Jules Verne
Reise durch die Sonnenwelt. Zweiter Band
Jules Verne

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Sechstes Capitel.

Worin man sich überzeugen wird, daß Palmyrin Rosette alle Ursache hatte, das Material der Kolonie lückenhaft zu nennen.

Inzwischen kreiste die Gallia unter dem Einflusse der Anziehungskraft der Sonne ruhig durch die Planetenräume weiter. Bisher erlitt ihre Bewegung von keiner Seite her eine Störung. Der Planet Nerina, den sie sich bei Durchschreitung der Asteroidenzone geraubt, blieb ihr treu und vollendete gewissenhaft seinen halbmonatlichen Umlauf. Es gewann den Anschein, als sollte das ganze Gallia-Jahr ohne jede Störung verlaufen.

Die Hauptsorge unserer unfreiwilligen Bewohner der Gallia betraf jedoch immer noch die Frage, ob jene zur Erde zurückkehren werde. Hatte sich der Astronom in seinen Berechnungen nicht getäuscht? Durfte man die Bestimmung der neuen Bahn des Kometen und die der Dauer seiner Umlaufszeit für verläßlich ansehen?

Palmyrin Rosette's argwöhnische Natur, die bei den unschuldigsten Fragen nach versteckten Ursachen suchte, erlaubte es nicht, den Wunsch nach einer wiederholten Durchsicht seiner Arbeiten gegen ihn zu äußern.

Hector Servadac, Graf Timascheff und Prokop konnten sich bezüglich dieses Punktes also noch immer nicht beruhigen. Den übrigen Kolonisten ging die ganze Sache gar nicht besonders zu Herzen. Welche Ergebung zeigten sie! Welch' praktische Philosophie! Die Spanier vorzüglich, in ihrer Heimat arme Teufel, waren in ihrem Leben noch niemals so glücklich gewesen. Negrete und seine Gefährten hatten sich noch nie in so günstigen Verhältnissen befunden. Was kümmerte sie die Bahn, welcher die Gallia folgte? Warum sollten sie sich darüber den Kopf zerbrechen, ob die Sonne sie im Kreise ihrer Anziehungskraft erhalten oder jene sich ihr entziehen würde, um durch fremde Himmelsräume zu schweifen? Sie sangen fröhlich und wohlgemuth, und wann konnte es solchen Majos je besser ergehen, als wenn ihre Lieder erklangen?

Die beiden allerglücklichsten Wesen der Colonie waren aber ohne Zweifel der junge Pablo und die kleine Nina. Welch' unterhaltende Ausflüge machten sie mit einander durch die langen Galerien des Nina-Baues oder auf den Felsen des Ufers. Einmal liefen sie über Sehweite hinaus Schlittschuh auf der grenzenlosen Fläche des übereisten Meeres; ein andermal fischten sie am Rande der kleinen Lagune, welche der feurige Lavastrom flüssig erhielt. Alles geschah aber nicht auf Kosten der Unterrichtsstunden bei Hector Servadac. Sie wußten sich schon recht leidlich zu verständigen und jedenfalls verstanden sie sich.

Weshalb sollten sich der Knabe und das kleine Mädchen wegen der Zukunft beunruhigen? Warum die Vergangenheit bedauern?

Eines Tages begann Pablo:

»Hast Du noch Eltern, Nina?«

»Nein, Pablo,« antwortete Nina, »ich bin ganz allein. Und Du?«

»Ich bin auch ganz allein, Nina. – Und was triebst Du früher da unten?«

»Ich hütete meine Ziegen, Pablo.«

»Und ich,« erklärte der junge Knabe, »ich lief Tag und Nacht vor den Pferden der Postwagen her.«

»Doch jetzt sind wir nicht mehr allein, Pablo.«

»Nein, liebe Nina, jetzt gewiß nicht.«

»Der Gouverneur ist unser Papa und der Graf und der Lieutenant sind unsere Onkels.«

»Und Ben-Zouf ist unser Kamerad,« vervollständigte Pablo.

»Die Anderen alle sind so lieb und gut gegen uns,« setzte Nina hinzu. »Man verwöhnt uns, Pablo; wohlan, wir wollen uns nicht verwöhnen lassen. Sie müssen mit uns immer zufrieden sein . . . immer!«

»Du bist so artig, Nina, daß man gezwungen ist, es an Deiner Seite auch zu sein.«

»Ich bin Deine Schwester und Du bist mein Bruder,« sagte Nina ernsthaft.

»Ja wohl, Du hast recht!« antwortete Pablo.

Die Freundlichkeit und das artige Wesen dieser beiden Kinder machten sie bei Allen beliebt. Jeder verschwendete an sie Schmeichelworte und Liebkosungen, von denen auch Marzy, die Ziege, ihren Antheil erhielt. Kapitän Servadac und Graf Timascheff empfanden für sie eine aufrichtige, fast väterliche Zuneigung. Warum sollten sich Jene zurücksehnen, Pablo nach den glühenden Ebenen Andalusiens oder Nina nach den dürren Felsen Siziliens? Ihnen schien es, als ob sie der neuen Welt schon von jeher angehört hätten.

Der Juli kam heran. Während dieses Monats hatte die Gallia nur 132/10 Millionen Meilen in ihrer Bahn zu durchlaufen, während die Entfernung von der Sonne auf etwas über 103 Millionen Meilen anwuchs. Jetzt gravitirte sie also etwa vier und ein halbmal entfernter als die Erde von dem Centrum der Attraction, indeß die Geschwindigkeiten beider Himmelskörper nahezu die gleichen waren. Die mittlere Geschwindigkeit der Erde in ihrer elliptischen Bahn beträgt nämlich 126/10 Millionen Meilen im Monat, oder 17.280 Meilen in der Stunde.

Am 62. Gallia-April erhielt Kapitän Servadac ein lakonisches Briefchen von dem Professor. Palmyrin Rosette gedachte mit diesem Tage die nöthigen Operationen vorzunehmen, um die Masse und Dichtigkeit seines Kometen und die Intensität der Schwerkraft an dessen Oberfläche zu ergründen.

Hector Servadac, Graf Timascheff und Lieutenant Prokop ließen es sich angelegen sein, die ihnen bewilligte Zusammenkunft nicht zu verfehlen. Die vorzunehmenden Experimente interessirten sie freilich in weit geringerem Grade als den Professor, und hätten sie weit lieber erfahren, woraus die metallische Substanz, welche die ganze Gallia zu bilden schien eigentlich bestehe.

Schon am Morgen hatte Palmyrin Rosette Alle um sich versammelt.

Er schien noch bei erträglich guter Laune zu sein; indessen fing der Tag jetzt eben erst an.

Jedermann weiß, was man unter der Intensität der Schwerkraft versteht. Es ist das die Anziehungskraft, welche die Erde auf einen Körper von gewisser Masse ausübt, und man erinnert sich, wie auffallend diese anziehende Kraft auf der Gallia vermindert war – eine Erscheinung, welche sich nothwendiger Weise auch in der scheinbaren Zunahme der Muskelkraft der Kometenbewohner äußerte. Nur das richtige Verhältniß dieser Ab-, resp. Zunahme war bisher unbekannt.

Die Masse wird dargestellt durch die Quantität der Materie, welche einen Körper bildet, und diese Masse findet durch das Gewicht des Körpers ihren Ausdruck. Die Dichtigkeit dagegen ist die Quantität der Materie, welche ein Körper von gegebenem Volumen enthält.

Die erste zu lösende Frage bezog sich also auf die Intensität der Schwerkraft an der Oberfläche der Gallia.

Die zweite Frage lautete: Wie viel beträgt die Quantität der in der Gallia enthaltenen Materie, oder mit anderen Worten, wie groß ist ihre Masse und folglich ihr Gewicht?

Die dritte Frage: wie groß ist die Quantität der in der Gallia enthaltenen Materie gegenüber ihrem Volumen, oder mit anderen Worten, wie groß ist ihre Dichtigkeit?

»Heute, meine Herren,« begann der Professor, »wollen wir nun die Bestimmung der verschiedenen Elemente unseres Kometen vornehmen. Sobald wir die Intensität der Schwerkraft an seiner Oberfläche, seine Masse und Dichtigkeit durch directe Messung kennen lernen, giebt es für uns keine weiteren Geheimnisse. Wir wollen also, kurz ausgedrückt, die Gallia wägen.«

Bei Palmyrin Rosette's letzten Worten war Ben-Zouf in den Saal getreten. Er entfernte sich sofort wieder und kam erst nach einiger Zeit zurück und meldete spöttelnd:

»Ich kann das ganze Hauptmagazin umwühlen, ohne eine Waage zu finden, und übrigens wüßte ich auch gar nicht, wo wir eine solche aufhängen sollten!«

Ben-Zouf sah dabei hinaus in's Freie, als suche er einen passenden Nagel am Himmel.

Ein Blick des Professors und eine nicht mißzuverstehende Bewegung Hector Servadac's brachten diese lose Zunge zum Schweigen.

»Zunächst, meine Herren,« fuhr Palmyrin Rosette fort, »muß ich wissen, wie viel ein irdisches Kilogramm auf der Gallia wiegt. In Folge der geringeren Masse der letzteren ist auch ihre Anziehungskraft eine geringere, und nothwendiger Weise wiegt also jeder Gegenstand auf ihrer Oberfläche entsprechend weniger als auf der der Erde. Eben den Unterschied zwischen beiden Gewichten müssen wir kennen zu lernen suchen.«

»Ganz recht,« bemerkte Lieutenant Prokop, »doch würde eine gewöhnliche Balkenwaage, selbst wenn wir eine solche besäßen, zu dieser Bestimmung nicht dienen können, da ihre beiden Schalen von der Anziehungskraft der Gallia gleichmäßig beeinflußt würden und den Unterschied zwischen dem Gallia-Gewicht und dem Erden-Gewicht nicht sichtbar machen könnten.«

»In der That,« fügte Graf Timascheff hinzu, »ein Kilogrammgewichtsstück z. B. würde ebenso viel an Schwere verlieren wie der damit zu wägende Gegenstand und . . .«

»Wenn Sie glauben, meine Herren,« fiel Palmyrin Rosette ein, »dieser Auseinandersetzungen zu meiner persönlichen Instruction zu bedürfen, so verlieren Sie die Zeit unnütz, und ich ersuche Sie, mich in meiner physikalischen Vorlesung nicht weiter zu unterbrechen.«

Der Professor fühlte sich heute mehr als je auf dem Katheder.

»Besitzen wir eine Schnellwaage und ein Kilogrammgewicht?« fragte er, »damit wäre alles Nöthige besorgt. Eine Schnellwaage zeigt das daran gehängte Gewicht entweder durch eine Stahllamelle oder eine Feder an, welche durch ihre Biegsamkeit und Spannkraft functioniren. Hänge ich ein Kilometergewicht an meine Schnellwaage, so wird diese mir genau anzeigen, wie viel dasselbe auf der Gallia wiegt.

Ich erfahre damit also den Unterschied zwischen der Anziehungskraft der Erde und der der Gallia. Ich widerhole also meine Frage: Besitzen Sie eine Schnellwaage?«

Palmyrin Rosette's Zuhörer sahen sich fragend an. Dann wendete sich Hector Servadac an Ben-Zouf, der das ganze Material der Kolonie gründlich kannte.

»Wir besitzen weder eine Schnellwaage noch ein Kilogewicht!« erklärte dieser.

Der Professor drückte sein Mißfallen über diesen Mangel dadurch aus, daß er mit dem Fuße heftig auf den Boden stampfte.

»Ich glaube aber zu wissen,« fuhr Ben-Zouf fort, »wo sich eine Schnellwaage, vielleicht auch ein Gewichtsstück, finden dürfte.«

»Wo?«

»In der Tartane des Juden.«

»Das hättest Du gleich sagen können, Schwachkopf!« sagte der Professor mit verächtlichem Achselzucken.

»Natürlich werden wir sie sofort holen lassen,« erklärte Kapitän Servadac.

»Ich gehe schon,« versetzte Ben-Zouf.

»Ich werde Dich begleiten,« fuhr Hector Servadac fort, »denn Hakhabut dürfte wahrscheinlich Schwierigkeiten erheben, wenn es sich darum handelt, etwas herzuleihen.«

»Begeben wir uns Alle zusammen nach der Tartane,« meinte Graf Timascheff. »Wir können ja einmal sehen, wie der Jude sich in der Hansa eingerichtet hat.«

Dieser Vorschlag wurde angenommen, doch als Alle sich anschickten, zu gehen, sagte der Professor:

»Graf Timascheff, könnte mir nicht einer Ihrer Leute aus der Felsenmasse der Bergwand einen Würfel von genau einem Decimeter Seite herstellen?«

»Das wird meinem Mechaniker nicht schwer fallen,« antwortete der Gefragte, »freilich unter der Bedingung, daß man ihm ein Maß liefert, um die genaue Länge abnehmen zu können.«

»Sollten Sie hier ebensowenig ein Metermaß wie eine Schnellwaage besitzen?« rief Palmyrin Rosette.

In der That fand sich im Hauptmagazin das verlangte Maß nicht vor, wie Ben-Zouf zu seiner Beschämung gestehen mußte.

»Indessen,« fügte er hinzu, »wäre es doch möglich, daß sich eines an Bord der Hansa fände.«

»So gehen wir dahin!« erwiderte Palmyrin Rosette und verschwand schnellen Schrittes in der langen Hauptgalerie.

Die Uebrigen folgten. Bald darauf erschienen Hector Servadac, Graf Timascheff, Prokop und Ben-Zouf auf dem das Ufer überragenden Felsen. Sie stiegen hinab bis zum Strande und wendeten sich nach der engen Bucht, welche die Dobryna und die Hansa in ihrem Eispanzer gefangen hielt.

Obwohl die Temperatur außerordentlich niedrig war – fünfunddreißig Grad unter Null – konnten sie derselben doch, Dank ihrer guten Kleidung und Verhüllung durch dichte Pelzüberröcke und dicke Mützen, ohne größere Beschwerde trotzen. Daß Bart, Augenbrauen und Wimpern der Männer sich unverzüglich mit feinen Eiskrystallen bedeckten, rührte nur her von dem Gefrieren des Wasserdunstes ihres Athems in der kalten Luft. Ihr Gesicht mit den weißen, feinen, spitzen Eisnadeln, welche ihnen eine gewisse Ähnlichkeit mit Stacheligeln verliehen, machte fast einen komischen Eindruck. Das Antlitz des Professors der bei seiner kleinen Figur schon mehr einem jungen Bären glich, sah jetzt freilich noch abschreckender aus als sonst.

Es war um acht Uhr Morgens. Die Sonne stieg schnell nach dem Zenith zu empor. Ihre durch die ungeheure Entfernung auffallend verkleinerte Scheibe bot etwa den Anblick des Vollmondes bei dessen Culmination. Die Strahlen derselben gelangten hierher ohne fühlbare Wärme zu spenden und verbreiteten auch nur ein wesentlich geschwächtes Licht. Alle Uferfelsen am Fuße des Vulkanes und auch dessen Hauptmassen selbst zeigten noch die makellose Weiße der letzten Schneefälle aus der Zeit, wo sich noch feuchte Dünste in der Atmosphäre der Gallia sammelten. Weiter rückwärts, bis hinauf zu dem rauchenden Gipfel des Kegels, der die ganze Umgebung beherrschte, breitete sich der ungeheure blendende Teppich aus, den keine Fußspur unterbrach. Am nördlichen Abhange floß die Lava-Cascade hinunter.

Dort wich der Schnee dem glühenden Strome, der launenhaft jeder Einsenkung folgend, sich bis zur Oeffnung der Haupthöhle hinabwälzte, von wo aus er senkrecht in's Meer hinabstürzte.

Ueber dieser Höhle, etwa in der Höhe von hundertfünfzig Fuß, gewahrte man an der Bergwand eine dunkle Oeffnung, über der sich ein Arm des vulkanischen Stromes gabelförmig theilte. Aus dieser heraus ragte das Rohr eines astronomischen Teleskopes. Hier war das Observatorium Palmyrin Rosette's.

Auch der Strand erschien völlig weiß und verschmolz ohne sichtbare Grenzlinie mit dem gefrorenen Meere. Als Gegensatz zu diesen weiß blendenden Flächen färbte den Himmel ein dunkles, mattes Blau. Auf dem Strande sah man die Fußspuren der Kolonisten, welche hier täglich zu verkehren pflegten, entweder um Eis zu holen, durch dessen Schmelzung das nöthige Süßwasser gewonnen wurde, oder auch um dem Vergnügen des Schlittschuhlaufens nachzugehen. Die von den Schlittschuhen in die harte Fläche eingeritzten Linien kreuzten sich hier vielfach, ähnlich wie die Kreise, welche Wasserinsecten auf den Teichen hervorzubringen pflegen.

Vom Ufer aus verlief auch eine Spur von Tritten nach der Hansa zu. Diese rührten noch von Isaak Hakhabut aus der Zeit vor dem letzten Schneefalle her. Die aufgeworfenen Ränder rings um diese Fußabdrücke hatten unter dem Einflusse der außerordentlichen Kälte die Härte der Bronze gewonnen.

Zwischen den letzten Ausläufern der Bergmasse und der Bucht, in welcher die beiden Schiffe überwinterten, betrug die Entfernung etwa einen halben Kilometer.

An der Bucht angelangt, machte Lieutenant Prokop darauf aufmerksam, wie sich die Schwimmlinie der Hansa und der Dobryna zunehmend gehoben habe. Die Tartane und die Goëlette überragten die Fläche des Meeres jetzt mindestens um zwanzig Fuß.

»Das ist eine merkwürdige Erscheinung,« sagte Kapitän Servadac.

»Leider eine ebenso beunruhigende als merkwürdige,« antwortete Lieutenant Prokop. »Es spricht das für die enorme Wirkung des Frostes unter dem Rumpfe der Schiffe, wo das Wasser nur eine geringe Tiefe hat. Nach und nach verdickte sich hier die Eismasse und drängt Alles, was sie trägt, mit unwiderstehlicher Kraft in die Höhe.«

»Dieser Proceß wird aber seine Grenze finden?« bemerkte Graf Timascheff.

»Das weiß ich nicht, Vater,« erwiderte Lieutenant Prokop, »denn die Kälte hat ihr Maximum wohl noch nicht erreicht.«

»Wie ich bestimmt hoffe,« fiel der Professor ein. »Es verlohnte sich wahrlich nicht der Mühe, hundertzwanzig Millionen Meilen weit von der Sonne wegzufliegen, um nur eine Kälte gleich der an den Erdpolen anzutreffen.«

»Sie sind sehr freundlich, Herr Professor,« antwortete Lieutenant Prokop. »Zum Glück überschreitet die Kälte im Weltraume niemals sechzig bis siebzig Grad, was, dächt' ich, wohl schon annehmbar wäre.«

»Ei, was da,« warf Hector Servadac dazwischen, »eine Kälte ohne Wind, ist Kälte ohne Schnupfen; wir werden also den ganzen Winter über nicht einmal niesen!«

Inzwischen theilte Lieutenant Prokop dem Grafen Timascheff die Befürchtungen mit, welche ihm die Lage der Goëlette einflößte. Bei der noch fortdauernden Arbeit der Kälte erschien es nicht unmöglich, daß die Dobryna auf eine sehr beträchtliche Höhe gehoben würde. Dann war aber bei eintretendem Thauwetter eine Katastrophe derselben Art zu befürchten, wie sie so häufig die Schiffe der in den arktischen Meeren überwinternden Walfischfänger zu Grunde richten. Doch, was sollte man dagegen thun?

Die kleine Gesellschaft erreichte jetzt die in ihrer Eisschale gefesselte Hansa. Auf Stufen, welche Isaak Hakhabut erst neuerdings in die Schollen geschnitten hatte, gelangte man jetzt ziemlich bequem an Bord. Was würde der Besitzer des Schiffes aber beginnen, wenn seine Tartane vielleicht hundert Fuß in die Luft empor gedrängt wurde? Doch – das war ja seine Sache.

Ein leichter bläulicher Rauch wirbelte aus einem Kupferrohre auf, welches über die auf dem Deck des Schiffes aufgehäuften Schneemassen hinausragte. Der Geizhals verwendete sein Brennmaterial mit äußerster Sparsamkeit, das sah man auf den ersten Blick, und doch mochte er unter der Kälte nicht allzusehr leiden, denn die Eismassen rings um die Tartane bildeten sowohl an und für sich schlechte Wärmeleiter, als sie auch im Innern eine erträgliche Temperatur erhalten mußten.

»Heda! Nebukadnezar!« rief Ben-Zouf.

 


 << zurück weiter >>