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Zweites Kapitel.

Dal – bloß ein paar Häuser: die einen längs einer Straße, die im Grunde genommen bloß ein Pfad ist, die anderen verstreut über den Bergrücken in der Nähe. Mit der Vorderseite stehen sie dem als Westfjorddal schon genannten schmalen Tale, mit dem Rücken dem Viereck der Hügel im Norden zugekehrt, an deren Fuße der Gießbach Maan fließt. Alle Gebäude zusammen würden, wenn sie einem einzigen Grundbesitzer gehörten, oder von einem einzigen Pächter bewirtschaftet würden, einen der im Lande sehr häufigen »Gaards« bilden. Aber wenn auch nicht auf den Namen Flecken, so hat es doch Anspruch auf den Namen Weiler. Eine kleine, im Jahre 1856 errichtete Kapelle, mit zwei schmalen Glasfenstern in der Chorwand, erhebt nicht weit ab durch das Baumdickicht ihren vierseitigen Glockenturm – ganz aus Holz gebaut. Rechts und links, über die zum Bache laufenden Bächlein, sind Stege geschlagen, aus kreuzweis gelegten Bohlen gezimmert, und mit Moos ausgefüllt. Weiter entfernt hört man ein paar urwüchsige Sägemühlen knarren, die von den Waldbächen getrieben werden, mit einem Rad für die Säge, einem zweiten für den Sägebaum. Soweit der Blick reicht, scheinen Kapelle, Sägemühlen, Häuser, Hütten, alles in einen zarten Rasendunst gebettet, hier in dunklere Färbung durch den Tannen-, dort in halb weiße, halb hellgrüne Färbung durch den Birken-Hintergrund getaucht, in einen Rahmen von Bäumen und Baumgruppen gefaßt, der von den gewundenen Ufern des Maan bis zum Kamme der Hochgebirge des Telemarken hinauf reicht.

So zeigt sich dieser kleine Weiler, Dal mit Namen, frisch und lachend, mit seinen malerischen Wohnhäuschen, die alle außen bunt gestrichen sind, manche in zarten weichen Farben: maigrün oder hellrot, manche in grellen Farben: schreiendem Gelb oder Rot. Auf ihren mit Rasen bekleideten Birkenrinden-Dächern, aus denen im Herbst Heumahd gehalten wird, wachsen die schönsten Blumen. Alles hier ist lieblich und köstlich und zum reizendsten Lande auf Erden gehörig. Mit einem Worte: Dal liegt in Telemarken, Telemarken liegt in Norwegen, und Norwegen ist die Schweiz mit unzähligen Tausenden von Fjords, durch die das Meer am Fuße von Norwegens Bergen brandet.

Telemarken ist in jenem weit ausgekragten Teile einbegriffen, den Norwegen zwischen Bergen und Christiania bildet und der sich einem ungeheuren Kolben gut vergleichen läßt. Diese zum Amte Batsberg zugehörige Voigtei hat Berge und Gletscher wie die Schweiz, ist aber nicht die Schweiz; sie hat großartige Wasserfälle wie Nordamerika, ist aber nicht Nordamerika; sie hat Landschaften mit buntgestrichenen Häusern und ihre Bewohner tragen eine Tracht, die an andere Zeiten gemahnt, gleichwie Häuser und Trachten in gewissen Flecken von Holland zu treffen, aber Telemarken ist nicht Holland: Telemarken ist besser, weit besser als dies alles zusammen, Telemarken ist eben Telemarken: eine in der Welt durch ihre Naturschönheiten vielleicht einzig dastehende Gegend. Der die Erzählung schreibt, hat das Glück gehabt, Telemarken zu bereisen, im Karriol mit Pferden, die von Posthalterei zu Posthalterei gewechselt wurden: das heißt, wenn ihrer dort zu haben waren. Er hat einen Eindruck von dort mit heimgenommen, so reich an Liebreiz und Poesie, der noch lebendig in seiner Erinnerung steht, daß er fürs Leben gern dieser schlichten Erzählung einen Teil zueignen möchte.

Zur Zeit, da dieselbe spielt – im Jahre 1862 – hatte Norwegen noch keine Eisenbahn, auf der man es heute bequem bereisen kann: von der schwedischen Hauptstadt Stockholm über Christiania bis Drontheim. Jetzt ist ein gewaltiges Schienenband zwischen diesen beiden skandinavischen Ländern, die zu gemeinschaftlichem Staatsleben so geringe Neigung aufweisen, gespannt. Im Eisenbahnwaggon eingesperrt, fährt der Reisende freilich schneller als im alten Karriol, sieht aber auch nichts mehr von der Urwüchsigkeit der Wege alter Zeit. Er büßt die Fahrt durch das südliche Schweden auf dem merkwürdigen Götha-Kanal ein, aus dem die Dampfschiffe von Schleuse zu Schleuse gehoben werden und so eine Höhe von über 300 Fuß erklimmen. Er sieht die berühmten Trollhättafälle nicht, sieht Drammen nicht, sieht Kongsberg nicht, sieht nichts von all den herrlichen Wundern des Telemarken.

Zu jener Zeit war der Bau der Eisenbahn erst noch im Werke und über zwanzig Jahre sollte es noch dauern, bis man das skandinavische Reich von einem Gestade zum andern – in Zeit von vierzig Stunden – mit der Bahn durchqueren und bis zum Nordkap hinauf, mit Hin- und Rückfahrtkarte nach Spitzbergen, mit der Bahn bereisen konnte.

Damals bildete nun gerade Dal – und hoffentlich noch recht lange! – den eigentlichen Mittel- oder Treffpunkt für alle fremden sowohl als heimischen Wanderer. Das weitaus größere Kontingent der letzteren stellte, wie wohl begreiflich, die Studentenschaft von Christiania. Von Dal aus konnten sie sich zerstreuen über den ganzen Bereich des Telemarken und des Hardanger, konnten das Westjorddal zwischen dem Mjössee und dem Tinnsee durchstreifen, konnten Ausflüge machen zu den herrlichen Wasserfällen des Rjukan. Freilich gab es bloß ein einziges Gasthaus in diesem Weiler, aber dafür ist es das lieblichste, behaglichste Gasthaus, das sich denken und wünschen läßt, auch das größte und bedeutendste, da es vier Stuben für Touristen und Wanderer in Bereitschaft hält: mit einem Worte – das Gasthaus von Frau Hansen.

Verschiedene Bänke stehen an seinen rosa gestrichenen, vom Erdboden durch ein sicheres Granitfundament abgeschiedenen Wänden.

Das Tannengebälk seiner Wände hat mit der Zeit eine solche Härte gewonnen, daß eine stählerne Axt daran zersplittern würde. Zwischen diesem so gut wie unbehauenen, wagerecht übereinander geschichteten Bohlenwerk liegt eine Moosschicht mit einer Lehmschicht vermischt von solcher Dichtigkeit, daß es selbst dem stärksten Winterregen nicht möglich ist, hindurchzudringen. Die Stubendecken sind rot und schwarz gestrichen, im auffälligen Gegensatz zu den milderen, freudiger stimmenden Farben des Getäfels. In einer Ecke der großen Stube läuft von dem ringförmigen Herde das lange Rohr zur Esse des Küchenherdes hinauf. Hier führt die große Kastenuhr ihre sauber geschnitzten spitzen Zeiger über ein großes emailliertes Zifferblatt von Sekunde zu Sekunde mit lautschallendem Ticktack. Hier steht der alte runde Schreibsekretär mit braunem Sims, neben einem eisenbraun gestrichenen massiven dreibeinigen Schemel. Auf einem Untersetzer steht der Leuchter aus gebranntem Ton, der zum dreiarmigen Kandelaber wird, wenn man ihn umdreht. Das schönste, was im Haus an Mobiliar vorhanden ist, ziert diesen Wohnraum: der Tisch aus Birkenwurzeln mit gebauchten Füßen; die Truhe mit verzierten Beschlägen, in welcher die herrlichen Sonn- und Festtagsgewänder geborgen liegen; der große Lehnstuhl aus Holz so hart wie ein Kirchenstuhl; die bunt bemalten Sessel; das bäurische Spinnrad, grün in der Farbe gehalten, damit es grell absticht von dem roten Rocke der Spinnerinnen. Dann hüben und drüben der Steintopf für die Butter, der zum Eindrücken derselben gebrauchte Wälzer, dann der Tabakskasten und die aus Knochen geschnitzte Reibe. Ueber der zur Küche hin offnen Tür endlich ein großer Küchenrahmen mit seinen schmucken Reihen von Kupfer- und Zinngeschirr, Tellern und Schüsseln, in blitzendem Email, aus Porzellan und aus Holz; dann, halb verschwindend in seinem lackierten Kasten, der kleine Schleifstein, dann der alte ehrwürdige Eierbecher, der ganz gut als Abendmahlskelch dienen könnte! Dazu die interessanten Stubenwände, mit Leinwandstickereien behangen, die allerhand Szenen aus der Heiligen Schrift darstellen und alles erdenkliche Farbenbunt ausweisen! Die für die Wanderer und Touristen eingerichteten Stuben sind nun wohl einfacher gehalten, darum aber nicht weniger behaglich und gemütlich mit ihren paar Möbelstücken von entsprechender Sauberkeit, ihren Vorhängen von frischem Grün, die vom First des rasenbedeckten Daches niederhängen, mit ihrem großen, breiten, mit schneeweißem Linnen, echtem »Akloede-Gespinst«, überzogenen Bett und seinen mit Bibelsprüchen aus dem Alten Testament, gelb auf rotem Grunde, bemalten bretternen Wänden.

Nicht vergessen werde zu bemerken, daß die Dielen der großen Stube, gleich den Stuben im Erdgeschoß und obern Stockwerk, mit Birken-, Tannen- und Wacholder-Reisicht bestreut sind, dessen Blätter und Nadeln das Haus mit ihrem belebenden Dufte erfüllen.

Ließe sich eine lieblichere posada in Italien, eine lüsternere fonda in Spanien denken? Nein! und dazu kam noch, daß der Schwall von englischen Touristen die Preise noch nicht in die Höhe getrieben hatte, wie in der Schweiz – zum wenigsten damals noch nicht! In Dal gilt nicht das Pfund Sterling in Gold, um das die Reisendenbörse bald erleichtert ist, sondern der silberne Speciestaler, der etwas weniger als fünf Francs, also ziemlich genau 4½ Reichsmark rechnet, mit seinen Abstufungen, der Mark (etwa 75 Pfg.) und dem kupfernen Skilling, den man aber nicht mit dem englischen Schilling verwechseln darf, denn er kommt im Werte bloß einem Sou in Frankreich gleich. Auch mit der großartigen Banknote springt im Telemarken der Tourist nicht um, sondern bloß mit dem Einspecieszettel von weißer Farbe, dem Fünfspecieszettel von blauer, dem Zehnspecieszettel von gelber, dem Fünfzigspecieszettel von grüner und dem Hundertspecieszettel von roter Farbe: es fehlen also bloß zwei Farben noch, dann wäre die Iris des Regenbogens vertreten. Seit einem Vierteljahrhundert ist die Währung in Skandinavien dieses patriarchalischen Anstrichs durch die Einführung der Goldwährung (1 Krone gleich 112½ Pfge.) entkleidet worden. A. d. Ü.

Sodann ist Bei »Mutter Hansen« – was nicht in allen Herbergen und Gasthäusern der Gegend zutrifft – Speise und Trank vorzüglich. Das Telemarken rechtfertigt nämlich seinen Spitznamen »Schlickermilch-Land« in mehr denn ausreichendem Maße. In den Löchern im innern Lande, wie Tineß, Listhuus, Tinoset und vielen andern kriegt man niemals Brot zu sehen, oder höchstens so schlechtes, daß man es gern stehen läßt. Die Hauptkost bildet ein Gebäck aus Hafermehl in Scheibenform, das sogenannte » flatbröd«, trocken, schwarzbraun und hart wie Pappe, oder höchstens noch eine Art derben Hefenkuchens, der unter Beimischung von gestoßener Birkenrinde, auch wohl Flechten und Häcksel, gebacken wird. Eier sind Rarität, die Hennen müßten denn gerade acht Tage zuvor gelegt haben. Aber im Ueberfluß vorhanden ist ein Bier geringer Sorte, Schlickermilch, sauer sowohl als süß, zuweilen, auch ein bißchen Kaffee, aber so dick, daß er eher mit einem Teerdestillat Aehnlichkeit hat als mit den Produkten von Mokka, Bourbon oder Rio-Nunez.

Bei »Mutter Hansen« aber ist alles da, was Küche und Keller nur irgend zu bieten vermögen: was sollen selbst die verwöhntesten Touristen noch weiter fordern? Gekochter Lachs, gepökelter Lachs, geräucherter Lachs, die sogenannten » hore«, worunter man Binnenlachse zu verstehen hat, die Salzwasser nie geschmeckt haben, Bachfische aus dem Telemarken, Geflügel und zwar weder zu hart noch zu mager, Eier mit allen möglichen Saucen, feine Küchelchen aus Roggen- und Gerstenmehl, Obst- und ganz besonders Erdbeeren, Schwarzbrot, aber von ausgezeichneter Sorte, Bier und alte Weine, darunter Marke Saint-Julien, die Frankreichs Rebenruhm bis in diese entlegenen Gegenden hinauf trägt.

Kein Wunder, daß in allen Gegenden des nördlichen Europa das Gasthaus zu Dal im besten Rufe steht! Man braucht übrigens bloß in dem Gastbuche mit den vergilbten Blättern – in welchem die Wanderer ihrem Namen gern ein paar Lobesworte für »Mutter Hansen« beifügen – zu blättern! zumeist sind es freilich Schweden und Norweger, die aus allen Punkten Skandinaviens hierher strömen. Aber auch Engländer finden sich in Menge darunter, und einer davon, der mal eine ganze Stunde gewartet hatte, bis sich der Gipfel des Gusta aus seinen Morgennebeln herausschälte, hat in echt Britischer Art auf eines der Blätter geschrieben:

Patientia omnia vincit. Geduld überwindet alles


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