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Fünfzehntes Kapitel.
In Dasburg

Als die Normannen von Prüm abzogen, hatte sich der Himmel bewölkt, nun, da sie sich ihrem Ziele Dasburg näherten, schneite es unaufhörlich.

Lautlos ritt die Vorhut durch den schon fußhohen lockeren Schnee, lautlos folgte die Hauptmacht, zuerst Rolf Ringbeißer und Isolde, neben ihnen Glum Geierson und Hug von Lothringen, dann die andern Hauptleute und Edlen, langsamer fuhren die beschwerten Wagen, denn die Dörfer um die Abtei herum hatten noch viel Beute hergeben müssen, viel Blut war geflossen, viel Feuer aufgeflammt: die Masse der Krieger umschloß sie, lauter klang im Schnee, der jeden anderen Ton dämpfte, das Weinen und Jammern der Gefangenen.

Gespenstisch tauchten hinter den großen, von keinem Winde getriebenen, immerzu sinkenden Federflocken die Umrisse der nächsten Berge auf, durch gewaltige Wälder war die Fahrt gegangen, kahle Feldstrecken waren durchquert worden. Keine Streifwache erschien, die wenigen Dörfer, die man auf dem Zuge getroffen hatte, waren verlassen gewesen, die wenigen Menschen, die man flüchten sah, hatte man nicht verfolgt, müde waren die Schwerter des endlosen Mordens. Über Höhen ging es zuletzt, unten lagen die Täler im Schneedunst.

Nun hielt die Vorhut, die Landeskundigen zeigten auf einen grauen Abhang; das war Dasburg. Die Scharen ordneten sich, die Hälfte wurde von Rolf Ringbeißer zur Linken ins Tal geschickt, daß sie die Feste von dort angreife; Glum Geierson sollte sie führen.

» Den Ruhm, Geierson, will ich dir lassen,« sprach der König zu ihm, »als erster meine zukünftige Burg zu ersteigen, dein Schildhalteramt bei Isolde aber will unterdessen ich selbst versehen!«

Wohl blickte der Sänger besorgt auf das Mädchen, aber Isolde lachte lustig und sprach zu ihm: »Sei unbesorgt um mich, ich bin in des Königs Händen, da ist gut sein! Dir aber will ich, wenn wir unsere Königshalle dort drüben bezogen haben, einen Mistelzweig um die Stirn legen, damit du würdig unsern Einzug in das Land des Friedens besingst!«

Da zog Glum Geierson mit seinen Kriegern weg.

Eine starke Nachhut blieb bei den Wagen, die nur langsam vorrücken sollten. Der König aber gebot seiner Schar, sich zu rüsten. Da stiegen sie von den Rossen und brachten Leitern herbei, die an den Wagen gehangen hatten, Spitzhauen und Beile und allerhand Belagerungsgerät, Häute auch, um sich darin zu bergen, und große Schilde.

Keine Stunde war vergangen, da stürmten die Männer näher auf die Mauer zu, allen voran Isolde und Rolf Ringbeißer, das Mädchen strahlend vor Kampflust, ihre Brünne, auf der die antreibenden Schneeflocken gar bald wegschmolzen, blinkte hell, funkelnd leuchtete ihr Helm mit dem zackigen Zierat.

Der König horchte aufmerksam; da endlich, als sich vom Tal das Gellen der Normannenhörner vernehmen ließ und des Sängers donnernder Kriegsruf, verließ er das Gehölz, in dem er bisher noch gehalten und kletterte mit den Seinen den Abhang hinauf.

Wenige Verteidiger zeigten sich auf den Zinnen, die meisten waren wohl nach der anderen Seite gelaufen, um dort dem vermeintlichen Hauptangriff zu begegnen. Auf ein etwas zurückliegendes kleines Tor richtete die Schar des Königs ihren Lauf.

Nun erscholl auch von den Mauern Geschrei, wohl flogen Pfeile, Balken und Steine, wohl sank hier und da ein Mann von einem Wurfspieß getroffen, aber unterdessen hatten wütende Hiebe in das Tor eine Bresche geschlagen, Fetzen auf Fetzen fiel vom Holz, und jeden Augenblick erweiterte sich die klaffende Öffnung.

Hug von Lothringen, den der breite Schild seines Führers deckte, wurde, keuchend vor Erregung, in der Masse der Stürmenden weitergeschoben. Auf seine eigene Bitte war der König bereit gewesen, ihn am Angriff teilnehmen zu lassen.

Nun fiel das Tor zerschmettert zusammen, aber aus der Wölbung drang ein dichter Haufen von Streitern, da waren Ritter und freie Franken aus der Umgebung, der streitbare Pfarrherr von Waxweiler, Mönche sogar, wie Gerung und Eigil, Bauern, die Keulen schwangen, alle bereit, ihre letzte Zuflucht mit ihrem Leben zu verteidigen.

Aber die kampfgewohnten Normannenschwerter brachen sich wuchtig einen Weg in die unbehilfliche, durch ihre eigene Dichtigkeit und ihren vorschnellen Übereifer behinderte Menge. Da sauste die Lanze Isoldes und traf Eigil, den getreuen Wildwart des Klosters, und auch Rolf Ringbeißers Streitaxt riß furchtbare Lücken.

Langsam wichen die Verteidiger hinter den Wall ihrer erschlagenen Brüder zurück, noch hielten sie den Torweg besetzt.

Aber schon gellte schrecklich hinter ihrem Rücken der Ruf um Hilfe, auch vom Tal her rief Glum Geierson zum letzten Sturm.

»Weiter, König Rolf,« rief Isolde jubelnd, »noch ein Schritt nur, und unsere Königsburg ist dein!«

Die helle Stimme Isoldens feuerte die Normannen zum äußersten an. Aber auch Hug von Lothringen wurde von einer unbezwinglichen Kampflust ergriffen, schon hatte ihm Walko immer den Stand des Angriffs gemeldet.

»Gib mir den Bogen, Walko, ich muß einmal wieder Waffen fühlen!« keuchte er nun.

Walko gab ihm den Bogen und einen Pfeil. Der Blinde legte den Pfeil in die Kerbe: »Wo sind die Kuttenträger, wo ist Gerung?«

Da warf Walko den Schild über die Schulter und führte dem Blinden die Hand, so spannten beide den Bogen, Walko zielte in die Menge der Verteidiger, in dem Augenblick traf den Blinden ein Stoß der nachdrängenden Krieger, der Pfeil irrte ab, und mit klagendem Aufschrei sank Isolde, die Schwertjungfrau, vom Rücken aus ins Herz getroffen, nieder, die Silberbrünne hatte dem Pfeil aus nächster Nähe nicht Stand gehalten.

Rolf Ringbeißer, der König, stieß ein tierisches Kreischen aus, er erblickte noch den nachzitternden Bogen in der Hand Walkos, niedersauste seine schwere Streitaxt auf den runden Schädel Walkos, so daß der Erschlagene schrittweit in die Reihen der stürmenden Normannen fiel, dann nahm der König, sinnlos vor Schmerz, den Körper Isoldens in den linken Arm und bohrte sich, von den Seinen gefolgt, schildlos, mit rasenden Schwerthieben einen Eingang in die Burg.

Wer von den Verteidigern noch lebte, flüchtete schreiend nach dem Hauptturm.

Von den anderen wurde Hug der Blinde in die Burg geschoben, vergeblich fragte er, Walko antwortete nicht mehr, er war allein.

Auch Glum Geierson war nun eingedrungen, und die Normannenschar wütete unter der Besatzung; die Kunde, daß Isolde gefallen sei, verbreitete sich, da wurde keiner geschont, keine Frau, kein Kind, Mönche sanken da in den Schnee und ergraute Ritter.

Unterdessen aber kniete Rolf Ringbeißer bei Isolde, die er bei einer Scheune in den Schnee gebettet hatte, langsam wurden die Hände, die er in den seinen hielt, kalt, der lebenslustige Mund war noch ein wenig geöffnet, als wollte er jubeln über den Sieg, die kleinen, weißen Zähne schimmerten, die sonst so krausen braunen Löckchen legten sich, von Schnee beschwert, an die wachsbleiche Stirne.

Auf der Brünne aber schmolzen die Flocken nun nicht mehr weg, langsam hüllten sie den regungslos in seinen Schmerz versunkenen König und die Tote ein.

Glum Geierson griff den Hauptturm an, da war unten kein Eingang, und nur in einer Höhe, an die die längste Sturmleiter nicht heranreichte, war eine Türöffnung angebracht, die sonst mit der nächstgelegenen Herrenhalle durch eine jetzt hochgezogene Holzbrücke verbunden war. Und immer wieder trafen wohlgezielte Pfeile aus dem Turm die Angreifer, die schon in einer Stärke von mehreren Hunderten an dem letzten Bollwerk des Feindes zusammengeströmt waren.

Glum Geierson wußte Rat; auf seinen Befehl trugen die Normannen alles Bewegliche zusammen, das ihnen in die Hände fiel, Kasten und Hausgerät, die Leichen der Erschlagenen, Balken und Bohlen, tote Tiere, Wagen und Ackergerät. Dazwischen stampften sie Schnee, hundert Hände waren unter breiten Schilden und Häuten rastlos beschäftigt. So stieg und stieg fieberhaft schnell ein Berg, schon war die Hälfte der Höhe zu dem Eingang überwunden, schon blieb nur noch ein Viertel übrig, jeder Steinblock, den die Verteidiger hinunterschleuderten, um das verderbenbringende Anwachsen des künstlichen Berges zu hindern, erhöhte ihn nur noch. In ihren Mänteln trugen die Stürmenden Schnee und Erde herbei, nun reichte schon der Axthieb an die Holzverschalung des Eingangs. Zwanzig Äxte trafen zugleich, ein prasselnder Regen von Lanzen und Pfeilen mähte die Verteidiger nieder. Jetzt sprang mit gewaltigem Schwunge Glum Geierson, der Sänger, allen voraus in den Bau, wohl blutete er bald aus mehreren Wunden, wohl fiel da noch mancher von den Stürmenden unter den Keulenschlägen verzweifelter fränkischer Bauern. Aber bald verkündete das Erscheinen der Normannen oben auf den Zinnen, daß das Kampfgebrüll und Röcheln, das im Innern des Turmes wogte, der Todesschrei der letzten Verteidiger fei.

Rolf Ringbeißer, der Seekönig, saß noch immer bei der toten Isolde, sein Blick war verschleiert, als schaue er in weite, dunkle Ferne. Die Hand der Toten wurde starr, die Schneedecke auf der Brünne und dem erkalteten Antlitz wuchs und wuchs.

König Rolf ließ sie wachsen und blieb unbeweglich.

Und wie der Schnee eine weiße, verschwommene Maske um Isoldens Gesicht legte, so schien es auch dem Versunkenen, als ob die Erinnerung an diese Züge unerbittlich immer mehr weggewischt würde aus seinem Gedächtnis. Darum siedeten ihm die Augen über, aber unbeweglich blieb er bei der Leiche.

Die Wagen mit der Beute und den Gefangenen, von der Nachhut geleitet, fuhren am Burgberg vorbei ins Tal und hielten an den verlassenen Hütten der Siedelung. Die Gefangenen brachte man in einem Hause der Feste selbst unter. Auch die zurückgebliebenen Streitrosse der Normannen wurden in die Ställe geschafft.

Oben aber vollendeten die Normannen die Eroberung der Burg, sie durchsuchten die Hallen und Wirtschaftsgebäude, manch einen, der sich in ruhmloser Angst versteckt hatte, als der Kampf ausbrach, zerrten sie hervor und erschlugen ihn.

Ungeheure Schätze fanden da die Plündernden, goldene Waffen und Wehrgehänge, Ketten und Schmuckstücke, der ganze Reichtum des umliegenden Landes war auf die Feste geflüchtet worden; auch Leuchter und Kreuze und kostbare Reliquien aus dem Klosterschatz; alles aber schleppten die Krieger zu ihrem König, der noch immer neben der Scheune im Schnee die Totenwacht bei Isolde hielt.

In weitem Kreise standen die Krieger um ihn, und keiner wagte das erste Wort an den König zu richten.

Da tönte ein vielstimmiger Kriegsruf von einem der Türme her, die bei dem Burgwalle gegen den Berg zu standen. Streifende Normannen hatten den Turm verschlossen gefunden und waren von einem Steinhagel empfangen worden.

Unlustig weiteren Schwertkampfes ließ Glum Geierson Reisig aus den Vorratshäusern bringen und Stroh aus den Scheunen, Balken und mürbes Holz warfen sie dazu, Fackeln flogen, und bald loderte der ungeheure Stoß rund um den Turm; schon ergriff die Flamme die Holzverkleidung und fraß weiter.

Da erschienen in den Schießscharten die blonden Köpfe fränkischer Knaben, mit großen, blauen Augen suchten sie hinter dem lodernden Brande ihr Ziel, und von den normannischen Bedrängern sank mancher blutend in den aufgewühlten Schnee. So schossen die edlen Frankenkinder, die Zöglinge der Klosterschule von Prüm, so lange, bis ihnen von der Glut die Sehne an den Bogen versengt wurde.

Und mit ihnen kämpfte Sintram, ihr tapferer Lehrer.

Als aber die Lohe über den kleinen Streitern Gottes zusammenschlug, da wurde kein Wehklagen laut und kein Schmerzensruf, siegreich klang aus der heulenden Flamme, von Sintrams gewaltiger Stimme geführt, schwächer und schwächer werdend, der Chor der fränkischen Knaben: » Laudate pueri dominum, laudate nomen domini


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