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Brief an einen Theaterdirektor, geschrieben 1934

Sehr geehrter Herr Direktor!

München, im September 1934

Wenn ich mir erlaube, über die gestrige Premiere zu kritisieren, so dürfen Sie es mir ruhig gestatten, mich über meine Eindrücke zu äußern.

Daß gestern abend in Ihrem fast neuen Volkstheater Theater gespielt wurde, haben Sie eigentlich sich selber zu danken, umsomehr, wo man am Nachmittag noch nicht bestimmt gewußt hat, ob am Abend bestimmt premiert werden kann, haben Sie es fertig gebracht, mit fleißiger Energie und stahlhartem Willen, ein herabgekommenes Theater wieder als Schmuckkästchen zu verwandeln, sogar der Herr Oberbürgermeister war unter den Gästen zu erblicken. Über ihm, im 4. Rang, welcher sich ebenfalls über das famose Spiel glänzend amüsierte, saß ein alter Schulkamerad von meiner Wenigkeit, dieser freute sich mehr über die 2 Freikarten, als über das Stück selbst, was auch nicht schwer zu verstehen ist, denn er hat selbst schon, genau wie der »Hauptmann« auf der Bühne, Unterschlagungen gemacht, nur nicht in Dollar, sondern in Mark und Pein.

Ich selbst will ja nicht Kritik ausüben über das Stück, denn dazu bin ich als früherer Schreiner und Getreidehändler nicht berechtigt – aber es war gut – guter hätte es nicht sein sollen, sonst wäre es zu gut gewesen und damit verwöhnt man das anwesende Publikum im Zuschauerraum, wenn dann das nächstfolgende Stück nicht so gut ist, ich meine überhaupt nicht gut, also ungut, kann man es so leicht nicht mehr gut machen ... Das einzige, was ich auszusetzen habe, war am Schluß der plötzliche Schuß. Obwohl das ganze Publikum ahnte (ich selbstverständlich auch), daß jetzt der Hauptmann hinausgeht, um Selbstmord zu verüben, erschrak es doch furchtbar. Einer alten Dame hinter mir fiel vor Schreck ihr Gebiß aus der Höhle des Mundes und fiel so unglücklich in die Hände einer neben ihr sitzenden jungen Dame, daß dieselbe meinte, es sei ihr eigenes und es flugs in den Mund schob; natürlich bemerkte sie sofort, daß es nicht mehr Platz hatte, da sie ja die ihren drin hatte.

Es wäre nur eine Anregung meinerseits, wenn vor dem Schuß hinter der Bühne ein Herr vor die Rampe treten und in einer kurzen Ansprache erklären würde, daß das verehrliche Publikum gefaßt sein soll auf den kommenden Revolverschuß. – Oder könnte man den Schuß nicht weglassen und der Hauptmann soll sich mit Veronal vergiften? Dann könnte sich der Herr diese Erklärung ersparen, denn da kann dann das Publikum nicht erschrecken und solche unliebsame Vorkommnisse, wie das mit dem Gebiß, wären ein für allemal aus der Welt geschafft – vor allem aus der Theaterwelt.

Daß Sie im Erfrischungsraum nur Flaschenbier verabreichen, ist ein widerlicher Gedanke für einen Münchner, aber wahrscheinlich nicht zu umgehen, da das Anzapfen der Fässer während der Vorstellung zu viel Radau machen würde.

Furchtbare Regiefehler waren in dem Stück wahrzunehmen. An der Stelle, wo der junge Bankier Raaz in einem hochmodernen Zimmer mit Stahlmöbeln und Telefon sitzt, hat der junge Mann eine alte Plastron-Kravatte, wie sie mein Urgroßvater getragen hat, als er das erste Mal in die Realschule ging. Sie, werter Herr Direktor, haben so viel in das neue Theater gesteckt – kaufen Sie dem Raaz eine moderne Kravatte, Modell September 1924, statt Januar 1866.

Daß bei dem Stück viel telefoniert wird, ist nicht zu vermeiden (wenn auch nur Schwindel), aber jedenfalls hat gestern das Publikum daran Anstoß genommen, daß die Bühnentelefone fertig waren und die neue Telefonzelle im Vorraum des Theaters noch ohne jede Apparatur ist. Wann wird hier endlich Abhilfe geschafft? – – Sonst ist alles herrlich gewesen, besonders das neue Theatermobilar, die kostbaren Teppiche im Zuschauerraum; schade, wenn dieser wunderbare Bodenbelag durch das Publikum abgenützt wird. Ich würde an Ihrer Stelle niemand hinein lassen.

Gruß und Kuß!
Ihr
Karl Valentin.

*

 


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