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's alte Müllermichels

Die gesamte Lebensführung der zahlreichen Familie ging auf in den Worten: Steinbruch, Abwerg und Dornbüschele. Der gesamte Haushalt kam wenig darüber hinaus. Sämtliches Denken und Handeln bewegte sich in diesem Rahmen. Es war eine zahlreiche Familie, vier Buben und drei Mädchen, aber alle so zäh wie Leder. Weder Hunger noch Durst, weder Frost noch Hitze, weder Regen und Schnee noch die verdorbene Luft der Stube, wo niemals ein Fenster geöffnet wurde, denn es wäre Verschwendung gewesen, die Wärme hinauszulassen, konnte ihnen was anhaben. Der Alte freilich, der war an kurzem Atem gestorben, aber die Kinder waren nicht umzubringen.

Es war solcher ungezähmter Arbeitstrieb in ihnen, daß sie keine Stunde des Tages, das Wetter mochte auch noch so schlecht sein, zu Hause bleiben konnten. Sie bewohnten in der hinteren Hälfte eines langen, einstöckigen Hauses, dessen Türe und Fenster in den Hof hinausgingen, eine zwar niedere, aber geräumige Stube mit großmächtigem Ofen; daneben war eine Kammer, in der einer der Buben seinen Webstuhl hatte. Daran saß er dann bei der matten Beleuchtung eines Öllämpchens, das nebenbei schrecklich rauchte, bis spät in die Nacht hinein und wob an einem vorsintflutlichen Webstuhl den Bauernweibern Sackzwillich und Leinwand.

Die anderen drei gingen Tag für Tag, mit Ausnahme von Heuet und Ernte, wo sie daheim zu tun hatten, in den Renninger Steinbruch, wohin ihre Mutter das Mittagessen nahezu eine Stunde weit zu schicken hatte. Doch wählerisch waren sie nicht, wenn es nur nichts kostete. So aßen sie ihr Mittagessen wochenlang ungesalzen und ungeschmalzen, da keiner einen Kreuzer herausgab, jede Ausgabe für die Küche seinen anderen Brüdern zuschob, und jeder sein Geld zurückhielt. So hatte die Mutter daheim oft nicht den nötigsten Kreuzer, und mehr als einmal ließ sie es aufs Äußerste ankommen und kochte nicht. Umsonst! Lieber waren sie halb verhungert, als daß sie von ihrem doch namhaften Verdienst zur Bestreitung des Haushalts etwas herausgegeben hätten.

Dagegen kauften sie Äcker, einen um den andern, zahlten pünktlich die Zieler, und ließen sie auch auf sich einschreiben. Ins Wirtshaus gingen sie nicht, überhaupt nirgends hin, wo es was kostete. An Sonntagnachmittagen stolperten sie von einem Acker zum anderen, um zu sehen, ob zum Beispiel die Angersen, Kartoffeln gehackt, gehäufelt, ob Klee gemäht, Dinkel oder Gerste gejätet, Dung geführt werden könne, und der Abend ging mit dem Füttern der Kühe und Stiere auf. Daß die abgerackerten Menschen feurige Liebhaber gewesen seien, hat man kaum gehört; sie waren schon hoch in den Dreißigern, da sie, natürlich auch aus ökonomischen Gründen, um zur Besorgung des Haushalts eine billige Magd zu bekommen, endlich heirateten und sehr solide Hausväter abgaben.

Wenn dann bei strenger Kälte oder tiefem Schnee die Arbeit im Steinbruch stillstand, das Dreschen zu Ende war, dann nahmen sie den Schlitten und holten Dornbüschele. Alle Dorngehege räumten sie ab und ersparten so das Holz. Zu Hause konnten sie nicht bleiben, ihr Arbeitstrieb ließ es nicht zu. Sie konnten nur mit gutem Gewissen fromm und sicher schlafen, wenn sie ein von der Tagesarbeit verschwitztes, nasses Hemd auf dem Leibe fühlten. – Ich muß hier einschalten, daß manches, was ich hier erzähle, in die fünfziger und sechziger Jahre zurückreicht. – Ihr einziger Luxus war eine warme Stube, und mit dem Holz sparten sie nicht. Hatten sie doch sämtliche Räume ihres Anwesens voll von Dornbüschelen, sowie von Stumpenholz. Damit ihnen ja nicht einmal die Arbeit ausgehe, und um billiges Holz zu bekommen, kauften sie bei den Holzverkäufern Stumpen, die sie um wenige Kreuzer bekamen und die wegen der großen Mühe des Ausgrabens sonst niemand wollte. Denn die Arbeit selbst rechneten sie nicht.

Den Winter über hatten sie einen Vorsitz – ein schwäbisches Wort, was man in anderen Gegenden Spinnstube, Kunkelstube heißt. Da war nun des Nachts die ganze Stube gesteckt voll mit Mädchen, die Flachs oder Hanf, andere, die Hecheln hatten und Abwerg spannen. Das stäubte so furchtbar, daß alles in einem dicken, fast greifbaren Nebel zu schwimmen schien; dazu kam noch der Ölrauch der großen Ampel, die auf dem Tische stand, die Gluthitze des Ofens, daß es geradezu wimmelte. Dann war ihnen wohl, und die harten Mienen bekamen einen milderen, fast wohlwollenden Ausdruck. Da saßen dann die drei Schwestern, 's Annemeile, Kathrine und Luise, zwei Töchter des Braitmaiers, eine Tochter des Röckle und die Magd des Gayde, die an Hecheln Garn zu Sackzwillich spann. Auch von des Müllers ward meist Abwerg versponnen.

Und je dichter der Staub aufqualmte, um so behaglicher dehnten sich die Buben auf der Ofenbank, und immer wieder ging einer hinaus, um ein Dornbüschele nachzuschieben. Im hinteren Raum der Stube waren die Betten, in die man sich legte, als nahe an Mitternacht die Vorsitzmädchen aufbrachen. In dieser verpesteten Luft schlief nun die ganze achtköpfige Familie, zählebig wie Marder und ohne daß einem nur eine Stunde etwas gefehlt hätte. Zwei von ihnen sind als hohe Siebziger gestorben, die anderen haben begründete Aussicht, Achtziger zu werden.


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