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Zehntes Kapitel.
Die Belagerung

Hildegards Ritt nach Mürlenbach war sogar ihrem eigenen Vater verborgen geblieben, wie auch von Waltrams Mißerfolg nur Andeutungen bei dem Prümer Aufgebot bekannt wurden. Am folgenden Sonntag aber nach dem hohen Amte in der Klosterkirche bat die Tochter Burkhardts auf den Knien den Abt Farabert, daß er von der Fehde gegen Rotmar ablasse.

Der greise Priester hob sie wohl gütig auf, schüttelte aber zugleich das Haupt und sprach: »Siehe, meine Tochter, wenn wir nun dem Grafen von Mürlenbach nachgeben würden in seiner lästerlichen Absicht, so käme jeder der Burgherren, die um uns her wohnen, und nähme sich ein Stück von unserm Gut, arm würden wir werden wie Hiob, da er von allen verlassen war, wir hätten kein Wachs zu den Kerzen, keine Seide zu den Messegewändern, kein Brot, um die Hungrigen zu stärken, kein Leinen, um sie zu kleiden. Unsere Kirche würde zu Schutt werden, in unserm Kapitelsaal würden die Raubvögel wohnen, wir haben doch nicht begonnen mit der Fehde!«

Aber Hildegard ließ nicht nach mit Bitten, bis Farabert ihr versprach, gen Birresborn zu fahren und mit ihrem Vater, dem von Vianden und Waltram Rates zu pflegen, ob man den Streit nicht doch noch gütlich beenden könne.

»Ich aber zweifle daran,« schloß Farabert, »denn ist nicht unser Bote verschwunden seit jenem Tage, da er auszog nach Mürlenbach?«

»Euer Bote war Hug von Lothringen, er wird die Gelegenheit benutzt haben, um zu flüchten; wer weiß, welche Absichten seine gefurchte Stirn birgt!«

»Auch das haben wir erwogen, aber weshalb soll er nicht früher schon geflohen sein, da wir ihn doch mehrmals schon nach Sarbodesdorf schickten mit Botschaften?«

Da schwieg Hildegard und ging, nachdem sie den Segen empfangen hatte.

Nun saß sie wieder in ihrem Frauenhause in Sarbodesdorf, spann und webte, stand tätig der Hauswirtschaft vor, wenn aber ihr Vater kam, war sie ihm wohl gehorsam, aber auch scheu und schweigsam. So ging ein Tag nach dem anderen, ihre Liebe zu Rotmar verbarg sie und hoffte auf eine gute Wendung des Schicksals.

*

In der Halle des Klostermeiers von Birresborn saßen auf den Bänken Burkhardt von Sarbodesdorf, Waltram von Bettingen und der von Vianden, der die Prümer in Densborn führte.

Farabert hatte noch einmal einen Versöhnungsversuch vorgeschlagen, der Viandener stimmte ihm bei, denn er dachte daran, daß die Kräfte seiner Leute jetzt bei der Rodung besser zu gebrauchen wären als in diesem Kriegszuge.

Burkhardt schwieg, der stille Widerstand seiner Tochter hatte auch ihn schwankend gemacht.

Da fuhr Waltram auf: »Ehedenn Rotmar wieder in Gnaden aufgenommen wird, gehe ich lieber mit den Meinen weg, und der Eid eines Vasallen, den ich dem Kloster geleistet habe, ist hinfällig und nicht gesprochen! Ich weiß wohl, Abt Farabert, was du möchtest, Waltram scheint dir gefährlicher als Rotmar; nun wohl, versuche es, ob du allein zuwege kommst, Bettingen und Kastellum magst du dir bei Waltram holen kommen!«

Waltram war aufgesprungen, die beiden anderen Ritter desgleichen, Farabert aber sprach milde zum Frieden, und schließlich schloß sich auch der von Vianden seinen Worten an.

Wie zwei Feinde fast standen Burkhardt und Waltram einander gegenüber.

»Statt, daß euer Vogt Burkhardt unsere Sache fördert, hält er sich zurück und schädigt die Bundesgenossen. Er kann nicht vergessen, daß Rotmar von Mürlenbach einmal sein Eidam war,« rief Waltram höhnisch.

Ängstlich schwankte Farabert, er fürchtete sich vor Waltram, er fürchtete aber auch, Burkhardt, seinen getreuen Vogt, zu verletzen.

Er seufzte und sah keinen Ausweg.

Stumm auf ihr Schwert gestützt, saßen nun die drei Ritter und blickten finster vor sich hin. Da kam ein Knecht hereingestürmt und rief: »Isenbrandt, des Mürlenbachers Waffenmeister, ist ausgebrochen, zwei Wagen hat er unseren Mannen bei Densborn weggenommen, sechs Knechte erschlagen und Vieh fortgetrieben; nun ist er heil und ohne Verlust mit der Beute wieder in die Burg gezogen!«

»Wer jetzt noch schwankt und Verträge sucht mit Rotmar von Mürlenbach, ist ein Feigling!« schrie der von Vianden, während auch Burkhardt seinen Schild aufnahm; so schieden die vier Männer, der Abt und die drei mächtigen Vasallen. Waltram und die andern beiden, ohne gute Worte miteinander geredet zu haben, ohne Handschlag, im Zorn. Nur das eine war vorher beschlossen worden: ganz enge die Burg einzuschließen, Burkhardt vom oberen Tal her, der Viandener von der unteren Seite, Waltram aber sollte den Berghang, dem Haupttor gegenüber, besetzt halten.

*

So schloß sich der Ring zusammen, und die Not begann auf der Burg umzugehen. Eine Woche schlich nach der anderen hin, die Vorräte, welche Isenbrandts kühner Handstreich den Prümer Knechten entrissen hatte, waren schon aufgezehrt, es verschwand ein Streitroß nach dem anderen. Die Hütten der Hörigen, die unten im Tal an den Bergfels angelehnt waren, lagen voll bewaffneter Feinde.

Wohl versuchte Isenbrandt noch einmal, in der Nacht Waltrams Lager, das dem Wall gegenüber im Walde angelegt war, zu überfallen; aber gute Wachen hatte Waltram ausgestellt, und so mußte die Schar, als auch im Tal der Feind sich regte, in die Burg zurück flüchten, um nicht, wenn mehr Männer sie verfolgten, bei dem Rückzug zugleich auch dem Gegner Einlaß in die Burg zu geben.

Dankwart schien keinen Schlaf mehr zu bedürfen, unermüdlich wartete er seines Amtes als Torwächter, oft rief sein Horn mitten in der Nacht, wenn er eine gefährliche Bewegung beim Prümer Aufgebot bemerkte oder ein Brandpfeil ins Holz der Mauerbekrönung fuhr.

Dann hob auch Rotmar die heißen Augen und starrte auf die Wachtfeuer, die in einem Kranze seine Feste rund umgaben, er schaute zu, wie die Seinen die kleinen Brände, die von den Pfeilen entstanden, löschten, aber gar sehr unmutig war er. Er fühlte, wie seine Leute ihn mit stillem Vorwurf ansahen, wie sie unter dem Mangel litten, wie sie, die ein halbes Jahr lang auf der Kriegsfahrt nach Niederland gewesen waren, nun ihre Kraft zerbröckeln sahen bei dem wochenlangen Aushalten auf der Hungerburg.

Acht Knechte, es waren allerdings nicht die besten, hatten sich eines Morgens nicht mehr eingefunden, als die schmale Frühsuppe verteilt wurde. Wohl ballte sich die Faust der andern, sie fluchten den flüchtigen Überläufern, aber besser, sie hatten die Burg verlassen, als daß sie dem Feinde Einlaß gegeben hätten.

Da rief Rotmar eines Abends Isenbrandt zu sich auf die Turmstube.

»Wie lange reicht es noch, Isenbrandt,« fragte er.

»So lange,« antwortete der Waffenmeister mit grimmigem Lachen, »bis wir den Prümern wieder einen Wagen abnehmen!«

»Sage es gerade heraus, Isenbrandt!«

»Nun, ich denke, bis übermorgen reicht es noch.«

»Und dann?« fragte der Burgherr tonlos.

»Dann kochen wir's Stroh vom Dach oder den Schimmel, der in den leeren Fässern wächst.«

Unwillig schüttelte Rotmar den Kopf: »Ich heische Klugheit von dir, und du kommst in der Narrenkappe!«

»Wohlan, Graf von Mürlenbach, ich will den Eisenhut aufstülpen, wir wollen ausfallen, was kann's helfen!«

»Ich wartete darauf, daß du es sagtest, Isenbrandt, heute und morgen wollen wir verzehren, was wir haben, übermorgen aber ausfallen ... oder in der Nacht!«

Und die beiden kamen überein, daß die ganze Mannschaft, abgesehen von einer kärglichen Besatzung, in der nächstnächsten Nacht ausbrechen solle, um dem Gegner möglichsten Schaden zu tun.

»Gelingt es,« sagte Isenbrandt, »so kehren wir wieder nach Mürlenbach zurück; gelingt es aber nicht, geht es zur Jagd in den Salmwald und weiter bis an den Rhein.«

»Ich flüchte nicht von der Burg meiner Väter, ich schlage den Feind oder ich falle, also übermorgen abend, drei Stunden vor Mitternacht.«

Und beide stiegen in den Burghof hinab, um mit der nötigen Vorbereitung schon jetzt zu beginnen.

Ortrud aber, der Isenbrandt die Runde brachte, eilte hinaus zu Rotmar, den sie noch, da er ein kleines Kind war, auf den Armen getragen hatte, nahm seine Hand, wollte etwas sagen, aber da stürzten ihr die Tränen herunter, und sie lief schluchzend weg.

Da erhob sich oben auf dem Walle ein Lärm verworrener Stimmen: »Gebt Achtung, der Feind, vom Walde her, sie kommen, sie kommen!«

Im Augenblick war Rotmar auf der Mauer und versuchte, von der Brustwehr gedeckt, mit den Augen das Dunkel der Nacht zu durchdringen. Am Rande des Waldes, wo das Lager Waltrams sich befand, war schon alles in Bewegung, die Feuer waren gelöscht, gedämpftes Rufen ertönte. Und an den Büschen war ein finsteres Etwas aufgerichtet, lang und breit wie die Mauer eines Hauses, das schob sich rummelnd vor.

Rotmar rief alle, die verfügbar waren, zur Verteidigung der Bergseite heran, die gespannten Sehnen warteten, die Steine und Bolzen lagen bereit. Wasser wurde in Zubern nach oben geschleppt, entstehendes Feuer zu löschen, kochendes Pech bereit gestellt.

Unterdessen rückte es immer weiter vor, wie eine Wand, wunderschnell bis zum Graben heran; Fackeln flogen herunter, nun endlich wurde es deutlich, was es war. Unter einem von vielen Männern geschobenen Schutzdach her, durch dessen Schießscharten ein wütender Pfeilregen zu den Verteidigern hochging, wurden von hundert Händen Säcke mit Erde, Bündel Holz, Rasenstücke, alles, was sich tragen ließ, in den Graben geworfen, vergeblich fiel der Steinhagel der Burgleute gegen das elastische Weidengeflecht, das die Wand deckte. Stundenlang wogte der Kampf schon, flacher und flacher wurde der Graben, Schnee warf man dazwischen. Wohl lagen bei den Angreifern ein paar Gefallene da, aber als die Schutzwand, halb zerschmettert und zerfetzt, sich zurückzog, war der Graben an einer zwanzig Schritt breiten Stelle auch fast ausgefüllt.

»Sie werden jetzt mit den Leitern kommen,« rief Isenbrandt und legte die eisernen Hacken bereit.

Aber ein anderes Sturmgerät hatten die Angreifer hergerichtet, nicht umsonst hatte Waltram in Niederland von einem Grafen lange Unterweisung genossen, der dabei gewesen war, als die Stadt Paris vor Jahren gegen die Normannen verteidigt wurde.

Wieder kam es vom Walde her, niedriger und flacher als vorher, aber schwerer, abenteuerlich rot schimmernd, trotz der Dunkelheit, Räder knirschten; soweit die Pfeile der Verteidiger nicht reichten, zogen schnaubende Pferde den seltsamen Bau, dann schoben, hinter Schilde geduckt, die Angreifer ihn weiter, letzte Erde warf man in den Graben, platte Bohlen bildeten darüber einen festen Steg.

»Der Mauerbrecher,« rief Rotmar, »Brandpfeile hinunter! Fackeln, Reisig! ...«

Wohl wurde seinem Befehl Folge geleistet, aber zischend verlöschte der Brand an dem verderblichen Bau. Grausig funkelte er in die Nacht, und die Lichter fanden rubinroten Widerschein darauf. Rohe Häute vom Schlachtvieh, mit der blutigen Seite nach außen gekehrt, deckten ihn von allen Seiten, das war eine Kriegslist, den Normannen abgelauscht; kein Brandpfeil zündete, kein Stein schlug durch das zähe, weiche Polster.

Hüben und drüben fielen die Krieger, aber nun war die gewaltige Masse bis an die Mauer vorgeschoben, und dumpfe Schläge dröhnten dagegen. Im Innenraume des Mauerbrechers arbeiteten fünfzig Hände, ein gewaltiger, sieben Schritt langer, schenkeldicker Eisenklotz hing da und pendelte an unzerreißbaren Seilen, den setzten die fünfzig Hände in Schwung, und so stieß die furchtbare Riesenlanze ein Loch in die alte, mürbe Mauer, da wurden die Quadern heiß von dem Anprall und zerbarsten, der Mörtel wurde zu Mehl, und immer tiefer grub sich der schreckliche Zahn ein.

Vergeblich fielen Steine, kochendes Pech und Bolzen von den Zinnen, vergeblich versuchte Isenbrandt, das verderbliche Stoßeisen mit einer herabgelassenen Schlinge zu fangen, wohl verstärkten die Verteidiger die angegriffene Stelle von innen, aber die ganze Mauerstrecke hielt nicht lange mehr stand, Risse zeigten sich, und jeder Stoß der Eisenstange ließ sie bis oben hin erbeben.

Schon bröckelten auch oben die Quadern los, anderen halfen die Burgleute nach, um mit schwerer Steinlast einen Versuch zur Zerstörung des verderblichen Daches zu machen. Aber wenn auch die eine oder andere Tierhaut locker zu werden anfing und sich löste, das Ganze hielt aus und schien unzerstörbar. Mit schneidender Stimme hieß Waltram, der den Sturm gelingen sah, neue Scharen sich bereit halten, um in die Bresche zu dringen.

Es war schon lange nach Mitternacht, Rotmar und Isenbrandt wußten keinen Rat mehr, des schrecklichen Bauwerks sich zu erwehren.

»Wir müssen nach unten,« murmelte der Waffenmeister, »die Mauer reißt. Der Ausfall wird nicht nötig, dies ist die letzte Nacht auf Mürlenbach!«

Da geriet Rotmar, dem jeder Stoß des eisernen Gerätes einen Schlag ins eigene Herz gab, in Berserkerwut, mit geballten Fäusten stob er auf der Galerie hin und her, kein Gegenstand fiel ihm in die Hände, groß genug und schwerlastend, um damit den Mauerbrecher unten zu zertrümmern. Mit geballten Fäusten stand er vor der Säule Karls des Großen still, die gleichfalls von den regelmäßigen Erschütterungen bebte.

Da fuhr es dem Mürlenbacher wie ein heißer Strom durch die Arme, er legte sie um die Säule, rund schwollen seine Muskeln an, sein Atem kochte, aber die Säule hob sich, Rotmar trug sie fort an den Mauerrand, gerade über den häutebespannten Bau, mit Grausen und Freude sahen die Burgleute das unerhörte Werk, ein Heben, ein Stoßen, ein Schwung, und die Säule des großen Karl donnerte auf den Mauerbrecher nieder. Das Dach splitterte, scheppernd klang das Eisen des Klotzes und zersprang wie Glas, Kreischen und Heulen der Verwundeten tönte; was der Stein nicht erschlug, quetschte das zerdrückte Dach und das berstende Eisen. Da flohen Waltrams Leute zurück in den Wald, das Belagerungsgerät aber, jetzt nicht mehr von den Häuten gedeckt, ging durch die brennenden Reisigbündel der Burgleute in Flammen auf, da verkohlten die Leichen von mehr als zehn Erschlagenen.

So war auch Waltrams zweiter Angriff mißlungen.


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