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VI
Der Kanal

Ein wunderbarer Frühlingstag lag über der Residenz. Eine frische, kühle Brise wehte vom Meer herüber, die Palmen wiegten sich im Winde hin und her, und ein leichter Staub wirbelte an den Ecken der Haussahütte auf.

Leutnant Tibbetts stand vor den Unteroffizieren der Kompanie. Er hielt ein Buch in der Hand und hatte das Monokel ins Auge geklemmt. Er war dienstlich beschäftigt, denn er trug einen Tropenhelm und einen Säbel.

Sanders stand neben Hamilton am Geländer der Veranda und schaute zu ihm hinüber.

»Was ist denn eigentlich dort los?« fragte er.

»Er hält Instruktionsstunde ab«, meinte der Captain und lächelte ironisch. »Ich wette, die Leute wissen nicht, worauf er hinauswill, und er selbst weiß es wahrscheinlich am allerwenigsten. Da können sie sich wenigstens gegenseitig nichts vorwerfen.«

Bones unterrichtete tatsächlich über »Pionierwesen im Felde.«

»Er weiß nur sehr wenig davon«, bemerkte Hamilton mit düsterer Genugtuung.

Gleich darauf ließ Bones die Leute abtreten und schritt erhobenen Hauptes zu seiner Hütte, um Säbel und Riemenzeug abzulegen.

Einer der Unteroffiziere, die an der Instruktionsstunde teilgenommen hatten, kam in der Nähe der Veranda vorbei, und Hamilton winkte ihn zu sich heran.

»Sage mir, Korporal, welches Wunder hat euch Tibbetti heute erzählt?« fragte er.

Der Mann grinste etwas verlegen und trat von einem Fuß auf den anderen.

»O Herr«, sagte er schließlich, »er hat von einem großen Kanal gesprochen, der in diesem Lande gegraben wurde. Der Kanal war so groß, daß Schiffe von einer Welt zur anderen fahren konnten. Aber wir wußten, daß es ein Scherz war, und deshalb paßten wir nicht genau auf.«

Hamilton nickte.

»Hat er sonst noch etwas erzählt?«

Die dunklen Gesichtszüge des Mannes strahlten.

»Mein Herr Tibbetti hat auch noch von Löchern gesprochen, die wir in die Erde graben, und in denen sich die Haussa-Soldaten verbergen können, damit die Kugeln der Feinde sie nicht treffen. Aber Sergeant Mahmet Ibn Hassan fragte ihn, wie das im Eburi-Land gemacht werden könnte, wo das ganze Gebiet sumpfig und feucht ist, und wo man schon nach einem Spatenstich auf Wasser stößt. Mein Herr Tibbetti wurde aber sehr böse und schalt den Sergeanten aus. Und so wußten wir, daß er auch das nur zum Spaß gesagt hat.«

Als der Mann gegangen war, steckte sich Hamilton eine Zigarre an.

»Ich möchte nur wissen, was der Suez-Kanal mit Pionierdienst im Felde zu tun hat!«

In diesem Augenblick erschien Bones. Er hatte ein Buch und mehrere Papiere unter dem Arm und machte ein sehr ernstes Gesicht.

»Befehl ausgeführt, Instruktionsstunde abgehalten«, meldete er und grüßte militärisch. Als er aber eine Wendung linksum machte, fielen das Buch und die Papiere zu Boden, und er mußte hinter ihnen herjagen, da der Wind mit ihnen spielte.

»Was hat denn nur der Suez-Kanal mit Ihrer Instruktionsstunde zu tun?« erkundigte sich Hamilton.

Bones zuckte die Schultern.

»Mein lieber, alter Kamerad und Vorgesetzter, ich gebe wohl zu, daß das mehr zur Taktik gehört. Morgen halte ich eine Instruktionsstunde über dieses Fach ab. Den Suez-Kanal habe ich nur heute schon vorausgenommen.«

Hamilton nahm das Buch auf. Es war nicht eins der berühmten Bonesschen Lehrbücher, wie er erwartet hatte, sondern wirklich ein Instruktionsbuch, das vom Kriegsministerium herausgegeben worden war.

»Aber mein lieber Kommandeur, ich habe die Geschichte mit dem Suez-Kanal wirklich vollkommen ernst gemeint. Ich habe doch gelesen, was der alte Lipstick fertiggebracht hat –«

»Wen meinen Sie?« fragte Sanders.

»Mr. Lipstick, den netten, alten Knaben, der den Suez-Kanal gebaut hat –«

»Sie meinen Lesseps. Es ist doch entsetzlich, daß Sie keinen Namen behalten können«, brummte Hamilton.

»Namen vergehen wie die Spreu vor dem Winde, mein lieber, alter Ham«, erwiderte Bones liebenswürdig. »Aber der Name des alten Lipstick lebt durch seine Taten fort. Noch nach Jahrhunderten wird sein Kanal Meere und Völker miteinander verbinden. Das ist das größte Denkmal, das er sich selbst schuf.«

Später am Tage kam eine Gesandtschaft aus einer Kolonie von Ausgestoßenen, die im Westen von Eburi lebten und schwere Anklagen vorzubringen hatten. Ihr Sprecher war ein alter Mann, der etwas verwahrlost aussah. Er sprach abwechselnd kühn und unterwürfig. Er hieß K'saga und war ein notorischer Dieb, der ein Dorf von Ausgestoßenen beherrschte. Es gab mehrere solcher Orte in der Nähe des Großen Stromes, wo Männer und Weiber wohnten, die von ihren Stammesgenossen geflohen waren, weil sie die Gerichtsbarkeit zu fürchten hatten.

K'saga erzählte von gestohlenen Ziegen und gestohlenen Weibern – aber die Ziegen waren ihm entschieden wichtiger. Die Eburi sollten die Schandtaten vollbracht haben. Sanders ließ ihn ruhig aussprechen, bevor er antwortete.

»O K'saga«, sagte er dann, »ich weiß nicht, wer schlechter ist – die Leute von Eburi oder du und die Ausgestoßenen, die in deinem Dorfe leben. Aber ich mache dir einen Vorschlag. Ich werde dich und deine Leute in einem guten Landstrich ansiedeln, wo ihnen niemand etwas stehlen kann. Ich werde meine Hand über euch halten und euch beschützen, und eure Missetaten sollen ausgelöscht sein vor meinem Angesicht, so daß euch niemand ein Leid zufügen darf, weder ein Mann, dem ihr ein Weib gestohlen habt, noch ein Krieger, der den Tod seines Bruders rächen will.«

Aber K'saga lehnte die Hilfe des Amtmanns ab. Er hatte selbst zwei Vettern erschlagen und zog sein elendes Dorf der schönsten Stadt vor, in der er schlecht schlafen und beim geringsten Geräusch in die Höhe fahren würde.

»O Herr, diese Eburi sind schreckliche Teufel, und sie sagen böse Dinge über dich. Was wird erst geschehen, wenn ihr alter Häuptling stirbt und eine Frau zur Herrschaft kommt?«

»Das ist meine Sache«, erklärte Sanders kurz, hob das Palaver auf und versprach, die Beschwerden K'sagas zu prüfen.

Der alte Häuptling der Eburi war schon zu seinen Vätern versammelt, obwohl Sanders noch nichts davon wußte, und es war ihm tatsächlich eine Frau in der Herrschaft gefolgt. Sanders erfuhr davon, als er den Fluß hinaufreiste.

Keinem Teil seines Gebietes näherte er sich vorsichtiger als dem Land der Eburi, die man am Großen Strom mit den verschiedensten Namen belegte. Die Akasava sprachen von ihnen als von den »Unerreichbaren«, die N'gombi bezeichneten sie als »die Leute mit dem hochmütigen Gesicht«, was soviel wie »die Unverschämten« bedeutete. Sie zahlten nur ab und zu Steuer, wenn es ihnen beliebte, und auch an den großen, allgemeinen Palavern aller Stämme nahmen sie nur manchmal teil. Sie raubten und stahlen und konnten sich auch in den Sümpfen mit einer Geschwindigkeit bewegen, daß das Gerücht ging, sie hätten Schwimmhäute an den Füßen.

Ob und wieviel von K'sagas Geschichte der Wahrheit entsprach, mußte Sanders durch eigene Erkundungen feststellen. Er hatte auch gehört, daß die Leute im Dorf der Ausgestoßenen Frauen schlachteten. Der Kannibalismus war sehr schwer auszurotten und wurde von den Leuten im geheimen doch immer wieder getrieben. Und die Klagen K'sagas, daß Frauen aus seinem Dorf gestohlen worden seien, konnte auch eine andere, ernstere und schrecklichere Bedeutung haben. Vielleicht wollte er sich dadurch ein Alibi für seine Untaten verschaffen.

Mit dieser Vermutung hatte Sanders nicht ganz unrecht, denn die neue Königin der Eburi war zu sehr mit ihren eigenen Angelegenheiten beschäftigt, als daß sie sich um ihre elenden Nachbarn gekümmert hätte.

Als I'safi-M'lo'bini wußte, daß ihr die Herrschaft über die Eburi sicher war, feierte sie diesen Anlaß dadurch, daß sie zum Christentum übertrat, und zwar wählte sie den römisch-katholischen Glauben. Der Priester, der sie taufte, hatte seine wohlbegründeten Zweifel, aber trotzdem gab er ihr den Namen Teresa. Er glaubte nicht an ihre Aufrichtigkeit, denn er kannte diese Frau zu gut. Bald genug stellte sich heraus, daß er recht hatte, denn kurz nach ihrer Bekehrung hielt sie einen großen Tanz zu Ehren des Mondes ab und ließ dabei die sieben Frauen ihres Vaters auspeitschen.

Der Franziskanerpater Martin kam in Kutte und Tropenhelm an Bord der »Zaire« und trank Tee bei Sanders. Er strich bedenklich seinen langen Bart und rauchte eine Pfeife, während er dem Amtmann mitteilte, was er über die merkwürdige Frau wußte.

»Ich hätte viel lieber gesehen, daß sie zu den Baptisten gegangen wäre«, sagte er düster. »Sie ist in einer Missionsschule erzogen worden und spricht Englisch. Und das verdirbt den Charakter der Eingeborenen. Sie kann sogar ein wenig Harmonium spielen. Aber ich weiß, daß sie nur Teufeleien in ihrem Wollkopf hat. Neulich kam ich dazu, wie sie ein Muttergottesbild dazu benützte, um einen ihrer Lieblingstänzer von Leibschmerzen zu heilen. Ich war so erbittert, daß ich sie beinahe verprügelt hätte.«

Sanders lächelte nachsichtig.

Wie Teresa die Herrschaft über das Eburi-Volk erlangte, ist bald erklärt. Der Stamm hält zäh an seinen alten Traditionen fest, und wenn kein männlicher Erbe vorhanden ist, so wird die siebente Tochter des siebenten Sohnes zur Königin gewählt.

»Sie wird sich mit der Zeit schon beruhigen und bessere Sitten annehmen«, meinte Sanders.

Aber vorsichtshalber sandte er doch einen Boten und ließ die neue Königin zu sich entbieten.

Zwischen dem Land der Eburi und dem Großen Strom zieht sich ein dreißig Kilometer breiter Sumpf hin, den man nicht leicht überschreiten kann. Sanders wartete eine Woche, dann erschien einer der Ratgeber Teresas als Abgesandter bei ihm.

»O mein Herr Sandi, unsere Königin ist krank und kann nicht vor deinem Angesicht erscheinen«, sagte er.

Sanders wußte sehr wohl, daß dies eine freche Lüge war, aber er blieb geduldig. Teresa mußte erst noch andere Zeichen ihres Ungehorsams geben, bevor er strenge Maßnahmen ergriff. Und er wollte zu dieser Zeit größere Unruhen vermeiden.

Hohe Kreidefelsen bilden in dieser Gegend die Ufer des Großen Stromes, und sie fallen über dreißig Meter steil ab. Das war auch die Erklärung dafür, daß der Sumpfgürtel das Land der Eburi von dem Großen Strom trennte. Die Kreidefelsen waren wasserundurchlässig, und so war das Land, obgleich ein Hochplateau, versumpft. Am Fuß der Kreidefelsen lag die »Zaire« verankert, während Sanders auf Nachricht von Teresa wartete.

Die Sümpfe hatten strategische Bedeutung, denn es war unmöglich, von der Flußseite aus in das Land der Eburi zu gelangen, und einen anderen Zugang gab es nicht. Rechts und links des Korridors, der in das Innere führte, lag französisches Kolonialgebiet. Das Land der Eburi glich einer Flasche, und das Wort »Eburi« bedeutet auch tatsächlich »Kürbisflasche«. In der Nähe dieses Korridors lag in einer merkwürdigen Bodensenkung das Dorf, in dem sich K'saga und seine Leute niedergelassen hatten. Sanders benützte die Zeit, um ihm einen Besuch zu machen.

Früher war er einmal mit einer bewaffneten Expedition in diesen Landstrich gekommen, und er hatte die entsetzlichen Tage niemals vergessen, als sie durch das Sumpfland marschierten, in dem Wasserschlangen, große Eidechsen und Krokodile hausten. Es gab einige mehr oder weniger gangbare Pfade, aber nur zur trockenen Zeit konnte man sie gefahrlos passieren. Nach der Ansicht des Haussa-Offiziers, der die Soldaten befehligt hatte, war das Land der Eburi nahezu uneinnehmbar.

K'sagas Dorf machte einen schmutzigen und verwahrlosten Eindruck. Die Hütten standen wild und regellos durcheinander, und die Gärten und Kornfelder waren unordentlich gehalten. Als Sanders in seinem weißen Tropenanzug am Ende der Dorfstraße erschien, verschwanden die meisten Männer. Selbst K'saga schien kein gutes Gewissen zu haben, denn er zitterte am ganzen Körper, als der Amtmann auf ihn zutrat.

Sanders machte eine Runde durch das ganze Dorf, um nach Schuldbeweisen zu suchen, und zwischendurch sah er sich nach einem hohen Baum um, an den er K'saga knüpfen konnte, falls sich Spuren von Kannibalismus fanden. Aber er entdeckte nichts Verdächtiges. So ging er wieder auf sein Schiff zurück und kam gerade zu rechter Zeit, um die zweite Botschaft Teresas zu hören.

Diese zweite Botschaft klang schon bedeutend herausfordernder. Die Königin bat Sanders um ein großes Geschenk. Seit etwa zwanzig Jahren ließen sich die Eburi dadurch zum erstenmal eine Beleidigung der Regierung zuschulden kommen. Aber Sanders blieb großmütig und wurde nicht ärgerlich.

»Geh zurück zu deiner Königin«, sagte er zu dem Boten, »und berichte ihr, daß Sandi ihr dieses schöne Geschenk schickt, damit sie jeden Tag das Gesicht des Menschen sehen kann, der verantwortlich ist für alles, was in ihrem Lande passiert.«

Bei diesen Worten überreichte er dem Mann einen breiten, goldgerahmten Spiegel.

Nachdenklich kehrte er zur Residenz zurück, und gleich nach seiner Ankunft hielt er mit seinen beiden Offizieren einen Kriegsrat ab.

»Diese Frau wird uns noch viel zu schaffen machen. Ich habe erfahren, daß sie die alten Opfer wieder einführen will. Menschenschlächterei will ich aber unter keinen Umständen dulden, selbst wenn ich wieder eine militärische Expedition in die Gegend schicken muß. Es gibt im Augenblick nur eine Möglichkeit, sie ruhig zu halten: Man muß ihr Respekt beibringen. Ich schlage deshalb vor, Bones mit zwanzig Soldaten und zwei Maschinengewehren in die Gegend zu schicken. Er kann am Rand der Sümpfe ein befestigtes Lager aufschlagen. Der Boden am Fuß der Kreidefelsen ist gut. Dann kann er auch K'saga beobachten. Ich habe ihn stark im Verdacht, daß er Frauen geschlachtet hat. Vielleicht könnte ich auch von der Generalverwaltung einen Ingenieur anfordern, der eine kartographische Aufnahme der Sumpfgelände macht –«

»Aber meine liebe, gute Exzellenz«, sagte Bones verletzt. »Warum wollen Sie denn dazu einen Ingenieur kommen lassen?« Er warf den Kopf beleidigt in den Nacken.

»Geben Sie doch Bones den Auftrag«, meinte Hamilton.

»Er wird uns noch einen Suez-Kanal nach Tanganyika bauen, bevor Sie ›Eins-zwei-drei‹ sagen können.«

»Aber mein lieber, alter Ham, warum spaßen Sie über diese ernsten Dinge? Ich will ja nicht sagen, daß ich selbst ein zweiter Lipstick bin –«

»Lesseps«, verbesserte Hamilton hämisch.

»Ich will mich auch absolut nicht als so einen alten, netten Pharao bezeichnen, der Pyramiden bauen kann, aber eine kartographische Aufnahme ...«

»Also fahren Sie mit der ›Wiggle‹ hinauf und sehen Sie zu, daß Sie mit Teresa in Verbindung kommen. Wenn es möglich ist, marschieren Sie mit ein paar Leuten zu ihrem Dorf. Soviel ich gehört habe, ist sie häßlich wie die Sünde und eitel wie ein Affe.«

»Also eine typische Frau«, sagte Bones überlegen.

Hamilton konnte nur mit Mühe eine böse Bemerkung unterdrücken.

»Wenn ich recht verstehe, meine liebe, alte Exzellenz, soll ich ein paar Worte mit dieser ins Kraut geschossenen jungen Dame reden. Gut, das werde ich tun. Ich werde mit ihr sprechen wie ein Vater.«

»Und sie wird wahrscheinlich mit Ihnen reden wie eine Frau«, unterbrach ihn Hamilton.

*

Zwei Tage später kam ein Kanu und brachte einen Boten von Teresa. Er saß vor Sanders auf der Erde und hielt ihm eine lange Ansprache, die keinen Inhalt hatte. Dann hielt er eine zweite, noch viel längere Rede über den Spiegel und endete schließlich mit der Erklärung:

»... mein Herr Sandi, die Königin unseres Volkes ist eine sehr kluge Frau und weiß alle Dinge. Nun hast du zwei Söhne, und einen dieser beiden will sie heiraten.«

In diesem Augenblick sprang Sanders auf, und der Bote schrak vor dem zornigen Blick seiner blauen Augen entsetzt zurück.

»Geh sofort zu deiner Herrin und sage ihr, daß daraus nichts werden kann. Ich habe niemand hier in der Residenz, den sie heiraten könnte, aber ich habe ein Tau, mit dem ich schon viele böse Häuptlinge gehängt habe – bis jetzt allerdings noch keine Frau. Sage ihr auch, daß ich viele Soldaten und Gewehre habe, die Ha-Ha sagen, und scharfe Stahlmesser. Und wenn ich zu ihr komme, dann wird es mit ihr und den Eburi zu Ende sein. Das Palaver ist aus.«

Der Bote war froh, daß er unbehelligt wieder zu seinem Boot zurückgehen konnte.

Am nächsten Morgen schritt Bones erhobenen Hauptes zur Landungsbrücke, wo die »Wiggle« vertäut lag. Er war sehr aufgebracht, denn Hamilton hatte den alten Grammophonapparat ans Ufer gebracht und spielte den Hochzeitsmarsch. Bones strafte ihn mit kalter Verachtung, aber als die »Wiggle« schon in Fahrt war, wandte er sich noch einmal um und brüllte ein paar recht unangenehme Bemerkungen über seinen Vorgesetzten ans Ufer.

Ohne weitere Zwischenfälle erreichte er die Kreidefelsen und steckte das Lager ab. Dann sandte er einen Befehl an K'saga, daß dieser mit allen arbeitsfähigen Leuten seines Dorfes zu ihm kommen sollte. Nach einiger Zeit erschien der Häuptling auch mit etwa hundert Mann der verschiedensten Altersklassen, und mit ihrer Hilfe baute Bones das kleine, befestigte Lager. Er hob auch eine Art Hafen für das Schiff aus und stellte Maschinengewehre an wichtigen Punkten auf, so daß sie den Weg beherrschten, der durch das Sumpfgelände führte.

K'sagas Leute stöhnten, aber sie arbeiteten. Als Bones am Ende des ersten Tages die Leute zählte, mußte er feststellen, daß sich die Hälfte ins Dorf zurückgeschlichen hatte. Kurz entschlossen nahm er sechs Soldaten, marschierte zu dem Ort und ließ die beiden Ältesten, die verantwortlich waren, auspeitschen. Am nächsten Tag hatte er die Genugtuung, daß alle Leute vollzählig zur Arbeit erschienen.

Als er fünf Tage in dem verschanzten Lager zugebracht hatte, kam K'saga und erzählte ihm, daß die Eburi eine Frau gestohlen hätten, als sie im Walde Holz sammelte. Bones hörte ihm zu, ohne ihn zu unterbrechen.

»Du wirst diese Frau suchen und zu meinem Lager bringen«, erwiderte er dann. »Und zwar lebendig, K'saga. Wenn du es nicht tust, wirst du in der Morgendämmerung des nächsten Tages sterben.«

Schon um Mitternacht kamen Leute zu ihm und brachten die Frau. Sie war lebendig und gesund, aber so entsetzt, daß sie nicht eine seiner Fragen beantworten konnte. Er nahm den Häuptling beiseite.

»Bringe sie in dein Dorf zurück. Wenn sie aber verschwindet, dann verschwindest du auch«, drohte er.

Das Auftreten einer bewaffneten Macht an der Grenze des Sumpflandes hatte Eindruck auf die Königin der Eburi gemacht. Sie schickte einen Boten, der Bones in ihr Dorf führen sollte. Aber sie ließ ihm gleichzeitig bestellen, daß er keine Soldaten mitbringen solle, da der Weg durch den Sumpf so gefährlich sei.

Bones verhandelte, und schließlich einigte man sich auf zwei Soldaten.

Im Morgengrauen verließ er das Lager, blieb in der nächsten Nacht im Walde, wo er auf einem Baum schlief, und kam am folgenden Mittag im Dorf an. Es herrschte eine unerträgliche Hitze, so daß die Männer kaum arbeiteten. Nur die Frauen waren eifrig beschäftigt, denn sie bereiteten Speisen für ein großes Fest, das M'shimba-M'shamba zu Ehren gehalten werden sollte.

Bevor das Gesetz am Großen Strom Gültigkeit erlangte, wurden die Feste M'shimba-M'shambas mit wüsten Orgien gefeiert. Menschenopfer wurden dargebracht, und die drei Pfähle, die im Dreieck mitten im Dorf errichtet waren, beunruhigten Leutnant Tibbetts aufs höchste, denn er hatte früher schon derartige Dinge kennengelernt.

Die Haltung der Bevölkerung war nicht unfreundlich, im Gegenteil zutraulich. Sie hatten schon lange keinen Besuch von Sanders und seinen Offizieren erhalten und hatten mehr Angst vor den beiden Haussa-Soldaten mit ihren geladenen Gewehren und aufgepflanzten Bajonetten als vor Bones.

Einer der Ratgeber Teresas trat auf ihn zu. Es war ein großer, schlanker, hübscher junger Mann, der noch vor kurzem zu den Tänzern der Königin gehört hatte.

»Sage mir, Mann, was diese drei Holzpfähle hier zu bedeuten haben?« fragte Bones.

»In einem Tag und noch einem Tag wird die neue Mondsichel am Himmel erscheinen«, erwiderte der Ratgeber, ohne zu zögern, »und dann vollbringen wir einen großen Zauber für M'shimba-M'shamba, wie es unsere Väter taten.«

»Wie es eure Väter taten?« wiederholte Bones sanft. »O Mann, das ist ein sonderbarer Ausdruck, denn eure Väter taten böse Dinge. Sie haben am Fest M'shimba-M'shambas junge Mädchen geopfert, haben sie an Pfähle gebunden und verbrannt.«

Der junge Mann wurde unruhig.

»Die Eburi sind ein großes Volk«, begann er theatralisch. »Und was wir tun, ist recht, denn niemand kann gegen uns Krieg führen, weil die Sümpfe uns schützen.«

Bones strich mit der Hand über sein Kinn. Das tat er immer, wenn er schnell und intensiv nachdachte.

»Was bist du, Mann?« fragte er.

»Ein Ratgeber der Königin«, sagte der andere stolz. »Auch gehöre ich zu den Männern unserer Königin.«

Erst gegen Abend wurde Bones zu einer Unterredung mit Teresa gerufen. Sie saß auf ihrem Stuhl und hatte im Halbkreis um sich ungefähr zwanzig junge Leute versammelt, die alle bunte Federn im Haar trugen. Sie selbst war von mittlerer Größe und hatte ein von Pockennarben entstelltes Gesicht. Sie war hager und knochig und nur wenig bekleidet.

»Setze dich nieder, weißer Mann«, sagte sie und zeigte auf die Erde.

Bones blieb stehen und sah von seiner Höhe aus drohend auf sie nieder.

»Ich sehe dich, I'safi-M'lo'bini«, erwiderte er und war verblüfft, als sie in Englisch antwortete.

Auf ihren Wink brachte man einen Stuhl, und er ließ sich ihr gegenüber nieder.

»Nun sollst du mir Geschichten von wundervollen Dingen erzählen, Tibbetti.«

Bones mußte es sich selbst zur Last legen, daß er den Ruf des größten Geschichtenerzählers am Großen Strom hatte. Er war mit einer lebhaften Phantasie begabt und konnte mit den wenigen Worten der Bomongosprache wundervolle Dinge erzählen.

»Das will ich tun, I'safi, aber erst sollst du mir sagen, was die Pfähle vor deiner Hütte bedeuten.« Er zeigte auf die Opferpfähle.

Sie hatte anscheinend auf diese Frage gewartet, denn sie gab sofort eine wortreiche Antwort, die alles harmlos erklärte. Von Menschenopfern war überhaupt nicht die Rede.

»Das ist eine gute Geschichte«, entgegnete Bones höflich, als sie geendet hatte. »Nun sage mir, Königin, wer sind die drei Mädchen, die in kleinen Käfigen draußen vor eurem Dorf gefangengehalten werden?«

Das war eine verfängliche Frage. Teresa bekreuzigte sich mehrmals und vergaß im Augenblick, daß Tibbetti ihr gegenüber machtlos war.

»Sie werden sofort freigelassen«, sagte Bones streng. »Und vor allem wird es kein Mordpalaver geben.«

Es dauerte ungefähr eine Viertelstunde, bis die Gefangenen befreit waren, und inzwischen hatte Teresa auch ihre Fassung wiedergefunden. Bones sah, daß die Lage kritisch wurde, und er begann deshalb mit seiner Geschichte. Mit großer Begeisterung erzählte er von M'shimba-M'shamba, von den wilden Rieseneidechsen, bei deren Anblick man sterben mußte, von den kleinen Geistern, die in den Wäldern leben, und von den Teufeln, die aus dem Fluß kommen und Hunde stehlen, um sie zu fressen.

Die Anwesenden hörten ihm atemlos zu, und es kamen immer mehr Leute, bis er mitten in einem großen Kreis saß. Alle Augen waren gespannt auf ihn gerichtet, und er wurde immer mehr angespornt. Seine Phantasie kannte keine Grenzen, und schließlich erfand er die Geschichte von M'pita, dem Schlangengott, der unten in der Erde lebt und niemand ein Leid zufügt.

»Seine Haut ist weiß, und seine Augen sind rot. Und wenn ein Mann oder eine Frau in diese Augen schaut, dann werden sie schön, auch wenn sie früher häßlich waren. Und wenn sie klein sind, dann wachsen sie und werden größer als alle anderen Menschen. Besonders eine Frau wird dann so lieblich, daß die ganze Welt vor ihr niederkniet und sich ihr beugt.«

Vielleicht hat Bones diese letzten Worte gesagt, weil I'safi weder im Gesicht noch an Gestalt irgendwelche Vorzüge aufzuweisen hatte. Mit wachsendem Interesse lauschte sie seinen Worten, und ihr großer Mund öffnete sich weiter und weiter.

»Wo ist denn dieser mächtige Ju-ju?« fragte sie aufgeregt. Bones zeigte mit einer nachlässigen Geste in die Richtung des Stromes.

»Und hast du diesen großen Schlangengott schon selbst gesehen, Tibbetti?«

Beinahe hätte Bones gesagt, daß er täglich Besprechungen mit M'pita abhalte, aber rechtzeitig bedachte er das Gefährliche eines solchen Ausspruchs und erklärte bescheiden, daß er ihn persönlich noch nicht gesehen habe.

»Aber seine Spur habe ich gesehen, und sie war ganz golden. Sie strahlte und schimmerte durch den Wald. Und in den nächsten Tagen werde ich eine tiefe Grube machen und M'pita für dich suchen – wenn du dich dem Gesetz unterwirfst, wie es mein Vater Sandi wünscht.«

Am nächsten Morgen trat Bones den Rückmarsch zu seinem Lagerplatz an. Er war mit dem Resultat seines Besuches sehr zufrieden. Als er am Strom angekommen war, schrieb er an Sanders einen langen Brief, der dem Amtmann allerdings etwas unverständlich blieb.

Bones' Lage blieb aber gefährlich. Eingeborene haben ein kurzes Gedächtnis, und der magische Zauber, den M'pita ausgeübt hatte, konnte sich auch plötzlich wieder in Nichts auflösen. Nach einigen Tagen erhielt Bones auch wirklich Nachricht, daß die Opfer für M'shimba-M'shamba doch dargebracht worden waren. Der Vater eines Mädchens, das geopfert worden war, hatte sich durch die Sümpfe zu ihm geschlagen und berichtete alles. Bones sandte eine Taubenpost nach der Residenz und wartete begierig auf Antwort. Inzwischen machte er Vorstöße in das Sumpfland und untersuchte die ganze Gegend. Er war innerlich wütend, daß er so ohnmächtig war, Teresa nicht zur Verantwortung ziehen zu können. Aber plötzlich kam ihm eine gute Idee, die beste, die ihm jemals gekommen war.

Durch Lokoli-Trommeln schickte er eine Botschaft zu den Eburi, und am nächsten Morgen erschien ein Bote Teresas.

»Geh zu deiner Herrin und sage ihr, daß ich M'pita gefunden habe. Sie soll mir alle jungen Leute ihres Dorfes schicken, damit ich ihnen zeigen kann, wo sie graben sollen.«

Den Rest des Tages war Bones fieberhaft tätig. Er ließ K'saga und seine Leute kommen und stellte sie sofort an die Arbeit, nachdem er sich einen ungefähren Plan gemacht hatte.

»Grabt hier ein tiefes Loch in die Erde«, sagte er.

Die Leute gehorchten widerstrebend.

Am nächsten Morgen erschienen die Mannschaften der Eburi, und schon am Abend war ein tiefer Kanal gegraben. Zum Teil hatte Bones ihn in die Kreidefelsen sprengen müssen. Am folgenden Morgen kam Teresa selbst, um den Fortgang der Arbeiten in Augenschein zu nehmen.

»Wir finden den Schlangenkönig bestimmt, wir folgen immer seiner Spur«, erklärte Bones ernst und feierlich.

Die Königin trieb ihre Leute zu immer größerer Eile an, und bald hatten sie einen tiefen Einschnitt in die Kreidefelsen am Ufer gemacht. Weiter im Lande arbeiteten die Leute schon im Wasser. Bäume wurden gefällt, und alle Hände regten sich fieberhaft, aber M'pita, der Schlangengott, der die Menschen so schön machte, war immer noch nicht zu sehen. Am Abend sah Teresa erstaunt auf den langen Kanal, den ihre Leute gegraben hatten.

»O Tibbetti, du machst ja das Bett für einen neuen Strom!« rief sie.

Die Eingeborenen arbeiteten schon knietief im Wasser. Bones lehnte müde an einem Kreidefelsen und lächelte schwach. Er war dem Zusammenbruch nahe, denn den ganzen Tag war er bald hier, bald dort gewesen und hatte die Arbeit durch äußerste Energie angespornt. Die Fährte M'pitas hatte er durch Pfähle im Erdboden abgesteckt.

»Tibbetti trägt ein rotes Buch, das voll ist von Zauberformeln«, berichtete einer der jungen Ratgeber der Königin. Bei Sonnenuntergang war das Wasser im Kanal schon bis zu Hüfthöhe gestiegen. Große Feuer wurden angezündet, damit auch während der Dunkelheit gearbeitet werden konnte.

K'saga beriet sich mit einem Vertrauten.

»Es ist finster, und Tibbetti kann nicht sehen. Die Leute sollen sich alle heimlich zum Dorf schleichen und schlafen«, sagte er.

Bones bemerkte das Verschwinden der Leute nicht, bis er sich an K'saga wenden wollte. Erst dann entdeckte er die Flucht.

Zwei Stunden vor Sonnenaufgang gelang es ihm, die letzten Kreidefelsen wegzusprengen, die die Verbindung des Sumpfgeländes mit dem neuen Kanal hinderten ...

In der Frühe des Morgens kam Teresa sehr aufgeregt zu Bones.

»Mein Herr Tibbetti, meine jungen Leute sagen, daß das Wasser aus den Sümpfen abfließt und daß das ganze Land bald trockengelegt sein wird, so daß man ohne Hindernis durch die Marschen gehen kann. Und all das ist nur geschehen, weil meine Leute die Erde aufgegraben haben, um den Schlangenkönig M'pita zu suchen.«

Bones hatte alle seine Soldaten versammelt. Sechzehn Haussas standen mit geladenem Gewehr bei Fuß, und die beiden Maschinengewehre waren auf die Eburi gerichtet. Jedes wurde von zwei Mann bedient.

»Geh zurück in dein Dorf, Frau«, sagte Bones. »Bald wird Sandi kommen und ungehindert durch die Sümpfe marschieren, und dann wirst du dein Urteil erhalten.«

Er schrieb einen Brief an Sanders und schickte ihn durch ein schnelles Boot ab.

»Eure Exzellenz«, las Sanders, »ich habe des Rätsels Lösung gefunden. Es gibt keine weiteren militärischen Schwierigkeiten mehr, die Eburi zu unterwerfen. Ich habe die ganzen Sümpfe trockengelegt. Auf beigefügter Karte finden Sie den angelegten Kanal. In einigen Wochen ist das ganze Gebiet ausgetrocknet.«

Der Amtmann studierte eine große Karte des Eburi-Gebietes.

»Da hat Bones wirklich eine großartige Idee gehabt. Ich möchte nur wissen, wie er die vielen Arbeiter auftrieb, um derartige Erd- und Steinmassen fortzuschaffen.«

Hamilton sah ihm über die Schulter.

»Und ich möchte gern wissen, wohin er das Wasser ableitet. Er hat doch keine direkte Verbindung zum Fluß.«

K'saga hätte darauf antworten können, wenn er noch gelebt hätte. Denn an der Stelle, wo früher sein häßliches Dorf lag, hatte sich ein See gebildet, unter dessen Oberfläche alles verschwand, was besser verborgen blieb. Und in diesem See fanden die Krokodile und die Wasserschlangen, die durch die Trockenlegung der Sümpfe heimatlos geworden waren, einen neuen Unterschlupf.


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