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Auf der Oktoberfestwiese im Jahre 1926

Ich kann mich noch gut erinnern, wie ich gestern auf dem Oktoberfest war. Herrliches Wetter leuchtete vom Himmel herab und der Mondschein kam erst abends zum Vorschein. Daß ich nicht vergesse, muß ich Ihnen noch was von der Auer Dult erzählen. Und zwar eine wahre Begebenheit:

Jeder normale Mensch läßt sich auf der Welt nur einmal begraben, meistens dann, wenn er gestorben ist. Vielmehr – er läßt sich nicht mehr begraben, sondern die andern lassen ihn begraben, weil er gar nichts mehr zu reden hat. Ein Mann aber auf der Auer Dult ernannte sich »Der Verächter des Todes« – läßt sich in einen Sarg legen und sich pro Tag 10 bis 20mal begraben; und feiert somit 10 bis 20mal im Tag die sogenannte Auferstehung. Mir wurde von dieser Sensation erzählt und gleich suchte ich die Schaubude auf, um mich an diesem grausigen Schauspiel zu ergötzen. Enttäuscht stand ich mitten im Dulttumult vor der geschlossenen Bude. Auf einem primitiven Plakat stand mit Bleistift geschrieben: »Wegen Krankheit des Verächters des Todes – heute geschlossen.« – Tragisch schlich ich mich um die Bude herum und hinten an der Zeltleinwand wartete ein neuer Schlager auf mich. An der nagelneuen Zeltleinwand stand eine neue schablonierte Inschrift: »Wer diese Leinwand zerschneidet und wird dabei erwischt, wird polizeilich verfolgt.« – (Bitte, Wahrheit.) – Von der Dult – 1925 fuhr ich mit der Elektrischen zum heurigen Oktoberfest 1926. Gleich beim Anblick der Wiese hatte ich schon die erste Überraschung. Denn durch den Aufbau des heurigen Oktoberfestes sah man nicht mehr den Dreck, der ein Jahr lang seit dem vorigjährigen Oktoberfest vom Stadtmagistrat nicht weggeräumt wurde. Der Münchner Stadtrat hat nun beschlossen, trotz der großen Arbeitslosigkeit, von nun an nach jedem Oktoberfest den ganzen Dreck liegen zu lassen, bis sich derselbe so angehäuft hat, daß die Theresienwiese immer höher und höher wird und in zirka fünfzig Jahren kann das Oktoberfest auf luftiger Bergeshöhe abgehalten werden; dazu sind natürlich Drahtseilbahnen nötig, was für den Magistrat (außer den Riesenpachtsummen der Wiesenwirte und Schausteller) wieder eine neuerliche Einnahmequelle bedeutet. Man sieht also, die Stadträte sind doch nicht so ungeschickt wie ... man meint – –

Mein erster Gang war zu den Somalinegern. Ihr ganzes Leben und Treiben führen sie uns Europäern vor. Wir begaffen und bestaunen sie, teils aus Neugierde, teils aus Mitleid – denn aus ihren Augen leuchtet schweres Heimweh nach ihrer fernen Heimat. Dann kaufte ich mir in der Augustinerbude eine Maß Wagnerbräu. Und als ich meinen Durst gelöscht hatte und der Bude entstieg, abendelte es draußen schon. Unzählige Glühlampen glühten vor Glut. Interesse halber nahm ich mir vor, sämtliche Glühlampen auf der Wiese zu zählen. Ich war bereits bei der 22 533sten Lampe angelangt, da kommt ein halb besoffener Mann und frägt mich: »– Bitt schön, Herr Nachbar, wieviel Uhr ist's denn? –« Ich zählte laut meine Glühlampen weiter – 22 534 –. In dem Moment hat mir der eine Mordstrumm Watsche gegeben, denn daß es so spät sein sollte, kam diesem Mann unwahrscheinlich vor. Die Ohrfeige wurde mir mit einer solchen Wucht verabreicht, daß ich den Stiefel verlor, und mein Hut flog in weitem Bogen per Zufall direkt auf ein leerstehendes Steckerl beim Kohlenfeuer der Fischer Vroni. Hätte ich ihn nicht sofort wieder vom Steckerl entfernt, so wäre ich in zehn Minuten im Besitze eines gebratenen Panamahutes gewesen. – – –

Zeichnung: Karl Arnold

Drei Achterbahnen – also zusammen 24 – befinden sich auf der Wiese. Du gehst hin – zahlst 50 Pfennig – und dafür fahrst du an dieselbe Stelle, wo du eingestiegen bist. Ist das nicht komisch? – Das ist dasselbe, als wenn du am Hauptbahnhof in die Zweier einsteigst und fahrst damit zum Hauptbahnhof – – – Drei Stück Riesenmädchen – der Name derselben ist nicht wichtig, nur das Gewicht – sitzen zusammen in einer kleinen Bude, alle drei auf einem kleinen massiven Podium. Wie sie in die Bude gekommen, ist mir ein jahrelanges Rätsel – durch den Eingang unmöglich. Um Wohnstätten für Menschen zu schaffen, baut man, normal gehandelt, zuerst das Haus, dann ziehen die Menschen ein. Diese drei dicken Mädchen setzte man auf die Wiese und baute ein Haus um sie herum. Wer diese dicken (armen) Menschen auslacht, verdient selbst – so dick zu werden, denn diese Riesenkinder haben von der ganzen schönen Welt nichts, als so dick zu sein.

Mungo, das Affenweib aus dem Negerstamme der Akka Akka, frißt Ratten und Mäuse. Das finde ich nicht gar so furchtbar. Die Pariser haben, als wir sie anno siebzig belagerten, auch Ratten und Mäuse auf der Speisekarte gehabt... Daß heuer ein Oktoberfest in dem andern drinsteckt, wissen die wenigsten, weil es so versteckt ist. Zwei Brüder, beide Mechaniker, haben in ihren freien Stunden, nach jahrelanger, mühevoller Arbeit, ein kleines vollständiges Münchner Oktoberfest zusammengebastelt, welches eher ins Deutsche Museum als auf die Wiese gehört. Jeder Münchner, der außer seiner Wiesenmaß sich auch noch für etwas anderes interessiert, muß sich dieses wahre Kunstwerk ansehen. Es ist leicht zu finden, denn die hochlöbliche Wiesenkommission hat den beiden armen Teufeln trotz halbjähriger Voranmeldung außerhalb der Wiese, unter der Bavaria, ein einsames Plätzchen eingeräumt. Daß ich heuer – auch voriges Jahr – schon Aussicht gehabt hätte, auf der Festwiese vor einem heißen Schweinswürstlrost Schweinswürstlausrufer zu werden, muß ich hier, weil die Sache auf Wahrheit beruht, erwähnen.

Zeichnung: Karl Arnold

Daß auch das wehmütige Zitat: »Das Alte stürzt, es ändern sich die Zeiten« auf unser altes Oktoberfest Bezug hat, sei hier zum Schluß noch erzählt. ... Die alten üblichen Blechmusikanten, meistens drei oder vier an der Zahl, die bei keiner Schaubude fehlten und ihre Volksweisen und Gassenhauer über die Wiese erschallen ließen, sind am Aussterben. – Groß und Klein – Arm und Reich – hatten bei dem Oktoberfest die kindlichste Freude daran, diesen Tonkünstlern zuzuhören, und wenn sie auch noch so gräußlich mit vollen Backen in die mit Grünspan belegten Trompeten bliesen. Wer hat sie vergessen die berühmte Schichtlkapelle mit dem Zwergdirigenten? – Vorbei!! – Vorbeil! – Heuer ist schon zum ersten Male die amerikanische Jazzbandmusik auf der Wiese eingezogen – die gehört doch zum Tanzen, wo sie sehr schön ist – und wie lange wird es noch dauern, vielleicht? – – Einige Jahre noch – – und es werden auch unsere feschen Oberlandlerkapellen mit ihrer schneidigen Volksmusik verschwinden, und statt den schönen bayerischen Liadln: »Wo die Alpenrosen blühn« usw. singt und tanzt man – von einem amerikanischen Jazzorchester begleitet – »Was machst du mit dem Knie, lieber Hans, mit dem Knie, lieber Hans, beim Tanz.«

Alles gut und schön für ein modernes mondänes Etablissement, aber für unser altes, ehrwürdiges Oktoberfest paßt das nicht. – – – Oder baut den modernen Münchnern ein eigenes Oktoberfest ... aber laßts uns das alte. Dann ists uns wurscht.

Geschrieben 1926.

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