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Drittes Kapitel.


Magdalena, die Büßerin.

In einem mit zartem Geschmack ausgestatteten Boudoir saßen am Spätnachmittag des ersten Weihnachtstags, dessen Morgen wir in dem Mansardenstübchen des Schriftsetzers Wenzel feierten, zwei junge Frauen in leiser, fast flüsternder aber lebhafter Plauderei begriffen... Die ältere derselben, deren Haupt in der auf den Rand des Fenstertisches ruhenden Hand lag, war die Frau vom Hause, die Ministerialräthin Mathilde von Olbers, die jüngere, auf einem niedrigen Schemel ihr zu Füßen sitzende, ihre Base Linda von Olbers...

Jetzt verstummte das Gespräch auf einen kurzen Moment und die Blicke der Frau von Olbers richteten sich auf ein Gemälde, das in breitem, glänzendem Goldrahmen ihr gegenüber an der Wand hing...

Die letzten trüben Lichter des Wintertags fielen auf das Bild, welches einen bekannten Vorwurf aus der biblischen Geschichte: eine büßende Magdalena darstellte... Einem Fremden mochte das Gemälde in dem Gemach einer Frau etwas auffällig erscheinen, zumal, da es das einzige Bild im ganzen Zimmer war. Indessen trat man näher an das Gemälde, so wurde sein Dasein an diesem Orte weniger befremdlich. Denn wer ein scharfes Auge hatte, konnte auf einem der bräunlichen Felsenstücke, welche den Hintergrund bildeten, die Worte lesen: Mathilde v. Olbers pinx: 185... Die Dame war also selbst die Malerin; freilich nur die einer Copie, denn das Original befand sich in dem großen königlichen Museum und war die Schöpfung eines berühmten Künstlers...

War es Zufall oder lag eine feine Coquetterie der copirenden Künstlerin zu Grunde – einem genauen Beobachter mußten unwillkürlich gewisse Aehnlichkeiten in den Zügen der Magdalena und der Ministerialräthin auffallen... Die Linien um den Mund, die Form der Stirne, die Augen, gaben dem Bilde eine überraschende Aehnlichkeit mit dem Portrait der Frau von Olbers...

Vor Allem die Augen! Es waren schöne, große, braune Augen von langen, dunklen Wimpern überschattet. Was aber diesen Augen einen ganz eigenthümlichen Zauber verlieh, das war der Ausdruck eines gewissen Schmerzes, verbunden mit dem eines sehnsüchtigen, zärtlichen Verlangens nach einem entschwundenen Glück, der in ihnen lag. Es waren die Augen einer büßenden Magdalena, an deren Seele der heimliche, scharfe Zahn der Reue über ein verlornes Leben nagt und zugleich die Augen einer Hero, die mit sehnsüchtigem Verlangen auf dem Geliebten harrt...

Eine leichte Blässe, von jener fast ätherischen Durchsichtigkeit, wie sie manchen Blondinen eigen ist, lag auf den Zügen der jungen Frau, die, ohne regelmäßig schön zu sein, den Blick des Betrachtenden durch das Geheimniß fesselte, das man hinter diesem zarten, blassen Antlitz mit dem romantisch-schwärmerischen Zug um den Mund und hinter den braunen, leidenschaftlichen Augen suchte...

»Stolzes Herz,« flüsterte die junge Frau, die Augen von dem Gemälde auf das junge Mädchen zu ihren Füßen richtend, »diese Ideale träumt man sich mit achtzehn, neunzehn Jahren, bist du erst so alt, wie ich, dann wirst du finden, daß man solche Männer wohl in Romanen und Dramen, aber nicht in der Wirklichkeit findet.«

Linda erhob lächelnd ihr Haupt.

»So alt wie du? – Kehrt die Weisheit und Erkenntniß des Salomo, daß Alles eitel und nichtig bei uns Frauen schon mit fünfundzwanzig Jahren ein?.. Oder willst du Schmeicheleien von mir? O, Mathilde, wie coquett du bist...«

»Still, kleine Schwätzerin,« und Mathildens feine Hand mit der fast durchsichtigen Weiße legte sich auf den blühenden, stolz und keck geschnittenen Mund ihrer Base, »und glaube meinen Worten, meinen Erfahrungen, die ich vielleicht mit manchem Schmerz meines Herzens erkaufte, mit mancher Illusion bezahlte, die dich aber vor mancher Täuschung bewahren werden...« Und sie hauchte einen Kuß auf die Schläfe des jungen Mädchens... Linda blickte überrascht auf und strich sich mit der Hand leicht über die Stirne. Es war ihr, als sei eine heiße Thräne auf sie geträufelt. Daß Mathilde nicht glücklich war, daß sie sich in Mitten des glänzenden Lebens, welches sie umgab, oft recht traurig und schwermüthig fühlte, das ahnte Linda, ohne daß Mathilde je mit ihr über den geheimen Grund ihres Schmerzes gesprochen... Daß ihr aber der Gram so tief im Herzen saß – so glühend ihre Seele brannte, wie es die heiße Thräne verrieth, das hatte Linda nicht geglaubt. Sie hatte den Hauptgrund der verschleierten Schwermuth Mathildens mehr in selbstgeschaffenen Quälereien, Täuschungen und Einbildungen gesucht – diese Thräne aber verrieth ihr, daß in dem Herzen ihrer Cousine ein wirklicher, scharfer Schmerz mit spitzem Stachel wühle...

Doch konnte es wohl auch eine Täuschung sein...

Mathilde lächelte ja, als sie Linda's forschendes Auge auf sich gerichtet sah, und es war kein erzwungenes, sondern ein recht natürliches Lächeln, mit dem sie fortfuhr:

»Doch was rede ich da, mein Kind... Ich erschrecke dich und betrübe dich durch meine Alt-Weiberklugheit... Du hast Recht, Linda, glaube mir nicht, lebe fort in deiner Welt der Illusion, freue dich an den Rosen, die dir dein junges Herz in dem Garten des Lebens zeigt und erzähle mir, wie du dir den Mann deines Herzens träumst...«

Linda richtete sich langsam auf und strich mit leisem Lächeln die dunklen Flechten, welche ihre kluge, helle Stirn umrahmten, zurück...

»Du willst mich plaudern lassen, wie man ein Kind plaudern läßt, dessen naive Erzählungen man lächelnd anhört, ohne ihnen mehr Glauben und Aufmerksamkeit zu schenken, als nöthig ist, um es nicht weinen zu machen... Aber ich bin achtzehn Jahre gewesen, Mathilde, ich bin kein Kind mehr, ich werde...«

»In einem halben Jahre eine verheirathete Frau sein,« fiel ihr Mathilde lächelnd in's Wort...

Ein Schatten flog über Linda's Stirn...

»Wer sagt das?«

»Hast du den Scherz meines Mannes von neulich, als wir im Theater waren, vergessen?«

Linda's Wangen färbten eine leise Röthe...

»Dein Mann, liebe Base, ist ein recht verständiger, kluger, welterfahrner Mann, aber wenn er auch Alles versteht, so wird er doch – du nimmst mir das nicht übel, Cousine, etwas nie verstehen lernen: den Flug eines schwärmerischen Frauenherzens nach der Sonnenhöhe des Ideals...«

Mathilde antwortete nicht, aber sie senkte das Haupt nachdenklich auf die Brust und ein leiser Seufzer rang sich aus ihrem Busen los; Linda aber redete erregt weiter:

»Mein Vetter betrachtet Welt und Menschen nur von seinem klugen Standpunkt aus... Er glaubt, daß ein Mädchen von achtzehn Jahren und mit einigem Hab und Gut...«

»Mit drei Rittergütern,« schaltete Mathilde ein, indem sie sich lebhaft mit der Hand über Stirn und Augen strich und sichtlich Zwang anthat, einen wachgerufenen Gedanken zu ersticken...

»Daß, sage ich, ein junges Mädchen kein eiligeres Geschäft hat, als sich zu verheirathen... Von diesem Standpunkt aus betrachtet er Alles, beurtheilt jede ihrer Mienen, Geberden, Handlungen...

»Und vor Allem ihre Bewunderung,« unterbrach sie Mathilde, die sich in einen forcirten ironischen Humor zu versetzen suchte, »vor Allem die Bewunderung, welche sie einem jungen, kecken, vielleicht rücksichtslosen Manne zollt...«

»Keck, rücksichtslos nennst du das, Mathilde?.. O, mein Gott, wie verschieden doch die Begriffe sind.... Ich, Cousine, nenne es kühn, muthig, männlich... Würdest du, Mathilde, wenn du ein Mann wärest, nicht ebenso gehandelt haben? Vergegenwärtige dir nur den Vorfall. Eine Dame, jung, schön, elegant in ihrer Erscheinung, tritt in eine Loge, in welcher sich schon sieben bis acht Herren und Damen befinden. Kaum hat die Dame ihren Platz eingenommen, so nähert sich ihr einer der Herren und ersucht sie so laut, daß es alle Anwesenden hören, die Loge zu verlassen, indem sie andern Falls die Uebrigen zwingen würde, dies zu thun... Die Dame erbleicht und blickt den Aufforderer bestürzt und lautlos an. Aber noch ehe eine weitere Erklärung erfolgt, tritt ein Mann, der bishin im hintersten Winkel der Loge gesessen, zu dem Beleidiger der Fremden, faßt ihn beim Kragen und wirft ihn mit den Worten: »Herr, ich will Ihnen die Ausführung ihres Vorhabens erleichtern,« zur Logenthüre hinaus... Darauf großer Tumult und Lärm. Einige der Frauen fallen in Ohnmacht und die Eine springt wie eine Megäre empor und ruft dem Schließer zu, seit wann es im Opernhause Sitte sei, dem Straßenpöbel die ersten Ranglogen zu öffnen... Doch was erzähle ich dir das Alles noch, du kennst die Antwort, die ihr darauf wurde, und den Schluß dieses Auftritts ja ebenso gut wie ich...«

Linda schwieg. Ihre Schläfe klopften, eine lebhafte Röthe färbte ihr sonst etwas blasses Gesicht und ihre Augen blitzten vom Feuer innerer Erregung...

Mathilde zog schweigend die Linke des jungen Mädchens an ihre Lippen und hauchte einen Kuß darauf...

»Wie deine Hand brennt und deine Augen blitzen... Kind, Kind, welch' heißes Blut durch deine Adern rollt... Dank dem Himmel, daß du kein Mann geworden. Mit deinem leidenschaftlichen, stolzen, unbeugsamen Wesen würdest du aus Händeln und Verdrießlichkeiten aller Art nicht herauskommen...«

»Wenn ich es doch wäre, ein Mann! Nicht einer von denen, die sich schmiegen, bücken, drücken, die da ängstlich herumkriechen und nach den Augenwimpern des Andern aufgucken. Nein, meine Mathilde, solch ein furchtsames Wesen flößt mir Verachtung ein. Herrschen müßte ich über sie, durch kühne Thaten ihre Bewunderung erregen, und wenn ich auch das nicht erringen könnte, so sollten sie mich wenigstens fürchten...«

»Aber weißt du denn, liebe Freundin,« frug Mathilde mit einem leisen Beben der Stimme, »wer jene Dame war, für die der Held deiner Träume sich zum Ritter aufwarf?«..

»Der Held meiner Träume? Mein Gott, Mathilde, wie lyrisch du dich ausdrückst... Meinst du wirklich, daß sich ein junges Mädchen stets in den Mann, an welchem ihr irgend etwas, ein Charakterzug, eine Handlung oder sonst was gefällt, verlieben müsse?.. Ich kenne noch nicht einmal seinen Namen oder habe ihn schon wieder vergessen... Nur von deinem Manne hörte ich, daß er ein Advokat sei, der zugleich eine vielgelesene Zeitung schreibe... Was weiß ich, ich lese ja keine politischen Journale...«

»Hardungen heißt er,... er ist Redacteur der Tribune, eines der verbreitetsten Journale der Hauptstadt...«

»Was kümmert es mich,« warf Linda gleichgültig hin, »mich interessirte nur seine rasche, kühne That, der Mann selbst ist mir gleichgültig, wie hier die Figur auf deinem Nipptische... Doch du sprachst da von der Dame,« setzte sie etwas lebhafter hinzu, »weißt du, wer sie war?«

»Du wirst sie auch kennen, wenigstens par renommeé. Selma Schütz heißt sie...«

»Wie, es ist die Schauspielerin?«..

»Sie selbst. Noch vor zwei Jahren war sie an der hiesigen Bühne engagirt und damals sowohl wegen ihrer Kunst, als Schönheit eine gewisse Stadtberühmtheit. Einige fatale Geschichten, die sich aber damals ereigneten, besonders einige Duelle, zu denen sie die Veranlassung gegeben haben soll, erregten ein solches Aufsehen, daß sie sich veranlaßt fand, die Bühne zu verlassen... Vor Kurzem ist sie nun wieder hierher zurückgekehrt und ihr erstes Erscheinen im Theater verursachte jene Scene.«

»Aber daran war sie wenigstens unschuldig... Kann man sie für die Ungezogenheit jener Andern verantwortlich machen...«

Mit einer strengen und zugleich traurigen Geberde und Miene antwortete die junge Frau:

»Du bist sehr nachsichtig, Linda. Das Leben dieses Weibes birgt viele, viele Verwirrungen... Das Aergerniß, welches sie gegeben – kommt von ihrer Vergangenheit darf sie einem Andern die Schuld beimessen... Kennst du nicht das Wort: Wehe dem, von welchem Aergerniß kommt?«

Linda blickte überrascht, betroffen auf ihre Cousine. Mathilde hatte die Augen nach dem Bilde, droben an der Wand, aufgeschlagen und blickte unverwandt nach der Gestalt der Büßerin... Ein geheimer Schmerz zuckte über ihre feinen, blassen Züge, ein leiser Schauer ließ ihre Gestalt erbeben.... So tief ergriffen hatte Linda ihre Base noch nie gesehen, noch nie ein so herbes Urtheil aus ihrem Munde gehört... Eine ängstliche Verwirrung ergriff das junge Mädchen, welches ahnte, daß die letzten Worte ihrer Freundin einen leisen Bezug auf sie selbst enthielten und vielleicht weniger der Schauspielerin, als ihr – Mathilden selbst – galten. Sie schlang ihren Arm um den Nacken der Freundin und indem sie deren Haupt an ihren Busen zog, flüsterte sie beklommen:

»Fühlst du dich krank, Mathilde, soll ich den Arzt rufen lassen, oder beängstigt dich sonst etwas?«

Mathilde schüttelte leise das Haupt und schmiegte sich, zitternd vor innerer Erregung, in die Arme und an den Busen der Freundin...

»Es ist Nichts... bleibe bei mir... eine Nervenschwäche, die bald vorübergehen wird...«

Eine stumme, minutenlange Pause folgte diesen kaum hörbar hingeflüsterten Worten Mathildens...

Es klopfte leise an die Zimmerthüre...

Eine Dienerin trat ein.

»Der Herr Geheimerath läßt fragen, ob er den Damen seinen Besuch machen dürfe..?«

Linda blickte ihre Cousine fragend an...

Mathilde richtete sich langsam auf, strich, wie aus einem bösen Traum erwachend mit der Hand über Stirn und Scheitel und antwortete mit matter Stimme:

»Mein Mann wird uns stets willkommen sein... Doch zünde erst die Lichter an, Sophie.«

»Ich störe doch nicht, meine Damen, wenn ich Sie in Ihrem Allerheiligsten aufsuche,...« lächelte bei seinem Eintritt Herr von Olbers, ein feiner, gewandter Mann mit etwas kühlen Zügen, die sich nicht leicht in Aufregung bringen ließen. Nur um die Mundwinkel zogen sich zwei Linien, welche verriethen, daß auch dieser glatte, kühle Mann seine Leidenschaft und seine verwundbare Ferse habe...

Diese Linien und die coquette, auffallende Art, mit welcher er das rothe und das blaue Bändchen an seinem Fracke trug, ließen in Herrn von Olbers einen jener ungefährlichen Ehrgeizigen erkennen, welche nicht darnach begehren, ihren Namen durch gewonnene Schlachten, große Eroberungen, Revolutionen oder sonstige Staatsactionen, durch Erfindungen, Entdeckungen und unsterbliche Leistungen auf dem Gebiete der Literatur oder Kunst in das Buch der Geschichte einzutragen. Kleine Intriguen, große Gefälligkeiten und Aufmerksamkeiten gegen allerhöchste Personen, mittelmäßiger Fleiß und Begabung für seinen Beruf, das waren die Mittel, mit denen er seinen Ehrgeiz zu befriedigen suchte, seinen Ehrgeiz, dessen Ziele bunte Ordensbänder und volltönende Titel waren.

»Mein Vetter,« nahm Linda für Mathilde das Wort, »bringt so viele interessante Neuigkeiten, daß er mir stets willkommen sein wird.«

»Ah, Sie kleine Spötterin,« lächelte Herr von Olbers, seiner Base galant die Hand küssend, »also nur deswegen... Aber warten Sie, warten Sie. Ich werde mich rächen und zwar auf der Stelle... Und wissen Sie wie? Dadurch, daß ich Ihnen eine sehr pikante Neuigkeit erzähle...«

Herr von Olbers, der allerdings gern Neuigkeiten, besonders, wenn sie etwas boshafter Natur waren, mittheilte, blinzelte bei diesen Worten seine Base Linda mit einem ironischen Lächeln an und fuhr dann fort:

»Sie erinnern sich doch noch, meine Damen, des Vorfalls im Theater, ich glaube es war vor vier oder fünf Tagen, jenes Scandals, welchen die Schauspielerin verursachte – nun mein Gott, wie heißt sie doch gleich, der Name schwebt mir auf der Zunge... Richtig, Schütz, Selma Schütz...«

Mathilde, die bis dahin gleichgültig, fast theilnahmlos dem Wortgefecht zwischen ihrem Manne und Linda zugehört, wechselte mit ihrer Base einen raschen, erstaunten Blick...

Ein flüchtiges, unwillkürliches Erröthen zog über Linda's Wangen. Auch die junge Frau wurde befangen und verlegen und warf einen forschenden Seitenblick auf ihren Mann.

Sollte er ihr eben geführtes Gespräch, welches so schmerzliche Gefühle im Herzen der jungen Frau geweckt hatte, belauscht haben?.. Doch Herr von Olbers blickte so unbefangen, und nur auf die Wirkung seiner Neuigkeit gespannt, drein, daß Mathilde diesen Verdacht sofort aufgab...

»Meine schöne Base Linda,« fuhr Herr von Olbers boshaft lächelnd fort, »wird sich wohl noch der enthusiastischen Theilnahme erinnern, welche sie für jenen jungen Mann aussprach, der sich in so ganz mittelalterlich-ritterlicher Weise zum Vertheidiger der schönen Schauspielerin aufwarf?«

Linda, welche mit ihrem Vetter, über dessen spöttelnde, boshafte Manier sie sich oft ärgerte, häufig in Wortkrieg gerieth, blickte diesmal wider ihre Gewohnheit gelassen, die Achseln zuckend Mathilde an, lächelte und nickte ihrem Vetter fortzufahren...

»Sie erinnern sich also noch,« sprach Herr von Olbers weiter, »der Begeisterung, mit welcher Sie die kühne Mannesthat des Herrn Hardungen priesen...«

»Vetter,« unterbrach den mit boshafter Behaglichkeit Plaudernden plötzlich Linda mit ernsthafter Miene, »Vetter, Sie wissen es gewiß schon, daß Sie auf der Namensliste derer stehen, die beim nächsten Ordensfeste zu Neujahr dekorirt werden.«

Herr von Olbers, an seiner erregbarsten Seite berührt, vergaß mit einem Male seine Neuigkeit, stutzte, reckte den Hals neugierig lauschend vor und stotterte eilig fragend:

»Kind, reden Sie, wissen Sie vielleicht etwas Bestimmtes... Sie sind mit der Tochter des Hofmarschalls von Blinzen bekannt... sollte vielleicht der Marschall eine Andeutung...«

Er stockte und streckte flehend die Hand aus, um die Zunge des jungen Mädchens zu lösen... Ueber Linda's Gesicht zuckte es wie Wetterleuchten, nur mit Mühe hatte sie ihr Lachen unterdrückt, jetzt aber brach es so frisch und lebhaft aus, daß selbst Mathilde davon angesteckt wurde... Dem Geheimerath, der nun wohl merkte, daß Linda ihm wieder einmal düpirt, blieb nichts übrig, als mit verdrießlicher Miene einzustimmen...

»Verzeihen Sie mir, Vetter,« bat noch immer unter Lachen das muthwillige Mädchen, »aber Sie sahen, als Sie eben Ihre piquante Neuigkeit erzählten, so glückselig aus, daß sich mir der Gedanke von dem Orden mit aller Macht aufdrängte. Sie wissen ja, es giebt Menschen, die, wenn sie am glücklichsten, plaudern müssen...«

»Linda!« flüsterte Mathilde, welche den Verdruß ihres Mannes merkte, dem jungen Mädchen zu...

Doch Herr von Olbers war schon wieder vollkommen seiner Herr...

Und indem er mit zäher Hartnäckigkeit wieder auf den früheren Gegenstand zurückkam, fuhr er Linda scharf fixirend fort:

»Piquant ist die Geschichte nicht nur, sie ist auch sehr moralisch. Ohne Ihre spaßhafte Unterbrechung würden Sie schon das Ende wissen. Ihr Held, der Advocat Hardungen, schien, als er sich der Dame so tapfer annahm, zu wissen, daß diese gegen solche Ritterdienste nicht gleichgültig ist. Seit drei Tagen ist dieser Herr Hardungen der erklärte leidenschaftlich angebetete Paladin der schönen Schauspielerin und heute Nachmittag sah man Beide in einer Equipage um die Promenade fahren...«

»Aber, Albert, wozu das Alles... was kann uns dies interessiren, was kümmert uns die Schauspielerin und der Advocat Hardungen...« meinte Mathilde, deren Auge nicht entgangen, wie bei den letzten Worten ihres Gatten eine dunkle Wolke des Unmuths Linda's Stirn verdüsterte...

Herr von Olbers, welcher dieselbe Wahrnehmung gemacht, wendete sich mit einem eigenthümlich zufriedenen Lächeln gegen seine Gattin, zuckte die Achseln und spöttelte dann, während er sich bequem in die Ecke des Divans setzte:

»Mein Gott, es ist nicht des Interesses wegen, das man an diesem Menschen nimmt, sondern nur um auf dem Laufenden zu bleiben, wie die Kaufleute sagen. Und frägt dich zum Beispiel heute Abend in der Oper eine Bekannte nach der neusten Neuigkeit, so kommst du nicht in Verlegenheit.«

Mathilde lächelte über dieses Selbstironisiren ihres Mannes. Linda aber sprach zu ihrer Cousine sich wendend mit einem Tone, aus welchem die innere Erregung, wenn auch unterdrückt und versteckt, hervorklang:

»Es ist doch ein kleinliches Geschlecht, dieses Menschenvolk unserer Zeit. Nichts als niedrige, an der Erde klebende schmutzige Schlingpflanzen, in welchen sich der Fuß verwirrt, kein einziger stolzer Baum, der kühn und frei zum Himmel hinaufstrebt...«

»Was wollen Sie, gnädigste Cousine? Die Cedern des Libanon stehen nicht mehr und sind gefällt von der Axt oder dem Wurme. Das ist der Lauf der Welt... Die Zeit der großen, stolzen Eichen ist vorüber, nur das kleine Gesträuch ist's, das gedeiht...«

»O! sehr wahr, nur zu wahr, Herr Vetter... Klein, sehr erbärmlich klein ist das Gesträuch... Aber ich habe Kopfweh, Mathilde, verzeihe, wenn ich gehe... ich will versuchen, ob ich auf meinem Zimmer einen Augenblick schlummern kann.« Und das junge Mädchen umarmte ihre Cousine und küßte dieselbe mit leidenschaftlicher Zärtlichkeit auf Stirn und Wangen... Frau von Olbers erwiderte diese Liebkosungen mit gleicher Herzlichkeit und indem sie ihren Mund dicht an das Ohr des jungen Mädchens legte, flüsterte sie ihr zu:

»Beruhige dich, mein süßes Herz, du kennst ja seine Art... Im Grunde denkt er doch nicht so und er liebt es nun einmal zu übertreiben, zu carrikiren...«

Um Linda's Mund zuckte ein kaum merkliches, stolzes Lächeln, dann strich sie leicht mit der Hand über die Stirn und empfahl sich mit einem kühlen Gruß ihrem Vetter...

Herr von Olbers blickte ihr mit einem schlauen Lächeln nach...

»Du hast ihr wehe gethan, sie in ihren Lieblingsideen gestört und verletzt, Albert,« kehrte sich Mathilde mit leichtem Vorwurf in Stimme und Geberde gegen ihren Gatten, als sich die Thür hinter Linda geschlossen hatte...

Der Geheimerath nickte selbstzufrieden und rieb sich mit einem behaglichen Gefühl die Hände...

»Hab' ich das, mein Kind, meinst du wirklich?.. Und glaubst du, daß ich unsere kleine Schwärmerin kurirt habe... Ah! das wäre ein schnelleres und günstigeres Resultat, als ich hoffte...«

Die junge Frau blickte ihren Mann fragend an...

»Ich verstehe dich nicht... Albert...«

Herr von Olbers rückte seiner Gattin näher, legte, eine seltene Zärtlichkeit, seinen Arm leicht um ihre Taille und raunte ihr mit einem gewissen, geheimnißvollen Ausdruck zu:

»Es war Arznei, nichts weiter. Und ich glaube, sie wird wirken... Kind, das verstehst du nicht,« fuhr er lauter fort, als er den verwunderten fragenden Blick seiner Frau sah:

»Diese Schwärmerei hätte sehr unbequem und störend werden können... Linda ist neunzehn Jahre gewesen, im nächsten Sommer wird sie, nach unsern Landesgesetzen, mündig. Sie steht zugleich in dem Alter, in welchem die Heirathsgedanken bei den Mädchen, wie die Pilze, nach einem warmen Sommernachtsregen emporschießen...«

Mathilde machte eine Geberde. Ihr Gatte aber ließ sie nicht zu Worte kommen...

»Ich weiß schon, was du sagen willst. Linda ist eine Männerfeindin und denkt nicht an's Heirathen... Aber das ist gerade der gefährlichste Umstand... Wäre Linda ein Mädchen von alltäglicher Art, so könnte man darüber lachen. Es giebt in jedem Mädchenleben eine Periode, in welcher sie die Männer haßt und die Ehe als eine Zwingburg der Tyrannei betrachtet... Aber Linda's Abneigung entspringt aus einer andern Quelle... Sie ist romantischer Natur. Das Ungewöhnliche zieht sie an. Alles Extravagante, wenn es nur sonst sich in ein anziehendes Gewand kleidet, fesselt sie... Die Geschichte mit dem Advokat Hardungen ist ein schlagender Beweis für meine Behauptung. Würde ein anderes junges Mädchen von Linda's Stellung' in der Gesellschaft sich einem derartigen enthusiastischen Gefühlsausbruch hingegeben haben?.. Linda sah aber in ihm den Paladin, den kühnen, muthigen Mann, der, unbekümmert um das feige Gesindel, nur dem Rufe seines tapferen Herzens folgt. Waren das nicht ihre eignen, excentrischen Worte? Von der Bewunderung bis zur Liebe ist es bei solchen Naturen nur ein Schritt... Sie träumt sich da ein Ideal und spinnt sich in das ideale Traumgespinnst so hinein, daß sie beim besten Willen nicht wieder herauskann... Oder hältst du es etwa,« schloß der Geheimerath, indem er seine Gattin mit einem schlauen Blick von der Seite betrachtete, »für so unmöglich, daß das Fräulein Linda von Olbers, die Besitzerin dreier Rittergüter, von denen ein jedes wenigstens siebenzigtausend Thaler werth ist, daß diese reiche Erbin nie auf den Gedanken kommen könnte, Frau Advokat Hardungen zu werden?..«

Die Geheimeräthin lächelte seltsam.

»Und glaubst du wirklich, daß dies, vorausgesetzt, es ist gegenseitig Liebe vorhanden, ein so entsetzliches Unglück wäre?«

Der Geheimerath, durch diese unerwartete Antwort überrascht, hatte eine heftige Entgegnung, vielleicht die erste, welche er seiner Gattin gegeben, auf der Zunge. Aber diese kam dem Ausbruch zuvor, indem sie rasch einlenkte:

»Indessen, wozu darüber sich den Kopf zerbrechen... Ja, wenn es ein berühmter Mann wäre. Linda hat einen edlen Stolz... Was kann er diesem bieten, er ein unbekannter Advokat und Zeitungsredacteur! Ich bitte dich, Albert, lasse Linda nie einen solchen Scherz hören, ich glaube, sie wäre im Stande...«

»Den Spaß in Ernst zu verwandeln,« fiel ihr der Geheimerath in's Wort... »Ich sehe wohl,« fuhr er in selbstgefälligem Tone und mit der Linken den schönen, runden, weißen Arm seiner Gattin streichelnd, fort, »ich sehe wohl, du kennst die Welt nicht....... Advokat, Zeitungsschreiber! wie das so leicht von der Lippe fällt... Aber glaube mir, Kind, wenn du weniger lyrische Gedichte und mehr Zeitungen läsest, so würdest du bald merken, daß dieses Volk der Advokaten und Zeitungsschreiber heute einen gewissen Einfluß übt, welcher unser Einem bald förderlich, bald sehr hinderlich sein kann. Die guten alten Zeiten, in welchen der König befahl und die Raisonneure entweder in die Montur oder in's Hundeloch gesteckt wurden, sind leider vorbei... Man muß Rücksichten gegen dieses Volk nehmen und glaubst du wohl, Mathilde, daß vielleicht selbst ich gezwungen bin, diesen Hardungen zu einen meiner nächsten Abende zu laden?«

»Zu uns?.. Ich begreife dich nicht, Albert...«

»Staune nicht zu sehr und blicke mich nicht so ungläubig mit großen Augen an... Es ist eine pure Geschäftsangelegenheit, die ich dabei im Auge habe;« fuhr er mit einem pfiffigen Lächeln fort, »wie ich dir schon sagte, man muß sich mit diesen Menschen auf gutem Fuß setzen... Ich habe da von dem Finanzminister die Ausarbeitung eines Steuerprojects übertragen bekommen... ich werde dann den Entwurf in der Kammer als Regierungscommissar vertheidigen müssen – enfin,« brach er plötzlich ab, »es ist gut, wenn man sich mit diesem bissigen Federvieh verträgt...«

Es trat eine kleine Pause ein. Die junge Frau blickte nachdenklich auf die Diele, während Herr von Olbers mit langsamer Behaglichkeit aus einer schönen, goldnen Dose eine kleine Priese wohlriechenden Tabaks nahm und diese körnchenweise in die Nase schnippte...

Nachdem er mit dieser Manipulation zu Ende, stand er auf und ging mit lebhaften Schritten, die Hände kreuzweise auf dem Rücken zusammengelegt, in dem Zimmer auf und ab...

Als er sechs oder sieben Male das Gemach so durchschritten, blieb er dicht vor seiner Frau stehen und frug, sich zu ihr mit einem diplomatischen Lächeln niederbeugend:

»Wird dir meine Operation nun erklärlicher... Ich kann Dem nicht ausweichen oder es verhüten, daß Hardungen in unserm Hause mit Linda zusammentrifft. So viel als mir von dem Zeitungsschreiber bekannt, ist er ein kecker, unternehmender Avanturier. Bei Linda's Ansichten und Grundsätzen, bei ihrem excentrischen Wesen...«

»Das ist es nicht, Albert,« fiel ihm hier Mathilde in's Wort, »du beurtheilst Linda nicht ganz richtig...«

»Nenne es wie du willst,« fuhr der Geheimerath fort, »um den Namen wollen wir uns nicht streiten... So viel wirst du mir aber zugestehen, daß in Linda etwas Abnormes, Unberechenbares, nicht mit den gewöhnlichen conventionellen Anschauungen Uebereinstimmendes steckt... Wie leicht hätte sich da nun zwischen Jenem und ihr etwas anspinnen können, was meinen Plänen mit Linda sehr – sehr hinderlich hätte werden können... So habe ich ihr einen Dégoût gegen den Helden ihrer Bewunderung eingeflößt, der zwar als bittere Arznei, aber sehr heilsam wirken wird. Man nennt das ein Paroli biegen.«

Mathilde betrachtete ihren Gatten mit immer mehr wachsendem Erstaunen...

»Deine Pläne mit Linda, sagst du?.. Aber was sind denn das für Pläne, Albert?«

Der Geheimerath nahm eine wichtige Miene an, zog die Augenbrauen in die Höhe und legte den Zeigefinger an die Nase:

»Kennst du das Wort des großen Staatsmannes: Reden ist Silber, Schweigen ist Gold... Vielleicht habe ich schon zu viel geplaudert, aber es ist so interessant, eine so reizende und liebenswürdige Vertraute zu haben,« fügte der Geheimerath mit galanter, fast an das Zärtliche streifender Geberde hinzu und küßte die Hand seiner jungen Gattin...

Ein leises, trübes Lächeln spielte um Mathildens Mund – und ein Seufzer rang sich aus ihrer Brust los...

»Aber nicht wahr, mein Freund,« flüsterte sie, »das Vertrauen muß auf Gegenseitigkeit gegründet sein...? Würdest du meine....«

Da traf ihr Blick eine lächelnde Geberde ihres Mannes. Ueber ihr Gesicht flog ein seltsames Zucken, wie es verhaltenem Lachen oder – Weinen vorhergeht.

Mathilde aber lachte, sie lachte laut und lebhaft und wenn es einem geübteren Ohr auch nicht so ganz natürlich geklungen hätte dieses plötzliche Lachen der jungen Frau, wenn ein anderes schärferes Ohr auch einen schrillen Ton durch das Gelächter hindurch klingen gehört, einen Ton, wie von einer zerrissenen Saite, die während eines lustigen Adagio's reißt – Herr von Olbers rieb sich vergnügt die Hände und lächelte:

»Nicht wahr, ich habe es errathen, dein Geheimniß... Du wolltest unser vertrauliches Geplauder benutzen und mir zu verstehen geben, daß du gestern auf deinem Weihnachtstisch ein gewisses Diadem vermißt, ein Diadem, wie es auf dem letzten Balle beim Justizminister die Frau von Brand trug... Aber beruhige dich, mein Kind... Du hättest es schon gestern auf deinem Tische gefunden, wenn dem Juwelier nicht eine Perle noch gefehlt, eine seltene, prächtige Perle, die erst heute aus Amsterdam angekommen ist und die er noch einfügen muß. Ich habe sie gesehen... es ist ein reizendes Juwel... Bist du nun zufrieden, mein Herz?...«

»Ich bin es,« flüsterte Mathilde mit einem Seufzer und indem sie ihr Gesicht an die Schulter ihres Gatten verbarg.

In diesem Augenblicke pochte es leise an die Thür des Boudoirs...

Der Diener des Geheimeraths trat ein...

Auf einem silbernen Teller überreichte er seinem Herrn eine Adreßkarte...

»Ah!« rief der Rath, indem ein zufriedenes Lächeln über seine Züge flog...

Und indem er seiner Frau die Adreßkarte überreichte, fügte er hinzu:

»Es ist dies die Einleitung zu einer Bekanntschaft, die mir sehr nützlich werden kann... Der Mann hat auf sich warten lassen. Er wurde schon seit vierzehn Tagen in der Hauptstadt erwartet. Betrachte dir den Mann genau, wenn er zu uns kommt – er wird, wie man sagt, eine große Rolle spielen. Sein Einfluß auf eine allerhöchste Person, der er von früher her bekannt, soll ganz außerordentlich sein.« –

Mathilde warf einen Blick auf die Adreßkarte... Aber sie hatte kaum mit ihrem Auge den Namen gestreift, als sie erbleichte, die Augen schloß und zurück in die Kissen des Divans sank.

»O, mein Gott, wieder einer ihrer Nervenzufälle!« rief der Geheimerath erschrocken aus, indem er voller Bestürzung mit der Handschelle dem Kammermädchen seiner Gattin läutete...

»Es ist nichts... gar nichts...,« stammelte Mathilde, sich mühsam wieder fassend, »einer jener Nervenzufälle, an denen ich so oft leide...«

Der Name aber, welcher auf der glatten, eleganten Adreßkarte stand, lautete: Dr. Joseph Marecampus, Director der Privatmuseen Sr. Majestät. –



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