Publius Vergilius Maro
Äneis
Publius Vergilius Maro

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Sechster Gesang

Äneas besucht bei Cumä die Sibylla Deïphobe, die ihm große Kriege weissagt, und zum Gange in die Unterwelt einen goldenen Zweig und Entsündigung wegen des toten Misenus fordert. Als Äneas die Bäume zur Bestattung fällt, zeigen ihm Tauben den Zweig, womit er samt der Sibylla am Avernus hinabsteigt. Vorn mancherlei Grauengestalten. Dann Seelen um Charons Boot, darunter umgekommene Freunde und Palinurus. Nach der Überfahrt: Cerberus; Kinderseelen; unschuldig Verurteilte; Selbstmörder, unglücklich Liebende, mit Dido; edle Krieger, samt Deiphobus. Links den Schlund des Tartarus mit gepeinigten Verbrechern lassend, gehen sie rechts zu Plutos Palast, wo Äneas den Zweig anheftet; dann zu den Frommen in Elysium. Anchises zeigt dem Sohne die Seelen seiner Nachkommen in Alba und Rom bis zu Augustus und Marcellus, und giebt ihm Rat über die bevorstehenden Kriege. Rückkehr durch die elfenbeinerne Pforte. Äneas fährt nach Cajeta.

              Also ruft er mit Thränen und giebt der Flotte die Zügel,
Und zum euböischen Strande von Cumä gleitet er endlich.
Meerwärts drehn sie die Schnäbel der Schiff', und mit fassendem Zahne
Beißt der Anker den Grund; am Gestad' hin stehn die gewölbten
5   Hinterverdecke gereiht; und die Jünglinge schwingen voll Freud' sich
An den hesperischen Strand. Teils suchen sie Samen des Feuers,
Tief im Kieselgeäder versteckt, teils raffen sie Waldung,
Dichte Gewölbe des Wilds; und gefundene Strömungen zeigt man.
Aber der fromme Äneas besucht des erhabnen Apollo
10   Heilige Höhn und ferne der schauderhaften Sibylla
Ungeheuere Kluft, der höheren Geist und Empfindung
Delos Gott einhaucht, der Prophet, und öffnet die Zukunft.
Schon in der Trivia Hain und die goldenen Wohnungen gehn sie.

Dädalus, wie man erzählt, da er floh aus dem Reiche des Minos,

15   Kühn auf hurtigen Schwingen sich anzuvertrauen dem Himmel,
Schwamm in der seltsamen Fahrt zu den frostigen Bärinnen aufwärts;
Über der chalcischen Burg stand endlich der schwebende Künstler:
Wo er, zuerst umkehrend zum Grund, dir, Phöbus, der Luftfahrt
Rudernde Flügel geweiht und erbaut den gewaltigen Tempel.
20   Hier an der Pfort' Androgeos Tod; und die Bürger des Cecrops,
Duldend die traurige Straf', als jährigen Zins zu entrichten
Sieben gelosete Söhn'; auch steht die Urne der Ziehung.
Dort entgegen erhebt sich im Meer das gnosische Eiland:
Wo die gräßliche Liebe des Stiers, und Pasiphae, heimlich
25   Zugeführt, und das Zwittergeschlecht, und der doppelte Sprößling
Minotaurus erscheint, ein Denkmal schmählicher Buhlschaft.
Dort das gekünstelte Haus, und der unauswirrbare Irrgang;
Aber er sah mit Erbarmen die liebende Königestochter,
Dädalus, und selbst löst' er den irrenden Trug des Verschlosses,
30   Da das Gewirr sein Faden enträtselte. Teil an dem Kunstwerk,
Icarus, hättest auch du, nicht wenigen, gönnte der Schmerz ihn!
Zweimal wagte der Vater in Gold zu bilden den Unfall;
Zweimal sank dem Vater die Hand. – Ja das weitere alles
Forscht' ihr wandernder Blick, wenn nicht der entsandte Achates
35   Kam, und Deïphobe mit, der Trivia und des Apollo
Priesterin, Tochter des Glaucus; die also sprach zu dem König:

Nicht ist dieses die Zeit, die solche Betrachtungen fordern.
Jetzo sieben der Farren aus unbelasteter Herde
Ziemt's dem Altare zu weihn und so viel erlesene Lämmer.

40  

Also gebot dem Äneas die Priesterin; schnell von den Männern
Wird es vollbracht; und sie ruft in den ragenden Tempel die Teucrer.
Ausgehaun ist zur Höhle das Herz des euböischen Felsens:
Hundert geräumige Gäng' und Mündungen leiten zum Innern;
Hundertfach durchrollt sie Getön, Orakel Sibyllas.

45   Jetzt war die Mündung erreicht, da die Jungfrau: Fordert das Schicksal!
Ausrief; der Gott! o schauet, der Gott! Wie sie solches am Eingang
Redete, plötzlich erschien nicht frühere Farbe, noch Antlitz,
Nicht in geordneten Locken das Haar: nein, keuchend der Busen,
Heftig in Wut aufschwellend das Herz, auch höher das Ansehn,
50   Und nicht sterblich der Ton; als nun sie des mächtigen Anhauchs
Füllte der nähere Gott. Du säumst, mit Gelübden zu flehen,
Rief sie, o Troer Äneas, du säumst? Nicht eher ja öffnet
Weit sich der schaudernden Wohnung Geklüft! Da sie solches geredet,
Blieb sie verstummt, und kalt durch Mark und Gebeine den Troern
55   Bebte das Graun: jetzt fleht' aus innerstem Herzen der König:

Phöbus, du stets ein Erbarmer der schwer ausduldenden Troja,
Der du dem Paris die Hand' und die Dardanerwaffen gelenket
Äacus Sohn' in den Leib! so viel um gewaltige Länder
Rollende Meere durchfuhr ich dir Leitenden, ja so entfernt auch

60   Sah ich Massyliervolk und von Syrten umgebene Fluren.
Endlich gewinnen wir nun Italias fliehende Ufer.
Möge bis hierher uns das troische Schicksal gefolgt sein!
Ihr auch, jetzo geziemt's, o schont des pergamischen Volkes,
Götter und Göttinen alle, die Ilions Größe gekränkt hat,
65   Und Dardanias Ruhm. Und du, o hehre Prophetin,
Ahnerin kommender Ding', o gieb, (nicht Reiche verlang' ich,
Die mein Los mir versagt,) daß in Latium wohnen die Teucrer,
Und umirrende Götter, und flüchtige Mächte von Troja!
Einen marmornen Tempel der Trivia und dem Apollo
70   Ordn' ich hinfort, und Feste, genannt vom Namen des Phöbus.
Dein auch harrt ein Ehrengemach in unserem Reiche.
Wo ich, Erhabne, die Los', und wie viel des geheimeren Schicksals
Meinem Volk du gesagt, hinleg', und erkorene Männer
Heilige. Nur nicht Blättern vertraue du deine Orakel,
75   Daß nicht, Winden ein Raub, sie verwirrt durcheinander zerfliegen;
Rede mir, fleh' ich, du selbst! – So hemmt' er die Rede des Mundes.

Aber von Phöbus Gewalt ungebeugt noch, tobt die Prophetin
Ungestüm in der Höhl', ob etwa der Brust sie entschütteln
Könne den mächtigen Gott: um so heftiger zerrt er des Mundes

80   Rasen, und zähmt der Empörten das Herz, und ein Bändiger zwängt er.
Schnell sind geöffnet die hundert gewaltigen Gänge der Wohnung,
Alle von selbst, und tragen zur Luft der Seherin Antwort:

O der du endlich des Meers graunvolle Gefahren erschöpft hast!
Doch graunvollere drohet das Land! In die Gauen Lavinums

85   Kommt der Dardaner Volk; laß fahren die Sorg' aus dem Herzen;
Doch nicht wünscht es gekommen zu sein! Krieg', schaurige Kriege
Schau' ich, und tief gerötet mit Blut aufschäumen den Thybris.
Nicht wird Xanthus und Simois dir, noch ein dorisches Lager
Fehlen; da ist schon auch im latischen Land' ein Achilles,
90   Sohn der Göttin auch er. Nie weicht, feindselig den Teucrern,
Juno hinweg: wann du, demütig in harter Bedrängnis,
Ach, welch Italervolk, was nicht anflehest für Städte!
Quelle des Leids ist wieder ein Weib, Gastfreundin der Troer,
Auswärts wieder ein Ehegemach.
95   Nicht nachgeben dem Leid, nein noch kühnherziger angehn,
Wo nur Bahn dein Los dir vergönnt! Des Heiles Beginn wird,
Was du am wenigsten träumst, von der griechischen Stadt sich eröffnen.

Also ruft aus dem hehren Geklüft die Seherin Cumas,
Mit graunvollen Getöns Umschweif, und brüllt aus der Höhlung

100   Wahre Laut' in Dunkel gewirrt: so schüttelt des Wahnsinns
Zügel mit Macht, so bohrt in die Brust ihr den Stachel Apollo!
Doch wie vertobte die Wut, und der rasende Mund sich beruhigt;
Jetzo begann Äneas der Held: Von keinerlei Drangsal,
Jungfrau, steigt die Gestalt mir neu auf, noch unerwartet.
105   Alles erwog ich zuvor, und wandt' im Herzen den Vorsatz.
Eins nur fleh' ich: da hier des unteren Königes Pforte
Preiset der Ruf, und das dunkle Gesümpf aus Acherons Aufsturz;
Sei, dem Blicke zu nahn und dem Munde des teueren Vaters,
Jetzo vergönnt; du führ' und öffne den heiligen Eingang.
110   Jenen hab' ich durch Flammen und tausend verfolgende Waffen
Selbst auf der Schulter entrafft und hervor aus dem Feinde gerettet;
Jener, mir stets des Weges Genoß, hat alle Gewässer,
Alle die Schrecken mit mir, von dem Meer und dem Himmel, ertragen,
Er, der Schwächliche, über das Los und die Kräfte des Alters.
115   Ja, daß demutsvoll ich dir fleht' und deiner Behausung
Nahete, hat er mich bittend ermahnt. O des Sohns und des Vaters,
Edle, erbarme dich jetzt! du vermagst ja alles; umsonst nicht
Gab auch Hekate dir die avernischen Haine zur Obhut.
Wenn zu entrufen vermochte den Geist der Vermähleten Orpheus,
120   Kühn durch der thracischen Laute Gewalt und melodische Saiten;
Wenn vom wechselnden Tode den Bruder erlösete Pollux,
Und oft geht und kehret den Weg: was gedenk' ich des Theseus?
Was der herkulischen Kraft? Auch mir ist Juppiter Urahn.

Als mit solcherlei Worten er fleht' und den hohen Altar hielt,

125   Jetzo begann zu reden die Seherin: Göttergeschlecht du,
Troer, anchisischer Sproß, leicht geht es hinab zum Avernus;
Nachts ist offen und tags die Pforte des dunkelen Pluto.
Doch umwenden den Schritt, und zu oberen Lüften hinaufgehn,
Das ist Arbeit und Müh'. Nur Lieblinge, welche sich auskor
130   Juppiter, oder verklärt aufschwang zu dem Äther die Tugend,
Konnten es, Göttern entsproßt. Rings Waldungen sperren den Zugang,
Und mit düsterer Bucht der umfließende Strom den Cocytus,
Drum wenn solch ein Verlangen dem Geist, wenn solche Begier ist,
Zweimal zu schwimmen auf stygischer Flut, und des Tartarus Dunkel
135   Zweimal zu schaun, wenn Freude dir schafft solch thörichte Kühnheit:
Lerne, was Not ist zuvor. In dumpfiger Dichte des Baumes
Sproßt mit goldener Windung ein Zweig und goldenen Blättern,
Drunten der schrecklichen Juno geheiliget. Diesen bedeckt rings
Wildernder Hain, ihn schließen in dämmernde Schatten die Thäler.
140   Doch nicht eher gelingt's in der Erd' Abgründe zu steigen,
Als bis einer des Baums goldlaubigen Schößling sich abbrach.
Diesen verlangt die schöne Proserpina, als ihr erkornes
Ehrengeschenk. Ist der erste getrennt, nicht fehlet ein andrer
Goldener, und es belaubt sich ein ähnlicher Sproß des Metalles.
145   Spähe denn hoch mit den Augen umher, und brich den gefundnen
Wohl mit der Hand. Denn er selbst wird leicht dir folgen und willig,
Wenn dich das Schicksal ruft: wenn nicht, wird keine Gewalt ihn
Bändigen, noch dein Arm mit gehärtetem Stahl ihn erschüttern.
Und zudem auch liegt dir des Freundes entseeleter Leichnam,
150   (Ach noch weißt du es nicht!) der die sämtliche Flotte beflecket,
Während du Rat hier holst, und an unserer Schwelle hier weilest.
Diesen bestatte zuvor und gieb ihm ein ruhiges Plätzchen,
Dann zur Entsündigung erst schwarzwollige Schafe geführet.
Jetzo die stygischen Hain', und wohin kein Lebender wandelt,
155   Hoffe zu schaun. Sie sprach's, und geschlossenen Mundes verstummt sie.

Aber Äneas, den Blick voll Trauer niedergeheftet,
Wandelt erst von der Höhle zurück, den verborgenen Ausgang
Hin und her überlegend im Geist. Sein treuer Achates
Wandelt neben ihm hin, in gleiche Gedanken versunken.

160   Vielfach redeten beid' im Wechselgespräch miteinander,
Welchen entseeleten Freund die Seherin, wessen Bestattung,
Fordere. Aber nunmehr den Misenus am trockenen Ufer
Schauen die Kommenden dort vom kläglichen Tode getilget,
Äolus Sohn Misenus, dem nie ein anderer vorging,
165   Männer zu regen mit Erz und Streit mit Getön zu entflammen.
Hektor war er Genoß, dem erhabnen, Hektor begleitend,
Trug er die Kriegsdrommet' und die kriegrische Lanz' in der Feldschlacht.
Doch als jenen des Lebens beraubt der Sieger Achilles,
Hatte der tapfre Held sich dem Dardanerfürsten Äneas
170   Angefügt ein Genoß, nicht schlechteren Teil sich erwählend.
Nun, da einst durchhallte die Flut mit gehöhleter Muschel,
Thörichter! und mit Getön die Unsterblichen einlud zum Wettstreit;
Hatte ihn der eifernde Triton belau'rt (wenn glaublich die Sag' ist)
Unter Geklipp, und den Mann in die schäumende Woge getauchet.

175  

Alle demnach ringsher wehklageten laut um den Leichnam;
Doch der fromme Äneas zumeist. Der Sibylla Gebot nun,
Ohne Verzug, vollziehn sie bethränt; und des Brandes Altar wird
Hurtig aus Bäumen erbaut und empor in den Himmel geleitet.
Siehe man geht in ein altes Gehölz, Berglager des Wildes;

180   Kiefern krachen im Sturz; es erschallt von den Äxten die Steineich';
Auch schlanksteigender Eschen Gebälk und klüftiges Stammholz
Spaltet der Keil; man entrollt unmäßige Ornen den Berghöhn.
Selbst auch schaltet Äneas voran in des Werkes Vollendung,
Rings antreibend die Freund' und mit ähnlichen Waffen gerüstet.
185   Und nun wälzet er dieses bei sich im traurigen Herzen,
Schauend die Waldeinöd' endlos, und ruft im Gebet aus:

Wenn doch jetzo sich uns der goldene Zweig an dem Baume
Zeigete, hier in so großem Gehölz! da alles nach Wahrheit,
Ach zu sehr Misenus, von dir die Prophetin gemeldet.

190  

Kaum dies hatt' er gesagt, als ein Paar leichtfliegender Tauben
Selbst vor des Helden Gesicht am heiteren Himmel daherkam
Und auf die grünende Flur absank. Es erkannte der Mutter
Auserkorene Vögel der Held und betete freudig:

Leitet mich ihr, ist etwa ein Weg, und einher durch die Lüfte

195   Lenkt in die Haine den Lauf, wo reich dem triebsamen Boden
Schattet der Sproß. Und du, o verlaß nicht, göttliche Mutter,
Mich in der Not! – So rief er empor und hemmte den Fußtritt,
Aufmerksam, was zeichne den Flug, wie verfolge die Richtung;
Jene, zum Weiden gesenkt, entflatterten ferner und ferner,
200   Daß die Verfolgenden leicht sie im Auge zu halten vermochten.
Jetzt, da sie kamen zum Schlund' und starken Gedünst des Avernus,
Heben sie rasch sich empor, und die lauteren Lüfte durchgleitend,
Senken zum Sitz, o erwünscht! sich beid' auf den Wipfel des Baumes,
Wo durch Grün abstechend der goldene Schimmer hervorblinkt.
205   So wie in Waldungen oft bei winterndem Froste die Mistel
Jugendlich grünet von Laub, die nicht aussäet ihr Stammbaum,
Und mit feuriger Frucht um rundliche Äste sich breitet:
Also war die Gestalt dem sprossenden Gold in der dunkeln
Steineich', also klirrte das Blech im Säuseln des Windes.
210   Hurtig ergreift Äneas den Zweig, und den schwankenden bricht er
Gierig und trägt ihn zum Hause der ahnungsvollen Sibylla.

Aber indes wehklagten die Teucrer am Strand um Misenus
Traurig, die letzte Pflicht undankender Asche bezahlend.
Anfangs, reichlich genährt mit Kien und gespaltenem Kernholz,

215   Stapelten sie hochauf das Gerüst; mit düsterem Reisig
Werden die Seiten umwebt, und davor die Grabescypressen
Aufgestellt, und die Höhe mit leuchtenden Waffen gezieret.
Teils auch siedende Ström' und von Glut aufwallende Kessel,
Fertiget man; und den Leib des Erkalteten bähn sie und salben.
220   Wehklag' hallt. Dann ruht der Beweinete sanft auf dem Polster;
Purpurfarbne Gewande darauf, die bekannte Umhüllung,
Breiten sie aus; es erhebt ein Teil die mächtige Bahre,
Trauriger Dienst – und unter den Stoß, nach der Weise der Väter,
Halten sie zündende Fackel gewendet. Häufig verbrennt man
225   Weihrauch, heilige Kost und gefüllete Kannen des Öles.
Als die Asche nunmehr hinsank, und die Flamme verloschen,
Wurde der Rest mit Weine getränkt und der schlürfende Glimmer;
Sammelnd barg das Gebein in den ehernen Krug Corynäus;
Dann mit Reinigungsflut dreimal umtrug er die Freunde,
230   Sprengend mit duftigem Tau und dem Busch des glücklichen Ölbaums,
Weihte die Männer umher und sprach die Worte des Abschieds.
Aber der fromme Äneas erhebt ein gewaltiges Grabmal
Über dem Mann, und sein' eigene Wehr, die Drommet' und das Ruder,
Hart an dem luftigen Berge, der nun Misenus von jenem
235   Heißt, und in ewige Zeit den dauernden Namen behauptet.

Dieses gethan, vollführt er sofort den Befehl der Sibylla.
Dort war ein tiefes Geklüft, grundlos, unendlichen Schlundes,
Schroff, vom finsteren See und der Hainumschattung gesichert.
Drüber vermocht' ungestraft niemals noch irgend ein Vogel

240   Fort sich zu schwingen im Flug: so streng' aus dunkeler Mündung
Stets aushauchender Qualm stieg auf zum gewölbeten Himmel.
[Deshalb wurde der Ort Aornos genannt von den Griechen.]
Hier nun war's, wo zuerst vier dunkelleibige Farren
Darstellt' und auf die Stirne die Priesterin neigte den Weinguß,
245   Dann die obersten Haare, gerupft aus der Mitte der Hörner,
Als der Sühnung Beginn, einlegt' in die heilige Flamme,
Rufend der Hekate Macht, die im Himmel und Erebus waltet.
Andere ziehn von unten die Kling' und empfahn in den Schalen
Lauliches Blut. Selbst jetzo ein rings schwarzwolliges Lämmchen
250   Würgt mit dem Schwerte der Held für der Furien Mutter und Tellus;
Dir, Proserpina, würgt er die Kuh, unfruchtbar und fehllos.
Nachtaltäre darauf dem stygischen König erbaut er,
Leget sodann in die Flammen der Stier' ungeteilete Leiber,
Fette des Öls aufgießend den brennenden Eingeweiden.

255  

Aber o sieh, um die Helle der nahenden Sonn' und den Aufgang
Brüllte das Land tief unter dem Fuß, es erbebten die Berghöhn
Samt dem Gehölz; auch tönt es wie Hundegeheul durch den Schatten,
Als annahte die Göttin. Hinweg, o hinweg, Ungeweihte!
Ruft die Seherin laut: und enthaltet euch ferne des Haines.

260   Doch du wandre den Pfad, und ziehe den Stahl aus der Scheide.
Jetzt ist Mut, Äneas, dir not, jetzt männliche Fassung.

Dies nur sprach sie und stürzte mit Wut in die offene Felskluft,
Rasch der Führerin folgt er mit gleich unerschrockenem Schritte.

Götter der Macht, die den Seelen gebeut, und verstummende Schatten,

265   Chaos und Phlegethon auch, weitschweigende Orte des Nachtgrauns,
Sei mir Gehörtes zu reden erlaubt, und mit euerer Vollmacht
Aufzudecken, was tief Erdreich und Finsternis einhüllt!

Beid' jetzt gehn sie dunkel die einsam schattende Nacht durch,
Und durch Dis einödes Gebiet und leere Behausung:

270   Wie bei zweifelndem Lichte des Monds in kärglichem Schimmer
Geht durch Waldung der Weg, wann trüb' umschattet den Himmel
Juppiter, und rings alles entfärbt in Dämmerung schwebet.

Selber am Eingang nun, und im vordersten Schlunde des Orcus,
Lagerte sich mit dem Grame der Schwarm der rächenden Sorgen;

275   Blaß auch wohnen umher Krankheiten und trauriges Alter,
Angst, und schmähliche Not, und übelratender Hunger:
Grause Gestalten zu schaun! und der Tod und die ringende Mühsal:
Dann der Bruder des Todes, der Schlaf, und des frevelen Herzens
Hämische Freud'; vorn an der Schwelle des Kriegs mordtriefendes Scheusal,
280   Eiserne Furienkammern zugleich, und die rasende Zwietracht
Ihr durchschlängelte Haar von blutigen Binden gefesselt.
Mitten erstreckt unmäßig die uralt ragenden Arme
Ein dumpfschattiger Ulm, wo, sagt man, rings ein Gegaukel
Nichtiger Träume verkehrt und jeglichem Blatte sich anschmiegt.
285   Auch viel andere noch der vielfach schreckenden Wunder
Hausen am Thor, Centauren und zweigestaltete Scyllen,
Briareus, hundertfältig an Wuchs, und das Gräuel von Lerna,
Hebend der Hälse Gezisch, und, mit Glut ankämpfend, Chimära,
Auch Harpyien und Gorgonen, und du, dreileibiger Unhold.
290   Hier von plötzlichem Schrecken bewältiget, faßt er das Eisen
Schleunig, der Held, und gezückt den kommenden beut er die Schärfe;
Und wenn nicht die Gefährtin ihn weis' anmahnete, leiblos
Flattere luftiges Leben in nachgeschatteter Bildung,
Stürmt' er hinein, mit dem Eisen umsonst die Schemen zerschlagend.

295  

Jetzo der Weg, der zum Strom des tartarischen Acheron führet.
Stürmisch hier von Morast und unermeßlichem Strudel
Gähret der Schwall und stürzet den rollenden Schlamm zum Cocytus.
Diese Ström' und Gewässer bewahrt der gräßliche Fährmann
Charon, in starrendem Wust graunvoll: dem struppige Gräue

300   Dick umstrotzet das Kinn; hell stehn die Augen im Feuer;
Aufgeknotet enthängt die schmutzige Hülle den Schultern.
Stroman drängt mit der Stange der Greis und bedienet die Segel,
Totengebild' auffahrend im eisenfarbigen Nachen,
Ältlich bereits; doch frisch ist dem Gott und grünend das Alter.
305   Dorthin stürzt' anschwärmend das ganze Gewühl an die Ufer:
Mütter zugleich und Männer, und einst großherziger Helden
Geistige Riesengestalt, und Knaben und bräutliche Jungfraun,
Jüngling' auch, auf die Scheiter getreckt vor den Augen der Eltern
Zahllos, so wie im Walde, wann herbstliche Kälte beginnet,
310   Fallende Blätter verwehn, wie zum Land aus tiefem Gewässer
Zahllos Vögel im Schwarm aufziehn, wann kältere Jahrzeit
Über das Meer sie verscheucht und zu sonnigen Landen entsendet.
Flehend standen sie all', um zuerst hinüber zu kommen,
Streckten die Hand' und sahn zum anderen Ufer mit Sehnsucht.
315   Doch bald diesen empfäht, bald den der düstere Schiffer;
Andere treibt er hinweg, mit geworfenem Schlamm sie entfernend.

Aber Äneas, verwunderungsvoll, und bewegt von dem Aufruhr:
Sage mir, Jungfrau, sprach er, was will das Gedräng' an dem Strome?
Was ist der Seelen Begehr? Durch welcherlei Sonderung fliehn doch

320   Diese den Strand, da dort aus gebräuneter Welle sie rudern?

Kurz antwortete jenem die Priesterin grauenden Alters:
Held, anchisischer Sproß, unverkennbarer Same der Götter,
Tief hier sumpft des Cocytus Erguß, und der stygische Pfuhl hier,
Dessen Gewalt abschrecket von Eid und Verletzung die Götter.

325   Alle der Schwarm, den du schaust, ist noch unbestattet und hilflos;
Steurer des Kahns ist Charon; Begrabene trägt das Gewässer.
Nicht ist über die Borde des Grauns und die brausenden Fluten
Weg sie zu führen vergönnt, bis beerdiget ruhn die Gebeine.
Hundert Jahr' unstät umschweben sie flüchtig die Strand' hier;
330   Dann erst finden Empfang sie, genaht dem ersehneten Wasser.

Stehn blieb hier des Anchises Geschlecht und hemmte den Fußtritt,
Viel nachdenkend im Geist, und das klägliche Schicksal bedauernd.
Auch leidtragende Freunde, der Ehr' im Tode beraubet,
Schaut er, Lycaspis gesellt zum Lycierfürsten Orontes,

335   Welche zugleich, da von Troja durch brausende Meere sie fuhren,
Senkte der Sturm, in Gewog' einrollend das Schiff und die Männer.

Siehe da kam der Steurer einher, Palinurus, gewandelt,
Der auf der libyschen Fahrt jüngsthin, die Gestirne beachtend,
Sank, vom Verdecke gestürzt, in der Mitt' aufwogender Meerflut.

340   Ihm, da er kaum den Betrübten erkannt im dunkelen Schatten,
Rief er also zuerst: Wer doch, Palinurus, der Götter
Hat dich hinweg uns gerafft und versenkt in der Mitte des Meeres?
Sage wohlan! denn es hat, der zuvor nie Täuschungen aussprach,
Durch die eine Verkündung das Herz mir getäuschet Apollo,
345   Welcher verhieß. du solltest, vom Meer unbeschädiget, kommen
Zu dem ausonischen Ziel. Ist das die versicherte Treue?

Jener darauf: Nicht hat dich getäuscht der phöbische Dreifuß,
Sohn des Anchises, o Held, noch ein Gott in das Meer mich gesenket.
Denn das Steuer, das etwa durch drängende Kraft sich gelöset,

350   Als ich zum Hüter bestellt anhaftete, lenkend die Meerfahrt,
Zog ich im Sturze mit mir. Bei dem finsteren Meere beteur' ich,
Daß ich nimmer für mich so ängstliche Sorge getragen,
Als dir möchte, beraubt des Geräts, nach entrissenem Meister,
Nicht ausdauern das Schiff in so hoch aufsteigenden Wogen.
355   Drei der winternden Nächt', unermeßliches Wogengewühl durch,
Trug mich der Süd machtvoll auf der Flut; mit dem vierten der Morgen
Sah ich Italia fern, hochher von der Spitze der Brandung.
Mählich schwamm ich zum Lande hinan; schon Sichres gewann ich;
Wenn nicht grausames Volk, da vom triefenden Kleid' ich beschwert war,
360   Und die gebogenen Händ' ausstreckt' an die Zacke der Felswand,
Mich mit dem Stahl anrannt' und Beut' unkundig verhoffte.
Jetzo hält mich die Flut, mich drehen die Wind' am Gestad' um.
Drum bei dem freundlichen Licht und der Luft Einatmungen fleh' ich,
Und bei dem Vater dich an, und dem blühenden Erben Iulus:
365   Reiß mich aus solcherlei Gram, Unbezwungener! Streu mir entweder
Wenigen Staub, denn du kannst, und geh zum velinischen Hafen,
Oder, ist irgend ein Weg, den dir die göttliche Mutter
Zeigete, (denn, wie mir däucht, nicht ohn' obwaltende Götter
Strebst du, so mächtige Ström' und den stygischen Pfuhl zu befahren)
370   Reiche mir Armen die Hand und laß durch die Fluten mich mitgehn,
Daß ich zum wenigsten tot ausruh' in behaglicher Stille.

Als er solches gesagt, da begann also die Prophetin:
O woher, Palinurus, dir so graunvolle Begierde?
Du Unbeerdigter willst die stygische Flut und den ernsten

375   Furienstrom anschaun und zum Strand' ungeheißen hinweggehn?
Ende den Wahn, daß Göttergeschick sich wende dem Anflehn!
Aber vernimm, was ich rede, den Trost der harten Begegnis.
Denn die Benachbarten werden umher durch die Städte, wenn Vorschau
Himmlischer Wunder sie schreckt, dir weihn der Gebeine Versöhnung,
380   Werden erheben ein Grab, und am Grab' hochfeierlich opfern;
Und von dir wird ewig der Ort Palinurus genannt sein.

Durch dies Wort schwand jenem die Sorg', und im traurigen Herzen
Dämpft' er ein wenig den Gram, gleichnamigen Landes sich freuend.

Sie nun gehen den Weg fürbaß und nahen der Strömung.

385   Doch wie der Fährmann sie dort sah von der stygischen Flut her,
Daß durch stilles Gehölz sie den Fuß zuwandten dem Ufer,
Ruft er zuerst mit Worten sie an, und grimmig beginnt er:

Wer du auch bist, der gewappnet zu unseren Fluten herankommt,
Sprich, weswegen du kommst, gleich dort, und hemme den Fußtritt!

390   Hier ist der Schatten Bezirk, der betäubenden Nacht und des Schlafes,
Lebende wehrt mir zu führen im stygischen Kahne das Schicksal.
Nicht mir Freude fürwahr bracht' Herkules, welchen ich aufnahm
Hier in den Teich; nicht brachte Pirithous Freude, noch Theseus;
Ob zwar Göttergeschlecht und an Kraft unbezwinglich sie waren.
395   Jener zog mit der Hand den tartarischen Hüter zur Fessel
Selbst von des Königes Thron und fort den erzitternden schleppt' er:
Diese da wagten dem Dis vom Gemach zu entreißen die Fürstin.

Kurz antwortete drauf die amphrysische Seherin also:
Nicht Nachstellungen hier, nicht droht (o entsage der Unruh!)

400   Waffengewalt. Gern mag der gewaltige Pförtner im Fels dort
Durch endloses Gebell die entfärbeten Geister erschrecken,
Mag Proserpina keusch das Gemach einnehmen des Oheims.
Trojas Held Äneas, durch Frömmigkeit glänzend und Waffen,
Steigt zu dem Vater hinab in des Erebus düsteren Abgrund.
405   Wenn dich nicht der Gedanke bewegt so frommer Empfindung;
Schaue den Zweig (sie enthüllt den verborgenen Zweig aus der Kleidung.)
Ob du ihn kennst! – Nun sinket vom schwellenden Zorne das Herz ihm.
Weiter kein Wort; anschauend des schicksalsprossenden Reises
Herrliches Ehrengeschenk, das längst er nicht mehr gesehen,
410   Wendet er steuerwärts sein bläuliches Boot an das Ufer,
Drauf der Seelen Gewimmel, das längs den Bänken gereiht saß,
Treibt er hinweg und öffnet die Gäng' und empfäht den erhabnen
Held Äneas im Raum: es erseufzt der belastete Nachen,
Leichtgewebt, und sauget, der spaltige, viel des Gesümpfes.
415   Endlich dem Strom jenseits unbeschädigt, Mann und Prophetin,
Setzt er in wüstem Moraste sie aus und bläulichem Schilfgras.

Cerberus vorn, machtvoll dreistündiges Bellen erhebend,
Hallt umher, ausdehnend den gräßlichen Wuchs in der Felskluft;
Dem, da er schon voll Schlangen die Häls' aufsträubt, die Prophetin

420   Einen betäubenden Kloß mit würzigen Säften und Honig
Vorwirft. Er, drei Rachen in rasendem Hunger eröffnend,
Schnappt den geworfnen hinweg, und den ungeheueren Rücken
Löst er gestreckt, und ruht langhin durch die Höhle gebreitet.
Schleunig gewinnt Äneas den Weg, da der Hüter berauscht lag
425   Und er enteilt dem Gestade der unrückgängigen Wasser.

Plötzlich ertönt's von Stimmen daher und lautem Gewimmer,
Und von kindlichen Seelen, die weineten, vorn an dem Eingang:
Welche, da kaum sie erblühten mit Lust, von den Busen der Mütter
Raubte der dunkele Tag und frühe senkt' in die Grube.

430  

Diesen zunächst, die dem Tod unwahre Beschuldigung zusprach.
Doch wird keinem verliehn ohn' Los und Richter der Wohnsitz.
Minos verhört und schüttelt die Urn'; er ruft die Versammlung
Schweigender Schatten heran und urteilt Leben und Vorwurf.

Hierauf halten den Ort die Traurigen, welche den Tod sich

435   Gaben mit eigener Hand schuldlos, und, des Lichtes Verächter,
Selber die Seel' hinwarfen. Wie gern in der heiteren Höhe
Möchten sie jetzt Armut ausstehn und harte Bedrängnis!
Richtspruch verbeut's; und des Trauergesümpfs unfreundliche Wasser
Bändigen und neunfältig umströmet die Styx sie verkerkernd.

440  

Auch nicht ferne davon in ausgebreitetem Umfang
Zeigt man die Felder des Grams; denn also nennt man die Gegend.
Hier sind, welche der Lieb' hinschmachtender Kummer getilget,
Auf einsameren Pfaden versteckt, und Myrtenumschattung
Hüllet sie ein; nicht schwindet auch selbst im Tode die Schwermut.

445   Hier auch Phädra und Procris erblicket er, und Eriphyle,
Welche betrübt vorzeigte des grausamen Sohnes Verwundung.
Auch Euadne, Pasiphae dann, und Laodamia
Gehen gesellt dir, Jüngling vordem, nun Mädchen, o Cänis,
Wiederum vom Geschick in vorige Bildung gewandelt.
450   Auch die Phönicerin dort, die frisch verwundete Dido,
Irrt' umher im großen Gehölz. Da der troische Heros
Dieser zuerst annaht', und eben erkannt' in der Dämmrung
Didos dunkle Gestalt, wie wer im beginnenden Monat
Durch umnebelnde Wolken den Mond sieht oder zu sehn glaubt;
455   Strömet' er Thränen herab und begann voll herzlicher Liebe:

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