Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

IV.
Antekirtta.

Fünfzehn Stunden nach Verlassen des tripolitanischen Gestades wurde der »Electric 2« von den Küstenwachen Antekirtta's avisirt; am Nachmittage drehte er im Hafen bei.

Man begreift unschwer, welcher Empfang dem Doctor und seinen Getreuen bereitet wurde.

Obwohl Sarah sich außer dem Bereiche jeglicher Gefahr befand, wurde dennoch beschlossen, daß man ein unverbrüchliches Schweigen über die Bande beobachten wollte, welche sie mit dem Doctor Antekirtt verbanden.

Graf Mathias Sandorf wollte bis zum vollständigen Gelingen seines Werkes unerkannt bleiben. Doch es genügte, daß Peter, der sein Sohn geworden war, öffentlich mit Sarah Sandorf verlobt wurde, um eine allgemeine Freude, rührende Kundgebungen sowohl im Stadthause als in der ganzen Stadt Artenak hervorzurufen.

Man möge auch nachfühlen, was Frau Bathory empfand, als ihr Sarah nach so vielen Prüfungen zurückgegeben wurde. Das junge Mädchen erholte sich schnell; einige wenige Tage des Glückes stellten sie bald wieder her.

Pointe Pescade hatte sein Leben für sie gewagt, darüber konnte kein Zweifel herrschen. Da er das ganz natürlich fand, so war jede Möglichkeit, ihm in anderer Weise als in Worten Dank abzustatten, ausgeschlossen. Peter hatte ihn an sein Herz gezogen und der Doctor Antekirtt ihn mit so liebevollen Blicken angesehen, daß er nichts weiter hören wollte. Er schob übrigens, seiner Gewohnheit gemäß, das ganze Verdienst bei dem Unternehmen Kap Matifu zu.

»Ihm muß man danken, sagte er wiederholt. Er hat Alles gethan. Wenn mein Kap nicht so große Geschicklichkeit beim Balanciren der Ruthe gezeigt hätte, würde ich nie mit einem Satze in das Haus dieses Schurken Sidi Hazam geflogen sein, und Sarah Sandorf hätte sich bei ihrem Sturze das Leben genommen, wenn mein Kap sie nicht in seinen Armen aufgefangen haben würde.

– Bitte ... bitte ..., sagte Kap Matifu darauf. Du gehst etwas zu weit, und Deine Idee von ...

– Schweige doch, Kap, nahm dann Pointe Pescade wieder das Wort. Teufel auch! Ich bin nicht stark genug, um Complimente dieses Kalibers auszuhalten, während Du ... Komm, wir wollen unseren Garten pflegen!«

Und Kap Matifu schwieg; er kehrte in sein niedliches Landhaus zurück und schließlich nahm er die Glückwünsche an, die man ihm aufzwang, »um dem kleinen Pescade nicht ungehorsam zu sein«.

Es wurde beschlossen, daß die Hochzeit Sarah's und Peter's in kurzer Frist, bereits am 9. December gefeiert werden sollte. Peter, als Gatte Sarah's, sollte dann die Anerkennung ihrer Rechte betreiben, um die Erbschaft des Grafen Sandorf antreten zu können. Der Brief Frau Toronthal's konnte über die Abstammung des jungen Mädchens keinen Zweifel aufkommen lassen und wenn es nöthig sein sollte, würde der Bankier eine formelle Erklärung abgeben müssen. Zweifellos sollte die Constatirung deshalb erst in der genannten Frist erfolgen, weil Sarah noch nicht das Alter zur Geltendmachung ihrer Rechte erreicht hatte. Erst sechs Wochen später wurde sie achtzehn Jahre alt.

Ueber das Schicksal des Spaniers Carpena und des Bankiers Silas Toronthal sollte endgiltig erst nach Einlieferung Sarcany's in die Kasematten von Antekirtta beschlossen werden. Alsdann sollte das Werk der Gerechtigkeit sein Ende erreichen.

Doch zu derselben Zeit, in welcher der Doctor die Mittel überlegte, die ihn an das letzte Ziel bringen mußten, sah er sich ganz nachdrücklich darauf verwiesen, über den wirksamsten Schutz seiner kleinen Kolonie nachzudenken. Seine Agenten in Tripolis und auf der Cyrrhenäischen Halbinsel benachrichtigten ihn, daß die senusistische Bewegung einen immer stärker werdenden Umfang annähme, und zwar namentlich in Ben-Ghazi, das der Insel zunächst gelegen ist. Geheime Couriere stellten zwischen Dscherhbub, »diesem neuen Pol der Welt des Islams«, wie Herr Duveyrier dieses metropolitanische Mekka genannt hat, woselbst der gegenwärtige Großmeister des Ordens, Sidi Mohammed El-Mahdi residirte, und den Führern zweiten Ranges in allen Provinzen eine regelmäßige Verbindung her. Da die Senusisten in Wahrheit nichts weiter als würdige Nachkommen der einstigen berberischen Piraten sind, und da sie jedem Europäer einen tödtlichen Haß entgegenbringen, so mußte der Doctor allerdings sehr auf seiner Hut sein.

Den Senusisten und Niemandem sonst müssen die seit zwanzig Jahren in Afrika verübten Greuelthaten und Massenmorde zur Last gelegt werden. Man hat umkommen sehen: Bourman in Kanem im Jahre 1863, Von der Decken und seine Gefährten auf dem Flusse Djuba 1865, Fräulein Alexine Tinné und die ihrigen 1865 in Uahdi-Abedjuhsch, Dournaux Duperré und Joubert 1874 nahe dem Brunnen von In-Azhar, die ehrwürdigen Väter Paulmier, Bouchard und Ménoret jenseits von In-Cahlah 1876, die Geistlichen Richard, Morat und Pouplard der Mission von Ghadames im Norden von Azdjer, Oberst Flatters, die Hauptleute Masson und de Dianou, den Doctor Guiard, die Ingenieure Beringer und Roche auf der Straße von Marglah im Jahre 1881 – die blutdürstigen Bundesgenossen übersetzten eben die Lehren der Senusisten ins Praktische zum Nachtheile der kühnen Forschungsreisenden.

Ueber diesen Gegenstand unterhielt sich der Doctor oft mit Peter Bathory, Luigi Ferrato, den Kapitänen seiner Flotte, den Führern der Miliz und den Würdenträgern der Kolonie. Würde Antekirtta einem Angriffe der Seeräuber widerstehen können? Ja, zweifellos, obwohl das Ganze der Vertheidigungsanlagen noch nicht beendet worden war und unter der Voraussetzung, daß die Zahl der Angreifer nicht eine zu riesige sein würde. Hatten andererseits die Senusisten einen so großen Vortheil davon, wenn sie sich der Insel bemächtigten konnten? Ja, sie beherrschte den ganzen Golf der Sidra, den die Küsten der Cyrrhenäischen Halbinsel und von Tripolis bilden.

Man wird nicht vergessen haben, daß südöstlich von Antekirtta, in einer Entfernung von zwei Meilen, das Eiland Kencraf aus dem Wasser aufstieg. Dieses Eiland, das man nicht mehr hatte befestigen können, bildete eine Gefahr für den Fall, daß eine feindliche Flotte dasselbe zur Basis ihrer Operationen nehmen würde. Der Doctor hatte deshalb die Vorsicht gebraucht, es unterminiren zu lassen. Ein furchtbares Zerstörungsmittel füllte jetzt die in die Felsen eingelassenen Flatterminen.

Ein elektrischer Funke, durch den unterseeischen Draht, der Antekirtta mit dem Eiland verband, gesandt, war ausreichend, um Kencraf mit Allem, was sich auf ihm befand, zu vernichten.

Hinsichtlich der sonstigen Vertheidigungsmittel der Insel war Folgendes gethan worden. Die in Gebrauchszustand versetzten Küstenbatterien erwarteten nur noch die abzubeordernden Bedienungsmannschaften der Miliz. Das kleine Fort der Centralstelle war vollständig bereit, aus seinen weittragenden Geschützen das Feuer zu eröffnen. Zahlreiche, in die Durchfahrt versenkte Torpedos vertheidigten den Eingang zum kleinen Hafen. Der »Ferrato« und die drei »Electrics« waren für jedes Ereigniß gerüstet, sei es, um den Angriff zu erwarten oder um eine angreifende Flotte zu durchbrechen.

Einen wunden Punkt jedoch bot die Insel auf ihrer südwestlichen Küste. Auf diesem Theile des Ufers, den das Feuer der Strandbatterie und des Forts nicht bestreichen konnte, war eine Landung möglich.

Dort lag die Gefahr und vielleicht war es bereits zu spät, auch an dieser Stelle umfassende Vertheidigungsarbeiten vorzunehmen.

War es nun auch schon ganz gewiß, daß die Senusisten die Absicht hatten, Antekirtta anzugreifen? Es war das im Grunde genommen keine so leichte Unternehmung, sondern eine gefahrvolle Expedition, die viel Aufwand an Material forderte. Luigi zweifelte noch daran. Er ließ eine daraufhin zielende Bemerkung eines Tages fallen, als der Doctor, Peter und er die Befestigungen der Insel inspicirten.

»Ich bin anderer Ansicht, gab der Doctor zur Antwort. Antekirtta ist reich und beherrscht die Syrten-Gewässer. Diese Gründe genügen bereits, um die Insel früher oder später einem Angriffe auszusetzen; die Senusisten haben eben ein übergroßes Interesse daran, sich Antekirttas zu bemächtigen.

– Das ist ganz gewiß so, setzte Peter hinzu und gegen diese Eventualität müssen wir gut gerüstet sein.

– Ich fürchte einen nahe bevorstehenden Angriff auch deswegen, nahm der Doctor von Neuem das Wort, weil Sarcany ein Parteigänger der Senusisten ist, ich weiß sogar, daß er stets ihr Agent im Auslande gewesen ist. Denkt daran, Freunde, daß Pointe Pescade im Hause des Moyaddem eine Unterhaltung zwischen Sidi Hazam und ihm belauscht hat. In dieser Unterredung ist der Name Antekirtta mehrfach genannt worden und Sarcany weiß wohl, daß diese Insel dem Doctor Antekirtt gehört, das heißt dem Manne, den er fürchtet, den er durch Zirone auf den Abhängen des Aetna angreifen ließ. Was ihm dort in Sicilien nicht gelang, wird er jedenfalls hier noch einmal und unter günstigeren Bedingungen versuchen.

– Hat der Mensch einen persönlichen Haß auf Sie, Herr Doctor? fragte Luigi, kennt er Sie?

– Es ist möglich, daß er mich in Ragusa gesehen hat, antwortete dieser. Jedenfalls ist es ihm bekannt, daß ich in jener Stadt Beziehungen zu der Familie Bathory hatte. Ueberdies wurde er an die Existenz Peter's in dem Augenblicke erinnert, als Pointe Pescade aus dem Hause Sidi Hazam's Sarah entführte. Alles das muß sich in seinen Gedanken ineinander gefügt haben. Er kann kaum noch daran zweifeln, daß Peter und Sarah auf Antekirtta ein Asyl gefunden haben. Mehr bedarf es nicht, um gegen uns den vollen Haß der Senusisten zu entflammen, die uns gewiß kein Quartier geben werden, wenn es ihnen gelingt, sich unserer Insel zu bemächtigen.«

Diese Beweisführung war klar genug. Sarcany wußte allerdings noch nicht, daß Doctor Antekirtt eigentlich Graf Mathias Sandorf sei, das stand fest, wohl aber wußte er mehr als genug, um ihm die Erbin von Schloß Artenak entreißen zu wollen. Man wird also wenig erstaunt sein, zu vernehmen, daß er es war, der den Kalifen angespornt hatte, eine Expedition gegen die Kolonie Antekirtta auszurüsten.

Der 3. December war inzwischen herangekommen, ohne daß Anzeichen eines bevorstehenden Angriffes laut geworden wären.

Die Freude, sich endlich vereinigt zu sehen, wiegte Alle in einen schönen Traum, dem sich der Doctor selbst jedoch nicht hingab. Der Gedanke an die nahe bevorstehende Heirat Peter Bathory's und Sarah Sandorf's erfüllte Aller Herzen und Gemüther. Man versuchte im Hinblick auf dieses freudige Ereigniß sich einzureden, daß die schlechten Tage vorüber wären und nicht mehr wiederkehren würden.

Pointe Pescade und Kap Matifu theilten die allgemeine Sicherheit. Sie freuten sich des Glückes der Anderen und darüber, daß sie im beständigen Hochgenusse aller Dinge leben konnten.

»Es ist nicht zu glauben, wiederholte Pointe Pescade.

– Was ist nicht zu glauben? ... fragte Kap Matifu.

– Daß Du ein behäbiger Rentner geworden bist, mein Kap. Ich muß jetzt ernstlich daran denken, Dich zu verheiraten.

– Mich ... zu verheiraten?

– Ja, mit einer hübschen kleinen Frau.

– Warum mit einer kleinen? ...

– Weil es nicht anders geht! Eine riesige schöne Frau! ... Frau Kap Matifu! ... Das würde Dir so passen, nicht wahr? ... Da müssen wir uns schon eine von den Patagoniern holen!«

In Erwartung der Heirat Kap Matifu's, für den man nöthigen Falles bald eine würdige Genossin würde gefunden haben, beschäftigte sich Pointe Pescade ernsthaft mit der Hochzeit Peter's und Sarah Sandorf's. Mit Bewilligung des Doctors arbeitete er einen Plan zu einem Volksfeste aus, mit Spielen, Gesang und Tänzen, Artilleriesalven, großem Festschmaus unter freiem Himmel, einer den Neuvermälten darzubringenden Serenade, Fackelzug und Feuerwerk. Das war sein Element, hierin stand er seinen Mann. Das sollte herrlich werden! Davon sollte man noch lange stets reden.

All' dieser Jubel sollte schon im Keime erstickt werden!

In der Nacht vom 3. zum 4. December – einer ruhigen, doch von dichten Wolken verdunkelten Nacht – ertönte plötzlich die elektrische Klingel in des Doctors Cabinet im Stadthause.

Es war zehn Uhr Abends.

Der Doctor und Peter verließen in Folge dieses Zeichens sofort den Salon, in welchem sie den Abend mit Frau Bathory und Sarah Sandorf verbracht hatten. Im Cabinet angelangt, sahen sie, daß das Zeichen von dem Beobachtungsposten gegeben worden war, der auf dem Centralkegel Antekirtta's die Wache hatte. Fragen und Antworten wurden sofort auf telephonischem Wege hin- und zurückbefördert.

Die Wache benachrichtigte den Doctor, daß auf Südosten eine Flottille herannahe, deren Umfänge man nur undeutlich in der Finsterniß wahrnehmen könne.

»Der Kriegsrath muß sofort zusammentreten,« sagte der Doctor.

Zehn Minuten später traten der Doctor, Peter, Luigi, die Kapitäne Narsos und Köstrik und die Führer der Miliz zu einer Berathung im Stadthause zusammen. Dort wurde ihnen die Mittheilung von der Beobachtung, welche der Wachtposten gemacht hatte. Eine Viertelstunde später hatten sich Alle an den Hafen begeben und auf der äußersten Spitze des großen Dammes, auf dem das Leuchtfeuer aufblitzte, Posto gefaßt.

Von diesem nur wenig über dem Niveau des Meeres gelegenen Punkte aus, war es unmöglich die Flottille zu unterscheiden, was der Beobachtungsposten, der auf dem Centralkegel seinen Platz hatte, wohl konnte. Doch durch Erleuchtung des südöstlichen Horizontes mußte es zweifellos zu ermöglichen sein, die Zahl der Schiffe zu unterscheiden und in welcher Weise sie sich näherten.

Wäre es aber nicht zugleich eine Unvorsichtigkeit gewesen, auf diese Weise die Lage der Insel zu verrathen? Der Doctor glaubte es nicht. Wenn das der erwartete Feind war, so fuhr er auch nicht blind darauf los; er kannte genau die Lage von Antekirtta und nichts war im Stande, ihn von seinem Kurse abzubringen.

Die Apparate wurden also in Thätigkeit gesetzt und mit Hilfe der Tragfähigkeit der beiden in die Weite geschleuderten Strahlenbüschel erleuchtete sich plötzlich ein ziemlich großer Kreisabschnitt des Horizontes.

Die Wachen hatten sich nicht getäuscht. Zweihundert Fahrzeuge wenigstens rückten in einer Linie an, Schebecken, Polaken, Trabacolos, Sacoleven und andere Schiffskörper untergeordneterer Gattung. Kein Zweifel, es war die Flotte der Senusisten, die sich die Seeräuber aus allen Häfen der Küste zusammengeholt hatten. Da keine Brise wehte, so nahten sich die Schiffe mit Hilfe der Ruder der Insel. Für diese verhältnißmäßig kurze Ueberfahrt von dem Festlande nach Antekirtta konnten sie sehr gut der Mithilfe des Windes entbehren. Die Ruhe des Meeres mußte ihren Plänen durchaus förderlich sein, denn sie erlaubte ihnen auch eine Landung unter günstigeren Umständen.

Augenblicklich befand sich die Flotte noch vier bis fünf Seemeilen südöstlich vor Antekirtta. Vor Sonnenaufgang kam sie schwerlich dazu anzulegen. Es wäre aber äußerst unklug gewesen, es dahin kommen zu lassen, das heißt zu einem Erzwingen der Hafeneinfahrt oder einer Landung auf der südlichen Küste Antekirttas, die, wie schon gesagt, höchst ungenügend vertheidigt wurde.

Nach dieser ersten Recognoscirung stellten die elektrischen Apparate ihre Thätigkeit wieder ein und der Himmelsraum tauchte wieder in das Dunkel zurück. Man mußte den Anbruch des Tages abwarten.

Auf Befehl des Doctors sammelte sich sofort die Miliz.

Man mußte sich bereit machen, die allerersten der Coups auszuführen, denn davon hing der ganze Ausgang des Unternehmens ab.

Eines stand jetzt fest, daß nämlich die Angreifer nicht mehr darauf rechnen konnten, die Insel zu überraschen, da das Auswerfen des Lichtes es ermöglicht hatte, sowohl ihre Richtung als auch ihre Anzahl zu erkennen.

Während der ferneren Stunden der Nacht ließ man keine Vorsicht aus den Augen. Der Horizont wurde noch zu verschiedenen Malen beleuchtet, dadurch erhielt man noch genauere Kenntniß von der Position der feindlichen Flotte.

Daß die Angreifer in großer Stärke heranrückten, war nunmehr gewiß. Daß sie mit hinlänglichem Material versehen waren, um das Feuer der Strandbatterien auszuhalten, mußte als selbstverständlich angenommen werden. Artillerie war das einzige, was ihnen vielleicht fehlte. Doch durch die Anzahl der Kämpfer, welche der Oberbefehlshaber der Expedition gleichzeitig an mehreren Punkten der Insel landen konnte, machten sich die Senusisten furchtbar.

Endlich erwachte langsam der Tag und die jungen Strahlen der Sonne begannen die tiefer gelegenen Nebelschichten des Horizontes zu zerstreuen.

Aller Blicke richteten sich auf die offene See hinaus, nach Osten und Süden von Antekirtta.

Die Flotte entwickelte sich jetzt so, daß sie eine lange abgerundete Linie bildete, deren eines Ende sich bestrebte, an die Insel heranzukommen. Wenigstens zweihundert Schiffe konnte man jetzt zählen, darunter einige von dreißig und vierzig Tonnen Tragkraft. Sie konnten vielleicht, Alles in Allem gerechnet, fünfzehnhundert bis zweitausend Mann an Bord haben.

Um fünf Uhr befand sich die Flotte in der Höhe des Eilandes Kencraf. Es mußte abgewartet werden, ob die Feinde dort anlegen und festen Fuß fassen würden, ehe sie die Insel selbst angriffen. Wenn sie das thaten, so lagen die Umstände äußerst günstig. Die vom Doctor ausgeführten Minenarbeiten würden, wenn sie vielleicht auch nicht gleich die ganze Frage zur Entscheidung brachten, dennoch vom Beginn des Gefechtes an eine niederschmetternde Wirkung auf die Senusisten ausüben.

Eine halbe Stunde banger Erwartung verstrich. Man konnte bereits des Glaubens sein, daß die sich nach und nach dem Eilande nähernden Schiffe eine Landung bewerkstelligen würden ... Es wurde aber nichts daraus. Kein Fahrzeug hielt sich dort auf, die feindliche Linie zog sich nach Süden hin mehr in die Länge und ließ das Eiland rechts liegen. Es war nun offenbar, daß Antekirtta direct angegriffen oder besser gesagt noch vor Ablauf einer Stunde umzingelt werden sollte.

»Jetzt bleibt uns nur noch die Vertheidigung,« sagte der Doctor zum Führer der Miliz.

Ein Signal ertönte und die gesammte Besatzung schwärmte vom flachen Lande in die Stadt hinein, woselbst sich Jeder auf seinen ihm schon vorher bezeichneten Platz begab.

Gemäß der Anordnung des Doctors übernahm Peter den Befehl über den südlichen Theil der Befestigungswerke, Luigi über den östlichen. Die Vertheidiger der Insel – höchstens fünfhundert Milizen – wurden so vertheilt, daß sie, wo immer nur der Feind versuchen sollte, die Umgürtung der Stadt zu nehmen, diesem die Front zukehrten. Der Doctor behielt sich vor, von Punkt zu Punkt dahin zu eilen, wo seine Gegenwart erforderlich sein würde.

Frau Bathory, Sarah Sandorf, Maria Ferrato mußten in dem Stadthause bleiben. Die anderen Frauen sollten, falls die Stadt eingenommen würde, mit den Kindern in die Kasematten flüchten, so war es beschlossen, woselbst sie nichts zu befürchten hatten, wenn selbst die Feinde einige Feldgeschütze aufpflanzten.

Die Frage bezüglich des Eilandes Kencraf war nun – zum Nachtheile der Belagerten – gelöst, es blieb noch die Frage hinsichtlich des Hafens offen. Wenn die Flottille das Bestreben zeigte, die Einfahrt zu erzwingen, so hielten die sich kreuzenden Feuer der Forts auf den beiden Dämmen, die Kanonen des »Ferrato«, die Electric-Torpedoboote, die in die Einfahrt gesenkten Torpedos die Feinde gewiß in Raison. Es war das eine günstige Chance, wenn der Angriff auf dieser Seite erfolgte.

Allein – und es war das nur zu wahrscheinlich – der Führer der Senusisten kannte vollständig die Vertheidigungsmittel von Antekirtta und wußte nur zu gut, wie leicht ihm im Süden der Insel ein Landen gemacht wurde. Ein directer Angriff auf den Hafen kam einer unmittelbaren und vollständigen Vernichtung gleich. Es war daher in der That der Plan entworfen worden, eine Landung auf der Südseite vorzunehmen, welche sich für diese Operation vorzüglich eignete. Daher ließ man die Einfahrt zum Hafen genau so unbeachtet, wie man das Eiland Kencraf nicht besetzt hatte und die ganze Flottille wendete sich nunmehr mit Hilfe der Ruder dem schwächsten Punkte Antekirtta's zu.

Der Doctor traf, sobald er das Manöver der Feinde durchschaut hatte, die Maßregeln, welche ihm die jetzige Lage der Dinge vorschrieb. Die Kapitäne Köstrik und Narsos bestiegen je eines der Torpedoboote, die bereits mehrere Matrosen bargen und fuhren mit denselben aus dem Hafen hinaus.

Eine Viertelstunde später warfen sich die »Electrics« auf die feindliche Flotte; sie durchbrachen deren Linie, sprengten fünf bis sechs Schiffe in die Luft und bohrten ein Dutzend in den Grund. Die Anzahl der Angreifer war aber eine so beträchtliche, daß die beiden Kapitäne befürchten mußten, ihre Schiffe würden geentert werden, wenn sie nicht schleunigst den Schutz der Hafendämme aufsuchten.

Inzwischen hatte der »Ferrato« Position genommen und begann die Beschießung der Flottille; allein seine Kugeln, welche wirksam durch diejenigen der Batterien secundirt wurden, reichten nicht hin, zu verhindern, daß das Gros der Piraten die Landung versuchte. Obwohl schon eine beträchtliche Anzahl ihren Tod gefunden hatte, obwohl gewiß an zwanzig Fahrzeuge kampfunfähig gemacht worden waren, waren noch immer an tausend Mann da, um die Klippen im Süden zu ersteigen, denen man sich in Folge der Ruhe des Meeres bequem nähern konnte.

Nun sah man auch, daß die Senusisten über Artillerie verfügten. Die größten Schebecken führten auf rollende Laffetten gehobene Feldgeschütze mit sich. Sie konnten sie auf diesem Punkte der Küste ziemlich unbehelligt ans Land bringen, der außerhalb des Bereiches der Kanonen der Stadt und selbst der Geschütze in dem Fort auf dem Centralkegel gelegen war.

Der Doctor, der auf dem vordersten Vorsprunge stand, hatte diese ganze Operation genau verfolgt. Ihr sich widersetzen, wäre unmöglich gewesen, denn er mußte sein relativ schwaches Personal berücksichtigen. Seine Stärke lag im Kampfe hinter Mauern und in diesem Falle war es sehr zweifelhaft, ob die Belagerer, so zahlreich sie waren, den Sieg erringen würden.

Diese hatten zwei Colonnen gebildet, beide führten Geschütze in ihren Reihen. Sie marschirten ohne Deckung zu suchen, mit jener sorglosen Tapferkeit des Arabers, mit jener fanatischen Kühnheit, wie sie nur Todesverachtung, die Hoffnung auf Plünderung und der Haß gegen die Europäer erzeugen kann.

Als sie auf Schußweite nahe gekommen waren, spieen die Batterien ihren Eisenhagel aus. Mehr als hundert stürzten, doch die Anderen wichen nicht zurück. Ihre Feldgeschütze wurden gerichtet, und bald hatten sie in eine Mauerwand Bresche gelegt, welche eine Ecke des noch nicht fertiggestellten südlichen Mittelwalles bildete.

Ihr Führer, der inmitten der um ihn Fallenden seine Kaltblütigkeit vollständig bewahrte, leitete den Angriff. Sarcany, der neben ihm stand, feuerte ihn an, eine Sturmcolonne von mehreren hundert Mann auf die Bresche zu dirigiren.

Doctor Antekirtt und Peter Bathory erkannten Letzteren von fern. Er erkannte sie ebenfalls.

Eine compacte Masse der Angreifer wälzte sich jetzt auf das Loch in der Mauer zu, welches ihnen Durchlaß gewähren konnte. Wenn es ihnen gelang, durch die Bresche zu dringen, wenn sie die Stadt besetzten, so waren die Belagerten, die zu schwach waren, um Widerstand zu leisten, gezwungen, den Platz zu räumen. Bei dem heißblütigen Temperament der Piraten wäre dem Sieg unmittelbar ein allgemeines Blutbad gefolgt.

Der Kampf, Körper an Körper, wurde auf diesem Punkte furchtbar. Unter den Augen des Doctors, der furchtlos in der Gefahr und wie unverwundbar inmitten des Kugelregens blieb, verrichteten Peter Bathory und seine Gefährten wahre Wunder des Muthes. Pointe Pescade und Kap Matifu unterstützten sie mit einer Kühnheit, die nur durch ihr Geschick, jedem Hiebe aus dem Wege zu gehen, aufgewogen wurde.

Der Hercules, in der einen Hand ein Messer, in der anderen eine Axt, schaffte gewaltig um sich her einen leeren Raum.

»Kräftig, mein Kap, kräftig! ... Schlage sie nieder!« feuerte Pointe Pescade ihn an, dessen flink abgefeuerter und wieder geladener Revolver wie eine kleine Mitrailleuse dazwischen knatterte.

Doch der Feind wich nicht. Nachdem er mehreremale durch die Bresche zurückgedrängt worden war, schien er nun so weit zu sein, dieselbe endgiltig nehmen und in die Stadt selbst einrücken zu können, als sich in seinen hinteren Reihen plötzlich eine Bewegung bemerkbar machte.

Dem »Ferrato« war es gelungen, in der Entfernung von nur drei Ankerlängen vom Ufer unter geringem Dampf beizudrehen. Von dort aus griff er die Senusisten mit seinen Schiffskanonen, die sämmtlich über einen Bord gerichtet waren, mit seinem langen Jagdgeschütz, seinen Hotchkiß-Revolverkanonen und seinen Gatlings-Mitrailleusen, welche die Feinde wie die Sichel das Getreide niedermähten, plötzlich im Rücken an; er schoß sie am Ufer in Grund und Boden und zerstörte und durchlöcherte gleichzeitig ihre Schiffe, die am Fuße der Klippen vor Anker gegangen oder festgebunden worden waren.

Das war ein schmerzlicher und den Senusisten höchst unerwartet kommender Schlag. Sie wurden jetzt nicht nur im Rücken angegriffen, sondern es wurde ihnen auch jedes Fluchtmittel genommen, falls es dem »Ferrato« gelang, mit seinen Geschossen ihre Fahrzeuge in tausend Stücke zu schießen.

Die Stürmenden standen deshalb vor der Bresche still, welche die Miliz hartnäckig vertheidigt hatte. Schon mehr als fünfhundert hatten den Tod auf dem Ufer gefunden, trotzdem war die Anzahl der Belagerer im Verhältniß noch keine geringere geworden.

Der Oberbefehlshaber sah ein, daß er unverzüglich das Meer erreichen mußte, falls er nicht seine Leute einem gewissen und vollständigen Untergange weihen wollte. Vergebens versuchte Sarcany ihn zu bewegen, die Stadt zu nehmen, der Befehl zum Rückzuge auf das Meer wurde gegeben und die Senusisten führten diese Rückzugsbewegung mit derselben Gleichgiltigkeit aus, als wenn ihnen befohlen worden wäre, sich bis auf den letzten Mann tödten zu lassen.

Es sollte jedoch den Seeräubern noch eine Lehre verabfolgt werden, die ihnen nie aus der Erinnerung kommen konnte.

»Vorwärts, Freunde! rief der Doctor, Vorwärts!«

Unter den Befehlen Peter's und Luigi's warfen sich an hundert Milizen auf die Fliehenden, die dem Ufer zuhasteten. Zwischen die Feuer der Schiffskanonen des »Ferrato« und der Wallgeschütze der Stadt genommen, mußten sie bald weichen. Die Unordnung in ihren Reihen wurde allgemein und man sah sie sich in sieben oder acht Fahrzeuge flüchten, welche die Lagen aus der Breitseite des »Ferrato« verschont hatten.

Peter und Luigi erstrebten mitten im Gewimmel nur eines einzigen Menschen habhaft zu werden, Sarcany's. Sie wollten ihn durchaus lebendig fangen und entkamen nur durch ein Wunder den Revolverschüssen, die der Elende ihnen mehrfach zusandte.

Allein noch einmal schien ihn das Schicksal der Vergeltung entziehen zu wollen.

Sarcany und der Senusistenführer, gefolgt von einem Dutzend Männer, hatten glücklich eine kleine Polake erreicht, deren Anker bereits aufgewunden wurde und die schon manövrirte, um die offene See zu erreichen. Der »Ferrato« war zu weit entfernt, als daß man ihm hätte ein Zeichen geben können, das Schiffchen zu verfolgen; es schien entschlüpfen zu wollen.

In diesem Augenblick sah Kap Matifu ein Feldgeschütz im Sande liegen, dessen Laffette zerschossen war.

Auf das noch geladene Geschütz zustürzen, es mit übermenschlicher Kraft auf ein Felsstück legen, sich gegenstemmen, um es auf seinem Platze an seinen Zapfen festzuhalten, war das Werk eines Augenblickes. Ebenso schnell hatte er mit Donnerstimme gebrüllt: »Hierher, Pointe Pescade, hierher!«

Pointe Pescade folgte sofort dem Rufe Kap Matifu's, er sah, was sein Kap gethan hatte, er begriff und richtete die Kanone, welche von der lebendigen Laffette gestützt wurde, auf die Polake. Dann feuerte er ab.

Das Geschoß traf das Hintertheil des Fahrzeuges und zerschmetterte es ... Der Hercules hatte von dem Zurückweichen des Geschützes kaum einen leisen Ruck abbekommen.

Der Befehlshaber der Senusisten und seine Genossen versanken in den Fluthen, woselbst die Meisten umkamen. Sarcany kämpfte noch mit der Brandung, als Luigi sich bereits flink in das Meer geworfen hatte.

Einen Augenblick später wurde Sarcany von den breiten Händen Kap Matifu's in Empfang genommen, die sich über ihm schlossen.

Der Sieg war ein vollständiger. Von den zweitausend Feinden, welche die Insel angegriffen hatten, entgingen kaum einige hundert der Vernichtung und erreichten den heimischen Boden.

Man durfte hoffen, daß Antekirtta auf viele Jahre hinaus nicht mehr der Zielpunkt dieser Räuberbande sein würde.


 << zurück weiter >>