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Der »Zuderhänder und Vonderhänder«

Es war in den fünfziger und sechziger Jahren des verflossenen Jahrhunderts, als der geringe Marktflecken Schönaich im Schönbuch den Ruhm einer Hochschule der Wiederkäuer erlangte; paarweise, je nach der Landsmannschaft zusammengestellt, gelbrote Hällische, gescheckte Simmentaler, graue Allgäuer und schwarzweiße Holländer, trieben sie die Bauern des Strohgäus hinunter ins warme Unterland. In allen Wirtshausställen waren sie zu treffen, und man konnte, wohin man auch kommen mochte, kaum eine Unterhaltung finden, die nicht ein neugekauftes Paar Stiere zum Gegenstand hatte.

Mit Lichtmeß begann das Semester und dauerte zunächst bis Georgii. In Schönaich selbst, der Zentrale, kostete das Paar stets ein oder zwei Karolin mehr. Die anderen Ortschaften des Bezirks nahmen eine mehr untergeordnete Stellung in der Sache ein. Sie waren gleichsam die niederen Seminare, wie zum Beispiel Nufringen, Holzgerlingen, Ehningen, Maichingen und Darmsheim. Hier kostete das Pärlein stets ein paar Kronentaler weniger als in Schönaich selbst, und weiter entfernt waren sie dementsprechend noch billiger.

Da war nun der Hofmalermichele, als aus dem neutralen Schafhausen stammend, ein sachkundiger und unparteiischer Schiedsmann.

Sowie ein neues Pärlein hieher kam, mußte er eine Prüfung mit ihm vornehmen. Seine Unterrichtsmethode war eine praktisch sichere. Er brachte es fertig, rückständige Zöglinge mit einfachem »Hist! Hott! Hauff« und mit einiger Zuhilfenahme der Geißel im kurzen Semester von Lichtmeß bis Georgii vollständig nachzuschulen. Allerdings war sein Unterricht etwas laut, denn sein »Hist« und »Hott« hörte man über die ganze Markung.

Er hatte zwei Buben, damals vier und fünf Jahre alt, als er einmal mit einem roh zugehauenen Holzblöckchen zu meinem Vater kam, der Schreiner war, und ihn ersuchte, ein Ganzjoch daraus zu machen. »Das ist zu klein, das reicht nicht«, sagte mein Vater.

»Freilich reicht's, Gottlieb. Ich habe ein paar Katzen, an denen sollen meine Buben das Stierangewöhnen lernen.«

»Da würden mich die Tierlein dauern«, sagte mein Vater. »Schäme dich, Michele!«

»So mache ich sie selbst«, meinte er kurz entschlossen und ging fort.

Das war die Zeit, in der man an den Sonntagsnachmittagen, statt wie gegenwärtig ins Wirtshaus zu sitzen und schales, abgestandenes Bier zu trinken, auf des Tobiesen Staffel Platz nahm. Hier, an der Kreuzung der Ortsstraße, sah man alles, was im Ort vorging. Doch waren auch hier die Stiere im Vordergrund des Interesses. Da wurde über Sauberkeit, wohlfeilen Einkauf, Brauchbarkeit, Rassereinheit derselben verhandelt, und hin und wieder flog einer der Männer oder Buben die Staffel herab, wenn er vorlaut die allzu langen Hörner oder den zu leeren Bug vom Vonderhänder oder Zuderhänder von des Adams oder des Hansjörgs Stieren getadelt hatte. Denn persönlicher Schimpf war gering gegen solchen Unglimpf. Das war gekränkte Ehre und konnte nur mit einem kräftigen Fußtritte geahndet werden.

Allgemach kamen auch die Honoratioren die Dorfgasse herauf, um in die des Tobiesen Staffel gegenüberliegende Wirtschaft zum Grünen Baum zu gehen und einen Schoppen Wein um sechs Kreuzer zu trinken. Da kam der Schneiderhannes, der Schneideradam, der Spielmannsjakob und der alte Pflüger. Alle sonntäglich in schwarzen Lederhosen, Tuchwams und Samtkappe. Der Wirt zum Grünen Baum, er hieß Leonhardt, war ein lustiger Kamerad und heller Kopf, von Sindelfingen gebürtig. Er machte sich den Spaß, mit diesen Bauern Ulk zu treiben. Als er fragte: »Wißt ihr das Neueste«, und sie mit »Nein« antworteten, langte er nach dem »Schwäbischen Merkur«, den er regelmäßig las, stellte sich, als ob er hieraus vorlese, und oh: entsetzliche Schauertaten und Münchhausiaden tischte er ihnen auf. Zuletzt sagte er, um jeden etwaigen Zweifel an der Wahrheit des Vorgelesenen im Keime zu ersticken: »Da steht's! Leset selbst.«

Er hatte es gut sagen, denn er wußte wohl, daß es nicht soweit kam. Da suchte dann der und jener in Wams oder Westentasche nach seiner Brille, rieb sie, um sie hell zu machen, am Wamsärmel ab, und hielt die Zeitung verkehrt und, soweit der Arm reichte, von sich ab. Wischte wieder und wieder und schämte sich zuletzt, einzugestehen, daß er es nicht gefunden habe. Die erzählten Schauertaten machten nun nächstentags die Runde und wurden wörtlich geglaubt. Eins unterschied diese Gesellschaft der Tobiesenstaffel vorteilhaft von unserer Zeit, nämlich, daß beim Vorübergehen der Bevorzugten, die es sich erlauben konnten, ein Glas Wein um sechs Kreuzer zu trinken, keine mißgünstige Äußerung hörbar wurde. Unter den Stammgästen der Tobiesenstaffel befand sich auch der alte Meidele, ein Kübler, der gerne politisierte, fortwährend für Frankreich schwärmte und die Aufrichtung eines neuen Napoleonreiches prophezeite. Dieses ist mit dem Kaisertum Napoleons III. in der Tat eingetroffen. Weniger Glück hatte er als Wetterprophet. Als der November einmal so schön sich anließ, wettete er, sämtlichen Schnee dieses Winters in Butten wegtragen zu wollen. Allein da ward er zuschanden und wurde schrecklich verlacht, als man immer und immer wieder mit dem Bahnschlitten die Straßen gangbar zu machen hatte.

Da war der Hafner von Magstadt, der sich auch gern als Wetterprophet aufspielte, in seinen Behauptungen vorsichtiger, als er im dortigen Pfarrhaus einstmals den Ofen reinigte. Es war ein schwüler Vormittag im Juni, und der Herr Pfarrer sagte: »Meister Hafner! Ich glaube, daß wir heuer einen heißen, trockenen Sommer bekommen.« – »Das glaube ich auch, Herr Pfarrer«, sagte der Hafner. – Über Mittag jedoch zog ein Gewitter auf, und es regnete den ganzen Nachmittag in Strömen. Abends sagte dann der Pfarrer: »Meister Hafner! Ich glaube, daß wir heuer einen nassen, regnerischen Sommer bekommen!« – »Ich glaub' es auch, Herr Pfarrer!« erwiderte hierauf der Hafner.


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