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Ich ritt zur Villa Tusculana hinauf und ins »Zaubergärtlein«, wie ich jene schöne Blumenwildnis getauft hatte. Ich ritt die köstlichen Wege, die nach allen Richtungen den tusculanischen Höhenzug durchschneiden. Ich drang auf meinem klugen Tier durch die Dickichte der Kastanienwaldungen und suchte die Spuren des alten Tusculum auf. Bald wurde mein Blick so geübt, daß ich die verschütteten Ruinen und halbversunkenen Terrassen an einer Welle des Geländes erkannte, einer Furche die antike Straße anmerkte und überall Grotten, Nischen und Mauerreste aufspürte: von den ältesten sagenhaften Zeiten bis ins späte Mittelalter hinein. Auf der Hohe von Tusculum ließ ich gewöhnlich mein Pferd werden, ruhte in den Ruinen der Tiberiusvilla, oder im griechischen Theater auf den Sitzreihen, wo neben mir die Eidechsen sich sonnten, oder unter den Cypressen der Gräberstraße. Ich kletterte durch die Trümmer zur ehemaligen Burg empor, die wie ein gewaltiger Königsthron aufsteigt, und wo unmittelbar unter dem Kreuz ein Abgrund sich aufthut, so daß das Zeichen der Christenheit triumphierend über Tod und Verderben schwebt.

Häufig ritt ich durch das öde Molarathal, dieses Schlachtfeld der römischen Republik, nach dem Banditenneste Rocca Priora, und von dort die schönste Bergstraße Italiens über Monte Compatri und Porzio Catone nach Frascati zurück.

Rings um die Seen von Albano und Nemi, auf dem Monte Cavo und dem Hannibalsfeld kannte ich bald jeden Pfad.

Oder ich durchstreifte in der Tiefe die Campagna nach dem Meere hin bis zum Heiligtum »der göttlichen Liebe«, bis zur Hadriansvilla am Fuß des Sabinergebirgs.

Um mich den Menschen nicht vollkommen zu entfremden, verkehrte ich mit Hirten und Kohlenbrennern, mit Jägern und Landleuten, bei denen ich bald ein bekannter Gast wurde, welchen sie an ihren Feuern, in ihren Capannen und ihren häufig in antiken Grabhöhlen und Grotten eingenisteten Wohnungen willkommen hießen, mit einem Glase ihres stark gewässerten essigsauern Weines, einem Stück ihres harten schwärzlichen Brotes bewirteten, und dem sie zutraulich von ihrem leidensreichen Leben in der Wildnis erzählten.

Auch besuchte ich die benachbarten Kapuziner, die Väter von Camaldoli und S. Silvestro und die Einsiedler von Pallazola hoch am Kraterrande des Albanersees auf der Stätte Albalongas.

Dieses Kloster wurde bald mein Lieblingsaufenthalt. Etwas Geheimnisvolleres, Phantastischeres und Unweltlicheres läßt sich nicht vorstellen. Die Mönche bewirteten mich mit ihrem Wein, erzählten mir ihre Klostergeschichten, zeigten mir die antiken Fundamente, darauf ihr Heiligtum gegründet ist, berichteten mir über Land und Leute, führten mich in ein wahres Mysterium der Volksseele ein.

Kehrte ich abends spät ermüdet zurück, ritt ich mit einem wonnigen Heimatsgefühl durch Vignolas herrliches Thor, durch das der gewaltige Eichbaum seine trotzigen Zweige schiebt und darüber der steinerne Falke treue Wache halt. Wie ein Hauch von seligem Frieden wehte es mir aus dem Oelwald entgegen, wie die Schatten eines heiligen Haines empfing mich die Dunkelheit unter den Wipfeln der Steineichen, wie ein Asyl grüßte mich das geöffnete lichtstrahlende Haus!

*

Wenn ich abends im Saale unter den Bildnissen der dahingegangenen Falconieri speiste, wurde der große Raum durch das Licht vieler Kerzen beinahe traulich gemacht. Ich mußte oft das lächelnde Antlitz der unglücklich-glücklichen Teresa, oft die starren Züge der mörderischen Ottavia betrachten. Dabei stieg dann Frau Marianos schönes trauriges Gesicht vor mir auf.

Ich fühlte tiefes Mitleid.

Da ich sehr schlechte Nächte hatte, konnte ich mich niemals entschließen, zu Bett zu gehen. Ich schickte meine Leute zur Ruhe und blieb auf. Lesen konnte ich nicht. So oft ich es versuchte, fühlte ich es in mir wie einen Sturm aufbrausen. Und meine müde Seele bedurfte des Wiegenliedes.

Mein Leben war so unthätig, so unnütz in meiner traumhaften Feiertagsexistenz!

Bald warf ich mich auf mein Ruhebett, bald fuhr ich in die Höhe und eilte hinaus auf die Galerie, wo ich auf und ab, hin und her wandelte, brütend, grübelnd.

Erst wenn der Morgen graute, fand ich den schweren Schlaf der Ermattung.

*

Es war bekannt geworden, daß ich in der Villa Falconieri lebte.

So kamen denn bisweilen neugierige Litteraturfreunde, die mich in meinem Tusculum sehen wollten. Anfangs störte es mich nicht besonders, später jedoch mehr und mehr, bis es mir endlich unerträglich ward.

Ich ließ zuerst das große Falkenthor schließen, später, nach Rücksprache mit Herrn Mariano, auch die übrigen Eingänge. Die Bewohner der Villa bekamen ihre eigenen Schlüssel.

Jetzt belästigten mich keine fremden Gesichter mehr.

Jetzt war es schön!

*

Herr Mariano schien sich mitunter in pekuniären Schwierigkeiten zu befinden. Das nahm mich nicht wunder. Seine Pacht war freilich sehr gering; aber durch die Konkurrenz mit den sizilianischen Weinen und dem Olivenöl aus Apulien litten die einheimischen Kulturen. Ueberdies besaß Herr Mariano zuviel vom grand seigneur – wenigstens seinen Leuten gegenüber.

Er war jetzt häufig in Rom, wo er spielen und galante Abenteuer suchen sollte. Bei seiner ungewöhnlichen Schönheit und seinen sonstigen physischen Eigenschaften mußte er ein gradezu rasendes Glück bei den Frauen haben.

Befand sich Herr Mariano in Rom, so verließ seine Frau die Wohnung nicht; und ich respektierte sie viel zu sehr, um auch nur den Versuch zu machen, mich gegen ihren Wunsch ihr zu nähern. Abends horchte ich wohl, ob sich von den Cypressen her ihr Gesang hören lasse: sie hatte eine gar so wundersame, zu Herzen gehende Stimme.

Aber ich erlauschte nichts.

Ich mußte viel darüber nachdenken: ob sie wohl wüßte, daß ihr Mann in Rom seinen Abenteuern nachging?

Jedenfalls.

Ob sie darunter litt?

Kaum.

Wenigstens vermochte ich es mir nicht vorzustellen.

Eines Tages bat mich Herr Mariano sehr höflich um ein Darlehen. Ich hatte es längst erwartet; denn den meisten meiner Landsleute – zu denen ich Herrn Mariano trotz seines väterlichen Blutes rechnete – ist Borgen so naturgemäß wie Essen und Schlafen. Uebrigens war die Summe nicht groß und ich gab sie gern. Aus welchem Grunde ich Herrn Mariano so bereitwillig zu meinem Schuldner machte, verstand ich eigentlich selbst nicht recht.

Er war wirklich ein höchst eigentümlicher Mensch! Jeden Morgen ließ er von einem Pater des tusculanischen Kapuzinerklosters in der Hauskapelle die Messe lesen, und jeden Abend empfing er den Besuch eines Camaldolensers. Oder er befand sich in einem der beiden Heiligtümer, in deren frommer Hut die Villa lag. Es war jedoch weder Muckertum, noch Heuchelei bei der Sache; sondern ein kraftvoller katholischer Fanatismus, mit dem er sich der Religion hingab und in die Mysterien der Kirche versenkte. Dazwischen pflanzte er seinen Kohl, wie er's nannte, schrieb Artikel für den »Temps«, spielte mit seinen Knechten, rencitirte Victor Hugo und Musset, mißhandelte seine Frau, vergötterte sein Kind, beschäftigte sich eingehend mit den großen politischen Tagesfragen, betrog mich beim Wein- und Gemüseverkauf, kleidete sich täglich zum Speisen um, warf eine schlecht zubereitete Schüssel zum Fenster hinaus, las vor dem Schlafengehen seinen Virgil und – ließ sich seine Schulden von irgend einer galanten Dame bezahlen.

Weil ich in meiner Abgeschlossenheit, darin ich mich nur zu krankhaft wohl fühlte, nie mehr einen Menschen mit geistigen Interessen sah und die Gefahr erkannte, die in solchem wonnigen Behagen an der Einsamkeit lag, zwang ich mich zu einem oberflächlichen Verkehr mit meinem sehr problematischen Hausbewohner. Auch interessierte mich der Mann, der so schön war wie ein homerischer Held, so raffiniert wie ein Pariser Rouè, so kenntnisreich wie ein Minister und so durchtrieben wie ein neapolitanischer Ruffiano.

Nach vielen, glücklich überwundenen Bedenken entschloß ich mich, Herrn Mariano zu Tische zu bitten: ihn und seine Frau. Wahrscheinlich würde nur er die Einladung annehmen ... Ganz sicher nur er!

Aber auch seine Frau nahm an.

Wahrscheinlich unter seinem Zwange, der, wie ich ja wußte, brutal genug sein konnte.

Diese Vorstellung quälte mich sehr, so daß ich meine Aufforderung bitter bereute und schließlich in eine hochgradige Aufregung geriet.

Um meine Gedanken abzulenken, machte ich selbst den Speisezettel, ließ in meinem Beisein mit besonderer Sorgfalt decken, auf die Mitte des Tisches eine Fülle von herrlichen Maréchal Niel-Rosen schütten, auch die Armleuchter mit Rosengewinden bekränzen, in schönen Schalen auserlesene Früchte und Konfekt aufstellen und den hohen Saal mit Lavendelparfüm durchräuchern.

Herr Mariano erschien im tadellos sitzenden Frack mit weißer Krawatte. Frau Mariano trug ein silbergraues Seidenkleid, wiederum sehr altmodisch und mit viel zu langer Schleppe.

Aber wie die vornehme, leuchtende Farbe sie kleidete!

Glücklicherweise hatte sie dieses Mal kein Spitzentuch um den Hals schlingen müssen. Ich war so sicher gewesen, sie würde wieder solche schrecklichen blutroten Flecken zu verhüllen haben, daß ich wie von Angst befreit tief aufatmete und mich viel ruhiger fühlte.

Sie trug nicht den mindesten Schmuck, und die Handschuhe in der Hand, als wäre sie zu müde gewesen, auch noch diese anzuziehen. Da sie ihren Fächer vergessen hatte, schickte Herr Mariano sogleich sehr ungeduldig danach.

Mein Koch leistete sein Bestes. Herr Mariano verzehrte seine eigenen teuren Gemüse, mußte aber auch seine eigenen gewässerten Weine dazu trinken. Diese kleine Bosheit hatte ich mir nicht versagen können.

Frau Mariano war ziemlich unnahbar; aber doch nicht grade bildsäulenhaft.

Was mich anbetraf, so machte ich mit dem letzten Rest noch nicht eingebüßter Liebenswürdigkeit nach Möglichkeit den angenehmen Wirt.

Die Unterhaltung wurde französisch geführt, das Frau Mariano wundervoll sprach. Wenn sie nur mehr gesprochen hätte! Der dunkle Ton ihrer Stimme machte mich in der Seele erbeben: niemals hatte ich ein klangvolleres Frauenorgan gehört. Sarah Bernhardt hatte gewiß recht gehabt: schon allein dieser weiche tiefe Wohllaut würde eine Schauspielerin berühmt gemacht haben.

Auf die Stimme lauschend, mußte ich mir immerfort vorstellen, wie sie Zärtlichkeit, Liebe, Haß, die ganze Skala leidenschaftlicher Empfindungen ausdrücken würde – hörte ich die zauberhafte Stimme immerfort mit den Worten der Heldinnen meiner eigenen Tragödien zu mir reden. Vielleicht war sie unglücklicher und bedauernswerter, als manche der von mir geschaffenen tragischen Frauengestalten.

Wie jetzt die ganze Welt des Scheins weit, weit hinter mir lag: als wäre sie in einen Abgrund versunken ...

Herr Mariano fand den Sekt, durch den ich ihn endlich von seinem eigenen Gebräu barmherzig erlösen ließ, ausgezeichnet und trank sehr viel davon, während Frau Mariano ihr Kelchglas auch aus Höflichkeit nicht anrührte. Aber der Nachtisch schmeckte ihr, was mir eine fast knabenhafte Freude bereitete, so herzlich gönnte ich der stummen bleichen Frau etwas Gutes, und wenn dieses auch nur aus einer schönen Frucht bestand. Ich hätte für sie den Apfel vom Baum der Hesperiden pflücken mögen.

Den Kaffee nahmen wir in dem Gemach, das die wunderlichen holländischen Fresken schmücken und das auf die Terrasse mit der großen schönen Wasserschale hinausführt. Ich hatte draußen Teppiche legen, behagliche Sitze aufstellen und das ganze Brunnenbecken mit weißen Päonien füllen lassen.

Der über dem Kreuz von Tusculum aufgehende Mond beschien die lichten Blüten, deren Glanz mit den Wasserstrahlen aus der Schale herabzufließen und alles zu überrieseln schien. In der Villa Mondragone musizierten die Zöglinge des Jesuiteninstituts, aus Frascati drang der gellende Ruf später Morraspieler herauf, von der Landstraße her das Schellengeläut der nachts nach Rom ziehenden Fuhrwerke.

Herr Mariano befand sich durch den Sekt in zärtlicher Stimmung. Plötzlich sprang er auf, riß eine Blume aus der Schale und steckte sie seiner Frau ins Haar. Sie saß regungslos, mit einem Gesicht, weiß wie die Blume, und ließ ihn gewähren.

Kaum hatte er sie jedoch geschmückt, als sie langsam, langsam die Blüte aus dem Haar zog, sie nicht fortwarf, sondern nur fallen ließ, als glitte sie ihr aus der Hand.

Ich befürchtete einen Ausbruch seines wahnwitzigen Jähzorns, vor dem ich die Dame, die sich als Gast unter meinem Dache befand, geschützt haben würde und hätte ich mich dafür von Herrn Mariano, der ein berühmter Schütze war, niederschießen lassen müssen. Zu meinem Erstaunen blieb er vollkommen gelassen. Er sah seine Frau nur an. Es war jedoch ein Blick – Gott im Himmel, es war ein Blick – –

Voll und ruhig erwiderte ihn Frau Mariano. Mir war's sogar, als lächelte sie dabei.

Noch niemals hatte ich sie lächeln sehen.

*

Domenico kam und meldete Herrn Mariano: zwei Knechte hätten im Hofe eine Coltellata miteinander gehabt, wobei der eine tödlich verwundet worden sei. Als handele es sich um das Leben seines Kindes, so außer sich stürzte Herr Mariano davon. Seine Frau gab kein Zeichen von Teilnahme, wodurch sie mich zum Zurückbleiben zwang.

Sie saß zurückgelehnt im Sessel und blickte über das Päonienbeet, das die Fontäne füllte, in die Mondnacht hinaus. Da sie beharrlich schwieg und mir in ihrer stummen Gegenwart immer beklommener zu Mute ward, so begann ich in ziemlicher Erregung von dem blutigen Vorfall, den sie mit solcher Gelassenheit aufnahm, zu reden.

Sie erwiderte:

»Ganz abgesehen davon, daß dieses wilde Volk wie wütende Bestien sich aufeinanderstürzt und zerreißt, scheint mir, als käme es auf ein Menschenleben mehr oder weniger in der Welt nicht viel an.«

»Ich weiß, daß Sie vom Leben sehr gering denken, was mir unendlich leid thut.«

»Es handelt sich nicht darum, wie ich vom Leben denke,« lehnte sie meine stark persönlich ausgefallene Antwort ruhig ab. »Aber betrachten Sie doch die Existenz dieser Menschen. Sie werden in höhlenähnlichen Wohnungen geboren, leben in Fieber und Schmutz, paaren sich, wie der Zufall es fügt, bringen in höhlenähnlichen Wohnungen Kinder zur Welt, laufen mit dumpfem Herdeninstinkt täglich in die Messe, essen einmal die Woche ein etwas besseres Gericht, als von verdorbenem Mehl und ranzigem Oel, quälen sich für niedrigen Lohn die übrigen sechs Tage und sterben in höhlenähnlichen Wohnungen, oder stechen sich bei Gelegenheit einer Tombola und eines Glases Weins nieder.«

»Ihr Lebensbild ist grau in grau. Glücklicherweise finden die Betreffenden selbst diese Welt durchaus nicht besonders schlecht.«

»Um so besser für sie.«

Damit kein neues Schweigen entstand, bemerkte ich:

»Herr Mariano« – ich hätte die Worte: Ihr Mann nicht über die Lippen bringen können – »Herr Mariano ist übrigens ein vorzüglicher Herr für seine Leute.

»O ja!«

Ihre Stimme hatte wieder solchen seltsamen Klang, daß ich in Verwirrung geriet. Ich ließ mir die Bemerkung entschlüpfen:

»Ueberhaupt ist Herr Mariano einer der eigentümlichsten Menschen, die ich kenne.«

»Sie kennen ihn?«

»Allerdings – was man so kennen nennt. Wer kennt einen Menschen?«

»Es ist bisweilen schwer.« Und nach einer Pause: »Und es ist bisweilen gut, die Menschen wenig oder gar nicht zu kennen.«

»Sie haben vielleicht recht. Es ist aber traurig, daß Sie recht haben können.«

»Warum? Die Menschen sind nun einmal sehr menschlich. Sie freilich –«

Sie stockte.

»Weshalb sprechen Sie nicht aus? Bitte, sprechen Sie doch! Freilich ich?«

Es fiel mir auf, daß ich schwer atmen mußte.

»Sie fühlen mit der ganzen Welt Mitleid – mit der ganzen leidenden Welt. Sie ließen sich am liebsten für die Leiden der Welt martern und kreuzigen. Als wenn Sie damit die Welt von ihren Leiden erlösen könnten!«

Ich lächelte.

»Schwerlich. Konnte doch selbst der Gottessohn nur für uns sterben, ohne durch seinen Tod von den Leiden des Lebens die Erlösung zu bringen.«

»Nein, nicht die Erlösung ...«

Jetzt ein Schweigen, das ich nicht ohne Anstrengung unterbrach:

»Wieso urteilen Sie so überaus gütig über mich? Lasen Sie etwa meine Bücher?«

»Ich lese niemals. Ihre Bücher würde ich keinesfalls lesen.«

»Wollen Sie mir damit etwas Liebenswürdiges oder etwas Unfreundliches sagen?«

»Weder das eine noch das andre; sondern nur genau das, was ich denke.«

»Und Sie denken?«

»Daß ich Sie kenne, ohne Ihre Bücher lesen zu brauchen, die samt und sonders Sie selbst sind.« »Sie halten mich also für eine sehr wenig komplizierte Natur, für sehr leicht zu kennen?«

»Für außerordentlich leicht.«

»Wissen Sie, daß Sie mich neugierig machen, mich durch Sie kennen zu lernen?«

»Sollten Sie sich nicht kennen?«

»Ganz und gar nicht! Ich bilde es mir nur bisweilen ein. In der Einbildung ist es so leicht, die Dinge zu ergründen. Diese trügerische Phantasie!«

»Und Phantasie ist bei Ihnen alles. Sie leben überhaupt nicht in der Wirklichkeit.«

»Sondern?«

»Eben nur in Ihrer Phantasie.«

»Das könnte gefährlich sein, nicht wahr?«

»Es ist gefährlich.«

»Sie warnen mich?«

»Es war gefährlich für Sie, hierher zu kommen.«

»Ich bin hier sehr glücklich. Ich bin hier zum erstenmale in meinem Leben ruhig und glücklich.«

»Haben Sie im Leben nichts andres zu thun, als ruhig und glücklich zu sein?... Verzeihen Sie, das geht mich nichts an.«

»Wenn Sie an mir einigen Anteil nehmen, so ist das sehr freundlich von Ihnen, so bin ich Ihnen sehr dankbar.«

»Das ist unnötig.«

»Ich darf Ihnen doch dankbar sein?«

»Sie überschätzen den Wert meiner Worte, wie Sie auch mich selbst überschätzen.«

»Das ist unmöglich!« »Was wissen Sie von mir?«

»Daß Sie in jedem Falle verehrungswürdig sind.«

»Ich bitte Sie, Graf –«

Aber ich ließ sie nicht ausreden.

»Sie werden mir doch erlauben, innigen Anteil an Ihnen zu nehmen.«

»Nein.«

Und sie stand auf.

In diesem Augenblick eilte Domenico herbei: Herr Mariano finde das Verbandzeug nicht, und der Verwundete verblute. Wo Frau Mariano bleibe?!

Erst nachdem sie gegangen war, kam mir zum Bewußtsein, daß wir in aller Ruhe zusammengeblieben waren, wählend sich ein Sterbender im Hause befand. Ueber dem Alleinsein mit dieser Frau hatte ich den blutigen Vorfall vollständig vergessen. Welche geheime Gewalt hatte das vollbringen können? Liebe und Leidenschaft blieben ausgeschlossen.

Also: was war es?!

Darüber nach gewohnter Art zu sinnen, war jetzt nicht der Augenblick. Ich eilte endlich in den Hof, daraus mir jammernde schreiende fluchende Stimmen entgegen tönten, als hätte ein allgemeines Gemetzel stattgefunden. Herr Mariano schrie, jammerte und fluchte am wildesten.

Sämtliche Leute waren zusammengelaufen und umstanden mit leidenschaftlichen Gestikulationen den Verwundeten, den sie unter dem Löwenportal niedergelegt hatten, mit dem Rücken an eine Säule gelehnt.

Es war ein knabenhaft junger bildhübscher Mensch aus Sassoferrato mit einer Hautfarbe wie Bronze, des Pächters Lieblingsknecht.

Der Messerstich war in die linke Seite gedrungen, und das Blut strömte aus der Wunde, auf die Herr Mariano sein Taschentuch preßte. Er war neben dem Jüngling hingekniet, hielt seinen Kopf und hatte Thränen in den Augen. Rosa leuchtete mit einem Span, dessen Glut die wilde Scene bestrahlte.

Frau Mariano brachte das Verbandzeug. Sie stand neben dem Sterbenden in einer Haltung, mit einer Miene, bei der ich von neuem an ihres Mannes Erzählung aus der Zeit der Pariser Kommune denken mußte: wie sie über die Leichen der Erschlagenen hinweg durch die blutige Gasse geschritten war.

Es war ihr vollkommen gleichgültig, ob fließendes Blut ihr Seidenkleid verdarb oder nicht.

Dem armen Jungen war nicht mehr zu helfen. Er starb in den Armen seines Herrn, grade als der Geistliche mit dem Sakrament kam. Daß er ohne letzte Oelung aus der Welt ging, war für die Leute der Tenuta bei weitem das Schrecklichste.

Nicht den Sterbenden, sondern Frau Mariano sah ich an. Sie stand und schaute mit weitoffenem, leidenschaftlich verlangendem Blick zu, wie der hübsche Knabe seinen letzten Seufzer aushauchte.

Ich wußte, daß sie ihn beneidete.

*


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