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Siebentes Kapitel.
Im Normannenlager

Noch in derselben Nacht, als der Blinde und sein Führer von Mürlenbach weggeritten waren, hatten die beiden, unter Vermeidung des Tales bei Prüm, einen weiten Weg auf den Maasfluß hin zurückgelegt. Hug schien keine Erschöpfung zu kennen, immer wieder trieb er nach wenigen Stunden Schlafes den stumpfen Walko an, ihn weiter zu leiten. Nicht die Moore des hohen Venn hielten ihn auf, nicht die Urwälder der Ardennen, nicht die Sümpfe in Niederland.

Als sie endlich nach fünf Tagen beschwerlichen Reitens an den großen, halbzugefrorenen Maasstrom kamen, fragte der Blinde seinen Begleiter, was er sehe.

»Hütten ohne Dach sehe ich, von Feuer geschwärzt, verlassen von den Leuten, Gerippe von Pferden und Kühen ragen aus dem schmutzigen, weichen Schnee, zertrümmerte Schiffsrümpfe liegen am Uferrand!«

»Wir sind in der Nähe,« rief und trieb sein Pferd an.

Und als die beiden Reiter noch einige Stunden flußabwärts gezogen waren, tat sich ihnen eine neue Ansicht auf, von der Walko seinem Herrn berichtete.

»Das ist das Lager!« keuchte der und hieß den Knecht die Rosse zur letzten Anstrengung aufstacheln.

Am Ufer des Stromes lagen in langer Reihe, dicht aneinander gedrängt, etwa hundert Drachenschiffe der Normannen. Sie waren fast ganz aufs Land gezogen; die runden Stämme, welche als Rollen dienten, lagen aber noch darunter, um nötigenfalls eiligste Flottmachung zu ermöglichen. Deshalb schauten auch die Schnäbel der Schiffe, oben in phantastische, schimmernde Tierfratzen auslaufend, alle nach dem Fluß zu. Zwischen den Schiffen hatte man Holz aufgeschichtet, so daß ein fortlaufendes Bollwerk entstanden war, plötzlichen Angriff vom Flusse her zu verhindern. Die beiden Flanken des weitläufigen Lagers waren durch Sümpfe und einen breiten Erdwall gedeckt, während die dem Lande zugekehrte Seite, als die am meisten gefährdete, besonders hohe Schanzen mit Türmen darauf zeigte.

Lautes Lärmen herrschte im Lager, das an Umfang einer Stadt wenig nachgab. Hütten aus Holz, Schilf und Stroh gebaut, dienten den streitbaren Männern, die hier in einer Anzahl von mehr als fünftausend zusammen hausten, zum notdürftigen Unterkommen gegen die Unbilden der Witterung. Dazwischen erhoben sich stärkere, dauerhafter gebaute Blockhäuser, die Wohnungen der Edlen; in der Mitte der Niederlassung aber, durch eigenen Wall und Graben von ihr getrennt, stand die große, von einigen Holzgebäuden umgebene Königshalle. Da wohnte Rolf Ringbeißer, der gewaltige Seekönig, dessen kühne Wickingerfahrten nach England, Frankreich, sogar bis Spanien hinunter, alle Welt mit Furcht und Entsetzen erfüllten.

Ein wogendes Leben brandete in den Gassen des Lagers. Die Gewalthaber, die viele Meilen weit im Umkreis das Volk sich dienstbar gemacht hatten, lebten vom Ertrag ihres Raubes in Saus und Braus, von außen deckte Schilf und Weidengeflecht die Hütten, innen aber standen Pfühle mit den weichsten Daunen gefüllt, darüber waren Decken von Seide und Purpur gebreitet, mit kostbaren Stickereien, die noch vor wenigen Monaten den prunkvollen Gottesdienst in einem westfränkischen Kloster schmückten. Da hingen Teppiche an den Wänden, die vor Jahresfrist noch der zarte Fuß einer britannischen Edelfrau betreten hatte. Truhen aus seltenen Holzarten standen geöffnet dabei; darin lagen in wildem Durcheinander Pelze von Bären, Mardern, Hermelin und Biber, seltene Waffen und feines, weißes Linnenzeug. Kein Blutfleck verriet, welch ein großes Sterben all diese Schätze gekostet hatten.

Da saßen und streckten sich auf den Ruhebetten die Nordmänner selbst, hochgewachsen, von Sonne, Meer und Eis gebräunt, sehnig, mit stahlharten, blauen Augen; da tranken und schmausten sie zusammen, knöchelten, prunkten mit herrlichen Waffen und ließen hochfahrend das ekle Geschlecht einheimischer Händler herankommen, die zahlreich zwischen den Hütten hin- und herhuschten und aus der Not der Heimat Gewinn schöpfen wollten.

Da liefen auch unzählige Frauen, Knaben und Mädchen, die von Beutezügen als Gefangene weggeschleppt, den stolzen Siegern willig oder unwillig, wie ihr Sinn war, alle Dienste des täglichen Lebens tun mußten. Da empfing manch ein Weib, das sonst im Zwillichrock einer Magd gegangen war, für bescheidene Arbeit einen Seidenmantel um die Schultern, manch trotziger Edelknabe aber, dem die Gefangenschaft weniger behagte als das frühere Wohlleben auf dem väterlichen Hofe, wurde für geringen Ungehorsam mit dem Schwerte erschlagen oder in den eisigen Fluß gestürzt. Tod und Untergang lauerte bei den Kriegsfahrten täglich auf den Nordmann, darum galt ihm auch das Leben anderer soviel als ein Nichts.

Dazwischen tönte das Wiehern der Streitrosse, das Brüllen der Schlachttiere und das Schnattern von Geflügel, das zahlreich zusammengeraubt war. Hell klang aber daneben das Hämmern in den Schmiedewerkstätten, da wurden die eisernen Beschläge und das Balkenwerk der Schiffe ausgebessert, die Ruder nachgesehen, vor allem aber Waffen, Schwerter, Speere, Dolche, Schilde und Panzer geflickt, gehärtet, mit neuen Teilen versehen und mit Gold oder Silber verziert.

Allmählich, da der frühe Winterabend hereinbrach, hörte die geschäftige Arbeit auf, desto lauter aber wurde der Lärm der schlemmenden Krieger.

Am lautesten jedoch ging es in der Königshalle zu. Auf gewaltigen Holzsäulen ruhte die Wölbung ihres Daches. Gehörne von Wildstieren, Edelhirschen und Elchen schmückten die Wände. Da waren auch eiserne Handgriffe angebracht, in die hatte man schwelende Kienfackeln gesteckt, die im Verein mit dem lodernden Holzstoß des Herdes auf das Gelage des Seekönigs ein grelles Licht warfen.

Auf dem Hochsitz saß Rolf Ringbeißer, ein breiter, starker Mann; blondes, straffes Haar fiel ihm bis auf die Schultern, ein kurzer, buschiger Bart von rötlicher Farbe bedeckte sein Kinn. Unter scharfgeschnittenen Brauen blickten blaue Augen, die jetzt hell, freundlich und gutmütig leuchteten, denn der König schaute auf Isolde, die gerade zu ihm trat und ihm den goldenen Kelch mit französischem Weine darbot.

Isolde war eines bretonischen Grafen Kind und im vergangenen Sommer den Normannen als Geisel eines vollzogenen Schutz- und Trutzvertrages anvertraut. Daß plötzlich damals in der Bretagne günstiger Wind zu einer Englandfahrt sich erhob und die Normannen mit samt ihrer Geisel nach ausgiebigem Strandraub eines Nachts auf und davon fuhren, darüber hätte sich keiner zu wundern brauchen; das war Nordmänner Art und Nordmänner Recht. In der Grafenburg an der Bretagnerküste saß aber eine alte Frau, härmte sich die Wangen blaß und hoffte täglich, daß ihr Kind unvermutet wiederkommen werde, der Graf jedoch sammelte mit blödem, altersschwachem Eifer an einem Goldschatze, den er dem Räuber Rolf anbieten wollte, damit er ihm sein Kind zurückgebe.

Isolde selbst aber hing solch traurigen Gedanken wohl nicht nach; braune Härchen krausten sich unter dem perlengeschmückten Diadem auf ihrer klaren Stirn, ihre dunklen Augen lachten den König lustig an, und als sie ihm den Kelch, eine Beute aus einem Kloster am Seinefluß, darbot, sagte sie leichthin, aber so laut, daß die Reihen der Streiter, die mit ihrem Gebieter beim Mahle saßen, es verstehen konnten: »Es ist Zeit, Herr, daß eine neue Kriegsfahrt gerüstet wird, der Wein geht zur Neige, für morgen reicht er nicht mehr.« Lauter Jubel der Mannen antwortete auf die schnippisch hingeworfenen Worte.

Rolf Ringbeißer aber sprang auf und rief: »Allzu lange schon habe ich meinem Namen keine Ehre mehr gemacht, wohlan, Isolde, dein Wort war gut, ich will's dir lohnen!«

Und von seinem Arme zog er das fingerdicke Goldgewinde, das, wie eine Schlange gedreht, wohl zehnmal um die eisenharten Muskeln sich legte. Zwischen seine breiten Zähne nahm er das gelbe Metall, einen von den Ringen biß er herunter und gab ihn der lachenden Frau, schwer sank er in ihre Hand.

»Heil!« schrien die Krieger; Glum Geiersohn, der Sänger aber rief: »So ist es wohlgetan, Seekönig, schmücke sie mit deinem Golde; solange sie lacht, wird uns kein Unheil drohen!«

Da erhob sich unten am Eingang der Halle, wo die Knechte und Diener saßen und auf das warteten, was die Herren ihnen zuwerfen würden, ein Gemurmel und ein Scharren der Füße. Es waren zwei vermummte Menschen eingetreten und hatten sich stumm auf die letzte Ecke der Bank niedergelassen.

Rolf fragte nach dem Grunde der Unruhe und erhielt Bescheid.

»Wer ihr auch seid, Fremdlinge,« so sprach er, »ihr seid unter gastliches Dach gekommen, ich will euch Speise und Trank und ein Nachtlager auf den Bänken geben!«

Wohl nickte der eine in der Vermummung und sagte dem andern etwas, worauf dieser seine Kapuze fallen ließ und das ängstlich verdutzte Gesicht Walkos zeigte; der andere aber blieb regungslos, auch als die Knechte kamen und den Schweinebraten, Brot und Wein brachten.

Bald aber erklärte sich das Rätsel, Walko begann seinen Herrn zu bedienen, und die Normannen erkannten daß ein Blinder ihr Gast sei.

Isolde beugte sich neugierig vor, betrachtete mitleidig die müden, starren Züge des Ankömmlings und flüsterte mit Rolf.

Bald war das allgemeine Gespräch wieder im Gange, und man hatte die beiden fast vergessen. Da bat Isolde den König, die Fremden nach ihrer Heimat zu fragen und ob sie des Schutzes bedürften.

»Nun ihr beiden, da ihr gesättigt seid, frage ich euch nach Heimat und Schicksal!«

Ausdruckslos horchte Walko auf die Laute der normannischen Sprache, die er nicht verstand, Hug aber erhob sich: »Ein Armer bin ich, den schlimme Feinde geblendet haben, nicht Haus noch Hof habe ich, da hörte ich von Rolf, dem Ringbeißer, der die Schwachen schirmt und die Starken niederschlägt, da dachte ich, ob der gewaltige Seekönig, dessen Ruhm unzerstörbar ist im Liede und dem Gespräch der Menschen, mir nicht helfen würde in meiner Not.«

»Wohl hast du gesprochen, blinder Fremdling, nun sage mir, woher du die Sprache meines Volkes kennst, denn du bist ein Deutscher, das höre ich wohl.«

»Ich hatte einen Schwager,« begann der Blinde mit klagender Stimme, und Isolde wandte kein Auge von ihm ab, »meiner Schwester Mann, der war ein Normanne, kein Kriegsmann war tüchtiger wie er, es sei denn Rolf Ringbeißer, den keiner übertrifft.«

»Und wie hieß er?« fragte der König gespannt.

»Er war ein Kämpfer allen voran, nun ist er aber dahin, durch listiger Feinde schmählichen Betrug erschlagen, ein Graf war er in Friesland, Godefried hieß er!«

Da sprang Glum Geiersohn, dem alle Geschlechter der Menschen bekannt waren vom Kaukasus bis zu den Schären, auf und rief: »Dann bist du Hug von Lothringen, Godefrieds Schwager, er wurde von jenem falschen Heinrich, dem Ratgeber des Kaisers, den sie Karl den Dicken nennen, betrügerisch erschlagen; dich aber blendete derselbe Heinrich, da er dich nach Gundolfesburg in die kaiserliche Pfalz gelockt. Du warst einmal ein rascher Streiter, Kunde hörte ich von dir im Hennegau und an der Nordsee.«

»Nun wohlauf, Königssohn, Urenkel des großen Kaisers Karl,« sprach Rolf Ringbeißer, »setz dich zu meinen Gesellen hier an meine Seite und künde mir, weshalb du, ein blinder Mann, durch graue Winternacht hierherkommst in Ringbeißers Halle.«

Da warf Hug den Reisemantel von sich und stand in einer gleißenden, altertümlichen Rüstung da, daran schimmerten goldenes Kleinod und zwei Dolche von spanischem Stahl.

Walko aber schob ihn an den Eichentisch, wie er es auch in Prüm gewohnt war, und hockte sich neben seinen Herrn auf die Erde, seiner Befehle gewärtig.

Isolde schmiegte sich an des Hochsitzes reichgeschnitzte Rückenlehne, richtete ihre großen Augen mit dem Ausdruck kindlicher Wißbegierde auf Hug und fragte: »Nun sage uns, du blinder Königssohn, was heischest du von Rolf, dem Ringbeißer?«

»Ja, sage es uns!« nickten auch Rolf und die anderen Gesellen der Tafelrunde.

»Man erzählt sich,« begann da der Blinde zu sprechen, »im deutschen Lande, daß Rolf, der Held, nicht wie andere Wickinger im Sommer nur zu Schiff steige, um im Winter in Nordland auf eisiger Königsburg ruhmlose Tage zu verleben. Anderer Wille beseelt Rolf, den Ringbeißer. Ein Land will er sich suchen, darin zu herrschen nach seinem Wunsch; so fährt er durch Frankreich, England, Spanien bis nach Romaburg hin, so wohnt er in Niederland und streift die Flußtäler hinauf; immer sucht er nach einem Reiche, das wert sei, von Rolf, dem Ringbeißer, beherrscht zu werden. Ist das richtig so, was die Leute erzählen?«

»So ist es,« »wahr,« »sprich du weiter, blinder Fremdling,« riefen die Männer durcheinander.

Der Seekönig aber schlug mit der Hand an seine breite Schwertwaffe und sprach: »Fahre fort, Hug von Lothringen, gern horchen wir deinen Worten!«

Da erhob der Blinde seine Stimme lauter: »wohlan denn, ein Bergland weiß ich, das wäre wert, Rolf Ringbeißers Land zu heißen, Wein reift in seinen Tälern und Korn und Früchte die Menge. Da weiden Schlachttiere genug für ein großes Volk, und zahlloses Wild wartet in den Wäldern auf Rolfs Jagdruf. Wohl schirmen starke Burgen die Täler, doch die Männer, die solchen Reichtum schützen sollen, sind keine Männer mehr, alt und schlaff sind sie geworden in langer Friedenszeit. Zahllose Mönche hausen da, die lehrten sie beten und ängstlich fromme Werke tun, Schwert und Schild aber fielen den Kraftlosen aus den Händen, die verlernten sie nach Kriegerart zu führen. Dahin komme du, König, mit deiner Schar, dort laß dich nieder, da baue deinen Hochsitz und herrsche über Burg, Berg und Tal. Ein Kloster weiß ich in diesem Land, da liegen Schätze gehäuft, Scheffel roten Goldes, soviel du magst!«

»Das Land nenne uns!« unterbrachen die Gesellen den Blinden, der, aufgerichtet, mit einer weiten Bewegung in die Ferne zeigte.

»Schwächliche Grafen sitzen da, Greise mit zitternden Armen und Knaben, denen der Eschenspeer noch zu schwer ist. Goldene Geschmeide ruhen dort in Kisten und warten auf Frauen, die wert sind, sie zu tragen, seidene Gewänder aus India und Babylon, Goldgewebe von Miklagard.«

»Was denkst du, Rolf, mein kühner Herr, von einer Fahrt nach diesen Ländern? Mich gelüstet gar sehr nach den goldbesponnenen Gewändern von Miklagard!« rief Isolde leichthin mit heller Stimme, als ob sie den König darum bitte, am anderen Tage zur Reiherbeize in den Uferwald zu reiten.

»Heil Isolde,« sprach Glum Geierson, der Sänger, »höchste Zeit ist, daß wir aus diesem Sumpfnest herauskommen, faul werden wir hier, fett und ruhmlos. Güter verschwinden, Freunde sterben, selbst du, großer König, stirbst, eines aber stirbt nicht, eins aber gibt ewig Leben dem, der es erworben, und das ist der Nachruhm der Heldentaten!«

Beifallgemurmel brauste durch den Saal, Schwert klang an Schild, aber Isolde schürzte die zarte Lippe und fragte schmollend: »Nun aber, Hug von Lothringen, nenne uns das Land, denn nicht möchte ich, daß es jenseits der salzigen See irgendwo liege, nichts hasse ich mehr als die Krankheit, die mich beim Schaukeln der Schiffe befällt, nichts fürchte ich mehr als jungen Tod in nasser Woge; drum, soll es übers Meer nach Island gehen oder nach Romaburg, dann bleibt Isolde lieber zurück; nun aber, Blinder, sage uns das Land!«

»Am Rhein liegt es, am Moselfluß liegt es, wir nennen es den Eifelwald; viel Klöster sind darin, das reichste aber ist Prüm, das ihr schon einmal heimsuchtet in fröhlicher Heerfahrt, viel gibt das Land hin für den, der zu schneller Raubfahrt hindurchbraust, mehr aber dem, der sich niederläßt und seine Zwingburg dort baut. Aber ihr kennt es doch, das Eifelgebirg, unermeßliche Beute trugt ihr fort, aufflammte der Brand in Klöstern, Kirchen und Hütten. Eia! Die Truhen der Mönche sind wieder gefüllt, in den Vorratshäusern ist Brotfrucht aufgeschichtet, die Teiche wimmeln von Fischen, und die Keller sind voll Wein. Auch Goldschätze sind wieder gesammelt, um die Kirchen prunkvoller aufzubauen, hundert und aber Hunderte von Zinsbauern bringen den Zehnten nach Prüm. Besser wäre es, ruhmvoller König, sie legten ihre Gaben vor Rolf, dem Ringbeißer, nieder!«

Isolde hatte wieder ein lustiges Wort auf den Lippen, aber klug schwieg sie und sah mit Stolz und Freude auf Rolf Ringbeißer, der sich mit kraftvoller Bewegung erhoben hatte.

»Gesellen,« rief der Seekönig, »wahr ist es, was Glum Geierson sagt, allzusehr faulen wir hier zwischen Fluß, Wald und Sumpf. Nach Ruhm geizt meine Seele, aber auch nach ruhiger Herrschaft, weisen Gesetzen, nach Heim und Haus in mildem Lande. Müde bin ich der endlosen Kriegsfahrt, noch ein Reich will ich niederzwingen, da will ich bleiben und das schwere Werk tun, in Frieden als ein guter König zu herrschen. Und all denen, die mein Schwertarm zu Boden schlug, will ich friedliches Glück in die Hütten bringen, wohlan, der Wein geht zur Neige, das Brot ist verzehrt, neue Beutefahrt ist nötig. Sei es diesmal die letzte, die uns in das Land des Friedens bringt, das walte Heimdall, der Odinssohn!«

Wilde, langverhaltene Freude leuchtete aus den Zügen des Hug von Lothringen, denn er sah seine Rache reifen.

Der Sänger Glum Geierson erhob seine Stimme und jubelte: »Ein Blinder wird uns führen und eine holde Frau, das mag doppeltes Glück bedeuten!«

Isolde aber huschte, ehe der König sie zurückhalten konnte, durch den schweren Teppich hinaus nach dem Frauenhause zu ihren dienenden Mägden, und während die Kämpfer im Saale im Vorgefühl eines kühnen Normannenzuges lauter Wechselrede sich hingaben, bereitete sie geschäftig eine Überraschung vor.

Gerade hatte der Blinde leise flüsternd dem hingekauerten Walko mitgeteilt, daß das Ziel der Reise erreicht sei und daß der furchtbare Keulenschlag eines Normannenzuges auf seine Feinde niedersausen werde, da ging plötzlich ein Ruf des Erstaunens durch den Saal, und dann wurde es still.

Isolde hatte den Teppich wieder zurückgeschoben und war zum Hochsitze neben den Seekönig geschritten. Aber nun war sie nicht mehr das lachende, tändelnde Mädchen, nun stand sie wie eine Streitjungfrau zur Heerfahrt gerüstet da. Eine schimmernde Brünne von schmiegsamem Silbergeflecht trug sie; unter dem bläulich dunklen Stahlhelm, den ein goldner Lindwurm mit funkelnden Edelsteinaugen krönte, quollen die braunen Haare störrisch hervor; einen kleinen, festen Speer aus unzerbrechlichem Ginsterholz schwang sie in der Rechten, während ihr linker Arm durch einen leichten, aber undurchdringlichen Lederschild gedeckt war, auf dem, durch goldene Nägel bezeichnet, ihres bretonischen Vaters Wappenzeichen, eine strahlende Sonne, zu sehen war.

Da hoben die Männer, Rolf Ringbeißer allen voran, die Waffen und begrüßten ihre Schildjungfrau. Glum Geierson ließ sich die Harfe reichen und feierte Isolde mit feurigem Gesange.

Hug von Lothringen rief, vom Hochgefühl des gelungenen Anschlages durchflutet, laut, daß er jetzt erst seine Blendung wirklich beklage, da er die Schildmaid nicht mit sehenden Augen schauen könne.

Mit einem Male war dann die zwanglose Heiterkeit der Gesellen verschwunden; ernst rückten sie zusammen, Isolde mitten unter ihnen, und beratschlagten über die Anzahl der Streiter, die mitziehen sollten, und über den Weg, den man wählen wollte. Die Hauptleute empfingen ihre Weisungen, ein Bote in das große Normannenlager bei Löwen wurde abgeschickt, damit er zum Schutze der Schiffe und zum Ersatz der Abziehenden neue Mannschaft herbeihole.

Nicht lange, so riefen gellende Heerhörner die Krieger zur Heerschau, für fünf Tage Vorräte mußte jeder bereit halten, so sollten am andern Morgen tausend Reiter ausziehen auf den Rhein zu. Später, wenn der Gegner niedergeworfen sei, sollte die ganze Schar nachkommen.

Die flimmernden Sterne des Winterhimmels und ein schmaler, im Dunststrom schwimmender Mond schauten auf das veränderte Lager, überall brannten Fackeln; kreischend flüchtete das Volk der Händler vor der kriegerischen Bewegung, die Streitrosse scharrten und bissen in das Zaumzeug, und keiner war unter den tausend Männern, der nicht aufgejauchzt hätte im Gedanken an die winterliche Kriegsfahrt.

Am lautesten aber hätte jubeln mögen Hug von Lothringen, der Blinde, als er, von Rolf nach seiner Schlafstätte geleitet, sich nun mit Walko allein fand.

Mit beiden Händen griff er tief in die schwellenden Pelze hinein, die das Pfühl bedeckten, dann aber lachte er so grell, daß sogar der getreue Walko zusammenfuhr, und zischte: »Nun, Abt Farabert und Burkhardt, Vogt von Prüm, und Rotmar von Mürlenbach und Waltram, schwanke Besenreiser ihr alle zusammen in meiner Hand, jetzt hütet euch, jetzt schlägt euch der Blinde kurz und klein an einem Fels, an dem ihr in Fetzen geht!«


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