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Du willst »alles« über die Villa Taverna hören? ...

Ist es nicht vollständig einerlei, wo wir leben? Was bedeutet eine Wohnung, wenn wir doch immer in uns selbst bleiben müssen?

Ich versichere Dich: immer!

Ich möchte mein Haus so einrichten, genau so, wie ich in meiner geheimsten Seele bin, die ich weit weit vor Dir aufschließe – soweit ich eben kann.

Vermutlich würde es dann sonderbar bei mir aussehen; und meine strenge sittsame Madame Charme würde über so viel »Raffinement« bedenklich ihr schönes Haupt schütteln.

Stoffe müßten mich umschimmern, Farben mich umlodern, die – wie könnte ich's nur ausdrücken, damit Du mich verstehst? ... Es müßte wie Musik sein, wie leise, süße, weiche, alle Sinne bestrickende, wollüstige Musik.

Dazwischen grelle Mißtöne, Seufzer, Schluchzen, ein schriller Jammerlaut –

Alles um mich müßte sein wie der Duft einer exotischen Blume: schwer, schwül, betäubend, berauschend, sinnverwirrend, eine brausende Symphonie giftiger Wohlgerüche.

Um nun wieder in die Welt der Wirklichkeiten zurückzukehren, so höre hier einiges über die Villa Taverna-Borghese bei Frascati, zwölf Meilen von Rom.

Es ist ein altes, häßliches, kastenförmiges, jedoch »historisches« Gebäude; denn irgend ein berühmter Kardinal aus dem sechzehnten Jahrhundert hat das Landhaus gebaut und irgend ein großer Papst aus der Familie Borghese hat es bewohnt. Es gibt, glaube ich, nur einen Borghese, der Papst war? Du weißt, wie ungebildet wir Römerinnen sind.

Das Haus ist ein Durcheinander von Hallen, Zimmern, Sälen und Korridoren; und ein halbes Dutzend amerikanischer Nabobs könnte sich mit all dem antiquarischen Krimskrams seine Paläste ausstatten. Aus meinem Salon ließ ich alles hinauswerfen. Ich ließ den Plafond von Eurem famosen Walter Crane ausmalen, die Wände mit nilgrünem Atlas tapezieren, darin in natürlicher Größe silberne Marienlilien eingewirkt sind, und der abscheuliche Ziegelsteinboden wurde mit einem mattvioletten Smyrnateppich und darüber ausgebreiteten weißen Bärenfellen bedeckt. Mein Diwan besteht in einer mysteriösen Aufhäufung von allerlei Weichem und Warmem, Weißem und Schimmerndem; denn ich werde hier sicher noch im Mai frieren.

Bereits im Kloster waren, wie Du weißt, die stillen bleichen Madonnenlilien meine Lieblingsblumen. Ich schrieb Dir wohl, daß mein Gatte so höflich war, in unserem Palais neben meinem Boudoir ein eigenes Lilienhaus erbauen zu lassen, damit ich den ganzen Winter über von den hohen schlanken frommen Blumen umblüht würde. Unser römischer Gärtner schickt täglich eine Sendung heraus; und ich lasse die Lilien in sehr schönen alten Japaner Bronzen rings um meine Polster aufstellen, so daß Euer himmlischer Burne-Jones selbst Deine blasse wunderholde Viviane als »Madonna unter Lilien« verewigen könnte. Dazu stelle Dir vor: ich kleide mich jetzt ausschließlich in Weiß; und zwar in einer Manier, die mir gestattet, von mir behaupten zu dürfen: » La mode c'est moi«

Du willst immer noch mehr über unser neues Frascataner home hören?

Ich entdeckte hier bei mir einen neuen Sinn: den Sinn für Natur.

Lächle nur, boshafte Madame Charme!

Erinnere Dich übrigens, wie ich bereits in unserem Heiligtum über Form und Farbe einer Blume, über die Gluten des Abendrots auf dem schwarzen Stamm einer Steineiche; oder wie unser bunter Klostergarten allmählich in Dämmerung und Nacht versank, gradezu in Ekstase geraten konnte. Und einmal beschrieb ich Dir ein Feld blutroter Anemonen unter silberhellen Oelbäumen so wundervoll, daß Du damals behauptetest: Deine eitle, rein äußerliche, nur an Weltlichkeit denkende, nur für Weltlichkeit lebende Viviane wäre ein Stück atmender Poesie – nur ein Stücklein.

Im Ernst, Liebste! Ich sehe hier nicht allein die fromme Schönheit meiner Lilien; sondern auch die biblische Größe der römischen Landschaft.

Ich bin hier nämlich ganz umgeben von ihrer feierlichen Pracht, darin eingehüllt gleich einer Kaiserin in Purpur.

Wenn ich auf meiner Schwanendecke unter meinen Blumen die Stunden verträume, so erblicke ich durch das breite Fenster in einem fast schwarzen Rahmen von Steineichenzweigen das Bild der weiten weiten Steppe. Sie ruht so stolz unter mir wie ein mächtiger toter Herrscher, und ist so einsam wie ein großer Mensch.

Wunderst Du Dich nicht, was für Gedanken mitunter durch mein Köpfchen gaukeln? Denn was weiß ich kleine Dame aus der großen Welt von einsamen großen Menschen?

Hinter der Villa erstreckt sich ein verwilderter Garten, darin ein Museum von Antiken aufgestellt ist. Ein langer tiefschattiger Weg wird zu beiden Seiten von prachtvollen Sarkophagen besetzt, in denen jetzt Rhododendren und weiße Kamelien blühen. Eine Reihe von allerliebsten Kindersärglein habe ich eigenhändig mit meinen lieben blassen Lilien bepflanzt. Es ist wirklich wunderhübsch.

Der Garten stößt an eine Pinienwiese, die jetzt dicht voll violetter Anemonen steht. Die rotbraunen schlanken Stämme der schönen Bäume erheben sich über dem bunten Teppich wie Porphyrsäulen. Eine Allee uralter Steineichen, deren Wipfel so ineinander verwachsen sind, daß sie keinen Sonnenstrahl durchlassen, führt, dunkel wie ein Tunnel, durch einen Oelwald am Hause vorbei und in sanfter Steigung hinauf zur Villa Mondragone, einem steinernen Koloß, der über einen wahren Berg von Terrassen wie ein graues Ungetüm hingewälzt liegt. Der Palast ist zu gewaltig, um schön sein zu können.

Schön ist unsere andere Nachbarin, die Villa Falconieri.

*

Heute sollst Du zur Strafe für Deinen Verdacht, daß ich nichts anderes als weltlich sein könnte, allerlei Häusliches erfahren.

Wir haben von unserem Riesentrain nur einen Teil mitgeschleppt, da der Prinz – es ist so geschmacklos, immerfort von seinem »Gatten« zu reden – viel häufiger in Rom als hier ist, und viel weniger ohne den Pariser Küchenchef existieren kann als ich, die ich nur esse, um nicht zu verhungern – wie mancher nur notgedrungen lebt, um nicht sterben zu müssen.

Leider kommen zum lunch und zum afternoon-tea täglich Leute. Man ist nämlich so liebenswürdig, zu behaupten, daß ohne Deine blondhaarige, grauäugige, lilienschlanke, blütenweiße Viviane Rom nicht Rom sei.

Ich lese es Dir, meine süße Herrliche, vom Gesichte ab, wie sehr Du Dich über mein »leider« wunderst: »Leider kommen Leute...«

Auch ist es wunderlich! Nichts auf der Welt ist mir so gleichgültig, so langweilig, so unbequem wie die Menschen; und ich könnte doch ohne sie nicht existieren. Ich finde die meisten Frauen der römischen Gesellschaft eitel und dumm, die meisten Männer eitel und brutal. Und bei fast allen kommt es schließlich auf das eine, einzige heraus: auf das Häßliche, das Trostlose, das Gemeine ...

Dina, Dina! Ist es denn wirklich wahr, daß die beiden Geschlechter die Pole sind, um die die Erde sich dreht?

Also Du siehst, wenn die Prinzessin von Sora nicht in die Welt geht, so geht die Welt zur Prinzessin von Sora. Und zwar kommt sie mit ihrem ganzen Klatsch, ihrer ganzen Erbärmlichkeit bis in die einsame große herrliche Campagna zu mir heraus.

Ich weiß in der Villa Taverna genau, welche von den Damen der großen Welt ihren zeitweiligen Freund und welche von den Damen der Halbwelt ihren augenblicklichen Besitzer wechselte.

Ich versichere Dich: die römische Gesellschaft ist lediglich die Fortsetzung eines endlosen Romans von Zola.

*

Ich bin wirklich ein gutmütiges Ding – bisweilen wenigstens. Meine Kammerfrau ist nämlich so geschmacklos, mich zu adorieren; und bisweilen gestatte ich ihr, ihre Empfindungen auszudrücken.

Gestern bei der Nachttoilette, als ich mein langes weißes Babykleid anhatte, löste sie mein Haar, wickelte mich darin ein, stellte auf der einen Seite eine von den Lilienvasen neben mich und auf der andern eine hohe brennende Wachskerze. Es war sündhaft; aber ich mußte zu dem Heiligenspielen doch lächeln, worüber meine Pariserin vollends in Entzückung geriet.

Ob ich wohl eitel, sehr, sehr eitel bin?

Hand aufs Herz, kleine Viviane! ... Ich bin überzeugt, du bist eitel, sehr, sehr eitel.

O, Madonna mia!

Und dann wiederum: Nein, nein!

Für wen sollte ich wohl eitel sein?

Etwa für den Prinzen?

Er besticht meine mich vergötternde Kammerfrau und läßt meine Toiletten für seine Maitressen nachmachen; und diese Damen kleiden sich einmal in ihrem Leben wie eine anständige Frau, anstatt daß wir eine von diesen Damen imitieren.

Oder wäre ich etwa eitel für andre Männer?

Ich bin seit meiner Heirat noch keinem Manne begegnet, der mir nicht – für einen Augenblick wenigstens – in irgend einer Weise widerwärtig erschienen wäre, saß ihm sein Frack auch noch so vorzüglich, sprach er ein auch noch so superbes Pariser Französisch, und waren sonst seine Manieren die eines tout grand Seigneur.

Also bin ich eitel für mich selbst?

Ja, ja und tausendmal ja!

Es gibt auf der Welt eines, was ich unsinnig liebe: Schönheit! Ich werde niemals unglücklich sein können, und zwar aus keinem andern Grunde, weil Unglück etwas Unschönes ist. Wenn ich mein kurzes irdisches Leben – und betrüge es nur die Spanne eines Jahres – mit der allerhöchsten Schönheit ausfüllen könnte, so würde ich dafür meine ewige Seligkeit hingeben.

Findest Du das sehr frivol?

*

Richtig, und die Villa Falconieri ...

Was ich von ihren Bewohnern weiß, erzählte mir meine Kammerfrau. Meine Quelle ist also grade kein silberheller Waldbach.

Der schöne Landsitz gehört der Prinzessin Lancellotti, die sich rings um Frascati eine kleine römische Provinz zusammengekauft hat. Sie ist eine vortreffliche Regentin. Denn die Dame ist nicht nur die liebenswürdigste, sondern auch die gebildetste und klügste von uns römischen Fürstinnen. Von ihren drei Frascataner Villen hat sie haushälterisch zwei vermietet: die berühmte Tusculana an die Propaganda, und die traumhaft phantastische Falconieri an einen Sonderling.

Erinnerst Du Dich eines Grafen Cola Campana?

Ich meine den Dichter Campana!

Im Kloster schwärmten wir für seine in unser Heiligtum eingeschmuggelten weltschmerzlichen Poesieen à la Byron und Leopardi. Wir lernten die schwermütigen pompösen Strophen heimlich auswendig, berauschten uns an der pathetischen Pracht ihrer Sprache, deklamierten sie im Klostergarten, versteckten das Bändchen Gedichte tagsüber in unseren Gebetbüchern, nachts unter unseren Kopfkissen, schrieben den Namen Cola mit Blut, welches wir uns mühsam aus dem aufgeritzten Finger drückten, auf rosa Papier und verwahrten das Blatt am Herzen. Wir träumten von den ekstatischen Naturschilderungen, den glühenden Liebesgedichten – erlebten sie ...

So verrückt!

Und von allen Tollen war die kleine Viviane die tollste.

Aus Caprice vermutlich.

Ist das nicht merkwürdig? Daß ich einstmals allen Ernstes für etwas schwärmen konnte – wenn auch nur aus Laune. Wie das klingt: »Einstmals!« Und es ist grade volle sechs Jahre her. Noch so jung zu sein und sich schon so alt zu fühlen, so morsch wie entnervt. In Frankreich nennt man, was ich meine und vielleicht nicht ausdrücken kann: » morbide«.

Es bezeichnet eine geistige Blässe unseres Jahrhunderts.

Ich hatte meine entsetzlich jugendliche Schwärmerei für einen neuen Dichter des uralten Weltschmerzes bereits lange vergessen, hatte des Grafen Cola Campana nie wieder gedacht, wußte kaum noch, daß ein solcher Mann »einstmals« einer der gefeiertsten Poeten Italiens gewesen war. Denke doch! Dieser nämliche Graf Cola Campana, das Ideal unserer unschuldigen glücklichen verrückten Jugendzeit ist in der Villa Falconieri mein Nachbar.

Jetzt fällt mir ein: schon damals galt der poetische Graf für einen sonderbaren Schwärmer; und schon damals hörten wir im Kloster allerlei über ihn flüstern. Wie gierig wir Kleinen lauschten, ward einmal von einer der »Großen« sein Name genannt. Waren es wohl Frauengeschichten?

Bitte, hilf meinem miserablen Gedächtnis.

Richtig! Man erzählte uns schon damals, daß der Sänger der düstern schwermütigen »Nächte«, der Rolle eines litterarischen Salonlöwen wahrscheinlich überdrüssig, mutterseelenallein in einem alten Märchenschlosse hause.

Das war also die Villa Falconieri!

Warum haust er dort?

»Cherchez la femme –« natürlich!

Denn dieser Pessimist, Menschenfeind und was er sonst noch sein mag, scheint sich dort oben ganz vergnüglich eingenistet zu haben. Eine schöne Freundin teilt – wie meine etwas schlammige Quelle mir berichtet – des gräflichen Poeten »Einsamkeit« unter den berühmten Steineichen der Villa.

» O madame! On parle d`une trés grande passion

Und meine romantische Pariserin – denn bisweilen können auch moderne Kammerfrauen romantisch sein – verdrehte voller Entzücken die Augen.

Eine große Leidenschaft...

Findest Du nicht, daß die Phrase einen eigentümlichen Klang hat, wenn es auch nur eine Phrase ist?

Eine große Leidenschaft ...

Es rauscht und braust, stürmt und tost in den Worten.

Eine große Leidenschaft...

Ein Alpengipfel steigt vor Dir auf, ein Abgrund öffnet sich zu Deinen Füßen. Es jubelt Dich an in den Lauten, es schluchzt darin. Es ist Himmel und Hölle, es ist qualvolles Leben und glückseliger Tod. Es ist alles – alles!

Wie Du siehst, machte die Redensart von der großen Leidenschaft auf mich Eindruck. Denn bist du schon einmal in Deinem Leben einer großen Leidenschaft begegnet, einer wahrhaft großen?

Ich nicht.

Es muß eigentümlich sein, ganz eigentümlich.

Dieser edle Graf Cola Campana mit allen seinen mehr oder minder herrlichen Poesieen, mit meiner ganzen einstmaligen verrückten Backfischschwärmerei für ihn, würde mich jetzt nicht das mindeste kümmern, wenn er seine »große Leidenschaft« nicht hätte. Ich denke viel darüber nach; und je mehr ich darüber nachdenke, um so weniger verstehe ich die Sache. Und je weniger ich sie verstehe, um so erregter und nervöser macht es mich. Es muß etwas Wunderbares darum sein. Ich möchte es für mein Leben gern kennen lernen – natürlich nur durch einen andern: denn es an sich selbst zu erfahren, das müßte sein –

Dina, Dina! Es müßte sein, als käme ein Gestorbener aus dem Grabe zu Dir.

Ich werde sentimental ... Pfui!

Alle Sentimentalität ist geschmacklos, und jede Geschmacklosigkeit ist häßlich. Und damit wäre ich für mich bei dem Ende aller Dinge angelangt.

*

Stelle Dir vor: der Mann mit der großen Leidenschaft ist ein alter Herr! Denn mit fünfundvierzig Jahren ist der Mensch doch alt. Wenigstens muß er sich alt fühlen, uralt. Und dann noch immer eine große Leidenschaft haben. Das ist einfach lächerlich.

Und – es ist unästhetisch!

Woher ich das Alter des Grafen so genau weiß? Nicht durch meine romantische Kammerfrau; sondern aus einer etwas sichereren Quelle, dem Konversationslexikon. Ich entdeckte es zu meinem großen Erstaunen in der Bibliothek und bin ordentlich stolz darauf, daß wir so gebildet sind, ein Konversationslexikon zu besitzen... Graf Cola Campana ist im Jahre 1847 in Mailand geboren, hat sehr jung mit seinen Dramen die italienische Bühne gradezu beherrscht, ist sehr bald vom Repertoire vollständig verschwunden, ist seit beinahe zwanzig Jahren in der Litteratur verschollen, von der Welt vergessen, in Melancholie, Einsamkeit und kranken Nerven untergegangen.

Es klingt schwermütig, nicht wahr?

Im Konversationslexikon steht von der famosen großen Leidenschaft natürlich nichts zu lesen. Mir scheint das eine Wort alles zu sagen, alles zu erklären.

Wir Frauen sind eben viel weiser als ein Konversationslexikon.

*

Madame Charme, meine zürnende, strafende, alles verstehende, alles vergebende Madame Charme: ich habe über unsere »göttliche Welteinrichtung« so viele lästerliche Gedanken. Sie ist – wie so viel anderes auf Erden – im Grunde genommen nichts als eine Komödie, obenein eine herzlich schlechte Komödie; denn man kann dabei nicht einmal lachen.

Aber zum Lachen ist folgender Spaß:

In vierzehn Tagen ist Ostern, und heute hat sich der Prinz nach Camaldoli zu den Mönchen begeben, um im Kloster seine alljährliche Pönitenz zu thun. Ist das nicht eine köstliche Bouffonnerie? In Camaldoli – es liegt eine halbe Stunde von hier, den Berg hinauf, unter dem Kreuz von Tusculum – lebt der Prinz volle zwei Wochen in strenger Klausur. Er betet, fastet, büßt. Er betet, fastet und büßt alle seine Sünden ab, um sich alsdann mit einer Seele, so weiß wie eine meiner Lilien, in die Arme einer Dame der Welt oder Halbwelt zu stürzen. In den verschiedensten schönen Armen bleibt mon cher mari ein volles Jahr, bis auf der Welt wieder Ostern wird und die große jährliche Gewissenswäsche von neuem beginnt.

*

Du mußt noch einmal etwas über den Mann mit der »großen Leidenschaft« in der Villa Falconieri hören.

Seine Freundin wird hier allgemein einfach nur »Madama« genannt. Ihr Name ist Maria. Sie soll einmal ein Wunder von Schönheit gewesen sein. Bevor sie »Madama« wurde, war sie eine Signora. Ihr Mann hatte die Tenuta der Villa Falconieri gepachtet und lebte mit seiner wunderschönen Maria seelenvergnügt inmitten seiner Oelwälder und Weinberge.

Da kam der menschenscheue gräfliche Poet, mietete den Palast, faßte für die wunderschöne Maria die famose große Leidenschaft und nahm die Dame ihrem Manne fort. Es gab nicht einmal einen Totschlag dabei. Nur Geld kostete die Sache, sehr viel Geld. Doch Geld besaß der dichtende Graf so viel wie ehemals Ruhm. Zuerst wollte der Mann der schönen Maria allerdings nach seinem Dolchmesser fassen; zum Glück erinnerte er sich jedoch rechtzeitig, daß er Italiener wäre, ließ sein Dolchmesser vorsichtig in der Scheide und steckte das gräfliche Geld in die Tasche. Der Mann verschwand aus der Falconieri; die Frau blieb, und – es blieb die große Leidenschaft.

Habe ich Dir die Geschichte von dem edlen Grafen und der wunderschönen Maria nicht hübsch erzählt? Sie klingt beinahe wie eine alte Romanze; der Refrain lautet:

»Und es blieb die große Leidenschaft.«

Gestern war ich in der Villa Falconieri, das heißt im Park. Das ist eine köstliche Wildnis! Ganz allein war ich dort, sogar ohne meine perfekte Kammerfrau, ein Mangel an Schicklichkeit, den die schäbigste Frascatanerin einfach shocking finden würde. Ich sah nur einen Urwald von Bäumen, Büschen, Blüten, hörte nur einen Chor von Nachtigallen. Aber von der wunderschönen Maria, vulgo Madama, sah und hörte ich nichts, ebenso wenig von unserem einstmals angeschwärmten Poeten.

Und das ist gewiß recht gut; denn die wunderschöne Maria wird alt und garstig geworden sein, und der berühmte Dichter alt und fett – was noch viel abscheulicher ist.

Bei der Villa ist ein Teich unter Cypressen.

Ich saß lange am Rande, schaute in das schwarze Wasser, wo ich mein schneeweißes Spiegelbild wie eine himmlische Erscheinung erblickte. Dazu rauschte in den alten Totenbäumen der Wind wie Sphärenmusik.

Ich hätte immer so dasitzen mögen, in das stille dunkle Wasser schauen und auf das Rauschen in den Cypressenwipfeln lauschen.

Es ist so recht der Ort, um auszuruhen.

*


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