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Fünftes Kapitel.


Selma, die Schauspielerin.

Es war acht Tage später... Die Festfreuden, sowie die Neujahrsgratulationen vorüber und Alles wieder in dem früheren Gleise. Die Arbeiter bei der gewohnten Arbeit, die Müssiggänger im gewöhnlichen Müssiggange.

In einem Studirzimmer, dessen nicht gerade malerische Unordnung eine darin hausende Junggesellenexistenz verrieth, saß in einem hellfarbigen, von Tintenflecken hie und da marmorirten Schlafrocke ein Mann an seinem Schreibtische, zwischen Zeitungen, aufgeschnittenen Broschüren, wirr durcheinanderliegenden Stößen neuer noch nicht aufgeschnittener Werke, auf deren Umschlag in Rothschrift das Wort »Recensionsexemplar« zu lesen war und schrieb mit fliegender Eile den Schluß eines Leitartikels für die nächste Zeitungsnummer... Draußen schneite und stürmte es. Der Nordwind schüttelte von seinen Flügeln ganze Wolken von Schnee herab auf die Stadt und blies die Menschen so kalt und scharf mit seinem eisigen Hauche an, als wollte er sie in Eisgestalten verwandeln...

In der Stube des Zeitungsschreibers merkte man freilich nichts von der Kälte und dem Nordsturm, der durch die Straßen jagte... In dem eisernen Ofen prasselte ein tüchtiges Feuer und auf der einen Seite des Schreibtisches stand eine Kanne heißen Kaffee's, der feine aromatischen Düfte durch das Zimmer und geraden Wegs in die Nähe des kleinen wunderlichen Geschöpfs sendete, welches wenige Augenblicke nach Entfernung der alten Aufwärterin leise die Thür geöffnet hatte und in's Zimmer geschlüpft war...

Der Zeitungsredacteur, in seine Arbeit vertieft, hatte von dem Dasein des kleinen Wesens keine Ahnung und schrieb eifrig weiter. So mochten zwei bis drei Minuten vergangen sein, als das kleine Wesen an zu husten fing und mit feiner, frischer Kinderstimme anhob:

»Ein Kompliment an den Herrn Doctor und ob mein Vetter bald den Leitartikel bekommt?«

Der so plötzlich Angeredete drehte sich rasch um, betrachtete die kleine seltsame Erscheinung mit staunendem Blick und brach dann in ein lautes Lachen aus...

»Wie auch du, jugendlicher Eskimo, auch du weißt schon etwas von Leitartikeln?« rief der Redacteur, ein junger Mann von achtundzwanzig oder dreißig Jahren, mit lustigem Humor, »auch du stehst schon im Dienst der sechsten Großmacht und dienst ihr, wenn auch nur in der bescheidenen Stellung eines Laufburschen – aber wer bist du denn?«

Diese Frage an den kleinen Burschen, der mit vieler Unbefangenheit die Anrede des Zeitungsschreibers angehört, hatte ihre volle Berechtigung, ebenso, wie die Bezeichnung Eskimo, welche Hardungen, so hieß der Redacteur, dem Kleinen gegeben, eine sehr treffende war. Eine Mütze von Fischotter mit breitem Schirm und großen Ohrklappen verbarg Kopf und Gesicht so vollständig, daß nur die äußerste Spitze der Nase sichtbar war. Um den Hals war ein dicker, brauner Shwal von grober, aber desto wärmer haltender Wolle gewickelt, die Hände steckten in Fausthandschuhen von Seehundsfellen, welche bis zum Ellbogen reichten, der Leib in einem dicken, langhaarigen Kalmuckrock, welcher, bis zu den Knöcheln reichend, von der Bein- und Fußbekleidung nur schwarze, dicke Filzschuhe sehen ließ...

Hardungen stand auf und betrachtete mit einiger Verwunderung dieses kleine Menschenkind in dem Grönlandfahrerkostüm, welches auf den Leitartikel für seinen Vetter wartete...

»Wie heißt du also, mein Eskimo?« lachte er, »und wer ist dein Vetter?..«

»Ich heiße Hans... und mein Vetter ist der Herr Wenzel.«

In den Zügen des jungen Mannes zeigte sich eine leichte Ueberraschung...

»Ah,« rief er, indem er den Kleinen noch aufmerksamer betrachtete, »das ist der kleine Kasper Hauser, von dem mir mein Freund der Doctor Schilden erzählte... Die Weihnachtsbescheerung, welche unser braver Wenzel in einer leeren Tonne auf der Straße fand... sieh, sieh, mein junger Diogenes. Aber da müssen wir doch nähere Bekanntschaft mit einander machen...« Hans, welcher wußte, daß sein Vetter auf ihn wartete, trippelte unruhig hin und her...

»Ohne Sorge, Hans,« lächelte Hardungen, den Knaben zu sich auf den Schooß ziehend, »dein Vetter bekommt seinen Leitartikel noch zur rechten Zeit... aber wird es dir denn nicht zu warm in deiner Eskimo-Tracht,« und er nahm dem Kleinen dabei die Fischottermütze ab und streifte ihm die Handschuh ab...

Ein zweites, verwundertes Ach! entschlüpfte ihm.

Solch liebliches Kindergesicht mit den dunkelblauen Augen und dem weichen, blonden Haar hatte er nicht unter der Pelzkappe vermuthet.

»Du bist ja ein prächtiger Bursche,« und er betrachtete den Knaben wohlgefällig, »wie alt bist du denn, kleiner Hans?«

»Vier Jahre,« antwortete das Kind, während es seine Augen unverwandt auf den Seitentisch richtete, wo zwischen Papieren, Büchern und Kupferstichen die Kaffeekanne mit dem Semmelkörbchen stand... Hardungen, der dem Blicke des Knaben gefolgt war, holte das Kaffeeservice mit dem Backwerke.

»Bist hungerig, mein Kleiner, hast noch nicht gefrühstückt?..«

Aber der kleine Hans schüttelte lebhaft sein Lockenköpfchen...

»Vetter Wenzel hat mir heute schon viel Milch und viel Semmel gegeben... ich bin gar nicht hungerig... Aber willst du mir nicht das Bild da geben?«

Und der Kleine deutete auf einen Kupferstich, welcher neben der Kaffeekanne lag und eine jener berühmten Thiercarricaturen des genialen Malers Grandville war...

»Ah! daran erkenne ich den ächten Zögling meines Timons, meines Menschenfeindes. Da nimm das Fuchsgesicht im Pfaffenkittel und schenk' es deinem Vetter und da nimm das noch dazu und kaufe dir einen Pfefferkuchen und ein Steckenpferd...«

Aber Hans wies das Geldstück mit einer entschiedenen Geberde zurück.

»Nun du willst nicht?« frug Hardungen erstaunt.

»Ich bin doch kein Bettelmann...« meinte der Knabe, indem er den Zeitungsschreiber mit seinen klugen Augen anblickte... Und als Hardungen frappirt von der Antwort schwieg, fuhr der Kleine fort:

»Weißt du, der Vetter hat gesagt, nur die Bettelleute ließen sich Geld schenken...«

»Er hat Recht, dein Vetter Wenzel,« entgegnete Hardungen, die Hand bewegt auf des Knaben Haupt legend, »und nun gehe und bringe ihm den Leitartikel und grüße ihn von mir.« Und fort trippelte der Kleine nach der Buchdruckerei, welche ganz in der Nähe, am Ende der Straße, sich befand. Das Kind brachte hier den ganzen Tag zu. Es ging mit Wenzel früh von Hause fort und kehrte Abends mit demselben heim. In der Druckerei saß er in der Ecke auf einer Fußbank dicht neben dem Platze, wo Wenzel arbeitete und vertrieb sich mit einem Bilderbuch, das ihm Wenzel bescheert, die Zeit. – Aber bald genügte ihm das nicht. Da er rings um sich immer vom Arbeiten reden hörte, so wollte er auch arbeiten und sich in seiner Art nützlich machen, und als heute zufällig keiner der Laufburschen zur Hand, um das Manuscript für Wenzel vom Redacteur zu holen, denn Schneehuhn war noch immer krank und der Menschenfeind hatte noch immer nicht zu seinen naturgeschichtlichen Bestien zurückkehren können, hatte der kleine Hans nicht eher geruht, als bis ihm der Schriftsetzer den Willen gethan...

Daß das Bübchen dabei nicht erfror, dafür hatte Wenzel's Fürsorglichkeit im vollsten Maaße gesorgt... Seit diesem Tage ließ es sich der kleine Hans nicht mehr nehmen, jeden Morgen aus der Wohnung des Redacteurs die Manuscripte zu holen... Wenzel mußte sich in diesem Punkte dem Willen des sonst so gehorsamen Kindes fügen – ein Umstand, der, wie wir später sehen werden, einen verhängnißvollen Einfluß ausüben sollte...

Nach der Entfernung des Knaben kleidete sich Hardungen an, hüllte sich dicht in den Mantel und eilte lebhaften Schritts durch die Straßen...

Es war ein weiter Weg von seiner Wohnung bis zu dem schmalen, eleganten Hause, in einer der innern Vorstädte gelegen, an dessen Thüre er endlich stehen blieb. Ein lebhafter Zug an dem Glockenstrang und die Thür öffnete sich...

»Zu Hause?« frug er mit bezeichnender Geberde.

Die Dienerin bejahte!..

»Und allein?«

Das Mädchen flüsterte mit verlegener Miene einige kaum verständliche Worte. Hardungens Blick entging dieses Befangensein nicht, seine Stirn verdüsterte sich und ohne an die Zofe eine weitere Frage zu richten, eilte er durch das Vorgemach und durch einen kleinen Corridor nach dem Boudoir der Schauspielerin. Rasch und ohne anzuklopfen trat er in das Gemach...

Frau Selma Schütz, die einst in der Hauptstadt sowohl wegen ihres Spiels, als ihrer Erscheinung so gefeierte Künstlerin saß in der Ecke des Sopha's, Gutzkow's »Wally« in der Hand...

Es war eine Frau von dem Alter, in dem gewisse Weiber, besonders Künstlerinnen, am gefährlichsten für viele Männer sind: das heißt in den Jahren zwischen achtundzwanzig und dreißig... Dabei vereinigte sie in einem eigenthümlichen Gemisch die charakteristischen Merkmale der Blondinen und Brünetten... Sie hatte das üppige Haar einer Blondine, mit jenem glänzenden Goldschimmer überhaucht, der diese Art von Frauenköpfen im Sonnenschein wie mit einem gewissen Glorienschein umstrahlt, das dunkle Auge der Brünette und einen Teint von reiner, wenn auch etwas ermatteter Blässe...

Ihre Züge waren nicht regelmäßig, der Mund besonders hatte einen etwas kühnen Schnitt; keck und voll aufgeworfen... Um die Mundwinkel und um die Augen einen Zug von übermüthiger Laune und Begehrlichkeit...

Ihre Figur: Hals, Schultern, Busen waren von vollendeter Plastik; den Ausdruck ihrer Augen zu beschreiben, wäre ein bedenkliches Unternehmen; aus ihnen sprachen die verschiedenartigsten Empfindungen, welche in raschem Wechsel die leidenschaftliche Seele dieser Frau bewegten. Nur eine Eigenschaft ihrer Augen sei erwähnt: sie hatten Blicke, die wie Feuerflocken in die Seele fielen und einen Sturm leidenschaftlicher Gefühle wachriefen, Blicke wieder, die wie Eiszapfen in das warme Herz drangen, es wie vom tödtlichen Frost gepackt zusammenschauern ließen... Diese Augen hatten viel Unruhe in die Welt geschleudert, diese Blicke – sie sollten noch mehr erregen...

Eine sanfte Zärtlichkeit malte sich in ihren Augen, als sie Hardungen eintreten sah, sie erhob sich und eilte ihm mit lebhafter Geberde der Freude entgegen.

»Ah, das ist herrlich, daß du kommst, Bernhard, zwei lange, lange Tage habe ich dich nicht gesehen... Glaube es mir, mein Freund, ich habe mich recht, recht sehr nach dir gesehnt...«

Und sie zog ihn zum Sopha, setzte sich auf einen niedrigen Schemmel zu seinen Füßen und blickte ihn mit einem Ausdruck sanften Vorwurfs an, in dem zugleich die Gewißheit zärtlicher Verzeihung lag...

Sie hatte dabei ihren Kopf auf seine Kniee gestützt und seine Hand an ihren Mund gepreßt...

Hardungen duldete diese Liebkosungen ohne sie irgend wie, weder durch einen Blick, noch durch eine Geberde zu erwidern, die düstere Wolke, welche sich bei jenen halblautgeflüsterten Worten der Dienerin auf seiner Stirn gelagert, war noch immer nicht verschwunden...

Nach einem schnellen, scharfen Rundblick durch's Zimmer antwortete er:

»Du hast dich wenigstens nicht gelangweilt und darfst dich wohl auch während meiner Abwesenheit nicht über Einsamkeit beklagen... Aber was ist das für ein unangenehm stechender Geruch? Du klagst seit einiger Zeit über Brustleiden und in deinem Zimmer riecht es nach Tabak, wie in einer Studentenkneipe – und dazu nach jener abscheulichen Cubacigarre, welche der Hauptmann Klingen raucht... gewiß war er diesen Morgen bei dir?« Und er richtete bei dieser scharf und schnell gethanen Frage einen forschenden Blick auf die Schauspielerin...

Diese lachte laut auf, vielleicht um ihre Verlegenheit zu verbergen und Zeit zu einer Antwort zu gewinnen...

»Mein Gott, mit welchem Tone und welcher Miene du das aussprichst... man könnte denken, du wärest eifersüchtig auf diesen armen Hauptmann Klingen und den liebenswürdigen Victor von Wolkowsky...«

»Der Narr von Geigenspieler war also auch hier?«...

» Pour la grâce dieu, mit welchen Augen und welcher Stimme er das sagte... Aber soll ich denn, mein tapferer Ritter Bahard, wie eine Nonne oder ein Sultansweib leben und mich vor keinem andern Mannesantlitz als dem Deinigen zeigen?«..

»Spiele keine Komödie, Selma, du kannst bei dir empfangen, wen du willst, nur diese Beiden sehe ich nicht gern hier.«

»Und warum gerade sie?«..

»Weil der Eine, der Hauptmann,« unterbrach sie Hardungen mit starker Stimme, »ein Schuft und der Andere ein ausgemachter Narr ist, der sich, wenn man seiner Schwachheit und Eitelkeit schmeichelt, zu Allem gebrauchen läßt...«

Ueber das Gesicht der Schauspielerin zuckte ein blitzschnelles schlaues Lächeln, dem aber sofort wieder die unbefangenste Miene folgte.

»Du bist wohl etwas ungerecht in deinem Urtheil, Bernhard... Der Hauptmann hat zwar kein liebenswürdiges Aeußere, er mag auch eine wilde, stürmische Vergangenheit hinter sich haben, allein jetzt scheint er doch dem wüsten Landsknechtsleben entsagt zu haben... Du mußt gerecht sein, Bernhard... Von Jugend auf Soldat, Soldat von Handwerk, hat er in verschiedenen Armeen gedient und dabei mag wohl so Manches hängen geblieben sein, was dich verletzt... Aber soll ich mein Urtheil in kurzen Worten abgeben: ich halte ihn für einen alten, ehrlichen Haudegen, dem nur noch etwas von den Lagersitten und dem Bivouac anklebt.«

Hardungen lächelte spöttisch, recht beleidigend spöttisch und kräuselte sich dabei den Schnurrbart.

»Merkwürdiges Privilegium, welches diese alten Landsknechte haben... Alle Welt nennt sie ehrliche, derbe Haudegen, etwas rüde zwar, nach Tabak und Kornschnaps riechend, aber von offenem Charakter... Und so ein Kerl von der Art, wie dieser Hauptmann Klingen ist, der drei oder vier verschiedenen Potentaten gedient, verkauft sein Blut und seine Knochen zu jedem Dienst, den die brutale Gewalt begehrt... Dieser Mensch hat dem Don Carlos und dem Bombenkönig von Neapel gedient, dem Pascha von Aegypten und dem schuftigen Santa-Anna in Mexico und jetzt ist er hier und giebt Gastrollen, als ehrlicher, alter Haudegen, wie in einem Iffland'schen Stücke...«

»Du giebst also zu, daß es hauptsächlich politische Ansichten sind, welche dich gegen ihn einnehmen?..«

»Zum Theil – aber eine Hauptsache ist, daß dieser Klingen auch in seinem Privatleben verschiedene dunkle, sehr dunkle... Doch,« unterbrach er sich rasch, »solche Dinge darf man nicht zur Aufbewahrung auf Weiberzungen legen, genug, wenn ich dir sage, daß es ein mauvais sujet ist, vor dessen Umgang du dich hüten mußt und dem ich nicht wieder hier in diesem Hause begegnen mag... Du kennst mich, Selma,« fügte er in drohendem Tone hinzu... »es würde eine Scene geben, die dich vielleicht wieder zum zweiten Mal in's Exil bringen und aus den Mauern dieser Stadt auf immer verbannen würde...«

Hardungen mußte sich eine große Gewalt über dieses leidenschaftliche Weib zutrauen, daß er sicb ihr gegenüber eine solche Sprache erlaubte...

Hätte er indessen in dem Augenblicke, wo er ihr dies sagte, ihre Züge beobachtet, hätte er ihr schnelles Erbleichen und Erröthen und den funkelnden Zornblick gesehen, den sie auf ihn schoß, als er die Anspielung auf jene Duelle machte, welche Selma Schütz die Bühne und diese Stadt zu verlassen zwangen – er würde vielleicht ein beschwichtigendes, milderndes Wort beigefügt haben...

Aber er hatte nichts bemerkt und Selma war eine zu gute Schauspielerin und hatte eine erstaunliche Macht in der Beherrschung ihrer Züge... Ja, als Hardungen noch einmal seine Warnung wiederholend hinzusetzte:

»Weise ihn also ab, ein für alle Mal, Selma... Denn ich wiederhole es, begegne ich ihm noch einmal hier, so wird es einen Auftritt geben und die Schwelle dieses Hauses wird nach Blut riechen –« da bat sie in ängstlich besorgtem Tone: »Um des Himmels willen nur das nicht, Bernhard, bei meiner Liebe zu dir, nichts Gewaltthätiges... Kein Blut, kein Blut mehr; es ist schon genug geflossen.« Und sie schauerte zusammen und verhüllte sich das Gesicht mit den Händen. War es ein unwillkürliches Entsetzen, das sie packte – oder war es wieder Komödienspiel?..

Vielleicht beschäftigten Hardungen, der wohl wußte, wie Wahrheit und Komödienspiel so innig in der Natur dieses Weibes verschmolzen waren, daß sie selbst vielleicht nicht mehr wußte, wo das erstere aufhörte und das letztere begann, vielleicht beschäftigten ihn diese Gedanken, als er sie so forschend betrachtete...

Sie aber fuhr nach einer kurzen Pause in ängstlich flüsterndem Tone, indem sie sich dabei zärtlich an den jungen Mann schmiegte, fort:

»Du weißt vielleicht nicht, daß dieser Klingen, den du da mit so schwarzen Farben schilderst, einer der gefährlichsten Duellanten ist... Man spricht von drei oder vier Rencontres, die alle mit dem Tode seiner Gegner geendet haben sollen... Und hast du noch nie die seltsame, magische Gewalt bemerkt, welche zuweilen in seinem Blicke liegt?.. Dieser starre Blick mit der sich unheimlich erweiternden Pupille, der mich regungslos erstarren läßt, o Bernhard, ich bitte dich, ich beschwöre dich, vermeide ein Zusammentreffen mit diesem Manne, auf dessen Degenspitze das Leben von so vielen...«

Hardungen, dem vielleicht eine dunkle, unbestimmte Ahnung von der Absicht der Sprechenden durch die Seele ging, sah die schöne, ängstlich erregte Frau mit einem leisen, ironischen Lächeln an, das sie plötzlich verstummen machte.

»Aber, mein liebes Kind,« setzte er dann in heiterem, spöttischem Tone hinzu, »wenn du in der That solche Besorgnisse für mich hegst, warum machst du deiner Angst nicht mit einem Male ein Ende und verbietest dem Hauptmanne dein Haus?.. Doch wir wollen aufrichtig gegeneinander sein, Selma,« und sein Ton wurde wieder natürlich, fast warm, »dich kettet eine kleine Leidenschaft an diesen Menschen... Man hat mir erzählt, daß du am grünen Tische in Wiesbaden und Homburg eine der hitzigsten und leidenschaftlichsten Spielerinnen unter den pointirenden Damen gewesen sein sollst... Auch der Hauptmann, als alter Landsknecht, ist dieser Leidenschaft verfallen... Aber hüte dich vor ihm... Ich habe ihn einst, es war das erste Mal, wo ich mit ihm zusammentraf, spielen sehen, selbst gegen ihn gesetzt... Ich verlor an dem Tage Alles, was ich besaß, den letzten Thaler aus der Tasche... Es blieb mir kaum so viel übrig, um mir Pulver und Blei zu kaufen und eine Kugel durch den Schädel zu schießen... Ich wollte mich, als dieser Moment, wo ich Nichts, gar Nichts mehr besaß, eingetreten, vom Spieltische entfernen. Der Gedanke des Selbstmords stand in blutiger Schrift auf meiner bleichen mit Schweiß bedeckten Stirn zu lesen... Da fühlte ich, wie sich eine Hand auf meine Schultern legte, eine feste, ruhige Hand...«

»Ich wandte mich um. Ein mir fremdes Gesicht blickte in das meinige... Es war ein Mann mit ernsten, milden, fast schwermüthig, traurigblickenden Augen...«

»»Sie wollen Ihre Leidenschaft mit Ihrem Blute bezahlen,«« redete er mich an – »»war das, was Sie hier verloren, Ihr Alles, fesselt Sie Nichts, gar Nichts mehr an das Leben weder eine Pflicht, noch eine Liebe?««

»Diese Worte, mit einer tiefen, melancholisch klingenden Stimme gesprochen, fielen schwer in meine Seele...«

»Ich kam wieder zu mir selbst, drückte dem Fremden die Hand und von diesem Augenblicke an wußte ich, daß wir Freunde für's Leben waren...«

»Ah! der Doctor Schilden...« unterbrach ihn Selma, gefesselt von der Erzählung Hardungen's, mit erwartungsvollem, gespannten Blicke...

»Er war es,« fuhr Hardungen, in die Erinnerung an jenen Abend versenkt, fort, »der brave Schilden, diese reine, edle Seele, welcher ich es verdankte, daß ich nicht zum Selbstmörder wurde... Er führte mich in ein anderes Zimmer und theilte mir hier eine Beobachtung mit, die er während des Spiels gemacht...«

»»Stellen Sie sich dem Bankhalter dicht gegenüber, beobachten Sie genau die Bewegungen seiner Hände und Sie werden dieselbe Entdeckung machen...««

»Er hatte Recht, der Bankhalter schlug die Volte, er spielte falsch und dieser falsche Spieler, dessen Blick sich mit dem meinigen in demselben Momente kreuzte, wo ich seine Schurkerei entdeckt, war der Hauptmann Klingen...«

Ein seltsames Geräusch, wie ein unterdrückter Ausruf, der aus dem an das Boudoir stoßenden und von diesem nur durch einen schweren, dichten Vorhang getrennten Empfangssalon zu kommen schien, ließ sich hören... Die Schauspielerin erblaßte... Hardungen erhob sich...

»Was war das?« frug er, sich umsehend und einige Schritte gegen den Vorhang thuend...

Aber Selma war ihm schon zuvorgekommen.

»Es ist Nichts, gar Nichts,« sprach sie so gleichgiltig als möglich und indem sie den Vorhang lüftete: »bleibe nur, Bernhard... ich sehe schon den Störenfried, es ist mein kleiner Azor...« Und sie ließ den Vorhang hinter sich fallen und schlüpfte in den Salon... Einen Augenblick später kehrte fit mit ihrem Wachtelhündchen auf dem Arme zurück...

Sie setzte sich wieder zu Bernhard's Füßen auf den Schemel und das kleine Thier streichelnd und liebkosend, bat sie:

»Erzähle weiter, mein Freund.«

»Die Erzählung ist zu Ende. Schilden zog mich in demselben Moment, wo sich meine und des falschen Spielers Augen begegneten, mit sich fort, indem er mir zuflüsterte, ich wisse nun genug, der Mensch wäre ein gefürchteter Raufbold, mit dem ich mich nicht in Händel einlassen möge... Damals war ich noch,« setzte Hardungen mit eigenthümlichem Lächeln hinzu, »eines jener harmlosen Wesen, die unbekannt mit der Manier sind, in welcher die Welt behandelt sein will... Ich folgte. Aber wir beide, der falsche Spieler und ich, waren von dem Augenblicke an Todfeinde, das las ein Jeder aus des Andern Blicken.«

Selma blickte in Gedanken versunken vor sich nieder... Die Erzählung Hardungen's war für sie von gewissem Interesse:

»Und bist du auch nicht im Irrthum,« frug sie endlich, den jungen Mann scharf fixirend, »war jener Bankhalter wirklich der Hauptmann Klingen?«

»O nein, nein, ich habe mich nicht geirrt. Wer könnte je dieses Gesicht vergessen, mit den tiefliegenden, funkelnden Augen, überwölbt von grauen, buschigten Brauen, dieses Kinn und diesen Mund, welche mich immer an die Physiognomie eines Tigers erinnerten und vor Allem diesen weißen Schnurrbart, welcher so seltsam absticht von dem dunkeln Teint, – o diese Züge verwechselt Keiner, am wenigsten ich, dem der Mensch, dem dieses Antlitz gehört, durch sein Spiel an den Rand der Vernichtung brachte... Doch nun genug davon, mein Kind,« schloß er, indem er langsam über ihr reiches, üppiges Lockenhaar hinstrich, »nun ein Wort über deine eigenen Angelegenheiten...«

»Der Intendant hat mir gestern geschrieben,« lächelte sie spöttisch, Hardungen einen Brief reichend.

»Der Mann hat nicht ganz Unrecht, Selma,« meinte dieser, nachdem er die Zeilen durchflogen... »Er verlangt eine gewisse Garantie von dir gegen die Wiederkehr ähnlicher Vorfälle, wie sie bei deinem ersten Hiersein vorkamen... Glaubst du diese Garantie geben zu können?« Und er richtete seinen Blick prüfend auf die schöne junge Frau... Diese blickte den jungen Mann mit schmachtendem zärtlichen Lächeln an und indem sie mit reizender Coquetterie ihr Haupt ein wenig nach vorn neigte und ihre Arme leicht um seinen Nacken schlang, flüsterte sie mit leise bebender Stimme:

»Und du fragst noch, Bernhard, du kannst noch zweifeln?«..

Es giebt Männer, die wohlerfahren und geschickt in allen Dingen sind, zu denen klarer Verstand, Kenntnisse und Muth und Erfahrung gehört, die aber trotzdem sehr unbewandert in der Liebe und vor Allem in der Kenntniß des Frauenherzens sind. Hardungen gehörte zu ihnen. Bis zu seinem Verhältniß mit der Schauspielerin hatte er die Frauen nur sehr flüchtig kennen gelernt. Als ihn daher das hübsche, junge und unläugbar auch interessante Weib so innig und tief in die Augen blickte, fühlte er jeden Zweifel an der Aufrichtigkeit ihrer Neigung zu ihm schwinden.

Neigung? Wie fuhr ihm das Wort durch den Sinn... wie matt und kühl es gegen Liebe klingt... Aber fühlte er denn Liebe zu der Schauspielerin, war das Gefühl, welches ihn an sie fesselte, wirklich jene süße, milde, zarte, lodernde Leidenschaft, jenes Etwas, das so alt wie das Menschengeschlecht ist und doch in immer neuen Wandlungen in der Brust jedes Einzelnen wieder neu entsteht?..

Vielleicht war er hierüber selbst sehr im Unklaren, als er sich nach jener Frage zu der jungen Frau niederbeugte und sie auf Stirn und Wangen küßte, eine Liebkosung, die zärtlich und mit einem leisen coquetten Erröthen von der Künstlerin aufgenommen wurde. War es doch trotz des vertraulichen »Du« und trotz des intimen Tons, der zwischen den Beiden herrschte, die erste Liebkosung, welche Selma von ihm empfing. Denn Hardungen, so muthig und keck er der Welt, den Männern gegenüber war, so zaghaft, schüchtern war er den Frauen gegenüber – sobald es sich um Liebe handelte...

Es war dies aber ein Fehler einem Weibe gegenüber, wie Selma Schütz einer leidenschaftlich organisirten Natur, welche die Zeit romantischer Mondscheinsliebe schon lange hinter sich hatte...

Die Uhr auf dem Spiegeltisch schlug...

Hardungen reichte der Freundin die Hand zum Abschied...

»Auf Wiedersehen also – morgen.«

»Du kommst heute nicht?« flüsterte sie, sich zärtlich an seine Schulter lehnend, während ihr Auge mit schmachtendem Ausdruck zu ihm aufblickte...

»Morgen, Selma,« antwortete er – »für heute habe ich eine Einladung zu dem Geheimerath Olbers... Der Mann,« fügte er lachend hinzu, »will Carriere machen und ich soll, wie es scheint, eine Sprosse seiner Leiter bilden... Er mag sich vor Täuschungen hüten... Und nun adieu, mein Kind, und vergiß meine Warnung in Betreff des Hauptmanns nicht.«

Als Selma die Klingel der Hausthüre, die sich hinter ihm schloß, mit ihrem hellklingenden Tone gehört, schlug sie ein lustiges Gelächter auf und ging auf den Vorhang zu, welcher den Eingang zu dem Salon verbarg.

»Das Bild von Saïs,« lachte sie, indem sie die Gardinen zurückschlug.

Ein Offizier in Uniform wurde auf der Schwelle des Salons sichtbar...

Es war eine düstere Gestalt, mit grauem, wild überhängendem Schnurrbart, tiefliegenden, funkelnden Augen, von buschigten weißen Augenbrauen überwölbt.

Eine fahle Blässe deckte sein Gesicht. Es war die Blässe des grimmigsten Hasses und Zornes...

Selbst die Schauspielerin wich unwillkürlich einen Schritt zurück, als sie dieses von der wildesten Wuth entstellte Gesicht sah...

»Sie sehen furchtbar aus... Hauptmann, wahrlich, grausiger wie Banco's Geist.«

»In der That, finden Sie das, schöne Frau?« rang es sich heiser aus seiner Kehle los, »oder glauben Sie, daß ich auch Komödie spiele?...« Und seine Augen hefteten sich mit ihrem unheimlichen Glanze durchbohrend auf die Schauspielerin...

Selma Schütz fühlte wie unter dem Einfluß dieses unheilverkündeten Blicks ein Grauen sich ihrer bemächtigt und eine unbestimmte dunkle Furcht wie eine kalte Schlange ihr die Brust zusammenschnürte... Indessen, sie war ein Weib von entschlossenem Wesen und hatte schon manche ernste Situation in ihrem vielbewegten Leben überstanden. Jene Anwandlung von Schwäche abschüttelnd und in ihre frühere kecke Laune zurückfallend lachte sie:

»Wahrlich, Hauptmann, schreckhaft wie Banco's Geist, furchtbar, wie der steinerne Gast... Indessen mögen Sie auch ein Medusenhaupt haben – für mich werden Sie nach wie vor der liebenswürdigste Gesellschafter sein, darum soyons amis Cinua –« und sie reichte ihm die Hand...

Ein häßliches Lächeln fuhr über die verwitterten, von Leidenschaften jeder Art durchfurchten Züge des Offiziers und ohne in die dargereichte Hand der Schauspielerin einzuschlagen, frug er noch immer mit wutherstickter Stimme und höhnischer Geberde:

»Das mir, dem falschen...« er brachte das Wort nicht über seine Lippen, »dem Bankhalter, der es versteht corriger la fortune...«

Selma lachte lustig auf, während zugleich ein listiger, schlauer Blick den Hauptmann streifte:

»Ah, bah, glauben Sie, daß ich die Anekdote für wahr halte, die mir Herr Hardungen eben erzählte... ich bin Ihnen Revanche schuldig – nehmen Sie Platz, Herr Hauptmann.« Und sie hob ihr Taschentuch, welches sie bei Hardungen's Eintritt über ein Spiel Karten geworfen, »die Karte ist gemischt und gegeben – coeur ist àtout

Der Hauptmann ließ sich stumm an dem Spieltisch nieder.

»Sind Sie nun überzeugt, daß ich die Geschichte für einen pikanten Feuilletonscherz halte, den mir Herr Hardungen nur zur Unterhaltung erzählte und blos um ihn pikanter zu machen mit existirenden Persönlichkeiten ausstaffirte?.. Aber Sie sind zerstreut, der Stich gehört Ihnen.«

»Sie haben Recht, ich bin zerstreut,« grinste der Hauptmann mit einer seltsamen Miene, »es ist das aber kein Wunder, wenn man doppelte Revanche zu geben hat... Coeur wird dabei immer àtout sein...«

Und er lachte wieder ingrimmig auf...

Die Schauspielerin blickte empor, sie hatte den Hauptmann nicht recht verstanden...

»Ich glaube,« warf sie mit unverwüstlichem Leichtsinn hin, »Sie denken immer noch an das alberne Mährchen Hardungen's? Aber das kommt von dem hinter den Gardinen stehen... Im Grunde,« fuhr sie etwas verdrießlich fort, »bin ich an der ganzen Scene schuld... ich hätte ruhig meine Partie mit Ihnen weiter spielen und Sie nicht in dem Salon verbergen sollen...«

Der Hauptmann antwortete nicht. Als aber dieser in seiner Zerstreuung Fehler über Fehler beim Spiel machte und sie eine Partie nach der andern gewann, kam eine ausgelassene Lustigkeit über sie...

»Nein, nein, lieber Hauptmann,« lachte sie endlich, »Sie dürfen sich nicht mit Hardungen schlagen – was sollte denn aus ihrer armen Freundin werden?« setzte sie doppelsinnig hinzu...



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