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Ostern! Der Prinz entsteigt sündenlos und kinderrein der Klosterzelle.

Das nur nebenbei.

Aber die Neri kommt zu mir, die Neri bleibt bei mir! Sie bleibt mehrere Tage, eine volle Woche! Vielleicht noch länger!

Ist das nicht ein Triumph für Deine unwiderstehliche Viviane? Ganz bestimmt werde ich jetzt vollends »dahinter« kommen.

Augenblicklich ist die Neri ein echter »Whistler«; und zwar ist sie momentan eine Whistlersche »Impression in Blaß«. Meine Pariserin hat es durchgesetzt, ihre Toiletten besichtigen zu dürfen; und ich stehe in höchster Gefahr, von meinem Thron herunter zu müssen, um darauf Assunta Neri Platz nehmen zu lassen... Blasse tiefste Negligés, blasse Morgenkleider, blasse Promenadenkostüme, blasse Dinertoiletten, blasse Nachtgewänder. Unter »blaß« verstehe ich nervöse kranke pathologische Farben. Stelle Dir darunter vor, was Du willst und kannst. Jedenfalls ist matte melancholische morbide Blässe die echte Neri-Couleur.

Und wie beneidenswert müde sie ist! Sie ist müde vom Theater, müde von den Menschen, müde von dem Ruhm, müde von der Liebe, müde vom Unglück, müde von der Sehnsucht, von sich selbst, vom ganzen Leben ...

Sie mag kaum reden, kaum gehen und sich bewegen, kaum hören und sehen, kaum denken und fühlen. Sie ist so müde, daß sie, wenn sie erst einmal glücklich im Grabe ruht, von den Toten gewiß nicht wieder aufstehen will.

Ob wohl viele Frauen so sind?

Ob die moderne Frau so ist?

Vielleicht ist die Neri nur ein Typus? ... Das ist einfach Unsinn! Denn wie sie ist: von ihrer Spitzenkrause bis zu ihrer weißen fließenden Schleppe; von ihrer lebensmüden Natur auf der Bühne bis zu ihrer zu Tod erschöpften Seele im Leben ist sie eine Ausnahmsnatur.

*

Sie ist angekommen! Ganz Rom will sie bei mir sehen, oder vielmehr »besichtigen«.

Aber sie ist so unliebenswürdig und hochmütig, ganz Rom abzuweisen. Und käme die Königin; und die Neri hätte grade nicht Lust, die Königin zu sehen, so würde auch Ihre Majestät wieder gehen müssen.

Sie lebt in der Villa Taverna genau so wie in einem Hotel. Was sie wünscht, bestellt sie sich. Sie erscheint nur, wenn es ihr beliebt. Gewöhnlich beliebt es ihr jedoch, auf ihrem Zimmer zu bleiben. Sie speist auch dort, wenn sie Lust dazu hat. Merkwürdigerweise empfängt sie mich häufig – hat sie die Gnade, mich vorzulassen. Aber dann ist sie bezaubernd!

Mit dem Prinzen und der »Komödiantin« – die sie für den Prinzen bleibt, trotzdem sie Assunta Neri ist – spielt sich hier eine reizende kleine Komödie ab. Ich bin davon entzückt.

»Ah, die Neri! Das ist ja charmant!« sagte der Prinz, als er hörte, daß die große Tragödin in der Villa wäre. Und er dachte: ›Wirklich ganz charmant! Denn sie ist natürlich eine Komödiantin wie alle Komödiantinnen – enfin ein Weib wie alle Weiber.‹ Denn für den Prinzen gibt es natürlich keine Frauen. Also sah er sich das »Weib« an. Er sah sie mit Kennerblicken so gründlich an, wie solcher Mensch eben gewohnt ist, eine Frau anzusehen: gewissermaßen als Krämer.

Jetzt kommt das Komische der Situation; denn jetzt wurde der Prinz verblüfft. Wahr und wahrhaftig, mon cher mari wurde verblüfft! Es klingt ungeheuerlich; aber es ist so.

›Was ist denn das?‹ dachte er in seiner Verblüffung. ›Ja, mein Gott, was ist denn das nur? Da will ich, le Prince de Sora, ein Verhältnis anfangen; und – wie soll ich mich nur ausdrücken? Mein Gott, ich bin gradezu verblüfft!‹

Und das Gesicht, das er dabei machte! Es war zum Totlachen.

Die »Komödiantin«, als es ihr beliebte, zum Diner zu erscheinen, hielt es der Mühe gar nicht wert, ihre großen mächtigen melancholischen Augen aufzuschlagen und mon cher mari überhaupt nur anzusehen. Sie hielt es der Mühe gar nicht wert, für Monsieur le Prince ihre traurigen müden süßen Lippen zu öffnen. Und das mußte ihm, dem Unwiderstehlichen, dem die Damen jeden Grades – die Weiber jeder Klasse nur so zufliegen, in seinem eigenen Hause geschehen: mit einer »Komödiantin«!

Es gibt Dinge unter der Sonne, welche die menschliche Vernunft eben nicht zu begreifen vermag.

*

Schrieb ich Dir schon, daß ich mir ins Köpfchen gesetzt habe, mit Hilfe der Neri in die Villa Falconieri einzudringen? Bis jetzt will sie davon nichts hören. Aber sie wird davon hören müssen, trotzdem sie Assunta Neri ist.

So bin ich nun einmal.

Uebrigens habe ich in meinem ganzen Leben keine Frau gesehen, die so wenig eitel, die so unerlaubt uneitel ist wie die Neri; trotzdem sie mit einem Reisegepäck in der Villa Taverna ankam, als ob sie sich für eine Tournée nach Amerika ausgerüstet hätte. Ich habe eine solche uneitle Frau für eine weibliche Unmöglichkeit gehalten. Dann ist sie entschieden eine Abnormität! Ich glaube, sie könnte sich einen Sack anziehen. Aber auch in dem Sack würde sie aussehen, wie – eben nur sie aussehen kann.

Was mich auch in Erstaunen setzt, ist, daß die Natur für sie, die doch im größten Sinne eine Natur ist, gar nicht existiert. Sie sieht die Bäume so wenig wie die Blumen, die Berge so wenig wie die Bäume, den ganzen Himmel so wenig wie die ganze Erde. Keinen Sonnenstrahl verträgt sie: und in ihren Zimmern muß es dunkel wie in einem Keller sein. Seitdem sie bei uns ist, lasse ich abends nie mehr die Kandelaber anzünden. Es brennen nur häßliche Lampen und diese nur hinter Schleiern: hinter mattfarbigen wollüstigen Schleiern aus Seide und Spitzen, die wie große märchenhafte Blüten um die Flamme schweben, und die Euer exotischer Dichter Oskar Wilde erfunden und über die ganze Welt in Mode gebracht hat.

Sie ist übrigens wirklich sehr nett mit mir und durchaus nicht mehr grande femme. Ich bin aber auch gradezu bewitching. Vielleicht habe ich Aussicht, jener charmanten großen deutschen Dame den Rang abzulaufen. Jedenfalls komme ich ganz, aber ganz gewiß bis zum Letzten »dahinter«.

*

Triumph!

Wir waren in der Villa Falconieri.

Und wir haben nicht nur die »wunderschöne Maria«, sondern auch den lebendigen Toten, den verschollenen gräflichen Dichter gesehen.

Die Neri ist von der wunderschönen Maria ganz hingerissen – was ich nicht begreife, was ich sehr übertrieben finde, was mich ärgert. Und ich ärgere mich wiederum über meinen Aerger, für den ich absolut keinen Grund finden kann.

Heute nur so viel:

Der »wunderschöne Maria« ist gar nicht besonders schön; und der verschollene Poet ist auch nicht so, wie ich mir ihn vorgestellt habe.

Kurzum, es war eine Enttäuschung – wie schließlich alles im Leben.

*

Die Neri ist schon wieder in die Villa Falconieri hinauf, um die Madama anzuschwärmen. Ich bin zu Hause geblieben, um Dir alles zu schreiben. Hoffentlich bist Du ein bißchen neugierig.

Also höre:

Es war vor dem lunch, und die Neri trug eines von den modelosen bleichen Morgengewändern aus Crêpe de Chine mit einem Hauch von Farbe: rose de Malmaison. Alles war weiche Falten und schimmernder Fluß um die armen müden Glieder. Ich raffiniertes Hexchen hatte mich lächerlich unscheinbar angezogen: in einem bescheidenen schwarzen Kleidlein mit einem geheimnisvollen schwarzen Spitzentüchlein um den Kopf. Und die Handschuhe hatte ich zum erstenmal in meinem Leben vergessen anzuziehen.

Als wir durch die Sarkophag-Allee kamen, pflückte ich aus einem der Kindersärglein von meinen weißen Lilien und steckte sie mir vor. Dann spazierten wir über die Pinienwiese; und ich lenkte unsere Schritte sehr gewandt der Villa Falconieri zu.

Die gute Neri ahnte meine Absicht nicht. Ich plauderte so niedlich, daß mein Geschwätz sie ihrer Gleichgültigkeit und Erschöpfung entriß. Sie hörte mir zu und folgte mir weiter und weiter: durch das bewußte grüne Pförtlein, welches ich vorher hatte öffnen lassen, in die Oliveta: aus der Oliveta in den Park, und hinauf zum Cypressenteich.

Plötzlich standen wir unter den Steineichen vor dem Hause; und ich stieß einen allerliebsten kleinen Schrei der Ueberraschung aus.

»Ach Gott, das ist ja die Villa Falconieri!«

Die Neri bemerkte nur: »An dem Cypressenteich würde ich gern eine Rolle studieren.«

Ich rief voller Entzücken:

»Himmlisch! Der arme gute Graf Campana! Bitte, bitte, süße Tragödin, lassen Sie uns Ihren Dichter von einstmals besuchen – da wir doch einmal hier sind: und da ich gar so schrecklich neugierig bin, ob er wirklich fett geworden ist?«

Die »süße Tragödin« machte sofort ihr mürrisches müdes Gesichtchen und sagte in einem ihrer Nora-Töne, letzter Akt, letzte Scene:

»Man soll die Toten nicht rufen. Sie wollen mit dem Manne ja doch nur Ihr Spiel treiben.«

Ich klatschte in die Hände und jubelte:

»Ach ja, spielen! Wir wollen ›Gespenster‹ spielen. Wir citieren das Gespenst, das Gespenst erscheint, verliebt sich in Sie und schreibt für Sie eine Rolle. Sie spielen das Drama des Gespenstes; und wir haben in Rom eine sensationelle Première, bei der das Gespenst zum Schlusse vor den Souffleurkasten tritt und sich so reizend ungeschickt verneigt, wie man das von einem Geist nicht besser verlangen kann.«

Stelle Dir vor, daß die Neri wahrhaftig umkehren wollte! Da machte ich denn einen Gewaltstreich. Ich nahm meinen Strauß weißer Lilien, rief einem Mädchen, das mitten im Wege stand und uns anstarrte, als ob wir Gespenster wären, gab ihr die Blumen, befahl ihr:

»Bringe diese Blumen dem Grafen und sage ihm: Assunta Neri lasse ihn grüßen. Hast du verstanden? Assunta Neri lasse den Grafen Campana grüßen ...« Dann schmiegte ich mich wie ein Kätzlein an Assunta Neris Schulter, bettelte: »Bitte, bitte, nicht böse sein!« Und schmeichelte: »Bitte, bitte, da bleiben! Ich bin wirklich zum Sterben neugierig, ob es ein recht fettes Gespenst ist.«

Sie mußte lächeln und – natürlich blieb sie.

Ob er wohl kam?

Nein – Ja – Nein, nein!

Ja!

Er kam und – denke Dir, diese Enttäuschung! Denn er war weder fett noch alt; wenigstens durchaus nicht greisenhaft alt. Er sieht aus wie – ich möchte Dir gern den ganzen Mann mit einem einzigen Worte beschreiben – er sieht aus wie ein vornehmer Mensch.

Verstehe mich wohl, nicht nur wie ein vornehmer Mann.

Schön ist er ganz und gar nicht, kann es auch nie gewesen sein. Grade das gefällt mir an ihm. Und daß er etwas so Unnahbares hat, als stände er auf einem einsamen Alpengipfel! Den gewesenen Dichter – denn er ist es ja nicht mehr – erkennt man bei ihm noch heute an den Augen. Diesen weit offenen lichten leuchtenden Seheraugen sieht man auch jene »große Leidenschaft« an, die mich, in Gemeinschaft mit meiner Kammerfrau, so lächerlich fascinierte. Und wenn ich davon kein Sterbenswort gewußt hätte, so würde ich bei seinen Augen gedacht haben müssen: ›Dieser Mann hat einmal in seinem Leben eine große Leidenschaft gehabt...‹ Ich könnte, was ich meine, auch so ausdrücken: ›Dieser Mann wird noch einmal in seinem Leben eine große Leidenschaft haben!‹ ... Da er sie jedoch jetzt hat, da er eben durch diese große Leidenschaft ein Einsiedler, ein dem Leben und seiner Kunst Abgestorbener und lebendig Begrabener geworden ist, so wäre das von mir thöricht gedacht gewesen.

Du magst mich nach Belieben auslachen und verhöhnen. Aber ich werde Dir von den Augen meines einstmals angeschwärmten Poeten noch mehr erzählen:

Er hat Augen, die einmal etwas schrecklich Schönes erblickt haben müssen; etwas, was wie ein offener Himmel, oder auch wie eine offene Hölle gewesen: etwas Medusenartiges, Entgeisterndes, zugleich unfaßlich Herrliches und blendend Leuchtendes.

Du verstehst mich gewiß nicht. Ich kann auch, was ich meine, nicht ausdrücken ... Die »süße Tragödin« war dem Dichter entgegengegangen, ich dagegen zurückgetreten. Ich konnte daher gut beobachten.

Er hielt meine Lilien in der Hand und war erschreckend bleich. Ich verstand nicht, was er sagte. Er sprach leise und langsam wie jemand, der das Reden nicht gewöhnt ist, und der, da er einmal reden muß, Mühe hat, die Worte zu finden. Dabei blieb sein Gesicht regungslos. Ich betrachtete ihn mir sehr genau und dachte: ›Du bist auch einer, der weiß, daß das Leben von dem lieben Gott uns armen Menschlein nicht grade zum Spaß geschenkt worden ist ... Solches Gesicht hat also ein Mann, der ein berühmter Dichter war, den dann eine große Leidenschaft packte, und der jetzt schlechte, schlechte Nächte hat.‹

Ich war noch immer sehr neugierig.

Die beiden kamen jetzt auf mich zu.

Aber der Dichter hatte nur Augen für die süße Tragödin, so daß er mich nicht einmal bemerkte ... Ich hörte jetzt, was sie sprachen. Die Neri sagte grade mit ihrer müdesten Miene, ihrer müdesten Stimme:

»Sie haben recht gethan; tausendmal haben Sie recht gethan! Liebe, Freundschaft, Kunst, Ruhm, Talent sind ja doch nur Illusionen, die der Mühe des Atemholens nicht wert sind.«

Der lebensmüde Graf erwiderte:

»Daß auch Sie so denken, finde ich trostlos.«

»Warum trostlos? Nichts ist trostlos als das Leben... Ja, und dann noch etwas.«

»Was ist das?«

»Daß man das Leben ertragen muß.«

»Muß man?«

»Selbstmord ist so banal. Uebrigens morde ich mich fortwährend selbst.«

»Durch Ihr Spiel?«

»Jede Vorstellung ist für mich ein Tropfen Gift. Und ich brauche es wiederum notwendig, um überhaupt leben zu können. Nur wenn ich auf der Bühne stehe, lebe ich; denn nur dann vibrieren meine Nerven. Ich stelle andere Frauen dar, erlebe also anderer Schicksale, anderer Verhängnis, anderer Untergang. Aber in allem Fremden erlebe ich doch nur mich selbst. Befragen Sie über mich einen Psychiatiker: ›Verehrtester, was ist das eigentlich mit der Assunta Neri?‹ Der gelehrte Mann wird Ihnen erwidern: ›Mein Herr! Assunta Neri ist gar keine Schauspielerin; sondern ein pathologischer Fall...‹ Uebrigens scheinen Sie dasselbe zu sein.«

»Demnach wären wir Kollegen.«

Und der arme verschollene Poet quälte sich ein mattes Lächeln ab...

Jetzt sah er mich – endlich sah er mich!

Die Tragödin hielt für unnötig, ihn zu fragen: »Kennen Sie eigentlich die Prinzessin?« Er grüßte mich jedoch, als wüßte er, wer ich wäre.

Ich beachte stets, wie die Menschen grüßen. Bei der Frau ist der Gruß eines der wichtigsten Requisiten ihrer Toilette. Wie eine Königin allein durch die ihr mühselig eingelernte Art zu grüßen sich so sinnlos populär machen kann, daß ein ganzes Volk mit Wonne für sie sich totschießen läßt – ebenso kann ein Mann sich leidenschaftlich in eine Frau verlieben: nur, weil diese sehr anmutig zu grüßen versteht. Männer verstehen es nicht, mit Grazie und doch mit Würde zu grüßen. Sie grüßen entweder steif, oder geziert, oder burschikos; entweder zu dezent, oder zu herablassend, oder zu gleichgültig. Und so weiter!

Graf Campana grüßte mich, wie ich es bei einem Manne selten beobachtet hatte. Sein Gruß war sehr ehrerbietig, und doch voll von dem Bewußtsein einer eigenen starken Persönlichkeit, die sich niemals vor etwas Niedrigem neigen würde. Aber auch niemals vor etwas nur sogenanntem Höheren oder Hohen. Sogar Grazie hatte der Mann, den ich mir alt und unförmlich vorgestellt hatte. Aber es war die scheue spröde Anmut einer streng verschlossenen, tief einsamen, heimlich leidenden Seele. Seine »große Leidenschaft« scheint ihn also wirklich nicht glücklich zu machen... Seltsam! Aber ich kann das verstehen.

O, mein Gott, ich kann das verstehen!

Nachdem er mich gegrüßt hatte, sah er mich an: gerade in die Augen, fest und tief.

Er schien erstaunt zu sein. Mein schwarzes Spitzentüchlein und mein schmales blasses Hexengesicht thaten demnach ihre Wirkung. Sein verwundertes Auge forschte: ›Was bist du? Ein Kind oder ein Weib: ein unschuldsvoller Engel oder eine raffinierte Sünderin?‹... Auch ich sah ihn an; und mein Blick antwortete dem seinen: ›Ich weiß selbst nicht, was ich bin; aber ich werde es erfahren. Und dann‹ –

Dann redete ich ihn an:

»Ihr einsames Licht und meines sind längst gute Bekannte. Es war daher wirklich notwendig, daß auch wir uns kennen lernten.«

Ich weiß, daß meine Stimme das Reizendste an mir ist. Wenn ich wollte, so könnte ich allein mit meiner Stimme einen Zauber ausüben, stark wie Magie.

Aber ich wollte niemals ...

Merkwürdig, daß es mich reizte, den weltfremden Einsiedler die Macht meiner Stimme fühlen zu lassen. Er machte denn auch dazu ein ganz sonderbares Gesicht. Die Tragödin merkte natürlich sogleich meine Absicht und schien empört zu sein. Wenigstens sah sie zum Umsinken müde aus. Sie ist dann nämlich immer gleich zum Sterben ermattet.

Der Graf hatte so hingehört, wie ich sprach, daß er überhört zu haben schien, was ich gesprochen. Ich mußte es daher wiederholen:

»Wir sind seit Anfang März Nachbarn.«

»Sie sind unter mir der einsame Stern?!«

»Kein Himmelslicht, nur eine trübselige Kerze.« Er blickte mich wiederum an; und wiederum standen wir uns Aug' in Auge gegenüber. Die arme Assunta Neri wurde zusehends immer empörter, immer ermatteter.

Sie sagte:

»Wir haben Scirocco.«

Ihre Worte schienen eine geheime tiefe Bedeutung zu haben: Scirocco! – Wüstenwind! Vielleicht spielte sie auf das Verhältnis des Grafen zu der Madama an, wovon ihr erzählt worden war. Aber die Anspielung hatte bei dieser Gelegenheit gar keinen Sinn.

In demselben Augenblicke kam sie ... Wie lächerlich neugierig ich war!

Sie hatte sich, von einer Meute schneeweißer Wolfshunde begleitet, im Parke befunden, war unser nicht gewahr geworden, trat aus einem Gebüsch hoher Buchsbäume und sah sich plötzlich zwei fremden Damen gegenüber. Sie trug ein hellgraues gutgemachtes Kleid.

Mein Gott – nun ja! Sie ist recht schön. Vielmehr, sie war es einmal...

Sie war es – mit welcher geheimen Genugthuung wir Frauen das sagen, sobald von einer sogenannten schönen Frau die Rede ist.

Wir sind doch recht kleine Seelen!

Aber die berühmte Schönheit der Madama ist in der That etwas passée – mais tout à fait passée! Und diese Schönheit ist so schwermütig... Wo bleibt denn aber die große Leidenschaft? Für den Mann kann diese zu groß sein. Den Mann kann die Leidenschaft ersticken und erdrücken; jedoch die Frau – für uns Frauen gibt es in der Liebe nichts; aber gar nichts, was zu riesengroß und ungeheuer sein könnte. Wir Frauen spielen mit dem herrlichen vernichtenden Element wie Kinder mit Blumen. Wir Frauen sind nur dann Weib, ganz Weib, wenn wir ganz Liebe und Leidenschaft, ganz Seele und Empfindung, Hingabe und Auflösung sind.

Was den Mann in einen Abgrund schleudert, hebt uns zu Alpengipfeln empor. Und diese Frau, diese wunderschöne Maria, ist mit ihrer großen Leidenschaft so schnell gealtert, so frühzeitig verwelkt ... Wie konnte das nur geschehen?

Ein Geheimnis!

Aber auch dahinter werde ich kommen.

*


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