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VII
Die kostbaren Dinge

Als den größten nationalen Schatz priesen die Inneren N'gombi die zwei kostbaren Dinge. Sie wurden unter einem großen flachen Stein im Bett eines kleinen Flusses aufbewahrt. Der Fluß durfte nur klein sein, weil die N'gombi einen Widerwillen gegen Wasser haben.

Mit vollem Namen hießen die kostbaren Dinge die großen, schönen, langen, glänzenden, todbringenden Klingen. Aber nur die eingeweihten Zauberdoktoren und weise Männer, die der Zaubersprache kundig waren, nannten ihren vollen Titel. Bei dem gewöhnlichen Volk hießen sie K'sara-K'sara, »Die kostbaren Dinge«. Wenn man sie aus ihrem Versteck ausgegraben und zu Hinrichtungen benutzt hatte (was stets ohne Wissen und Einverständnis des Amtmanns Sanders geschah), wurden sie wieder gereinigt, blank gerieben, in einen vertieften Tonbehälter gelegt und in den Saft der Gummibäume gebettet. Dann goß man noch mehr Gummi darüber, bis sie schließlich in einem großen, roten Block verschwanden, und brachte sie wieder in das geheime Versteck.

Die Vereinigten Staaten schickten eine anthropologische Studienkommission nach Afrika, und sie kam auch in das Gebiet des Großen Stroms. Sie bestand aus drei Gelehrten in mittleren Jahren und von liebenswürdigem Charakter.

Die britische Regierung tat alles, um ihnen ihre Aufgabe zu erleichtern, und die Beamten hatten nicht die mindeste Absicht, ihnen etwas vorzuenthalten.

Leutnant Tibbetts begleitete die Kommission auf ihrer Fahrt durch das Land, und eines Abends kamen sie mit der »Zaire« zurück und hatten eine große Sammlung der verschiedensten Kuriositäten an Bord. Es waren Speere, Pfeile, Bogen, Waffen aller Art, Webereien von Eingeborenen, Töpferprodukte und Gebrauchsgegenstände. Am wertvollsten aber waren ihre wissenschaftlichen Aufzeichnungen über die Gesichtsmerkmale der einzelnen Stämme, die Schädelmessungen und die vielen fotografischen Aufnahmen.

Sanders gab der Kommission zu Ehren am Abend ein Essen. Es ging sehr fröhlich dabei zu, denn diese Wissenschaftler waren sehr natürliche Menschen und hörten gerne hübsche Geschichten und Späße. Einer von ihnen war ein Tenor und erfreute die Gesellschaft durch seine schöne Stimme.

Später saßen sie noch bei Whisky-Soda zusammen.

»Bones war einfach unbezahlbar«, sagte Dr. Wade, der Leiter der Expedition. »Seine Angaben waren natürlich wissenschaftlich nicht ganz korrekt, aber er besitzt eine ungeheuer lebhafte Phantasie! Er hat uns unterwegs ausgezeichnet unterhalten.«

»Aber seien Sie doch gerecht, mein lieber Vetter von jenseits des Großen Ozeans«, protestierte Leutnant Tibbetts. »Seien Sie fair, mein alter George Washington. Wer hat Ihnen das Dorf der kahlköpfigen Männer gezeigt? Wer hat Sie zu der Stelle geführt, wo das nette, alte, grüne Krokodil seine bösen Eier legt? Wer hat Sie unter Gefahr seines netten, alten Lebens in die dunkle, finstere Buschmannhöhle geführt, in der bis jetzt noch nie oder doch nur selten der Fuß eines weißen Mannes geweilt hat, mein verehrter, alter Professor?«

»Das haben Sie allerdings getan«, entgegnete Mr. Wade und blies große Rauchwolken zur Decke empor. »Aber Sie haben uns auch drei Tage lang einen unzugänglichen Waldpfand entlanggeführt, obwohl wir denselben Weg auf der ›Zaire‹ hätten zurücklegen können.«

Bones ließ sich nicht im mindesten einschüchtern.

»Dann hätten Sie eben das Land nicht so genau kennen gelernt, mein lieber, alter Anthropologe«, erwiderte er kühl.

»Und was Sie von dem grünen Krokodil erzählt haben, ist doch nur ein Märchen«, sagte Mr. Wade vorwurfsvoll. »Es gibt ja gar kein grünes Krokodil.« Ein flüchtiges Lächeln ging über sein Gesicht. »Sie haben drei Tage am Ufer gesessen und darauf gewartet, daß es aus den Fluten auftauchen sollte.«

»Mein verehrter Bruder in den Wissenschaften, ich habe das Ungeheuer aber mit eigenen Augen gesehen«, erklärte Bones feierlich.

Captain Hamilton grinste.

»Sie meinen doch, daß Sie dieses Monstrum von einem Krokodil gefangen haben und es zur Belustigung des Volkes grün anstreichen ließen?«

Bones zuckte nur mitleidig die Schultern.

»Leider hat uns eine seiner Informationen nicht ans Ziel gebracht«, fuhr Mr. Wade fort. »Wir haben die kostbaren Dinge im Land der Inneren N'gombi nicht zu sehen bekommen, und wir wollten doch so gerne wenigstens eins davon unseren Sammlungen einverleiben.«

Bones schloß die Augen und schüttelte geduldig den Kopf.

»Wenn Sie doch nur mir die Sache überlassen hätten, mein lieber, alter Onkel Sam. Mit meinem Takt hätte ich Ihnen alles verschafft, was Sie wollten.«

»Ich glaube, Bones bildet sich nur ein, daß die kostbaren Dinge existieren«, meinte Mr. Halliman Steel, der zweite Führer der Expedition.

Aber Sanders schüttelte den Kopf.

»Sehen Sie!« rief Bones triumphierend. »Meine Ehre ist gerettet und meine Wahrhaftigkeit über allen Zweifel erhaben. Meine liebe, alte Exzellenz, ich danke Ihnen.«

»Bones hat vollkommen recht«, erklärte der Amtmann und berührte nach der Art der Ochori die ausgestreckte Faust Bones' mit den Fingerspitzen. »Ich habe die kostbaren Dinge zwar noch nie gesehen, aber ich habe mir schon die größte Mühe gegeben, sie in meinen Besitz zu bekommen. Man läßt nicht gern zwei Henkersschwerter im Besitz des Volkes. Ich vermute, daß die Inneren N'gombi sie gelegentlich benutzen, um anderen Leuten die Köpfe abzuschneiden. Ich habe sie nie dabei überraschen können, aber ich hoffe, daß es mir eines Tages doch noch gelingt. Und ich verspreche Ihnen, ein solches Schwert nach Amerika zu schicken, wenn es in meine Hände fällt. Es sind sicher sehr interessante Waffen.«

Am nächsten Tage reiste die Expedition ab, und Bones begleitete die Herren noch zum Sitz des Generalgouverneurs der gesamten Kolonie.

Seine Exzellenz Sir Macalister Campbell hatte eine sehr schöne Tochter. Sie hieß Doran, und Bones war ihr Ritter und Sklave.

Sobald er die drei Gelehrten richtig abgeliefert hatte, machte er sich auf die Suche nach seiner Göttin, und er traf sie auch bald darauf, als sie vom Tennisplatz zurückkam.

»Es ist überflüssig, daß Sie laufen, und es ist absolut nicht in Ordnung, daß Sie nach mir rufen und brüllen«, sagte sie ernst. »Sie müssen daran denken, Bones, daß ich jetzt kein Kind mehr bin.«

Doran zählte beinahe achtzehn Jahre. Die beiden hatten sich sechs Monate lang nicht gesehen, und in diesem Alter machen sechs Monate sehr viel aus.

»Meine liebe, alte Miß Doran, Sie sind einfach wundervoll. Wenn ich Ihre netten, schönen Augen sehe ...« Bones war hingerissen und begeistert. Er trug ihr Racket und ihre Tennisschuhe, die er von Zeit zu Zeit auf den Boden niedersetzte.

Miß Doran war einige Zeit in England gewesen, und sie erzählte ihm gleich in den ersten Minuten, daß sie sich halb und halb mit einem schönen, reichen jungen Mann verlobt habe. Zwischendurch erinnerte sie ihn immer wieder daran, daß sie jetzt kein Kind mehr sei. Sie freue sich aber trotzdem sehr, ihren alten Freund wiederzusehen.

»Sie haben mich wohl schon ganz vergessen – ja, das ist die Treue der Männer!«

Bones legte nun auch das Racket auf die beiden Schuhe am Boden und gestikulierte heftig.

»Meine liebe, nette, gute, schöne Miß Doran, seien Sie doch nicht so hartherzig. Sie gehen auf ein halbes Jahr nach England, verloben sich mit einem alten Vampyr, und dann werfen Sie mir, dem armen, alten Bones, vor, daß er Ihnen nicht treu geblieben sei! Dabei sitze ich hier an der Küste des Meeres, starre über die weiten Wogen und denke nur an Sie. Immer weilten meine Gedanken bei Ihnen, bei Tag und bei Nacht und so weiter –«

»Also, Bones, schimpfen Sie mich nicht aus – ich bin eine Dame und kein Kind mehr!«

»Im Vergleich zu mir sind Sie ein treuloser Verräter!«

»Jetzt ist es aber genug«, erklärte sie eisig.

Später, beim Abendessen war sie wieder liebenswürdiger zu ihm, und während Sir Macalister die Amerikaner in die Geheimnisse des Dudelsackspiels einweihte, führte Bones das junge Mädchen auf die kühle, schattige Veranda. Aber in der Rede, die er ihr halten wollte, kam er nicht weit.

»Meine gute, liebe, schöne, alte Miß Doran«, begann er. »Ich bin nur ein rauher, sehr rauher, aber doch ein lieber, guter, alter Krieger. Rauh an Sprache –«

»Ja, Sie sind allerdings sehr rauh«, unterbrach sie ihn. »Sie müssen daran denken, Bones, daß ich –«

»Ich weiß schon, weiß schon, was Sie sagen wollen, meine liebe Miß. Aber ich wollte gerade –«

»Sagen Sie mir, Bones, was ist das eigentlich für eine Geschichte mit den kostbaren Dingen?« fragte sie plötzlich. »Oder haben Sie bei Tisch wieder nur dummes Zeug gefaselt?«

Bones schaute sie empört an.

»Ich fasele nie dummes Zeug, meine liebe, junge Exzellenz. Glauben Sie, ich brächte es fertig, Sie zu belügen?«

»Das glaube ich schon«, entgegnete sie prompt. »Aber jetzt im Ernst, Bones, existieren die kostbaren Dinge wirklich.«

»Natürlich!«

»Dann müssen Sie mir eins dieser Schwerter besorgen«, erklärte sie gelassen.

Ihre Worte benahmen ihm fast den Atem.

»Es ist nichts in der Welt, was ich nicht für Sie –«

»Sie erzählten doch dem netten Amerikaner bei Tisch, daß er die beiden Henkerschwerter jetzt in seinem Koffer haben könnte, wenn er die Sache Ihnen überlassen hätte.«

»Ich meinte nämlich –«

»Beschaffen Sie mir ein solches Hinrichtungsschwert.« Sie kräuselte die Lippen verächtlich. »Aber ich glaube, es war doch nur eine Flause!«

Bones erhob sich feierlich aus seinem Korbsessel und wurde plötzlich steif und förmlich.

»Das Henkerschwert wird noch vor dem vierzehnten nächsten Monats in Ihren Händen sein«, erwiderte er ernst. »Das mag bedeuten, meine liebe Miß Kieselherz, daß der arme, alte Bones wahrscheinlich nicht mehr unter den Lebenden weilen wird, um diese Trophäe in Ihre zarten, lieben, kleinen Hände zu legen. Er liegt dann vielleicht an einem gräßlichen Platz, und ein tödliches Fieber hat ihn gepackt, oder sein verstümmelter Leichnam –«

»Also, Bones, schicken Sie die Schwerter per Postpaket, und zwar eingeschrieben. Hören Sie?«

Bones verneigte sich leicht und würdevoll.

»Soll ich sie in weißes oder in blaues Papier einpacken?«

»Machen Sie keine Dummheiten, und vergessen Sie nicht, daß ich kein Kind –«

Bones lachte hart und beleidigend auf.

*

Er war kaum eine Woche nach Sanders' Residenz zurückgekehrt, als sich ihm plötzlich eine günstige Gelegenheit bot, sein Wort einzulösen.

B'firi, ein kleiner Häuptling der Inneren N'gombi, hatte Schwierigkeiten mit der dritten und jüngsten seiner Frauen. Sie war sehr ehrgeizig und hatte es schließlich so weit gebracht, daß sie von vier Männern geliebt wurde. Nach allgemeiner Ansicht der Leute vom Großen Strom galt sie als sehr schön. Nun unterhalten sich die Jäger gerne über solche Geschichten, wenn sie abends in den Tiefen des N'gombiwaldes bei ihren Kochtöpfen am Feuer sitzen. Und ebenso gern schwatzen die Weiber darüber, wenn sie zusammenstehen und klatschen.

Das Weib B'firis liebte am meisten einen Fischer aus dem Stamm der Akasava, der einsam und allein für sich an den Ufern des Großen Stroms lebte. Aber das war ein großer Fehler, denn die Akasava sind Fischesser, und alle anderen Leute verachten sie deshalb.

So kam es denn, daß eines Tages M'lini, die Frau B'firis, vor das Dorfgericht gerufen wurde. Mehrere Männer und Frauen traten als Zeugen gegen sie auf und erklärten, was sie von ihr gesehen und gehört hätten. Das Palaver dauerte die ganze Nacht hindurch, und ein Fremder führte den Vorsitz. Obwohl er sein Gesicht hinter einer kunstvoll geschnitzten, greulichen Holzmaske verbarg, wußten doch alle Leute, daß es B'mingo B'guri war, der Oberhäuptling der Inneren N'gombi. Er fällte das Urteil, und die Hüter der kostbaren Dinge brachten ihren Schatz wieder ans Tageslicht. Der Gummi wurde abgerieben, und die Waffen erstrahlten in ihrer alten, glänzenden Schönheit ...

Und dann war M'lini nicht mehr. Auch der einsame Akasavafischer verschwand aus seiner Hütte. Sie begruben die beiden mit den Füßen aneinander, reinigten die Henkerschwerter, rieben sie blank und schlossen sie wieder in Gummisaft ein. Dann brachten sie die Waffen in das alte Versteck.

Sanders erreichten vage Gerüchte über diese Ereignisse, und er schickte Bones mit zehn Haussas zu den Inneren N'gombis, um der Sache auf den Grund zu gehen.

»Seit acht Jahren hat man nichts mehr von den kostbaren Dingen gehört«, sagte Sanders, als der junge Offizier aufbrach. »Versuchen Sie, wenn es irgend möglich ist, in den Besitz der Schwerter zu kommen und bringen Sie sie mit zur Residenz. Wenn B'firi in die Sache verwickelt ist, dann hängen Sie ihn, aber nur, wenn seine Schuld einwandfrei erwiesen ist. Vor allem aber sind die Waffen wichtig. Eine möchte ich den amerikanischen Gelehrten schicken.«

Und Bones wußte, an welche Adresse er das andere Schwert zu senden hatte.

Drei Wochen streifte er durch die Wälder der Inneren N'gombi, hielt überall Palaver ab und fragte die Häuptlinge und Dorfältesten aus. Er fuhr zu der einsamen Hütte des Akasavafischers, grub in der Umgebung und an anderen Plätzen nach, aber er konnte keine Beweise beibringen, daß ein Verbrechen begangen worden war.

»O mein Herr Tibbetti, es ist wahr, daß mich meine Frau heimlich und böswillig verlassen hat«, sagte B'firi. »Es war in einer dunklen Nacht, als der Fluß viel Wasser hatte und der Mond nicht groß war. Sie lief mit einem Akasava, einem Fischesser, davon. Seine Hütte steht zwei Stunden weiter den Strom aufwärts ...«

Es ist leider eine unbestreitbare Tatsache, daß selbst in den düsteren N'gombiwäldern die Frauen ihren Ehemännern davonlaufen. Sie gleichen hierin in gewisser Weise ihren europäischen Schwestern, und als Gefährten suchen sie sich die unmöglichsten Leute aus. Wer könnte den Irrwegen eines Frauengehirns folgen, ganz gleich, ob es der weißen oder der braunen Rasse angehört? Die halbnackten Weiber eines kleinen Häuptlings der N'gombi sind in ihren Launen ebenso unberechenbar wie die vornehmen Damen der europäischen Gesellschaft.

Bei den Akasava lebten drei Brüder, die einander sehr zugetan waren. In jungen Tagen hatten sie die Hände ineinandergelegt und sich bei Salz, bei Ziegen und bei Weibern geschworen, daß sie sich im Leben stets beistehen und jedes Unrecht ahnden wollten, das einem von ihnen angetan wurde. Und obwohl sie sich später trennten und an verschiedenen Orten des Landes wohnten, hielten sie ihren Eid doch. Einer von ihnen war nun der Akasavafischer, der mit M'lini zusammen hingerichtet worden war. Und während sich Bones in den N'gombiwäldern aufhielt, besuchte der eine der beiden Brüder den ältesten.

»N'kema ist tot, weil er das jüngste Weib des B'firi geliebt hat«, sagte er. »Die N'gombi haben die kostbaren Dinge ausgegraben und ihnen damit den Kopf abgeschlagen.«

»Das ist ein böses Palaver«, erwiderte M'laka. »Diese geheimen Schwerter scheinen große Zauberkraft zu besitzen. Und am Strom auf und ab erzählt man sich, daß die Männer, die andere mit diesen Schwertern töten, nur durch die kostbaren Dinge selbst ums Leben kommen können. Wir wollen in die N'gombiwälder gehen und die Leute ausfragen.«

»Es ist möglich, daß man auch uns tötet«, meinte der jüngere Bruder.

»Tibbetti ist in der Gegend, er sucht gleichfalls nach den Schwertern. Sie werden jetzt nicht wagen, uns etwas zu tun, denn sie haben zu große Angst vor Tibbetti.«

Die beiden rieben ihre Speerklingen mit Flußsand glänzend und schärften sie dann. Danach fuhren sie in einem Boot den Strom hinunter und landeten an der Spitze des N'gombiwaldes, wo sie ihre Nachforschungen begannen. Einmal übernachteten sie sogar in demselben Dorf wie Bones, aber er erfuhr nichts von ihrer Anwesenheit.

Eine Woche nach seiner Abreise machte M'laka eine Entdeckung.

»Der Hüter der kostbaren Dinge ist B'firi selbst«, sagte er ernst und bedeutsam.

Die beiden Brüder saßen an einem kleinen Feuer und brieten einen Affen.

»Bestimmt war es B'firi, der unserem Bruder den Kopf abschlug«, fuhr M'laka fort. »Ich glaube, daß es uns gelingen wird, ihn zum Sprechen zu bringen und uns das Geheimnis zu verraten, wo die beiden Henkerschwerter verborgen sind. Öfters geht er auf die Affenjagd, manchmal sogar ganz allein. Er ist allerdings sehr gewandt mit seinem Speer. Aber können wir nicht auch unsere Waffen gebrauchen, und sind wir nicht geschickt im Speeren von Fischen? Nun gut, wir wollen einen Fisch aus ihm machen, aber erst wenn wir wissen, wo die kostbaren Dinge verborgen sind.«

Eine Woche lang versteckten sie sich in der Nähe von B'firis Dorf und lebten in Erdlöchern, so daß niemand sie sehen konnte. Am achten Tage beobachteten sie, daß B'firi allein in den Wald ging. Eine Meile lang folgten sie seiner Spur, und als er sich einmal niederbeugte, um einen Pfeil aus einem Affen zu ziehen, den er eben erlegt hatte, sprangen sie auf ihn zu. Schnell wandte sich B'firi um und wehrte sich. Sein breiter Speer traf den jüngeren Bruder, der zu Boden stürzte. Aber M'laka packte den Feind und schlug ihn nieder, so daß der Häuptling die Besinnung verlor.

»Ich bin tot«, sagte der jüngere Bruder, und er lebte auch nur noch eine Viertelstunde.

M'laka fesselte und knebelte B'firi, der hilflos auf dem Boden lag und zusah, wie M'laka seinen Bruder beerdigte. Der Akasava schwieg, bis er seinen Gefangenen zum Flußufer gebracht hatte.

»Ich kann dich nicht töten, weil du magische Kräfte besitzt«, sagte er dann.

»Das ist wahr«, entgegnete B'firi. »Nur die kostbaren Dinge können einen Geist aus mir machen, und wenn du versuchst, mich mit deinem Speer zu durchbohren, so wirst du in einen Fisch verwandelt.«

»Das weiß ich wohl. Nun sollst du mir aber sagen, wo du die kostbaren Dinge verbirgst.«

B'firi grinste verächtlich und zeigte die Zähne. Aber er riß den Mund noch weiter auf, als M'laka später ein Feuer anzündete und ihm die Füße ansengte.

»Die beiden Henkerschwerter liegen unter einem Stein in der Nähe der drei Zähne M'shimba-M'shambas«, stieß er keuchend hervor.

M'laka ging allein zu der Stelle, da sein Feind seine Füße nicht gebrauchen konnte. In der Nähe von drei grauen Baumstümpfen, die vom Blitz zerschmettert waren, fand er den großen, flachen Stein in einem seichten Fluß und entdeckte die Schwerter. Er nahm sie und kehrte zu B'firi zurück.

»Wenn du mich tötest, wird dich Sandi an einem hohen Baum aufhängen«, rief B'firi. »Aber wenn du ihm die Schwerter bringst, gibt er dir eine große Belohnung.«

»Wenn ich hängen soll, stirbst du vorher, und welche größere Belohnung könnte mir Sandi geben, als daß er mir das Leben schenkt?« fragte M'laka und stieß ihm das Schwert in die Kehle.

Bones erreichte die Residenz. Er war zwar traurig, daß er die Schwerter nicht gefunden hatte, aber er wagte immer. noch, zu hoffen. Sein Bericht befriedigte den Amtmann. Er hatte nicht erwartet, daß die Sache so leicht aufgeklärt werden könnte. Aber würde sich Miß Doran Campbell auch so leicht zufrieden geben? Bones fand bei seiner Ankunft einen Brief von ihr vor, und als er ihn las, runzelte er die Stirne.

»Mein lieber Bones,

haben Sie denn Ihr Versprechen ganz und gar vergessen? Sind Sie auch ein Mann, der sich sagt: Aus den Augen, aus dem Sinn? Ich habe jedenfalls nicht vergessen, was Sie mir versprochen haben. Und denken Sie daran, daß ich kein Kind mehr bin. Ein Versprechen ist ein Versprechen. Ich habe die beiden Schwerter einem Freund in Schottland versprochen – Sie dürfen mich unter keinen Umständen im Stich lassen.«

Bones seufzte schwer und verwünschte die Gesprächigkeit des Dr. Wade. Er hatte gerade einen Brief an Miß Doran begonnen, als S. M. S. Tiny auf der Reede vor der Mündung des Großen Stroms Anker warf. Es war ein häßliches, kleines Schiff, und alle wunderten sich, daß es sich aufs hohe Meer hinausgewagt hatte, da es gewöhnlich nur Patrouillenfahrten auf den Flüssen einer anderen englischen Kolonie machte, um den Handel mit Alkohol zu unterbinden. Der Dampfer befand sich auf dem Weg zu einem anderen Territorium, wo er dringend benötigt wurde. Unterwegs hatte sich ein Schaden am Kessel gezeigt, und so war der Kapitän gezwungen, in die Bucht am Großen Strom einzulaufen, um dort die Reparatur vorzunehmen. Die Besatzung bestand hauptsächlich aus Krunegern, aber es waren auch fünf weiße Offiziere an Bord.

Eine Woche lang ging es in der Residenz hoch her, und einen Tag vor der Abfahrt des Dampfers begab sich Bones an Bord, wo man ihn zum Essen eingeladen hatte. Daran schloß sich eine allgemeine Besichtigung.

»Es gibt kein schöner und bequemer eingerichtetes Schiff«, sagte der Kapitän mit geradezu kindischem Stolz.

»Aber mein lieber, alter Marineoffizier, das verstehe ich nicht«, sagte Bones und machte ein paar verächtliche Bemerkungen über den Dampfer.

»Die ›Tiny‹ läuft neun Knoten in der Stunde«, entgegnete der Kapitän gereizt.

»Sind Sie schon einmal an Bord der ›Zaire‹ gewesen, mein lieber, alter Seemann?«

»An Bord der ›Zaire‹ – meinen Sie vielleicht das Ruderboot mit den beiden kleinen Schornsteinen?«

Bones war wütend.

»Die ›Zaire‹ läuft zwölf Knoten die Stunde, und wenn ich sie fahre, sogar vierzehn!«

»Schneiden Sie bloß nicht gar zu sehr auf!«

Unter gewöhnlichen Umständen hätten sich die beiden jetzt verabschiedet, aber die Unterhaltung fand in dem Kesselraum statt, und Bones' Blick fiel zufällig auf ein Bündel merkwürdig geformter Instrumente. Sie hatten hölzerne Griffe und lange, geschwungene Klingen. Man hätte sie auch für Sägen halten können. Bones nahm eins in die Hand und betrachtete es neugierig.

»Das ist ein Kesselmesser«, erklärte der Kapitän. »Wir brauchen sie, um den Kesselstein zu entfernen. Für die ›Zaire‹ sind sie natürlich viel zu groß, da genügt ja ein Taschenmesser.«

Bones fiel plötzlich das Versprechen ein, das er Miß Doran gegeben hatte. So malerisch grausame Klingen hatte er in der ganzen Kolonie noch nicht gesehen.

»Mein lieber, alter Nelson«, sagte er aufgeregt, »vergessen Sie alles, was ich gegen Ihr häßliches Schiff gesagt habe. Nehmen Sie meine Entschuldigung entgegen. Aber sagen Sie einmal, könnten Sie mir nicht ein paar von diesen alten Kratzmessern geben?«

»Nehmen Sie das ganze Paket mit«, erwiderte der Kapitän großzügig. Er hatte ja nicht dafür zu zahlen.

Bones hatte zwei schrecklich aussehende Waffen unter dem Arm, als er an Land ging. Er brachte den Abend in seiner Hütte zu, machte die blankgeputzten Klingen durch Säure alt und rostig und bemalte die hölzernen Griffe mit roter, grüner und gelber Farbe.

Der Postdampfer, der die Generalverwaltung der Kolonie eine Woche später erreichte, brachte Miß Doran ein längliches Paket, das von einem Brief begleitet war.

»Meine liebe, junge Miß Doran, Exzellenz!

Denken Sie, ich habe die kostbaren Dinge gefunden. Es war allerdings eine schrecklich gefährliche Sache, und ich will Ihnen nicht erzählen, welche furchtbaren Abenteuer ich bestehen mußte, bevor ich in ihren Besitz kam. Ich will schweigen von den grausamen Gefahren, die mich auf meiner Expedition umgaben. Nein, es ist nicht die Sache des alten Bones, in die Posaune des Ruhms zu stoßen. Was liegt mir an den Gefahren ...«

So ging es noch einige Seiten weiter.

»Das ist ja großartig«, rief Miß Doran Campbell, als sie mit ehrfürchtigem Schaudern die greulich aussehenden Waffen in der Hand hielt.

Die Sache hätte eigentlich mit dem überschwenglichen Dankbrief der jungen Dame enden können, den Bones einige Wochen lang auf dem Herzen trug. Oder sie hätte auch mit dem Dankbrief enden können, den ein begeisterter Sammler in Schottland nach dem Empfang der beiden Kesselmesser an Miß Doran richtete. Die beiden schrecklichen Schwerter lagen nun in einem Museumsglasschrank, und auf einem Schild darunter stand groß und deutlich: »Henkerschwerter der Inneren N'gombi. Große Seltenheit.«

Unglücklicherweise besaß dieser Sammler aber den Ehrgeiz, über die Klingen zu schreiben. Zunächst erschien ein Artikel in einer dortigen Zeitung. Ein Leser dieses Blattes hatte einen Sohn, der bei einer großen New Yorker Zeitung angestellt war. Der Vater schickte ihm die Nummer der Sonntagsausgabe, in der die beiden afrikanischen Henkerschwerter in einer ganzseitigen Abbildung wiedergegeben wurden; auch eine Karte des afrikanischen Kolonialgebietes war beigefügt.

Bald darauf erschien in der New Yorker Zeitung ein Artikel unter der Überschrift:

»Was die Anthropologische Kommission der Vereinigten Staaten in Afrika nicht gesammelt hat! Geheimnisvolle Zauber- und Henkerschwerter kommen in ein schottisches Provinzialmuseum!«

Dr. Wade, der Leiter jener Expedition, war natürlich darüber sehr aufgebracht. Er schrieb in einer wissenschaftlichen Zeitung eine lange Entgegnung und wies darin nach, wie sehr er nach diesen Henkerschwertern gesucht hatte. Diese Erwiderung zog weitere Kreise, und ein Chicagoer Blatt brachte einen großen Artikel:

»Die amerikanische wissenschaftliche Expedition von englischen Beamten hinters Licht geführt ...«

Ein Staatssekretär schrieb daraufhin dem englischen Botschafter einen Privatbrief, in dem es hieß:

»Es ist wirklich sehr peinlich, daß das passiert ist. Wade sagte mir, er habe alle Anstrengungen gemacht, die Schwerter zu bekommen, und allem Anschein nach sei es auch möglich gewesen. In der Tat müssen Mr. Sanders oder Sir Macalister Campbell damals im Besitz der Waffen gewesen sein. Bitte, tun Sie das Ihre, um diese unangenehme Angelegenheit aufzuklären ...«

Im weiteren Verlauf der Dinge schickte der englische Botschafter ein Telegramm nach London. Aber bevor man darauf antworten konnte, wurde die Sache durch ein Parlamentsmitglied vor das Unterhaus gebracht. Der Herr hatte seine Informationen den heftigen Schmähartikeln der amerikanischen Presse entnommen.

Er fragte den Staatssekretär des Äußeren, ob ihm ein Artikel des »Daily Megaphone« bekannt sei, in dem von der Unhöflichkeit englischer Beamter einer wissenschaftlichen Expedition gegenüber gesprochen wurde. Sir John Fenny erwiderte, daß die Sache noch nicht zu seiner Kenntnis gekommen sei, daß er aber die nötigen Nachforschungen anstellen würde. Noch am selben Abend ging ein langes Telegramm an Sir Macalister Campbell ab.

Der Generalgouverneur hatte noch keine Zeit gehabt, darauf zu erwidern, als bereits zwei Londoner Zeitungen, die der Regierung feindlich gegenüberstanden, die Angelegenheit aufgriffen und sich auf Seiten der englischen Beamten stellten.

»Wir wünschen allerdings, daß wissenschaftliche Forschungen in jeder Weise unterstützt werden«, schrieb die »Daily Post«. »Auch wünschen wir, daß man amerikanischen Gelehrten auf ihren Expeditionen jede Hilfe erweist, die nur möglich ist. Aber haben wir nicht trotzdem die Pflicht, zuerst an uns selbst zu denken? Jährlich zahlen wir große Summen an die Vereinigten Staaten, um unsere Schulden abzutragen. Wir können nicht verstehen, daß die Zeitungen in Amerika sich darüber aufregen, daß wir Museumsstücke von großem Wert für uns behalten, besonders wenn sie in englischen Kolonien gefunden worden sind!«

*

Sanders saß mit seinen beiden Offizieren auf der Veranda. Bones streckte sich in einem langen Liegestuhl aus und beobachtete vier Haussasoldaten, die unter der Aufsicht eines Unteroffiziers nachexerzierten.

»Es ist doch merkwürdig mit mir, mein lieber, alter Ham«, sagte er selbstzufrieden. »Wo ich auch hinkomme, überall bin ich sofort populär und der Liebling aller Leute. Und das scheint ganz von selbst zu kommen, ohne daß ich etwas dazu tue.«

»Haben Sie schon einmal einen Clown gekannt, der nicht beliebt war?«

Bones lächelte milde.

»Ich bin gerade nicht so sehr mit den netten, alten Zirkusspaßmachern vertraut, mein lieber Ham, daß ich darüber urteilen könnte. Aber es ist doch sonderbar, daß vom Generalgouverneur bis herab zu Ihnen –«

»Bilden Sie sich nur nicht ein, daß ich Sie leiden mag! Diese Illusion muß ich Ihnen allerdings nehmen.«

»Aber sehen Sie doch die nette, alte Exzellenz Campbell, dann seine Tochter Doran, unsere liebe, alte Exzellenz hier – ist das Telegramm für mich?« fragte er und ging dem Telegrafisten rasch entgegen.

»Nein, Massah, für den Amtmann.«

Sanders öffnete es seufzend. Es war eine sehr lange Depesche, und sein Gesicht wurde länger und länger.

»Unangenehm?« fragte der Captain.

»Sicher wieder neue Arbeit für den armen, alten Bones«, murmelte Leutnant Tibbetts. »Aber es ist doch wirklich eine merkwürdige Sache mit mir –«

»Es ist alles merkwürdig mit Ihnen«, fuhr ihn Hamilton an.

»Ich verstehe nicht, was das alles bedeuten soll«, sagte Sanders plötzlich. »Hören Sie einmal zu:

›Sehr dringend. Sofort Bericht einsenden, wie N'gombi-Henkerschwerter in Ihren Besitz kamen, ferner, ob sie schon in Ihrem Besitz waren, als die amerikanische wissenschaftliche Expedition in Ihrem Gebiet weilte. Vor allem nähere Umstände angeben, wie die Waffen entdeckt wurden. Leutnant Tibbetts soll Spezialbericht einreichen über den Namen des Dorfes, den Hüter und andere Einzelheiten. Regierung verlangt unverzüglich Drahtantwort.‹

Henkerschwerter?« fragte Sanders. »Sie meinen wahrscheinlich die ›kostbaren Dinge‹. Aber Bones, Sie haben sie doch gar nicht gefunden!«

Bones zwinkerte mit den Augen und wußte nicht, was er sagen sollte.

»Tatsächlich, meine liebe alte Exzellenz –« begann er heiser.

»Haben Sie die Schwerter gefunden oder nicht?« fragte Hamilton kurz.

»Tatsache ist, mein lieber, alter Vorgesetzter –«

»Bones, Sie sind ein entsetzlicher Mensch!«

»Mein lieber, alter Kriegskamerad, kann man mich tadeln?« fragte Bones schnell und mit fast tränenerstickter Stimme. »Denken Sie, daß ich eine nette, alte, junge Miß ... ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, alter Offizier ... ich versprach ihr doch, mein lieber, alter Ham ... ich mußte doch als Gentleman handeln ... denken Sie, eine Lady ... meine Ehre stand auf dem Spiel!«

»Schön, alles zugegeben. Aber was haben Sie denn der jungen Dame geschrieben? Haben Sie ihr etwa Flausen vorgemacht?« fragte Hamilton ernst.

Sanders achtete nicht mehr auf die beiden, denn er sah einen Eingeborenen näherkommen. Der Mann trug ein langes Bündel in seinen Armen und wurde von dem Sergeanten Abibu über den Exerzierplatz zur Veranda geführt.

»Ich sehe dich, Sandi«, sagte der Fremde mit lauter Stimme. »Ich bin M'laka aus dem Stamm der Akasava, und ich habe viele Tage lang in meinem kleinen Boot gesessen und gerudert, um dir ein wunderbares Geschenk zu bringen, nach dem dein Sohn Tibbetti lange vergeblich gesucht hat.«

Er faltete das grobe Eingeborenentuch auseinander und überreichte dem Gouverneur zwei längliche Schwerter von merkwürdiger Form.

»Dies, o Herr, ist der Zauber der Inneren N'gombi, denn ich habe die ›kostbaren Dinge‹ gefunden, mit denen mein Bruder erschlagen wurde.«

Sanders sah auf die unheimlich scharfen Klingen nieder, die mit vielen sonderbaren Ornamenten und Zeichnungen bedeckt waren. Eins der Schwerter zeigte braune Flecken, die vom Blut des Häuptlings B'firi herrührten ...


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