher?«..

Der Arzt zuckte lächelnd die Achseln...

»Von einem Armenarzt zu verlangen, daß er im Geheimraths-Viertel orientirt sein soll... ich kenne von dem Manne nicht mehr als den Namen. Wer kann auch in einer Stadt von zweimalhunderttausend Einwohnern jeden Einzelnen kennen, zumal, wenn man so ein Neuling von Bewohner ist...«

»Entschuldige,« lächelte Hardungen, »ich vergaß, daß du dich vier Jahre unter wilden, fremden Völkerschaften herumgetrieben und kaum erst ein Jahr hier hausest...«

»Du gehst also,« sagte der Arzt zu seinem Hute greifend, »vergiß nicht, uns morgen zu besuchen; aber mache dich auf eine Ueberraschung gefaßt. Du wirst unsern Menschenhasser, unsern Timon-Wenzel in eine Affenmutter verwandelt finden... Natürlich blos um aus seinen Findling einen gelehrigen Jünger zu erziehen, der in seine Fußtapfen tritt. Im Uebrigen eine prächtige Natur, ebenso wie der kleine Bube, den er als jungen Diogenes in einem Fasse fand.«

Der Director der Museen hatte eine Vorlesung bei dem Könige abgehalten...

Der Monarch, unvermählt und auch ohne einen andern ihm nahestehenden Familienkreis, liebte es, Abends ohne jedes Ceremoniell einen Kreis von Gelehrten und Schriftstellern und Künstlern um sich zu haben... Seine Majestät zeigte sich in diesen Stunden als Mensch. Man las vor, zeigte Entwürfe und Zeichnungen, erzählte interessante Reiseabenteuer, rauchte gute Cigarren, und trank noch bessern Ananas-Punsch dazu. Die Kenntnisse Seiner Majestät waren zwar sehr fragmentarischer Natur, allein die Mitglieder jenes Kreises wußten diese Fragmente immer in's beste Licht zu stellen. Besonders zeichnete sich in dieser Kunst, das allerhöchste wissenschaftliche Stückwerk brilliren zu lassen, der Museendirector Marecampus aus, eine Eigenschaft, die dem hochstrebenden Manne bei dem Ehrgeiz des Königs, gern als Gelehrter zu glänzen, sehr zu statten kam.

Heute hatte man über alt-ägyptische Baukunst gelesen und gesprochen, war auf die Mysterien der Isispriester und die eleusinischen Geheimnisse gekommen und Seine Majestät hatte Gelegenheit gefunden, einige geistreiche Bemerkungen darüber in's Gespräch einzustreuen.

Er wußte es dem Museendirector sehr Dank, daß sich dieser erst gestern mit ihm darüber eingehend unterhalten und heute dasselbe Thema auf geschickte Weise in dem Abendzirkel angeschlagen hatte...

Auch blieb die huldreiche Weise nicht unvermerkt, mit welcher Seine Majestät den Director verabschiedete.

»Geben Sie Acht, von Koppelsdorf,« flüsterte der Hofrath Schlagfelder, ein Novellist von angenehmem Erzählungstalent, dessen Lob der Geheimerath von Olbers gegen seine Cousine so laut gepriesen, »geben Sie Acht – an dem Fracke des Marecampus sehe ich den gelben Salamander dritter Klasse hängen, ehe die Trauben reif werden – haben Sie nicht das gnädige Lächeln Seiner Majestät beim Abschied bemerkt?«

Professor von Koppelsdorf, ein naturforschender Schöngeist, welcher die Chemie und Physik mehr am Theetische vornehmer Damen, als in den Hörsälen lehrte, strich sich mit einem ironischen Lächeln seinen langen, blonden Schnurrbart.

»Der grüne Salamander wird sich allerdings auf der Brust des Museendirectors befinden – aber im Grunde genommen, lieber Schlagfelder, würde es vielmehr Farben-Sinn der Majestät verrathen, wenn sie Ihnen den gelben Salamander geben würde. Neben dem Kameelorden mit Granatenblüthe, den Sie voriges Jahr von dem italienischen Herzog, welchen Sie auf seinen orientalischen Reisen begleitet, erhielten, würde der gelbe Salamander...«

Der dicke Literat und Hofrath ließ ihn nicht vollenden.

»Tröpfeln Sie keine Salzsäure auf Ihre Bemerkungen, lieber Koppelsdorf,« lachte Schlagfelder, »oder ich erzähle Ihnen eine Geschichte von einem gewissen Professor der Chemie, welcher, um Mitglied des Ordenscapitels vom Maulbeerbaum zu werden, den Mops einer sehr einflußreichen und hochstehenden, dabei aber die barocksten Einfälle habenden Dame rosenroth und himmelblau färbte...«

»Wollen Sie schweigen, boshafter Verläumder,« raunte der Professor der Chemie dem Hofrathe zu, »der Museendirector ist dicht hinter uns.«

Marecampus hatte das Gespräch der Hauptsache nach gehört.

Er ließ sich indessen dies nicht merken. Mit einem feinen Lächeln grüßte er die Beiden, die den Gruß verbindlichst erwiderten... Sie sahen dabei den leisen, verächtlichen Zug um die Mundwinkel nicht, noch hörten sie die Worte, die er vor sich hinflüsterte: »Bescheidene Seelen, die mit einem bunten Bändchen zufrieden sind und sich willig daran führen lassen, wie ein Hund an der Fangleine...«

Mit dem Ausdruck stolzen Selbstgefühls, dessen Ursprung sowohl auf eine gewisse Selbstschätzung als Ueberhebung zurückzuführen, trat der Museendirector dem Geheimerath entgegen, der um den einflußreichen Mann so beschäftigt war, daß er Hardungen ganz übersah.

Der Redacteur, dem Marecampus persönlich gänzlich unbekannt war, warf im Vorbeigehen einen flüchtigen Blick auf den Museendirector.

»Eine eigenthümliche Erscheinung,« dachte er bei sich, »so könnte ich mir etwa einen modernen Ignaz Loyola, vielleicht auch einen nordischen Muhamed oder deutschen Cagliostro denken,« setzte er für sich lächelnd hinzu.

Er ging durch den Ballsaal in die anstoßenden Spiel- und Büffetzimmer und dann wieder zurück in den Salon, wo er sich die Physiognomien der Gäste betrachtete...

Wie er so sein Auge durch den Saal schweifen ließ, sah er, wie der Geheimerath mit jenem ihm Unbekannten auf zwei Damen zuschritt.

Es war die Geheimeräthin und Linda.

Als die junge Frau jenen Mann, dessen Ankunft sie seit einigen Stunden mit einem Gefühl tiefen Entsetzens erwartete, über ihre Schwellen schreiten sah, faßte sie mit hastiger, fast krampfiger Geberde Linda's Hand...

»Linda,« flüsterte sie in fliegender Hast, während eine erschreckende Blässe ihre Züge überflog, »ich empfinde einen Anfall von Herzkrampf... Dort kommt mein Mann... ich will ihn nicht erschrecken... aber ich bitte dich, bleibe so lange bei mir...«

Der Geheimerath, lächelnd, diplomatisch-plaudernd, den Liebenswürdigen spielend, war zu den beiden Damen des Hauses mit den Museendirector getreten...

Dieser, während seines Gesprächs mit Herrn von Olbers die Gruppen links und rechts musternd, blickte zu den Damen erst in demselben Moment auf, wo ihn der Geheimerath vorstellte.

»Herr Doctor Marecampus, Director der königlichen Museen... Meine Frau... Fräulein Linda von Olbers...«

Der Director blickte auf und – doch nein weder der Geheimerath, noch irgend ein anderer der fremden Gäste bemerkten den blitzschnellen Ausdruck des Schreckens, der Ueberraschung, welcher sich in dem Auge des Directors malte, als sein Blick die junge Frau traf, welche sich von einem tiefen Beben ergriffen, grüßend verbeugte – ihre letzten Kräfte zusammenraffend, um nicht einen Auftritt zu geben und ohnmächtig ihrer Cousine in die Arme zu fallen... Nur zwei Personen im ganzen weiten Saal waren es, welche das Erschrecken Marecampus bemerkt hatten: Linda und Hardungen, dessen scharfes Auge sich fest und unverwandt auf die Züge des ihm unbekannten Mannes gerichtet hatte...

»Es gereicht mir zur unendlichen Freude, gnädige Frau,« redete Marecampus mit sonorer Stimme und im Tone ruhiger Unbefangenheit die mühsam nach Fassung ringende junge Frau an, »in Ihnen, wie mir Ihr Herr Gemahl soeben mittheilte, eine Landsmännin begrüßen zu dürfen... Sie sind gleich mir an den schönen Ufern des Rheins geboren und die Luft der Heimath ist so süß, daß uns selbst die Erinnerung daran berauscht. Haben Sie schon lange unsern schönen Strom verlassen...?«

Die Sinne der jungen Frau verwirrten sich. Diese Unbefangenheit, dieses Fremdthun war ihr fast noch furchtbarer als es eine Erkennungsscene hätte sein können... Ein Schauder vor der Verstellungsgabe, vor der Beherrschungskraft dieses Mannes faßte sie und sie fühlte wieder jene dämonische Macht, die diesem Manne inwohnte, Gewalt über sie gewinnen – trotz des Entsetzens, den er ihr einflößte...

»Vier Jahre ist es...« hauchte sie endlich mühsam, als der Museendirector mit derselben Unbefangenheit seine Frage noch einmal wiederholte...

»Und sind Sie, mein gnädiges Fräulein, auch an den schönen weinumrankten Ufern jenes Stromes heimisch, auf dessen Felsen die schöne Zauberin Loreley sitzt und mit ihrem Sange die Schiffer und Fährleute hinab in die Tiefen zieht?«

Er richtete dabei sein großes, dunkeles Auge mit einem fragenden, forschenden Ausdruck auf das Fräulein von Olbers.

Eine schwächer organisirte Frauennatur würde vielleicht unter diesem Blicke den ihrigen gesenkt haben, aber Linda erwiderte ihn fest, sogar mit einem gewissen herausfordernden Ausdrucke...

»Sie irren sich, mein Herr,« antwortete sie in einem kühlen Tone, aus dem ein feines Ohr etwas Gereiztes, beinahe an's Feindselige streifende heraus hören konnte..

»Ich bin eine Tochter dieses Landes..« setzte sie mit einem leichten ironischen Lächeln hinzu, »dieses prosaischen, kalten Landes, das zu nüchtern ist, um die poetische Rebe zu erzeugen und sich mit Kartoffeln und Korn begnügen muß.«

»Sie hat wahr gesprochen, meine gnädige Cousine,« lächelte der Geheimerath, »es ist ein nüchterner, sceptischer Boden, auf dem wir hier stehen. Ein Land der Freigeister und Raisonneurs. Sie können ein gutes Werk stiften, Herr Director, wenn Sie meine Cousine Jacobinerin von ihren revolutionären Ideen auf den rechten Pfad zurückbringen...«

Marecampus lächelte..

»Das ist wohl nur eine Übergangsperiode und der Zweifel ist das Fegefeuer geweihter Geister. Nur die gewöhnlichen Naturen berührt er nicht – er läßt ihnen ihre Schlacken. Aber zu jedem, der eine große Mission verrichtete, trat einmal dieser Versucher. Bei Ihnen, mein gnädiges Fräulein, sollte zwar eine Ausnahme stattfinden. Die Mission, die Ihnen zu Theil geworden, ist zu glänzend in Ihrer ganzen Erscheinung ausgedrückt, um auch nur zum geringsten – Zweifel Berechtigung zu geben...«

»Man könnte Sie den liebenswürdigsten Schmeichler nennen,« fiel Herr von Olbers ein, »wenn das, was Sie eben in Bezug meiner theuren Cousine sagten, nicht die vollkommenste Wahrheit wäre...«

»Und darf ich so unbescheiden sein,« unterbrach ihn Linda mit jener ironischen Färbung im Ton, welche ihre Gespräche mit ihrem Vetter meistens trugen, »nach meiner Mission zu fragen?«

»Zu herrschen im Reiche des Schönen,« antwortete der Museendirector mit einer Verbeugung, welche Achtung und Galanterie zugleich ausdrückte...

Eine leichte Röthe färbte einen kurzen Moment ihre Stirne.

»Und du wolltest mir immer abstreiten,« lächelte sie, sich zu der jungen Frau wendend, welche in qualvoller Pein diesem kurzen Zwiegespräche zugehört, »daß wir Frauen zum Herrschen geboren sind...«

Zu der Gruppe tretende Gäste unterbrachen eine Unterhaltung, welche Marecampus gern noch fortgesetzt...

Seine Blicke folgten den beiden Freundinnen, die sich bald von einer Schaar junger Männer umringt sahen und ein leiser Mißmuth stieg in seinem Gesicht auf, als er sah, wie Linda von Olbers das Engagement eines jungen Mannes zu einem eben beginnenden Contretanz annahm...

Er wendete sich zu einem Herrn in seiner Nähe...

»Kennen Sie vielleicht den jungen Mann, welcher eben jetzt mit Fräulein von Olbers tanzt?«

Der Angeredete kniff seine Lorgnette zwischen die Augen, starrte eine Weile auf das sich lebhaft unterhaltende Paar hin und zuckte dann die Achseln.

»Bedauere, vollkommen unbekannt... exotisches Gewächs, wie es scheint... nicht hier heimisch. Doch wenn es Sie interessirt, Herr Victor,« und er wendete sich zu Einem eben Vorübergehenden, welcher jetzt erst in den Salon getreten war. Der Angeredete, ein junger Mann mit langem bis auf den Kragen niederfallenden, hinter die Ohren zurückgestrichenem Haar, nachlässig umgeschlungener Cravatte und etwas exaltirtem Wesen in seiner ganzen Erscheinung blieb stehen...

»Ah, du bist es Alfred,« redete er den mit der Lorgnette an, »ich habe dich lange nicht gesehen – hält dich vielleicht eine Armida in ihrem Zaubernetz gefangen...«

»Laß mich mit deiner mittelalterlichen Mythologie in Ruhe und sage mir: kennst du den Mann, welcher mit Fräulein von Olbers tanzt? Er scheint mir etwas in deine Species zu rangiren, lieber Wolkowsky, unübertrefflichster aller Geigenkünstler...«

Der Virtuos, welchen Herr von Olbers eingeladen, weil es zum Ton gehörte, einige Virtuosen-Größen in seinem Salon zu haben, um sie seinen Gästen zeigen zu können, gewissermaßen als Curiositäten, wie man etwa eine Giraffe, ein Känguru zeigt, warf einen Blick nach der angedeuteten Richtung... Ein leichtes Erstaunen malte sich in seinem Gesicht.

»Kennst du den Redacteur der Tribune, den Rechtsanwalt Hardungen nicht? Er ist's, bei Paganini's Bogen...«

Der Andere warf einen lächelnden Blick auf den Virtuosen.

»Schwörst du noch immer darauf?.. Nun, sei nur ruhig, es ist wenigstens eine Originalität...« Sich dann zu dem Museendirector wendend, der einige Schritte von den Beiden abwärts stand, sagte er:

»Herr Hardungen, Rechtsanwalt, jetzt Redacteur der Tribune...«

Der Museendirector lächelte verbindlich.

»Verzeihen Sie, daß ich Sie mit meiner Neugier incommodirte!«

Der Andere verbeugte sich und ging mit dem Geigenkünstler weiter...

»Hardungen,« murmelte Marecampus, indem er sinnend vor sich niedersah...

»Der Mann ist mir nicht fremd... und doch entsinne ich mich nicht...« Da zuckte eine Erinnerung durch seine Seele.

»Redacteur der Tribune... jenes Blatt, in welchem ich neulich den Artikel gegen meinen Aufsatz im »Glaubenswächter« las... richtig, Hardungen war der Name... Ah, du scheinst meine Wege zu kreuzen... Vielleicht ohne daß du es willst..«

Da sah er die Frau von Olbers sich gegenüber, umgeben von einigen Damen, mit denen sie sich angelegentlich zu unterhalten schien.

Aber es entging ihm nicht, wie ihre Blicke, so oft sie sich unbeobachtet glaubte, herüber zu ihm flogen, scheu voll innerer Angst und bebend zurückfliehend, wenn sein Auge dem ihrigen begegnete...

»Sie hier zu finden.., wie hätte ich das ahnen können.... Aber es muß zu einem Abschluß kommen mit der Vergangenheit und heute noch.« Und mit dem Ausdruck eines Mannes, der einen festen Entschluß gefaßt hat und gesonnen ist ihn durchzuführen, koste es, was es wolle, mischte er sich unter die Gruppen der Gäste...

Der Contretanz war zu Ende.

Hardungen führte seine Dame nach ihrem Tabouret am oberen Ende des Salons...

Er hatte Herrn von Olbers, der sich, wie er sagte, sehr glücklich schätzte, den Redacteur der Tribune in seinem Hause zu sehen, gebeten, ihm Fräulein von Olbers vorzustellen. Zugleich bat er sie um den nächsten Contre.

Linda, welche sich, als der Geheimerath ihr Hardungen's, Namen nannte, sofort jenes Theaterabends und der ironischen Bemerkungen ihres Vetters darüber erinnerte, nahm die Aufforderung mit einer gewissen Kälte an.

Hardungen bemerkte dies...

»Gnädiges Fräulein,« lächelte er und es klang wie ein leiser Spott durch seine Worte, »wenn Sie ermüdet sind oder es vorziehen sollten, nicht mit mir zu tanzen, so bitte ich Sie freundlichst, dies mir offen zu sagen... Nichts ist für mich peinigender, als meinen Gefühlen Zwang anzuthun. Ich bin zu gerecht, um Andern nicht dasselbe zuzugestehen... Sie sehen mich, gnädiges Fräulein, heute nun zwar zum ersten Male – meine Persönlichkeit ist Ihnen völlig fremd. Indessen es giebt Physiognomien, gegen die man im ersten Augenblicke einen entschiedenen Widerwillen hegt. Vielleicht habe ich das Unglück für Sie, mein Fräulein, eine solche Physiognomie zu besitzen. Empfinden Sie eine derartige Idiosynkrasie, so legen Sie Ihren Empfindungen durchaus keinen Zwang an...«

Eine solche Sprache hatte Linda noch nicht gehört; aber, wenn sie sich selbst gegenüber es gestehen sollte: so unumwunden und gegen die übliche Umgangsform diese Sprache auch war, sie mißfiel ihr nicht.

»Sie sind sehr offenherzig, mein Herr,« und sie maß dabei Hardungen mit einem ernsten Blick, »so offenherzig, daß man Gleiches mit Gleichem erwidern muß. Aber Sie irren sich, wenn Sie glauben, daß ich Sie heut zum ersten Male sehe. Ich war Zeuge einer Scene im Theater, wo Sie sich einer tödtlich beleidigten Frau annahmen. Ich kann es Ihnen gestehen: ich ergriff lebhaft Ihre Partei, als ich sah, wie Sie so muthig gegen die Angegriffene eintraten. Freilich,« fügte sie mit ironischem Tone bei, »war, wie ich später erfuhr, diese Theilnahme nicht so ganz uneigennütziger Natur...«

Jetzt war die Reihe des Erstaunens an Hardungen...

»Ich verstehe Sie nicht, gnädiges Fräulein... Im Uebrigen aber kann ich Ihnen versichern, daß mir die Dame völlig unbekannt war, daß ich für sie eintrat, weil mich jede Brutalität der Gewalt empört...«

Diese Versichrung war in so glaubwürdigem Tone gegeben, daß Linda an der Erzählung ihres Vetters zu zweifeln anfing.

Aber ein gewisses Gefühl, über dessen Grund sie sich vielleicht selbst nicht ganz klar war, trieb sie doch an, der Sache noch mehr nachzuforschen... noch war sie von der Aufrichtigkeit dieser Betheuerung nicht völlig überzeugt...

»Wirklich? War das der einzige Beweggrund?« Und als sie Hardungen eine lebhafte Geberde machen sah, fuhr sie rasch fort: »Sie müssen schon meine Zweifel entschuldigen.. Unsere Zeit ist so nüchtern-berechnend, daß es schwer wird, an solche edle Uneigennützigkeit zu glauben... Und glaubt Jemand in der That daran?...«

»Aber ich versichere Ihnen, mein Fräulein, Sie werden immer rätselhafter...«

Ein anderes Mädchen würde vielleicht das Gespräch hier abgebrochen haben, wenn es die Unterhaltung überhaupt auf ein so bedenkliches Thema geleitet...

Allein Linda gehörte nicht zu jenen Furchtsamen ihres Geschlechts..

»Und die Lösung ist so einfach,« lächelte sie mit jenem feinen spöttischen Lächeln um den schönen Mund, »Sie lasen im Voraus in den Augen der schönen Komödiantin den glühenden Dank und Ihre Erhebung zum Paladin, welcher für die Farbe der Dame seines Herzens streitet...«

Hardungen blickte betroffen auf... Diese, im Munde einer Dame jedenfalls gewagten Worte, warfen ein helles Streiflicht in sein Inneres und berührten da eine Partie, über welche er sich selbst noch sehr im Unklaren befand.

Was war es für ein Gefühl, das er für Selma Schütz empfand?.. War es Freundschaft, war es Liebe? War es der Zauber, den jede schöne Schauspielerin auf die meisten Männer, die sich ihr nähern, ausübt?

Linda schien eine Antwort zu erwarten.

Er sah es an ihren forschend auf ihn ruhenden Blicken...

Er schüttelte verneinend das Haupt.

»Vielleicht irren Sie sich doch, gnädiges Fräulein... Wenn auch die Augen meiner,« er hielt inne, nach dem rechten Ausdruck suchend, »meiner Freundin,« fuhr er nach einem augenblicklichen Besinnen fort, »sehr schön sind, so waren sie es doch nicht, welche mich jene Brutalität strafen ließen. Mich empörte die Feigheit und die Scheinheiligkeit dieser Menschen, die ihre eigene Schlechtigkeit dadurch zu verdecken suchten. Wäre die Frau, der ich meinen Schutz spendete, eine armselige Bettlerin gewesen, häßlich und zerlumpt, ich würde nicht anders gehandelt haben... Oder rechnet man mir es vielleicht zum Verbrechen an, daß die Beleidigte schön ist?..«

Linda erröthete unwillkürlich, sie wußte selbst nicht warum, aber sie war ärgerlich auf sich selbst, das Gespräch bis zu diesem Punkte geführt zu haben...

Was ging ihr überhaupt die ganze Geschichte, was die Schauspielerin, was der Redacteur Hardungen an?

Wer weiß, ob sie ihn überhaupt je wieder sah? Und doch fühlte sie gewissermaßen eine Genugthuung bei Hardungen's Worten...

Bestätigten diese doch ihre Behauptungen ihrem Vetter gegenüber, dessen Verdächtigungen dadurch in Nichts zerfielen...

Gern hätte sie freilich noch etwas über die Natur des jetzigen Verhältnisses zwischen Hardungen und jener Frau erfahren, allein eine solche Frage war diesem ihr noch so fremden Manne gegenüber zu gewagt.

Herzutretende junge Damen, Bekannte Linda's, trennten eine Unterredung, die von Beiden vielleicht ungern aufgegeben wurde, denn sowohl Linda, als Hardungen hatten das Gefühl eines gewissen Mißbehagens, eines Unbefriedigtseins, als sie von einander scheiden mußten...

Hardungen fühlte das Bedürfniß allein zu sein, ruhig nachzudenken und sich über Manches klar zu werden...

Er fand Ruhe und Einsamkeit in einem Gemach, am Ende der Zimmerreihe gelegen, das durch Blumen, Orangerie und grünes Laubgewinde zu einer Art Wintergarten umgeschaffen war. Eine Ampel, umrankt von Schlinggewächsen, welche von der Mitte der Zimmerdecke herabhing, ließ ein mattes Licht über die Blumen und Orangenbäumchen fallen und die dunkelgrünen seidnen Vorhänge, welche die Fensternischen verbargen, erschienen wie eine dichte grüne Laubwand, welche den Eingang in ein Waldgeheimniß wehrte...

Hardungen schlug den Vorhang auseinander und als er dahinter eine Epheulaube in die Nische hineingebaut erblickte, ließ er sich auf den Sessel in der Laube nieder, gedankenvoll vor sich hinblickend. Die Frage »liebst du Selma?« schwirrte ihm unaufhörlich durch den Sinn... Dazwischen drängte sich Linda's Bild. Er sah sie immer vor seinen Blicken vorübergaukeln die schlanke Gestalt mit den klugen, tapferen Augen und dem feinen, spöttischen Lächeln um den Mund. Und wie das reiche Haar sich auf dem schönen Nacken, auf der weichen, vollen Rundung wiegte, diese so vollen, dichten, glänzenden Flechten...

So träumte er in seinem abgeschlossenen, verborgenen Winkel, als er durch ein Geräusch aus seinen bunten Phantasien aufgescheucht wurde...

Er hörte das Rauschen eines seidnen Frauengewandes und eine zwar gedämpfte aber eindringlich sprechende Männerstimme.

Schon hob er den Arm, um den Vorhang, welcher ihn verbarg, zurückzuschlagen und aus seinem Versteck hervorzutreten, als er ein leises, unterdrücktes Schluchzen zu hören glaubte...

Er stutzte. Wer konnte in Mitten dieses heitern, glänzenden Festes, in Mitten dieser Menge schöner, reizender Frauen und Mädchen diese Töne des Schmerzes ausstoßen?

Die Gardine, welche Hardungen verbarg, schloß nicht so dicht, daß er nicht einen Blick in das matt leuchtete Gemach hätte werfen können... Eine leicht verzeihliche Neugierde ließ ihn zwischen den Vorhang hindurch lugen.

In demselben Moment wendete sich der Mann, dessen gedämpfte Stimme Hardungen beim Eintritt in's Zimmer vernommen, nach dem Vorhang, hinter welchem Hardungen stand. Vielleicht hatte er ein leichtes Geräusch gehört, denn sein Blick war mißtrauisch und unruhig. Regungslos blieb Hardungen mit angehaltenem Athem hinter dem Vorhange stehen...

»Schließen wir die Thür, damit uns Niemand überrascht,« sagte der Fremde zu seiner Begleiterin, welche das Gesicht mit den Händen verhüllt, in den seidnen Kissen des Divans saß, der zwischen Orangen, Oleandern und Fuchsien stand. Die Dame antwortete nur durch ein leises Schluchzen...

Der Mann, in welchem Hardungen den Fremden mit der Cagliostrophysiognomie, der mit ihm zugleich in den Vorsaal des Geheimeraths getreten, erkannte, setzte sich der Dame gegenüber, sie mit einem forschenden, fast lauernden Blicke betrachtend.

»Hören Sie mich an, Mathilde,« begann er, »denn es ist nothwendig, in unser Beider Interesse dringend nothwendig, daß wir uns verständigen, nachdem uns das Schicksal so unvermutheter Weise wieder zusammengeführt.« Er betonte das Wort »verständigen« durch Stimme und Geberde und schwieg dann, die Antwort der Dame erwartend.

Aber es vergingen fünf, zehn Minuten, ohne daß diese antwortete. Das Gesicht mit ihrem Taschentuche bedeckend saß sie, geistig wie körperlich zusammengebrochen, in dem Divan. Selbst ihr leises Schluchzen war verstummt. Sie schien nicht einmal mehr die Kraft zum Weinen zu haben.

Ihr Begleiter warf einen unruhigen Blick auf die stumme, regungslose, junge Frau an seiner Seite...

»Wir haben wenig Zeit, gnädige Frau,« hob er mit eindringlicher Geberde wieder an, »man wird bald Sie und mich vermissen... Hören Sie mich also an... Unser beiderseitiges Interesse fordert es, daß wir in der von uns heute Abend gespielten Rolle beharren.. Wir haben uns früher nie gekannt.. nie! vergessen Sie das nicht, gnädige Frau, es könnten aus einer solchen Vergeßlichkeit verhängnißvolle Folgen entstehen... Unsere Bahnen sind getrennt, aber selbst wenn sie sich,« und er legte einen gewissen Nachdruck auf diese Worte, »wieder kreuzen sollten, darf ich wohl hoffen, gnädige Frau, daß Sie mir nicht feindlich gegenüber stehen... Ich darf vielleicht sogar darauf rechnen, daß Sie, soweit es Ihnen möglich ist und vorausgesetzt, daß Sie sich dadurch in keiner Weise compromittiren, mir diese Wege ebnen werden...«

Bei diesen Worten zuckte die junge Frau zusammen, ließ die Hände vom Gesicht gleiten und wendete sich mit einer raschen Bewegung nach dem Manne um...

Hardungen unterdrückte mit Anstrengung einen Ausruf der Ueberraschung. Die Dame war die junge Frau von Olbers...

Eine tiefe Blässe deckte ihre Züge, ihre Augen waren umflort, leise Schauer ließen ihre zarte Gestalt erbeben. Wie sie so da saß mit den blonden Locken, in ihrem weißen Atlaskleide, mit dem bleichen Antlitz und dem Blick voll des tiefsten Seelenschmerzes, fiel Hardungen die Erinnerung an eine büßende Magdalena, die er vor einiger Zeit in der Gemäldeausstellung gesehen, in die Seele...

Die Geheimeräthin rang nach Fassung, nach Muth, diesem Manne gegenüber, der so unheilvoll einst in ihre Schicksalskreise getreten war...

Mit bebender zuckender Lippe stammelte sie:

»Ich werde Alles thun... was Sie verlangen... ist es doch auch mein heißer... inbrünstiger Wunsch, zu vergessen... ich werde mich nie erinnern, Sie einst... gekannt zu haben,« setzte sie mit kaum hörbarer, tonloser Stimme hinzu...

Um die Lippen des Mannes an ihrer Seite spielte ein leises, fast mitleidiges Lächeln.

»Das betrifft blos den ersten Theil unserer Vereinbarung,« fuhr er dann fort, indem er seine dunkeln, ausdrucksvollen Augen auf die junge Frau heftete, die unter dem Einflusse dieses, bis in ihr Inneres dringenden Blicks das Haupt neigte und die Augen fast zitternd auf den Boden richtete, »vergessen Sie nicht auch den zweiten..«

»... Ich verstehe Sie nicht,« flüsterte die junge Frau...

»Wenn unsere Wege sich kreuzen sollten,« wiederholte er, »so werden Sie mir etwaige Hindernisse zu ebnen suchen...«

Die Geheimeräthin erbebte. Sie fühlte, wie dieser Mann wieder seine Schlingen um sie zu legen suchte, wie er sie wieder unter dem Banne jenes fast magischen Einflusses, den er einst auf sie ausübte, beugen wollte...

»Versprechen Sie mir es?« frug er nach einer kleinen Pause, da die junge Frau in ihrem traurigen Schweigen verharrte...

Mathilde hatte indessen einen Entschluß gefaßt... Sie wollte die Gewalt abschütteln, mit welcher jener Mann sie sich wieder unterthänig zu machen versuchte...

»Bevor ich Ihnen antworte,« sprach sie mit leiser, aber doch viel festerer Stimme als früher, »beantworten Sie mir eine Frage... eine Frage, die mich Ihnen folgen ließ, die mich in dieses Zimmer führte...«

Sie sprach die letzten Worte mit einem gewissen Nachdruck, um ihm keinen Zweifel darüber zu lassen, welcher Beweggrund sie veranlaßt, ihm diese Unterredung, um die er sie im Ballsaal in einem kurzen Wort gebeten zu gewähren...

Der Andere verstand auch sofort den geheimen Sinn dieser Betonung...

Diese junge Frau war ihm bis jetzt ebenso demüthig und unterwürfig in seinem Willen erschienen, wie damals, als er sie... doch sie ließ ihm nicht Zeit, diesen Gedanken nachzuhängen. Sie fuhr fort, aber so leise, so flüsternd, daß Hardungen, der hinter seiner Gardine wider Willen ein Belauscher dieses seltsamen Rendez-vous geworden war, die Worte nicht verstehen konnte... Er konnte auf ihren Inhalt nur aus der Antwort des Andern schließen..

»Ich erwartete diese Frage,« antwortete Jener mit einem ernsten, fast düsteren Ausdruck, von dem Hardungen aber nicht unterscheiden konnte, ob es nur Maske oder wirklicher Gefühlsausdruck war, »ich erwartete sie.. wenn ich auch wünschte, daß sie dieselbe lieber nicht gestellt... War mein Stillschweigen über diesen Gegenstand nicht auch eine Antwort?..«

Die Geheimeräthin blickte den Sprechenden mit athemloser Spannung an...

»Ich verstehe Sie nicht ganz,« stammelte sie dann, »Ihre Worte sind mir dunkel...«

»Warum verlangen Sie, daß ich das düstere Wort ausspreche: er ist todt

Die junge Frau stieß einen schwachen Aufschrei aus und sank, sich das Antlitz mit beiden Händen bedeckend, in die Kissen des Divans zurück.

Ihr Herz, welches so lange die Trennung von einem theuren Wesen, einem heißgeliebten Kinde, standhaft ertragen, erzitterte in seinen geheimsten Tiefen bei diesem düsteren, nach Moder und Grab duftendem Worte: er ist todt...

»Todt... todt,« murmelte sie mit von Thränen erstickter Stimme, »und ich habe nicht noch einmal seine holden, lieben Augen gesehen, seine süße, sanfte Stimme gehört, meine Hände um seinen Nacken schlingen, ihm den kalten Todesschweiß von der Stirne trocknen können...«

Ein tiefer, wilder Schmerz packte ihr ganzes Wesen und schlug seine scharfen Krallen in ihr wundes Herz.

»Und nicht einmal an seinem Grabe weinen, nicht beten kann ich an dem Hügel, unter welchem mein armes, armes Kind schläft...«

Eine Thränenfluth brach aus ihren Augen...

Hardungen fühlte sich tief bewegt im Innersten bei dem Schmerz dieser Frau, aus deren Vergangenheit ihm eine so düstere Episode vor die Augen trat...

Die Bruchstücke dieser seltsamen Unterredung waren ihm genügend, um ein Ganzes daraus zu bilden...

Der ihm unbekannte Mann verharrte, während sich das junge Weib ihrem Gefühlsausbruch, den sie nicht länger zu unterdrücken vermochte, hingab, in tiefem Schweigen... Seine Augen hafteten dabei fest und forschend auf ihr, als wollte er mit seinen Blicken die innersten Gedanken aus ihrer Seele hervorlocken... Allmählig ging der scharfe Schmerz, welcher das Herz dieser unglücklichen Mutter zerriß, in eine leise Wehmuth über... Sie hörte auf zu weinen und sah mit trübe umflorten Augen still vor sich hin... Plötzlich dämmerte ein seltsamer Argwohn in ihr auf... Ihre Wangen fingen an zu glühen und ihre Blicke richteten sich mißtrauisch auf den, dessen Kunde ihre Seele mit so tiefem Jammer erfüllte...

»Aber woher wissen Sie, daß mein Kind todt ist?« frug sie, ihr Stillschweigen hastig brechend, mit bebender Stimme und indem sich ein wildes, irres Feuer in ihren Augen entzündete, »wer sagte es Ihnen? Sahen Sie es sterben, standen Sie an seinem Lager... hörten Sie seinen letzten Seufzer... Was bürgt mir dafür, daß Sie mir die Wahrheit sagen?.. Sie wollen mich vielleicht nur quälen... peinigen. Wer weiß, zu welchem Zwecke Sie diese martervolle Lüge ersonnen haben... Nein, nein, ich glaube Ihnen nicht... Ich will mich selbst überzeugen... gleich jetzt... auf der Stelle... Ich werfe mich meinem Gatten zu Füßen... ich gestehe ihm Alles... er hat ein gutes Herz... er wird mir vergeben... er wird mir mein Kind suchen helfen... mein Kind... mein armes, verlassenes Kind...«

Die Pulse der jungen Frau klopften in fieberhafter Schnelligkeit, ihre Blicke irrten unstät und wild durch's Zimmer, ihr Athem flog heiß und stoßweise aus ihrer Brust... ihre Gedanken drohten sich zu verwirren... Sie wollte sich erheben, um nach der Thüre zu stürzen, sich ihrem Manne zu Füßen werfen – unbekümmert um den Aufruhr, den eine solche Scene in Gegenwart der Ballgäste verursacht hätte...

Aber der Mann, welcher ihr gegenüber stand, hatte keine ihrer Bewegungen außer Acht gelassen... Auch er war tief aufgeregt und auf seiner hohen Stirn standen Schweißperlen der Angst – aber dennoch hörte man kaum das Beben seiner Stimme, als er die junge, fast besinnungslose Frau mit rascher, fester Hand zurückhielt und ihr den Weg zur Flucht vertrat.

»Mathilde,« sprach er, indem seine Blicke die ihrigen suchten... »Sie rasen.... Sie wollen sich muthwillig in's Verderben stürzen... Warum zweifeln Sie an meinen Worten?.. Warum verlangen Sie, daß ich Ihnen das schmerzliche Dokument, den Todtenschein unseres,« er verbesserte sich rasch, »den Todtenschein Ihres Kindes, den ich hier in meiner Brieftasche habe, zeigen soll?«..

Mathilde zuckte zusammen. Er hatte die letzten Worte mit einer solchen Zuversicht gesprochen, daß alle ihre Zweifel schwinden mußten... Mit dem Zweifel schwand auch die fieberhafte Aufregung, diese Exaltation, in wildem Aufruhr Alles, das eigne Selbst mit Vernichtung bedrohend...

Ihre Arme sanken schlaff und matt herab, ihre ganze Gestalt brach zusammen und eine gänzliche Abspannung folgte dem leidenschaftlichen Erguß...

Der Unbekannte athmete hoch auf... Er fühlte sich von einer drohenden, unmittelbar an ihn getretenen Gefahr befreit, von einer Gefahr, welche vielleicht alle seine stolzen Zukunftsträume hätte vernichten können...

»Mathilde,« begann er wieder in ruhigem, festem Tone, »welche Thorheit wollten Sie begehen... mit eigener Hand die Fackel des Unheils in Ihr Haus schleudern – ohne dadurch jenes arme Kind wieder dem Leben zurückgeben zu können...«

»Wenn starb mein Kind?« hauchte die unglückliche Mutter hervor, das Gesicht tief in die Kissen des Divans drückend und diese mit ihren Thränen netzend.

»Es sind jetzt vielleicht sechs Wochen her, als ich einen Brief von seinen Pflegeeltern empfing, worin mir dieselben mittheilten, daß das Kind gefährlich erkrankt sei... Wenige Tage später empfing ich die Nachricht seines Todes...«

»Sie haben mir nie den Namen der Stadt genannt, in welcher die Leute wohnten, denen Sie dieses unglückliche, arme Kind anvertrauten – wollen Sie diese Grausamkeit auch jetzt nach seinem Tode fortsetzen... Ich bitte, ich beschwöre Sie bei Allem, was Ihnen heilig und theuer,« und sie streckte mit flehender Geberde die Hände nach ihm aus, »nennen Sie mir den Ort und die Menschen, die den letzten Seufzer meines armen, armen Kindes empfingen...«

Er zuckte leise mit den Achseln.

»Wozu von Neuem die Wunde aufreißen, wenn sie zu verharschen beginnt... Uebrigens sind diese Leute nicht mehr in Europa. Sie sind nach Amerika ausgewandert, wenige Wochen nach dem Tode des Kindes...«

Noch einmal dämmerte ein schwacher Funke in dem Herzen der jungen Frau auf...

»Und sind Sie ganz überzeugt, daß kein Irrthum, keine Täuschung vorliegt?«..

»Welcher Irrthum wäre in diesem Falle möglich... So brav die Leute waren, denen ich die Pflege des Kindes anvertraute, so waren sie doch zu mittellos, mich durch eine fingirte Todesnachricht zu täuschen und bei ihrer Auswanderung die Sorge für das Kind zu übernehmen. Und dann der Todtenschein, den sie mir übersendeten... Um Sie aber vollständig darüber zu beruhigen,« fügte er rasch hinzu, als fürchte er, daß das Mutterherz noch einen Zweifel hegte, »will ich Ihnen auch noch das sagen: ich war selbst nach dem Tode des Kindes an Ort und Stelle... Das Begräbniß war zwar schon vorüber, aber ich sprach mit dem Arzt, der den Kleinen während seiner Krankheit behandelt. Das Kind starb an dem Scharlachfieber und der Arzt erwähnte noch jenes seltsamen Maales, das der Knabe auf dem rechten Oberarm trug...«

»Eine Lilie mit drei Sternen,« unterbrach ihn die in athemloser Spannung lauschende arme, junge Frau, mit einem herzzerschneidenden Ausdruck des Schmerzes... »o, wie oft bedeckten meine Küsse und meine Thränen dieses Zeichen der Erinnerung an....«

»An eine Vergangenheit,« unterbrach sie der Andere, »die wir ruhen lassen wollen im Grabe der Vergessenheit. Wozu Phantome wieder heraufbeschwören, die für Sie, wie für mich, Mathilde, nur Schmerzen bringen?.. Nicht ich, das Schicksal, der Wille des Allmächtigen wollte es nicht, daß unsere Lebenssterne in gemeinschaftlicher Bahn wandelten... Aber weshalb sollten wir, die wir uns einst so nahe standen, jetzt, da uns sein, des Herrn Wille wieder zusammengeführt, feindselig gegenüber stehen?«...«

Mathilde saß, das Haupt in die Hände gestützt und mit mattem Auge hinaus in die dunkle Nacht blickend, da, ohne daß sie mehr als den Schall der Worte hörte, die der Andere ihr so eindringlich zuraunte...

Ihre Gedanken flogen, weit weg von diesem glänzenden Festgepränge, das in den Prunkgemächern um sie herum wogte, weit weg von dem Manne, der ihr – Verderber geworden war...

Sie flogen zu einem kleinen, einsamen Grabe, das keine Blume, kein Kranz von liebender Hand darauf gelegt, kein Kreuz, kein Gedenkstein schmückte, zu einem niedrigen grünen Rasenhügel, vielleicht dicht an der Mauer, da, wo man die Hospitalarmen und die Selbstmörder begräbt....


Armes, verlassenes Kind, das nie das sorgende Mutterauge über seine Lagerstätte sah, nie die sanfte Stimme der Mutter hörte, nie ihre Liebkosungen und Zärtlichkeiten empfing... O, das Herz hätte ihr brechen mögen bei diesem Gedanken an das kleine, in Einsamkeit und Verlassenheit gestorbene Wesen, dessen Platz an ihrem Herzen, an ihrem Busen – und das bezahlter Gleichgültigkeit zur Pflege und Obhut anvertraut worden!


Und von dem Grabhügel ihres Kindes flog ihre Seele auf den Fittigen der Erinnerung hin zu den sonnenbeglänzten, weinumrankten Ufern des Rheinstroms und sie sah sich wieder an seiner Seite, an der Seite des Mannes, dem sich ihr junges Herz mit der ganzen, schüchternen, keuschen Zärtlichkeit einer vom Hauche der Verderbniß unberührten Mädchenseele hingegeben... Sie schaukelten sich im Boote auf den grünen Wellen, der Mond warf sein silbernes Licht auf die Berge und Ruinen, die alten Thurmspitzen glitzerten, um den Loreley-Felsen wogten weiße Nebel und der Abendwind wehte süße Düfte, die er den blühenden Fluren geraubt, über den Strom... Und in den klaren Fluthen spiegelten sich die Sterne wieder, und sie blickte bald hinab in die von tausend goldenen Lichtern flimmernde Tiefe, bald in die treuen, ernsten Augen ihres Freundes. Da, es war am Loreley-Felsen, nicht weit von der Stelle, wo es den jungen, schönen Pfalzgrafen hinabzog, da neigte sie sich über den Bord des Nachens, er schwankte, stürzte um, und die Wellen schlugen über sie und ihren Verlobten zusammen... Eine Strömung riß ihn weit von ihr hinweg; er kämpfte mit Riesenkraft dagegen, aber immer weiter und weiter trugen ihn die Fluthen... Sie rief um Hülfe, sich an dem umgestürzten Nachen klammernd... Da, als schon die Sinne ihr schwanden, tauchte eine hohe, dunkle Gestalt aus den Nebeln auf, die um den Fuß des Loreley-Felsens wogten. Eine starke Hand faßte sie, zog sie in ein Boot und rettete sie dem Leben...

Aber dem Geliebten, dem eine günstige Strömung das Ufer erreichen ließ, war sie verloren...

Jene dunkle Gestalt, die so plötzlich aus den Nebeln am Loreley-Felsen auftauchte, wurde ihr Retter und – Verderber. Es war ein reichbegabter Mann, ein junger akademischer Lehrer an der nahen Universität. Diese Lebensrettung wurde die Veranlassung, ihn zum häufigen Gast in dem Schlosse ihrer Eltern zu machen...

Und nun begann dieser Mann mit der gewaltigen Rede, die ihm verliehen, mit der blühenden, dichterischen Sprache seinen Einfluß auszuüben auf ihre Sinne – nicht auf ihr Herz. Er führte sie in die Zaubergärten jener erotisch-religiösen Dichtungen, an denen der Orient und das Mittelalter so reich ist, erfüllte ihre Phantasie mit glühenden Bildern und Leidenschaften, und der Glanz seiner Worte verdunkelte allmählig mehr und mehr die Erinnerung an die edle Einfachheit ihres Verlobten, dem eine Reise weit weg zu dem Krankenlager der fernen Mutter, wenige Tage nach der verhängnißvollen Rheinfahrt, geführt hatte.

Und sie erlag dem Zauber, mit dem dieser Mann sie umstrickte... Sie vergaß die Schwüre, die sie mit dem Geliebten getauscht... Und dann, dann – o! es waren finstere, schwarze Wolken, die jetzt am Horizonte ihrer Erinnerung hinsegelten, geschah das Entsetzliche: er kam zurück von der Reise, von dem Begräbniß der Mutter, er suchte sie im Park, in der Laube, wo er ihren ersten Kuß empfangen, er trat hinter jener Statue der Diana hervor, die am Eingange stand, eine Lilie in der Hand, die er am Wege gepflückt, und fand sie, umstrickt vom Zauber, vom bösen Wahn, an der Brust jenes Mannes... Er fluchte ihr nicht, kein Wort, das ihr galt, kam über seine bleichen, bebenden Lippen... Aber er schleuderte ihm, dem Verderber, seine Handschuh in's Gesicht und nannte ihn einen Feigen, Elenden... Und dann der Blick, mit welchem er sie ansah... O, dieser Blick, er war ihr furchtbarer, als die heftigsten Verwünschungen...

Die Tage wilder Verzweiflung begannen mit diesem Augenblicke... Vielleicht war es eine Gunst des Himmels, daß in jener Zeit ihr Vater der längst vorangegangenen Mutter in's Grab folgte... Heimlich, zitternd vor der Furcht der Entdeckung, zerrissen von den heftigsten Seelenschmerzen um den verlornen, verrathenen Geliebten, gab sie einem Kinde das Dasein, welches ihr Verderber ihr wenige Tage nach seiner Geburt wieder raubte, um es der Pflege fremder Leute anzuvertrauen... Ein Jahr später bewarb sich Herr von Olbers um ihre Hand, die sie ihm gab, nicht aus Liebe oder sonstiger Neigung, sondern weil es ihre Verwandten wünschten und weil sie willen- und energielos Alles über sich ergehen ließ, wie fremder Einfluß ihr Geschick bestimmte...

Sie war reich und schön – Herr von Olbers schien im Besitz dieser schönen, reichen Gattin glücklich, so weit er es in seiner Art überhaupt sein konnte und Mathilde hatte Scham und Scheu vor dem Gatten bis heute, zurückgehalten, ihm ein Geständniß über jene traurige, verhängnißvolle Episode ihrer Vergangenheit abzulegen...

Da trat ihr wieder jener Mann entgegen. Der Verführer ihrer Jugend, der Verderber ihrer ersten, vielleicht einzigen, wahren Liebe...

Er kam mit der Kunde von dem Tode jenes so oft von ihr in einsamen Stunden heiß beweinten Kindes, das fern von dem liebenden Mutterauge in freudenloser Jugend, vielleicht unter harten Menschen gelebt... Und dieser Mann trat ihr entgegen keck und unbefangen, mit der Macht über sie ausgerüstet, die ihm jenes Geheimniß gab... Ein Wort von ihm, und ihr Gatte wußte Alles: Scheidung und Schande schwebten vor ihren Augen. Sie dachte kaum daran, daß dies Geheimniß wie eine zweischneidige Waffe war, die auch den verwundet, der sie ungeschickt führt, daß die Enthüllung auch ihn, ihren Verderber mit treffen mußte. Daß es ihm, der seinen fleckenlosen Ruf wie ein glänzendes Schild den Angriffen der Welt entgegenhielt, gleichfalls verhängnißvoll werden mußte – wenn es aufhörte, Geheimniß zu sein.

Aber Mathilde gehörte nicht zu den Muthigen, Entschlossenen ihres Geschlechts. Sie war ein schwaches Weib, dem Impuls des Augenblicks, den Einwirkungen des Gemüths zu sehr unterworfen, um Alles das mit ruhigem Blicke abzumessen. In dem Augenblicke auflodernder Exaltation wäre sie vielleicht fähig gewesen, alle Furcht und Rücksicht zu durchbrechen, den Einfluß, den dieser Mann wieder über sie zu gewinnen suchte, abzuschütteln – aber nachdem der Zustand der Abspannung eingetreten, behielt sie zu Nichts anderm Kraft, als zu weinen und zu träumen...

Eine lebhafte Bewegung des Mannes, der ihr gegenüber saß, schreckte sie aus ihren Träumen auf. Er hatte sich erhoben und warf einen Blick auf seine Uhr...

»Wir müssen uns trennen, gnädige Frau, eine längere Abwesenheit würde auffallen. Die Planeten dort,« und er deutete nach dem Salon, »vermissen ihre Sonne... Wir werden uns wiedersehen... Vielleicht recht bald, und vergessen Sie nicht, was ich Ihnen beim Eintritte sagte: Kreuze keiner feindlich des Anderen Bahnen.«

Die Geheimeräthin ging, ohne ihm eine Sylbe zu entgegnen; stumm, fast mechanisch folgte sie seinen Worten...

Der Andere folgte ihr mit einem nachdenklichen Blick, doch zufrieden mit dem Resultate dieser Begegnung.

Als Hardungen hörte, wie sich die Thüren hinter den Beiden geschlossen hatten, trat er vorsichtig aus seinem Versteck hervor...

Er war blaß und aufgeregt. Standen ihm diese beiden Personen, in deren vergangenes Leben er so plötzlich einen tiefen Einblick gethan, so fremd, wie irgend Jemand, so fühlte er sich doch lebhaft bewegt durch den Schmerz der jungen Frau, durch ihre Hilflosigkeit, die sie ganz der Discretion des Mannes überantwortete...

Wer aber war dieser Mann, gegen welchen sich in seinem Innern gleich beim ersten Anblick jene instinctive Abneigung geregt, die entsteht, ohne daß man einen positiven Grund dafür angeben kann?

Wer war er?

In dem Moment, wo er diese Frage an sich selbst richtete, dabei auf die Lehne desselben Sessels gestützt, auf dem der Unbekannte noch vor wenigen Minuten gesessen, öffnete sich die Thüre, welche nach dem Salon führte, und Jener tritt mit einer lebhaften Geberde, die Augen spähend auf den Fußboden gerichtet, herein. Erst wenige Schritte von Hardungen entfernt, erhebt er seine Blicke und bemerkt mit leichtem, jähem Schreck die Anwesenheit desselben...

Auch Hardungen stutzt, als er den Unbekannten so plötzlich vor sich sieht und eine Secunde lang ruhen die Augen dieser beiden Männer, die bis jetzt noch nie ein Wort mit einander gewechselt, mit dem feindseligen Ausdruck erbitterter Gegner auf einander...

Nur mischte sich dem Blicke des Andern ein Mißtrauen bei, das aus der Besorgniß entsprang, an Hardungen einen ungeahnten Zeugen seiner Unterredung mit Frau von Olbers gehabt zu haben...

Der Verlust eines kleinen Notizbuchs, das er auf den Divan zurückgelassen und dessen er sich nach Ueberwindung des ersten Schrecks mit rascher Geberde wieder bemächtigte, hatte ihn noch einmal in das Zimmer zurückgeführt, wo er wieder diesen Mann treffen mußte, den er seit heute Abend als seinen Gegner betrachtete, mit welchem es einen Kampf auf Tod und Leben galt...

Aber kein Wort, keine Geberde verrieth den Haß, den diese beiden Männer, die sich jetzt zum ersten Male Auge in Auge gegenüber standen, gegenseitig empfanden.... Ohne eine Begrüßung, ohne ein Wort zu wechseln, verließen Beide das Gemach...

Aber Hardungen ließ es keine Ruhe. Er mußte wissen, wer jener Mann war.

Der Zufall führte ihn den Geigenspieler Herrn von Wolkowsky in den Weg.

»Ein Wort, Herr von Wolkowsky... Kennen Sie jenen Mann dort mit den dunklem, düsterm Blick, der stolzen Haltung?«..

Wolkowsky lächelte.

»Sie scheinen ein eigenthümliches Interesse für einander zu haben. Vielleicht vor einer Stunde, eben als Sie mit Fräulein Linda von Olbers tanzten, frug mich jener Herr nach Ihrem Namen. Es ist der neue Director der königlichen Privatmuseen, der Doctor Marecampus,« setzte der Virtuos hinzu, »und nun adieu, man arrangirt eine Whistpartie... empfehlen Sie mich der göttlichen Selma...«

»Narr,« dachte Hardungen, dabei verächtlich die Achseln zuckend.

»Ah, der ist es also?« sprach er dann bei sich selbst, der neue Mignon der königlichen Gunst... »Nun läugne mir noch einer die Berechtigung des Instinkts,« lächelte er.

Es litt ihn nicht länger auf dem Feste.... Linda, mit welcher er gern noch ein paar aufklärende Worte gewechselt, sah er nicht mehr im Salon. Sie hatte sich wahrscheinlich schon auf ihr Zimmer zurückgezogen...

Er nahm seinen Hut und Mantel und eilte durch den Vorsaal die Treppe hinab...

Eine halbe Stunde später verließ auch der Museendirector die Wohnung des Geheimeraths...

Es war ein heller Winterabend und der Director schickte den Schlitten, der an der Auffahrt auf ihn wartete, leer zurück. Er wollte die kurze Strecke nach seiner Wohnung zu Fuße zurücklegen, um in der kalten, reinen Winterluft sein durch die Begegnung mit Mathilde in Wallung gekommenes Blut abzukühlen... Mit langsamem Schritt und mit vollen, tiefen Zügen die reine Luft einathmend, ging er die Straße hinab... Nur wenige Menschen begegneten ihm, es war schon spät gegen Mitternacht.. Der Mond goß sein klares, kaltes Licht herab und die Gaslaternen warfen ihre leuchtenden Reflexe auf den glitzernden und unter den Fußtritten knisternden Schnee... Marecampus hob den Kopf und sah sinnend empor zu den Giebeln der alten hochstöckigen Häuser, die mit vielen Ornamenten verziert, den großen, oft grotesken Styl des Mittelalters trugen.

Der volle Glanz der Mondstrahlen fiel auf sein ausdrucksvolles Gesicht und ließ jeden seiner Züge deutlich erkennen... Und da geschah es, daß ein Mann in einen Mantel gehüllt, eiligen Schritts um die Ecke bog und den in Gedanken Versunkenen, mit erhobenem Kopf dahin Wandelnden, fast anstieß... Malecampus und der Andere prallten zurück, sahen sich einen Augenblick mit jäher Ueberraschung an; dem Einen, wie dem Andern erschienen des Andern Gestalt wie ein aus der Erde hervorgestiegenes Phantom...

Wie angewurzelt standen sie... regungslos einander anstarrend. Da keuchte ein Dritter zur Straße herauf....

»Bei allen Krokodillen des Nils, Doctor,« rief er von Weitem, »was stehen Sie wie Lot's Weib, gleich einer Salzsäule da... Der Gang in die Apotheke dauerte mir eine Ewigkeit, bei allen Bestien der Urwälder, kommen Sie, sonst stirbt uns das Kind.« Und er faßte den Andern unterm Arm und zog ihn, der wie im Traume war, mit sich fort.. Marecampus starrte dem Paare nach.

»Ist die Hölle heute los?« murmelte er, »er war es... er ist hier – und sie – weiß sie es – oder weiß sie es nicht?–«



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