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Zwölftes Kapitel

Jetzt kamen die Pferde vom Hippodrom nie zum Beschlagen, ohne daß der Stallmeister selber mitkam. Der Meister wunderte sich darüber; der frühere Stallmeister hatte sich nie selber bemüht, der hatte die Stallknechte geschickt, sich derweilen aufs Ohr gelegt oder in die Kneipe gesetzt, er wußte ja auch, daß der Hofschmied seine Sache verstand. Aber Goldenap ging nicht eher vom Hof, als bis die Gäule fix und fertig waren: die Eisen abgenommen, die Hufe geraspelt, wieder neue Eisen anprobiert und aufgenagelt. Es mochte noch so lange dauern.

Der Meister hatte nichts dagegen. Er mochte den Goldenap ganz gut leiden, der, wenn man ihn von hinten sah, mit seiner schlanken Gestalt und aufrechten Haltung, in den knapp anliegenden Hosen und den breit umgekrämpten Reitstiefeln, eine gute Figur abgab.

Die Majunke, die von oben her hinunterlugte, war ganz begeistert: »En Kawaljeh, nee, so'n Kawaljeh!« Aber als der Kavalier sich dann umdrehte nach dem Vorderhaus, die Fenster absuchte mit spähenden Augen, war sie schwer enttäuscht: der hatte ja ein Gesicht, als ob die Hühner drin gekratzt hätten. Und an seiner Nase fing ein Fidibus Feuer.

Diese Nase war Goldenaps Schmerz. Was nutzte es, daß er jetzt nicht mehr trank? Sie wurde nicht blasser. Er sah es selber, wie sie ihm voranleuchtete – konnte die einem so jungen und schönen Mädchen wohl gefallen? Er hatte zuviel durchgemacht in seinem Leben, hatte nicht umsonst, seitdem er des Königs Rock hatte ausziehen müssen, sich durchgehungert, bis er einen Unterschlupf gefunden hatte im Hippodrom, er gab sich keinen Illusionen mehr hin. Aber eine Hoffnung durfte er doch wenigstens haben: keine rote Nase mehr, und die weiße Rose neigte sich ihm.

Beim Trinken hatte er Vergessenheit gefunden. Was waren das für Stunden gewesen, in denen die Reue an ihm fraß wie eine gierige Ratte! Er hatte eine glückliche Kindheit gehabt, einen braven Vater, eine liebende Mutter; sie hatten alles daran gesetzt, ihn so weit zu bringen. Wie hatte sein Vater gestrahlt, als er zum ersten Mal als Leutnant heimkam auf das Gütchen in der Lausitz! Die Mutter hatte vor Freuden geweint, die Knechte und Mägde hatten respektvoll gestanden. Das Gütchen hatte er verlüdert, verjuxt, verspielt – die Eltern hatte der Gram in die Grube gebracht – er hatte trinken müssen, trinken, um das zu vergessen.

Herr von Goldenap trank jetzt keinen Tropfen mehr; er war immer nüchtern wie ein Pastor auf der Kanzel, ausgetrocknet wie ein Sandfeld, das seit Wochen keinen Tropfen Regen geschluckt hat. War die Nase nicht schon etwas blasser? Täglich studierte er sie im Spiegel: er rieb sie mit Salben ein, er puderte sie.

»Der kommt wohl dem Fräulein wejen so ofte?« fragte die Majunke.

Das konnte stimmen. Gottlieb hatte sich das auch schon gedacht. »Aber die lacht über ihm. Det kann ick se ja ooch nich verdenken. Die Neese! Aber wissen Se, Majunken, der is ooch so leicht keener recht, die is hochjeschnuffen!«

»Hochmut kommt vor dem Fall!« Die Majunke hatte immer das passende Sprichwort bei der Hand. Sie hatte nichts übrig für Helene Schehle. Die kam nicht herauf wie ihre Mutter, um so ein armes, krankes, verlassenes Weib zu besuchen.

Die Meisterin, die sich früher auch nicht persönlich um die Majunke gekümmert hatte, kam jetzt öfter und sah nach ihr. Sie selber fühlte sich zurückgesetzt und verabsäumt, und je mehr dies Gefühl in ihr zunahm, desto lebendiger wurde das Bedürfnis, sich der Armen anzunehmen. Jetzt hatte sie Verständnis dafür, was es heißt: verlassen sein. Ihre Tochter würde ja auch bald von ihr gehen, wenn die auch jetzt noch nichts von heiraten wissen wollte.

Helene Schehle hatte, so jung sie war, schon Freier. Der Bruder von Bäckermeister Piesich, ein ansehnlicher junger Mann, der eine beliebte Konditorei in der Gertraudtenstraße hatte, hielt um sie an. Er hatte sie vergangenen Winter an einem Sonntag Schlitten gefahren, hinter den Zelten, als alles, was von jungen Männern sich sehen lassen konnte im Schlittschuhlaufen, von ›Nähnadelsruh‹ bis zum Unterbaum lief und die Damen am Ufer standen und zusahen. Da hatte Konditor Piesich das junge Mädchen zu einer Schlittenfahrt eingeladen, ohne zu wissen, wer sie war. Er hatte ihr dann nachgespürt; sein Bruder, der Bäcker, hatte ihm auf die Spur geholfen.

Was, so einer wollte sie heiraten? »Nein, danke schön!« Helene lachte; aber im Grunde war sie beleidigt: ein Zuckerbäcker –?!

Und noch andere begehrten sie. Sie hatte aber nur immer ein Lachen: »Nein, Mama, ich bleibe bei dir, zu Hause hab ich es ja viel besser!« Jetzt glaubte sie das noch – aber wie lange noch?!

Johanna Henze hatte keinen guten Schlaf; sie lag viel wach, besonders, wenn ihr Mann den Rest der Nacht, die er außen verbracht hatte, drüben im Glashaus auf dem Kanapee des Privatkontors lag. In solch dunklen Stunden, in denen sie mit brennenden Augen ins Finstere starrte, sagte sie sich: wie lange noch, und auch Helene verließ sie, folgte dem Mann, an den sie ihr Herz gehängt hatte. Die Einsame drückte ihr heißes Gesicht ins Kissen – er hatte einen Jungen, einen kleinen Jungen! Dieser Gedanke ließ sie nie mehr los. Und doch hatte sie nicht das Herz, ihn zu befragen. Sie fürchtete seine Offenheit noch viel mehr, als ihr jetzt die Qual der Ungewißheit schrecklich war. Gottlieb hatte zwar zu ihr gesagt: »I wo, Meestern, Hirnjespinste! Wat Sie ooch jehört haben! 'nen kleenen Jungen? – 'nen Kleenen sitzen hat er!« Aber sie hatte ihm nicht geglaubt. Und die Eifersucht war da und schürte: wo – von wem?!

Auf der Flucht vor sich selber eilte die Meisterin oft hinauf zur alten Majunke: ach, wohltun, mit beiden Händen wohltun! Vielleicht verhalf ihr das zur Ruhe! Und dann war auch noch eine heimliche Hoffnung dabei: die Majunke war ja so schlau, die wußte alles, obgleich sie ihre Stube nicht mehr verließ, die sah durch die Wände, die hörte von ihrer Bodenkammer jeden Tritt, die reimte sich alles zusammen. Wußte die Majunke vielleicht, mit wem er sie betrog?!

»Sie weiß et, det ihr der Meister bedrügt,« sagte die Alte zu Gottlieb.

Aber Gottlieb bestritt das: der Meister betrog sie nicht! Doch sein Dagegenstreiten hatte nichts Überzeugendes, denn er war selber nicht davon überzeugt. Hatte doch der Meister sich nicht gescheut, sogar mit Lieschen Krausnick anzufangen! Mochte der außerm Hause tun, was er wollte – aber im Hause? Nein, das verbat er sich, er, Gottlieb Thorweg!

In die Bewunderung, die der Lahme stets vor dem Starken gehabt hatte, in seine unbedingte Anhänglichkeit, die dem Meister gehörte, mischte sich jetzt ein Gefühl, das an Empörung grenzte. Das sollte der Henze wohl bleiben lassen, Lieschen in die Backen zu kneifen und ihr nachzugehen in die Küche! Die Meisterin hatte mit Lieschen gescholten; es war auch ungeschickt von ihr, die schöne Tasse zu zerbrechen, – ›Gedenke mein‹ – die Tasse mit dem vergoldeten Henkel und der Trauerweide über der Urne, die noch ein Andenken vom seligen Meister seiner Mutter war. Lieschen weinte, aber daß der Meister sie um die Taille faßte und streichelte: ›Weine man nich!‹ – das war durchaus unnötig. Mußte das Mädchen da nicht ganz verwirrt werden? Sich wohl gar was in den Kopf setzen?! Der Lahme ballte die Fäuste: der Meister sollte sich genügen lassen mit seinen Menschern! Der Reiche durfte dem Armen nicht sein einziges Schaf wegnehmen!

Das kleine, runde Mädchen aus Lübben im Spreewald war Gottliebs Schützling. Erst war es Lieschen so bange gewesen in dem großen Berlin. Der Händler, der immer die Gurken holte aus der Lübbener Gegend, hatte sie auf seinem Wagen mit hergebracht. Er hatte sie vor der Schmiede abgeladen mit ihrer Kiste, war dann weggefahren, hatte ihr nicht einmal gesagt: ›Da gehste nu rein!‹ Auf der Straße, die sie entsetzte, weil sie so breit war und so große Häuser hatte, war sie allein geblieben. O je, wäre sie doch daheim! Auf ihre Holzlade hatte sie sich ängstlich gesetzt, die konnte ihr ja sonst gestohlen werden; nicht umsonst hatte man sie in Lübben gewarnt: ›Nimm dir in acht!‹ Da war Gottlieb gerade aus dem Torweg gekommen; er sah sie sitzen mit rotem Kopf, mit Augen voller Tränen, und wußte gleich: aha, die Neue! »Na, denn kommen Se man!«

Er hatte sich ihre Holzkiste auf den Buckel geladen, und die war schwer; es war alles darin, was Lieschen besaß. Die Familienbibel allein, die ihr der Vater mitgegeben hatte – das Berlin war ja so schlimm – wog an die zehn Pfund. Gottlieb spielte den starken Mann. Er warf die Kiste von der rechten Schulter auf die linke herum: pah, das war ihm eine Kleinigkeit! Er war ihr vorangekeucht, und, etwas ermutigt, war sie hinterdrein getrippelt: der sah gar nicht böse aus. Er hatte sie der Meisterin abgeliefert, und als er die Küche verließ, in der sie nun stand mit ihren glattgescheitelten Haaren, in dem Kattunkleid, das die roten Arme mit den Grübchen am Ellenbogen nackt ließ, hatte er ihr noch begönnernd zugenickt: »Uf den Abend spalte ick Ihnen det Kleinholz!«

Von jetzt ab teilte Gottlieb seine Aufmerksamkeit zwischen der Alten und der Jungen. Das konnte er doch nun und nimmer zugeben, daß der kleine Pussel aus Lübben die großen Wassereimer selber in die Küche schleppte. Was er auch sonst schon für die Dienstmädchen getan haben mochte, jetzt verdoppelte er seine Hilfe. Er scheuerte auch die Töpfe, die großen Kupferkasserollen der Küche so blank, daß Lieschen Krausnick ihr liebes Gesicht darin spiegeln konnte. Sie war so nett, wenn sie sich darüber freute. Dann patschte sie die Hände zusammen und rief ganz hell: »Herr Gottlieb, ich dank ooch schön!« Und dieses Lieschen, dieses Pusselchen aus Lübben, das er hütete mit den Augen des welterfahrenen Mannes, das wollte ihm der Meister verführen?!

Gottlieb hatte sich immer eines gesegneten Schlafes erfreut – er konnte im Stehen schlafen, wenn er gerade mal Zeit hatte – jetzt lag er oft des Nachts wach, und dann hatte er Herzklopfen. Er wurde noch blasser, als er schon immer gewesen war, die Kleider hingen ihm am Leibe; er rackerte sich zu sehr ab, er diente nicht nur dem Meister und der Majunken, er diente auch noch dem kleinen Mädchen aus Lübben im Spreewald.

Hinten im Garten pflanzte er diesen Sommer lauter Brennende Liebe und die weißen Sternblumen, die man zerzupft: ›Sie liebt mich – sie liebt mich nicht.‹ Er vergaß ganz, daß diese Blumen Sonne haben wollen, daß sie nicht im Schatten gedeihen. Und eine Bank zimmerte er, die stellte er ans verschwiegenste Plätzchen. Aber die, für die sie bestimmt war, kam nicht herunter, die klapperte in ihrer Küche mit Tellern und Tiegeln und sang dazu mit schallender Stimme:

»Müde kehrt ein Wandersmann zurück
Nach der Heimat, seiner Liebe Glück,
Doch bevor er kehrt in Liebchens Haus,
Kauft er für sie den schönsten Blumenstrauß.«

Es war Sentimentalität in der Luft, die sich weich und dämmerig auf den Hof heruntersenkte, Sentimentalität, die sich mit dem Lied in die Küche stahl und die Treppen herab in den Hof, hinunter in die Werkstatt und hinein in des Meisters Herz. An den Pfosten der Werkstatttür gelehnt, stand Henze und starrte hinauf, über seinen Schuppen weg, übers Nebenhaus weg, immer höher, immer weiter hinaus, in jenen grauen, silbrigen Dunst, der über den Dächern der Stadt sich mit dem bläulichen Duft des Himmels, mit dem rosigen Blust der Abendwolken vermählte.

Auch Helene Schehle träumte. Es war ein Sommer, so warm und schön, wie sie ihn noch gar nicht glaubte erlebt zu haben. Hinterm Glashaus, in dem Garten, der so dunkel war von den alten Bäumen, war doch eine Rose erblüht. Helene stand davor: hier eine Rose?! Und wie sie duftete! Sie roch daran, und dann drückte sie plötzlich ihre Lippen darauf: das war eine Wunderblume. Sie selber kam sich auch wie verzaubert vor. Daß man so glücklich sein konnte, so glücklich, das hatte sie ja noch gar nicht geahnt! –

Seit dem Frühjahr hatte Fabrikant Ohm, der seinen reichen Vater beerbt hatte und sich nun neben der Papierfabrik des Alten draußen vorm Anhaltischen Tor eine Villa baute, seine neuen Kutschpferde in die Hofschmiede geschickt. Er war auch einmal selber auf einem schönen Reitpferd gekommen. Von seiner Villa war es nicht allzu weit hierher. Die Gesellen waren beflissen, ihm zu dienen: der konnte gute Trinkgelder geben. Auch Gottlieb sprang: ›Zu dienen, Herr Ohm‹, – ›Ja wohl, Herr Ohm!‹

Ein schöner Mann! Das sagte sich Helene. Sie war gerade nach Hause gekommen, als Ohm aus der Toreinfahrt wieder herausritt; das aufgeregte Pferd tänzelte und sprang unter ihm, aber er saß wie angegossen. Er lachte, als sei das gar nichts, mit leichter Hand bändigte er das Pferd und sprach dabei ruhig mit dem Meister weiter, der ihm noch das Geleit gab. Wie schlank er aussah, wie elegant neben der vierschrötigen Schmiedsgestalt! Helene war zur Seite getreten, Ohm hatte artig den Hut gezogen. Sein erstaunter Blick streifte sie. Sie hob den Kopf hoch: o ja, so was wohnte in der Schmiede! Dann errötete sie.

Henze wußte nichts weiter von ihm, als daß er reich war und sich draußen die Villa baute. Ein guter Kunde.

Von jetzt ab kam Helene zuweilen auf den Hof, oder sie sah von oben herunter. Wenn ein Pferd vor der Einfahrt trappelte, sprang sie rasch ans Fenster. Doch noch war sie zu stolz, sie beugte sich nicht hinaus, sie lugte nur hinter der Gardine. Aber sie war achtzehn Jahre.

Es kam ganz von selber, daß sie sich außen begegneten. Sie konnte es ihm ja nicht verbieten, mit ihr denselben Weg zu gehen. Aber es hatte ihn viel Mühe gekostet, bis sie sich mit ihm traf vor dem Halleschen Tor. Die Kirchhöfe mit ihren Linden und Fliederbüschen boten stille Spaziergänge. Noch reichte Helene dem Manne nur die Fingerspitzen zum Willkommen und zum Abschied, aber schon hatten ihre Augen es ihm gesagt voller Hingabe: ›Ich bin dein!‹

Noch hatte die Mutter keine Ahnung von dem, was ihre Tochter bewegte. Helene war der Mutter gegenüber plötzlich verschlossen. Die war ja jetzt auch immer so herb, so streng; sie hatte das Gefühl: der darfst du nichts von Liebe reden. Und was sollte sie auch erzählen? Alle Tage konnte ja Ferdinand kommen, selber sprechen, die Mutter um ihre Hand bitten. Warum zögerte er eigentlich noch?!

Helene war in einer so still-erwartungsvollen, bräutlichen Seligkeit, daß der Meister, der Weiberkenner, sich sagte: die hat was! Wenn er jetzt den Arm um sie schlang, nahm sie es nicht übel. Sie riß sich auch nicht los und rannte nicht von ihm weg, wenn er es versuchte, ihr einen Kuß aufzudrücken, sie litt es; sie machte nur die Augen zu. Mit der war was los! Henze sah sich um mit Augen, die scharf waren wie die eines eifersüchtigen Liebhabers: war's etwa der Stallmeister? Ach, der mit der roten Nase, der konnte es nicht sein! Und doch kam kein anderer lediger Mann auf den Hof. Und freundlich war sie mit dem Goldenap, viel freundlicher als früher! Ob das ›von‹ sie bestach? Sie guckte herunter, wenn sein Pferd trappelte, und fuhr dann zurück, ganz rot im Gesicht. Und neulich hatte der Goldenap zu ihm gesagt und ihn dabei vertraulich unter den Arm gefaßt: »Lieber Meister, wollen Sie mir 'nen Gefallen tun? Geben Sie das der weißen Rose. Bitte, aber heimlich, daß die Frau Mutter nichts merkt!« Und ausgesehen hatte der Mensch dabei, als ob seiner Seelen Seligkeit davon abhinge.

›An Fräulein Helene!‹

Es prickelte dem Meister in den Fingern, er hätte am liebsten dem Esel sein rosa Briefchen ins Gesicht geworfen oder es zerrissen – was gingen ihn Helenens Liebschaften an? Aber dann gab er's ihr doch ab.

Sie waren allein in der Stube. Nach dem Mittagessen. Die Meisterin war in die Küche gegangen, um den Rest der Speisen wegzuschließen.

»Von ihm,« sagte er mit einem Grinsen, das ebensogut Hohn wie Neckerei bedeuten konnte.

Helene wurde glühend rot, hastig nahm sie das Briefchen an sich, sie riß es auf, aber gleich danach ließ sie es mit einem lauten Auflachen in den Schoß sinken. Sie warf den schlanken Oberkörper hintenüber und lachte, lachte in einem fort.

»Nanu?« Henze griff nach dem rosa Blättchen in ihrem Schoß.

»Kaltes Mädchen, willst du meinen Mord?
Soll ich glühend denn verderben? – –«

Wahrhaftig ein Gedicht! Das wurde ja immer besser! Zu so was gab sich der Goldenap her? Die Liebe machte den ja rein zum Narren! Die Lippen des Schmieds zogen sich verächtlich herab: für Säuseln hatte er kein Verständnis. Und doch fühlte er Mitleid – armer Teufel! – aber zugleich auch eine Erleichterung: sie lachte, mit dem war's also nichts!

Der Stallmeister glaubte, Hoffnung zu haben, wenn seine Nase auch nicht viel blasser geworden war. Der Meister schlug ihm, als er zwei Tage danach zur Schmiede geritten kam, gutmütig lachend auf die Schulter: »Na, Sie Mordskerl Sie!«

»Wie befindet sich das gnädige Fräulein?« stammelte Goldenap.

»Wie die Made im Speck,« sagte lachend der Schmied. Aber dann wurde er ernsthaft: »Hören Sie, Stallmeister, was is das mit Ihnen, sind Sie verrückt? Sie sind doch auch 'n Mann in Jahren, nich viel jünger als ich, wie können Sie sich bloß vor 'nem Mädel so zum Narren machen? Gedichte – p!« Er zuckte geringschätzig die Achseln. »Entweder man nimmt eine, wie sie genommen sein will: wie 'ne Festung im Sturm – oder man läßt sie links liegen. Es tut mir leid um Sie, Herr von Goldenap. Ich glaube nich, daß Sie bei Lenchen Glück haben!«

Goldenap machte ein hochmütiges Gesicht; jetzt war er ganz wieder der Leutnant. Das brauchte er sich doch von so einem, der im Grunde ein ganz ungebildeter Mensch war, nicht sagen zu lassen, wie er sich zu benehmen hatte!

Nach kühlem ›Adieu‹ ritt er verstimmt nach Hause. Erst in seiner öden Stube, in der ihn die Wände umgaben ohne jeden Schmuck, ohne jedes Behagen, in der er auf einem steinharten Sofa härter saß als auf dem hölzernsten Mietsklepper, kam ihm ein erlösender Gedanke: der Mensch, der Schmied, war eifersüchtig auf ihn! Wenn der die schöne Helene auch selber nicht haben konnte, so gönnte er sie doch keinem anderen, und darum sprach er so! Das machte ihn wieder ruhiger. Er hatte schon verzweifelte Gedanken gehabt: was sollte werden, wenn Helene Schehle ihn nicht wollte? Sie war die letzte Karte, auf die er gesetzt hatte. Den Reitlehrer spielen für dicke Fresser, die gerne dünn werden wollten, für Kommis, Ladenschwengel, die Sonntags vor ihren Angebeteten Parade zu reiten wünschten, das war kein Leben für einen, der mit dem Regiment ausgezogen war bei klingendem Spiel. Was diese Art Leute sich herausnahmen! »Stallmeister, schnallen Sie mal den Bügel kürzer« – »Stallmeister, was haben Sie mir denn heute für 'nen Gaul gegeben, der trabt ja nicht an« – und dann durfte er nicht einmal brüllen: »Sie – wie sitzen Sie auch drauf!« Er mußte still sein, sich noch höflich dankend verneigen, wenn einer ihm was zu rauchen anbot. Und vor ihm hatte der Bursche einst stramm gestanden, und der Pöbel hatte untertänig Platz gemacht, wenn der Herr Leutnant durchwollten!

»Helene, Helene!« Der Stallmeister stützte aufseufzend den Kopf in beide Hände. So saß er, bis ein Stallknecht von unten aus dem Stall gelaufen kam: die Fortuna mistete nicht gut, sie hatte auch kaum gefressen, was sollten sie denn machen mit der? – – –

Helene Schehle hatte ein etwas erstauntes und ein etwas spöttisches Lächeln, als am nächsten Sonntag vormittag sich der Stallmeister bei ihr melden ließ. Die Mutter war noch in der Kirche, Henze saß beim Frühschoppen; sie war allein. Lieschen Krausnick brachte die Karte herein:

Dieter von Goldenap,
Premierleutnant im II. Pommerschen
Dragonerregiment.

Das war noch eine Karte, die er von früher besaß. Er hatte dem Mädchen zwei gute Groschen in die nasse Hand gedrückt: »Melden Sie mich dem Fräulein!«

Lieschen riß die Augen groß auf: »Fräulein, angezogen is er wie'n Hochzeiter! En Blumenpocket hält er in seine Hand – en Papier is drum wie um 'ne Torte. Fräulein, en feiner Herr! Aber 'ne Neese hat er wie uns' oller Nachtwächter in Lübben!«

Helene mußte schon lachen, ehe er hereinkam. Sie biß sich auf die Lippen. Sie hatte noch nie allein Herrenbesuch empfangen, aber sie war nicht schüchtern ihm gegenüber, ihr Herz war ja ruhig. »Bitte, nehmen Sie Platz!« Sie sagte es sehr freundlich.

Da stürzte er ihr zu Füßen. Sie sprang auf, aber er haschte nach ihrem Kleid, hielt sie daran fest, und sie mußte nun anhören, was er ihr vorstammelte von seiner Liebe, von seiner Leidenschaft, von dem Nichtlebenkönnen ohne sie.

Nun war sie erschrocken, und auch bewegt. Vieles, was er sagte, griff ihr ans Herz: von seiner Einsamkeit, von seinem traurigen Leben. Er klagte sich an: ja, er war leichtsinnig gewesen, aber sollte er darum alle Hoffnung begraben müssen? Er hatte nicht Vater und nicht Mutter mehr, kein Vermögen, aber einen Namen von altem Adel, den konnte er noch in die Wagschale werfen, und wenn sie ihm ihre Hand schenkte, war er der Glücklichste aller Sterblichen!

Die ganze Nacht hatte Goldenap memoriert: ›Wie macht man einen Antrag?‹ – ›Wie erkläre ich mich?‹ – aber nun mischten sich doch eigene Töne hinein. Die kamen aus dem Herzen; er hatte sie wirklich lieb. Und er umklammerte ihre Hand, er küßte sie: wollte sie ihn denn nicht erhören? Sie konnte ihm die Freude am Leben wiedergeben, die Ehre seines Standes! Eine Angst sondergleichen erfaßte ihn – sie war sein rettender Engel!

Tränen kamen ihr in die Augen; so hatte noch nie jemand zu ihr gesprochen. Sie senkte den Kopf, ein Schauer wehte sie an von dem, was ein Mensch zu ertragen hat an Lebensnot. Davon hatte sie bis jetzt nichts geahnt. Er tat ihr so leid, seine Stimme klang flehend, beschwörend – aber sie konnte doch nicht. »Nein, ach nein, stehen Sie doch auf – nein, nein – ich bitte, Herr von Goldenap – ich – ich – nein – ich –!« Sie war bestürzt, verlegen, wie hilfesuchend sah sie auf. Sollte sie ihm sagen: ›Ich liebe Sie nicht!‹? Sollte sie ihm sagen: ›Ich liebe einen anderen, ich liebe –‹. Die Gedanken stockten ihr, sie wurde zerstreut. Ihr Blick hatte seine Nase getroffen, die glühte in dem todblassen Gesicht. Sie konnte den Blick nicht davon losreißen.

Und er merkte das. Ihre Hand plötzlich freigebend, stand er auf. Er murmelte etwas wie: »Entschuldigen!« Und dann griff er nach seinem Hut. Er machte eine kurze Verbeugung, das Bukett mit der Spitzenpapiermanschette liegen lassend, stürzte er aus der Tür.

»Herr von Goldenap!« Sie rief es hinter ihm drein. Er sollte ihr doch nicht böse sein, sie hatte ihn nicht kränken wollen.

Aber er drehte sich nicht mehr um.


»Warum der Goldenap nicht mehr mit den Pferden herkommt?« Der Stallknecht kam jetzt immer allein. Mit einem Augenzwinkern sah der Schmied die schöne Helene an. Nun waren es schon vierzehn Tage her, daß der Stallmeister sich zuletzt hatte sehen lassen.

Das war doch komisch!

Da teilte Helene sich dem Stiefvater mit. Ihm konnte sie es besser sagen als der Mutter: der Stallmeister hatte sich ihr erklärt, damals, am Sonntag. Aber sie liebte ihn nun doch einmal nicht. Und dann seine Nase! Sie hielt sich die Augen zu.

Der Meister schlug eine Lache auf: das erheiterte ihn. Wen liebte sie denn? Schäkernd zog er sie an sich heran. Da fing sie plötzlich an zu weinen, so ganz unvermutet, daß er einen Schrecken bekam. Was war los mit ihr? Er drang fast ängstlich in sie.

Sie hielt sich noch immer die Augen zu, sie ließ sich die Hände nicht fortziehen, sondern schluchzte krampfhaft.

Was war ihr geschehen?! »Zum Donnerwetter noch mal, jetzt sagste es endlich!«

Sie verstand nicht, warum er so aufflammte.

»Ich schlag den Kerl, so'n Halunken, mit'm Hammer tot!«

Ach, da war ja nichts böse zu sein, und nichts so zu schimpfen! Es quälte sie nur so, daß er noch immer, noch immer nicht fragen kam. Sie wußte doch, daß er sie liebte. Mit seinen Händedrücken hatte er es ihr gesagt, mit jedem Blick und mit seinem Kuß. Ach Gott, Gott, warum sagte er denn nicht: »Gebt mir die Helene zur Frau!«?

Die Spannung, die sie nicht mehr allein hatte tragen können, eine Angst, die ihr oft des Nachts kam – sie wußte selber nicht vor was – entlud sich jetzt. Schluchzend faßte Helene des Meisters Hände. Liebte Ferdinand sie denn nicht genug? Wenn man ein Mädchen wirklich liebt, will man es doch auch zur Frau haben. »Onkel, Onkelchen, nicht wahr, das meinst du doch auch?«

Er streichelte sie, nahm sie zärtlich in seinen Arm: »Na, gewiß doch, mein Lenchen. Aber wer is es denn?«

Das wußte er noch immer nicht? Sie war überrascht. Sie hatte nicht geglaubt, es so gut verborgen zu haben. Leise sagte sie: »Ferdinand Ohm!«

Da ließ der Meister sie los. Er starrte sie an mit groß aufgerissenen Augen. Dann rollten die, und er stieß einen Fluch aus, so greulich, daß sie hell aufschrie.

»Der Ohm?! Der Schubiak! Gott soll ihn verdammen! Der hat ja 'ne Frau! 'ne Frau und zwei Kinder!«


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