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IX
Die reiche Frau

Mr. Liebermann war ein Kaufmann in New York, der mit Wertpapieren handelte. Die Aktien sahen sehr schön aus, da sie in Vierfarbendruck hergestellt waren, aber die Goldminen, über die sie ausgegeben waren, erwiesen sich als schlecht und unrentabel. Mr. Liebermann kam in das Gebiet des Großen Stromes, und da er viele Empfehlungsschreiben vorzeigen konnte, wurde er gut aufgenommen. Er hatte ein freundliches und zuvorkommendes Wesen, so daß man ihm weiter nicht böse war, selbst dann nicht, als man drei Monate später erfuhr, daß er von der Regierung eine Konzession erhalten hatte, im Fluß Gold zu waschen.

»Der Mann will im Fluß Gold waschen?« fragte Sanders lächelnd. »Das einzige Gold, das sich im Großen Strom befindet, ist mein Zigarettenetui, und das wäre auch nicht ins Wasser gefallen, wenn sich Bones nicht so dumm benommen hätte.«

Bones interessierte die erste Mitteilung so sehr, daß er es nicht einmal für nötig hielt, sich zu rechtfertigen. Das Unglück war passiert, als er einmal mit Sanders auf der »Zaire« von einer Inspektionsreise zurückkam.

»Merkwürdig«, meinte Captain Hamilton nachdenklich. »Dieser Mr. Liebermann fragte mich doch über eine gewisse Legende aus, die unter den Eingeborenen verbreitet ist. Er sagte, er habe gehört, daß eine sagenhafte Goldmine im Lande sei.«

»Das stimmt auch, mein lieber, alter Offizier«, erwiderte Bones prompt. »Ich habe davon gehört, und Bosambo hat auch davon erfahren.«

»Bosambo ist ein schlauer Fuchs. Der hat immer alles gehört, wenn er nur Geld damit verdienen kann«, sagte Sanders etwas sarkastisch. »Hat er etwa versucht, Ihnen Goldaktien zu verkaufen?«

Bones war beleidigt.

»Natürlich hat Bosambo davon gehört«, fuhr Sanders ärgerlich fort. »Es ist eine ganz alte Sage unter den Eingeborenen. Manchmal soll es eine Goldmine sein, manchmal handelt es sich auch um Diamanten. Andere erzählten, daß sich im N'gombi-Gebiet ein tiefes, großes Loch befindet, aus dem man fertiggewebtes Tuch herausziehen kann!«

Die Zeit verging, und der Besuch Mr. Liebermanns war schon beinahe vergessen, als ein dringendes Telegramm von dem Generalgouverneur der Kolonien kam.

»Liebermann verkauft in New York Aktien der Gold Dredging Company. Gibt an, Sie hätten behauptet, der Fluß sei alluvial.«

Sanders besaß genügend Erfahrung in der Behandlung derartiger offizieller Anfragen und antwortete nicht »Mr. Liebermann ist ein Lügner«, sondern sandte ein langes und wohlausgearbeitetes Dementi. Er fügte auch hinzu, daß seiner Meinung nach sich im ganzen Gebiet des Großen Stromes nicht genügend Gold fände, um auch nur ein kleines Schmuckstück daraus zu fertigen.

Aber da Bones nun einmal von dieser Goldgeschichte gehört hatte, war das Unglück geschehen. Seitdem erwähnt worden war, daß im Gebiet des Großen Stroms Gold gefunden werden solle, wandte er sich dieser Sache mit aller Begeisterung und Energie zu, deren er fähig war. Mit einer Pfeife im Mund und drei überanstrengten Ruderern suchte er die Ufer des Flusses von der Mündung bis nach Lumbiri ab, und die Eingeborenen kamen aus meilenweiter Entfernung, um Tibbetti ehrfurchtsvoll zu beobachten, der in der Sonnenglut unentwegt den Sand am Ufer wusch.

»Wenn Sie auch wirklich Gold fänden, dann wüßten Sie ja gar nicht, wie es aussieht«, sagte Hamilton ironisch.

Bones lächelte überlegen.

»Sie reden jetzt leichtsinnig daher. Was machen Sie, mein lieber, guter Kriegskamerad, wenn ich mit Händen voll wirklichen Goldes zu Ihnen komme?«

Hamilton grinste ihn an.

»Alle Eingeborenen am Großen Strom wissen, daß es Gold in der Kolonie gibt«, fuhr Bones unbeirrt fort. »Aber die Schwarzen behalten die Sache natürlich für sich – das ist doch ganz klar. Ich bin in diesen Dingen gewissermaßen eine Art Autorität, und ich möchte behaupten, daß jemand ein Vermögen, Millionen, ja vielleicht Billionen machen kann, wenn er nur das Vertrauen der Eingeborenen besitzt. Ich habe eine große Idee.«

Hamilton richtete sich auf.

»Schießen Sie los – ich wußte doch, daß das früher oder später kommen würde.«

»Ich habe eine große Idee«, wiederholte Bones, ohne auf die Unterbrechung zu achten. »Und da ich Anspruch auf drei Wochen Urlaub habe –«

»Was meinen Sie denn, Bones?« fragte Sanders und sah ihn jetzt interessiert an. »Was für eine Idee haben Sie?«

»Ich werde eine Wanderung durch das ganze Land antreten«, erwiderte Bones schnell. »Und ich muß sagen, daß das nur die Ausführung eines Planes ist, den ich schon seit Jahren gefaßt habe. Ich will mich nämlich als Eingeborener ausgeben.«

Hamilton stöhnte.

»Wollen Sie sich etwa vollständig schwarz anmalen? Ich kann Ihnen nur sagen, daß dieses Experiment bisher nur einem einzigen Europäer geglückt ist, und zwar unserem Amtmann. Ihnen verbiete ich das, Bones. Wenn Sie ins obere Land kommen, machen Sie die Eingeborenen so rebellisch, daß es einen Aufstand gibt. Oder Sie kommen selbst in so große Gefahr, daß der Amtmann und ich monatelang zu tun haben, um alles wieder in Ordnung zu bringen.«

Zu Hamiltons größtem Erstaunen war Sanders anderer Ansicht.

»Ich habe oft daran gedacht, es selbst wieder einmal zu versuchen. Seit vielen Jahren bin ich nicht mehr als Eingeborener aufgetreten. Solange sich Bones nicht tagsüber sehen läßt, ist es wohl möglich, daß ihm der Plan gelingt. Über zwei Dinge würde ich gern genaueren Aufschluß haben, über die mir meine Späher und Agenten nichts mitteilen können. Ich bin davon überzeugt, daß meine Vertrauensleute im Lande so scharf überwacht werden, daß sie gar nicht die Möglichkeit haben, auf interessante Dinge zu stoßen.«

Sanders hatte, wie er später offen zugab, die Absicht, drei Akasavabrüder genauer zu beobachten, die mit ihren Frauen allein lebten und eine kleine Niederlassung für sich am Ufer des Stromes bildeten. Sie wohnten in der Nähe der Insel, die in der Eingeborenensprache »Die Insel der schnellen Wasser« genannt wird und eine große Gefahr für die Schiffe ist. Die Insel selbst hat keine Bewohner, und zwar aus einem guten Grunde. Der nördliche Teil war überschwemmt, und nach schweren Gewitterregen stand manchmal die ganze Insel unter Wasser. Auch wußte man wegen der wechselnden Geschwindigkeit der Strömung niemals, ob man sie nach Wunsch erreichen und wieder verlassen konnte.

Die drei Akasavabrüder aber wohnten auf dem Festlande. Ihrem Beruf nach waren sie Fischer, aber niemals hatte sie jemand auf dem Fischfang gesehen. Auch wußte man, daß sie selbst Fische von den Dorfbewohnern stromaufwärts kauften. Und trotzdem ging es ihnen gut; sie hatten Herden eßbarer Hunde und Ziegen, und der älteste Bruder hatte sogar fünf Weiber.

Man erzählte sich unheimliche Geschichten über sie. Wenn eine Frau ihres Mannes überdrüssig war, oder wenn ein Mann über den Liebhaber seiner Frau zornig wurde, so kamen sie heimlich zur Nachtzeit zu den drei Brüdern und zahlten im voraus für gewisse Ereignisse, die später eintraten. Man fand dann Leute, die im Strom ertrunken waren, aber niemand konnte sagen, wie sie verunglückten. Ein Mann, der verschiedenen Familien Leid gebracht hatte, wurde eines Tages als Toter unter einem umgestürzten Baum im Walde entdeckt.

Sanders hatte sich große Mühe gegeben, die drei Akasava auf frischer Tat zu ertappen, aber es war ihm nicht gelungen. Die drei Brüder Shibiri lebten nach wie vor in guten Verhältnissen.

Es war noch keine Woche nach dem Gespräch auf der Veranda in der Residenz vergangen, als ein schlanker Eingeborener beim ersten Frühlicht den Strom hinaufruderte. Er hielt sich möglichst abseits von den großen Ortschaften und wählte die weniger befahrenen Straßen.

»Wenn Sie bei Tageslicht gesehen werden, erkennt man Sie sofort«, hatte Hamilton prophezeit, der um zwei Uhr morgens ans Ufer gekommen war, um bei Bones' Abfahrt zugegen zu sein.

»Vertrauen Sie nur Ihrem lieben, guten, alten Bones.«

»Das tue ich unter keinen Umständen.«

»Aber ich bringe das Geheimnis heraus, verlassen Sie sich darauf!« rief der braune Mann vom Boot aus zurück.

*

Bei den Isisi lebte eine Frau, die das einzige Kind ihres Vaters war, und als er starb, erbte sie all seine Reichtümer. Sie besaß schöne Gärten und Herden von eßbaren Hunden, Salz im Überfluß, Messingstangen und zwanzig Ledersäcke, die Silbergeld enthielten.

Ihre Schätze mehrten sich, ebenfalls ihr Besitz an Kornfeldern, denn sie hatte die Geheimnisse des Handels von ihrem Vater gelernt. Sie sammelte Häute und Gummi, Elfenbein und andere wertvolle Dinge in ihrem Vorratshause. Auch Bosambo, der Oberhäuptling der Ochori, der sich sonst niemals für Frauen interessierte, hatte von ihr gehört. Da er verschiedene Vorräte hatte, über die er verfügen konnte, schickte er seinen obersten Ratgeber zu ihr und lud sie ein, nach dem Lande der Ochori zu kommen.

M'Yari kam wie eine Königin zu ihm. Sie fuhr in einem neuen Boot mit sechzehn Ruderern, und an Stelle der mit Palmenblättern gedeckten Hütte im Hinterteil ihres Bootes hatte sie eine kleine Kammer, die mit Tuch bedeckt war.

Bosambo legte großen Wert auf Auftreten und Würde, trotzdem ging er zur Landungsstelle, um sie zu begrüßen, und sagte ihr schmeichelhafte, liebenswürdige Dinge.

»Ich höre dich, Bosambo«, sagte sie, als er nach seiner langen Ansprache schwieg. »Aber ich bin nicht hergekommen, damit mir die Leute von meiner Schönheit erzählen. Ich möchte deine Vorräte an Gummi, Häuten und anderen schönen Dingen sehen, die du deinem Volk gestohlen hast.«

Bosambo erwiderte nichts auf diese beleidigenden Worte. Drei Stunden handelten die beiden miteinander, und als M'Yari wieder abfuhr, hatte sie ein zweites Boot im Schlepptau, das mit den von Bosambo gekauften Waren beladen war. Der Häuptling hatte aber das unangenehme Gefühl, daß sie ein besseres Geschäft gemacht hatte als er, und das war für ihn eine vollständig neue Erfahrung.

M'Yari kam wieder, und er wandte ihr gegenüber eine andere Taktik an. Seine Frau war mit ihrem Kind ins Gebirge gegangen, weil die Gegend in der Regenzeit zu feucht und ungesund war. So empfing Bosambo die reiche M'Yari, gab ihr ein Festessen, ließ einen Tanz zu ihren Ehren aufführen und machte ihr große Liebesanträge. Aber sie ging nicht auf seine Schmeicheleien ein, und als sie sich diesmal verabschiedete, hatte sie ein noch viel besseres Geschäft gemacht als das erste Mal.

»So etwas ist überhaupt noch nicht vorgekommen«, sagte ein Onkel M'Yaris. »Diese Frau ist viel zu reich. Frauen müssen an Männer verheiratet sein, genau so, wie es bei den Ziegen und Böcken ist. Und wenn diese Frau jemand heiratet, dann gehört dem Mann all ihr Hab und Gut. Einer von uns muß sie heiraten. Wir wollen zu N'mari, dem weisen Mann, gehen. Er muß uns sagen, wer sie heiraten soll. Und der, der sie zur Frau nimmt, soll ihre Reichtümer unter uns teilen. Eine Hälfte sollen die Brüder ihrer Mutter bekommen, und die Hälfte der zweiten Hälfte die Kinder, also ihre Vettern.«

Die Jüngeren waren zwar mit dieser Teilung nicht zufrieden, aber schließlich stimmten sie doch zu. So gingen die Männer zu N'mari, dem weisen Mann, der im Isisiwald mit Schlangen, Vögeln und merkwürdigen wilden Tieren zusammenlebte. Sie schliefen sogar nachts in seiner Hütte. Bei ihm wohnte auch sein Enkel B'laba, der ein großer Jäger war, aber einen bösen Charakter hatte.

Sie sagten dem alten Zauberdoktor alles, was sie auf dem Herzen hatten, und er gab ihnen seinen Rat.

»Ihr müßt zu dem jungen Mädchen gehen und ihr sagen: ›Einen von uns sollst du heiraten‹. Dann müßt ihr alle wieder fortgehen und bei Neumond einen jungen Hahn schlachten. Jeder von euch soll seine Hände mit dem Blut des Tieres bestreichen, und am Morgen wird der, dessen Hände durch meinen Zauber wieder gereinigt sind, die Frau heiraten.«

Sie gingen wieder fort und sagten M'Yari, was N'mari ihnen geraten hatte. Sie saß vor ihrer Hütte zwischen ihren Frauen und antwortete nicht. Aber sie schickte eine Spionin hinter ihnen her.

Beim Neumond opferten die Männer den Hahn und bestrichen ihre Hände mit seinem Blut. Jeder ging zu seiner Hütte, wo seine nächsten Verwandten ihm Wasser reichten, so daß er sich die Hände waschen konnte. Und als sie sich am Morgen wieder trafen, schien jeder der Auserwählte zu sein. Da erkannten sie, daß sie alle hereingefallen waren. Aber trotzdem gingen sie wieder zu N'mari, und dieser wußte schon, warum sie kamen.

»Geht alle zu verschiedenen Orten, du zur Stadt der Akasava, du zu dem kleinen Dorf bei dem Sumpf der stillen Geister ...« Jedem gab er ein anderes Ziel an.

»Morgen vollführe ich einen großen Zauber und bringe dieses Mädchen zu mir. Alle meine kleinen Geister und Teufel sollen um sie her sitzen – sie wird sie aber nicht sehen können. Dann lasse ich sie durch meinen Zauber tanzen, bis sie erschöpft zu Boden sinkt. Und der soll ihr Mann werden, der sich in dem Ort aufhält, wohin ihr Kopf zeigt.«

Die Verwandten waren kaum außer Sicht, als der alte Mann mit seinen halberloschenen Augen aufschaute. Eine Frau stand vor ihm.

»Ich bin M'Yari von M'pusu, und ich bin diesen Männern in den Wald gefolgt, da ich wußte, daß sie über mich sprechen würden. Sage mir nun was ich tun muß. Ich bin sehr reich, und ich brauche einen Mann, der mir ergeben und untenan ist wie mein kleiner Hund. Er darf mir nicht widersprechen und muß alles tun, was ich will. Die Brüder meiner Mutter und deren Söhne bedeuten mir nicht mehr als die Fische im Fluß. Und wenn einer von ihnen mich zur Frau nimmt, werde ich den Akasavabrüdern Geld geben, damit sie ihn verfolgen und beseitigen, wenn es nötig ist.«

In diesem Augenblick trat der Enkel des alten Mannes in die Hütte.

»Hier ist ein feiner, guter Mann, der alle deine Wünsche erfüllt«, sagte der Zauberdoktor.

M'Yari sah ihn an und nahm ihn mit sich in ihre Behausung. Als ihre Verwandten des langen Wartens müde waren, kehrten sie zurück und entdeckten, daß B'laba in der Hütte der reichen Frau war. Aber es schien, als ob er sie trotz ihres großen Reichtums vollständig unterworfen hätte, denn jede Nacht hörten sie, wie er sie mit seiner Rhinozerospeitsche mißhandelte. Aber sie schrie niemals und rief auch keinen ihrer Verwandten zu Hilfe. Eines Nachts aber fuhr sie mit vier Dienerinnen auf den Strom hinaus.

In der dunkelsten Stunde, als der Mond untergegangen war, kam sie zu der Stelle des Ufers, wo die drei Akasava-Brüder wohnten. Diese Männer schlossen ihre Geschäfte stets nachts ab, und da sie wußten, daß die Frau kommen würde, warteten sie schon am Ufer. Auch sie war nicht erstaunt, denn die Eingeborenen verstehen sich intuitiv viel besser als die Angehörigen der weißen Rasse.

Sie erklärte ihnen in kurzen Worten, warum sie gekommen war.

»Dieser B'laba darf nicht getötet werden, weil sonst Sandi mit seinen Soldaten den Strom heraufkommt. Aber ihr müßt ihn zurückhalten, daß er nicht wieder zu mir kommt. Und wenn ihr ihn ein wenig mit der Rhinozerospeitsche verprügelt, so wird ihm das nur gut tun.«

Sie hielten noch ein langes Palaver über die Sache ab, denn auch die drei Akasava wollten nicht mit Sandi in Konflikt geraten. Aber schließlich wurden sie handelseinig.

In der Zwischenzeit erwachte B'laba, und als er entdeckte, daß seine Frau verschwunden war, fürchtete er sich. Er vermutete, daß sie die drei Akasava-Brüder auffordern wollte, ihn zu ermorden.

Rasch erhob er sich, ging zu seinem Großvater in den Wald und fragte ihn um Rat.

»Nimm alles, was sie an Reichtümern in ihren Hütten verborgen hat, und verstecke es in einer tiefen Grube«, sagte N'mari.

Drei Nächte lang schwitzte B'laba unter den schweren Lasten, die er in eine tiefe Grube unter dem Boden seiner Hütte brachte. Und in der dritten Nacht kamen die drei Akasava durch die Dunkelheit. Niemand sah, wie ihr Boot am Ufer anlegte, und sie wanderten ruhig und geräuschlos. Jeder von ihnen trug drei Speere. Sie kamen zu B'laba, als er sich gerade bückte, um einen Sack mit Silber wieder aus der Grube zu heben. Er stieß nur einen schwachen Laut aus, als er vornüber fiel. Sonst herrschte tiefe Stille, denn die Akasava schweigen, wenn sie handeln. Sie hatten B'laba durch einen Schlag auf den Kopf bewußtlos gemacht und brachten ihn nun zu dem Ufer, wo eine Frau mit einem Boot wartete und ihnen Geld zahlte, damit sie ihn fortschaffen sollten.

Die Drei wären auch zur Hütte N'maris im Wald gegangen und hätten ihn ermordet. Aber die Frau verbot es ihnen. Sie gingen ein paar Schritte beiseite, um zu beraten.

»Wenn Sandi mit seinen Soldaten kommt«, sagte der älteste Bruder, »und hört, was vorgefallen ist, so gibt es Schwierigkeiten. Nun aber kann nur diese Frau etwas gegen uns sagen. Wir wollen daher ihre Schätze stehlen und auf der Insel verbergen, wo wir ihren Mann gefangenhalten. Und sie selbst wollen wir auch mitnehmen.«

Seine Brüder schüttelten den Kopf, wodurch sie ihre Zustimmung ausdrückten.

»Es ist auch möglich, daß B'laba uns die Hälfte der Schätze schenkt, wenn wir ihn nicht töten, und Sandi kann uns dann nicht bestrafen. Jetzt wollen wir aber sehen, daß wir die Frau in unsere Gewalt bekommen.«

Aber als sie wieder ans Ufer kamen und sich nach ihr umsahen, hatte sie das Boot verlassen und war schnell durch den Wald gegangen, denn sie ahnte, was die drei Akasava im Schilde führten.

In der Dunkelheit kam sie wieder zu ihrer eigenen Hütte. Keine der Dienerinnen fragte sie, wo sie gewesen sei, und niemand sah sie kommen.

In den nächsten Tagen erschienen mehrere Verwandte und andere Leute bei ihr und erkundigten sich, wo ihr Mann geblieben sei. Als sie antwortete, daß B'laba eine lange Reise angetreten habe, sagte ein alter Onkel, daß er es nicht glaube.

»Sandi kommt bald hierher«, erklärte er mit besonderem Nachdruck. »Dann wird er ein großes Palaver abhalten, und wer weiß, was dann aus deinem großen Reichtum wird!«

Diese Worte jagten ihr großen Schrecken ein. All ihr bewegliches Hab und Gut war schon verschwunden, und doch konnte sie nichts gegen die drei Brüder unternehmen. Wie konnte sie Sandi sagen, daß sie ihnen Geld gegeben hatte, um ihren Mann zu entfernen? Auch wußte sie gut genug, daß Sandi an den unmöglichsten Stellen Nachforschungen anstellte, wenn er mit seinem kleinen weißen Schiff den Strom heraufkam. Was würde geschehen, wenn er an der Insel der Schnellen Wasser anlegte und entdeckte, daß ihr Mann dort als Gefangener gehalten wurde?

Sie rief ihre oberste Dienerin zu sich.

»Bringe Ruderer für mein schnelles Boot, denn ich will zu Bosambo, dem Häuptling der Ochori, fahren. Er ist weise, obwohl er sehr gierig nach Geld ist.«

Sie kam auch glücklich in der Stadt der Ochori an, aber diesmal ging ihr der Oberhäuptling nicht bis zum Ufer entgegen.

»O Frau, ich habe nichts mehr zu verkaufen«, sagte er nur, als er sie sah. »Aber wenn du mir das geben willst, was an dem Preise fehlt für alle die Güter, die ich dir verkauft habe, so will ich dir zuhören, weil ich ein weiches, sanftes Herz habe.«

Sie setzte sich vor ihm auf den Boden und legte die Hände bescheiden zusammen. Denn trotz ihres Reichtums war sie nur eine gewöhnliche Frau, und er war der Oberhäuptling, der direkt mit Sandi verwandt sein sollte.

Lange Zeit sagte sie nicht, warum sie hergekommen war. Sie sprach von dem heftigen Gewitterregen und dem Stand der Ernte. Dann erzählte sie, daß der Fluß viel Wasser führe und daß man merkwürdige Erscheinungen am Himmel sehen könne.

Schließlich ging Bosambos Geduld zu Ende.

»Weib, erkläre mir jetzt, warum du zu mir gekommen bist, denn ich habe auch noch viele andere Dinge zu tun, und die Rede der Frauen verachte ich wie das Geschwätz der Affen.«

Nach und nach berichtete sie nun alles, aber zuerst versuchte sie, die Sache durch Lügen zu beschönigen.

Bosambo unterhielt viele Späher, und er hatte bereits von B'laba gehört, der seine Frau verprügelte. Und sein Interesse wuchs, je mehr die Frau erzählte.

»... ich habe diesen Leuten viel Geld gegeben, und doch haben sie meine Säcke mit Silber gestohlen, meine Häute und mein Salz, was mir B'laba schon vorher abgenommen hatte. Die drei Akasava sind nach der Insel der Schnellen Wasser gefahren und haben die Schätze in einer großen Grube versteckt, dann haben sie B'laba an einen Baum gebunden. Sie bringen ihm jeden Tag zu essen. Bosambo, ich will dir einen Sack Silber geben, wenn du dafür sorgst, daß ich wieder in den Besitz meiner Schätze komme. Aber besonders liegt mir daran, daß du meinen Mann mit dir fortnimmst. Ich fürchte, daß er mit Sandi sprechen wird.«

Sie wußte sehr wohl, daß Bosambo Geld nahm, woher er es bekommen konnte, und sie war sehr erstaunt, daß er nicht versuchte, eine größere Belohnung für sich herauszuschlagen.

Der Häuptling der Ochori entließ sie sehr freundlich. Sobald die Dämmerung hereinbrach, nahm er die besten Leute seiner Leibwache in einem Boot mit sich. Er selbst ruderte auch mit, denn er hatte keinen Platz für einen überflüssigen Mann.

Es gelang ihm, durch die Stromschnellen durchzukommen und an der Insel der Schnellen Wasser zu landen. Das Eiland war ungefähr eine Meile lang und dicht mit Dschungel bewachsen.

Nur langsam kam er in der Wildnis vorwärts, und seine Leute mußten dauernd das Dschungelmesser benützen, um einen Weg durch das Dickicht zu bahnen. Der Mond schien allerdings hell und erleichterte ihnen die Schwierigkeiten wenigstens etwas.

Bosambos Absichten waren mehr oder weniger ehrlich, aber er hatte durchaus nicht den Wunsch, sich mit einem Gefangenen zu belasten. Sein einziger Wunsch war es, die verborgenen Schätze zu finden, und zwar möglichst, ohne gezwungen zu sein, die drei Akasava-Brüder durch Foltern zum Sprechen zu bringen ...

Auch andere Besucher waren in der Nacht zur Insel gekommen.

Die drei Brüder hielten einen Rat ab. Sie waren in gedrückter Stimmung, denn bei Einbruch der Dunkelheit hatten sie eine Lokoli-Nachricht vernommen und dadurch erfahren, daß ein neuer Spion Sandis nach Norden reiste.

Einer der Brüder, der mit dem Häuptling eines kleinen Dorfes bekannt war, suchte diesen auf und erhielt die Bestätigung der Botschaft.

»Was du gehört hast, ist wahr, Shibiri«, sagte der kleine Häuptling, »denn mein eigener Bruder hat es mir gesagt. Dieser Spion wandert nur zur Nachtzeit und ist ein langer, dünner, verhungerter Mensch. Alle, die er in der Dunkelheit trifft, spricht er an und fragt sie nach Gold aus. Dabei erinnert er sie an die Geschichten, die unsere Väter auch erzählt haben. Manchmal fährt er mit seinem Kanu an Fischer heran und fragt, ob sie nicht wissen, wo Schätze im Boden verborgen sind.«

»O ko«, sagte der Akasava entsetzt, »ich glaube, Sandi hat Ohren, so lang wie ein Schwein!«

»Es ist auch merkwürdig, daß dieser Mann Sand von dem Ufer des großen Stromes nimmt und Wasser darüber gießt. Dabei murmelt er Worte in einer fremden Sprache. B'sambo von den Isisi hat ihn genau beobachtet. Er stand hinter einem Gebüsch in seiner Nähe. Auch erzählten die Leute, daß dieser Spion alle kleinen Inseln im Strom aufsucht, weil ihm N'dama von den Isisi gesagt hat, daß dort große Reichtümer verborgen sind.«

N'damas Bruder war eines Tages plötzlich verschwunden, und N'dama war deshalb plötzlich ein Feind der drei Brüder. Er hatte sich auch bei Sandi beschwert.

Als der Akasava all diese schlechten Nachrichten gehört hatte, ruderte er schnell zu seinen Brüdern zurück und berichtete, was er erfahren hatte.

»Wenn Sandi all das hört und obendrein noch auf der Insel der Schnellen Wasser nachgräbt, dann hängt er uns«, meinte der Älteste.

Die Insel barg noch manche Spuren ihrer früheren Tätigkeit, die man bei näherer Untersuchung unweigerlich finden mußte. Auch hatten die Drei viele Feinde, die sie verraten würden.

»Wir wollen B'laba und die Schätze mit uns nehmen und sie in den Feldern hinter unseren Hütten verbergen. B'laba darf uns nicht verraten.«

Bei Einbruch der Dunkelheit ruderten sie zu der Insel und befreiten den Gefangenen, ließen aber seine Hände gefesselt. Der jüngste Bruder wollte ihn töten, doch die beiden älteren hinderten ihn daran.

»Ein toter Mann kann nicht gehen, und es ist beschwerlich, ihn zu tragen«, sagten sie.

So kam B'laba lebendig zum Ufer und wurde in den Wald hinter den Hütten der Brüder gebracht. Nach einiger Zeit hörten die Weiber der Akasava einen unterdrückten Schrei aus dem Dschungel, aber sie kümmerten sich nicht weiter darum, da sie solche Laute schon oft genug gehört hatten.

Nach beendeter Arbeit kehrten die Drei auf die Insel zurück und gruben mit ihren Speerklingen die Säcke mit dem Silber aus. Das Salz hatten sie bereits für sich selbst verwendet.

Aber als sie den ersten Sack aus der Grube gehoben hatten, wurden sie in ihrer Beschäftigung gestört.

»O Mann, ich sehe dich!«

Der jüngste Bruder wollte nach einem Speer greifen, aber die beiden anderen packten ihn am Arm.

Das Mondlicht fiel hell auf die große, schlanke Gestalt des Fremden, dessen Oberkörper vollständig nackt war.

»Geht fort!« flüsterte er, und die Drei verschwanden lautlos im Gebüsch.

Bosambo, der sich vorsichtig durch das Dickicht heranarbeitete, hörte nicht einmal ihre Ruderschläge im Wasser. Aber als er durch die Dornbüsche zu der Lichtung kam, sah er einen Eingeborenen, der sich an einer Grube zu schaffen machte. Es mußte ein tiefes Loch sein, denn von Zeit zu Zeit verschwand der Mann bis zur Brust in der Erde, und wenn er wieder erschien, stöhnte er unter der schweren Last, die er auf den Boden neben die Grube warf. Es klang, als ob Silbermünzen zusammenstießen, und das war eine angenehme Musik in Bosambos Ohren.

Mit einem solchen Zwischenfall hatte der Häuptling der Ochori nicht gerechnet. Er hatte gehofft, daß der Gefangene am anderen Ende der Insel an einen Baum gebunden war, so daß er nicht sehen und hören konnte, was er selbst vorhatte. Bosambo wollte bei dieser Expedition auf keinen Fall erkannt werden.

Leise nahm er das Tuch, das er über die Schultern geworfen hatte, und winkte zwei seiner Begleiter heran. Behutsam schlichen die Leute vorwärts, und als der hagere, schwarze Mann wieder aus der Grube auftauchte, sprangen sie vor und wickelten das Tuch um seinen Kopf. Gleich darauf hatten sie ihn an Händen und Füßen gefesselt, obwohl er zuerst wild um sich schlug.

»O Mann«, sagte Bosambo leise, »wenn du Lärm machst, so schlage ich dich, und wenn du noch weiter mit Füßen trittst, dann muß ich dich mit meinem Speer töten.«

Diese Worte waren nötig, denn der Gefangene benahm sich, als ob er von Sinnen sei.

»Knotet das Tuch fest um seinen Kopf und tragt ihn in das Boot«, befahl Bosambo im Flüsterton.

Seine Begleiter nahmen die Säcke mit dem Silbergeld und gingen zum Kanu zurück.

Bosambo hatte nicht damit gerechnet, daß er einen Gefangenen an Bord nehmen mußte, und das Boot sank beinahe bis zum Rand ein, als er wieder nach Norden fuhr.

Sie erreichten die Stadt der Ochori eine Stunde vor Morgengrauen.

»Bringt den Mann in meine Hütte!« sagte er kurz.

Die Leute gehorchten und trugen ihn in die dunkle Behausung des Häuptlings. Bosambo traf alle Vorkehrungen, damit er nicht gesehen oder erkannt wurde.

»B'laba«, begann er leise und freundlich, »ich bin dein Freund. Ich habe dich vor der Frau gerettet, die dich auf der kleinen Insel an einen Baum binden ließ, und ich habe dich aus den Händen der drei Akasavabrüder befreit. Die Frau wird mir das niemals vergeben. Du darfst das Gesicht deines Freundes aber nicht sehen, damit du ihn nicht verraten kannst. Ich werde dich auf ein Boot setzen und dich im Fluß treiben lassen ...«

Während er sprach, löste er die Handfesseln des Mannes und machte eine sonderbare Entdeckung, als er dabei an das Handgelenk des Gefangenen stieß.

»O Bosambo!« sagte der Fremde plötzlich. Seine Stimme klang erschöpft und hohl. »Hierfür wirst du büßen müssen!«

Bosambo sank zwar vor Schrecken nicht zu Boden, aber er hielt sich doch auf seinem Lager fest.

»Du bist ein ganz nichtsnutziger Schlingel«, brüllte der Gefangene dann in Englisch. »Ich werde ...«

»Tibbetti!« stieß Bosambo auf arabisch hervor. »Bist du es wirklich?«

Er rief um Licht, und als seine Frau ihm eine Lampe brachte, starrte er entsetzt in die scharfen Züge des hageren Eingeborenen. Bosambo erkannte Bones sofort, obwohl sich dieser genügend entstellt und seine Haare mit Öl und Schmutz dunkel gefärbt hatte.

*

»Ich war natürlich furchtbar empört«, erklärte Bones, als er Hamilton und Sanders von dem Vorfall erzählte. »Dieser niederträchtige Bosambo sagte mir außerdem noch, daß er gehört habe, ich befände mich in Gefahr. Er behauptet, er hätte mich gegen meinen Willen gerettet. Aber das Merkwürdigste ist doch, daß ich in den Säcken kein Silber fand, wie ich vermutet hatte.«

»Hatten die Säcke überhaupt einen wertvollen Inhalt?« fragte Sanders trocken.

»Nein, das ist ja das Komische. Als ich sie aufmachte, waren sie gefüllt mit Muscheln, Messingstücken und anderem nutzlosem Zeug. – Die drei Shibiri habe ich gefangengenommen und mitgebracht. Bei dem Verhör gaben sie alle drei an, daß die Säcke Silber enthielten.«

»Und kein Silber war darin?« fragte Sanders lächelnd.

»Nein«, erwiderte Bones entrüstet.

»Können Sie mir sagen, wieviel Zeit zwischen den beiden Momenten lag, in denen Sie sich Bosambo zu erkennen gaben und die Säcke öffneten?« fragte Sanders interessiert weiter.

Leutnant Tibbetts runzelte die Stirne und dachte tief und angestrengt nach.

»Ungefähr eine Stunde.«

»Nun, dann hatte Bosambo Zeit genug, das Silber herauszunehmen«, sagten Sanders und Hamilton wie aus einem Munde.

Dann sah der Amtmann Bones nachdenklich an.

»Ich fürchte, Sie verstehen es doch nicht, sich zu verkleiden. Ich wurde nämlich von Ihrem Vorwärtskommen von Dorf zu Dorf laufend unterrichtet. Alle Leute haben Sie erkannt, aber sie waren höflich genug, zu erklären, daß Sie ein neuer Spion seien.«

»Was, die Leute hätten mich erkannt?« rief Bones ungläubig. »Aber meine liebe, alte Exzellenz, ich war doch dunkelbraun am ganzen Körper. Es wird wochenlang dauern, bis ich die Farbe wieder herunterwaschen kann –«

»Ja, Sie waren gut bemalt«, erwiderte Sanders. »Aber Sie haben einen Fehler gemacht. Eingeborene tragen nämlich keine Armbanduhren, wenn sie auf der Wanderung sind!«

Bones war mehr interessiert als erstaunt.

»Aber, zum Teufel, wie soll ich dann wissen, wieviel Uhr es ist?«


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