Publius Vergilius Maro
Äneis
Publius Vergilius Maro

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(Zweiter Gesang)

              Siehe, geschleppt ward jetzo des Priamus Tochter Cassandra,
Fliegenden Haars, vom Tempel und Heiligtum der Minerva,
Hoch zum Himmel gewandt die flammenden Augen, vergebens:
405   Augen allein, denn es hemmte die zärtlichen Hände die Fessel.
Nicht trug, solches zu schaun, in rasender Seele Coröbus,
Und ein Verzweifelnder sprang er zum Tod in die Mitte des Zuges.
Alle wir rennen ihm nach in das dichteste Waffengetümmel.
Hier umstürmt uns zuerst vom erhabenen Dache des Tempels
410   Unserer Freunde Geschoß, und klägliches Morden erhebt sich,
Weil der Waffen Gestalt sie täuscht und der griechische Helmbusch.
Dann auch die Danaer zürnen, im Schmerz der entrissenen Jungfrau,
Und rings wüten geschart sie heran: der verwegene Ajax,
Atreus Doppelgeschlecht, und der Doloper ganzes Geschwader.
415   Wie wenn gewandt aufeinander die Wind aus berstendem Wirbel
Kämpfen, mit Zephyrus Notus zugleich, und von östlichen Rossen
Eurus geführt, laut sauset der Wald, und es tobt mit dem Dreizack
Nereus umschäumt, und erregt aus dem untersten Grunde die Meerflut.
Jene sogar, die wir im dunkelen Schatten der Nacht wo
420   Scheuchten mit unserem Trug' und umher durch die Veste verjagten,
Kommen hervor; und zuerst erkennen sie unsre gefälschten
Waffen und Schild' und bemerken des Munds fremdartige Klänge.
Alles vorbei! uns erdrücket die Zahl. Coröbus zuerst nun,
Durch Peneleos Hand, am Altar der gewappneten Göttin,
425   Stürzet in Blut; es erliegt Rhipeus, der Gerechteste vormals
Aller im teucrischen Volk, und zumeist auf Billigkeit achtend.
Anders der Götter Beschluß! Auch Hypanis sanken und Dymas,
Niedergebohrt von Genossen; auch dich hingleitenden Panthus,
Schützte die Frömmigkeit nicht und der heilige Schmuck des Apollo.

430  

Asche der Ilierstadt, und endende Flamme der Meinen,
Zeugt, wie bei eurem Fall ich weder Geschoß noch die Wechsel
Mied des Danaerkampfs; wie sehr, wenn Geschick es vergönnet,
Daß ich sänk', es verdient mein Arm! Los reißen wir jetzt uns,
Iphitus mit, und Pelias mit, (ob schwer auch von Alter

435   Iphitus geht, und Pelias schwer von Ulixes Verwundung),
Stracks dorthin, wo Geschrei zu Priamus Wohnung uns abruft.

Dort nun welch ein Getümmel des Kampfs, als tobete nirgends
Sonst der Krieg, als sänk' in der Stadt sonst keiner dem Tode,
So unbändigen Grimm, und zum Haus ansprengende Grajer

440   Schauen wir, und um die Schwelle den Sturm des ziehenden Schilddachs!
Leitern haften gelehnt an die Wänd', auch unter die Pfosten
Strebt man die Stufen hinan; abwehrende Schild' an den Linken
Beut man dem Wurfe gedeckt, und ergreift mit den Rechten die Giebel.
Aber die Dardaner ringen, die Thürm' und der Wohnungen Dächer
445   Aufzurütteln umher; hiermit, da das Ende sie absehn,
Trachten sie, als mit Geschoß, sich im äußersten Tode zu wehren.
Auch goldstrahlende Balken, die Pracht uralter Erzeuger,
Wälzt man herab; doch andre verteidigen unten den Eingang,
Blinkenden Stahl vorstreckend, und stehn in gedrängeter Heerschar.
450   Neu jetzt hebt sich der Mut, den Palast zu schirmen des Königs,
Und mit erleichternder Hilfe die Kraft der Besiegten zu stärken.

Schwell' und heimliche Thüre war dort, ein häuslicher Durchgang,
Der des Priamus Zimmer verband, und verborgene Pfosten
Hinterwärts, durch welche vordem, als blühte die Herrschaft,

455   Ohne Geleit die arme Andromache oft zu den Schwähern
Pflegte zu gehn und dem Ahnen das Kind Astyanax mitnahm.
Dort nun steig' ich hinauf zum Giebel des obersten Daches,
Wo ihr eitles Geschoß herwarfen die elenden Teucrer.
Jäh empor stand schwindelnd ein Turm, auf der Spitze der Wohnung
460   Hoch zu den Sternen geführt, woher ganz Troja gesehn ward,
Auch der Danaer Schiff', und weit das achäische Lager:
Den, mit umwühlendem Eisen genaht, wo das obere Stockwerk
Wackelnde Fugen gewährt', entrüttelten wir dem erhabnen
Stand' und drängten ihn fort; der gelockerte sinket und plötzlich
465   Kracht er im Sturz, und herab auf der Danaer Tausende weithin
Schmettert' er. Doch zum Ersatz drohn andere. Weder Gestein auch
Rastet indes, noch sonstiges Wurfwerk.

Selber am Eingang nun und der vordersten Schwelle, da stolzet
Pyrrhus einher, von Geschossen und ehernem Schimmer umleuchtet:

470   Wie wenn ans Licht die Schlange, mit schädlichem Kraute genähret,
Die in der Erde geschwollen den Frost ausharrte des Winters,
Jetzo, der Hüll' entkleidet, und neu im Glanze der Jugend,
Mit aufstrebender Brust herrollt den schlüpfrigen Rücken,
Bäumend zur Sonn', und dem Maul dreispaltige Zungen entschimmern.
475   Periphas trotzet gesellt, Automedon auch, des Achilles
Lenker und Waffengenoß, und ganz die scyrische Jugend,
Die zum Palast andringen und Glut aufwerfen zum Giebel.
Unter den ersten er selbst mit geschwungenem Beile durchschmettert
Rasch die gediegenen Schwellen und wühlt aus der Angel die Pfosten,
480   Starr von Erz; nach zerhacktem Gebälk nun höhlt er der Bohlen
Festes Verschloß und öffnet die weit aufgaffende Mündung.
Hell steht drinnen das Haus, und hell die langen Gemächer,
Wo einst Priamus weilt' und die Könige grauender Vorzeit;
Und Wehtragende schaut man gestellt an der Schwelle des Eingangs.
485   Aber das innere Haus durchstürmt Wehklagen und Aufruhr
Jammervoll; tief hallet im Inneren hohler Gemächer
Weibliches Trauergeheul; zu den goldenen Sternen erschallt Lärm,
Mütter in Angst durchirren die ungeheueren Säle,
Halten die Pfosten umfaßt und ruhn mit gehefteten Küssen.
490   Pyrrhus drängt mit des Vaters Gewalt; nicht Riegel und selbst nicht
Hemmen die Hüter fortan. Von dem häufigen Stoße des Widders
Wackelt die Pfort', und es stürzen gesprengt aus der Angel die Pfosten.
Waffengewalt bahnt den Weg; ein bricht und ermordet die ersten
Stürmender Danaer Schwarm, und rings von Gewappneten wimmelt's.
495   Nicht so, wann hochschäumend der Strom aus gebrochenen Dämmen
Austrat und mit Gestrudel des Baus Abwehren besiegte,
Rollt er in Wut auf die Ebnen gedrängt, und durch alle Gefilde
Raffet er Ställ' und Herden hinweg. Neoptolemus sah ich
Selbst, wie er tobte zum Mord, und des Atreus Söhn' an der Schwelle;
500   Hecuba sah ich, und hundert der Schnür', und Priamus blutend
Auf dem Altar entweihen die selbstgeweiheten Feuer.
Fünfzig Ehegemächer, die blühende Hoffnung der Enkel,
Mit barbarischem Gold und Siegsraub prangende Pfosten
Sanken dahin; es beherrscht, was Feuer verschont, der Argiver.

505  

Auch sein Schicksal vielleicht, des Priamus, möchtest du wissen.
Als der eroberten Stadt Umsturz und zerrüttet der Wohnung
Schwellen er sah, und gedrungen den Feind in die innersten Kammern,
Hüllet er Waffen, der Greis, um die kraftlos bebenden Schultern,
Längst entwöhnete Waffen, umsonst; mit dem Stahle der Ohnmacht

510   Gürtet er sich und rennt wie zum Tod in die dichtesten Scharen.
Mitten im Raum des Palastes, dem kreisenden Äther geöffnet,
Stand ein großer Altar, und zunächst ein gealteter Lorbeer,
Der, zum Altare geneigt, mit Schatten umfing die Penaten.
Hecuba hier und die Töchter, umsonst um des Herdes Erhöhung,
515   Wie aus nachtendem Sturme mit Angst herschießende Tauben,
Saßen dicht sie gedrängt und der Ewigen Bilder umfassend.
Doch da sie Priamus selbst in des Jünglinges Waffen gerüstet
Schauete: Welch ein Gedanke des Grauns, unglücklicher Gatte,
So dich zu gürten in Wehr? O wohin doch eilest du? rief sie.
520   Nein, nicht solcherlei Hilf' und solche Verteidiger fordert
Jetzo die Zeit; nein, wenn er auch selbst da wäre, mein Hector!
Hierher rette dich doch! der Altar wird alle beschirmen;
Oder wir sterben zugleich! – So sprach sie laut, und empfing ihn
Neben sich und setzte den Greis an die heilige Stätte.

525  

Aber o schau, wie entschlüpfend aus Pyrrhus Morde Polites,
Einer von Priamus Söhnen, daher durch Geschosse, durch Feinde
Flieht die gesäuleten Hallen entlang und verödete Säle,
Triefend von Blut, ihn verfolgt mit zuckender Wunde des Todes
Pyrrhus entbrannt; gleich hält ihn sein Arm, gleich drängt' er den Speerstoß.

530   Als er zuletzt vor die Augen entfloh und das Antlitz der Eltern,
Sank er dahin und verströmte mit vielem Blute das Leben.
Priamus jetzt, obgleich schon finsterer Tod ihn umringet,
Doch nicht hielt er sich länger, der Stimm' und des Zornes zu schonen.

Ha! dir Scheusal, rufet er aus, unmenschlicher Frevler,

535   Müssen, wenn Huld im Himmel noch wohnt, die solches beachtet,
Würdigen Dank die Götter verleihn und Lohn dir erwidern,
Der dir gebührt! du, der du des Sohns Ermordung mich selbst hier
Anschaun ließt und dem Vater durch Mord entweihtest das Antlitz.
Doch nicht jener, von dem du erzeugt dich lügest, Achilles
540   That an Priamus also, dem Feind; Scheu trug er und Ehrfurcht
Vor demütigem Flehn und gab den verbluteten Leichnam
Hectors wieder der Gruft und entsandte mich selbst in die Herrschaft.

Also zürnte der Greis und warf ohnmächtigen Schwunges
Sein wehrloses Geschoß, das sofort vom dumpfigen Erze

545   Prallt' und gelähmt dahing an des Schilds vorragendem Nabel.

Pyrrhus darauf: So melde denn dies und mit Botschaft
Hin zu dem Vater Achilles! Vergiß nicht, alle die Frevel
Seines entarteten Sohns Neoptolemus ihm zu verkünden!
Jetzo stirb! – So sprach er, und flugs den Erzitternden rafft' er

550   Hin zum Altar, wie er schwankt' in vielem Blute des Sohnes;
Flocht in die Linke das Haar, mit der andern hub er das blanke
Mordschwert und bis zum Hefte hinab in die Seite verbarg er's.

So war Priamus letztes Geschick, so führte zum Ausgang
Ihn sein Los, der Troja in Brand und niedergestürzt sah

555   Pergamus; der, so viel einst Land' und Völker beherrschend,
Asias Obmacht trug! Groß liegt am Gestade der Leichnam,
Rumpf und Haupt, von der Schulter getrennt, unnennbar und namlos.

Mich nun wahrlich zuerst umdrang ein entsetzlicher Schauer;
Und ich erbebt' und dachte das Bild des trautesten Vaters,

560   Als ich an grausamer Wunde den ihm gleichaltrigen König
Sah aushauchen den Geist; und das Bild der verlassnen Creusa,
Auch das geplünderte Hans und das Los des kleinen Iulus.
Rückwärts schau' ich, zu spähn, was noch um mich für Gewalt sei.
All' entzogen sich müde dem Kampf, teils sprangen sie mutlos
565   Nieder zur Erd', und teils mit verzweifelndem Schmerz in die Flammen.

Schon war dort ich übrig allein, da die Schwelle der Vesta
Hüten und still im Schutz des versteckten Ortes sich bergend
Tyndarus Tochter erschien; denn die strahlende Lohe des Brandes
Leuchtete mir, der ich irrt', und das Aug' allseitig umhertrug.

570   Jene, die feindlichen Grimm um Pergamus Sturz von den Teucrern,
Auch der Danaer Straf' und den Zorn des verlassenen Gatten
Fürchtete, sie Fluchgöttin für Troja zugleich und die Heimat,
Hatte sich heimlich entfernt und saß, den Altären ein Abscheu.
Rasch entbrennt mir die Seele von Glut, und ich wünsche zu rächen
575   Unser gefallenes Reich in des frevelnden Weibes Bestrafung.
Diese fürwahr soll Sparta noch schaun und Mycene die Heimat,
Heil und gesund, und in nahem Triumph als Königin wandeln?
Ehbund soll sie noch sehen und Haus und Väter und Kinder,
Stolz in troischer Fraun und phrygischer Diener Begleitung?
580   Priamus läge vom Stahle gewürgt? auf loderte Troja?
Blutvoll hätte so oft dardanisches Ufer geströmet?
Nicht also! denn obgleich nicht gar denkwürdigen Namen
Weibliche Strafe gewährt und arm an Lobe der Sieg ist;
Dennoch den Gräuel getilgt und bestraft zu haben, wie billig,
585   Unfug, werd' ich gelobt! auch das Herz in glühender Rachgier
Sättigen, bringt Labsal, und die Asche der Meinigen sühnen!

Also stürmte die Seel', und ich flog, wie rasenden Mutes:
Als mir hell, wie nimmer zuvor, sich dem Auge zu sehen
Bot, und in lauterem Lichte die Nacht durchstrahlte die Mutter,

590   Herrlich und hehr, als Göttin, wie schön sie den Himmlischen jemals,
Und wie hoher Gestalt sie erscheint. An der Rechten mich fassend,
Hemmete jen' und freundlich mit rosigem Munde begann sie:

Sohn, wie so heftiger Schmerz empört unbändigen Zorn dir?
Was so getobt? und wohin ist die Sorge für uns dir entflohen?

595   Willst du zuvor nicht schaun, wo matt von lastendem Alter
Blieb dein Vater Anchises? ob lebt die Gemahlin Creusa,
Auch ob Ascanius lebt? Sie all' umwühlet der Grajer
Schlachtengewühl ringsher; und wenn nicht meine Beschirmung
Waltete, raffte die Flamme bereits und vertilgender Mordstahl.
600   Nicht die verhaßte Gestalt der Laconerin, Tyndarus Tochter,
Noch der gescholtene Paris; o nein, ungütige Götter,
Götter zerstörten die Macht, und schmetterten Troja zu Boden.
Schau umher! denn alles Gewölk, das jetzo verdunkelnd
Dir den sterblichen Blick abstumpft und mit dunstigem Nebel
605   Dick umflort, entreiß' ich dem sehenden. Du, unerschrocken,
Höre der Mutter Befehl und leist' ihr willig Gehorsam.
Dort, wo zertrümmerte Lasten des Bau's und von Felsen gerissne
Felsen du siehst, und wogen mit wirbelndem Staube den Rauchdampf,
Zuckt Neptunus die Mauern und hebt mit gewaltigem Dreizack
610   Aufgerüttete Gründ', und die sämtliche Stadt aus dem Lager
Wühlt er empor. Dort wütet, gestellt auf dem scäischen Thore,
Juno voran, und wild den verbündeten Schwarm von den Schiffen
Ruft sie, umgürtet mit Stahl.
Schon auf den Zinnen der Burg, schau her, wie Tritonia Pallas
615   Leuchtend droht mit hellem Gewölk und entsetzlicher Gorgo.
Selbst entflammt die Achäer mit Mut und helfenden Kräften
Juppiter; selbst erregt er auf Dardanerwaffen die Götter.
Sohn, o beschleunige Flucht und mach ein Ende der Arbeit.
Nirgend dir fern, werd' ich sicher zur Vaterschwelle dich leiten.

620  

Venus sprach's und verschwand in der Nacht tiefschattendes Dunkel.
Sieh, Erscheinungen drohn graunvoll und Mächte der Götter
Feindlich dem troischen Volk.
Jetzo fürwahr schien ganz mir hinabzusinken in Feuer
Ilium, und aus dem Grunde gewühlt die neptunische Troja:

625   Wie, wenn hoch in Gebirgen die stattlichste Orne der Vorzeit
Rings mit Eisen umhaun und schmetternden Äxten, und eifernd
Jetzt aus der Erd' aufwühlen die Ackerer, wie sie beständig
Droht und erbebt an den Ästen, und schwankt mit taumelndem Wipfel;
Bis, von entwurzelnden Wunden besiegt allmählich, noch einmal
630   Laut sie erseufzt und schmetternd, den Höhn entrottet, hinabkracht.
Nieder steig' ich, von Göttern geführt, und durch Flammen und Feinde
Geh' ich einher; Raum beut das Geschoß, und die Flammen entdrehn sich.

Aber nachdem ich zur Schwelle der Vaterwohnung gelangt war,
Und zu dem alten Palast, und ich hoch in die Berge zu retten

635   Wünschte den Vater zuerst, und zuerst aufsuchte den Vater;
Weigert er fortzuleben, da Troja niedergestürzt lag,
Und in Verbannung zu gehn. Ihr, rufet er, denen das Blut noch
Jugendlich ist, und gestrengt in eigener Stärke die Nerven,
Ihr da beratet die Flucht!
640   Wenn die Unsterblichen mir ein längeres Leben bestimmet,
Hätten sie wohl mir erhalten das Haus. O genug und zu vieles
Sah ich an einer Zerstörung, und blieb der eroberten Stadt nach!
So, so leget den Leib, und: Friede dir! saget zum Abschied.
Selbst mit der Hand mir find' ich den Tod. Auch der Feind, sich erbarmend,
645   Wird nur nehmen die Wehr. Leicht ist der Verlust der Bestattung.
Schon vorlängst, ein Verhaßter den Ewigen, frist' ich die Jahre
Kümmerlich; seit mich der Götter und Sterblichen Obergebieter
Mit anwehendem Strahle gerührt und der Flamme des Donners.

Also sprach er gefaßt und beharrete drob unerschüttert.

650   Doch wir Thränenden flehn, ich selbst und die Gattin Creusa,
Auch Ascanius fleht, und das Haus rings, daß er nicht alles
Mit ausrotte, der Vater, und streb' in das drängende Schicksal.
Jener versagt, und besteht, im Entschluß und im Orte geheftet.

Wieder zum Kampf entstürm' ich, den Tod mir Elenden suchend.

655   Denn welch anderer Rat, und welches Geschick noch erbot sich?
Ha, zu entheben vermöcht' ich den Fuß, dich, Vater, verlassend?
Hofftest du das? So Finstres entsank dem Munde des Vaters?
Soll nach der Götter Entschluß nichts mehr von der mächtigen Stadt sein,
Und fest haftet der Sinn, du gesellst der zerfallenden Troja
660   Dich und die Deinen mit Lust; dem ist geöffnet der Zugang!
Bald von dem strömenden Blute des Priamus nahet sich Pyrrhus,
Der vor dem Vater den Sohn, am Altar hinmordet den Vater.
Das war's, göttliche Mutter, warum durch Geschosse, durch Feuer,
Du mich entrafft, daß ich mitten den Feind in den innersten Kammern,
665   Daß ich Ascanius hier und den Vater zugleich und Creusa,
Abgewürgt den einen im Blute des anderen sähe?
Waffen herzu, bringt Waffen! uns ruft der besiegende Tag ab!
Männer, zurück in den Kampf! laßt wieder mich schaun die gedrängten
Danaer! Nie doch sinken wir all' ungerächet dem Tode!

670  

Wieder mit Stahl umgürt' ich den Leib, und gefaßt in der Linken
Hängt mir am Arm der Schild, und fort aus den Wohnungen stürm' ich.
Siehe da schlang um die Füße sich mir an der Schwelle die Gattin,
Angeschmiegt, und zum Vater erhob sie den kleinen Iulus.

Wenn du zu sterben gewillt, o nimm zu allem auch uns mit!

675   Doch wenn genommenen Waffen du kundiger etwas vertrauest,
Schirme zuerst dies Haus! Wem bleibt dein kleiner Iulus,
Wem dein Vater zurück, und die einst Gattin du nanntest?

Also jammerte sie, mit Geschrei rings füllend die Wohnung;
Als sich plötzlich erhub ein seltsam klingendes Wunder.

680   Denn uns zwischen den Händen, im Anblick trauernder Eltern,
Siehe da scheint leicht her von der oberen Scheitel Iulus
Spitzig zu leuchten ein Glanz, und rings, unschädlich berührend,
Leckt um die weichlichen Locken die Flamm' und umwallet die Schläfen.
Wir die Erschrockenen zittern vor Angst, und das brennende Haupthaar
685   Schütteln wir aus und löschen mit Flut die heiligen Feuer,
Aber der Greis Anchises erhob zu den Sternen die Augen,
Fröhlichen Muts und streckte die Hand' ausrufend gen Himmel:

Juppiter, o wenn dich ein Gebet, Allmächtiger, rühret,
Schau uns an! Nur dieses! Und macht uns Frömmigkeit würdig,

690   Gieb doch Hilf', o Vater, und kräftige solche Verkündung!

Kaum hatt' also geredet der Greis, und mit plötzlichem Krachen
Donnert' es links einher, und hoch vom Himmel die Nacht durch
Schoß ein feuriger Stern mit hell nachziehendem Glanze.
Ihn, der über das Dach des erhabenen Hauses hinwegfuhr,

695   Sehen wir klarumstrahlt im idäischen Walde sich bergen,
Und hell zeichnen die Bahn, denn die quer hinstreifende Furche
Leuchtet entlang, und rings die Gegenden dampfen von Schwefel;
Jetzo hebt er besiegt sein Haupt zu den Lüften, der Vater,
Ruft die Himmlischen an und grüßt dem hehren Gestirn nach:

700  

Nun nicht länger gesäumt! ich folg' euch, Götter der Väter,
Wo ihr auch führt! Erhaltet das Haus, erhaltet den Enkel!
Euer ist jenes Gesicht; und in euerem Schutze ist Troja!
Wohl denn! ich folge dir, Sohn, und gesellt dir geh' ich nicht ungern.

Jener sprach's, und lauter bereits schallt Flammengeprassel

705   Durch die Gebäud', und es nahn heißwogende Gluten des Brandes.

Teuerster, jetzo wohlan! auf den Nacken mir setze dich, Vater!
Selber biet' ich die Schulter der Last; nicht müdet die Arbeit!
Wie auch falle das Los, doch ein' und dieselbe Gefahr ist,
Doch ein Heil ist beiden gewährt. Mein kleiner Iulus

710   Gehe gesellt an der Hand, und neben mir gehe die Gattin.
Ihr, o Genossen des Hauses, vernehmt, was ich sage, mit Sorgfalt.
Außer der Stadt ist ein Hügel, worauf ein bejahrterer Tempel
Steht der verlassenen Ceres, und nah' ein alter Cypreßbaum,
Des in heiliger Furcht Jahrhunderte schonten die Väter.
715   Dorthin wollen wir all' auf verschiedenen Wegen uns sammeln.
Trag' in der Hand, du o Vater, das Heilige samt den Penaten.
Mir, der aus blutigem Streit herkommt und frischem Gemetzel,
Ist sie zu fassen verwehrt, bevor mich lebende Wasser
Abgespült.

720  

Also sprach ich, und, neigend den Hals und die mächtigen Schultern,
Breit' ich darauf ein Gewand und die Haut des gelblichen Löwen,
Trete dann unter die Last. Rechts schmiegt mein kleiner Iulus
Sich an die Hand, und begleitet mit kürzerem Schritte den Vater;
Neben mir folget mein Weib. Durch Orte der Finsternis gehn wir.

725   Und mich, welchen noch jüngst kein fliegender Sturm der Geschosse
Kümmerte, oder entgegen getummelte Scharen der Grajer,
Schreckt nun jedes Gesäusel der Luft, regt jedes Geräusch auf,
Daß ich im Gang oft stutze, für Bürde besorgt und Begleitung.

Und schon naht' ich den Thoren der Stadt, und glaubte des Weges

730   Schrecknissen allen entfloh; da ein plötzlicher Laut zu den Ohren
Rasch wie von kommenden Tritten erscholl, und der Vater, im Dunkel
Spähend. O Sohn, ausrief, o entfleuch, Sohn! schaue, da nahn sie!
Funkelnde Schild' und der Erz' anzuckende Schimmer erkenn' ich! –
Mir nun, ich weiß nicht welch' unfreundliche Götter entrückten
735   Schnell den verworrenen Geist mir Erzitternden! Denn da ich abwegs
Lenke den Lauf, ausbeugend bekannterem Raume der Gassen,
Blieb mir Armen das Weib, ob entrafft vom Schicksal, Creusa
Blieb mir zurück, ob vom Wege verirrt, ob müde sich setzend,
Ach wer weiß! Nie ferner erschien sie unseren Augen!
740   Auch nicht wandt' ich den Blick zur Verlorenen, noch die Besinnung,
Ehe den Hügel und Sitz der altertümlichen Ceres
Schon wir erreicht. Hier endlich, wie alle sich sammelten, fehlet
Sie allein, die Genossen und Sohn und Gatten betrübend.
Wen nicht klaget' ich an, so Götter und Sterbliche, sinnlos?
745   Was in der fallenden Stadt, o was Grausameres sah ich?
Unseren Sohn, und Anchises den Greis, und die Teucrerpenaten
Geb' ich den Freunden zur Hut, im gewundenen Thale sie bergend;
Selber enteil' ich zur Stadt, und gürte mir leuchtende Wehr um.
Fest bleibt's, alle Gefahr zu erneun, durch alle Verwüstung
750   Trojas wieder zu gehn, und das Haupt zu bieten dem Unheil.

Flugs zu den Mauern zuerst und der dunkelen Schwelle des Thores
Eil' ich, wodurch ich gekommen, zurück und folge gewendet
Jeder beachteten Spur durch die Nacht, mit forschendem Blicke.
Grauen dem Geist ringsher; auch die Still' ist selber entsetzlich.

755   Dann zu dem Haus, ach wäre vielleicht, ach wäre sie drinnen!
Wander' ich. Voll war ganz vom Danaerschwarme die Wohnung.
Alles vorbei! Es ersteigt die verzehrende Flamme den Giebel,
Rollend im Wind'; hoch strudelt die Loh' und brauset zur Luft auf.
Vorwärts geh' ich, und schaue die Burg und Priamus Wohnung.
760   Schon in verödeten Hallen am Heiligtume der Juno
War als Hut mit Phönix bestellt der grause Ulixes,
Daß sie bewahrten den Raub. Ringsher alttroischer Reichtum,
Schätze, den brennenden Tempeln entrafft, und Tische der Götter,
Krüg' aus lauterem Gold, und erobertes Feiergewand wird
765   Aufgehäuft. Auch Knaben und zagende Mütter umher stehn
Langgereiht.
Tollkühn wagend sogar den Laut zu erheben im Dunkel,
Füllt' ich die Gassen entlang mit Geschrei, und traurig Creusa
Rief umsonst von neuem und stets von neuem mein Ausruf.
770   Während ich sucht', um die Häuser der Stadt ungebändiget rasend;
Schien der Elenden Bild, und die eigne Gestalt der Creusa,
Mir vor den Augen zu stehn, in höherem Wuchse, denn vormals.
Und ich erstaunt', es sträubt sich das Haar, und es stockte der Laut mir.
Sie nun redete so, die tröstenden Worte beginnend:

775  

Was ist so unmäßig dem Schmerz nachhangen für Labsal,
O mein trauter Gemahl? Nicht ohn' obwaltende Götter
Traf dies ein! Nicht sollte von hier mitgehen Creusa!
Nein, dir versagt's das Geschick und der Gott des hohen Olympus!
Ferne Verbannungen nun, unermeßliche Wogen durchpflügst du,

780   Bis du Hesperia findest, das Land, wo ein Lydier fette
Männergefilde durchrollt, sanftwallenden Zuges, der Thybris.
Dort wird heiteres Glück, Herrschaft und fürstliche Gattin
Dir zum Los. Nicht länger geweint um die teure Creusa!
Nicht ja der Myrmidonen und Doloper stolze Besitzung
785   Werd' ich schaun, noch zum Dienste der grajischen Mütter hinweggehn,
Dardanus Tochter, und Schnur der Idalia!
Nein, mich hemmet allhier die erhabene Mutter der Götter.
Lebe nun wohl und erhalte des Sohns, des gemeinsamen, Liebe!

Als sie die Worte gesagt, und ich weint', und vieles zu reden

790   Trachtete, floh sie hinweg und verschwand in wehende Lüfte.
Dreimal strebt' ich hinan, um den Hals ihr die Arme zu schlingen;
Dreimal vergeblich gefaßt entfloh aus den Händen ihr Bild mir,
Wie leichtwehende Wind' und geflügeltem Schlafe vergleichbar.
Also schwand mir die Nacht, und zurück zu den Meinigen kehr' ich.

795  

Neue Gefährten daselbst in unermeßlicher Anzahl
Find' ich zusammengeströmt mit Bewunderung, Mütter und Männer,
Jugend, gesammelt zur Flucht, ein erbarmungswertes Gewimmel.
Ringsher drängeten jene, mit Mut und Habe sich bietend,
Welcherlei Land ich auch immer im Meer aufsuchte zum Wohnsitz.

800   Jetzo entstieg glanzvoll den erhabenen Spitzen des Ida
Lucifer, bringend den Tag; und die Danaer hielten umlagert
Alle Thor', und versagt war jegliche Hoffnung des Heiles.
Weichend dem Los, erhub ich und trug zum Gebirge den Vater.

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