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Die Wirtsbuben

Fürwahr, es ist in der Nachbarschaft nie mehr so urgemütlich geworden, wie in den fünfziger und sechziger Jahren. Ein Blick zum Küchenfenster hinaus auf die gegenüberliegende Staffel zeigte uns den Jakoble in seinen lotterigen Lederhöselein mit herabhängenden Strümpfen – ich habe ihn nie anders gesehen –, sein Pfeifchen in urgemütlichem Behagen rauchend. Neben ihm saß als ständiger Gesellschafter der alte Philipple, ebenfalls mit der Pfeife im Maul und beständig mit dem Kopfe wackelnd. Denn der Jakoble war tags zuvor mit einem Wägelchen Holz in Stuttgart gewesen und erzählte nun dem Philipple wahre Wunderdinge, die sich gestern und vorgestern dort zugetragen haben sollten. So zum Beispiel, daß gestern in der Hauptstätter Straße ein vierspänniger Wagen voll Salat fürs Wildbad geladen worden sei.

Der alte Mundinger, Vater der Wirtsbuben, war früher auf dem »Adler« gewesen, jetzt wohnten mein Vater und ein Schmied in dem Haus. Als der Alte starb, war bei den Kindern, den Wirtsbuben, vollends kein Aufhalten. Noch zweimal nahmen sie Draufgeld und erhandelten zuletzt das Häuslein des Schneiders Schäufele, in dem sie bis zu ihrem teils seligen, teils unseligen Ende verblieben.

Vom Garten lief ein Fußpfad an der Hinterfront der Scheunen entlang zum Magstadter Weg, der direkt zum Magstadter Wald führte. Mit der Regelmäßigkeit einer Uhr sah man um drei Viertel auf elf, der Zeit des baldigen Heimgehens zum Mittagessen, die vier Geschwister daherkommen, doch jedes einzeln, etwa hundert Schritt vom anderen entfernt. Voraus Hannes, eine feste, gedrungene Gestalt im blauen Fuhrmannshemd, der rechte Backen wie geschwollen, da er beständig Tabak kaute. Er war der Bahnbrecher. Dann kam der Jakoble, etwas lotterig, wie immer mit herabhängenden Strümpfen und dem Pfeifchen im Maul. Dann der Christian, der stolzeste der Gebrüder; er war bei der Post gewesen und wurde unwillig, wenn man ihn, wie seine Stuttgarter Kollegen, Heckenbeerle und nicht, wie sich's geziemt hätte, Stangenreiter nannte. Dann eine ältere Schwester Meile (Marie), Olga von ihnen geheißen.

Nach etwa einer Stunde kamen sie auf dem gleichen Wege wieder zurück, und zwar jedes mit einer Tracht Birkenholz auf dem Rücken. Für Birkenholz hatten sie eine besondere Vorliebe, es sah so sauber aus und wurde von den Stuttgartern, besonders den Köchinnen, gern gekauft. Die von ihnen heimgesuchten Waldstücke sahen aus wie Biberschläge. Lauter Birkenstümpfe auf zwei oder drei Fuß Höhe um- und angesägt. Die waren dann bis nächsten Sommer dürr, und man konnte sie herzhafter holen. Auch war es in dieser Höhe so recht bequem zum Sägen und zum Sitzen. Da saßen sie nun und tranken ihren Schnaps, denn der Hannes hatte in seiner weiten Brusttasche ein Krüglein sowie ein Laibchen stecken, und wenn der Waldschütz dazu kam, wurde er mit großer Herzlichkeit und den Worten: »Michele, trink!« auch eingeladen.

Doch zuweilen ging's auch anders. Als der Heckenbeerle, da er sich von der Post weg den Gebrüdern anschloß und noch ein fuchsgrüner Junge war und, zum guten Glück allein, eben eine Birke ansägte, trat der neue Waldmeister mitsamt dem neugebackenen Revierassistenten auf ihn zu: »Du Himmelsackerment, du verfluchter. Was machst du? Wie heißt du?« – Keine Antwort. »Du Himmelsackerment! Wie heißt?« – Wieder keine Antwort.

Da wandte sich der Waldmeister an den Waldschützen mit den Worten: »Wenn der gottverdammte Kerl da seinen Namen auch nicht sagt, s' ist eins! Du schreibst ihn dennoch auf.« Dann gingen sie ihrer Wege. Ein anderes Mal war's, daß, als der Hannes und der Jakoble eben an einer Birke sägten, der Förster dazukam und erschrecklich auf sie hineinwetterte. Der Jakoble wollte mit dem Sägen innehalten, aber der Hannes fuhr ihn an:«Säg furt und laß den da schwätzen! Wenn er nicht zufrieden ist, kann er einen Buckel Schläge haben.« Dabei nahm er eine so drohende Stellung und Miene an, daß es der etwas leibarme Waldmann für geraten fand, sich möglichst still zu entfernen.

Zu Hause hatten sie ein »Gäulich und ein Wägelich«, trotzdem trugen sie das Holz heim, um es an den Wochentagen Dienstag und Samstag nach Stuttgart zu führen und zu verkaufen. Der Erlös daraus mußte dann, soweit sie ihn auf dem Rückweg in Heslach oder auf dem Schatten nicht in Schnaps vertranken, bis zum nächsten Wochentage reichen.

Und da saß dann der Jakoble auf seiner Staffel mit herabhängenden Strümpfen, urgemütlich mit geradezu unnachahmlichem Behagen sein Pfeifchen rauchend und dem Philipple Neuigkeiten erzählend. Dieser nahm sie ohne jeden Widerspruch bei fortwährendem Mit-dem-Kopfe-Nicken gläubig auf. – Doch recht ergriffen und hinreißend wurde der Jakoble erst dann, wenn er auf den Friolzheimer Markt zu sprechen kam. Da weinte er vor Rührung, da freute er sich wie ein Kind auf den Christtag und Ostertag.

Wieder war der 24. Februar herangekommen. Es war in einem der Jahre 1863, 64 oder 65. Tagsüber hell und warm, der Schnee meist weggeschmolzen, bei Nacht jedoch festgefroren und empfindlich kalt. Da ging der Jakoble vom Friolzheimer Roßmarkt heim, kam vom Weg ab und geriet in den durch Malmsheim fließenden Planbach. Ob er dort erfroren oder ertrunken ist? Wahrscheinlich beides zusammen. Unterwegs hatte er noch kreuzfidel gesungen: »Branntwein, du bist mein Gott! Du führst me bald hist und bald hott!«

Neben dem Holzhandel betrieben die Wirtsbuben auch einen kleinen Roßhandel. Sie kauften wohlfeile, mit allerhand Mängeln behaftete Gäule zusammen, mehr als zwei Kronentaler durften keine kosten, und versuchten dann, sie mit Vorteil wieder an den Mann zu bringen. Hiebei wendeten sie allerhand Kniffe und Handelsschliche an. Der Hannes hielt das Pferd feil, und der Jakoble strich unter den Käufern umher, und wenn ihm ein besonders einfältig aussehendes Bäuerlein auffiel, so machte er sich an dasselbe mit der teilnehmendsten Miene von der Welt und der treuherzigen Frage: »Was laufet Ihr um, Vetter?« – »So, so und so möcht' ich einen Gaul kaufen.« – »Grad so wüßte ich einen, kommt nur mit!« – So brachte er ihn zu seinem Bruder, wobei er tat, als ob er diesen nicht kannte, und ihn zuerst nach seiner Herkunft fragte. Dann ging der Handel los, und nach langem Feilschen wurde man am Ende handelseins. Allein schon ein oder zwei Tage später brachte der geprellte Käufer den Gaul wieder zurück, forderte sein Geld und erschrak nicht wenig, als er sehen mußte, daß sein freundlicher Berater der Bruder des Betrügers war – Doch der Jakoble tat so unschuldig, zeigte so viel Teilnahme, legte so viel Mitgefühl an den Tag, daß er fast wankend werden konnte. Blieb er aber fest und ließ sich durch dieses rührende Gerede nicht breitschlagen, so fuhr der Hannes aus der Kammer heraus, machte ein grimmiges Gesicht, rollte die Augen, ballte die Fäuste, tat so schreckliche, nie gehörte Flüche, daß es der Fremde, um mit heiler Haut aus dem Hofe zu kommen, geraten fand, den Gaul am Zaume zu nehmen und sich möglichst still zu entfernen. Von der Küche aus sandte ihm das Meile noch eine Flut von Schimpfwörtern nach, unter denen als das harmloseste wohl »Lumpenpack!« gelten mochte.

Als der Hannes einige Jahre später am Nervenfieber krank dalag, woran er auch starb, besuchte ihn der Herr Pfarrer, er hieß Fleiderer, und forderte ihn auf, Buße zu tun, drohte ihm mit dem höllischen Pfuhl usw. Da fuhr der Hannes wie wütend aus dem Bette und drohte hiefür dem Pfarrer mit Schlägen, so daß dieser kaum noch die Türe gewinnen und hinter sich zuschlagen konnte.


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