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Unsere Soldaten hatte man in Deutschland daran gewöhnt, stets ihr Essen gekocht und fertig zu finden. Jetzt sollten sie die ihnen gelieferten Rationen erst selbst zubereiten. Küche und Kessel waren aber nicht groß genug, um für alle auf einmal kochen zu können; dieses gab oftmals unter der Mannschaft Veranlassung zu Streitigkeiten, die nicht selten einen gefährlichen Charakter anzunehmen drohten, welche zu schlichten und in der Geburt zu ersticken oft schwierig fiel. Denn es war, teils infolge der schnellen Einschiffung, teils durch die nachmaligen Verteilungen, nicht nur das Korps bunt durcheinander gekommen, sondern auch die Mannschaft mehrfach von ihren Offizieren getrennt; auch war überall während des Feldzuges gerade nicht die strengste Disziplin und Ordnung eingeführt worden, wozu noch kam, daß wir selbst im stillen die Klagen der Leute nicht mißbilligen konnten und ihre Beschwerden nicht ungerecht fanden. Ein lächerliches Schauspiel bot sich dar, wenn Mehl, Rosinen und Schmalz zum Pudding geliefert wurden. Es taten sich dann einige Soldaten zusammen, füllten mit den gelieferten Ingredienzien in Ermangelung eines andern Kochgeschirrs eine Nachtmütze, einen Geldbeutel oder auch wohl einen Strumpf und warfen den Teig, von einer solchen Form umgeben, in den großen Kessel, aus welchem dann nach einer Stunde eine Menge Puddings in den sonderbarsten Gestalten zum Vorschein kamen.

Um indes den täglich zunehmenden Mißmut und das immer lauter werdende Murren unserer Soldaten so viel als möglich zu beschwichtigen, blieb nur das Mittel übrig, ihre Blicke auf die Zukunft zu richten, der Gegenwart trübe Wolken durch Versprechungen und Hoffnungen auf bessere Zeiten möglichst zu erhellen und das Unangenehme der Entbehrungen durch Hindeuten auf den erworbenen Ruhm zu mildern. Doch dieser Tröstungen bedurften wir selbst, denn wir waren nicht besser daran. Dreiundzwanzig Offiziere des Korps mußten in einer nicht großen Kajüte zusammen wohnen und schlafen; ich hatte mit meinem Freunde Brandenstein eine Fensternische in Beschlag genommen, auf welcher wir den ganzen Tag liegend zubrachten, die Nacht schliefen und Frühstück, Diner und Souper einnahmen, welches in nichts weiterem als Tee, Schiffszwieback, Pökelfleisch und Grog bestand.

Am 27. August gingen wir auf der Reede von Deal wieder vor Anker, um günstigen Wind zur Einfahrt in den Kanal abzuwarten. Aber zu dem Verlangen, die so engen Räume des Schiffes zu verlassen und das Land, wenn auch nur auf wenige Stunden, zu betreten, gesellte sich bei mir und mehreren meiner Kameraden der Wunsch, die vor uns liegende Stadt zu sehen. Die Weigerung des Schiffskapitäns, ein Boot zur Überfahrt in Bereitschaft setzen zu lassen, seine pantomimische Hindeutung auf den Himmel und die See hielten wir für Unwillfährigkeit; wir drangen aber so lange in ihn, bis er unsere Bitte gewährte. Der Weg nach der Stadt betrug ungefähr vier englische Meilen; kaum waren wir eine Viertelstunde gefahren, als sich ein heftiger Wind erhob; die Wellen wurden von Minute zu Minute unruhiger, und trotz des kräftigen Ruderns der Matrosen warfen sie uns weit aus unserer Richtung, das schwache Boot nach der hohen See hintreibend. Nur mit großer Anstrengung glückte es uns, ein amerikanisches Schiff zu erreichen, das uns hilfreich aufnahm. Doch an Bord desselben konnten wir nicht bleiben; es ward also, nachdem der Wind nur einigermaßen sich gelegt hatte, ein zweiter Versuch gemacht, zu landen. Nach drei nicht ohne Gefahr verbrachten Stunden gelangten wir endlich in ziemlicher Entfernung von der Stadt an den Strand. Da jedoch unser Boot nicht bis dicht an denselben heranfahren konnte, so waren wir genötigt, entweder an uns zugeworfenen Tauen bis zur Mitte des Leibes im Wasser hinüberzuwandern oder von den Matrosen, gleich den Weibern von Weinsberg, uns »Huckepack« dahin tragen zu lassen. Wir wählten das erstere und kamen triefend in dem Wirtshause an; den andern Tag fuhren wir nach unserm Schiffe zurück.

Am 30. gestattete uns endlich der Wind, unter Segel zu gehen; er war aber so schwach und unbeständig, daß wir noch einmal für einige Stunden zu ankern uns gezwungen sahen und erst abends in den Kanal einlaufen konnten. Den 31. hatten wir günstigeren Wind; wir fuhren bei Dover vorüber, erblickten links in der Ferne die französische, uns feindlich gesinnte Küste von Calais, rechts die englischen öden Kreidefelsen, und als ich am 1. September erwachte, hatten wir nachts Portsmouth passiert und vor Lowes, einem kleinen Flecken auf der Insel Wight, Anker geworfen.

Schon am 2. September wurde das Korps ausgeschifft; die Kavallerie marschierte nach Freshwater, die Infanterie nach den Sandown Barracks am südöstlichen Gestade der Insel. Diese Baracken liegen dicht am Strande zwischen felsigen Vorgebirgen in einer baumlosen, nur mit dickem Farrenkraut bewachsenen Gegend, ungefähr tausend Schritt von einem kleinen Fort. Sie bestanden aus leichtgebauten Schuppen, in denen sehr dürftige Einrichtungen für die Unterbringung von Truppen vorhanden waren. In gleicher Weise enthielten die Stuben oder vielmehr die für die Offiziere bestimmten Räume nichts mehr als einen plumpen Tisch, zwei dergleichen Stühle und eine Bettstelle. Bei dem gänzlichen Mangel an Bagage und selbst den notwendigsten Utensilien bot uns dieser Aufenthalt nicht den geringsten Komfort, wie die Engländer es mit einem vielsagenden Worte zu nennen belieben, dar. Ich mietete mich, da noch alles, was unsere Unterbringung betraf, im Chaos lag, auch mehrere Schiffe bislang fehlten, in einem Wirtshause des dem Korps nahegelegenen kleinen Fleckens Brading ein, wo wenigstens ein ordentliches Obdach und ein Bett mir zuteil ward. Unsere Soldaten befanden sich jedoch in einer übeln Lage. Sie waren schlecht bekleidet und daher wenig gegen Wind und Wetter geschützt, von Menageeinrichtungen wußten sie nichts, und solche zu treffen, gestattete nicht einmal die noch herrschende Unordnung. Doch Not lehrt beten; die armen Leute behalfen sich so gut, wie sie es nur immer vermochten.

Die Insel Wight wird der Garten Englands genannt, und sie verdient auch diesen Namen. Sie bietet, mit Ausnahme des Strandes, fast überall die üppigste Vegetation und den reizendsten Wechsel von Wald und Gebüsch, Feldern und Wiesen, Pachthöfen und kleinen, freundlichen Ortschaften, Villen und Parks dar. Ihre Größe beträgt neun Quadratmeilen; von dem festen Lande ist sie durch den Meeresarm Solent getrennt. Die Einwohner, deren Zahl auf einige 20 000 sich belaufen mag, waren, wie alle Engländer, kalt und unteilnehmend. Wegen ihrer vorteilhaften Lage und der Nähe von Portsmouth sind auf der Insel die Depots der meisten im Auslande befindlichen Regimenter stationiert. Erstere waren aus den neu angeworbenen Rekruten, welche in der Regel der Auswurf des Pöbels sind, gebildet, weshalb denn auch unter ihnen nicht selten grobe Exzesse vorfielen, welche die grausamsten körperlichen Strafen zur Folge hatten. Aber solche Vorgänge und solche Behandlung sind nicht geeignet, unserm Stande Achtung zu verschaffen, aus welchem Grunde man in England, besonders hier, auf den Soldaten nur mit Geringschätzung herabsieht, die um so mehr mit auf uns übertragen wurde, da unsere zerrissene, schäbige Bekleidung gegen die geschniegelte der englischen Soldaten bedeutend abstach. Und obwohl bei unserer Ankunft sogar mehrere vornehme Herren neugierig herbeieilten, um die famous fellows, die Napoleon eine Nase gedreht hatten, selbst in Augenschein zu nehmen, so ergriffen doch auch einige hämische Oppositionsblätter begierig die Gelegenheit, sich über unser zerlumptes Äußeres lustig zu machen.

Wenn alle diese Verhältnisse uns manche trübe Gedanken verursachten und jene Untätigkeit, in welcher wir hier fortlebten, uns sehr lästig fiel, so drückte uns nicht weniger die Ungewißheit über das künftige Schicksal des Korps. Von Vereinigung der ganzen Mannschaft mit anderen Regimentern, von Ost- und Westindien ward sogar gesprochen. Zwar kam von London Oberst von Bernewitz an, aber er konnte uns nur wenige Hoffnungen geben, da, wie er berichtete, noch alles, was die zukünftige Stellung des Korps beträfe, von den Unterhandlungen abhinge, welche der Herzog mit dem englischen Gouvernement angeknüpft habe.

Eine Angelegenheit, welche das Interesse des Offizierkorps in Anspruch nahm, war eine festzustellende Rangordnung. Während des Feldzuges in Deutschland hatten wir uns nicht viel um Anciennität bekümmert; wenig Gelegenheit fand sich, dieselbe geltend zu machen; viele Offiziere waren ohne weitere Bestimmung darüber, zwischen welche ihrer Kameraden sie im Dienstalter rangiert werden würden, in das Korps getreten. Von Seiten des Herzogs war auch wohl hin und wieder ein Offizier mündlich zu einem höheren Grade ernannt, ohne daß man solche Beförderung in der Order oder auf eine andere Art bekanntgemacht hatte. Jetzt aber kam viel auf den Entwurf einer Anciennitätsliste an, indem es nicht gleichgültig war, Kapitän oder Leutnant zu sein oder doch eine nähere Anwartschaft auf den Rang des ersteren zu haben und einen bedeutend höheren oder geringeren Gehalt zu beziehen. In der Mitte des Monats September traf der Herzog in Newport, der Hauptstadt der Insel, ein. Er eilte sogleich zu uns; wir empfingen ihn mit Jubel. Wenn er auch noch keine völlige Entscheidung über die zukünftige Stellung des Korps im englischen Heere uns mitzuteilen imstande war, so gab er uns doch die sichere Hoffnung, daß wir eine ungetrennte Aufnahme in demselben und eine fortdauernde Selbständigkeit, zu deren festerer Begründung Vorbereitungen zu treffen er gekommen sei, auf das bestimmteste zu erwarten hätten. Es waren jetzt sämtliche Transportschiffe, von denen, eins, auf welchem sich der Leutnant von Paczinsky befand, beinahe an die Grenze Schottlands der Sturm verschlagen hatte, angelangt und das Korps somit auf Wight vollzählig versammelt. Eine Spezialrevue, welche der Herzog abhielt, ergab die Gesamtstärke unserer Mannschaft mit Einschluß mehrerer in Deutschland zurückgebliebener Offiziere jetzt noch auf 1595 Kombattanten. Dem Befehle des Fürsten zufolge wurde die Infanterie vorläufig zu einem Regimente von zwei Bataillonen formiert. Dasselbe zählte 12 Kompagnien, von welchen jede aus 1 Kapitän, 3 Subalternoffizieren, 4 Sergeanten, 4 Korporalen, 2 Hornisten und 70 Mann bestand. Die Kavallerie, welche aus den 8 Eskadrons Husaren, den 2 Eskadrons Ulanen und der reitenden Artillerie zu einem Husarenregimente gebildet war, sollte anfangs 10 troops stark sein; da indes dann die Stärke eines jeden troop, von denen zwei in einem englischen Kavallerieregimente eine Eskadron formieren, nur 40 Mann betragen hätte, so mußte man sich auf sechs beschränken. Bei der Infanterie reichte die Anzahl der Offiziere, mit Ausnahme einiger überzähliger Stabsoffiziere, nicht ganz hin, um sämtliche Kompagnien zu besetzen, wogegen bei der Kavallerie fast von allen Graden Offiziere überkomplett waren. Der Herzog beabsichtigte jedoch, die überzähligen Offiziere dem Gouvernement zur Bewilligung von zwei Dritteilen pay bis zur demnächstigen Einrangierung vorzuschlagen, doch befürchtete er, daß eine solche Bewilligung nur für so viele stattfinden dürfte, als im ganzen, Kavallerie und Infanterie zusammengenommen, die festgesetzte Zahl der beiden Regimenter überstiegen, welche Rücksicht ihn bewog, einige Kavallerieoffiziere, die schon früher in der Infanterie gedient hatten, zu derselben zu versetzen. Diese wohlgemeinten Bestimmungen veranlaßten aber doch unter dem Offizierkorps Unzufriedenheit, Murren und Streitigkeiten, späterhin sogar verschiedene Duelle, welche indes noch ziemlich glücklich abliefen. Das Kommando des Infanterieregiments erhielt der zum Oberstleutnant beförderte Major Korfes, das des Kavallerieregiments, da Oberstleutnant von Steinemann verwundet in Deutschland zurückgeblieben war, der früher erwähnte Major von Schrader, welcher gleichfalls zum Oberstleutnant ernannt wurde.

Der Herzog schien während seines Aufenthalts beim Korps mißgestimmt, ja niedergeschlagen zu sein, denn in manchen Erwartungen, die er sich von der Aufnahme und den Zugeständnissen des englischen Gouvernements gemacht, war er leider getäuscht worden. Bei seinem rastlosen, unternehmenden Geiste hatte ihn die Hoffnung belebt, daß dasselbe sein Korps sofort ausrüsten, in Sold nehmen und es unter seiner Leitung, mit andern Truppen verstärkt, zu einem neuen Feldzuge nach Deutschland senden werde. Man war aber auf seine Ratschläge nicht eingegangen. Das Gouvernement glaubte, daß es zweckmäßiger sei, über uns demnächst nach seinem Belieben anderwärts zu verfügen. Diese Verstimmung in dem Gemüte des Herzogs ward noch durch die bei ihm hier angebrachten Beschwerden vermehrt, welche die auf seinen Befehl festgestellte Anciennitätsliste veranlaßte. Viele Offiziere glaubten sich ungerechterweise zurückgesetzt und bestürmten ihn mit Vorstellungen mündlich und schriftlich, was ihn noch verdrießlicher und ärgerlicher machte. Nachdem das Korps neu uniformiert war, wurde des Morgens und Nachmittags unausgesetzt exerziert, denn das Äußere fehlte noch sehr unsern Leuten. Aber auf dem Exerzierplatze gab es Hindernisse und Schwierigkeiten mancherlei Art. Die Offiziere des Korps waren zwar, mit Ausnahme einiger, im preußischen Dienste gewesen; sie hatten jedoch in verschiedenen Regimentern gedient, welches denn veranlaßte, daß jeder einem eigenen Exerziersystem anhing. Oberstleutnant Korfes kannte nur das Artillerieexerzitium. Major von Herzberg war für den Exerzierplatz nicht geschaffen; Oberstleutnant von Fragstein huldigte nur dem Grawertschen Systeme, und er ließ es sich nicht nehmen, in Sandown Barracks alles danach zu regeln, die beweglichen, lebhaften Jäger auf einmal in die steifen Formen zu zwängen, so daß man sich auf den Holzplan bei Glatz während des Exerzierens versetzt zu sehen glaubte. Aber man war dabei nicht eingedenk, daß wir englische Truppen werden und uns deshalb bemühen sollten, das englische Exerzitium, besonders die englische Sprache zu erlernen. Freilich war noch immer über unsere künftige Stellung zur Armee nichts Bestimmtes entschieden. Die Verhandlungen, welche der Herzog angeknüpft hatte, schienen noch nicht zu einem festen Resultate führen zu wollen; das einzige jedoch, was uns hierzu noch einige Hoffnung gab, war, daß unsere Leute Schuhe und weiße Kasernenjacken wie auch alle sieben Tage nach dem englischen Etat den Gehalt und die Verpflegung empfingen. Diese aber wurden immer mißmutiger, denn nicht nur jenes strenge Einexerzieren, sondern auch die einförmige, in Brot und Fleisch bestehende Verpflegung, welche zu der von ihnen in Deutschland geführten Lebensweise einen schroffen Gegensatz bildete, gefielen denselben keineswegs; auch wollten sie sich nicht in die unbequeme, strenge Barackenordnung finden, welche das Eigentümliche hatte, daß jede Beschädigung in der Wohnung den Kapitänen an dem Gehalte abgezogen wurde, die sich aber dann dafür an die Soldaten ihrer Kompagnie hielten. So bekam z. B. ein Kapitän der Kavallerie einmal eine monatliche Rechnung für die in der Baracke seiner Husaren vorgefallenen Beschädigungen zu dem Betrage von 16 Pfund Sterling; selbst das Loch von einem eingeschlagenen Nagel wurde mit 6 Pence berechnet.

Unter den Widerspenstigen des Korps zeichnete sich vorzüglich die grüne Jägerkompagnie aus; dieselbe hatte während des Feldzugs stets die Avantgarde gebildet und deshalb freier walten und schalten können. Solange Major von Scriver und Kapitän von Döbell in Deutschland sie geführt, war sie ziemlich in Ordnung gewesen; seitdem aber ein junger Offizier ihr Chef geworden, verwilderte sie immer mehr. Sie widersetzte sich offen dem Anziehen der mit schwarzen Kragen besetzten weißen Jacken, und zwar unter dem Vorwande, daß der Herzog versprochen habe, ihr die grüne Uniform stets zu lassen. Es kostete Mühe, die Jäger zu dem Umtausche zu bewegen, da man nicht, wie es für einen solchen Fall angemessen gewesen wäre, mit zu großer Strenge gegen die Widerspenstigen verfahren durfte; denn kam dem Gouverneur dieses subordinationswidrige Benehmen zu Ohren, so mußten wir mit Recht besorgen, daß solches zu einer nicht günstigen Beurteilung von Seiten der englischen Regierung Veranlassung geben könnte.

*

Nach und nach fing ich an, mich in Brading angenehm und wohnlich einzurichten; ich beschäftigte mich viel mit dem Exerzitium und dem Wohl meiner Kompagnie, die mir sehr ergeben war. Meine Mußestunden benutzte ich zur gründlichen Erlernung der englischen Sprache, las und schrieb viel, wanderte in der schönen Gegend umher, besuchte auch fleißig den wenige englische Meilen von Brading entfernten Badeort Pryde. Es fehlte mir nicht an Zeitvertreib; nur die Ungewißheit über die Zukunft und die Sehnsucht, Nachrichten von den Meinigen aus Schlesien, denen ich jetzt so weit entfernt war, endlich zu erhalten, betrübte mich oft. Zwar sagten noch immer Gerüchte, daß der Krieg von neuem losbrechen und Preußen sich mit Österreich vereinigen würde, aber sie verstummten allmählich. Die gänzlich gehemmte Kommunikation mit Deutschland ließ keinen Briefwechsel zu, und selten bot sich mir eine, wiewohl nur unsichere, Gelegenheit dar, den Meinigen zu schreiben. Die dem Korps Nachgekommenen erzählten, daß man in Deutschland von der kühnen Tat des Herzogs von Braunschweig begeistert sei, daß der Mut, die Beharrlichkeit seiner Schar bewundert werde, daß die Damen es nicht bei Worten bewenden ließen, sondern unser Gedächtnis sogar dadurch feierten, daß sie schwarze Spencer mit blauen Kragen à la Brunswic trügen, daß aber unsern Kameraden, welche in die Hände des Feindes kriegsgefangen gefallen wären, ein herbes Schicksal zuteil geworden sei, indem man viele mit den Tapfern Schills nach Brest und Cherbourg auf die Galeeren gebracht habe.

Als eine sonderbare Erscheinung stellte sich General Reubell dar, welcher das für ihn so unglückliche Treffen bei Ölper gegen uns bestanden hatte und deshalb von seinem Könige entlassen worden war. Er bat den Herzog, für ihn zu sorgen, und erfrechte sich, an das englische Gouvernement sogar sich wendend, zu äußern, daß er uns absichtlich den Weg freigelassen und unser Entkommen begünstigt habe. Allerdings bleibt sein Verfahren unerklärlich, da es zweifelsohne in seiner Macht stand, uns mit seinem bei weitem zahlreichern Korps, wenn er richtig operiert und bei Ölper unsere linke Flanke bedroht hätte, den Weitermarsch zu versperren oder doch wenigstens durch Flankenstellungen und Parallelmärsche uns aufzuhalten, bis General Gratien herangekommen wäre. Sein Vorgeben erschien wirklich lächerlich, denn welche Motive konnten ihn zu dieser Rücksicht auf uns bewogen haben? Hätte er uns siegreich bekämpft, so konnte er gewiß auf Ruhm und Lohn von seinem Könige rechnen. Welchen Lohn dagegen konnte er vom Herzoge erwarten? Später begab er sich mit seiner Familie nach Amerika.

Den 24. Oktober ward das fünfzigjährige Regierungsjubiläum des Königs Georg III. feierlich begangen. Das Regiment sammelte sich und gab im Vereine mit einer englischen Batterie und den Geschützen von Sandownfort eine dreimalige Salve. In Newport war zur Feier des Tages großes Diner, öffentliche Armenspeisung, Ball und Illumination. Nach Beendigung des Diners, an welchem wir teilnahmen, und nachdem das Tischtuch abgeräumt war, wurden viele lärmende Toaste getrunken und dann einige Lieder gesungen. Wir konnten nicht umhin, den dringenden Aufforderungen mehrerer englischer Kameraden nachzugeben, auch uns im Gesange hören zu lassen. Wir warteten mit Schillers Reiter- und Räuberlied auf, und so unvollkommen unser Gesang auch ausfiel, so ernteten wir doch großen Beifall ein und mußten ungeachtet unseres Widerstandes endlich auch das Braunschweiger Lied »Brüder, uns ist alles gleich«, welches unsere Leute selbst gedichtet und komponiert hatten, und das bei seiner Einfachheit doch oft auf dem Marsche, wenn die Kräfte zu erschlaffen anfingen, sobald es von einem angestimmt war und der Chorus sogleich einfiel, alle mit neuem Mut beseelte, Fröhlichkeit verbreitete und die Beschwerden vergessen machte.

Den 2. November kam von London die Order, uns zur Einschiffung nach Guernsey, einer der normannischen, dicht an der Nordküste Frankreichs liegenden Inseln, bereitzuhalten, durch welchen Wechsel des Standquartiers wir nur auf eine Verbesserung unserer Lage hoffen konnten. Den 15. gingen wir bei Cowes, einem Städtchen auf Wight, an Bord mehrerer Transportschiffe und segelten den 16. nach Spithead, woselbst wir Portsmouth gegenüber ankerten. Das Regiment war auf vier Schiffe verteilt; das, auf welchem ich mich befand, hatte neun Offiziere und 250 Mann an Bord und führte den Namen Hebe, deren Arme mich aber nicht weich umfingen, denn nur vier Offiziere konnten Kojen (Schlafstellen) erhalten; die übrigen mußten sich mit einem Lager auf dem Fußboden der engen Kajüte begnügen. Obwohl wir durch eigene Erfahrung belehrt waren, daß man sich bei einer solchen Reise gehörig mit Lebensmitteln zu versehen habe, so war doch jetzt ein anderes Hindernis eingetreten, von diesen Erfahrungen Gebrauch zu machen, der gänzliche Mangel an Geld. Einige von uns hatten zwar Barschaft aus Deutschland mitgebracht, sie war aber mit dem hier ausgezahlten Gehalte, bei der Notwendigkeit, uns doch einigermaßen wieder zu equipieren, und bei den teueren Preisen aller Artikel und Lebensmittel daraufgegangen. Die Entfernung von der Insel Wight nach Guernsey ist nicht groß; wir glaubten deshalb, in einem bis zwei Tagen dort zu sein; das tröstete uns, aber wir irrten. Nachdem wir am 17. vergebens auf die Abfahrt geharrt hatten, erschien erst am 18. auf dem Kommandoschiffe das Signal dazu. Wir lichteten die Anker, allein nachdem wir zwei Stunden im Kanal bis gegen Cowes gekreuzt hatten, zwang uns der Wind, wieder nach Spithead zurückzukehren. Am 20. ward die Fahrt fortgesetzt; der ungünstige Wind nötigte uns den ganzen Tag hindurch, in dem engen Kanal zu lavieren und abends wieder in der Bai von Yarmouth auf Wight vor Anker zu gehen. Am 21. war uns endlich der Wind günstig, wir passierten die gefährlichen Klippen (Needles) zwischen Wight und Lymington, erreichten die hohe See, sammelten uns und hielten mit vollen Segeln den graden Strich nach Guernsey. Schon am dritten Tage war der dürftige Vorrat an Lebensmitteln, welchen wir mitgenommen hatten, verzehrt; wir sahen uns jetzt genötigt, mit gewöhnlichen Schiffsrationen vorliebzunehmen. Die Fahrt bot in keiner Hinsicht Annehmlichkeiten dar; nur mit Sehnsucht sahen wir ihrem Ende entgegen. Den 22. morgens lag die normannische Inselgruppe vor uns. Wir passierten, nachdem die Insel Alderney uns zur Linken liegen geblieben, den Petit Ruau, einen engen Kanal voller Klippen zwischen den Inseln Guernsey und dem Felseneiland Herm. Mit einiger Freude blickten wir nach den unsern Augen vorüberfliegenden lachenden Gestaden und ankerten mittags auf der Reede von St. Pierre. Gleich nach Mittag wurden wir ausgeschifft und rückten abends in die, wenige englische Meilen von St. Pierre entfernten, Delancey Barracks ein.

Diese Baracken waren zwar auch nur sogenannte temporary barracks, aber bei weitem angenehmer, geräumiger und reinlicher als die verlassenen auf Wight. Sie bestanden aus ungefähr acht um einen großen Platz herumliegenden langen, hölzernen, einstöckigen Gebäuden, in denen auf jeder Seite zwei Reihen Schlafstellen wie in einer Kajüte übereinander angebracht waren. In der Mitte des Zimmers befanden sich Tische und Bänke, am Eingange ein paar kleine Verschläge für den Feldwebel. Jedes dieser Gebäude hatte ungefähr für 150–180 Mann Raum. Die Wohnungen der Offiziere waren mehrere massive zweistöckige Pavillons. Ein jeder von uns erhielt ein Zimmer; zu vier von denselben gehörte eine in einem Ausbau befindliche Bedientenstube. Um die Baracken hatten sich einige Handwerker und Schenkwirte angesiedelt, so daß das Ganze eine kleine Kolonie bildete, welche, isoliert, hart an dem öden Seeufer lag. Das Zimmer, welches ich bewohnte, gewährte eine weite, pittoreske Aussicht. Vor mir lag die Insel Sark, etwas entfernter Jersey und Alderney, und weit über die blaue Meeresfläche hin erblickte ich die am Horizonte aufdämmernde französische Küste, das Kap la Hogue bei Cherbourg.

Bei starken Stürmen hatten wir viel zu leiden, der Wind, von dessen Wut und Macht man auf dem Kontinente keinen Begriff hat, drohte oft unsere Häuserchen um- und wegzublasen, den Regen bis in die Zimmer hineindrängend; die Baracken schwankten oft so stark, daß wir in den Betten hin und hergeschaukelt wurden.

Die Größe von Guernsey beträgt ungefähr vier deutsche Quadratmeilen. Das Klima der Insel ist höchst angenehm; nur einmal im ganzen Winter trat ein gelinder Frost ein; die Bäume hörten nicht auf zu grünen. Schon im Februar tritt der Frühling ein. Die Einwohner, normannischer Abkunft, deren Zahl sich auf einige zwanzigtausend belaufen mag, sprechen ein schlechtes, unverständliches Patois, welches mit vielen kymmerischen Wörtern vermischt ist. Sie sind sehr gutmütig und zeigten sich gegen uns äußerst zuvorkommend. St. Pierre, die Hauptstadt der Insel, hat einen kleinen künstlichen Hafen und ungefähr 4000 Einwohner. Sie ist irregulär gebaut; ihre größtenteils engen Straßen verlieren sich nach allen Seiten zwischen Gärten und Gebüschen. Die übrigen Bewohner der Insel leben in mehreren kleinen Dörfern und einzelnliegenden Höfen. Ihr Hauptnahrungszweig war zur Zeit unseres Aufenthalts der Schmuggelhandel, welchen sie mit der so nahen französischen Küste treiben. Da überdem die Insel keine Zölle bezahlt, so sind die Lebensmittel auf derselben sehr wohlfeil. Außer einem Überflusse an allem, was das Meer darbietet, hatten wir auch die Kolonialwaren und französischen Erzeugnisse, besonders Weine, sogar Rheinweine zu billigen Preisen, welches mir um so erfreulicher war, als ich dem ohnehin so teuren Portwein keinen Geschmack abgewinnen konnte. Für unsere Leute und leider auch für manche Offiziere war aber die Wohlfeilheit der Spirituosa eine üble Versuchung.

Wegen der Nähe der feindlichen Küste glich die ganze Insel einer Festung. An allen geeigneten Punkten des Strandes lagen größere und kleinere Batterien von schwerem Kaliber auf hinreichend beweglichen Lafetten. Die Bewohner waren in Milizregimenter formiert, und außer uns befanden sich noch zwei englische Regimenter hier. Unsere Kavallerie lag zum Teil in schlechten, nicht weit von den unsrigen entfernten Baracken bei dem Cornet Castle.

Der Gouverneur der Insel, Generalleutnant Sir John Doyle, ein schon bejahrter Mann, kam uns stets mit ausnehmender Freundlichkeit entgegen. Er zeigte eine besondere Willfährigkeit, uns gefällig zu sein; jedwede Gelegenheit suchte er auf, den neuen Dienst unsern Leuten zu verannehmlichen und sie mit dessen Formen bekannt zu machen. Selbst so manche Beschwerde, welche über uns geführt wurde, und die Schlaffheit, mit der wir uns anfangs dem neuen Friedensdienste widmeten, schien dem Korps wenig von seiner Gunst zu rauben. Mit dem auf der Insel stationierten Admiral Herzog von Bouillon kamen wir nur selten in Berührung.

*

Große Freude erweckte es in uns allen, als wir gleich in den ersten Tagen nach unserer Ankunft auf Guernsey in der Hofgazette, einem offiziellen Blatte, lasen, daß wir in die englische Armee als eine für sich bestehende Abteilung aufgenommen worden wären. Durch diese Veröffentlichung, welche zugleich die Namen der Offiziere und die Reihenfolge ihrer Patente enthielt, ward uns die angenehme Beruhigung, daß die Unabhängigkeit des Korps gesichert sei; unter welchen Bedingungen aber die Aufnahme stipuliert worden, was wir von der Zukunft zu erwarten hätten, was im Falle eines Friedens aus uns werden sollte, blieb uns freilich noch unbekannt. Erst einige Wochen nachher erfuhren wir, daß die Aufnahme und Formation des Korps nach folgenden von dem Herzoge mit dem englischen Gouvernement abgeschlossenen Bestimmungen stattgefunden habe:

1. Das Korps wird in ein Infanterieregiment von 12 Kompagnien und in ein Husarenregiment von 6 troops nach dem unten angeführten Etat formiert.

2. Das Korps ist verbunden, an jedem Orte zu dienen, wo Se. Majestät der König es angemessen finden wird selbiges zu verwenden.

3. Die Offiziere sollen in der Armee nach den Patenten rangieren, die Se. Majestät einem jeden derselben erteilen wird.

4. Die zu dem Korps gehörige Mannschaft, welche sich gegenwärtig schon in England befindet und späterhin noch demselben einverleibt werden dürfte, soll nach den Vorschriften, welche die in Kraft stehenden Kriegsartikel für die Ordnung der in Sr. Majestät Diensten befindlichen fremden Korps vorschreiben, angeworben und attestiert, jedem ein Handgeld (bounty) von vier Guineen ausgezahlt werden, von welchem für ihn alle die necessaries (kleinen Montierungsstücke) und Bedürfnisse anzuschaffen sind, mit denen ein englischer Rekrut versehen wird. Sie sollen auf sieben Jahre und zwar für allgemeinen Dienst (general service) in jedem Weltteile engagiert werden und, im Fall Großbritannien bei dem Ablauf dieser Periode Krieg führen sollte, verbunden sein, ohne ein weiteres Handgeld bis sechs Monate nach der Ratifikation eines definitiven Friedensabschlusses zu dienen.

5. Diejenigen Offiziere, welche einen Zeitraum von fünf Jahren in Sr. Majestät Dienst gestanden haben, sollen im Falle einer Reduktion zu einer jährlichen Geldbewilligung (allowance) berechtigt sein, die jedoch nicht den half pay übersteigen kann, welcher britischen Offizieren von gleichem Range bewilligt wird; diejenigen aber, welche eine kürzere Zeit als fünf Jahre gedient haben, sollen nur auf eine im Verhältnis zu ihrer Dienstzeit passende allowance Anspruch haben.

6. Die zu dem Korps gehörigen Offiziere, welche durch Wunden und andere Gebrechen, die sie sich bei Verrichtung ihres Dienstes zugezogen haben, dienstunfähig geworden sind, sollen zu einer dem half pay gleichen allowance berechtigt sein; – die Unteroffiziere und Soldaten aber, welche auf solche Art dienstunfähig geworden, sollen vom Gouvernement eine jährliche allowance oder statt dessen eine Summe Geldes als Abfindung sowie eine Beihilfe zu den Reisekosten erhalten, um in ihre Heimat zurückkehren zu können. Alle Individuen, welche einen Anspruch auf die vorerwähnten allowances erhalten, sollen dieselben nicht beziehen können, wenn sie nicht in England wohnen oder von Sr. Majestät Erlaubnis erhalten, dieselben auf dem Kontinente verzehren zu dürfen, in welchem letzteren Falle sie allen den Vorschriften und Beschränkungen unterworfen sind, die für solche Zahlungen zu erlassen von Zeit zu Zeit für nötig erachtet werden möchten.

7. Das Korps soll vom 25. September 1809 an in Hinsicht der Zahlungen und allowances wie ein englisches angesehen, behandelt und von diesem Tage an auf den Etat der Armee gestellt werden, auch in jeder Hinsicht den Orders und Bestimmungen unterworfen sein, welche gegenwärtig in Kraft sind oder künftig für die Leitung der ausländischen Korps in Sr. Majestät Dienst gegeben werden.

8. Se. Majestät behalten Sich vor, das Korps zu jeder Zeit aufzulösen, sobald Sie dessen Dienstleistungen nicht mehr bedürfen.

Diese Bedingungen mußten wohl um so mehr im Korps als höchst liberal anerkannt werden, da diejenigen Offiziere, welche zufolge des festgesetzten Etats nicht in den beiden Regimentern Anstellung fanden und somit eigentlich gar nicht in den Dienst traten, dennoch sogleich den half pay (zwei Dritteil des Gehalts) bewilligt erhielten. Auch ward uns gestattet, zur Ergänzung der Mannschaft zwei Offiziere nach Helgoland und Harwich auf Werbung schicken zu dürfen.


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