Publius Vergilius Maro
Äneis
Publius Vergilius Maro

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Erster Gesang

Äneas, im siebenten Jahre nach Trojas Zerstörung umherirrend, wird auf der Fahrt von Sicilien nach Italien durch einen Sturm, den Juno durch Äolus erregte, mit sieben Schiffen aus der zerstreuten Flotte nach Libyen verschlagen, Juppiter tröstet die Venus durch des Sohns Schicksale und sendet den Mercurius, ihm die neu angesiedelten Carthager zu gewinnen. Dem spähenden Äneas begegnet die Mutter als Jägerin und führt ihn, in eine Wolke gehüllt, nach Carthago, wo er Gesandte von den verlorenen Schiffen und freundliche Aufnahme bei der Königin Dido findet. Statt des gerufenen Ascanius kommt Cupido, durch welchen Dido beim Gastmahl für Äneas entbrennt und die Geschichte seiner Irrfahrten verlangt.

            Waffen ertönt mein Gesang und den Mann, der vom Troergefild' einst
Kam, durch Schicksal verbannt, nach Italia und der Laviner
Wogendem Strand. Viel hieß ihn in Land' umirren und Meerflut
Göttergewalt, weil dau'rte der Groll der erbitterten Juno;
5   Viel auch litt er im Kampf, bis die Stadt er gründet' und Trojas
Götter nach Latium führte: woher der Latiner Geschlecht ward,
Und albanische Väter, und du, hochragende Roma.

Muse, des Grolls Ursachen verkünde mir, welches Gebotes
Kränkung die Königin reizte, daß, so viel kreisendes Unheil,

10   Sie den frömmeren Mann, so viel zu erdulden der Mühsal,
Drängte mit Zwang. So groß glüht himmlischen Seelen der Zorn auf?

Uralt blühte die Stadt, die Tyrier bauten, Carthago,
Gegen das Italerland fernhin und gegen des Tibers
Mündungen, reich an Gewalt, und zu Kriegsanstrengungen trotzig;

15   Die, wie man sagt, sich Juno vor allen Landen des Erdreichs,
Selbst vor Samos erkor. Hier ruhete jener die Rüstung,
Hier das Gespann; daß hier Obherrschaft throne den Völkern,
Werd' es vom Schicksal vergönnt, war jetzt schon ihr Streben und Sehnen.
Aber ein fernes Geschlecht, aus troischem Blute geleitet,
20   Hörete sie, werd' einst umkehren die tyrischen Burghöhn;
Dorther stammendes Volk, weitherrschend, und stolz der Bekriegung,
Komme zu Libyas Sturz: so roll' es die Spindel der Parcen.
Dessen besorgt war Juno; zugleich des vorigen Krieges
Dachte sie, welchen vor Troja zur Gunst sie geführet den Grajern.
25   Noch nicht waren dem Geiste des Zorns Ursachen entfallen
Und der erbitterte Schmerz; tief bleibt in der Seele bewahret
Paris richtender Spruch und die Schmach der beleidigten Schönheit,
Samt dem verhaßten Geschlecht, und wozu Ganymedes geraubt sei.
Durch dies Alles entbrannt, warf über die Flut sie die Troer,
30   Was vor der Danaerwut nachblieb und dem grimmen Achilles,
Daß sie von Latium ferne sie hielt'; und viele der Jahre
Irrten, vom Schicksal verfolgt, sie umher durch alle Gewässer.
So mühseliges Werk war des römischen Volkes Errichtung.

Kaum zu der Höhe des Meers vom Gesicht des siculischen Landes

35   Segelten froh sie dahin, mit dem Erz aufwühlend den Salzschaum;
Als Saturnia so, mit unheilbarer Wunde des Herzens,
Bei sich sprach: Ich sollte besiegt abstehen vom Vorsatz
Und von Italia nicht fern halten den teucrischen König?
Ha, mir verbeut das Geschick. Hat Pallas mit Glut der Argiver
40   Flotte zu tilgen vermocht und sie selbst in die Wogen zu senken,
Blos weil Ajax gefrevelt, der rasende Sohn des Oileus?
Selbst, aus Gewölk herschwingend des Donnerers reißende Flamme,
Schlug sie die Schiff' auseinander und regt' im Orkane die Wog' auf;
Ihn, der hell ausdampft' aus durchschmettertem Busen den Gluthauch,
45   Hob sie im Wirbel empor und spießt' an ein scharfes Gestein ihn.
Aber ich, die einher der Unsterblichen Königin wandelt,
Juppiters Schwester und Weib, mit dem einzigen Volke so endlos
Führ' ich den Streit! Wird einer hinfort anbeten der Juno
Macht? wird einer mit Flehn dem Altar auflegen Verehrung?

50  

Als mit entflammeter Brust Saturnia solches geredet,
Jetzt in der Stürm' Heimat, die geschart durchraset der Auster,
Kam nach Äolia sie, wo in räumiger Höhle der König
Äolus kämpfende Wind' und laut aufbrausende Wetter
Zähmt durch strengen Befehl und in Band' einschließet und Kerker.

55   Jen', unmutigen Sinns, umdrohn mit hohlem Gemurmel
Laut ihr Felsenverschloß. Hoch sitzt auf der Zacke besceptert
Äolus, sänftigt den Geist und stillt des Zornes Empörung.
Thät' er es nicht, Meerwogen und Land' und Tiefen des Himmels
Rafften sie traun im Orkane dahin und durchstäubten die Lüfte.
60   Doch der allmächtige Vater verbarg sie in dunkeler Felskluft,
Dessen besorgt, und den Wall hochtürmender Berge darüber
Legt' er und gab den König, der bald nach sicherer Satzung
Bändigen könnte den Lauf und bald nach Geheiß sie entzügeln.
Diesem nahete jetzt mit flehenden Worten die Göttin:

65  

Äolus, dir ja gewährte der Götter und Sterblichen Vater,
Einzuschläfern die Flut und wieder im Sturm zu erheben:
Schau, ein mir feindliches Volk durchwallt den tyrrhenischen Spiegel,
Ilion trägt's nach Italia hin und besiegte Penaten,
Rege die Winde mit Macht und versenke die Schiff' in den Strudel,

70   Oder zerstreu' sie umher und mit Leichnamen decke den Abgrund!
Vierzehn hab' ich der Nymphen von auserlesener Schönheit.
Welche davon vorraget an Lieblichkeit, Deiopea
Sei dir in Ehe gesellt, als eigene Lagergenossin,
Daß für solches Verdienst mit dir sie die Jahre der Zukunft
75   Leb' und zum Vater dich mache von lieblichen Söhnen und Töchtern.

Äolus also darauf: Dir, Königin, sei, was du wünschest,
Auszuspähn nur Geschäft, mir ziemt, den Befehl zu vollführen.
Du hast diese Gewalt, du Juppiters Huld und den Scepter
Mir ja verschafft; du gönnst, an dem Schmaus zu liegen mit Göttern;

80   Durch dich ward ich der Stürm' und der Witterungen Beherrscher.

Sprach's und zum hohlen Gebirg' hinwendend die Spitze,
Schlug' er die Seit'; und die Wind' in tummelndem Schwarm, wo sich Ausgang
Öffnete, stürzen hervor und durchwehen die Lande mit Wirbeln.
Rasch umziehn sie das Meer und ganz aus dem untersten Grund' auf

85   Wühlen es Eurus und Notus zugleich, und, von Regen umschauert,
Africus, daß hochher das Gewog' anrollt zu den Ufern.
Plötzlich erschallt der Männer Geschrei und der Taue Gerassel,
Und die umhüllende Wolk' entreißet den Tag und den Himmel
Schnell aus der Teucrer Gesicht; auf der Flut liegt düsteres Nachtgraun.
90   Ringsum donnert der Pol, und von Leuchtungen zucket der Äther,
Und andrängenden Tod verkündiget alles den Männern.

Schleunig sind dem Äneas gelöst von Schauer die Glieder,
Und er erseufzt, und beide die Hand' aufstreckend zur Sternbahn,
Hebet er also den Ruf: O dreimal selig und viermal,

95   Denen vor Trojas Mauern im Angesichte der Väter
Nahte das Ziel. Hochherzigster du des Danaervolkes,
Daß ich, o Tydeus Sohn, nicht auch in den ilischen Feldern
Fallen konnt' und den Geist durch deine Rechte verhauchen!
Wo dem Geschoß des Achilles erlag der trotzige Hector,
100   Wo der große Sarpedon, wo Simois wild in dem Strudel
Helm' und Schilde der Männer und tapfere Leichname hinrollt.

Während er so wehklaget, da saust ihm entgegen der Nordsturm,
Schlägt ihm das Segel zurück und die Flut zu den Sternen erhebt er.
Ruder an Ruder zerkracht; vorn dreht sich das Schiff und den Wogen

105   Giebt es die Seit'; und es stürzt das gebrochene Wassergebirg' ein.
Dort nun schweben sie hoch auf der Flut, dort sinkenden öffnet
Tief die zerlechzende Woge das Land, und es siedet der Schlamm auf.
Drei dort rafft und entschwingt auf verborgene Felsen der Südwind,
Felsen im Mittel des Meers, die ein Riff der Segeler nennet,
110   Schrecklich am Saum aufstarrend der Flut. Drei treibet der Ostwind
Auf Untiefen und Syrten, ein mitleidswürdiger Anblick,
Malmt sie hinein in den Abgrund und häuft umhügelnde Sandhöhn.
Eines, das Lycierfreund hertrug und den treuen Orontes,
Faßt ihm selbst vor den Augen ein hoch anrauschender Meerschwall,
115   Schlägt auf das Steuer mit Macht und entschüttelt im Schwung den Piloten
Häuptlings hinab vom Verdeck; doch es reißt dreimal in die Runde
Wirbelnd die Woge das Schiff und verschlingt's in den strudelnden Abgrund.
Rings nun schwimmen umher sparsam in unendlicher Meerflut
Waffen des Kriegs und Gebälk' und troische Schätz' durch die Brandung.
120   Schon des Ilioneus Schiff, das gewaltige, schon des Achates,
Auch das den Abas geführt und geführt den bejahrten Aletes,
Bändigt der Sturm; und die Fugen gelöst des gewölbeten Rumpfes,
Lassen sie feindlichen Guß eingehn durch lechzende Spalten.

Unterdes, daß empört machtvoll aufbrauset die Meerflut,

125   Und entfesselt der Sturm, gewahrte Neptunus und tiefauf
Gähren die Sümpfe des Grunds, und heftig beweget, hervor nun
Schaut er im Meer und erhub sein friedliches Haupt aus den Wassern.
Ringsum sieht er die Flott' in den Wogen zerstreut dem Äneas,
Und von der Flut die Troer umtobt und dem Sturze des Himmels.
130   Nicht auch verkannte der Bruder den Zorn und die Ränke der Juno.
Zephyrus rief er und Eurus heran; drauf redet er also:

So weit hat euch geführt die Vermessenheit eures Geschlechtes?
Himmel und Erde sogar selbst ohne Befehl eures Herrschers,
Wagt ihr zu mischen, o Wind', und solchen Tumult zu erheben?

135   Ha, ihr sollt . . ! Doch das Getöse der Flut zu bezähmen ist besser.
Traun, nicht büßt ihr hinfort mit ähnlicher Strafe den Frevel!
Eilt mir in schleuniger Flucht und sagt dies euerem König:
Nicht ihm gab die Verwaltung des Meers und den furchtbaren Dreizack,
Sondern mir selbst das Geschick. Er herrscht in dem grausigen Felsraum,
140   Den ihr, Eurus, bewohnt; dort üb' im Palaste den Hochmut
Äolus, und in der Winde verschlossenem Kerker gebiet' er!

Sprach's, und schnell, wie er sprach, war die schwellende Woge beruhigt,
War das Gewühl der Wolken verscheucht und die Sonne gekläret.
Auch Cymothoe müht, es müht sich auch Triton, zu schieben

145   Ab von dem Felsen die Schiff'. Selbst lichtet der Gott mit dem Dreizack,
Öffnet durch Sand und Watten die Bahn und stillet die Meerflut;
Und auf schwebendem Wagen durchrollt er die wallende Fläche.
Wie wenn in großer Versammlung des Volks sich manchmal ein Aufruhr
Hebt und in Grimm anrast der niedrig gesinnete Pöbel;
150   Schon sind Bränd' und Steine geschnellt; Wut bietet die Waffen;
Wenn dann etwa ein Mann, durch Verdienst ehrwürdig und Tugend,
Vortritt, schweigen sie all' und stehn mit gespanneten Ohren;
Jener bezähmt durch Worte den Geist und heilet den Mißmut:
Also sank das Getöse der Brandungen, als, in die Meerflut,
155   Mild vorschauend, der Vater die Ross' am geläuterten Himmel
Lenkte zur Fahrt und im Flug' auf entzügeltem Wagen daher fuhr.

Doch des Äneas Schar, die ermüdete, eilet den nächsten
Strand zu erreichen im Lauf, und zur Libyergrenze gelangt sie.
Weit ist zurückgebogen ein Ort, den zum Hafen ein Eiland

160   Durch vorliegende Seiten erschafft, wo gebrochen des Meeres
Woge zerschellt und hinein in die krümmenden Busen sich spaltet.
Links dort drohen und rechts unförmliche Klippen und zwiefach
Starrende Felsen empor, woran weit unter den Höhen
Ruht die gesicherte See; auch die Ansicht schaudernder Wälder
165   Ragt, und schwarzes Gehölz hochher mit grauser Beschattung.
Grad' entgegen gewandt ist eine gewölbete Felskluft,
Drin süßquellende Flut und Bänk' aus lebendem Felsen;
Nymphen zur Wohnung geweiht. Dort hält die ermüdeten Schiffe
Gar kein Tau, noch hemmt sie mit hakigem Bisse der Anker.
170   Dorthin kommt Äneas, der sieben Schiff' aus der ganzen
Menge zusammen gebracht. Sehnsüchtig begehrend zu landen,
Steigen die Troer hervor, das ersehnete Ufer gewinnend,
Lagern dann am Gestade von Salz hinschmachtende Glieder.

Jetzo dem Kiesel zuerst entschlug den Funken Achates,

175   Fing in trockene Blätter die Glut, auch trockene Nahrung
Fügt' er umher und schwang in dem glimmendem Reisig die Flamme.
Ceres Geschenk, von der Woge verletzt, und Geräte der Ceres
Langen die Mattgequälten hervor; den geretteten Vorrat
Rösten sie schnell an den Flammen und drehn die zermalmenden Steine.

180  

Aber Äneas indes erklimmt den Felsen und ringsum
Sendet er spähenden Blick in das Meer hin, ob er wo Antheus
Schaue verschlagen vom Sturm, und Phrygierbarken, ob Capys,
Oder die ragende Wehr am Hinterdeck des Caicus.
Nirgend erscheint vor den Augen ein Schiff; drei irrende Hirsche

185   Nimmt er wahr am Gestad', auch folgt das sämtliche Rudel
Hinterwärts und durchäset in langem Zuge die Thäler.
Hier sich stellend, ergreift er die fliegenden Pfeil' und den Bogen
Schnell mit der Hand; ihm trug das Geschoß sein treuer Achates.
Selbst die Führer zuerst, die hoch mit geästeten Häuptern
190   Prangeten, streckt er dahin; dann niederes Volk, und verwirrend
Treibt er umher mit Geschossen den Schwarm durch buschiges Dickicht.
Und nicht ruht er zuvor, bis er sieben gewaltige Leiber
Siegreich warf in den Staub und die Zahl gleich machte den Schiffen.
Dann zum Hafen gekehrt, verteilt er sie allen Genossen.
195   Weine darauf, in Krüge gefüllt von dem guten Acestes
Am trinacrischen Strand', und geschenkt vom Helden zum Abschied,
Spendet er aus und tröstet die sorgenden Herzen mit Zuspruch:

Freunde, wir sind ja bisher nicht ganz unkundig des Leidens!
O die ihr Schwereres trugt, auch dies wird enden die Gottheit.

200   Selbst der scylläischen Wut seid ihr, und der Würgerin graunvoll
Hallenden Klippen genaht; ihr habt die cyclopischen Felsen
Kennen gelernt. Faßt wiederum Mut und den zagenden Kummer
Bändigt. Künftig vielleicht ist des auch zu denken behaglich.
Durch vielfältige Not, durch manche Gefahr der Entscheidung,
205   Eilen wir Latium zu, wo ruhige Sitze das Schicksal
Darbeut. Dort soll wieder das Reich aufblühen von Troja.
Ausgeharrt und euch selbst glückseligen Tagen bewahret!

Also redet er Held, und von heftigen Sorgen geängstigt.
Zeigt er Hoffnung im Blick, tief birgt er den Gram in der Seele.

210   Jene beschicken die Beute der Jagd und ordnen den Festschmaus.
Einige ziehn von den Rippen die Haut und entblößen die Glieder;
Andre zerschneiden das Fleisch, und das zitternde schwebt an den Spießen:
Eherne Kessel stellt mancher am Strand', und pfleget des Feuers.
Jetzo erquickt die Speise das Herz, und im Grase gelagert,
215   Werden des altenden Weines sie satt und des saftigen Wildprets.
Als sie mit Kost den Hunger gezähmt und entfernet die Tafeln,
Werden bedaurt in langem Gespräch die verlorenen Freunde:
Schwankend in Furcht und Hoffnung erwägt man, ob sie noch leben,
Ob sie dem Ende genaht, und nicht mehr hören den Zuruf.
220   Aber es klagt Äneas am zärtlichsten, tapfrer Orontes,
Dein und des Amycus Los, auch des Lycus grausames Schicksal
Weinet er, Gyas den starken zugleich und den starken Cloanthus.

Schon war geendet die Klag', als Juppiter hoch in dem Äther
Auf das besegelte Meer hinschaut' und die ruhenden Länder,

225   Auf die Gestad' und die Völker umher, und vom Gipfel des Himmels,
So wie er stand, hinsenkte zu Libyas Reichen die Blicke.
Weil sein waltendes Herz von solcherlei Sorgen gedrängt war,
Nahte betrübt und genetzt die glänzenden Augen von Wehmut,
Venus und sprach: O der du, was Sterbliche schaffen und Götter,
230   Lenkst durch ewige Macht und mit donnerndem Strahle sie schreckest,
Was hat mein Äneas an dir so Großes zu freveln,
Was die Troer vermocht: daß, nach so viel Wehe den Duldern
Ganz noch der Erd' Umkreis Italias wegen gesperrt wird?
Dorther würden Romaner dereinst, mit den kreisenden Jahren,
235   Dorther Führer entstehn aus erneuetem Blute des Teucrus,
Welche mit Allherrschaft durch Meer und Länder geböten,
Sagtest du. Welch ein Entschluß hat dich, o Erzeuger, gewendet?
Hieraus, wann mich betrübte der Fall der gesunkenen Troja,
Schöpft' ich Trost, abwägend das Schicksal gegen das Schicksal.
240   Jetzo verfolgt die so lange mit Unglück ringenden Männer
Stets Unglück. Wann setzst du ein Ziel, Weltherrscher, dem Elend?
Konnte ja doch Antenor, dem Schwarm der Achiver entronnen,
Tief zur illyrischen Bucht und dem innersten Reich der Liburner
Eingehn ohne Gefahr und umlenken den Quell des Timavus:
245   Wo er, mit dumpfem Getöse des Bergs, neun Schlünden entrollend,
Geht zu brechen das Meer und den Schwall an die Felder emporbraust.
Dennoch gründete jener Pataviums Stadt und der Teucrer
Wohnungen dort, gab Namen dem Volk und weihete Trojas
Rüstungen; Friede nunmehr und behagliche Ruhe beglückt ihn.
250   Wir, dein eignes Geschlecht, die zur himmlischen Burg du erhöhn willst,
Werden der Schiff' (o entsetzlich!) beraubt und dem Zorne der Einen
Bloß gestellt und so weit von den Italerlanden entfernet.
Das ist der Frömmigkeit Lohn? so kehrt uns wieder die Herrschaft?

Ihr nun lächelte mild der Menschen und Ewigen Vater,

255   So wie sein Antlitz Himmel und Witterungen erheitert,
Und sanft naht' er der Tochter zum Kuß, dann redet er also:

Banne die Furcht, Cytherea; dir bleibt der Deinigen Schicksal
Stets unverrückt; schaun wirst du die Stadt und Laviniums Mauern,
Die ich verhieß, und erheben den großgesinnten Äneas

260   Hoch zu dem Äthergestirn; nicht hat mein Entschluß sich geändert.
Er (denn ich kündige dir's, weil noch die Sorge dich naget,
Und aus der Fern' aufroll' ich die dunkelen Gänge des Schicksals)
Führt einst schrecklichen Krieg in Italia, trotzige Völker
Bändigt er und ordnet Gesetz und Mauern den Männern:
265   Bis drei Sommer den König in Latium walten gesehen,
Und dreimaliger Frost dem bezwungenen Rutuler hinfloh.
Aber Ascanius drauf, der jetzt den Namen Iulus
Führet, Ilus vordem, als machtvoll Ilios herrschte,
Wird durch dreißig Kreise der monatrollenden Jahre
270   Weit das Gebiet ausdehnen und weg vom Sitze Lavinums
Heben das Reich zur langen mit Kraft befestigten Alba.
Drei Jahrhunderte nun wird dort verwaltet die Herrschaft
Vom hectorischen Stamm, bis die Priesterin, Tochter des Königs,
Ilia, schwanger von Mars, ein Zwillingspaar auf die Welt bringt.
275   Froh mit gelblicher Hülle der säugenden Wölfin sich deckend,
Wird nun Romulus erben das Volk und mavortische Mauern
Aufbaun und die Romaner nach eigenem Namen benennen.
Deren Gewalt soll weder ein Ziel mir engen noch Zeitraum;
Endlos daure das Reich, das ich gab. Ja die eifernde Juno,
280   Die nun Meer und Länder mit Furcht und den Himmel beängstigt,
Wird zum Besseren wenden das Herz und begünstigen gleich mir
Romas Volk, die Gebieter der Welt, die Togaumwallten.
Also gefällt's. Einst kommt mit den schlüpfenden Zeiten das Alter,
Wann des Assaracus Haus der berühmten Mycen' und der Phthia
285   Knechtisches Joch auflegt und siegreich schaltet in Argos.
Dann aus schönem Geschlecht wird blühn der trojanische Cäsar,
Der zu den Sternen den Ruhm, zum Oceanus dehnet die Herrschaft.
Julius, also benannt vom edelen Ahnen Iulus.
Diesen mit östlicher Beute Beladenen wirst du gesichert
290   Einst im Himmel empfahn; dann rufen auch ihm die Gelübde.
Jetzt wird, ruhend vom Streit, das rauhere Alter sich mildern.
Vesta, die grauende Treu, und Remus vereint mit Quirinus,
Geben Gesetz. Doch gesperrt mit Eisen und zwängenden Klammern
Stehn die gräßlichen Pforten des Kriegs; wild drinnen auf Waffen
295   Sitzet die frevelnde Wut, wo in hundert ehernen Fesseln
Jen' auf den Rücken geschnürt, graunvoll knirscht blutigen Mundes.

Juppiter sprach's, und er sendet den Sohn der Maja vom Himmel,
Daß sich öffnen die Land' und die Burg der neuen Carthago
Gastlich dem teucrischen Volk, und nicht, unkundig des Schicksals,

300   Dido die Grenze verwehr'. Er entfleugt durch die luftigen Räume
Mit hinrudernder Schwing' und betritt schnell Libyas Ufer.
Schon ist bestellt das Gebot, schon sind sanftmütig der Pöner
Trotzige Herzen dem Gott. Vor allen die Königin heget
Ruhigen Sinn im Busen und Freundlichkeit gegen die Troer.

305  

Aber der fromme Äneas erwägt gar vieles die Nacht durch;
Jetzt, wie das heilige Licht sich erhob, ausgehend die neuen
Gegenden auszuforschen, an welche Gestad' er gebracht sei,
Wer sie bewohn' (Einöde ja scheint's), ob Menschen, ob Raubwild,
Dies zu erspähn, und den Freunden genau zu berichten, beschließt er.

310   Als er die Flott' im Gewölbe des Hains, an gehöhleter Felswand,
Unter der Bäume Verschloß ringsher und grauser Umschattung,
Sicherte, wandelt er selbst, nur allein von Achates begleitet,
Zwei Wurfspeer' in der Hand, die breit vorschimmerten, schwenkend.

Noch in der Mitte des Walds begegnete jenem die Mutter,

315   Jungfraun gleich an Tracht und Gestalt und gewaffnet wie Jungfraun,
Spartische; oder wie rasch Harpalyce, Thracias Heldin,
Spornet die Ross' und in Eile dem stürzenden Hebrus zuvorrennt.
Denn nach der Jägerin Art, das bequeme Geschoß um die Schultern,
Ging sie einher, darbietend das Haar dem zerstreuenden Winde,
320   Nackend das Knie und im Knoten die fließenden Schöße gesammelt.
Heda, rief sie zuerst, sagt, Jüngling, ob ihr vielleicht hier
Meiner Gespielinnen eine gesehn, die irrend umherging,
Schön mit dem Köcher geschürzt und dem Fell des fleckigen Luchses,
Oder ob schreiend im Lauf sie hemmte den schäumenden Eber.

325  

Venus sprach's, und darauf gab Venus' Sprößling die Antwort:
Deiner Gespielinnen keine vernahm ich oder ersah ich,
O, wie nennt dich mein Wort, Jungfrau? Nicht zeigt ja dein Antlitz
Sterbliches, noch tönt menschlich die Stimme dir: Göttin, o wahrlich!
Schwester des Phöbus vielleicht, zum wenigsten eine der Nymphen!

330   Wer du auch bist, sei gnädig und schaff' uns leichter die Arbeit;
Und, was doch für ein Himmel uns deckt, welch Ende der Welt uns
Schweifende birgt, sag' an. Unkundig der Ort' und der Männer,
Irren wir um, die Wind und geschwollene Woge dahertrieb.
Dir am Altar soll häufig mein Arm hinstrecken das Opfer.

335  

Venus darauf: Nicht schätz' ich so herrlicher Ehre mich würdig;
Ist doch, Köcher zu tragen, Gebrauch den tyrischen Jungfraun,
Und mit dem Purpurcothurne sich hoch die Wade zu gürten.
Tyrier schaust du und Pönergebiet und die Stadt des Agenor;
Doch sind's Libyergrenzen, ein Volk unnahbar im Kriege.

340   Dido waltet des Reichs, die vertrieben vom Bruder, aus Tyros
Hierher floh. Lang ist die Beleidigung, lang der Erzählung
Umschweif; doch ich erzähle dir kurz die wichtigsten Thaten.
Ihr war einst Sychäus vermählt, an phönicischen Auen
Überreich, und der Armen in herzlicher Liebe vereinigt,
345   Dem sie der Vater zur Braut, die noch jungfräuliche Tochter,
Festlich geweiht. Doch der Bruder Pygmalion übet in Tyros
Obergewalt, ein Frevler durch schreckliche Greuel verrufen.
Bald nun trennete Wut die Erbitterten. Auf den Sychäus
Zuckt am Altar der Entweiher, von Gier nach Golde geblendet,
350   Zu heimtückischem Morde den Stahl, um die Liebe der Schwester
Sorglos. Lange verhehlt' er die That; voll heuchelnder Arglist
Täuscht' er der Liebenden Schmerz und log ihr eitele Hoffnung.
Aber im Schlummer erschien des unbegrabenen Gatten
Eigenes Bild; aufhebend in schrecklicher Blässe das Antlitz,
355   Zog er den grausen Altar und die Brust vom Stahle durchbohret,
Hell ans Licht, den geheimen Verrat des Hauses enthüllend.
Flucht zu beschleunigen rät er, und schnell zu verlassen die Heimat,
Und zur Hilfe der Fahrt eröffnet er uralte Schätze
Unter der Erd', ein Gewicht unerkundeten Goldes und Silbers.
360   Dido, bewegt durch solches, bereitete Flucht und Genossen.
Viele versammelten sich aus wütendem Haß zum Tyrannen,
Viel' aus heftiger Furcht. Was grad' an Schiffen bereit war,
Rafft man zusammen, belädt man mit Gold, Pygmalions Schätze
Trägt man, des Räubers, zum Meer. Es treibt ein Weib zu der That an.
365   Als sie gekommen zum Ort, wo nun die gewaltigen Mauern
Sehen du wirst und die wachsende Burg der neuen Carthago,
Handelten jene den Grund, von der That jetzt Byrsa benennet,
So viel als umspannen die Stierhaut ihnen vermöchte.
Doch wer seid denn ihr? aus welcherlei Gegenden kommt ihr?
370   Wohin lenkt ihr den Weg? – Der Fragenden sagte dagegen
Seufzend der Held und tief aus der Brust aufziehend die Stimme:
Göttin, o wollt' ich vom ersten Beginn fortgehen zum End' hin,
Und du hörtest in Ruh' die Erzählungen unserer Mühsal,
Eher wird betten den Tag nach verschlossenem Himmel der Abend.
375   Uns, von der grauenden Troja, wofern einst eueren Ohren
Trojas Namen erscholl, durch entlegene Meere geführet,
Warf mit blinder Gewalt der Orkan an die libyschen Ufer.
Ich bin Äneas der fromme, dem Feind entriss'ne Penaten
Führ' ich in Schiffen daher, mein Ruhm drang hoch bis zum Äther.
380   Heim nach Italia streb ich, zum Stamm, der von Juppiter ausging.
Zwanzig Schiffe betrat ich und fuhr durch phrygische Woge,
Folgend dem Weg des Geschicks, den die göttliche Mutter mir nachwies.
Kaum sind sieben zerschlagne von Sturm und Brandungen übrig.
Selbst hier darbend und fremd, durchwander' ich Libyas Wildnis,
385   Ich, den Europa verstieß und Asia! – Mehr zu bejammern,
Gab nicht Venus ihm Raum und bannt' so redend den Kummer:

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