Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Herr Mariano geriet außer sich vor Schmerz und Zorn und hätte den Totschläger am liebsten gelyncht. Aber dieser war gleich nach der That in den Buschwald geflüchtet, wo er sich so sicher fühlen durfte wie in Abrahams Schoß. Seine Kameraden kannten seinen Schlupfwinkel und versorgten ihn mit Nahrung, was sowohl die Carabinieri, wie auch Herr Mariano sehr gut wußten. Doch mußten sie es geschehen lassen.

Die Sitte war geheiligter Brauch.

Mein Gespräch mit Frau Mariano ging mir nicht aus dem Sinn, und ich hatte immer ihr Bild vor Augen: wie sie im Mondschein bei der Blumenfontäne auf der Terrasse saß und wie sie bei dem Sterbenden stand ... Sie beschäftigte sich in Gedanken mit mir, sie nahm Anteil an mir, sie hielt mich für einen sonderbaren Schwärmer, dem der Aufenthalt in der traumhaften Villa zum Verderben gereichen konnte. Zum Verderben, weil die Einsamkeit zu schön war, oder weil die schone Frau Mariano zu unglücklich war? Oder weil ich – wie sie mit dem unfehlbaren Instinkte der Frau wußte – der Schönheit und dem Unglück gegenüber keinen Widerstand leisten konnte.

Und sie selbst?

Sie verwehrte mir, ihrem Leben Teilnahme zu schenken, ihre Person verehrungswürdig zu finden. Also hielt sie sich solcher Empfindungen für unwert?

Als ob wahres Unglück nicht stets verehrungswürdig wäre!

Sie mußte sich schuldig fühlen.

Worin?

Daß sie sich hatte zwingen lassen, Frau Mariano zu werden, daß sie die Gewalt, die ihrem Leibe und ihrer Seele angethan worden, nicht gerächt hatte: weil ihre Seele damals noch nicht stark genug war.

Sie hatte ihrem ungeliebten Gatten nach vierjähriger Ehe ein Kind geboren, welches sie anbetete; und sie gehörte zu denjenigen Müttern, die durch diesen heiligen Beruf des Weibes an Leib und Seele verklärt werden. Dieselbe Frau, die eine gerichtete Mörderin für eine Märtyrerin ansah, und die über blutige Leichname wie über eine nasse Wiese schritt, glich, über ihr Kind geneigt, an Holdseligkeit der himmlischen Mutter.

*

Ich kam aus dem Zauberkreis, der für mich die Villa Falconieri umschloß, nicht mehr heraus und verkehrte außerhalb desselben nur noch mit Mönchen und Hirten, so daß ich nicht hörte, was die Leute von den sonderbaren Pächtersleuten sprachen. In der Villa selbst erfreute sich Herr Mariano einer abgöttischen Beliebtheit. Seine Knechte, die er zwar in seinen Wutanfällen wie Tiere behandelte, wären für ihn durchs Feuer gegangen. Man munkelte allerlei Dunkles über ihn und ließ dennoch nichts auf ihn kommen.

Nur seine Frau erschien lediglich von einer Empfindung gegen ihn beseelt. Wahrscheinlich, weil nur sie ihn kannte.

In der Villa hörte ich ihren Namen selten nennen, so sehr ich auch darauf lauschte; und wer ihn aussprach, that es mit einer gewissen Scheu. Man erzählte sich, daß sie sich um nichts, was im Hause und in der Oekonomie vorging, auch nur im mindesten kümmere, daß sie niemals in der Schloßkapelle der Messe beiwohne, niemals beichten gehe, daß sie verschwinde, sobald die Mönche von Camaldoli und vom Kapuzinerkloster ihren Gatten besuchten. Man wollte wissen, daß sie tagelang mit ihrem Mann kein Wort wechsele, daß sie, wenn er über irgend etwas wüte, gelassen dabei stehe und lächele, daß sie ihn durch dieses Lächeln fast zur Tollheit bringe und sich von ihm niederschlagen lasse, ohne einen Schmerzenslaut auszustoßen.

Trotz ihrer schmachvollen Leiden wurde sie in der ganzen Villa nur von ihrer treuen Dienerin Rosa geliebt und bemitleidet.

Man sah sie stets in demselben schlechten Kleide. Aber stets war ihr prachtvolles Haar sorgsam gescheitelt und tief im Nacken zusammengeknotet. Doch ließ sie sich, wie ich erfuhr, diese sorgsame Pflege nur auf die täglichen Bitten ihrer treuen Rosa hin von derselben gefallen. Immer noch war sie nur selten zu sehen und dann niemals ohne ihr Kind. Es war ein entzückendes kleines Geschöpf, hieß Annina und führte den schönen Kosenamen Amore. Herr Mariano war, seitdem das Kind größer geworden, der zärtlichste Vater. Kam er jetzt nach Hause geritten, so rief er nicht mehr nach seiner Frau, sondern nur nach dem Kinde.

»Amore! Amore!« hörte ich des Tags ungezähltemal aus Park und Haus schallen. Selten, daß Frau Mariano auf einen dieser gellenden Rufe mit dem Kinde erschien. Dann begann er zu toben und wütend nach der Mutter zu schreien. Einigemal sah ich, wie sie ihm das Kind auf das Pferd reichte. Er riß es an sich, gab dem Pferde die Sporen und jagte davon, als wollte er das Kind der Mutter entführen. Diese sah den beiden mit einer Miene nach, als wäre ihr die ewige Seligkeit entrissen worden.

Oft höre ich noch jetzt im Traum Herrn Marianos Stimme rufen: »Amore! Amore!«

Das Jahr, das ich in der Villa hatte zubringen wollen, ging zu Ende. Ich fühlte mich beruhigt, befriedigt, fast glücklich. Aber ich war nicht gesund. Mein Bedürfnis, mich fort und fort niederzulegen, war gewachsen; meine Anstrengungen, aus diesem tiefen Ruhen mich emporzureißen, verursachten mir große Mühe; meine Ermattung hatte zugenommen, und ich litt an einem schweren dumpfen Druck auf dem Gehirn, an absolut schlaflosen Nächten und fiebernden Phantasieen.

Ich versuchte zu arbeiten. Ich versuchte dichterische Pläne zu fassen, das innerlich Erlebte zu schauen, das Geschaute zum Ausdruck zu bringen.

Aber ich fand nicht den Ausdruck, so sehr ich mich auch abmühte. Jeder Satz ward unter wahren Qualen sechsmal niedergeschrieben und schließlich doch ausgestrichen.

Es lag vielleicht daran, daß ich meine Gedankenbilder nur in matten schwankenden Umrissen vor mir erblickte, daß meine Phantasie immer noch zu erschöpft war, um formen, mein Gehirn zu ausgesogen, um eine seelische Gestalt auch mit dem Verstande erfassen zu können.

Ich litt sehr.

Unter diesen Umständen wäre es thörichte Selbstzerstörung gewesen, mich aus meinem Asyl zu vertreiben, mein köstliches Refugium aufzugeben und die Thore dieses Elysiums hinter mir zu schließen.

Ich blieb also.

Weil es sich geschäftlich nicht anders arrangieren ließ, schloß ich über die Vermietung der Villa einen vieljährigen Kontrakt.

Jetzt war ich geborgen! Herr Mariano teilte meine Freude.

Er gestand mir, daß er mich sehr vermißt haben würde, da er seinen Knechten wohl kaum etwas aus Musset recitieren und mit ihnen über den Unterschied zwischen römischer und griechischer Plastik disputieren konnte.

Mein Koch hielt es allerdings für seine Pflicht, mir mitzuteilen, daß Herr Mariano mir seine Preise noch ungenierter machte. Aber schließlich – wer betrog mich hier nicht?! Mehr noch als mich, hätte Herr Mariano sicher meine guten Diners vermißt. Denn in der letzten Zeit speiste er jede Woche einmal bei mir. Ich lud stets Frau Mariano ebenfalls ein: aber sie war kein zweites Mal wiedergekommen.

Weil ich wußte, daß sie mein Verweilen in der Villa aus einem irrtümlichen Grunde für verhängnisvoll für mich hielt, weil sie es mir an jenem Abend in sehr eindringlicher Weise ausgesprochen, mich gewissermaßen gewarnt hatte und ich ihr diesen Beweis ihrer freundschaftlichen Teilnahme sehr lebhaft dankte, trotzdem aber ihre Mahnung nicht befolgte, so vermied ich noch mehr als sonst ihr zu begegnen, was mir in dem großen Hause, dem weitläufigen Parke und durch unser beider Lebensart sehr erleichtert ward.

Gewiß wünschte auch sie mich nicht zu sehen.

Andrerseits quälte mich die Vorstellung, sie möchte gering von mir denken – da sie doch nicht wissen konnte, wie es innerlich mit mir stand, wie ich, an meinem Talente verzweifelnd, nur durch ein langes tiefes Ausruhen aller Organe wieder arbeitsfähig werden konnte, nachdem ich längst aufgegeben hatte, nur einigermaßen »zu sagen, was ich litt«. Herrn Manrianos pekuniäre Verhältnisse hatten sich inzwischen um nichts gebessert. Im Gegenteil: sie hatten sich schnell bedenklich verschlechtert. Ich hatte mein Darlehen nicht nur nicht wieder erhalten, sondern hatte – und noch immer mit voller Bereitwilligkeit – dem ersten ein zweites größeres hinzugefügt. Aber man machte von verschiedenen Seiten den Versuch, mich ernstlich zu warnen. Es lag jedoch nun einmal nicht in meiner Natur, in dergleichen Dingen praktisch zu sein.

Auffällig wurden indessen sogar mir Besuche aus Rom, die jetzt häufig kamen. Und zwar waren es stets nur Herrenbesuche. Es waren meist sehr junge, sehr elegante Herren, die sich in der Villa wie zu Hause benahmen. Ich erfuhr, daß Herr Mariano dieser heiteren Gesellschaft opulente Gastmahle gab, bei denen es ziemlich heiter herging. Er hatte den Takt, mich niemals zu einem solchen Symposion aufzufordern.

War Frau Mariano dabei?

Diese Frage beschäftigte mich sehr; und die Vorstellung ihrer stummen blassen Gegenwart bei der Gesellschaft der jungen Lebemänner erregte mich ungewöhnlich stark. Mehr als das! Ich fühlte dabei etwas wie Empörung über eine neue, dieser Frau zugefügte Schmach. Da ich von der Dienerschaft niemand, auch nicht meinen treuen Domenico aushorchen wollte, so blieb ich in einer Ungewißheit, die mich entschieden peinigte.

Eines Sommertags hatte ich, den Park durchstreifend, mich ermüdet unter den Ginsterbüschen niedergelegt, die den braunen Tufffelsen unterhalb des Cypressenteichs bedecktem Wie aus einem märchenhaften Gefilde stiegen die finsteren Bäume in den glanzvollen Himmel empor. Es regte sich kein Lufthauch. Selbst das bewegliche Völklein der Lacerten hielt unter den strahlenden Zweigen Mittagsruhe. Der Ginster strömte Wohlgeruch aus und Duft und Stille schläferten mich ein.

Da hörte ich wie im Traume von den Cypressen her die Stimme Herrn Marianos und seiner Frau.

»Du willst heute wieder nicht kommen?«

»Nein.«

»Du mußt!«

»Ich komme nicht.«

»Wir müssen das Geld haben!«

» Du mußt das Geld haben.«

»Wir sind am Ruin.«

»Meinetwegen.«

»Es ist dir vollständig einerlei?«

»Vollständig.«

»Und das Kind?«

»Es soll nicht notleiden.«

»Willst du es davor schützen?«

»Ich werde für mein Kind arbeiten.«

»Du bleibst nur des Kindes willen bei mir?«

»Nur deshalb.«

Jetzt schlägt er sie gewiß, dachte ich, blieb jedoch in meinem Halbschlummer ruhig liegen.

Er schlug sie nicht. Mit unterdrückter Stimme sprach er weiter.

Ich wollte aufstehen und davongehen, um nicht länger den Lauscher zu machen. Aber ich rührte mich nicht. Auch vernahm ich jetzt nur undeutliches Reden, davon ich die Worte nicht verstand. Da war mir's, als hörte ich Herrn Mariano meinen Namen nennen.

»Du liebst diesen Phantasten, diesen Halbnarren.«

Was bedeutete das?

Der Halbnarr war entschieden ich. Und den Halbnarren sollte sie lieben! ... Herrn Marianos Frau, die schöne unglückliche Maria mich lieben?!

Jetzt war ich erwacht.

Die Lacerten, die sich neben mir gesonnt hatten, schlüpften davon: es raschelte im Laubwerk, daß ich erschrak. Aufgerichtet, mit angehaltenem Atem, lauschte ich.

Was würde sie antworten?

Nein, ich wollte nicht hören!

Ich warf mich auf den Boden und legte den Arm über den Kopf.

Ich hörte nicht, was sie antwortete.

Als ich mein Gesicht erhob, schien die Unterhaltung der beiden beendigt zu sein. Ich vernahm nur noch die letzten Worte:

»Also du wirst heute vernünftig sein und kommen?«

»Ja.«

»Sonst soll dein Graf –«

»Ich werde kommen.«

Herr Mariano entfernte sich – nur er! Nach einer Weile hörte ich ihn im Hof nach einem Knecht schreien, der ihm sein Pferd bringen sollte. Frau Mariano war zurückgeblieben, wahrscheinlich mit ihrem Kinde. Sollte ich jetzt aufstehen und davongehen? Oder sollte ich – – Unmöglich! Was hätte ich ihr auch sagen können? Es war unmöglich, daß sie mich liebte: diese Frau mich, den Träumer, den Phantasten, den »Halbnarren«! Und wäre es wirklich möglich gewesen, so war sie die Frau des Herrn Mariano. Und wenn es wirklich möglich sein sollte, so – liebte ich sie nicht wieder.

Was ich für sie empfand, war höchstes Mitleid, diese stärkste selbstloseste edelste Empfindung im Herzen des Mannes. Mitleid kann den Schein der Liebe annehmen; aber niemals zur Liebe selbst werden.

Niemals!

Ich hatte mich erhoben, ich wollte mich fortschleichen, mit fieberschwerem Haupt und müden Gliedern. Aber wie festgebannt blieb ich stehen. Denn über mir, unter den Cypressen hörte ich krampfhaftes Weinen, ersticktes Schluchzen, den Ausbruch eines Jammers, wie ihn nur eine Frau fühlen kann.

Ich stürzte nicht hinauf, fiel vor der Aermsten nicht nieder, riß nicht ihr armes blasses thränenüberströmtes Antlitz an meine Brust; denn:

Es war ja nur Mitleid, nur Mitleid!

Am Abend kamen Herrn Marianos Gäste, die gewöhnlichen eleganten römischen Dandies. Ich befand mich auf meinem Balkon, als sie eintrafen. Herr Mariano hatte sich nach der Villa Lucida begeben, einem bei Monte Porzio Catone gelegenen Landhause, dessen Vignen und Oliveten er vor kurzem gepachtet hatte. Er war noch nicht zurückgekehrt.

Aber seine Frau empfing die Herren.

Sie hatte für sie sogar Toilette gemacht.

Die Gesellschaft blieb im Freien unter den Steineichen und war in fröhlichster Laune. Alle schienen der schönen Frau zu huldigen: in der dezenten chevaleresken Weise, wie sie meinen Landsleuten eigen ist – was sie nicht hindert, bei Gelegenheit die brutalsten gewissenlosesten Schurken zu sein. Allerdings bewegte sich Frau Mariano mit der Haltung einer Fürstin unter den jungen Leuten, daß es selbst dem Frechsten schwer gefallen wäre, ihr anders als wie einer Dame zu begegnen. Und doch war ich erregt und konnte die Augen nicht abwenden von der hohen schlanken Frauengestalt, als müßte ich sie bewachen und bewahren.

Es schien mir, als läge es in Frau Marianos Absicht, die Gäste ihres Mannes in dessen Abwesenheit nicht in die Villa zu führen, sondern ihn im Freien zu erwarten. Und ich glaubte mich in der Annahme nicht zu täuschen, daß Herr Mariano seine Frau absichtlich so lange mit den Fremden allein ließ.

Es wurde dunkel.

Ein Gewimmel von Johanniskäfern erfüllte den Park und gaukelte über Terrasse und Rosengarten, daß in dem Meere hin und her zuckender Flämmchen die Farben der blühenden Büsche auftauchten.

Frau Mariano ließ Windlichter bringen, welche die schwarzen, wie Ungetüme sich windenden und emporbäumenden Eichenstämme rot erglühen ließen und Glanz auf die moosigen Steinsitze warfen.

Ich wich nicht von meinem Beobachtungsposten und sah, wie die Gesellschaft in einem Boskett hoher Buchsbäume sich gruppierte, die zusammen mit Lorbeer und Laurus das Unterholz bildeten.

Was sprach sie wohl mit jenen glänzenden inhaltsleeren Menschen? Schwerlich würde sie ihnen die Geschichte jener Ottavia Sacchetti erzählen!

Aber mir hatte sie die Tragödie erzählt und zwar gleich in der ersten Stunde, als hätte sie gleich gefühlt: dieser wird dich verstehen! Und ich, der ich mich für einen Dichter gehalten hatte, äußerte mich zu ihr, als vermöchte ich nicht in die dunkle Tiefe einer beleidigten stolzen und leidenschaftlichen Frauenseele zu dringen.

Jetzt vernahm ich Hufschlag. Herr Mariano galoppierte durch das Thor, gefolgt von zwei gleichfalls berittenen Knechten, die große Körbe vor sich hielten.

Er schwang sich vom Pferde, warf den Hut ab, schüttelte die Locken aus der Stirn und ließ sich die Körbe reichen, deren Inhalt er auf den Rasen, mitten unter seine Gäste schüttete. Fröhlich wie ein Knabe rief er:

»Ich bringe euch die Kirschen Luculls!«

Er stand unter den erleuchteten smaragdgrün schimmernden Buchsbäumen und sah lachend zu, wie die jungen Leute gleich römischen Straßenjungen, denen ein freigebiger Ausländer eine Handvoll Kupfer zuwirft, um die Kirschen sich balgten. Seine Frau war zurückgetreten und hob sich wie eine Erscheinung von dem dunklen Hintergrund ab. Wer die beiden jetzt sah, mußte sie für das schönste und glücklichste Menschenpaar halten: schien doch der Himmel diesen herrlichen Mann eigens für diese herrliche Frau geschaffen zu haben.

Auch junge Künstler kamen jetzt häufig zu Herrn Mariano. Er veranstaltete mit ihnen Feste, die einen beinahe hellenischen Charakter annahmen. Der Cypressenteich und der Steineichenhain bildeten zu diesen Schaustellungen eine ideale Scenerie.

Die Künstler brachten aus Rom ihre Modelle mit, die schönsten jugendlichen Menschengestalten. Sie wurden in antike Gewänder gesteckt, dann sie sich so zwanglos wie in von Kindheit an getragenen Kostümen bewegten. Die jungen Leute warfen Diskus, machten gymnastische Uebungen und führten Ringkämpfe auf. Oder die Bildhauer stellten mit dem prächtigen lebenden Material Gruppen, die Maler Genrebilder, und die Zuschauer klatschten laut Beifall.

Auch Frau Mariano wurde zu diesen plastischen und malerischen Darstellungen zugezogen und – sie ließ es geschehen! Die entzückten Künstler drapierten sie in weiche weiße Stoffe und gaben ihr die Pose einer Pudicitia, einer Priesterin, einer Niobide.

Willenlos, wortlos ließ sie's geschehen!

Einmal ereignete sich eine solche Profanation der schönen unglücklichen Frau vor meinem Fenster in dem Rosengarten.

Es war im Hochsommer, alle Blumen waren längst verdorrt. Aus dem gelben Grase erhob sich ein Wald von hohen Juccastauden mit schlanken schneeweißen Blumendolden. Die lichten Blütenschäfte zu sehen, wie sie gegen den flammenden Abendhimmel sich abhoben, wie sie dann langsam, langsam in Dämmerung sanken und allmählich von der Finsternis ausgelöscht wurden, war für mich täglich ein neues köstliches Schauspiel.

In einer strahlenden Vollmondnacht also stellten die Künstler mit Frau Mariano in dem von Johanniskäfern durchfunkelten Juccafelde »lebende Bilder«. Von meinem Balkon aus sah ich's mit an. Ich sah unter den weißen Riesenblumen ihre weiße regungslose hilflose Gestalt.

Sie wußte gewiß, daß ich verstohlen zuschaute; aber sie dachte wohl nicht, daß ich um sie litt.

Ich litt um sie in einer Weise, daß es mir physischen Schmerz verursachte.

Sie that mir so leid, so leid!

Zum zweitenmal erlebte ich in der Villa Falconieri den Reigen der wechselnden Jahreszeiten.

Der Sommer verbrannte das Gras unter dem dichtesten Baumschatten, verdorrte jede Blume, überzog alles Laubwerk mit einer dichten grauen Staubkruste, umwölkte den Himmel mit den Gluten des Tages, daß die versengte Steppe, der schimmernde Meeresstrand und das leuchtende Sabinergebirge durch allen Dunst und Qualm nur in zarten, kaum erkennbaren, wie hingehauchten Umrissen sichtbar wurden. Tage, wochenlang war unsere Höhe wie von einem fahlen Wolkenkreis umgeben.

Wie der Rauch eines Weltenbrandes schlug es rings um uns empor.

Tag und Nacht schrien die Cicaden in den Olivenhainen.

In der Villa war es bei geschlossenen Jalousieen dämmrig und kühl. Vor den Thüröffnungen hingen farbige Netze; und erhob sich gegen Mittag der Meerwind, blies er lustig durch das ganze Haus.

Es kamen die ersten Herbstregen, die dem Lande einen zweiten Frühling und der Bevölkerung die Malaria bringen. Um den Würgeengel zu scheuchen, brannten über Nacht in der Campagna große Feuer, an denen die zu Tode ermatteten Arbeiter ruhten. Die Steppe war bedeckt mit solchen Flammensignalen: »Hier schlummern arme erschöpfte Erdensöhne! Mordet sie nicht im Schlaf! Der Schlaf des müden Menschen sei heilig!«

Bisweilen griffen die Feuer um sich. Sie erfaßten ein Feld, sie entzündeten den Buschwald. Dann wälzte sich eine lange Rauch- und Flammenkette tagelang über die Hügel.

In den Albanerbergen begann die bacchische Erntezeit: das Land strotzte von künstlicher Fruchtbarkeit. Die schönen silbergrauen Rinder führten die Traubenlasten zu den Keltern, und der schrille Gesang der Winzer übertönte selbst den Lärm der Cicaden.

Unter den Steineichen blühten noch einmal die Cyclamen, in der Villa noch einmal die Rosen, am Cypressenteich der Ginster.

Das Laub der Kastanien färbte sich rot und immer röter, bis der ganze herrliche Berg Cavo dastand in dunkle leuchtende Purpurfarbe gehüllt.

Die Sonne ging nicht mehr über Rom unter; sondern sie versank in flammender Herrlichkeit wieder in den Meeresfluten.

Frühmorgens schien die Campagna in einen ungeheueren Nebelsee verwandelt, dessen wogenden Wellen die Berggipfel wie Eilande entstiegen. Und wie ein Eiland schwamm auf den Wolkengewässern die Peterskuppel.

Es wurde kalt.

Tag und Nacht fuhren Stürme um das Haus, das auf seinen mächtigen Terrassen wie auf Felsen über einem Abgrund stand. Die Campagna bekleidete sich mit ihrem dichten Winterkleid und hatte darin die Majestät einer Königin.

Jetzt die Olivenernte!

Die lichten Zweige dieses lieblichsten Baumes des Südens hingen mit den kleinen schwarzen blanken Früchten beschwert; und eine Schar junger Mädchen in hellen Kleidern und roten Kopf- und Brusttüchern pflückte sie. Im Laube erschallten ihre endlosen Lieder, daß der ganze Oelwald von Sang und Schall ertönte.

Frühling! Römischer Frühling!

Die gute holde Göttin, die mir täglich an der Decke meines Zimmers erscheint, schwebte über der Campagna und ihr belebendes verjüngendes Lächeln verwandelte die feierliche königliche Landschaft in eine Bacchantin. Selbst die ausgesogene Ackerscholle erstickte schier unter Blüten. Ueber die Steppe reitend, versank mein Pferd in der Ueppigkeit. Auf den Höhen ringsum Felder gelber und weißer Narzissen, Felder weißer und blauer Schwertlilien.

Asphodelenwiesen!

Das antike Gemäuer leuchtend von Goldlack, die Gräben mit Cistusrosen gefüllt. Rosenhecken, Geißblatthecken! Hohe Wände von Geißblatt und Rosen! In dem jungen Grün der Kastanienbüsche rote Päonien und Kaiserkronen. Haine von blühendem Weißdorn. Wälder von Goldregen. Jede Ruine ein Blumenberg, jede Furche ein Blütenbach, jede Wiese ein Garten.

Die Veilchen von Tusculum!

Und dann die Pracht des blühenden Ginsters ...

Und aus Frühling ward Sommer. Der rote Mohn trat seine Herrschaft an. Feld und Wiese, Ebene und Höhen erglühten. Um jeden Oelbaum wand sich ein großer Kranz der roten schönen Blumen, deren Gluten die alten verkrüppelten und verasteten Stämme wie aus Silber ciseliert entstiegen, dicht bedeckt mit bläulichen und grünlichen Flechten, daß sie wie oxydiert erschienen. Welche Herrlichkeit, als die leuchtenden Zweige sich über und über mit seinen silberhellen Blüten bedeckten!

Die Blüte der Olive war die letzte schöne Fruchtblüte des Jahres.

*


 << zurück weiter >>