Hermine Villinger
Aus meiner Heimat
Hermine Villinger

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Dritter Klasse.

In der Ecke eines Wagens dritter Klasse saß ein geistlicher Herr und las in seinem Brevier, ihm gegenüber eine dicke Marktfrau und warf von Zeit zu Zeit einen ehrfurchtsvollen Blick auf den frommen Herrn, was sie jedoch nicht hinderte, ihre beiden großen, der Schuhe entledigten Füße an seine Seite auf den Sitz zu legen.

»Den soll der Teufel holen, den verfluchten Schuhmacher,« sprach sie in rauhem kräftigem Mannston, »drückt mich das verdammte Schuhwerk seit heut früh um Fünfe – aber –« und sie nahm beide Schuhe in die Faust, »an den Kopf soll er jeden kriegen, der Dunnerwetterkerl, ich will ihn lehren ein Kreuz schlagen –«

Die paar Leute in den anderen Abteilungen lachten; der Geistliche aber blieb ernsthaft in sein Brevier versenkt, und nachdem ihm die Frau abermals einen gottesfürchtigen Blick zugeworfen, nahm sie von neuem das Wort: »Kommt do so 'ne Madamm, schaut meinen Salat an und find't ihn nicht frisch. Was hab' ich gesagt – ›Sie sind nicht frisch, Verehrteste, aber mein Salat ist frisch.‹ Von mir soll keiner behaupten, daß ich was einsteck' oder mir was gefallen laß, oder nichts nachtrag'! Ich bin die Schuppe!« Und sie nahm eine 52 Prise, klappte die Dose zu und schaute sich herausfordernd im Coupé um. Der Geistliche hatte sich von den großen Füßen der Frau soweit wie möglich zurückgezogen und saß nun ganz schmal in seiner Ecke. Er wartete geduldig einen ihrer ehrfurchtsvollen Blicke ab und sprach alsdann in leisem salbungsvollem Tone:

»Haben Sie auch schon über die Worte der heiligen Schrift nachgedacht, liebe Frau: ›Wenn dich einer auf die rechte Wange schlägt, so reiche ihm die linke dar‹ –?«

»Nein, Hochwürden,« fiel sie ihm ins Wort, »nachdenken thu' ich nie, ich hau' gleich zu – wissen Sie, Hochwürden, das ist Geschäftssach', wenn man's zu was bringen will, muß man sich rühren. Der Sonntag, ja, der gehört unserm Herrgott, da halt' ich drauf als echte Christin und geh' in meine Kirch', am Werktag aber schlag' ich mich rechtschaffen mit dem Lumpengesindel von Menschen herum, damit ich zu was komm'. Wissen Sie, Hochwürden, ich kenn' die Leut', ich hab' nicht umsonst ein paar Augen im Kopf wie ein Tintenklex, ich schau' jedem bis in den Magen und lass' mir meine War' nicht heruntersetzen. Ja, und das ist mein Trost noch im Grab, daß jeder seine Grobheit kriegt hat.« Der Geistliche bewegte längst wieder die Lippen im Gebet, und seine Wimpern berührten die vor Aerger rotglänzenden Wangen. Es schien ihm nicht geheuer, seinen Bekehrungseifer an einem Gegenstand zu versuchen, der niemand eine Grobheit schuldig blieb. Die Alte öffnete nach ihrer Rede die Haubenbänder, schimpfte über die verdammte Hitze, streifte die Aermel über die braunen massigen Arme und erklärte, daß einzig 53 Vernünftige wäre, der Mensch gehe bei solcher Glut im Hemd. Des Geistlichen Antlitz überflog Flammenröte, während die Bauern in der anderen Abteilung kein Arg in der Behauptung fanden, sondern brummend beistimmten.

Der Zug hielt an, neue Reisende zwängten sich mit Sack und Pack zwischen den Bänken hindurch, jeder den ihm angemessenen Platz erspähend. Ein kleiner blasser Mensch mit langen schwarzen Haaren, über denen ein mächtiger Filzhut thronte, nahm neben dem geistlichen Herrn Platz.

»Was es aber jetzt so viele Maler giebt,« wunderte sich die Frau, »der Markt voll Weiber ist nichts dagegen – verdient sich's denn auch was damit? Ausschauen thun Sie gerad nicht danach – bei unser einem sieht man doch wenigstens, daß er satt zu essen hat. Aber jeder Stand hat seine Freud', und mancher hat sie in der Einbildung.«

Der blasse Künstler warf der Sprecherin einen ärgerlichen Blick zu, gab jedoch keine Antwort, sondern starrte zum Fenster hinaus. Plötzlich stieß ihn die Marktfrau mit den Knieen an und streckte ihm ihre Tabaksdose hin. »Zugegriffen«, befahl sie, daß kein Bedenken möglich war, dann klappte sie die Dose zu und wandte sich nach der Abteilung hinter ihr, wo etliche Bauern im Qualm ihrer Pfeifen saßen, viel spuckten und über die Zeiten wehklagten.

»Aber's Obst steht schon gut,« meinte der eine; bevor ein anderer den Fall überlegt, schrie schon die Marktfrau, die Arme auf die Lehne gestemmt: »Was – gut? – Könnt' besser sein – ihr Bauern, ihr seid 54 mir die Pfiffigen! – über euer Heu habt ihr immer zu greinen – 's Futter geratet nie, das ist so gewiß, wie's Brot am Laden! Aber mit dem Obst, da thun sie breit – da kommt's ihnen nicht so drauf an – aber wißt ihr, wem's drauf ankommt? – mir! und ich bin die Schuppe!«

Die Männer lachten und mit ihren friedlichen Auseinandersetzungen hatte es ein Ende; in all ihre Reden platzte die Schuppe wie eine Bombe hinein, war stets anderer Meinung und überschrie sie alle. Der Geistliche in seiner Ecke hörte mit Unmut das Reden und Schreien der Leute mit an, die ihm nichts als Unzufriedenheit mit den Anordnungen Gottes und dünkelhaftes Besserwissen verrieten.

Das soll ich nicht umsonst gehört haben, dachte der Diener Gottes, und der Same zu einer Predigt fiel in seine Seele. Auch der Künstler an seiner Seite hatte eine für seine Zwecke wichtige Entdeckung gemacht; in der Abteilung neben an saßen sich zwei junge Menschen gegenüber, deren Verschiedenheit wohl im Stande war, ein Künstlerauge zu fesseln. Die Kleine, kaum sechzehnjährig, wohl die Tochter eines der qualmenden Bauern – trug die Tracht ihres Landes. Der Maler saß schon mit dem Skizzenbuch auf den Knieen da und suchte, trotz der schaukelnden Bewegung des Wagens, das kindlich-liebliche Gesicht unter dem runden Hut auf sein Papier zu bringen. Das Bauernmädchen saß ganz still und kerzengrade, die Hände gefaltet wie in der Kirche; das Reisen war ihr offenbar ein seltenes Vergnügen, vor dem sie großen Respekt hatte. Anders der 55 junge Mausfallenhändler ihr gegenüber, dessen braune lebendige Züge und tief schwarze Augen keinen Augenblick still standen. Er schien sich ganz heimisch zu fühlen auf den harten Bänken, nichts zwängte ihn ein oder machte ihn verlegen, nicht einmal der strenge Blick des Schaffners, der ihm sein Billet abverlangte. Er ließ ihn sogar eine ganze Weile warten, kramte in seinen zerlumpten Taschen herum und brachte die Karte erst zum Vorschein, als der Gestrenge die Geduld verlieren wollte. Nun lachte der Schlingel und seine Zähne blitzten wie Schnee aus dem dunklen Gesicht. Leise, wie verschämt, huschte auch der Schatten eines Lächelns über des Mädchens Züge, während ein warmes Rot das feine Gesicht durchglühte. Der Maler fuhr sich, tief atmend, durch das schwarze Haar, der alte, schon so oft erlebte Sturm brach in ihm los, und kühne Hoffnungen knüpften sich an das entstehende Bild, nach dem er schon den ganzen Sommer auf der Suche gewesen.

Wenn nur der Bube still sitzen wollte – war der Stoßseufzer, der immer wiederkehrte. Da unterbrach ein Tunnel sämtliche Reden und Gedanken der Reisenden; nur der Mausfallenhändler ließ einen Jubelschrei ertönen und fuhr mit dem Kopf zum Fenster hinaus in die schwarze Dunkelheit, welche von der ganzen schönen Welt allein für ihn Interesse zu haben schien.

Als es wieder hell wurde, versuchte der Maler weiter zu zeichnen, und Hochwürden kritzelten ein paar Worte an den Rand seines Gebetbuches.

Der junge Mausfallenhändler aber sprach angelegentlich auf sein blondes Gegenüber ein, ohne daß 56 dieses ein Wort verstand. Jedoch das schadete nichts, das Mädchen schien trotzdem der biegsamen Stimme des Burschen mit Vergnügen zu lauschen, und langsam, aber zusehends verlor sich die Steifheit aus ihrer Haltung. Beim nächsten Tunnel schaute sie sogar mit dem heiteren Gesellen um die Wette in die Nacht hinaus, und er legte unbefangen den Arm um ihren Hals, während sein dunkles Haar ihre Wange umspielte. Als er sich aber tollkühn, wie er war, weiter zum Fenster hinauslegte, holte ihn plötzlich eine derbe Hand kräftig zurück, und da es Licht ward, stand die Marktfrau vor dem jungen Volk.

»Auch noch für einen Welschen muß man sorgen, potz Donnerwetter, als ob man nicht grad genug unnützes Bubenvolk im eigenen Land hätt'. – Umkommen kann jeder, da hab' ich nichts dagegen, aber vor meinen Augen verbitt' ich mir's, da hat man die Verantwortung, verstanden?«

Der Bube nickte, holte behende seinen Pack Mausfallen unter der Bank hervor und erklärte in gebrochenen Lauten: »Große funfzi Pennig – kleine dreißi Pennig.«

Das nenn' ich gerieben,« platzte die Marktfrau los, »will ich wissen, was deine Mausfallen kosten, Bengel, glaubst du vielleicht, die Schuppe lasse sich was aufbinden?«

Der Bursche nickte abermals, knüpfte eine der großen Mausfallen ab und händigte sie der Frau ein, ihr dabei all seine herrlichen Zähne zeigend.

Die junge Dirne lachte hell auf, wurde aber durch die Alte schnell zur Ruhe gebracht:

57 »Dummes Ding,« fuhr diese auf, »einfältiges Volk, das nichts als lachen kann, als wär' die Welt ein Tanzboden mit Musikanten – wirst auch noch deine Nüss' zu knacken kriegen, bleibt bei keiner aus.«

Mitten unter ihrem Schelten zog sie jedoch ihren Beutel hervor, setzte sich nieder, schüttelte dessen Inhalt in den Schoß und suchte aufmerksam ihr Kupfergeld zusammen. Was sie alsdann dem Buben bot, war viel zu wenig, so daß er ihr das Geld, kurz entschlossen, in den Schoß zurückwarf, nach seiner Mausfalle greifend. Sie riß ihm dieselbe aus der Hand, ihm einige Pfennige mehr bietend, er wollte nicht, und nun eiferten sie, jedes in seiner Sprache, leidenschaftlich aufeinander ein.

»Zum Teufel,« schrie der Maler, ganz unglücklich über sein zerstörtes Bild, »so geben Sie doch dem Burschen sein' Sach' – lassen Sie vielleicht mit sich handeln?«

Das konnte die Schuppe nicht gut bejahen; sie nahm ihre Falle, zahlte und setzte sich auf ihren alten Platz, dem Künstler gegenüber. Als sie sah, daß er zeichnete, beugte sie sich über sein Skizzenbuch, benahm ihm alle Lust und überströmte ihn mit ihrem Atem. Aber für den Maler gab's nur noch die kleine Ecke nebenan, alles Ungemach, das ihn selber traf, war ihm einerlei. Der Bursche saß endlich still; er lag mit den Armen über den Knieen, drehte den grauen Filz zwischen den Händen und sang. Leicht vorgebeugt, die gefalteten Hände auf den Knieen, saß die Maid und lauschte den lieblichen Melodien.

Der Zug hielt und dampfte weiter, die beiden merkten 58 es nicht. Von Zeit zu Zeit fuhr die Schuppe in die Höhe, warf ein kräftiges Wort in die Bauernabteilung, lächelte Hochwürden ehrfurchtsvoll an und schaute dann wieder kritischen Blicks in das Skizzenbuch.

Plötzlich hielt der Zug, das Lied auf des Burschen Lippen brach ab, er riß seine Last an sich, schnallte sie um und drückte den Filz aufs Haupt. Noch zögerte er, den Wagen zu verlassen, aber er hätte auch nicht können, die Schuppe stand mit Korb und Schirm breit unter der Thüre und schob ihn mit einem »Platz da, Racker« – energisch zur Seite.

»Behüt' Gott, Hochwürden«, grüßte sie den geistlichen Herrn; zu dem Künstler sagte sie: »Ihnen rat' ich, schaffen Sie was Gescheit's; was Sie da hinein kritzeln, macht Sie Ihr Lebtag nicht fett. – Und mit euch«, wandte sie sich an die Bauern, »mit euch nehm' ich's noch lang auf. Ich bin die Schuppe!« Damit gab sie Raum und keuchte, zufrieden, daß jeder seinen Anteil hatte, schwerfällig die Stufen hinab. Der Geistliche und der Maler folgten ihr auf dem Fuß; der eine hatte seine Predigt für den kommenden Sonntag im Kopf, der andere seine Arbeit auf Wochen hinaus; so kümmerte sich keiner mehr um den anderen. Nur die beiden Kinder schauten einander traurig nach, und während der Bube die Landstraße fürbaß schritt, blieb das Mägdlein am Fenster stehen und summte leise die Melodien nach, mit denen es ihr der braune Bursche angethan. 59

 


 


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