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Sechzehntes Kapitel.
Die Normannenschlacht

Während unten in den Tälern die Flocken langsam und senkrecht niedersanken, herrschte auf der Höhe des Gebirgskammes am schwarzen Mann dichtes und rastloses Schneegestöber, starker Westwind trieb die Schauer über Heidegestrüpp, Urwaldforsten, Moore und auch über die Kluft, in der sich die Flüchtlinge von Prüm eingerichtet hatten.

Im Wirbel des weißen Schnees tauchten von allen Seiten Gewappnete auf, Rosse wurden geführt und geschirrt, Mönche und Hörige suchten behülflich zu sein, Rotmar, Burkhardt und der von Vianden berieten stehend den Plan, alle brannten darauf, los zu ziehen. Rotmar und der Vogt wußten, daß jedes Zögern ihnen vielleicht für immer Hildegard entreißen würde, der Viandener hatte einen Sohn in der äußeren Klosterschule. So floß die Not des einzelnen mit der allgemeinen Not zusammen.

Anshelm und andere Boten hatten genaue Kunde von dem Wege der Räuber gebracht, nun warteten die Scharen nur noch auf das Eintreffen Gibbichs.

Da kam er auf einem weißen Pferde geritten, wie eine Fahnenstange hielt der alte Einsiedler ein armdickes, schweres Kreuz mit schmalem Querholz in den Händen. Unabsehbar folgte ihm sein Aufgebot, ein wildes Geschlecht, die Roß- und Schweinehirten aus den Bergen, die hörigen Handwerker und Schmiedegesellen von den Höfen; freie Bauern mit langen Bärten, rußige Männer von den Kohlenmeilern, alle mit Schnee bestaubt; da waren rostige Schwerter und Bärenspieße und gewaltige Keulen, Schilde aus rasch zusammengehämmerten Brettern und andere, erzbeschlagen, altersgrau, auf denen schon die krummen Waffen der Avaren zu Karls des Großen Zeiten zersplittert waren. Mancher Mönch schritt da gewaffnet zu der Menge Gibbichs, mancher Knabe auch aus der inneren Klosterschule.

Wenige Worte nur wechselten die Führer, kurz nach Anbruch des Abends sollte die Feste Dasburg von drei Seiten gestürmt werden.

Der Abt und die Brüder kamen, Farabert schritt auf Gibbich zu und bat ihn, den Segen zu geben.

Der lehnte bescheiden ab; da hob Farabert die Hand, erteilte Vergebung der Sünden und flehte die Hilfe des Himmels auf die Fahrt herab.

Lautlos verschwanden die Massen im Schneegestöber.

In Rotmars Antlitz glühte die furchtbare Spannung der letzten Stunden. Gibbich ritt an seine Seite und reichte ihm die Rechte. Die Gewalt der Sehergabe strahlte aus seinem Auge.

»Wir ziehen in die Schlacht, Rotmar,« so sprach er, »du wirst Hildegard im Arme halten auf Dasburg und gute Jahre sehen, ich aber will deinen Vater grüßen, Etmar, meinen alten Waffengenossen, oben in den Sälen des Himmelsherrn!«

Dankbar und erschüttert zugleich schaute Rotmar den Einsiedler an, der aber verschwand zu den Seinen, und über ihm flogen mit schwerem Flügelschlage die beiden Raben.

Der Schnee wolkte auf unter den Hufen der westwärts strebenden Rosse, Gibbich zog links auf das untere Urtal zu, Rotmar und die beiden anderen auf dem geraden Wege nach Dasburg.

 

Die graue Dämmerung der Schneenacht brach früh über die rauchbedeckte Feste herein. Wohl sandte Glum Geierson ein paar Wachen auf die Felder und ins Tal, aber niemand dachte daran, die in Bresche gelegten Mauern und Tore auszubessern, so sehr verwirrte die Normannen der Tod Isoldens und die verzweifelte Trauer ihres Königs.

Nun trat, vom Qualm des Feuers geschwärzt und von Blut gerötet, Glum Geierson zu Rolf Ringbeißer, legte die Hand auf die Schulter des Königs und sprach mit unsicherer Stimme: »Die Feste ist unser, was befiehlst du? Wir alle trauern wie du, unser köstlichstes Gut ist uns genommen, da diese holden Augen sich geschlossen haben!«

Aber der König rührte sich nicht und starrte mit einem dumpfen, murrenden Laut aus die tote Isolde.

Da begann der Sänger wieder: »Was sollen wir tun, Rolf Ringbeißer, vergiß nicht, daß unser Geschick in deiner Hand liegt.«

Noch immer blieb der König unbeweglich, da erhob sich ein Gemurmel unter den Kriegern, und Geierson sprach laut: »Der König gehört nicht seinem Schmerze, der König gehört seinem Volke!«

Da sprang Rolf Ringbeißer aus, seine Augen waren blutunterlaufen, sein Mund bebte schrecklich, jede Farbe schien aus dem Gesichte gewichen: »So schichtet einen Holzstoß auf, höher als den Turm dort, und schlagt die Gefangenen tot, alle, alle, die wir haben, und legt sie auf den Scheiterhaufen, und Rosse stecht nieder und legt sie dazu und alle Schätze, die wir haben, ich will den ersten Feuerbrand darauf werfen, da soll Isolde ...«

Ein scharfer, heller Hornruf in der Nähe der Mauer unterbrach ihn, unwillkürlich horchte er, zugleich aber klang von der Mauer her der Ruf: »Zu den Waffen!«

Wie von einem Wirbelwind war da im Augenblick die stumme Runde der Krieger um ihren trauernden König weggeweht. Der sank, wie trunken vom Leid, wieder in den Schnee und hielt weiter seine Totenwacht.

In der Feste aber wuchs das Waffengetümmel. Durch die Tore waren von zwei Seiten die fränkischen Männer eingebrochen, keinen Kriegsruf stießen sie aus, in verbissenem Ingrimm fielen hageldicht ihre Hiebe. Manche von den Angreifern saßen noch auf Rossen, andere kämpften zu Fuß. Unbekümmert um das eigene Leben, nur beherrscht von dem wütenden Zorn gegen den normannischen Feind, der ihnen Hof und Herd zerstört, ihre Frauen und Kinder erschlagen oder in die Einöde gejagt und die Heiligtümer eingeäschert hatte.

Rotmar, dessen Roß gefällt worden war, stürmte gegen Glum Geierson, der mit unablässigem Ruf seine Krieger anfeuerte und zu einer Schlachtordnung zusammen schließen wollte. Der Mürlenbacher schleuderte seinen Speer auf den gewaltigen Recken, der aber ließ durch eine schnell zuckende Bewegung seinen Schild die Waffe auffangen, und zersplittert sank der Schaft nieder. Da griffen sich die beiden mit dem Schwerte an, schon war der Schildrand des Mürlenbachers zerhauen, und aus dem Schildarme quoll dunkles Blut, da trennte die beiden das Getümmel des Kampfes.

Denn nun strömten aus den Häusern und den Hallen und Türmen immer zahlreicher die Normannen, manch ein Todesschrei aus fränkischer Kehle gellte in die dichte Schneeluft. Von allen Seiten bestürmt, wurde das fränkische Aufgebot immer mehr gegen die äußere Umwallung gedrängt. Der von Vianden wehrte sich verzweifelt gegen drei Normannen, Burkhardt mußte aus zerschmetterter Hand das Schwert entsinken lassen, nur Rotmar und Isenbrandt sprangen immer wieder keuchend zum Angriff vor, um immer wieder vor der Übermacht mehr zurückweichen zu müssen.

Burkhardt, der nur mit seinem unverletzten linken Arm, der den Schild trug, die Geschosse abwehren konnte, schüttelte ingrimmig den pfeilgespickten Schild und rief dem Mürlenbacher zu: »wir erliegen, Rotmar ... das letzte Gericht!«

Da entstand plötzlich hinter dem Rücken der Normannen ein dumpfes Springen und Stoßen, wie ein Vorwärtsdrängen von Tieren klang es; das waren Gibbich, der Einsiedler, und seine Scharen. Mit großen Sätzen kamen sie näher.

»Für den treuen Himmelsgott und unser Land!« klang Gibbichs Schlachtruf. Er hatte sich geschworen, ohne Waffe das Kreuz in die Feinde zu tragen, um die Seinigen dadurch zum verzweifelten Angriff anzuspornen. Nun aber, da er die Speere auf sich gerichtet sah, überkam ihn jäh die Streitlust vergangener Tage, mit beiden Händen umspannte er das heilige Kreuz, wie eine gewaltige Keule schwang er es, so stürmte er, mit jedem Hiebe Feinde niederschmetternd, in den dichtesten Knäuel der Normannen hinein; nachfolgten die Roßhirten, deren Wolfspelze vom Schnee starrten, und die Bauern mit ihren Spießen und die Schmiede mit ihren eisernen Stangen.

Furcht ergriff da die normannischen Streiter vor dem ungefügen Riesen, von dessen Mantel jede Waffe abprallte.

Der erste aber, den die Keule Gibbichs fällte, war Glum Geierson, der Sänger. Mit gurgelndem Aufschrei sank er in den blutbesprengten Schnee.

Als nun auch Rotmars Schar von der anderen Seite wieder angriff, flüchteten die eingekreisten, führerlosen Normannen rückwärts.

Da tönte aber eine donnernde Stimme: »Steht, Männer, der Sieg ist unser!«

Und in voller Wehr, doch ohne Helm, stand Rolf Ringbeißer, der König, vor den Seinen.

Auf ihn zu Rotmar von Mürlenbach; ehe ein Wort fiel, kreuzten sie die Klingen.

Aber die Totenwacht im Schnee hatte des Königs Glieder steif gemacht, Schritt für Schritt mußte er vor dem wütenden Ansturm Rotmars zurückweichen. Mehr und mehr zog sich der Kampf an die Stelle, wo zwischen den Scheunen die Leiche Isoldes im unaufhörlich wachsenden Schnee versunken war.

Wieder trennte der Wirbel des Kampfes im Dunkeln die beiden erbitterten Streiter.

Da rannte Gibbich, der Alte, gegen den Seekönig. An einer vorstehenden Dachfirst verfing sich das Kreuz, die Keule des streitbaren Einsiedlers, und schon fuhr ihm das kalte Eisen Rolf Ringbeißers in den Hals, die Schlagader durchschnitt es, und Gibbich sank stumm hin.

Zwei Raben aber flogen mit kreischendem Laut um des Königs Haupt, sie stießen mit den Schnäbeln nach seinen Augen, sie verdüsterten mit ihren großen, schwarzen Flügeln seinen Blick, und als nun Rotmar endlich im Dämmer seinen Gegner wiederfand, konnte er den Ermatteten, der sich verwirrt und erschüttert gegen die schwarzen Vögel wehrte, mit dem ersten Axthieb erschlagen.

Da floh auf schnellen Rossen, wer von den Normannen noch lebte, in die Nacht hinaus gegen Westen auf den Maasfluß zu. Was ein jeder von erbeutetem Golde ergreifen konnte, schleppte er mit.

Als die Wächter an dem Hause, das die Gefangenen barg, die Wendung des Kampfes wahrnahmen, wollten sie in den Bau, um die Gefangenen zu erschlagen. Da griffen sie unversehens mit geschmeidiger Wucht Isenbrandt, Anshelm und einige Knechte an; kurz war das Handgemenge, dann flohen auch die Wächter fort zu den Rossen.

Gesäubert war die weite, verwüstete Burg von den Normannen.

Rotmar eilte, noch hochaufatmend von dem Zorn des Kampfes, zu Hildegard, die schon damit beschäftigt war, einen verband um die verwundete Rechte ihres Vaters Burkhardt zu legen. Da sank die Gerettete weinend an die Brust des Mürlenbachers und schluchzte: »Nun soll uns nichts mehr trennen, keines Feindes Schwert!«

»Und keines Königs Wort,« sprach Rotmar leise.

 

Dunkle Nacht war es nun geworden, die ermüdeten Streiter ruhten in den Hallen, andere suchten zwischen den Mauern und Türmen nach Verwundeten und nach geliebten Toten. Das Wimmern der Sterbenden erfüllte die dumpfe Schneeluft, Verwünschungen klangen auf die Räuber und jene, die sie hergeführt hatten.

Da schlich tappend und tastend Hug von Lothringen an den Mauern entlang; in einen Winkel hatte er sich geduckt, nun trieb ihn der Hunger auf, ohnmächtige Raserei erfüllte ihn, er wußte nicht, weshalb Walko und der König und Isolde und alle die Normannen ihn im Stich gelassen hatten. Er hörte nur den dumpfen Sturmlauf der Franken, das Gewühl des Kampfes und den letzten Todesschrei so vieler Normannen.

Nun, wie er hinschlich, griff manche Faust nach seinem Gewand im Todeskampf, seine Finger tasteten auf erkaltende Körper, zwischen knirschenden Zähnen rangen sich letzte Röchellaute hervor.

Da schüttelte ihn das Entsetzen mit seiner eisigen Hand; er wußte nun, daß alles verloren sei, und griff entschlossen nach dem kurzen Dolch an seinem Gürtel, um ihn sich in die Brust zu stoßen.

So fand ihn Regino, der Prior von Prüm, der unablässig das Kampffeld absuchte, um den Sterbenden die kirchliche Tröstung zu spenden.

Unhörbar war der Mönch in dem hohen Schnee näher gekommen.

»Was willst du, Hug von Lothringen?« rief er.

Der Blinde prallte zurück, dann aber versuchte er, ohne zu antworten, schnell den tödlichen Stoß zu führen.

Regino entwand ihm die Waffe: »Unerhörten Frevel, Hug von Lothringen, hast du gehäuft, Tausende hast du erschlagen durch deinen meineidigen Verrat, hörst du den Schrei der Sterbenden und das Krachen verbrannter Hütten?«

Da fuhr mit geller, kreischender Stimme der Blinde auf: »So stich mich doch nieder, du, den ich nicht kenne und der mich ein Scheusal nennt!«

»Regino bin ich, von dem Kloster, das du verrietest.«

»Dann stich zu, Mönch, weshalb tust du es nicht, ich hasse mein Leben!«

Da richtete sich Regino hoch auf und sprach: »Der Herr, dem wir dienen, Hug von Lothringen, will nicht des Sünders Tod, sondern daß er sich bekehre und lebe, büßen soll er und bereuen, auf daß die Milde des Himmelsherrn walten könne! Ins Kloster folgst du mir, keine Zelle sei dir kalt genug, kein Brot zu hart, kein Trunk zu bitter, und weil du dein Leben so sehr hassest, sei es wert, in Reue gelebt zu werden, langmütig und allgütig ist der Herr!«

Da sank der Blinde wie eine erlöschende Flamme in sich zusammen und ließ sich willenlos wegführen.

In langen Reihen brachte man am andern Morgen die toten Franken zur Erde. Da mischte sich allzuviel Wehklagen um Alte und Junge in die Freude des Sieges und ließ auch die Trauer um das verlorene heilige Gerät nicht aufkommen.

Die Menge der gefallenen Normannen aber wurde eilig verscharrt, da lagen der König und der Sänger neben dem letzten ihrer Krieger, kaum schütteten die Knechte die Grube zu.

Den Leib Isoldes bestatteten Hildegard und die Frauen an der Stelle, wo man sie im Schnee gefunden hatte. In seidene Tücher aus der Beute wurde sie eingehüllt, in ihrer Silberbrünne, und als die gefrorenen Rasenstücke in das Grab fielen, betete die Tochter Burkhardts ein scheues Gebet für die Unglückliche, die ihr eine Schwester sein wollte auf dem Schlosse des Normannenkönigs Rolf Ringbeißer zu Dasburg.

Als aber die Roßhirten und Bauern nach ihrem Führer Gibbich suchten, da fand ihn keiner, so eifrig man auch nach ihm spähte. Die Stelle, an der ihn die Seinen hatten fallen sehen, war unberührt, nur das Kreuz lag noch da, vom Blute gerötet.

Da schauten sich die Männer erschauernd an und flüsterten: »Gibbich starb nicht, er ist weggegangen, über die Höhen wandert er und durch die Täler; nachts, wenn wir schlafen, segnet er unsere Flur und wendet Unheil von uns ab; so geht er von Jahrhundert zu Jahrhundert, der graue Wanderer, und hütet sein Land!«


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