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21

Auch daran gewöhnte sich Scholastika mehr und mehr: das Leben in Monte Carlo. Nur daß sie das Kasino scheute, eine Sentimentalität, die ihr Yvonnes Spott eintrug. Wenn diese, entweder mit ihrem Gatten oder allein, die Spielsäle besuchte, so erwartete Scholastika sie in dem gegenüberliegenden Café de Paris. Sie saß dann in dem halboffenen Vorbau, hörte das heißblütige Geigenspiel der Ungarn in den roten theatralischen Kostümen, sah auf das wimmelnde Leben vor dem phantastischen Bauwerk, dessen Architektur so genial seinen Zweck ausdrückte; sah die Palmenalleen und die Blumenbeete, beobachtete die Gestalten der Spieler, die aus dem Lokal herüberströmten zum Kasino und aus diesem wieder zurückfluteten: Damen, Dirnen, elegante Welt, Reisepublikum aus aller Herren Ländern, junge und ältere Herren in Begleitung von Hetären aus London und Paris, aus Wien und Berlin. Sie sah junge Mädchen als tägliche Gäste des Spielhauses in Begleitung ihrer Eltern nicht weniger leidenschaftlich spielen wie die Habitués, die selbst während der Gluthitze an dem versengten Ort blieben und im Hasardspiel ihren Lebenszweck und ihr Lebensglück fanden, und gewöhnte sich daran, in dieser Welt zu leben.

Wenn die Zigeuner pausierten, hörte sie von fern her das Rauschen der Meereswellen gegen den Felsenstrand, das Brausen der Züge, die beständig ein- und ausfuhren, die Menge herbeibrachten und hinwegführten, letztere entweder als glückliche Gewinner oder unglückliche Verlierer. Aber auch diese kamen immer wieder, sie mußten wieder kommen! Der Magnetstrom zog sie unwiderstehlich zurück in die goldenen Wirbel.

Auto auf Auto, Equipage auf Equipage fuhr an dem Kasino vor. Scholastika hatte gelernt, den Leuten anzusehen, ob sie gewonnen oder verloren hatten. Aber auch die Mienen der Verlierenden waren gewöhnlich höchst gleichgültig. Selten nur sah sie in ein verstörtes Gesicht. Geschah ein Selbstmord, so wurde davon nur geflüstert, war doch der Selbstmord eines völlig Ruinierten etwas durchaus Gewöhnliches, Alltägliches. Weshalb war der Mann gekommen, weshalb hatte er gespielt, weshalb verloren?

»Unglück im Spiel bedeutet –«

Wie wild die Geigen klangen, wie bunt das Gewimmel war, wie Himmel und Meer blauten, die Sonne strahlte, die Blumen blühten! Und die Schönheit, die himmlische Schönheit der Welt!

Daß der Fürst dieses Landes ruhige Nächte haben konnte! Scholastika begriff es nicht. Aber die Goldflut strömte und strömte, und der Fürst von Monaco, der ein bedeutender Gelehrter war und ein edler Mensch sein sollte, schlief ruhigen Gewissens den Schlaf des Gerechten ...

Stets kam Yvonne strahlenden Angesichts aus dem Kasino zur Freundin. Ob ihr Täschchen in trauriger Leere zusammenklappte oder ob sein Inhalt es straffte, sie blieb stets gleich heiter in lächelnder Lieblichkeit, hatte sie doch die Erregung des Hasards, die Sensation genossen. Jedesmal war sie voller Geschichten, die samt und sonders zum Inhalt hatten, wie herrlich dieses Leben der Sensationen sei. War es nicht das Spiel mit seinen großen Gewinsten, seinen großen Verlusten, so waren es Roben, Hüte, Juwelen. Oder es war allerlei Pikantes aus dem Reich beider Welten, der ganzen sowohl wie der halben. Unerhört, wie gewisse Damen sich anzogen! Eine geborene Herzogin konnte es ihnen nicht nachmachen. Wie sie verstanden, die Männer anzuziehen und zu umstricken, mit Polypenarmen zu umklammern, ihnen das Lebensblut aussaugend und sie – dieses nur nebenbei – finanziell zu ruinieren.

»Was für Perlen die Person heute wieder trägt! Und jene – Dame mit den Smaragden! Sie ist eine Pariser – Portierstochter. Ihr Kostüm ist todschick. Wüßte ich nur, wer ihr Schneider ist? Vielleicht kann es Charles erfahren... Wegen des kleinen Geschöpfes dort drüben hat sich kürzlich ein blutjunger Mensch erschossen. Er soll ihr drittes Opfer gewesen sein. Wie sie es nur anfangen? Dabei ist die Person häßlich, geradezu häßlich! Aber von einer Eleganz – Aber wie! Du hast hier Bekannte, die ich nicht kenne? Sieh doch, du kleine Duckmäuserin! Wer ist der Herr, der dich soeben grüßte?«

»Mich grüßte? Ein Herr?«

»Dort steht er. Nicht sonderlich gut angezogen; aber – was ist dir?«

»Wolf? Vetter Wolf! Vetter Wolf in Monte Carlo!«

»Vetter? Nun höre – nicht schön; aber eine Gestalt, einfach prachtvoll! Und dieser Herr dein Vetter? Doch nicht der bewußte Vetter, der Bär aus Oberbayern?«

»Es ist Vetter Wolf, unser bester Freund und Nachbar!«

»Also doch er! Und er hat dich nicht gleich aufgesucht? ... Er kommt her. Du mußt ihn mir vorstellen. Das also ist dein Vetter Bär aus Oberbayern? Sieh doch, sieh doch!«

Leibhaftig war er es: Scholastikas Jugendgefährte und bester Freund. Daß er auch das letztere sei, dessen ward sie sich bei seinem plötzlichen Anblick bewußt. Er wollte sogar mehr sein als nur ihr bester Freund. Auch das fiel ihr plötzlich ein und bei diesem Gedanken erbebte ihr ganzes Wesen ...

Jetzt stand er vor ihr.

»Nicht sonderlich gut angezogen,« hatte Yvonne von ihm sagt. Scholastika hätte sich nie träumen lassen, daß Vetter Wolf so aussehen könnte, als wäre er niemals in seinem Leben in dem landesüblichen Kostüm mit nackten Knien gegangen, sondern hätte immer nur bei dem Hoftailleur Fries in der Maximilianstraße, Münchens berühmtestem Kleiderkünstler, arbeiten lassen. Nicht sonderlich gut angezogen, aber prachtvoll von Gestalt fand ihn Yvonne. Was die Zenz sagen würde, daß der Vetter Freiherr hier war! An der Côte d'Azur, in Monte Carlo!

Scholastika war aufgesprungen und ihm entgegengeeilt.

Aus Deutschland kam er, aus der Heimat! Als ob sie sich nach der Heimat gesehnt hätte? Und plötzlich dieses Glück des Wiedersehens! »Wie kommst du hierher? Seit wann bist du da? Weshalb hast du mich nicht gleich aufgesucht? Wie geht es zu Hause? Was machen die Eltern? Was der Seehof und dein Wagging? ... Wie ich mich freue!«

»Wirklich?«

Er sagte es sehr gelassen, sogar recht kühl.

»Kannst du fragen?«

»Da du es nicht einmal für nötig hieltest, mir Lebewohl zu sagen –«

»Ich glaubte, du kämest auf die Bahn.«

»Ich kam aber nicht. Hast du das überhaupt bemerkt?«

»Es tat mir sehr leid ... Jetzt muß ich dich meiner Freundin vorstellen. Sie spricht allerdings kein Wort Deutsch!«

»Also werde ich Französisch sprechen.«

»Richtig. Du sprichst ja wohl etwas Französisch?«

»Etwas.«

»Also komm!«

Sie stellte ihren Vetter der Gräfin vor. Der Freiherr verbeugte sich vor der kleinen Dame in bester Haltung. Yvonne war entzückt, den Vetter des Lieblings kennen zu lernen. Sie hatte durch den Liebling so viel von ihm gehört! Er erwiderte etwas Höfliches und er hatte sein Französisch wirklich nicht verlernt, sprach es sogar leidlich gut. Trotz der von der Gräfin gerügten Uneleganz seines äußeren Menschen brauchte sich Scholastika ihres Vetters nicht zu schämen. Yvonne lud ihn denn auch sogleich für den Abend zum Diner ein.

»Gräfin befehlen Frack?«

Vetter Wolf im Schloß von Monaco zum Diner im Frack!

Aber Frack oder nicht – ein Stück Heimat brachte er mit in das fremde Land. Ein Stück Heimat, an die Scholastika dem zauberischen Monte Carlo nur zaudernd und ungern dachte, niemals mit Sehnsucht. Luft der Heimat, Kraft der Heimat ging von ihm aus. Er paßte so gar nicht in diese Umgebung, bildete in der Landschaft der Riviera eine ganz unwahrscheinliche Staffage. Und dennoch! Wenn sie ihn mit andern verglich, mit diesen eleganten Herrn aus Paris und London – Schön war er gerade nicht! Wenigstens behauptete es Yvonne. Aber seine Gestalt war »prachtvoll«. Und wie er den Kopf trug! Dazu die lichtblonden Haare, die tiefblauen Augen und sein Helles, geradezu leuchtendes Wesen. Alles an diesem Manne war so frei und frank, so ehrlich und stark, so – urdeutsch! Von den Herren Franzosen freilich würde solche Männererscheinung gerade wegen ihres Deutschtums bespöttelt, wenn nicht gar verachtet werden.

Diese Gedanken zuckten blitzartig in Scholastika auf, während sie dem Vetter gegenüber saß. Niemals zuvor waren ihr bei seinem Anblick derartige Gedanken gekommen. Sie entstanden auch nur durch die Freude des Wiedersehens gerade in diesem Lande und an diesem Ort. Er selbst schien ihre Freude nicht zu teilen, hatte er sie doch ziemlich kühl begrüßt. Recht sehr kühl! Es tat ihr leid. Und leid tat ihr nachträglich, daß sie ohne Abschied abgereist war. Das hatte ihn gekränkt, deshalb war er so kühl. Es war von ihr auch unrecht gewesen, daß sie ihn zu Hause die ganze Zeit so fremd und kühl behandelt hatte wie jetzt er sie. Sie verdiente es nicht anders.

Aber was wohl die Zenz sagen, wie sich die Zenz freuen würde: der Vetter Freiherr an der Riviera! Ein Stück Heimat in Frankreich, Wagging und Seehof in Monte Carlo!

Diese Vorstellung beschäftigte sie, während er mit Yvonne sprach. So unbefangen plauderte er mit der fremden Dame, als wäre er ein alter Bekannter der Gräfin von Roquebrune. Es stellte sich heraus, daß er bereits vor drei Tagen angekommen und im Hotel de Paris abgestiegen war: Vetter Wolf im Hotel de Paris! Um sie hatte er sich nicht im geringsten gekümmert und jetzt schien er nur für Yvonne Augen und Ohren zu haben. Sie war auch heute besonders reizend, in einem Kostüm, das sie einer jener »Gewissen« nachgemacht hatte, mit einem Hut, der ein Gedicht von Gaze und Blumen war.

Gewiß war sie wonnig. Aber doch recht kokett. Mit dem Wolf kokettierte sie auf eine Weise –

Und er? War es möglich? Er fand dieses Wesen nicht abstoßend? Im Gegenteil! Er flirtete mit der kleinen reizenden Dame. Vetter Wolf flirtete! So also waren die Männer! War selbst er!

Die Gräfin frug ihn: »Haben Sie heute schon gespielt?«

»Heute noch nicht.«

»Also kommen Sie. Sie werden mir Glück bringen, mehr Glück, als die liebe Scholastika meinem Mann brachte ... Nein, sie spielt nicht. Sie verabscheut das Spiel, haßt unser wunderhübsches Kasino, findet es die Hölle auf Erden, verachtet uns arme Menschlein, die ihre hohe Tugend nicht besitzen ... Lassen Sie sie! Sie bleibt hier und wird uns erwarten. Kommen Sie, kommen Sie! Wir werden zusammen setzen, werden zusammen gewinnen. Good bye, darling! Ich bringe dir deinen Vetter sicher zurück.«

Sie ging und er – er ging wahrhaftig mit ihr, begleitete die wildfremde kokette Dame in das abscheuliche Haus, würde mit ihr spielen, würde ihr Glück bringen.

Und Scholastika? Sie ließ er allein! Dabei hatte er ihr von zu Hause keine Silbe erzählt und wie vieles hatte sie ihn zu fragen!

Lange blieben die beiden aus. Als sie endlich kamen, rief Yvonne dem Liebling schon von weitem zu: »Verloren! Gerade wie du und Charles. Wir hatten Unglück im Spiel. Es war aber doch reizend!... Jetzt müssen wir nach Hause. Dein Vetter versprach mir, jeden Abend unser Gast zu sein. Du hast ihn mir ganz falsch geschildert. Ich hatte keine Idee, wie nett er ist. Ich sagte ihm, daß ich ihn entzückend fände. Und er – Hier kommt unser Auto ... Also auf heute abend, lieber Baron! Wir speisen um sieben. Später begleiten wir Sie in Ihr Hotel, wo heute Rout ist. Mein Mann wird sich unendlich freuen, Ihre Bekanntschaft zu machen. Er ist in Scholastika sterblich verliebt. Also werde ich mich in Sie sterblich verlieben. Seien Sie so galant, mir zu versichern, Sie würden aus Liebe zu mir von Sinnen kommen ... Wollen Sie? Ich nehme Sie beim Wort... Auf Wiedersehen diesen Abend um sieben!«

Da sagte Scholastika, und sie mußte sich die Worte abringen: »Du kommst vielleicht etwas früher zu mir und erzählst mir von zu Hause?«

»Wenn du erlaubst –«

»Ich bitte dich darum... Was wird nur die Zenz sagen!«

Was aber sagte die Zenz? Sehr wenig. Sie fiel vor Erstaunen durchaus nicht in Ohnmacht und nahm die unglaublich klingende Nachricht: der Vetter Freiherr in Monte Carlo, höchst gelassen auf, nur mit einem langgezogenen So? Und mit einem Blick –

Scholastika ärgerte sich über das »So?« und den Blick ihrer alten Getreuen.


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