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Das Herz übervoll von seiner Liebe, erreichte Hanns Wolfram den Seehof, den Landsitz seiner Verwandten mütterlicherseits, Graf und Gräfin von Puch-Puchstein.

Wie ein Gedicht deutscher Romantik lag das Haus auf der Insel des Alpensees, zu Füßen der hohen Seespitz, die sich mit ihrer noch winterlichen weißen Herrlichkeit in der smaragdgrünen regungslosen Wasserfläche spiegelte. Ein Brückenweg führte vom Ufer hinüber. Das Inselhaus hatte noch eine Zugbrücke und ein kunstvoll mit geschmiedetem Eisenwerk beschlagenes gewaltiges Tor; hatte noch Wall, Graben und Turm. Sogar das verrostete Rohr einer Kanone starrte kriegerisch zwischen zwei trotzigen Zinnen ins friedliche Land hinaus. Heute sollte das alte Geschütz abgefeuert werden: Freudenschüsse, donnernde Willkommgrüße dem einzigen Kinde des Hauses zu Ehren.

Der Freiherr, der als Freiwerber kam, sprengte über die Brücke in den Schloßhof, wo ein herbeieilender Stallbursche den Braunen in Empfang nahm. Nur für kurze Zeit: bald wollte der Vetter Freiherr wieder weiter zur Bahnstation, um daselbst das Bäslein zu begrüßen und es unter seiner Obhut heimwärts zu geleiten. Dazu gehörte eine Umarmung; gehörte ein Kuß. Nicht etwa der Kuß des Vetters, sondern ein andrer, leidenschaftlicher, heißer; war auch die Heimkehrende bis zur Stunde nur noch – eben »das Bäslein«.

Was bedurfte es der Form, wo schon seit des Junkers Knabenzeit – seit des Jungfräuleins Kinderjahren – zwischen den beiden eine innige Liebe erblüht war.

»Grüß Gott, Oheim! Grüß Gott, Tante! Kommt sie heut wirklich? Endlich? Darf ich allein sie abholen oder fahrt auch ihr zur Station?«

Mit diesen Worten stürmte der Freiherr in die Halle, wo die Ehrwürdigen an überreich besetzter Tafel beim ersten Frühstück saßen, zwei behäbige Gestalten, die es sich wohl sein ließen und nichts andres vom Leben wollten, als seine guten Gaben in Hülle und Fülle genießen. Die Morgensonne durchstrahlte den gewölbten Raum, darin jedes Stück war, wie es vor einem Jahrhundert gewesen. Sie schien auf den mit Speisen besetzten Tisch, auf die gutmütigen, vor Wohlsein glänzenden Gesichter des gräflichen Paares; sie schien auf die stark nachgedunkelten Porträte der Ahnen, eine ebenso ehrbare wie kraftvolle Sippe oberbayrischer Landedelleute; sie glitt über die Täfelung aus purpurbraunem Lärchenholz an Decke und Wänden und über den blitzblank gescheuerten Fußboden, auf den die Strahlenbahn des Sees vor den Fenstern einen schimmernden, flimmernden Widerschein warf. Ohne den Glanz des himmlischen Gestirns war es an Regen- und Nebeltagen in dem hohen Raum düster und traurig.

Von seinem Teller aufsehend, erwiderte der Oheim auf die stürmische Begrüßung gemächlich: »Setz dich doch erst! Iß und trink!«

Und die gute Gräfin meinte wohlwollend: »Der Schinken ist noch warm. Wie erhitzt du bist! Weshalb eigentlich?«

»Weshalb? Weil sie heute wiederkommt: sie, Scholastika! Mußtet ihr eurer Tochter auch gerade diesen Namen geben? Nicht anders, als wäre sie eine zukünftige Heilige. Zum mindesten eine hochwürdige Klosterfrau oder Stiftsdame. Ein Kind der Welt ist sie und bleibt sie, und wird nebenbei Freifrau von Wagging. Schon deshalb hättet ihr eurem einzigen Kind einen andern Namen geben können! Aber Scholastika! Dabei ist sie gar nicht so, wie ihr Name vermuten läßt: gar nicht streng und feierlich, sondern hold und sonnig. Wenigstens war sie so. Und ist sie es nicht mehr, so soll sie es wieder werden. Aber das ist meine Sache und – nein, danke für den Schinken. Ich frühstückte schon lang, einen Jägerschmarren, einen fetten. Der hält vor. Und jetzt hole ich mein Bäschen.«

Um die beiden Behäbigen nicht zu stören – eine Sorge, die unnötig war – setzte er sich zu ihnen, ohne jedoch einen Bissen zu nehmen, trotz des noch dampfenden Schinkens, von dem die gute Gräfin eine von Saft triefende mächtige Scheibe für ihn abschnitt. Dazu gab es weiche Eier, von denen der Ohm ein volles halbes Dutzend in eine Schale schlug und darin mindestens ein Viertelpfund Butter verrührte. Genau ebenso hatten Vater und Großvater gespeist und genau ebenso würde des Schloßherrn Sohn gespeist haben, wenn die Würdigen einen Sohn besessen hätten. Leider besaßen sie nur eine Tochter, und wenn Hanns Wolfram sein Bäslein freite, so würden die beiden großen angrenzenden Waldgüter ein einziger Besitz werden und der Freiherr würde, mit König Ludwigs des Dritten gnädigster Genehmigung, seinem ruhmreichen Namen den nicht minder angesehenen der Grafen von Puch-Puchstein zulegen. Das war niemals besprochen worden, galt jedoch zwischen den Verwandten für eine ausgemachte Sache.

Plötzlich rief der Freiherr, wie um sich von einer dunkeln Sorge zu befreien, heftig aus: »Das mit der Klostererziehung zu Zangenberg mußte sein; das ist nun einmal nicht anders. Aber daß ihr sie außerdem noch in das fremde Land schicktet; noch dazu in das hyperpariserische Brüssel, das brauchte nicht zu sein. Ich weiß ja, daß die Komtesse in der feinen Anstalt feine Manieren lernen sollte und ein perfektes Französisch. Zum Henker auch! Sie ist eine Deutsche und ihr Kloster-Französisch war für eine Deutsche gut genug ... Seid ganz still! Ich weiß ja! Weil selbst in unsrem alten guten München die vornehmen Damen lieber die Sprache der Franzosen als ihre eigene herrliche deutsche Muttersprache reden. Schlimm genug! Ein Unwesen ist's! Wer lieber Französisch als Deutsch spricht, der denkt und fühlt auch französisch. Das ist für uns Deutsche ein Unglück. Schlimmer als das: ein Unrecht ist's! Ein Unrecht am deutschen Geist, an der deutschen Seele, am ganzen deutschen Volk! Da kenne ich in München ein ältliches Fräulein, deren Vater ein biederer Bayer, deren Mutter aber eine Französin ist. Wo immer das Fräulein erscheint, wird Französisch parliert, eine Beleidigung des Vaters und Deutschlands zugleich. Wir werden es noch einmal am eigenen Geist spüren, an der eigenen Seele büßen müssen und das mit blutigen Leiden.«

So grollte der Freiherr, dem sein deutsches Vaterland als höchstes galt. Auch gedachte er dabei der zweijährigen schmerzlichen Trennung von der Geliebten und wie überflüssig diese gewesen. Es ärgerte ihn, seine würdigen Verwandten selbst am heutigen Tage, an dem Fest der Heimkehr ihrer Tochter, genau wie immer in aller Gemütsruhe tafeln zu sehen, als ob gutes Essen und Trinken das einzig Beglückende auf Erden sei, während in ihm jeder Nerv vor Erwartung und Ungeduld zuckte. Je ungebärdiger er gegen das französische Unwesen im lieben Vaterlande loszog, umso gemütlicher schien sich das Paar zu fühlen, mit umso besserem Appetit genoß es die ihm so reichlich bescherten Gottesgaben.

In seiner Erregung sprang Hanns Wolfram vom Stuhl auf mit der Frage: »Wo wird sie wohnen?«

Erstaunt meinte die Gräfin: »Wie kannst du fragen? In ihren alten Zimmern.

»In ihren alten Zimmern? Die sind im ganzen Hause die dunkelsten und trübseligsten. Habt ihr sie wenigstens neu eingerichtet mit hübschen Teppichen und hellen Vorhängen? Sie ist so jung und der Seehof so düster und traurig.«

»Düster und traurig? Der Seehof? Was fällt dir ein?«

Der Neffe rief: »Ihr versteht eben nicht, wie es einem jungen Geschöpf zu Mut ist! Und Scholastika ist nicht nur so jung, wie heute der Frühlingstag, sie ist auch ebenso strahlend. Sie liebt alles, was heiter und hell ist; liebt das Leben und die Lebensfreude und ihr sperrt sie in dieses dumpfe Gemäuer. Zum Glück wird es nicht lang dauern; denn bald – ich weiß, was ihr sagen wollt! Aber in meinem Hause soll sie es so sonnig und licht haben, wie sie selbst ist ... Verzeiht! Ich halte es bei euch nicht länger aus. Der Schorschl und der Loisl wissen, wie sie das alte Rohr abzufeuern haben: volle zwölf Schüsse! Ich war deswegen vorgestern hier und probierte mit ihnen das Altertum ... Lebt wohl! Ich bringe sie euch! Laßt's euch weiter gut schmecken.«

Das taten die beiden. Ihr Neffe gehörte eben auch zur neuen Jugend, die sie nicht verstanden, gar nicht verstehen wollten. Und ihre Tochter –

Ihre Tochter war eine Puch-Puchstein; war ihrer Eltern Kind.

Nein! Ihre Tochter würde zu dieser neuen, der alten Generation unverständlichen Jugend nicht gehören.


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