Hermine Villinger
Aus meiner Heimat
Hermine Villinger

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Uf Karlsruh!

»Uf Karlsruh!« lautete das Losungswort im ganzen badischen Ober- und Unterland, und da war kein Männlein und Weiblein, weder alt noch jung, das nicht den Kopf darüber verloren hätte. Die Truhen wurden geöffnet, der alte Staat kam zum Vorschein – nun galt's, ihn auszubessern zur Hochzeit des Erbprinzen, denn alles war geladen zum Freudentag, und nur in einer kleinen Ortschaft im Hanauerland, da gab's Thränen.

Der Bürgermeister, ein kräftiger, stattlicher Mann mit selbstbewußtem Gesichtsausdruck, schlug schon zum zweitenmal derb auf den Tisch mit der Erklärung: »Un du schlagsch dir der Hansjörri us em Kopf oder du bliebsch d'heim, des sag' ich dir, Annemei!«

Das Mädchen legte die Arme über die Stuhllehne, schluchzte bitterlich und meinte nach kurzer Ueberlegung: »Do muß ich halt d'heim bliebe.«

»Mann,« sagte die Bäuerin, die mit verwickeltem Kopf auf der Ofenbank saß, »du bisch doch ä Mann!«

»Des bin ich,« kreischte der Bürgermeister, »dafor hab' ich net g'spart, daß mer do einer von dem dickköpfige Adlerwirt sine fünf Bube kummt und in mein 2 Hus sitzt und hät nix uf der Welt als ä saubres G'sicht! Do sag ich vielmol merci

»Etzt, Buer,« fiel ihm eine kleine dicke Frau in's Wort, welche die ganze Zeit über neben der Bäuerin gesessen und ungeduldig die Daumen um einander gedreht hatte, »Buer, so hän doch ä Einsehe, isch etzt net im ganze Land ä Fraid, wo mer hinschaut, un Ihr welle ä Trübsal drus mache us lauter Halsstarrigkeit? Jo, glaub euer denn, Buer, Ihr mache im Landsvader uf Karlsruh un de junge Brautleut an ihrem Ehretag ä Fraid, wenn Ihr s' schönst' Maidle vom Hanauerland in d' Stube einsperre, statt 'nunter z' schicke? Bigot, des isch mer ä nette G'sinnung – bi so 'nem Fescht, do müsse d' eigene Sache ganz us em Spiel bliebe – und ime Mensche s' Denke verbiete, isch grad als ob mer em Vieh 's Fresse verbiete wollt. Aber ich will nix g'sagt han!«

»Dausend sappermoscht!« fluchte der Bauer und schaute zum Fenster hinaus.

»Sei still, Annemei,« flüsterte die Bäuerin dem weinenden Mädchen zu, »d' Göttel macht's schon recht,« worauf die junge Person augenblicklich ihr Schluchzen einstellte.

Da wandte sich der Bauer um, die Hände in den Hosentaschen, stellte er sich breit vor die Frauen hin:

»Mintwege,« sagte er, »d' Annemei soll mit – 's isch wege der Sache, daß ich nachgieb – jeder weiß, ich bin ä stolzer Mann und kann des Bucke un die Sparglemente net lide, aber damit soll's net heiße, daß ich min Pflicht als Unterthan net thu. So viel isch 3 aber g'wiß – seh' ich des Maidle eimal mit dem Bu z'samme, so giebt's ä so ä höllisch's Dunnerwetter, daß des an Johanni nix dogege war.«

Die Göttel, welche immer aussah, als koste es sie eine heillose Ueberwindung, jemanden ausreden zu lassen, rutschte von ihrem Sitz herunter und schoß wie aus der Pistole auf den Alten zu:

»Ich sag', ich paß' uf – hab' ich einmal net Wort g'halte, Buer?«

»Des will ich net b'haupte,« entgegnete er, »un 's wär au ä Niedertracht sondergliche, wenn ich mich net auf Eich verlasse könnt, denn Ihr wisse, ich bin ä halb blinder Mann.«

»Mer hät doch au ä G'wisse,« meinte das Mädchen.

»Jo, jo,« brummte der Alte, »mer hän schon vielmol erfahre, was so ä G'wisse hilft, isch emol die Lieb im Spiel. Dogege giebts nix als – us em Weg.« –

»B'hüt Gott,« unterbrach ihn die Göttel, »un mache Eich fin un schlage alles andere us em Sinn – d' Hauptsach sind die junge Fürsteleut; schlofe kann ich nimme; sit Anno 56 bin ich net mehr drunte g'sin, do hän mer g'heirot, un der Mann hät G'schäfte g'habt – ich weiß noch wie heut, uf eimol steht er vor mer un sagt: kumm, sagt er, mehr gehe uf Karlsruh! Etzt isch er lang tot –« seufzte sie, »un daß Ihr au d'heim bliebe müße –« wandte sie sich an die Bäuerin.

»'s hät au sin Guts,« meinte diese, »ich bin so ängstlich un glei verschrocke, du aber weisch d' Wege, un wenn der Buer hitzig isch, du bisch d' einzig, uf die er hört. So bin ich ruhig im G'müt un weiß, d' Göttel macht's schon recht.«

4 »Jo, sie macht's recht,« versprach diese, nickte ein letztes »B'hüt Gott« und ging.

Ein paar Tage später fuhr der Bauer mit seiner Sippe zur nächsten Station, wo in lustigem Durcheinander sich Buben und Mädchen begrüßten und mit einem Handschlag sich als zusammengehörig erklärten. Dann schlenkerten sie Arm in Arm nach den Wagen, und eroberten lachend und lärmend ihre Plätze; der Zug dampfte davon unter Juchhegeschrei, das während der ganzen Fahrt nicht aufhörte. Stumm saßen nur die Annemei am rechten, und der Hansjörri am linken Fenster. Die Göttel, welche mit den Männern und Frauen in der letzten Abteilung saß, konnte die beiden jungen Menschen von ihrem Platz aus ganz bequem sehen.

»Giebt's schönere Leut als die zwei,« dachte sie bei sich selber, »'s wär ja ä Bosheit, do was dergege z' thu – wenn ich nur der Buer rumkriegt! –«

Und die Alte fing an zu reden und hörte während der ganzen Fahrt nicht auf, so daß der Bauer das, was er nicht zu sehen, reichlich zu hören bekam. Und diese Zerstreuung that ihm wohl, denn im Grund vermißte er doch die frohe, helle Stimme seiner Einzigen unter all' dem lustigen Gekreische rings um ihn her.

So gelangten sie »uf Karlsruh«, und die Göttel fühlte sich sehr geschmeichelt, von befrackten Herren mit Cylindern empfangen zu werden; es machte ihr nur Kummer, daß der Bauer so stolz an den feierlichen Gestalten vorüber schritt. Voraus waren schon die Musikanten, ihnen folgten die Standartenträger, dann kamen paarweise sechsundzwanzig blühende junge Menschen in ihrer kleidsamen Landestracht.

5 »Des glaub' i,« sagte die Göttel, die in Gesellschaft der Alten hinterdrein marschierte, »do kann mer schon stehe bliebe un gucke, gellet, ihr Stadtleut, so saubre Maidle un Bube liege net am Weg – bigot aber,« schrie sie plötzlich auf, »hät sich des Karlsruh' verändert – miner Seel, do kenn' ich mi jo nimme us – wenn nur 's Wetter gut bleibt, min Rock dauert mi – o die schöne Fahne un des viel Grüns an de Häuser nuf – un do mitte uf em Platz, Herrgott, isch des ä Thüre, alle Farbe sin druf, un ä Wasser kummt nebe rus us eme Elefantekopf. – Was,« begehrte sie auf, »do nebe nin werd mer g'schobe – he Buer, do seh ich jo nix, ich bin z'kurz. – Jesses, ich glaub, sie kumme – Buer, Buer, helfe mer, sie verdrucke mi – un min Rock, 's isch min beschte Rock – do soll doch glich's Dunnerwetter drin schlage! – Allewil kumme se, die junge Herrschafte – sehe kann ich net viel als die rote Kutschen un was Weißes um's Wägele rum, un drin sitzt se, 's Prinzeßle, wie ä Rösle. – Potz Wetter, etzt kummt mer do einer mit sim vertrackte Hut un nimmt mer s' Usicht – ich möcht nur dem Kerl mit sim Hut noch ebbs sage –«

Aber der Bauer nahm sie bei der Hand:

»Kumme, Göttel, so kleine Leut verliert man licht im Gedräng.« – »Mi net,« sagte die Alte, »aber etzt gehe mer ebbs esse, gellet, Buer?«

Bald saßen die Hanauer beim Mahl, und der Hunger ließ für's erste keine Unterhaltung aufkommen. Es wurde aber lustig, als der Wein die Runde machte; erst hatten sich die Paare allerlei zuzuflüstern, die Mädel kicherten, 6 die Buben jauchzten, und je mehr die Lust zunahm, desto trauriger und einsamer fühlte sich die Annemei oben und der Hansjörri unten am Tisch.

Da schlug der Bauer plötzlich mit der Faust auf den Tisch:

»Dausend sappermoscht, Maidle, sei luschtig!«

»Jo, Vader,« gab's zur Antwort, »ich bin's jo –«

Da sie aber eben den Mund zum Lachen zwingen wollte, stürzten ihr dicke Thränen über das erschrockene Gesicht, und obgleich sie versicherte: »'s isch nix, Vader –« glaubte es ihr der Alte doch nicht, sondern stand fluchend auf und wollte auf der Stelle heimreisen. Da war nun die Göttel wieder sehr am Platz; sie beruhigte den Bauern, sprach heimlich auf die Annemei ein und brachte es glücklich dahin, daß das Mädel am folgenden Tag ein freundliches Gesicht zur Schau trug.

Das junge Volk hatte in der Früh Probe zur Huldigungsfeier, wobei die Alten nicht nötig waren; die Göttel führte während dieser Zeit den Bauern in der Stadt herum und unterhielt ihn so gut, daß ihm der Kopf brummte, als er zum Essen kam.

»So, Maidle, so mag ich dich lide,« sagte er und gab der schmucken Annemei einen derben Schlag auf die Schulter.

Sie wurde dunkelrot, um den vollen Mund zuckte es wohl, aber die Augen hatten einen Ausdruck so innigen und schüchternen Glücks, daß die Göttel dachte:

»Was hat's denn do gebe?«

Sie sollte nicht lang im Ungewissen bleiben; unter der Thüre stand der Hansjörri und winkte ihr schon eine ganze 7 Weile mit beiden Armen hinter dem Rücken des Alten zu, und jetzt trat ihr die Annemei fast gar die Füße ab.

»Bigot, Buer,« schrie die Göttel, »do han ich ebbs vergesse!«

»Was dann?« fragte er, da sie es aber selber nicht wußte, machte sie sich eilig aus dem Staub und wurde draußen von dem Burschen empfangen, der sie erst hoch in die Luft hielt, niedersetzte und dann anschrie: »Göttel, Göttel, Ihr müsse us helfe!«

»Um Gottiswille,« keuchte sie, »was häner ang'stellt?«

»Mer sin so unschuldig als kleine Kinder,« erwiderte er, »beide sin mer hinne g'stande in der letzt' Reih, d' Annemei mit 'em Michel, ich mit em Kättel, uf eimol kummt so ä Herr und sagt: die beide do mim vor, in d' erscht Reih' – und do sin mer halt vor –«

»Jo, sagte die Göttel, »was isch do z'mache, wenn's die hohe Herre befehle, aber der Buer wird schön thu, der hät jo ken Respekt vor niemet net, er mag ussehe, wie er will; Gott sei eich gnädig!«

»Göttel«, sagte der Bursche und streckte ihr die gefalteten Hände unter die Nase, »helfe us, Göttel, mer hän us so so herzli gern –«

»Jo, ihr liebe Leut, ihr liebe Leut,« seufzte die Göttel, »was soll ich denn mache, er haut mer jo alles klein z'samme, wann er eich beinander sieht –«

»Wissener, Göttel,« meinte der Bursche, »wann Ihr ä bißle spät kumme, so kann's der Alt' net gut merke; mir Hanauer stehe ganz vorne links, so weit sieht er net, der Alt' –«

8 »Aber ich möcht gern ebbs sehe,« erklärte die Göttel, »worum bin ich denn do?«

»Göttel,« schmeichelte der Bursche, »ich weiß, Ihr thun us schon den G'falle – und dafor merci – dausendmol merci

In der That begaben sich die Göttel und der Bauer erst ganz kurz vor der Feierlichkeit in die Huldigungshalle.

»Aber Buer,« schalt die Alte, »sin Ihr unhöflich gege die hohe Herre do an der Thür; 's geniert mi ordli –«

»Ich bin so viel wie die Herre un hab' mehr Grund un Bode, als die alle z'samme; laß du mi nur mache, Göttel, un sag', was es z' sehe giebt, Lehre bruch ich keine –«

»In der Mitt',« begann die Göttel, »stehe die Landleut un uf der Seit' die Stadtleut –«

»Un unsri?« fragte der Bauer.

»Do seh' ich ä bißle die weiße Kittel durchschiene, mehr net; wissener was, Buer, Ihr bliebe stehe, un ich guck emol, ob ich net ä bessers Plätzle find –«

Sie ging und kehrte bald mit einer eroberten Holzkiste wieder. Eben wollte sie hinaufsteigen, als ein Soldat mit seinem Schatz hervortrat und erklärte: »Sie, des isch ä junges Mädle, die darf do nuf.«

»Was,« ereiferte sich der Bauer, »des isch jo was ganz Neu's, dausend sappermoscht, do nuf kummt niemet als d' Göttel, denn wissener, Herr Soldat, ob Eier Maidel do nuf steigt oder net, des isch ganz gleichgültig, aber d' Göttel, die packt für de ganz Winter Vorrot in, un mir hän was z' lache un was z'höre; un so ebber, sag ich, g'hört nuf, un domit fertig!«

9 Jeder der Umstehenden sah das ein, auch der Soldat und sein Schatz, und so stand denn die Göttel oben über einem Knäuel von Stadt- und Landleuten, die sich alle streckten und sie um ihren Standpunkt beneideten.

»Wird's bald?« brummte der Bauer, da die Göttel ganz gegen ihre Gewohnheit nicht gleich los legte.

»Ich weiß net, wo anfange,« entschuldigte sie sich, »denn sie kumme, die junge Fürsteleut kumme, er isch ä großer schlanker Herr – vom Vader hät er nix – un sie isch ganz weiß, Buer, wie der Schnee, so weiß un so fründlich – grüßene Gott, grüßene Gott, junge Frau, un viel Glück uf der Weg in's Lebe. Ame! Ame!«

Der Bauer gab der ganz in Andacht Versunkenen einen Stoß und sofort kehrte sie in die Gegenwart zurück.

»Meiner Seel',« schrie sie auf und fing an zu schluchzen.

»Heul' net s' Bescht weg,« fuhr er sie an, worauf sich die Göttel faßte.

»Ich hab ihn g'seh, wissener, Buer, uns' Landsvader hab' ich g'seh und glei kennt; 's hät mer ordli ä Ruck gebe; denke, Buer, er hät au graui Haar! Wann ich au des g'wußt hätt, do hätt ich mi net so z' gräme bruche, wie mine erste graui Haar kumme sin, denn mer sin im gleiche Jahr gebore, ich un der Landsvader.«

»Was etzt los isch, will ich wisse,« unterbrach sie der Bauer, »mach' vorwärts, Göttel –«

Diese streckte sich: »Schon ä ganze Weil' red' einer von de Stadtherre, un weiße Stadtfräule stehn do – etzt endli rede die junge Fürsteleut un gebe jedem ä Hand – aber do isch schon wieder einer, der ebbs red', so Mannsleut könne kein End' finden. Daß Ihr das 10 jung' Paar net sehe könne, Ihr daure mi, Buer; Jessele, ich könnt etzt au so ä paar liebe Kinder habe, wenn's Gott's Wille g'sin wär –«

»Göttel,« fuhr der Bauer auf, »bliebe bi der Sach' –«

»Mer werd doch au noch ebbs denke därfe,« meinte sie, »bigot,« fuhr sie auf, »do kummt einer von druß mit eme ganz nasse Regeparaple; mi dauert nur min Rock – aber etzt kumme der Landsvader un d' Landsmutter un schüttle de Leute d' Händ – wann ich so ebbs erlebe thät, do thät mi min Rock net daure; un die Fraid, die sie an ihre Kinder hän! Do könne ner ebbs lehre vun dem Familieglück; 's geht net überall so friedli un so herzli zu – jo jo, Buer, stoße mi nur, denn wo der Mensch nur sin eigene Wille kennt, do sin die andre übel dran. – Etzt aber, Buer, etzt kumme unsre Leut – wissener was, mer gehe ä bisle vor – mer g'höre doch au dazu – b'sinnt Eich net lang –«

Sie nahm ihn bei der Hand, und als die jungen Hanauer vor marschierten, standen sie, Dank der Energie der Göttel wirklich vornen auf der Seite. Die Frau befand sich in einer beispiellosen Aufregung, hielt den Bauern krampfhaft an der Hand fest, ihre Linke umfaßte den roten Regenschirm.

Auch der Bürgermeister war bewegt, er ärgerte sich zwar darüber, es half aber nichts, obgleich er sich alle Mühe gab, stramm und stolz dazustehen, wie ein echter Bauer, der seinen Wert kennt.

Als zehn Minuten später die Hanauer als die Letzten mit ihrer Musik zur Halle hinaus marschierten, ging 11 die Göttel ganz vornen zwischen dem Hansjörri und der Annemei und kümmerte sich nicht im mindesten um ihren Rock trotz des Regens.

»Nur ruhig,« sagte sie atemlos, mit dem Schirm nach rückwärts deutend, »der Buer kummt hinte noch mit de Bürgermeister, ich aber – miner Seel', ich kann's nimmer länger bi mer b'halte – denke an, denke an, uf eimol kummt der Landsvader grad uf uns zu, un's dauert kei Minut, kummt au d' Landsmutter, un vun jedem hän mer ä Hand kriegt. Do bin ich g'standen! ich weiß net, hab' ich ä Knicks g'macht, oder hab' ich kein g'macht, der Buer eber – denke, denke, der Buer hät ä so ä tiefe g'macht, daß ich denk', er kummt mer nimmer in d' Höh'. Des isch ä Erlebnis! Etzt soll mer nur noch einer kumme un iwer das Lebe raisonnire – ich sag, ä Plaisir isch's, uf der Welt z' si – un wer's net glaubt, soll's bliebe lo –«

»Ob ich d' Annemei zum Tanz hole darf heut Abend?« meinte der Bursche in zögerndem Ton, »was rotener, Göttel?«

»Z'erscht muß ich ebbs im Mage habe, dann kann ich erst wieder denke,« erwiderte diese.

Die Hanauer hatten sich glücklich einen Tisch auf der unteren Galerie in der Festhalle erobert; Annemei saß neben dem Vater, und an der nächsten Säule lehnte der Hansjörri. Die Göttel, die sehr gestärkt aussah, stand vornen an der Brüstung. Von Zeit zu Zeit schob ihr der Bauer ein volles Glas hin, worauf sie mit ihm anstieß. Er nickte und trank sein Glas aus. Es war allerlei in seinem Gemüt vorgegangen, als er vor seinem 12 Landesfürsten stand, dessen gütiger Blick ihn traf; als er das schöne Familienglück, das ihm die Göttel beschrieben, in der Nähe sah.

»Un was bisch du für ä grober, wüschter Mensch,« fuhr's ihm durch's Gewissen, »vor dem Weib un Kind nix als Furcht hän –«

»Warum tanzsch net?« fragte er plötzlich wie aus tiefen Gedanken erwachend und gab seiner Einzigen einen Stoß in die Seite. Die Annemei wurde dunkelrot, sie wagte kaum aufzublicken und sagte nur ganz leise, kaum hörbar: »Jo, ich weiß net –«

Aber die Göttel stand schon zur Erklärung bereit auf der andern Seite des Bauern; wenn er saß, reichte sie ihm gerade bis an's Ohr, und da zischelte sie nun hinein: »Lasse mer's net erlebe, Buer, daß Ihr an so me Tag bis in d' Nacht nin hart bliebe gege alle Bitte wie än Ochs, den mer in's Horn pfezt. Hät denn all' des Glück mit sinem Glanz net au uf Eich g'schiene un Eier Herz uftaut un fraidig g'macht im Gedanke: au ich kann glückliche Mensche mache! Bigot, wenn einer des kann un thut's net, so isch er ä so ä Tag net wert g'si.«

»Ame,« sagte der Bauer neben seiner Pfeife heraus, »hab' ich vielleicht g'sagt, des Maidle soll net tanze? worum hab' ich denn ä Paar Tanzschuh vu Kehl mitgebracht, doch g'wiß net zum hocke bliebe?«

Die Göttel machte eine energische, nicht mißzuverstehende Bewegung nach dem jungen Hanauer hin, und der kam alsobald auf den Tisch zugerannt mit einem Gesicht, aus dem alles Glück der Welt strahlte. 13 Gesprochen wurde nichts, nur einen kurzen Blick warf die Annemei auf den Vater, dann verschwand sie am Arm des Burschen, dessen Herz sich in einem lauten Juchzer Luft machte.

»Etzt, Buer,« sagte die Göttel und ließ sich auf einen Stuhl sinken, »etzt losse z'erscht ä frische Flasch kumme, ich weiß, Ihr sin net geizig, un vor Fraid bin ich wieder ganz trucke.«

»Wo so Weibsleut' immer gleich ä Fraid herkriege,« brummte der Alte und schenkte der Göttel das Glas bis an den Rand voll. Sie trank sich Mut, rückte näher und begann ihr Werk von neuem.

»Buer, wenn einer A sagt, so muß er au B sage – 's wär die niederträchtigs Grausamkeit, die junge Leut etzt z'samme z'lasse, un se nochher wieder usenander z'reiße. Ich mein' als, Buer, Ihr könnte im Landsvader heut kein schönere Strauß schenke, als ä glücklichs Menschepaar, denn Buer –«

»Halte's Mul,« unterbrach sie der Alte, »so viel isch aber g'wiß, wenn's später net zu ihrem Glück usfallt, so solle sie sich an dich wende, Göttel –«

Einen Augenblick war diese sprachlos über die unverhoffte Wendung, dann aber ging sie schnell darauf ein:

»Nochher solle se mer nur kumme,« erklärte sie, fuhr von ihrem Stuhl in die Höhe, und eh' sich's der Bauer versah, war sie auf und davon mitten im Tanzgewühl.

Die Göttel war die Person, sich Platz zu schaffen, auch wo es andre Leute unmöglich gefunden hätten. Nicht einmal die Festordner mit ihren bunten Schleifen vermochten sie zurückzuhalten; kühn durchbrach sie die 14 Reihen und stand endlich atemlos vor dem jungen Paar.

»Um Gottswill,« schrie die Annemei auf, »Göttel, isch ebbs passiert?«

»Jo, jo,« keuchte die alte Frau und wischte sich eine Thräne von der Wange, »frili frili, isch ebbs passiert – ihr sin – Brautleut sin er – wann ihr nix dagege hän!«

»Mir!« schrien die jungen Leute wie aus einem Mund, und der Bursche setzte hinzu: »Göttel, sin Ihr bi Verstand?«

Sie nickte: »Der Vader giebt's zu – kumme –«

Hand in Hand, sprachlos vor Ueberraschung folgte ihr das junge Paar durch die Tanzenden hindurch, hinauf, wo der Alte saß. Er hatte eben wieder eine frische Flasche kommen lassen und schenkte die Gläser der Seinen voll. Als sie ankamen, meinte er in seiner alten schroffen Weise: »Hat die alt Schwätzbas 's Mul net halte könne?«

»Vader, isch's denn au wahr?« fragte die Annemei.

»Nehme d' Gläser z' Hand,« sprach der Bürgermeister und erhob sich schwerfällig, »uns' Fürstehus soll lebe und halte's hoch in Ehre!«

Lauter leere Gläser wurden auf den Tisch gesetzt, es erfolgte ein kräftiger Handschlag zwischen den Männern, alsdann gaben sich die jungen Leute unbekümmert um die Zuschauer einen herzhaften Brautkuß.

Die Göttel aber, in dem verantwortlichen Gefühl, daß sie es unbedingt recht machen mußte, nötigte zum Heimgehen, denn der Bauer trank in aller Stille ein Glas um's andere auf das Wohl seines Landesfürsten, so daß die Alte um ihres Bürgermeisters Würde besorgt 15 wurde. Auch das junge Volk sehnte sich aus dem Lärm fort, und so ließ sich der Bauer überreden und schwankte an den kurzen aber festen Armen der Göttel zur Festhalle hinaus, voran die glücklichen Brautleute.

»Herrgott!« schrie die Göttel auf, als sie auf dem Marktplatz unter dem leuchtenden Feuerbogen hindurch schritten, »so viel isch g'wiß, vun dem Tag red' ich noch, un wenn ich scho lang im Himmel bin!« 16

 


 


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