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12. Kapitel. Ungehorsam

Am nächsten Morgen nahm sich Professor Winter seinen Sohn noch einmal vor und machte ihm klar, daß er lernen müsse, sich nach den Worten und Wünschen der Eltern zu richten. Sie seien erfahrener als die Kinder und wüßten daher besser, was den Kindern fromme, als diese selbst. Er müsse nicht immer seinen Willen durchsetzen wollen. Dadurch habe er sie gestern alle um das Vergnügen in der Blauen Grotte gebracht. Er sei schon zehn Jahre alt und müsse das selbst einsehen und ernstlich an seiner Besserung arbeiten.

Ernst und dabei doch gütig sprach der Vater mit seinem Jungen. Herbert war recht zerknirscht und gelobte Besserung.

Aber zwischen der Vornahme und der Ausführung liegt noch ein weiter Weg. Da kommt noch so manches dazwischen. Das sollte auch Herbert erfahren.

Die Wunderbare Grotte wollte dem Jungen nicht aus dem Kopf. Aber sooft er davon anfing, sagte der Vater mahnend: »Herbert, denke an dein Versprechen!«

Dann wurde der Junge rot und schwieg. Doch seine Gedanken ließen sich nicht so rasch zügeln wie sein Mund. Die blieben bei der Grotte hängen. Schon daß sie »die Wunderbare« hieß, beschäftigte Herberts Phantasie. Was mochte es da alles Wunderbares drin geben! Sicher merkwürdiges Seegetier, wie er es im Aquarium gesehen – herrliche Muscheln, vielleicht gar wunderbare Korallen und Perlen. Nichts Schöneres gab es für Herbert, als wenn er mit seinen Freunden unten am Strande von der Wunderbaren Grotte sprechen konnte.

Caprikinder sind auch nicht anders als andere Kinder. Sie nahmen den Mund gewaltig voll, der Carlo, der Umberto, der Giovanni und der Bernardo. Einer wußte immer mehr von der Wunderbaren Grotte zu berichten als der andere. Alle waren sie schon dort gewesen, selbst die Mädel. Sie machten Herbert durch ihre Erzählungen immer neugieriger.

Noch nie hatte er eine Tropfsteinhöhle gesehen. Seltsame Tiergestalten, Bäume, Kirchengewölbe mit Kanzel und andere wunderbare Dinge sollte das Gestein dort bilden. In allen Farben sollte es dort schimmern, nicht bloß blau, nein, bunt wie der Regenbogen, so erzählten die Kinder.

»Also ich muß die Wunderbare Grotte unbedingt sehen!« sagte Herbert mit plötzlichem Entschluß.

»Für eine Lire rudere ich dich hin«, erbot sich Bernardo, der älteste, der schon vierzehn Jahre alt war. »Wenn du mit deinem Vater fährst, kostet es fünf Lire.«

Das Wort »Vater« gab Herbert einen Stich ins Herz. Was hatte er seinem Vater versprochen?

Er strich die hellbraunen Haare aus der Stirn, als ob er auch damit den unbequemen Gedanken fortstreichen könnte. Dann zog er sein kleines Muschelportemonnaie aus der Hosentasche. Der Vater hatte es ihm neulich mal geschenkt. Und er wollte seinem guten Vater ungehorsam sein? Herbert stand und überlegte.

»Wenn dir eine Lire zuviel ist, werde ich dich für eine halbe hinrudern – basta – abgemacht!« erklang da wieder Bernardos Stimme. Als kleiner Italiener war er daran gewöhnt, mit sich feilschen zu lassen.

Herbert gab sich einen Ruck.

»Basta – abgemacht!« sagte er und schlug in die dargebotene Hand seines älteren Freundes ein. Denn er schämte sich vor ihm seiner Wankelmütigkeit. »Wann fahren wir?« fragte er möglichst großartig, um nur nicht merken zu lassen, daß ihm im Grunde seines Herzens recht beklommen zumute war.

»Wann du willst.«

»Also dann morgen nach Tisch. Da schlafen meine Eltern, und der Suse sage ich einfach, ich habe eine Verabredung mit Jungen. Wir wollen nicht immer die Mädel dabei haben.« Das brachte er möglichst forsch heraus, um sich vor dem Großen aufzuspielen. Dabei empfand er es ganz deutlich, wie schlecht es von ihm war, seine Zwillingsschwester zu beschwindeln. Ja, aber sie in sein Geheimnis einweihen, das konnte er doch auch nicht. Suse war ja so brav. Die redete ihm ganz bestimmt von seinem Vorhaben ab, wie damals, als er mit der »Vineta« mit nach Genua fahren wollte. Und wie müßte er sich dann wohl vor dem Bernardo schämen! Daß er sich seines Ungehorsams und der Heimlichkeit, die er vor seinen Eltern hatte, viel mehr schämen mußte, daran wollte der Junge nicht denken.

»Also, es bleibt dabei, auf morgen um zwei. Da kommt die Suse mit den andern Mädeln – nichts verraten«, flüsterte er Bernardo noch zu.

» Niente – nichts!« Bernardo legte bekräftigend den Zeigefinger auf den Mund.

Die herbeikommende Suse, die mit ihren Freundinnen Julia und Rosina Muscheln gesucht hatte, fragte verwundert: »Was habt ihr denn für Heimlichkeiten?«

»Quatsch, gar keine«, sagte Herbert rasch und wurde dabei rot.

Suse sah den Bruder groß an. Er pflegte sonst nicht so abweisend gegen sie zu sein. Und warum war er bloß rot geworden?

Den ganzen Tag über war Herbert nicht wie sonst. Das böse Gewissen, daß er etwas Unerlaubtes heimlich tun wollte, bedrückte ihn. Er konnte nicht so froh sein, wie er es zu sein pflegte.

Als die Eltern am Nachmittag mit den Kindern einen Spaziergang hoch hinauf auf einen Berg machten, um dort oben die Ruinen der Villa des Tiberius, des alten römischen Kaisers, zu besichtigen, schlang Suse den Arm um den Zwillingsbruder.

»Herbert, was hast du heute? Du bist ganz verändert. Gar nicht so lustig wie sonst. Bist du krank?« fragte sie liebevoll.

»Ach, Unsinn! Ich bin doch mächtig vergnügt«, sagte er ziemlich verlegen und begann zu hopsen, um seine Lustigkeit zu beweisen.

Suse ging still ihres Weges. Sie war traurig, daß Herbert kein Vertrauen zu ihr hatte. Denn daß da nicht alles in Ordnung war, das merkte sie doch. Dazu kannte sie doch ihren Zwilling zu gut.

Heiß und sonnig stieg der schmale Weg durch Weingärten zu der Villa des Kaisers Tiberius hinan. Trotz der Caprischuhe mit den weichen, geflochtenen Hanfsohlen, welche die Kinder hier statt ihrer Sandalen trugen, tat der steinige Weg den Füßen weh. Nur Bubi, der allen voran hinauf- und wieder hinunterraste und so den Weg dreimal machte, schien die Hitze und die Ermüdung nicht zu fühlen.

»Mutti, sind wir noch nicht bald da?« fragte Suse.

Die Eltern, die gerade an einer Wegbiegung das herrliche Panorama, das sich, je höher man stieg, desto bezaubernder gestaltete, betrachteten, warteten auf die zurückbleibenden Kinder.

»Na, schon müde?« fragte der Vater lächelnd.

»Nee, gar nicht, bloß heiß und durstig – doll durstig! Gibt es da oben was zu trinken, Vater?« erkundigte sich Herbert.

»Ich glaube nicht, daß der alte römische Kaiser einige Krüge Wein zu unserer Erfrischung dort oben stehengelassen hat«, lachte der Vater. »Ja, Suschen, der Kaiser Tiberius hat es besser gehabt als wir. Der ließ sich in einer Sänfte von seinen Dienern hier hinauftragen.«

»Sänfte, was ist das, Vati?«

»Ein gläsernes Häuschen, wie einen Wagen ohne Räder müßt ihr es euch vorstellen. Vorn und hinten hat es, ähnlich wie eine Tragbahre, Holzdeichseln zum Anfassen. Eine Sänfte, das war das gewöhnliche Fortbewegungsmittel der vornehmen Welt im Altertum«, erklärte der Vater den Kindern. »Du möchtest wohl auch in solch einer Sänfte hinaufbefördert werden, Suschen?«

»Nein, bloß nicht! Die armen Menschen, welche die Sänfte mit dem schweren Kaiser hier in der Hitze hinaufschleppen mußten«, sagte Suse mitleidig.

»Dafür waren sie Sklaven«, meinte Herbert, der im Altertum schon ganz gut Bescheid wußte.

»Waren das etwa keine Menschen?« fragte die Mutter vorwurfsvoll.

»Na ja, aber man hat sie doch nicht so behandelt. Man hat sie verkauft, als ob sie ein Gegenstand wären.«

»Gut, daß es jetzt keine Sklaven mehr gibt«, sagte Suse aus tiefstem Herzen und hängte sich in Muttis Arm ein. Der Weg wurde ihr nun gar nicht mehr so schwer. Die armen Sklaven hatten hier dereinst mehr zu schleppen gehabt als sie.

Herbert war es zumute, als ob er keine leichtere Last den steilen Berg hinaufschleppe als die römischen Sklaven. Er trug schwer an seiner heimlichen Verabredung mit Bernardo. Dazu quälte ihn der Durst. Ach, wenn er doch etwas zu trinken gehabt hätte! Oder auch nur einen säuerlichen Bonbon. Immer langsamer wurden seine Schritte. Bubi, der zu seinem kleinen Herrn zurückgejagt war, wedelte aufmunternd mit dem Schwänzchen.

Aus den Gärten klang Gesang, Stimmen und Lachen. Man war dort bei der Obsternte.

An der Steinmauer, die über und über mit roten Pelargonien überwuchert war, tauchte ein schwarzhaariger Mädchenkopf auf. Eine bräunliche Hand hielt Herbert einen wunderbaren Riesenpfirsich, den sie eben vom Spalier gepflückt hatte, freundlich entgegen.

»Da, Piccolo – una pesca – da, Kleiner, einen Pfirsich!«

» Grazie tante – danke vielmals«, sagte Herbert wohlerzogen.

War es nicht wie im Märchen, wo einem ein Wunsch, kaum gedacht, schon in Erfüllung ging? Ein herrlicher Pfirsich war es. Zart und weich wie Samt, rosenrot und goldgelb. Nie hatte Herbert eine so schöne Frucht gesehen. Er streichelte sie behutsam über die weiche Samthaut, bevor er hineinbiß.

Schon wollten sich seine kräftigen Jungenzähne in das saftige Fleisch des Pfirsichs pressen, da dachte er daran, daß die Suse doch genau solchen Durst habe wie er selbst. Seine Suse mußte die Hälfte von dem schönen Pfirsich bekommen.

Er machte ein paar schnellere Schritte. Aber die Eltern und Suse waren inzwischen schon ein großes Stück voran. Herbert hatte gar nicht gemerkt, daß er so viel zurückgeblieben war. Nachlaufen – nein, das ging nicht. Dazu war der Weg zu steil, zu steinig und zu heiß. Da verschwand Suses weißes Kleid gerade um eine Wegbiegung.

Er konnte ja den Pfirsich inzwischen mal probieren und der Suse etwas davon aufheben. Ganz leicht ließ er sich in zwei Hälften brechen.

Oh, war der saftig! Herbert führte die erquickende Frucht an die verlechzten Lippen.

Da durchzuckte es ihn: Was hatte der Vater ihnen eingeschärft? Niemals ungewaschenes Obst zu essen, da man danach schwer an der Ruhr erkranken könne. War er nicht im Begriff, schon wieder ungehorsam zu sein?

Ja, aber der Vater hatte doch nur von gekauftem Obst gesprochen, nicht von geschenktem. Und einen Brunnen, um die Frucht zu waschen, gab es hier weit und breit nicht. Ein bißchen lecken wollte er nur mal an dem Saft – nur einmal! Ach, schmeckte der süß, erquickte der! Ehe Herbert wußte, was er tat, hatte er in den Pfirsich hineingebissen.

Sollte er den Bissen nicht hinunterschlucken, ihn wieder ausspeien? Dazu schmeckte er wirklich zu gut. Das wäre schade gewesen. Dem ersten Bissen folgte ein zweiter und ein dritter – da war der halbe Pfirsich verzehrt.

Herbert stand mit verdutztem Gesicht da und blickte nachdenklich auf die andere Pfirsichhälfte, die seiner Suse zugedacht war.

Ob er der Schwester die Frucht aufhob? Ja – ob der Vater es aber erlauben würde, daß sie ungewaschenes Obst aß? Und die Suse selbst war viel zu artig, um das gegen Vaters Gebot zu tun. So ungehorsam war nur er.

Während der Junge so stand und überlegte, geschah es, daß Suses Pfirsichhälfte kleiner und immer kleiner wurde. Und als Herbert mit seinen Überlegungen zu Ende war, da – war auch der Pfirsich zu Ende. Er war in Herberts eigenen Magen gewandert. Keiner außer Bubi hatte es gesehen.

Die arme Suse – nun bekam sie keinen Pfirsich und mußte dursten. Es war doch eigentlich recht häßlich von ihm, daß er die erquickende Frucht allein gegessen. Na, wenigstens konnte die Suse nicht krank werden von dem ungewaschenen Obst.

»Ei, Herbert, was ist denn heute mit dir los?« empfing der Vater den endlich auf der Höhe auftauchenden kleinen Nachzügler. »Sonst bist du immer mit deinem Bubi allen voran, und heute bildet ihr beide den Schwanz.«

»Es ist zu heiß heute.« Wirklich, ganz erhitzt war der Junge. Er glühte förmlich. Suse zog ihr kleines Taschentuch heraus und trocknete ihm die heiße Stirn.

Die gute Suse – und er hatte ihr nichts von seinem Pfirsich aufgehoben.

Ein uralter Mann mit langem, weißem Bart in brauner Kutte trat aus der Kapelle zu ihnen und grüßte. Herbert dienerte, Suse knickste.

»Das ist ein Eremit, ein frommer Einsiedler. Er haust hier oben ganz allein in seiner Klause«, erklärte der Vater den Kindern.

»Hu, würde ich mich allein hier in den alten Mauern graulen«, sagte Suse, sich furchtsam in der alten Ruine einstiger römischer Kaiserpracht umschauend.

»Hier spukt es bestimmt um Mitternacht«, stimmte auch Herbert bei.

»Den schönsten Platz der ganzen Capriinsel hatte sich der römische Kaiser ausgesucht«, stellte die Mutter fest. »Solch einen umfassenden Rundblick auf Meer und Berge, auf Sorrent und Salerno hatten wir noch nirgends. Ich freue mich schon auf den Sonnenuntergang hier oben. Das muß ein wunderbares Naturschauspiel werden.«

»So lange wollen wir hier oben bleiben?« fragte Suse erschreckt. »Ich habe solchen Hunger und Durst.«

Herbert hörte es schuldbewußt. Warum hatte er auch der Suse den halben Pfirsich fortgegessen. Wie gut würde ihr der jetzt munden. Sicher hatte auch der Eremit Wasser hier oben, daß man den Pfirsich hätte waschen können.

Bubi sah seinen kleinen Herrn vorwurfsvoll an. Der wandte sich ab. Er konnte den Blick der feuchten Hundeaugen nicht ertragen.

»Ja, Suschen, wenn du so hungrig und durstig bist, werden wir uns wohl erst stärken müssen, bevor wir die Ruinen besichtigen«, hörte Herbert da den Vater sagen. Sie ließen sich unweit der vergoldeten, weithin sichtbaren Marienstatue nieder. Die Mutter zog Butterbrote aus dem Täschchen, der Vater aber ein Blechkästchen mit herrlichen Kirschen.

»Ei, Kirschen!« rief Suse jubelnd. »Die werden schmecken. Können wir sie denn hier oben waschen?« Trotzdem sie arg verlechzt war, dachte sie an des Vaters Verbot.

»Ich habe sie bereits zu Hause gewaschen. Eßt nur, Kinder, laßt es euch schmecken«, forderte die Mutter ihre Zwillinge auf.

Suse nahm ein dunkelrotes Zwillingskirschenpaar und hielt sie ihrem Zwilling an die Lippen. »Die schönsten bekommt Herbert, weil er so erhitzt ist.«

Aber der Bruder wehrte verlegen ab. »Iß doch selbst, Suse, ich kann mir ja allein nehmen.«

Merkwürdig, die Kirschen, so schön sie auch waren, wollten dem Herbert gar nicht so recht schmecken. Lag das daran, daß er schon den großen Pfirsich gegessen hatte, oder war sein schlechtes Gewissen daran schuld?

Auch nachher, als der Vater mit ihnen zwischen den Steinen der alten Ruine herumkletterte und sie auf diese und jene Überreste des einstigen Prachtbaues aufmerksam machte, war Herbert nicht so recht bei der Sache. Nicht einmal die steile Felswand, von welcher der tyrannische Herrscher seine Opfer in die Tiefe werfen ließ, machte auf ihn besonderen Eindruck.

»Junge, du gefällst mir heute nicht. Du bist doch wohl?« sagte die Mutter besorgt und faßte prüfend nach der Stirn ihres Sprößlings.

»Ach, ich bin doch ganz gesund«, wehrte dieser ab.

Aber als dann das Meer in allen Farbentönen, die man sich nur vorstellen konnte, bei untergehender Sonne erstrahlte, als die Mutter und Suse aus begeistertem Herzen auf dem Heimwege anstimmten: »Goldene Abendsonne, wie bist du so schön«, da fiel Herbert nicht wie sonst mit der zweiten Stimme ein. Das Herz war ihm schwer.

»Morgen haben wir wieder einen schönen Tag«, stellte der Vater fest.

Ach, Herbert wäre es viel lieber gewesen, es hätte morgen gestürmt und gegossen. Dann wäre er doch seiner Verabredung mit Bernardo nach der Wunderbaren Grotte enthoben gewesen.

Die Mutti kam, wie jeden Abend, zum Gutenachtkuß noch mal an das Bett der Kinder.

»Ist dir auch wirklich nichts, mein Jungchen?« erkundigte sie sich noch einmal. »Du warst heute anders als sonst. Möchtest du mir auch irgend etwas erzählen und dir dein Herz erleichtern?« Mutteraugen sehen auch im Dunkeln in die Kinderherzen.

»Nee, ach wo – ich bin bloß müde«, sagte Herbert und rollte sich auf die andere Seite.

Aber als dann die Tür hinter Mutti zuklappte, da wäre er ihr am liebsten nachgeeilt und hätte ihr alles gestanden. Nun war es zu spät.

Herbert konnte nicht einschlafen. Längst schlummerte Suse schon süß, denn »ein gutes Gewissen ist ein sanftes Ruhekissen«. Er aber wälzte sich immer noch schlaflos in seinem Bette.

Ob er nicht doch lieber die Suse einweihen sollte, was für schlimme Absichten er für den morgigen Tag hatte? Vielleicht konnte er sie zu Bernardo schicken und ihm sagen lassen, daß die Eltern einen Ausflug mit ihnen machen wollten. Daß er deshalb nicht mit ihm in die Grotte fahren könnte. Sie lockte ihn gar nicht mehr, die Wunderbare Grotte. Aber nein, Bernardo würde ihn sicher für feige halten. Nein, das sollte er nicht!

Recht unbehaglich war Herbert zumute, wenn er an die heimliche Fahrt mit Bernardo dachte. Er bekam sogar Leibschmerzen, immer stärker, ganz elend wurde ihm.

Himmel – war der ungewaschene Pfirsich etwa daran schuld? Bekam er jetzt die Ruhr?

»Mutti – Muttichen – – –.« Der große Junge wußte sich nicht anders zu helfen, als daß er nach der Mutter rief.

Die kam erschreckt herbei.

»Was ist dir denn, mein Junge? Hast du schlecht geträumt?«

»Nee, ich kann gar nicht schlafen, Ich habe Leibweh – au, so doll! Ich glaube, ich kriege die Ruhr, Mutti.« Das klang so ängstlich, als ob Herbert bereits seinen Tod vor Augen sähe.

»Die Ruhr – warum nicht gar, Kind! Du hast sicher zuviel Kirschen heute gegessen. Sie sind dir nicht bekommen. Gewaschen waren sie ja.«

»Aber der Pfirsich nicht, den ich allein gegessen habe, Mutti. Heimlich habe ich ihn gegessen, ohne ihn zu waschen und ohne der Suse was abzugeben. Ein Mädchen hat ihn mir auf dem Wege geschenkt. Und nun muß ich sterben!« Herbert beweinte bereits sein frühes Ende.

»Nun, Herbert, deshalb brauchst du nicht gleich die Ruhr zu bekommen und zu sterben.« Unwillkürlich mußte die Mutter lächeln. »Es war ja nicht recht von dir, das ungewaschene Obst trotz des Vaters Verbot zu essen – und vor allem eine Heimlichkeit vor deinen Eltern zu haben. Du weißt doch, Heimlichkeiten, – es ist immer das schlimmste, wenn man nicht ehrlich und offen ist. Aber nun werden wir das Heizkissen auflegen, dann wird der Schmerz besser werden. Und morgen bist du wieder ganz gesund, mein Junge.« So tröstete die Mutter.

»Ich will aber morgen gar nicht gesund sein. Ich will krank sein, daß ich nicht mit Bernardo zur Wunderbaren Grotte fahren muß – ich will keine Heimlichkeiten mehr haben«, rief Herbert aufgeregt.

»Zur Wunderbaren Grotte?« Die Mutter faßte nach Herberts Puls. Fieberte ihr Junge am Ende doch?

»Nee, ich habe kein Fieber, Mutti. Es ist wahr.« Und nun kam es heraus, was dem Herbert das Herz abdrückte und ihn nicht schlafen ließ. Daß er morgen heimlich mit Bernardo in die Wunderbare Grotte fahren wollte.

Da wurde die Mutter sehr traurig, daß ihr Junge so böse Absichten gehabt hatte. Und Herbert selbst verstand es jetzt gar nicht mehr, daß er so ungehorsam hatte sein wollen. Ganz zerknirscht war er; die Mutter mußte ihn beruhigen, damit er nur zum Schlafen kam. Sie brachte ihm noch das Heizkissen, gab ihm einen Verzeihungskuß, und bald schlief Herbert so sanft wie Suse.

Was nun besser gewirkt hatte, ob das Heizkissen oder Muttis Verzeihungskuß, war nicht festzustellen. Am nächsten Morgen war Herberts »Ruhr« fort, und er wieder kerngesund.

Die Wunderbare Grotte aber hat er nicht zu sehen bekommen.


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