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Die Neri blieb länger als eine Woche in der Villa Taverna.

Sie kam jeden Tag herauf.

Nicht meinetwillen; sondern um Maria zu sehen. Aber diese verhielt sich scheu und fremd.

Wie schwer es doch ist, zu vergessen!

Denkt Euch: ich wartete immer und immer darauf, die Neri würde ein Wort mit mir über mich sprechen: von meinen Dramen, meinen Frauengestalten. Ich wartete mit angehaltenem Atem, mit fieberndem Pulsschlag, laut pochendem Herzen: ich, der ich mit eigenem Willen mich ausschied aus der Reihe der lebendigen Dichter. Und jetzt wartete ich angstvoll auf ein einziges Wort dieser Frau.

Aber sie schwieg.

Ich weiß wohl, weshalb sie mit mir nicht über mich sprach.

Sie wollte mich schonen.

Aus demselben Grunde redete sie auch niemals vom Theater. Ich mußte ihr daher beweisen, daß ich ihrer Schonung nicht bedürftig sei wie der Bettler eines Almosens.

So sprach denn ich von der Bühne: der neuen, der modernen, der »lebendigen«.

Da ich davon nichts wußte, so fragte ich sie und bat um Belehrung. Seltsamerweise wußte sie mir nicht viel Neues zu sagen.

»Ich kümmere mich nicht darum. Man schreibt für mich Stücke und schickt mir ganze Packe voll. Ich lese sie nicht. Bisweilen höre ich von einem neuen Drama; und dann fühle ich sogleich: ›Das könntest du spielen; denn das könntest du sein!‹ Oder auch: ›Das geht dich absolut nichts an.‹ Denn ich kann nur spielen, was ich sein kann – in irgend einem Teil meines Wesens. Dieser wird angeregt, die Gestalt bemächtigt sich meiner Phantasie, geht in mich über, wird Geist von meinem Geist. Und – plötzlich ist es ein Mensch! Er lacht und weint, haßt und liebt, hofft und verzweifelt, beseligt und vernichtet, geht zu Grunde und stirbt. Es ist alles so einfach.«

Ich besaß nicht den Mut, ihr zu sagen:

»Auch bei mir war es genau der nämliche Vorgang. Ich dichtete nie: sondern erlebte stets.«

Wie hätte ich mich mit ihr vergleichen können? Sie ist die heilige Wahrheit selbst; und ich bin nichts als Pathos und Unwirklichkeit. Jetzt würde sie bestimmt nicht mehr eine von meinen Frauengestalten spielen. Sie könnte es gar nicht! Weil bei keiner einzigen meiner Gestalten ein Teil ihres Wesens vibrieren würde, weil sie nicht im stande wäre, die Unnatur einer derselben mit ihrer Natur nachzuempfinden, so könnte sie gar nicht!

Diese Frau kam zu mir in den tiefen Frieden meines Asyls und brachte mit sich den Sturm.

Die »andere Dame« sah ich nicht wieder; und ich mochte die Neri nicht nach ihr fragen. Maria that es. Hört es und staunt: meine schweigsame Maria öffnete den Mund, um sich nach dieser fremden und hochmütigen Modedame zu erkundigen, die sie vollständig ignoriert hatte. Maria sagte sogar in Gegenwart der Neri, daß sie niemals ein solch armes süßes Wesen gesehen hatte: »Nicht mehr Kind und doch noch nicht Weib!« Ihr kennt Maria genug, um mit mir verwundert zu sein. Denn wenn hätte sich Maria jemals so sehr über jemand geäußert?

Assunta Neri antwortete nichts als:

»Vielleicht ist sie noch zu retten. Aber ich glaube es nicht.«

Diese an sich trostlose Aeußerung that sie mit dem Blick einer Hellseherin und dem Ausdruck eines physischen Leidens, als hätte sie sich in den Zustand der kranken Prinzessin so tief versenkt, daß sie diesen an sich selber empfand. Ich fühlte mich durch die Mitteilung über das hoffnungslose Leiden der jungen Frau keineswegs erschüttert. Im Gegenteil: sie befreite mich von einem eigentümlichen Druck, den ich seit einiger Zeit mit mir herumtrage. Das Leben ist schließlich so wenig lebenswert – vielleicht selbst für eine Weltdame! Ich kann nun einmal mit keinem Sterbenden und keinem Gestorbenen Mitleid fühlen; wenn dieser auch noch so jung und schön, so gut und glücklich war.

Dann nur um so weniger Mitleid!

Aber die Neri hatte es anders gemeint, wie ich erst durch Marias erregtes Fragen verstand. Die Neri meinte nicht eine rettungslose physische Auflösung der Prinzessin; sondern einen seelischen Krankheitsprozeß, für den sie keine Hilfe möglich sah – wenigstens schwerlich.

Was mag es sein, woran dieses seltsame Wesen, »das nicht mehr Kind und noch nicht Weib ist« – ich rede mit Marias Worten – unaufhaltsam zu Grunde gehen soll?

Gehört auch dieses fremdartige liebliche Geschöpf zu der langen Reihe moderner Frauengestalten, die ein neues Geschlecht ausmachen mit neuen Organen, mit neuem Nervensystem? Ward das Weib noch einmal aus der Rippe des Mannes geschaffen mit vollkommen anderer Seele als mit der ewigen Evaseele des Weibes?

Und ob auch dieses nachgeborene Weib göttlichen Ursprungs und unsterblichen Geistes ist?

Ihr seht: ich habe wieder etwas Neues zum Grübeln.

*

Assunta Neri reiste ab.

Sie will im Herbst wiederkommen und oben unter den Cypressen eine neue Rolle studieren: »Wenn ich mich bis zum Herbst noch nicht totgespielt haben werde ...« Wie viele Schicksale muß sie bis dahin auf der Bühne an sich erfüllen lassen, wie viele Leidenschaften, welchen Jammer, welche Verzweiflung ertragen – das ganze Martyrium des liebenden leidenden, durch seine Liebe zu Grunde gehenden Weibes.

Unter den Cypressen eine neue Rolle studieren – und mein Mund ist für immer verstummt!

Wenn ich in meinem frühlingsfrohen Freskenzimmer liege, zur Decke aufblicke, wo in dem strahlenden Gewölk die liebliche blumenstreuende Göttin erscheint, so habe ich bisweilen einen seltsamen Traum ... Die Himmlische greift in die Blüten, nimmt daraus eine Blume, wirft sie herab, trifft damit meine Stirn. Von der Blume getroffen, erhebe ich mich, wandle und rede wieder – spreche ich zu allem Volke, verkünde ich mit feuriger Zunge die Botschaft des ewig Schönen, Guten und Großen.

Ein seliges Traumbild, nicht wahr?

*

Assunta Neri war also fort und ich hoffte täglich wieder geordneter und beruhigter zu werden. Doch die Windsbraut, die der Besuch der Tragödin in mir weckte, will und will sich nicht legen.

Ich flüchte mit meinem Sturm in den Abendfrieden, den Maria um sich verbreitet, berge den Aufruhr, der mich erfaßt hat, in ihrer Himmelsruhe und stille mein inneres Toben an ihrem Schwesterherzen. Sie ist, wie immer, gütig und geduldig, mild und stark und wird mich gewiß wieder zur Ruhe bringen.

Denn ich erkenne mehr und mehr: nicht die Villa Falconieri ist mein Asyl – mein Hort und mein Heil beruht in Maria!

Sollte es mir gelingen, Marianos Tod konstatieren zu lassen – denn die Ueberzeugung seines Todes befestigt sich mehr und mehr in mir – so wird jenes Dunkle, Geheimnisvolle und Unheilvolle, welches zwischen uns beiden liegt, sicher verschwinden.

Ja, ja! Dann wird vieles besser werden.

Die Prinzessin von Sora sah ich nicht wieder.

Vielmehr: ich sah sie nur noch ein einziges Mal; aber ganz flüchtig.

Es war oben auf Tusculum: unterhalb der Felsen beim Kreuz.

»Apage Satanas!«

Der Böse geht um unter blühendem Ginster.

*

Die Windsbraut hat mich von meinem Eiland hinweg und in einen wilden Strom geschleudert.

Ich wehre mich, ich kämpfe mit den Wellen.

Aber der Strudel hat mich ergriffen und mit sich davongerissen.

Der Prinz von Sora besuchte mich.

Was hat dieser Mensch sich um mich zu kümmern?

Ich bin nicht seinesgleichen!

Ob das auch einer ist vom neuen Geschlecht? Von der Generation der Gegenwart, der die Zukunft gehört?

Noch jung, und doch niemals jung gewesen; von allen Genüssen erschöpft, und doch noch genußgierig: bereits entnervt, und immer noch lüstern: Zoll für Zoll ein Fürst der fashionablen Decadence – Gedanke für Gedanke ein vulgärer Geist! Und diesem nach englischer Mode gekleideten wandelnden Kadaver, diesem traurigen Helden eines Zolaschen Kulturromans, dem würdigen Repräsentanten einer lebendig verfaulenden modernen Mannheit wurde das unschuldige unwissende Kind ausgeliefert!

Ich saß ihm gegenüber mit stummem Ekel, ließ ihn sein Salongeschwätz führen und versuchte mir dabei vorzustellen: was aus einer Mädchenseele werden muß, die einem solchen Menschen überliefert wird.

Aber es läßt sich nicht vorstellen – es ist moralischer Mord.

Meine arme Maria und jenes seltsame süße Kind sind in gewissem Sinne Gefährtinnen; denn beide so ungleichartige Frauenexistenzen haben in sich den einen gleichen faulen und toten Punkt. Als ich es plötzlich sah, war ich entsetzt. Ich hatte Maria nicht helfen können: und nicht zu helfen, denn nicht zu »retten« wird das andere Opfer sein.

Und wie, wenn die Welt von solchen moralisch gemordeten Frauenseelen wimmelte?

Davon wußte ich allerdings nichts.

*

Eine neue Frage drängt sich mir auf, reizt mich zu unausgesetztem Grübeln, quält mich, weil ich die Antwort nicht finde:

Gab es solche Frauen zu jeder Zeit?

Oder hat unsere alles aufgrabende, alles durchwühlende und zersetzende Zeit die Existenz solcher Frauen uns erst zu Bewußtsein gebracht – erst den Frauen selbst zu Bewußtsein?

Und was werden von diesem gewaltsam aufgerüttelten Frauenbewußtsein, das mit Grauen und Entzücken sich selber empfindet, die Folgen sein?

*

Es fiel mir schwer, höflich zu sein. Doch endlich entschloß ich mich, notgedrungenerweise den Besuch des Prinzen zu erwidern. Zum Glück befand er sich in Rom; aber die Prinzessin wollte mich empfangen.

Sie war nicht im Hause; sondern unter den Eichen, die vor der Villa Taverna in epischer Größe über der Campagna aufragen – ein Gesang aus Homer!

Ich folgte dem Lakaien und sah in der Dämmerung der dichten Wipfel die seine weiße hingelagerte Gestalt gleich einem stillen Bildnis ruhen. Hinter den finsteren Stämmen erstreckte sich im grellen Sonnenlicht eine weite Flur voll hoher, mit Blüten bedeckter Oleander- und Granatbäume. Es war wie ein rosig und feuerrot strahlender Teppich, gegen den auf der grauen beschatteten Marmorbank die lichte Figur sich abhob.

Sie war allein und ich fand sie weich und traurig. Nichts von der großen Modedame als das Spitzengewand, das sie wie eine weiße Welle umfloß. Sie hatte etwas Hilfloses, Rührendes. Eine stille Wärme ging von ihr aus wie Frühlingsluft. Ich hatte gar nicht geglaubt, daß sie so ruhig und einfach sein könnte.

Da sie zu leiden schien, so wollte ich von ihrem Befinden sprechen. Sie lehnte es jedoch mit einem Lächeln ab, und wir sprachen von Assunta Neri.

Sie sagte:

»Ich beneide sie. Ich habe noch niemals eine Frau beneidet. Aber diese eine beneide ich! Nicht um ihren Ruhm; sondern –«

Sie schwieg und lehnte ihr Haupt müde zurück. Ich erwiderte:

»Trotz ihres Ruhmes halte ich sie für sehr unglücklich.«

»Was thut das? Auf das Glück kommt es nicht an. Es kommt nur darauf an, wie man unglücklich ist: rein und still, einfach und groß. Großsein im Unglück ist beinahe Glücklichsein. Und wenn die Tragödin an ihrem schönen großen Unglück, das nicht ihre Kunst, sondern ihre Natur ist, zu Grunde geht, so geht sie doch schön und groß zu Grunde. Was könnte eine Frau Herrlicheres sich wünschen? Wir anderen sind so klein; und es ist so jammervoll, ein kleiner Mensch sein zu müssen.«

»Klein sein zu müssen?« fragte ich.

»Wir müssen so sein, wie unsere Natur ist. Das ist es ja eben!«

In einer Equipage des Prinzen kamen römische Gäste von der Station. Der Lakai meldete sie.

Ich erhob mich. Die Prinzessin sagte:

»Ich bitte Sie nicht, zu bleiben. Was haben Sie mit diesen Leuten gemein? Ich bin freilich um nichts besser. Im Gegenteil! Diese Leute sind wenigstens das, was sie scheinen: nach neuester Mode angezogene Marionetten mit Salonmanieren. Nicht wahr, Sie kommen wieder?«

»Das kann ich nicht versprechen.«

»Wenn ich Sie darum bitte, werden Sie gewiß wiederkommen. Sie können sich nicht vorstellen, wie einsam ich bin.«

Einsam! Sie sprach eine Zauberformel über mich aus. Einsam! Ich wußte ja längst, daß auch sie einsam war und – werde wiederkommen.

Schon morgen!

*

Als ich ging – zwischen der Villa Taverna und der Villa Falconieri befindet sich eine Hecke mit einer kleinen grünen Thür, zu der beide Villen den Schlüssel besitzen – hörte ich die römischen Gäste geräuschvoll unter die Eichen sich ergießen: in dem Homerschen Gesange das elegante high life-Geschwätz!

Gott sei Dank, daß ich mit dieser Welt nichts mehr gemein habe – nie mehr etwas gemein haben werde! Daß diese Menschheit für alle Zeiten für mich abgethan ist... Allein der Gedanke: ich könnte noch einmal zu ihr zurückkehren, trieb eine heiße Blutwelle gegen mein Hirn; und ich beruhigte mich erst, als ich mich wieder in meinem Tusculum befand, welches mir paradiesischer als jemals erschien.

Aber selbst hier – immerfort ist mir's, als höre ich Lachen und plaudernde Stimmen. Immerfort sehe ich die weiße ruhende Gestalt, die nicht mehr zu retten sein soll. Und sie sagt:

»Sie können sich nicht vorstellen, wie einsam ich bin ...«

Doch dann erhebt sie sich, tritt unter die Gäste, lacht wie diese, plaudert wie diese, ist um nichts besser als sie.

Auch mit ihr habe ich nichts gemein!

*

Trotzdem ging ich wieder zu ihr. Ich wollte nicht feige sein. Jetzt muß ich dafür büßen.

Der Prinz befand sich wieder in Rom; aber dieses Mal traf ich die Prinzeß nicht allein. Ein Marchese Riccardo Belcampo war bei ihr. Der Marchese ist Offizier, kommt direkt aus Afrika, wo er Heldenthaten verübte und über ein Jahr Gefangener des Mahdi war. Er ist nicht grade schön: aber herrlich jung. Voller Frische und Kraft, ist er ebenso freimütig wie leidenschaftlich. Er ist wirklich ein prachtvoller Junge! Mit der Naivität einer unverdorbenen Jugend, die Seele noch voller Illusionen und Hoffnungen, berauscht von seinem frühen Heldentum, sprach er von sich und den großen Thaten, die er begangen hat. Er sprach von nichts anderem als von sich; und man hätte von gar nichts anderem hören mögen. Ich hatte nicht geglaubt, daß es solche wirklich junge Menschen noch gibt; hatte bereits ganz vergessen, wie solche gute leuchtende Jugend aussieht, wie sie denkt und fühlt. Sie denkt übrigens sehr wenig, um so mehr fühlt sie.

Das ist auch das Rechte.

Den Jüngling ansehend und der Erzählung seiner Abenteuer lauschend, ward ich mir bewußt wie nie zuvor, daß ich selbst niemals eine Jugend besessen hatte. Denn Jugend ist Lebensfreude, ist Glaube und Hoffnung. Vor allem ist Jugend Glück. Und ich bin in meinem ganzen Leben niemals glücklich gewesen.

Seine strahlenden Augen suchten die der Prinzessin, hängten sich daran, versenkten sich in den geheimnisvollen Glanz ihres Blickes. Seine Augen sprachen mit einer flammenden unwiderstehlichen Beredsamkeit:

›Du bist ja ein wunderbares Geschöpf! Und wie jung du noch bist! Sieh mich an – wie jung ich bin! Du sollst krank und unglücklich sein? Ich bin gesund und glücklich. Komm, komm! Ich nehme dich in meine Arme, die, was sie einmal fassen, auch festhalten, und mache dich in meinen Armen gesund und glücklich! Lebensfreude – wir wollen sie pflücken! Wir wollen sie pflücken, wie Kinder reife Kirschen pflücken, unter Jubel und Jauchzen. Komm, komm!‹

So sagten ihr seine Augen ... Sie daß ihm gegenüber, sah ihn unverwandt an; und ihr Blick erwiderte:

›Ich möchte wohl kommen: denn ich möchte auch wissen, was Glück ist.‹

Ich beobachtete beide. Sie verkehrten miteinander, als wären sie seit ihrer Kindheit befreundet. Die Prinzessin sah unbeschreiblich mädchenhaft und reizend aus.

Ich fühlte mich von diesen beiden jungen Menschenkindern so weit entfernt wie auf einer Insel im Ocean. Am liebsten hätte ich mich davongeschlichen. Aber ich blieb. Ich blieb und beobachtete. Dabei fühlte ich ein Weh in mir wie noch niemals zuvor. Es war ein ganz neuer Schmerz: aber Neid war es nicht.

Es war ein stilles, ganz stilles, sehr tiefes Weh.

Mit mir hatte sie kokettiert, mit diesem guten Jüngling kokettierte sie nicht. Ihm gegenüber war sie nur ein junges armes krankes Wesen, das vom Glück nichts wußte, das davon gar zu gern einmal genascht hätte, ehe die dunkle Pforte, die nach dem Eintritt nicht wieder sich öffnen läßt, hinter ihr zuschlug.

Vielleicht kenne ich die Frau doch etwas besser, als sie meint: denn alle diese Vorgänge beobachtete ich bei ihr. Und ich begriff sie!

Ich begriff, daß das Weib einmal in seinem Leben ganz Weib sein muß: also ganz Liebe, Zärtlichkeit, Hingabe.

Und wenn diese auch zugleich Sünde, Schuld, Ehebruch wären.

Wen würde für die Schuld und Sünde dieser Frau die Verantwortung treffen?

Den Mann!

Sie trifft immer den Mann, dessen brutaler Faustschlag das Herz der Frau zermalmt, sowie seine Hand ein Weib liebkost, von dem er nicht geliebt wird. Ich begreife alles. Aber der leise tiefe Schmerz, der mich erfaßt hat, will und will nicht wieder weichen.

*

Der junge Marchese befindet sich unter den Gästen der Villa Taverna. Der Prinz ist tagsüber in Rom bei seinen verschiedenen Maitressen; und – alles scheint ganz in der Ordnung zu sein.

Und ich leide.

Jede Minute sage ich mir, daß ich dazu nicht das mindeste Recht besitze, daß mein Leiden eine Absurdität und eine Treulosigkeit gegen Maria ist.

Und ich leide trotzdem.

Dabei beruht alles nur in meiner fiebernden Einbildung, sind es lediglich meine kranken Nerven, die diese Wahnidee schufen.

Wie ich meine zügellose Phantasie hasse!

Sie zeigt mir Bilder und Gesichte, von denen meine Seele nichts wissen darf und im Grunde genommen auch nichts weiß.

Von meinen Fenstern aus sehe ich auf die Pinienwiese der Villa Taverna. Dort befindet sich jetzt des Abends die Prinzeß mit ihren Gästen, darunter der junge Marchese ist. Ich sehe die beiden häufig allein.

Was mögen sie sprechen?

Ich bin ruhelos! Ich durchirre den Park bis zur Erschöpfung, und es hilft mir nichts; ich jage mein Pferd halb zu Tode, und es hilft mir nichts; ich fliehe zu Maria, und auch das hilft mir nichts!

Nachts brennt ihr Licht nicht mehr.

Was bedeutet das?

Sie wird schlafen, sie wird glücklich sein. Das Glück gibt Frieden, und Friede bringt Schlummer ... Gott sei Dank, daß ihre schlaflosen Nächte aufgehört haben!

Dagegen ist mein Schlaf gemordet.

Ich ließ mein Bett im Freskenzimmer aufstellen, weil die Nächte jetzt glühend heiß sind, weil durch die vielen Thüren, die auf die Galerie hinausführen, viel frische Luft hineinströmt, und weil ich Maria nicht noch mehr stören will – da sie in ihrem Zimmer jede Nacht so lange aufbleibt, bis sie mich mein Lager aufsuchen hört.

Ich brenne kein Licht für den Fall, daß –

Uebrigens ist Mondschein.

*

Ich bin krank, gemütsleidend, halb von Sinnen! Denn nur, wenn ich halb von Sinnen bin, ist zu erklären, was ich diese Nacht gethan habe.

Die Hitze war erdrückend, der Mond schien hell und ich fand nirgends Ruhe.

Bei ihr brannte wieder kein Licht!

Ich hielt es im Zimmer nicht aus und verließ das Haus.

Maria wachte und hatte noch Licht.

Mein Weg führte dicht an ihrem Zimmer vorüber. Die Fenster standen offen, so daß ich beim Vorüberschleichen wohl oder übel hineinschauen mußte. Angekleidet saß sie auf dem Rande des Bettes und blickte vor sich hin. Sie konnte mich nicht sehen; denn sie hielt ihren Kopf tief gesenkt. Auch merkte ich, daß ihre Arme schlaff herabhingen.

Ich war froh, daß sie mich nicht erblickte und mein Schleichen nicht hörte. Wenn sie grade ihren Kopf erhoben hätte mit dem blassen stillen, so schönen und so früh verwelkten Gesicht!

Ich hatte es nicht beabsichtigt zu thun, hatte es gethan, ohne überhaupt nur zu denken. Den Schlüssel zu der kleinen Pforte hatte ich zu mir gesteckt: mechanisch, willenlos, wie unter einem gewaltsamen Zwange.

Ich ging durchs Löwenthor in den Hof der Tenuta und in den Park hinein. Ich wollte zum Cypressenteich.

Ich ging den nämlichen Weg, den Maria in jener Mondscheinnacht gegangen war, als sie sich in den Teich stürzen wollte.

Lange Zeit hatte ich daran nicht mehr gedacht. Ich hatte es fast vergessen ... Daß es mir grade in dieser Nacht wieder einfallen mußte!

Und wie sie damals den nämlichen Weg geschritten war! Ohne aufzublicken, mit solcher Ruhe, solcher Zuversicht, einem heißersehnten, endlich erreichten schönen Ziel entgegen. Und von diesem Ziel hatte ich sie zurückgehalten.

Kein Wort hatte sie gesagt; sie hatte geweint. Auch jetzt würde sie schweigen.

Aber jetzt würde sie nicht mehr weinen ...

Jetzt wollte ich mich selbst mit Gewalt zurückhalten. Ich wollte zurückeilen ins Haus, wo Maria so regungslos saß. Ich wollte ihr alles sagen, sie um Schutz bitten, um Mitleid.

Plötzlich stand ich unten an der kleinen Pforte und – ich schloß auf!

Wie ein Dieb schlich ich hin: näher und näher, durch die Oliveta in den Garten, durch die Sarkophagallee zur Villa und zu der Stelle, wo sonst Nacht um Nacht ihr Licht gebrannt hatte. Hohe Hortensien deckten mich. Ich sah im Mondschein die runden weichen blassen Blüten. Und darüber sah ich das Fenster weit offen stehen. Wenn sie nicht allein gewesen wäre – wenn ich das Flüstern der Liebenden gehört hätte, ihre Seufzer, ihre Küsse!

Aber sie war allein.

Sie trat ans Fenster. Sie stand regungslos da wie eine mondhelle Nebelgestalt.

Gewiß erwartete sie den Jüngling.

Was sollte ich thun, wenn sie mich sehen würde?

Ich konnte ja nur sagen, daß ich toll wäre.

Aber die hohen Hortensienbüsche machten mich für sie unsichtbar.

Plötzlich schien mir's, als wäre sie doch nicht allein; denn sie sprach, flüsterte. Ich stand so nahe, daß ich jedes Wort verstehen konnte. Mit angehaltenem Atem lauschte ich. Aber zuerst begriff ich nicht, was sie sprach. Mit ihrer leisen süßen Kinderstimme erzählte sie Märchen. Und sie erzählte sie sich ganz allein, wie ein Kind, das im Dunkeln sich fürchtet.

Ich weiß nicht, wie lange ich dastand ... Sie ging dann vom Fenster fort und endlich entfernte auch ich mich.

Ich schloß die Pforte vorsichtig zu, als ob damit alles hinter mir bleiben würde, und schlich mich durch die Oliveta zur Villa hinauf. Bei jedem Schritte sagte ich ganz laut: »Toll!« Mir kam es nur seltsam vor, daß ich es wußte und so ruhig aussprechen konnte.

Marias Fenster war geschlossen. Trotzdem ging ich daran vorüber, als wäre es immer noch offen, als stünde Maria dort und müßte mich sehen, weil hier keine Hortensienbüsche mich deckten.

In mein Zimmer zurückgekehrt, warf ich mich aufs Bett und schaute zum Bild der Frühlingsgöttin empor.

Der Morgen graute, das holde Antlitz der Himmlischen sah in dem fahlen Tageslicht so blaß und hoffnungslos aus wie Marias Gesicht.

*


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