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Vierzehntes Kapitel.

Am gleichen Tage, als Sylvius Hog Bergen verlassen hatte, hatte sich in dem Gasthofe von Dal ein Vorgang von bitterm Ernste abgespielt.

Es war wirklich ganz so, wie wenn nach der Abreise des Professors Huldas und Joels guter Genius mit seiner letzten Hoffnung alles Leben aus dieser Familie hinweg geführt hätte; ganz so, als ob der Professor eine Grabesstätte hinter sich gelassen hätte!

Während der beiden Tage kam zudem nicht ein einziger Tourist nach Dal; Joel bekam also keinen Anlaß zur Abwesenheit: er konnte bei der Schwester verweilen, die er auch nur mit Angst und Unruhe allein gelassen haben würde.

Frau Hansen geriet nämlich immer mehr unter die Herrschaft ihrer heimlichen Sorgen. Es schien beinahe, als ob sie aller Teilnahme am Schicksal ihrer Kinder, ja auch am Untergange des »Viken« verlustig ginge. Sie lebte abgesondert für sich, schloß sich in ihre Stube ein, ließ sich bloß zur Essenszeit sehen. Wenn sie aber an Hulda oder Joel einmal ein Wort richtete, so geschah es immer nur, um ihnen verblümt oder unverblümt Vorhalte über das Lotterielos zu machen, dessen sie sich um keinen Preis entäußern mochten.

Kaufangebote auf dieses Los liefen nämlich noch immer ein; nach wie vor, aus allen Teilen der Welt. Es war tatsächlich, als hätte sich gewisser Gehirne eine Art von Narrheit bemächtigt. Nein! daß einem solchen Lose nicht der Hauptgewinn von 100 000 Mark im voraus bestimmt sein müsse, schien ganz unmöglich zu sein! es konnte sozusagen in dieser ganzen Lotterie außer dieser Nummer 9672 überhaupt keine andere Nummer weiter befindlich sein! Der Engländer aus Manchester und der Amerikaner aus Boston überboten einander noch immer um die Wette; der Engländer hatte seinen Rivalen um ein paar Pfund ausgestochen, war aber von diesem bald wieder um ein paar hundert Dollar geschlagen worden. Das letzte Gebot betrug 8000 Mark – einzig und allein erklärlich durch eine richtige Monomanie, sofern hierbei nicht Eigendünkel zwischen Amerika und Großbritannien eine Rolle spielte.

Gleichviel, Hulda verhielt sich gegen all diese Angebote, so vorteilhaft sie auch waren, ablehnend: und das wurde schließlich Ursache zu den bittersten Worten von seiten Frau Hansens.

»Wenn ich dir nun befehlen würde, dich dieses Loses zu entäußern!« sagte sie eines Tages zu ihrer Tochter; »jawohl! wenn ich dir das befehlen wollte!«

»Mutting! es würde mich tief unglücklich machen; aber ich müßte dir antworten, daß ich deinem Befehle nicht Folge leisten könne!«

»Wenn es aber sein müßte!«

»Mutting! und warum müßte es sein?« fragte Joel.

Frau Hansen gab hierauf keine Antwort. Sie war leichenblaß geworden ob dieser klar gestellten Frage und begab sich, unverständliche Worte murmelnd, in ihre Stube.

»Es muß doch was Ernstes bei Mutting in Frage stehen: doch sicher eine Sache zwischen ihr und diesem Sandgoist!« sagte Joel.

»Gewiß, Bruder! wir werden uns wohl auf schlimme Dinge gefaßt machen müssen!«

»Arme Schwester! sind wir denn nicht schon schlimm genug dran seit ein paar Wochen? Was für ein Unglück kann uns noch bedrohen?«

»Ach! wie lange Herr Sylvius ausbleibt! Wenn er hier ist, dann fühle ich mich ruhiger ...«

»Was könnte er denn aber für uns tun?« erwiderte Joel.

Was für Dinge in Frau Hansens Vergangenheit waren es nun aber, die sie ihre Kinder nicht wissen lassen mochte? welche irrige Eigenliebe verhinderte sie daran, ihnen den Grund zu ihrer Angst mitzuteilen? Hatte sie sich denn irgend welchen Vorwurf zu machen? Und andererseits, warum dieser Druck, den sie auf ihre Tochter mit Ole Kamps Lotterielos und mit dem Geldwert, zu dem es gelangt war, ausüben wollte? woher kam es, daß sie sich so erpicht daraus zeigte, diesen Geldwert zu erlangen? Hulda und Joel sollten es endlich erfahren!

Am 4. Juli morgens hatte Joel seine Schwester zu der kleinen Kapelle hin geführt, wo Hulda täglich für das Seelenheil des Schiffbrüchigen betete.

Er wartete dann draußen auf sie und führte sie nach Hause zurück.

Heute aber sahen sie auf ihrem Rückwege beide zugleich die Mutter raschen Schrittes unter den Bäumen dem Gasthofe zueilen.

Die Mutter war nicht allein. Ein Mann ging neben ihr her – ein Mann, der mit lauter Stimme sprach, und dessen Gebärden keinen Widerspruch zu leiden schienen.

Hulda war, zugleich mit Joel, jäh stehen geblieben.

»Wer ist der Mensch?« fragte Joel.

Hulda ging ein paar Schritte voraus.

»Ich kenne ihn wieder,« sagte sie.

»Du kennst ihn wieder?«

»Ja! es ist Sandgoist!«

»Sandgoist aus Drammen? der schon einmal da war, als ich nicht zu Hause war?«

»Ja!«

»Der sich als Herr aufspielte? ... als wenn er Rechte an die Mutter ... vielleicht gar uns hätte?«

»Ja! er selber, Bruder, und von diesen Rechten scheint er heute Gebrauch zu machen!«

»Von was für Rechten? ... ha! diesmal werde ich wohl hören, was sich dieser Mensch hier herausnehmen zu dürfen meint!«

Joel tat sich sichtlich Zwang an. Von der Schwester gefolgt, suchte er abseits zu gelangen.

Wenige Minuten später erreichte Frau Hansen mit Sandgoist die Gasthofstür. Sandgoist schritt zuerst über die Schwelle. Hinter ihm und Frau Hansen schloß sich die Tür. Sie traten zusammen in die große Stube und setzten sich dort.

Joel näherte sich mit Hulda dem Hause, aus welchem Sandgoists greinende Stimme drang. Sie blieben stehen. Sie lauschten. Nun sprach Frau Hansen. Aber ihre Stimme klang flehend.

»Gehen wir hinein!« sagte Joel.

Beklommenen Herzens trat Hulda, zitternd vor Ungeduld, auch vor Zorn, Joel ein; sie schlossen die Tür hinter sich sorgsam.

Sandgoist saß in dem hohen Lehnstuhl. Er rückte nicht einmal von seinem Platze, als er Bruder und Schwester erblickte, wendete bloß flüchtig den Kopf und betrachtete die beiden jungen Leute durch seine Brille.

»Ei, sieh! die niedliche kleine Hulda, sofern ich nicht irre?« sagte er in einem Tone, der Joel im höchsten Maße mißfiel.

Frau Hansen stand vor diesem Menschen in demütiger, schüchterner Haltung. Aber plötzlich richtete sie sich auf und schien sehr unangenehm berührt, als sie ihre Kinder sah.

»Und das ist wohl ihr Bruder? doch ganz gewiß?« setzte Sandgoist hinzu.

»Jawohl! ihr Bruder!« erwiderte Joel. Dann trat er vor und blieb zwei Schritte vor dem Lehnstuhl stehen ... »Was steht zu Diensten?« fragte er kurz.

»Das werden Sie bald erfahren, junger Mann!« erwiderte Sandgoist; »Sie kommen wahrhaftig gerade recht! habe schon halb und halb auf Sie gewartet, und wenn Ihre Schwester vernünftig ist, so werden wir uns wohl verständigen. – Aber setzen Sie sich doch! Sie auch, junges Fräulein!«

Sandgoist lud sie zum Sitzen ein, ganz, als ob er bei sich zu Hause wäre. Joel gab ihm das zu verstehen.

»Ei, ei! das verdrießt Sie? Saperlot! ein Junge, mit dem nicht gut Kirschen essen!«

»Ganz wie Sie sagen,« versetzte Joel, »auch keiner, der von Leuten sich Höflichkeiten bieten läßt, die kein Recht ihm welche anzubieten haben!«

»Joel!« rief Frau Hansen.

»Bruder! ... Bruder!« stimmte Hulda der Mutter bei mit einem flehentlichen Blicke, daß Joel an sich halten möge.

Joel tat sich die äußerste Gewalt an, seinen Zorn zu meistern, und um nicht der Lust zu unterliegen, den groben Patron zur Tür hinaus zu werfen, zog er sich in einen Winkel der Stube zurück.

»Darf ich nun reden?« fragte Sandgoist.

Ein zustimmendes Zeichen von Frau Hansen war alles, was ihm als Antwort zuteil wurde. Wie es den Anschein hatte, war ihm das vollauf genügend.

»Es handelt sich nämlich um Folgendes,« hub er an, »und ich bitte Sie alle drei, mir recht aufmerksam zuzuhören, denn ich bin kein Freund davon, einmal Gesagtes zu wiederholen.«

Er drückte sich, wie man nur allzu deutlich merkte, ganz aus wie jemand, der sich im Rechte meinte, seinen Willen durchzusetzen.

»Aus den Zeitungen habe ich Kenntnis bekommen von dem Abenteuer eines gewissen Ole Kamp,« fuhr er fort, »eines jungen Bergener Seemanns, und von einem Lotterielose, das er in dem Augenblicke, als sein Schiff unterging, an seine Braut Hulda abgeschickt hat. Ich habe auch davon Kenntnis, daß man unter dem Volke diesem Lose, zufolge der Umstände, unter denen es wieder aufgefunden worden, übernatürlichen Wert beimißt, daß man von ihm meint, es werde oder müsse bei der Ziehung mit einem Haupttreffer herauskommen. Auch das ist mir zu Ohren gekommen, daß dem Fräulein Hulda ganz Bedeutende Summen für dieses Los geboten worden sind.«

Einen Augenblick schwieg er. Dann fragte er:

»Ist das richtig?«

Die Antwort auf diese letzte Frage ließ auf sich warten.

»Jawohl! ... stimmt!« sagte Joel ... »was noch?«

»Was noch?« versetzte Sandgoist ... »daß all diese Preisgebote auf dummem Aberglauben beruhen, das ist meine feste Ansicht. Schließlich sind sie aber gemacht worden und werden, wie ich mir denke, noch zunehmen, je näher der Ziehungstag kommt. Ich bin nun Kaufmann und denke mir nun weiter, daß in der Sache ein Geschäft liegt, das sich für meine Rechnung famos ausnutzen ließe! Drum habe ich mich gestern von Drammen nach Dal auf den Weg gemacht, um über die Cession dieses Loses zu verhandeln und Frau Hansen um das Vorkaufsrecht dabei zu bitten.«

Im ersten Aufwallen ihrer Empfindung war Hulda im Begriff, Sandgoist die gleiche Antwort zu geben, mit der sie alle derartigen Ansinnen abgewiesen hatte, obwohl das jetzige nicht an sie persönlich gerichtet war – als Joel ihr das Wort vom Munde abschnitt.

»Bevor dem Herrn Sandgoist eine Antwort gegeben wird,« sagte er, »möchte ich die Frage an ihn stellen, ob ihm bekannt ist, wem dieses Los gehört?«

»Ei, Fräulein Hulda Hansen, meine ich.«

»Nun, dann muß doch auch Hulda Hansen gefragt werden, ob sie Lust hat, sich des Loses zu entäußern.«

»Aber, Joel!« ... rief Frau Hansen.

»Laßt mich ausreden, Mutter!« fuhr Joel fort; »hat dies Los nicht von Rechts wegen Ole Kamp gehört? und hat Ole Kamp nicht das Recht besessen, es seiner Braut zu vermachen?«

»Unbestreitbar,« erwiderte Sandgoist.

»Wer das Los in seinen Besitz bringen will, muß sich also an Hulda Hansen wenden.«

»Meinetwegen, Herr Silbenstecher,« antwortete Sandgoist – »ich stelle also an Fräulein Hulda Hansen die Frage, ob sie mir das Los mit der Nummer 9672, das ihr von Ole Kamp vermacht worden ist, abtreten will.«

»Herr Sandgoist,« erwiderte mit fester Stimme das Mädchen, »mir sind schon sehr viele Gebote auf das Los gemacht worden, aber umsonst. Deshalb werde ich auch Ihnen die gleiche Antwort geben, wie all ihren Vorgängern. Wenn mir mein Bräutigam dies Los mit seinem letzten Lebewohl übermittelt hat, so doch in der Absicht, daß ich es behalten, nicht aber verkaufen solle. Ich kann mich deshalb dieses Loses um keinen Preis entäußern.«

Mit diesen Worten wollte Hulda das Zimmer verlassen, weil sie meinte, die Unterhaltung müsse, soweit sie sich auf sie bezöge, durch ihre Ablehnung zu Ende sein. Auf einen Wink ihrer Mutter blieb sie.

Frau Hansen hatte sich einer Gebärde des Verdrusses nicht erwehren können, und Sandgoist zeigte durch Stirnrunzeln und einen Blitz aus seinen Augen, daß sich der Zorn seiner zu bemächtigen anfing.

»Jawohl! bleiben Sie da, Hulda,« sagte er; »das ist Ihr letztes Wort nicht, und wenn ich auf meinem Willen beharre, so geschieht es, weil ich das Recht hierzu habe. Ich meine übrigens, mich schlecht ausgedrückt zu haben, oder vielmehr, schlecht von Ihnen verstanden worden zu sein. Daß die Chancen des Loses dadurch nicht gestiegen sind, weil es von der Hand eines Schiffbrüchigen in eine Flasche gesteckt und gerade zur rechten Zeit aufgefischt wurde, ist doch klar. Aber mit einem Publikum, das vom Narren am Seil geführt wird, ist vernünftig doch nicht zu reden, und daß es viele Menschen gibt, die das Los in ihren Besitz zu bringen wünschen, steht außer Zweifel. Es haben sich ihrer schon genug gefunden, die es kaufen wollen, und es werden sich ihrer noch mehr finden. Ich wiederhole, die Sache ist ein Geschäft, und als Geschäft sollen Sie mein Angebot auffassen.«

»Meiner Schwester das begreiflich zu machen, wird Ihnen wohl noch manche Mühe machen,« antwortete Joel ironisch; »während Sie zu ihr als Geschäftsmann reden, antwortet sie Ihnen als gefühlvolles Weib.«

»Alles bloß Redensarten, junger Mann!« erwiderte Sandgoist, »und wenn ich mit meiner Auseinandersetzung zu Ende bin, werden Sie sehen, daß es sich nicht bloß um ein gutes Geschäft für mich, sondern auch für Hulda handelt. Ich setze hinzu: auch um ein gutes Geschäft für Ihre Mutter, die bei der Sache unmittelbar beteiligt ist.«

Joel und Hulda wechselten einen Blick ... sollten sie jetzt erfahren, was ihnen Frau Hansen bislang verborgen hatte?

»Ich fahre fort,« sagte Sandgoist ... »Daß mir dieses Los für den Preis überlassen werde, den Sie Kamp dafür bezahlt hat, habe ich nicht verlangt. Nein! ... Mit Unrecht oder mit Recht hat das Los einen gewissen Handelswert erlangt. Darum bin ich ja geneigt, ein Opfer zu bringen für seinen Besitz.«

»Es ist Ihnen doch gesagt worden,« erwiderte Joel, »daß Hulda schon weit höhere Gebote abgewiesen hat, als Sie zu bezahlen imstande sein würden ...«

»Wirklich!« rief Sandgoist, »höhere Gebote als ich zu bezahlen imstande sein würde? Und woher wissen Sie das?«

»Die Gebote mögen lauten wie sie wollen: meine Schwester lehnt es ab, darauf einzugehen, und ich billige ihr Verhalten ...«

»Der Tausend! habe ich denn mit Joel Hansen zu verhandeln oder mit Hulda Hansen?«

»Meine Schwester und ich sind eins,« entgegnete Joel; »das lassen Sie sich gesagt sein, mein Herr, denn Sie scheinen es nicht zu wissen.«

Sandgoist zuckte, ohne sich aus der Fassung bringen zu lassen, mit den Achseln. Dann fuhr er fort, wie jemand, der sich seiner Gründe sicher weiß:

»Statt daß ich von einem Preise als Gegenwert für das Los redete, hätte ich lieber sagen sollen, daß ich Ihnen derartige Vorteile zu bieten habe, daß Hulda, wenn sie das Interesse ihrer Angehörigen wahrnehmen will, sie gar nicht von der Hand wird weisen können.«

»Was Sie sagen!«

»Und nun, mein Bursche, sollen Sie Ihrerseits wissen, daß ich durchaus nicht nach Dal hinüber gekommen bin, um Ihre Schwester fußfällig zu bitten, daß sie mir dies Los cediert! Nein! schockschwerenot! nein!«

»Was wünschen Sie denn dann?«

»Ich wünsche gar nichts, ich fordere ... ich will!«

»Und mit welchem Rechte,« rief da Joel, »mit welchem Rechte wagen Sie es, Sie! ein Fremder! im Hause meiner Mutter solche Sprache zu führen?«

»Mit dem Rechte, das jeder besitzt,« antwortete Sandgoist, »zu reden, wann und wie es ihm beliebt, wenn er bei sich zu Hause ist!«

»Bei sich zu Hause!«

Auf den Gipfelpunkt der Empörung getrieben, schritt Joel auf Sandgoist zu, der sich, obwohl er so leicht nicht erschrak, mit einem Ruck aus dem Lehnstuhl geschnellt hatte. Aber Hulda hielt ihren Bruder zurück, während Frau Hansen, den Kopf in die Hände vergrabend, bis zum andern Ende der Stube zurückwich.

»Bruder! ... sieh doch die Mutter an!« rief das Mädchen.

Joel blieb jäh stehen. Der Anblick seiner Mutter hatte seine Wut gelähmt. Alles in ihrer Haltung sprach deutlich, bis zu welchem Grade Frau Hansen in der Gewalt dieses Sandgoist war!

Dieser aber fühlte sich im Nu wieder als der Ueberlegene, sobald er Joels Zaudern bemerkte, und setzte sich wieder in den Stuhl, aus dem er eben gesprungen war.

»Jawohl, bei sich zu Hause!« rief er mit einer Stimme, die noch drohender war, als bisher, »seit ihres Mannes Tode hat sich Frau Hansen in Spekulationen gestürzt, die nicht geglückt sind! sie hat das bißchen Vermögen in Gefahr gesetzt, das Euer Vater bei seinem Tode hinterlassen hat. Sie hat Geld bei einem Bankier in Christiania aufnehmen müssen. Als sie sich keinen Rat mehr wußte, hat sie 15 000 Mark Hypothek auf das Haus hier eintragen lassen, und diese Hypothek habe ich, Sandgoist, vom Darleiher abgelöst. Wenn ich bei Verfall der Hypothek, was in nächster Zeit der Fall ist, nicht voll bezahlt werde, geht Haus und Hof in mein Eigentum über, mein Junge!«

»Und wann ist der Verfalltag?« fragte Joel.

»Am 20. Juli, also in 18 Tagen,« erwiderte Sandgoist; »und an diesem Tage werde ich, gleichviel ob es Ihnen recht sein wird oder nicht, hier bei mir zu Hause sein!«

»Erst dann werden Sie hier bei sich zu Hause sein,« versetzte Joel, »wenn Sie bis dahin Ihr Geld nicht bekommen haben. Deshalb verbiete ich Ihnen, in solcher Weise, wie Sie es tun, vor meiner Mutter und meiner Schwester zu sprechen!«

»Er mir verbieten! ... er mir! ...« rief Sandgoist; »und verbietet es mir denn seine Mutter?«

»Aber so sprecht doch, Mutter!« rief Joel, auf Frau Hansen zutretend, in der Absicht, ihr die Hände vom Gesicht zu entfernen.

»Joel! ... Bruder!« rief Hulda ... »aus Mitleid mit ihr ... beruhige dich, fasse dich! ... ich bitte dich drum!«

Frau Hansen blieb gebückt stehen; sie wagte es nicht, ihrem Sohne ins Auge zu sehen: war es ja doch nur allzu wahr, daß sie wenige Jahre nach ihres Mannes Tode versucht hatte, ihr Vermögen durch gewagte Geschäfte zu mehren. Das bißchen Bargeld, über das sie gebot, war rasch aufgebraucht. Bald hatte sie Geld zu hohen Zinsen aufnehmen müssen, und jetzt war eine auf ihrem Hause als Hypothek eingetragene Schuld diesem Sandgoist aus Drammen, einem herzlosen Menschen und anrüchigen Wucherer, den man im ganzen Lande verabscheute, in die Hände geraten! Frau Hansen hatte ihn zum erstenmale gesehen an dem Tage, als er nach Dal hinüber gekommen war, um den Gasthof nach seinem Werte zu schätzen.

Das also war das Geheimnis, das auf dem Leben der Mutter lastete! darum ihre gebrochene Haltung! darum ihre Zurückgezogenheit, ihre Abgeschlossenheit, als wenn sie sich vor ihren Kindern hatte verstecken wollen! das also war es, was sie den Kindern, deren Zukunft sie gefährdet hatte, nie hatte sagen wollen!

Hulda wagte kaum auszudenken, was sie eben gehört hatte. Ja! Sandgoist war der Mann danach, das was er wollte, durchzusetzen, zu erreichen! In 14 Tagen würde das Los, dessen Besitz er heute begehrte, wertlos sein; und wenn sie es ihm nicht ausfolgte, dann waren sie am Bettelstabe! dann wurde das Haus versteigert! dann waren sie alle zusammen in Not und Elend!

Hulda wagte nicht, die Augen zu Joel aufzuschlagen. Wer Joel, vom Zorne übermannt, wollte von Drohungen für die Zukunft nichts wissen. Er sah bloß Sandgoist; und wenn dieser Mensch noch einmal so spräche, wie er es in seiner Gegenwart getan, dann würde er nicht für sich einstehen können.

Sandgoist fühlte sich als Herr der Situation ... er wurde härter, schärfer, gebieterischer, als bisher.

»Dieses Los will ich haben und werde ich haben!« wiederholte er; »als Gegenwert biete ich nicht einen Preis, der sich unmöglich halten läßt; sondern ich erbiete mich, den Verfalltag des von Frau Hansen ausgestellten Schuldscheins um ein Jahr ... um zwei Jahre hinauszuschieben ... bestimmen Sie selber die Zeit, Hulda!«

Das Herz war ihr von Angst wie zugeschnürt ... sie hätte nicht antworten können ... ihr Bruder nahm statt ihrer das Wort.

»Ole Kamps Los,« rief er, »kann von Hulda nicht verkauft werden! Meine Schwester weigert sich des Verkaufs, mögen Sie bieten und drohen, soviel Sie wollen! Und nun ... hinaus mit Euch!«

»Hinaus!« wiederholte Sandgoist ... »nein! auf keinen Fall! … ich gehe nicht! ... und wenn das Gebot, das ich gemacht habe, nicht ausreichend ist, dann werde ich höher bieten ... Jawohl! ... gegen Aushändigung des Loses biete ich ... biete ich ...«

Sandgoist mußte tatsächlich ein unwiderstehliches Verlangen nach dem Besitz dieses Loses haben; er mußte fest überzeugt sein, daß sich ihm hier ein gutes Geschäft bot, denn er setzte sich an den Tisch, auf welchem Tinte, Feder und Papier lag. Nach einer Weile rief er:

»Hier habt Ihr, was ich biete!«

Es war eine Quittung über die ganze Summe, die ihm Frau Hansen schuldig war, und für die sie ihm das Haus in Dal verschrieben hatte.

Frau Hansen hob flehend die Hände, noch immer stand sie halb gebückt ... sie hob den Blick mit flehendem Ausdruck zu ihrem Kinde ...

»Und nun,« fuhr Sandgoist fort, »her mit dem Lose! ... ich will es haben! will es heute haben! will es im Augenblick haben ... ohne das Los setze ich den Fuß nicht aus Dal ... Das Los will ich haben, Hulda! ... das Los!«

Sandgoist war zu dem armen Mädchen herangetreten, als wenn er sie visitieren, als wenn er das Los ihr entreißen wollte ...

Das zu ertragen ging über Joels Kräfte, besonders als Hulda rief:

»Bruder! ... Bruder!«

»Hinaus mit Euch!« rief er; und als sich Sandgoist weigerte, die Stube zu verlassen, setzte er an, um sich auf ihn zu stürzen ... da stellte sich ihm Hulda in den Weg.

»Mutter, hier ist das Los!« sagte sie.

Frau Hansen hatte lebhaft nach dem Los gegriffen, und während sie es gegen die Quittung Sandgoists umtauschte, sank Hulda fast besinnungslos in den Sessel.

»Hulda! Hulda!« rief Joel. »Komm zu dir! Ach, Schwester, was hast du getan!«

»Was sie getan hat?« versetzte Frau Hansen. »Was sie getan hat? – Ja, ich bin schuldig! Ja! Im Interesse meiner Kinder wollte ich das Vermögen ihres Vaters mehren. Ja! Ich habe die ganze Zukunft gefährdet. Ich habe das Elend über dieses Haus gebracht ... Aber Hulda hat uns alle gerettet. Das hat sie getan! – Dank, Hulda, Dank!«

Sandgoist war noch immer da. Joel sah ihn.

»Sie – noch – hier!« rief er.

Er schritt auf Sandgoist zu, packte ihn bei den Schultern, hob ihn empor und warf ihn trotz seines Sträubens und Schreiens hinaus.


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