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Der Herr Weiland

»Der Herr Weiland ist hier! – Komme soeben vom Unterdorf, habe ihn über die Wiesen an der Wette, bei meinem Vetter, dem Schulzen, eintreten sehen! – Sie sitzen am Tisch und beraten über den heurigen Preis. Der Thomesle ist auch schon drin. Will sehen, was dabei herauskommt!« – Das war der Sonntagsgruß, den der Basche, genannt »s' Schneiderhannese Christian«, ein Nachbar von uns, durchs offene Fenster in unsere ebenerdige Stube hereinrief. Und es schien wahr zu sein, denn des Schmids Hanne, die Hausfrau der vorderen Stube, wußte es auch schon. Ein Nachbar rief es dem anderen zu. Es war, als ob's schon ausgeschellt worden wäre. –

Und in der Tat hatte die Ankunft des Herrn Tuchfabrikanten Weiland aus Sankt Lambrecht in der Rheinpfalz als langjähriger Käufer und Abnehmer der hier in dem hiefür geeigneten mageren Kies- und Mergelboden in Masse gebauten Weberkarden, botanisch Dipsacus fullonam, eine von Jahr zu Jahr sich steigernde Bedeutung gewonnen. Die wenigen, sozusagen privilegierten Familien der Enz, Rexer und Wagner, wozu auch mein Vater gehörte, die die Weberkarden zuerst bauten, machten ein großes Geheimnis darum. Damals war auch der Verbrauch noch klein, und nur einige Calwer Tuchscherer – die Schill und Wagner, Ade, Scheuerle, Kohler, – waren kleine Abnehmer. So konnte diese Geheimhaltung einigen Wert haben, aber nun, wo das große Geschäftshaus mit seinem Millionenverbrauch über das kleine Dorf hereingestürzt kam, da half kein Vertuschen mehr. Bis auf den ärmsten Taglöhner herab, der nur ein Äckerlein besaß, pflanzte alles Rauhkarden. Überall, wo es halbwegs angängig war, gerade in den magersten Böden gediehen sie am besten. Die Güterpreise schnellten um das Doppelte in die Höhe, die Goldstücke rugelten nur so zur Türe herein, und die Scheine flogen nur so über die Gasse.

Aber es kostete Mühe, bis es soweit war: Die Rauhkarde, auch Kardendistel, ist eine zweijährige Pflanze, die als Zwischengewächs meist in Kartoffeln gesät wird. Die kleinen Pflänzchen müssen sorgfältig gejätet und behackt werden. Das Jahr darauf haben sie den Boden allein und treiben nun mannshohe Stengel, an denen die Karden herauswachsen, die im Juli und August, also gerade um die Erntezeit, zur Blüte kommen und die schönsten Schmetterlinge, vornehmlich den Schwalbenschwanz und das Pfauenauge, in Menge anlocken. – Sofort nach dem Verblühen, denn sie sollen grün bleiben, was ein tägliches Begehen des Ackers notwendig macht, werden sie mit Hapen (krummen Messern) abgeschnitten, in eine Zaine geworfen, um sodann zum Zweck des Trocknens auf einem luftigen Boden ausgebreitet zu werden. Aber die luftigen Böden, die meist nur in ein paar engen Dach- oder Bühnekammern bestanden, waren schon in kurzer Zeit überfüllt, und wohl oder übel blieb kein anderes Mittel, als sie an Fäden, je hundert Stück, mit Nadeln aufzufassen und an den Dachsparren aufzuhängen. Das war nun eine schwierige, zeitkostende Arbeit, zumal in der Erntezeit, so daß viele Bauersleute, die sich den langen Tag mit Schneiden, Binden, Garbenführen abgearbeitet hatten, ihrer Nachtruhe verlustig gingen, weil sie zu Hause einen Haufen Karden vorfanden, die noch angehängt werden mußten. Ein Regentag zwischenhinein kam da sehr zustatten, Da war es nun in der Tat ein Ereignis, was der heutige Sonntag brachte. Zunächst und zuvörderst die Festsetzung des Preises für tausend Stück, die einzige Verkaufsweise. Vor der Münzeinigung, das heißt vor den siebziger Jahren, war der Preis zwei bis drei Gulden, später bis sechs Mark. Der Vormittag ging vorüber; da und dort ordnete einer an seinen Karden, las die geringen weg und legte schöne an ihre Stelle oben auf die Haufen, damit sie was gleich sehen sollen, wenn der Herr Weiland zur Besichtigung komme.

Doch erst eine Stunde nach dem Mittagessen, so um zwei Uhr, ging's los. Der Herr Schultheiß, jedoch nicht als amtlicher Schultheiß, sondern einzig als einer der ersten und ältesten der Kardenproduzenten, dann die beiden Enz, die beiden Rexer usw. bildeten die Übernahmskommission. Mit Herrn Weiland voran ging's, im Unterdorf beginnend, von Haus zu Haus, von Bühne zu Bühne, oft auf den halsbrechendsten Stiegen. Endlich war's aus, die Musterung zu Ende, und alles zog sich nun in die Wirtschaft zum Grünen Baum, wo der Verkauf perfekt gemacht werden sollte. Hier in der großen Stube kam es nun nach langem Hin- und Widerreden, Feilschen, Markten endlich zur Einigung über den Preis für tausend Stück, wobei die obengenannten zwei Enz, die beiden Rexer, ein Ramseyer die Wortführer waren. Die anderen verhielten sich meist schweigend hinter ihren Gläsern. Doch trotz dem langen Markten der Vorhingenannten konnte man am Schlusse merken, daß der vereinbarte Preis vorher schon, wohl in geheimer Sitzung, ausgemacht worden war. Nun gab's kein Halten mehr; Mann an Mann drängte sich herzu, um sich einschreiben zu lassen, und ein anhaltender Suff mit spätem Sitzenbleiben und wüstem Gröhlen beschloß die wichtige Handlung. Solch bedeutende Tage fielen durchgängig auf einen der Sonntage um Bartholomäus, so Ende des August. Da war das Korn in der Scheuer, zum großen Teil auch das Öhmd, und da meist auch heiteres Wetter herrschte, war's die richtige Zeit zum Kardenfassen. Zwei oder drei alte Fuhrleute, voran der einäugige alte Stofele, hatten das Fortführen übernommen. Da wurden nun große Leiterwagen aufgestellt, worein die Karden geschüttet, geschichtet und haushoch aufgetürmt wurden. Last war's keine, denn alles war pulverdürr, aber überall ein Hängenbleiben und ein Gesperr, als ob lauter Kletten zu laden wären. Doch keine Hetze dabei, Aufladen in Kompanie, jeder der Beteiligten gab eine Person dazu. Abends wurden sodann, ebenfalls im Grünen Baum, die Karden ausbezahlt und bis in die späte Nacht hinein gezecht. – Ich kann mich seitdem keiner so vergnügten Zeit mehr erinnern.


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