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Copernicus

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In dem kleinen Hause, das Nicolaus Copernicus in Bologna besaß, hatte sich am Vorabend eines festlichen Tages eine kleine Gesellschaft von Freunden und nahen Verwandten eingefunden. Es wurden eben Anstalten zu einem kleinen Schauspieles getroffen, welches die beiden Frauen im Hause des Gelehrten, seine beiden Muhmen, veranstaltet und ausgedacht hatten, als sich ein ziemlich ärmlich aussehender, sonderbarer Mann meldete, und auf die ertheilte Erlaubniß, mit zusehen zu dürfen, sich sogleich hinter die Reihe der übrigen Zuschauer begab.

Der Meister saß in der Mitte der kleinen Versammlung in seinem Sorgenstuhl, mit dem schwarzen Käppchen geschmückt, und hatte das freundliche beredte Gesicht im Gespräch zu dem Herrn Jacobus Battista gewendet, einem Jugendfreunde, der von Mailand, wo er Professor war, besonders zu diesem Feste nach Bologna gekommen. Copernicus hatte diesem Manne, den er sogleich für einen hellen Kopf erkannt, seine große Entdeckung zuerst mitgetheilt und stand mit ihm fortwährend im innigsten Geistesverkehr.

Die andern Gäste, zum Theil würdevolle Physiognomien, waren ebenso Männer der Wissenschaft und mit dem Astronomen gleichdenkend, daher dieser sich nicht zu scheuen brauchte, seinen noch wenig bekannten muthigen Umsturz des Himmels in ihrem Kreise laut werden zu lassen.

Robert und Paul, zwei sehr junge Studenten, waren die Einzigen, die der Meister nur mit Bedingungen in seinem Hause und in sein Vertrauen aufgenommen, weil er ihrer arglosen Jugend nichts Böses zutraute, und weil er wohl wußte, daß – sie ihm nicht wegen der großen astronomischen Entdeckung anhingen, sondern wegen seiner kleinen Nichte Sophie, die als vierzehnjähriges Mädchen unter der Hut Frau Genevrens und Fräulein Theresens, der beiden Muhmen des Meisters, stand.

Das Spiel, welches diese beiden Frauen nun aufführten, war für die wenigen Mittel, die damals dem Schauspieler zu Gebote standen, und für die geringe Erfahrung der Spielenden in diesem Fach, wirklich recht ergötzlich und geistreich zu nennen. Es galt nämlich nichts Geringeres, als die große Entdeckung des Meisters unter symbolischen Gestalten dramatisch herzustellen. Die Verse theilen wir mit, wie sie sich in ihrer naiven Bedeutsamkeit in einem alten Buche gefunden.

Als der Schauplatz sich öffnete, sah man Frau Genevra als eine vornehm gekleidete Frau aus einem prächtigen Thronstuhl, der mit magischen, astronomischen und tellurischen Zeichen und Abbildungen geschmückt war, sitzen und mit dem Scepter in der Hand eine gebieterische Stellung behaupten; fünf in verschiedene Farben leuchtend gekleidete Diener gingen, mit köstlichen Erfrischungen und Geschenken beladen, langsam um sie herum, an ihrer Spitze eine in glänzende weiße Gewänder gehüllte Frau, mit einer kleinen strahlenden Krone geziert. Diese Rolle, die Person der Sonne darstellend, hatte Fräulein Therese übernommen. Die auf dem Throne sitzende Gestalt hob ihre Rede mit folgenden Worten an:

Ich sitz' auf diesem Thron, und Erd' werd' ich genannt,
Mein edeles Geblüt ist Königen verwandt;
Die Diener, die ihr schaut, sind der Planeten Schaar,
Die Sonne, noch so stolz, sie trägt mir den Talar.
Und alles, was da lebt im weiten Himmelsraum,
Beugt diesem Scepter sich, küßt dieses Mantels Saum.

Nach diesen Worten nimmt sie die Huldigung der Planeten und der Sonne an, und entfernt sich. Jene, erbittert über diesen Stolz, treten alsbald zu einer Verschwörung zusammen. Jupiter, Mars, Merkur reden der Sonne zu, den Uebermuth nicht länger zu dulden;

Was? (ruft ihr Jupiter zu) bist du kein Königskind?
Mit deiner Krone Strahl machst du das Aug' uns blind,
Aus deiner Blicke Glanz trinkt alle Creatur

Des Lichtes Zaubergruß und alles Lebens Spur.
Du bist es, die uns lenkt, dein sey das Firmament,
Als Kön'gin herrsche du, indeß man Magd sie nennt!

Die Sonne erwidert ihm mit einem Seufzer:

So sprichst du, lieber Zeus? wie allen doch bekannt,
Hab' ich von jeher dir nur wenig Licht gesandt.
Gelingt doch unser Plan, so soll, du Edler mein,
Es stets so hell auf dir, wie hier im Zimmer seyn.

Saturn sagt:

Bin ich gleich alterschwach, an Kräften sehr gering,
Reich' ich, kommst du zum Thron, dir dennoch meinen Ring;
Nimm ihn und jenen Thron, er war gleich Anfangs dein,
Und uns, du hohe Frau, laß deine Diener seyn.

Die Sonne erklärt, nachdem sie diesen Heirathsantrag abgewiesen hat, daß sie zeitlebens Jungfrau zu bleiben wünsche, ja daß, wenn sie nicht anders befreit werden könne aus der Knechtschaft, als nur unter der Bedingung, einem der Planeten ihre Hand zu reichen, sie lieber der Welt entsagen und in ein Kloster gehen wolle. Wirklich nimmt sie auch den Schleier; als sie sich damit bedeckt, verfinstert sich das ganze Gemach und alle Planeten gerathen in Verzweiflung; sie geben ihren Anschlag auf und erklären, sie wollen die Sonne auf den Thron heben, auch ohne die mindesten Ansprüche aus ihren Besitz zu machen.

Hierauf gehen sie auseinander, sie treffen Anstalten, der Erde eine förmliche Kriegserklärung zu schicken, und da diese mit Hohn zurückgewiesen wird, vereinigen sich die Verschwornen und berennen die Burg der Erde. Nach langem, hitzigen Gefecht, wobei einige Fixsterne und viele Planeten umkommen, andere für todt vom Schauplatz getragen werden, muß sich die Festung ergeben und die Erde geht auf Gnade und Ungnade in die Hände ihrer Sieger über.

Die Sonne, obgleich während der schmählichen Knechtschaft schwer gereizt, übt doch Milde und Gnade gegen die gefangene Feindin und weiset ihr unter den Dienern, den Planeten, den dritten Platz an; sie selbst sezt sich auf den Thron und nimmt den ihr gebührenden Scepter in die Hand.

Auf Veranstaltung der Planeten wird ein Diener ausgesucht, der den Bewohnern der Erde anzeigen soll, welches Ereigniß ihre Gebieterin betroffen, und besonders soll dieses einem der vielen Tausende angezeigt werden, weil dieser der besondere Liebling der Sonne und aller Planeten sey.

Geh hin (spricht sie zum Boten) und suche dir von allen, die bewohnen
Der Erde dunkles Rund und ihre dumpfen Zonen,
Such' dir den Mann heraus, dem ich, vor allen werth,
Ein Theil des ew'gen Lichts, das mir entströmt, bescheert.
Sag' ihm, was hier geschah, und was du mit erblickt,

Und zweifelt er, so sprich, ich habe dich geschickt.
Von allen hochberühmt und des Jahrhunderts Zier,
Ist er der einz'ge Mann, den ich zum Gatten mir,
Zum Freunde mir gewählt; er wird unsterblich seyn,
Und nennen wird man ihn, so lange glänzt mein Schein.

Der Meister hatte während dieses Spiele nach seiner Weise herzlich gelacht und einmal übers andere den beiden Frauen Winke gegeben, wie ihn der Scherz erfreue; auch Herr Jacobus Battista lachte, daß oft die Worte der Sprechenden nicht zu verstehen waren, und beide Freunde drückten sich die Hände vor Lust, wenn hie und da eine Anspielung auf Rom und die Kardinäle vorkam, besonders auf den klugen Doktor aus Padua, des Meisters geschwornen Feind.

So saß er denn noch da, als das Spiel schon längst geendet, und trocknete sich unter fortwährendem Gelächter die Thränen von den Wangen, da trat, als die Frauen schon Anstalt trafen, die Bühne vom Geräthe zu reinigen, eine wunderliche, höchst abenteuerliche Gestalt zwischen den Brettern und Lichtern hervor, und indem sie sich mitten auf die Bühne stellte, nahm sie eine drohende und zürnende Stellung an.

Ein Geflüster ging durch's Gemach, wer der Fremde sey? man fragte die Muhmen, die selber neugierig, noch halb mit ihrem Flitterstaat bekleidet, am Eingange lauschten, und als diese versicherten, sie wüßten durchaus nicht das Mindeste von der Maske, ließ man alle Fragen ruhen, um zu hören, was jene Gestalt, in dumpfen Tönen sprechend und sich an den Meister wendend, vorbrachte:

Du mehr als Schändlicher, den meine Zung' nicht nennt
Weil deines Namens Klang, gleich Schwefel sie verbrennnt,
Du, den kein Zorn zu hart, kein Fluch zu tief verdammt,
Es sagt von dir sich los, was nur von Adam stammt.
Denn mehr als Ahab selbst, als Nero, Caracall,
Bringst du den Himmel auf durch deinen Sündenfall!
So lang die Winde weh'n aus Süd, West, Ost und Norden,
Ist eine schlechtre That noch nicht begangen worden;
Die Erd', die dich gebar, von ihr sagst du dich los,
Wirfst schändlichen Verrath in ihren Mutterschooß.
Wohlan, mißrathner Sohns so höre ihre Stimme:
Auch sie verläugnet dich in ihrem Muttergrimme.
So lang du auf ihr weilst, sey Ruh' dir nicht geschenkt,
Und haben sie dich einst in kühlen Grund gesenkt,
Dann faßt dich jäh ihr Arm und stößt hinaus dich wieder,
Hin zwischen Wolk' und Stern, da treiben deine Glieder,
Und nahst dem Himmel du, auch er stößt den hinaus,
Der Zwist und Unruh' bracht' in's stille Himmelshaus! –

Diese Rede, seltsam und wunderlich genug in die Ohren der erschreckten Hörer tönend, war kaum beendet und der Mann, der sie vorgebracht, verschwunden, als die Gäste, vom ungewöhnlichen Eindruck zu sich kommend, unter einander sich beriethen, ob man dem Menschen, der so kecke Drohworte vorgebracht, nicht eilig nachsetzen solle; doch ein Blick auf den Meister belehrte sie eines andern. Er lag, wie bei'm Anfang der Komödie, heiter lächelnd in seinem Armsessel und scherzte mit seinem Freunde; in dem Moment traten auch Frau Genevra und Fräulein Therese herbei und Copernicus sagte unter Lachen zu ihnen:

»Ja, so geht's, man kann es nicht beiden Theilen recht machen; habe ich es mit meiner guten Mutter, wie Ihr eben gehört habt, verdorben, so ist es mir kein kleiner Trost, daß ich dafür eine Frau gewonnen, wie Ihr, liebe Genevra, es mir in wohllautenden Versen versichert habt, und zwar eine Gemahlin, die kein Kaiser und kein König glänzender aufzuweisen hat.«

Er lachte nach diesen Worten noch herzlicher, Herr Jacobus Battista bemerkte aber mit Kopfschütteln:

»Mich gelüstet dennoch, zu erfahren, wer jener advocatus terrae war; denn wahrlich, er hat Worte vorgebracht, die mir unter andern Umständen nicht wenig Entsetzen; eingeflößt haben würden. Klang es nicht so, theurer Copernicus, als sollte Euch hinfüro, als dem größten Sünder, der jemals gelebt, die Ruhe im Leben und dereinst im Grabe versagt seyn?«

»Freilich,« erwiderte der Astronom, »nichts Geringeres als das; doch glaubet mir, hinter jener Maske steckte wohl einer meiner lieben Schüler, oder wenn es schlimm kommt, ein Abgesandter vom Erddokter zu Padua, denn weiter hin verbreitet sich mein liebes Geheimniß nicht; seyd darob ganz ruhig, Freunde.«

Es war gegen Mitternacht desselben Tages, als der Meister in seinem Stübchen bei der Studierlampe arbeitete, indeß die übrige Hausgenossenschaft schon schlief. Da ließen sich leise Tritte auf der Stiege hören und bald darauf trat eine Gestalt, in einen Mantel gehüllt, herein und an den Tisch des Gelehrten, der nicht wenig verwundert in dem so späten Besuch den Neffen des Herzogs, den Prinzen Benedetto, erkannte. Er erhob sich und trat dem jungen Manne entgegen; er blickte in das schöne, aber durch frühe Leidenschaften gebleichte Antlitz, und schien darin lesen zu wollen, was die Wolken des Unmuths und Trübsinns, welche die hohe Stirne deckten, zu bedeuten hatten. Der Prinz bemerkte dieses Staunen und diese Aufmerksamkeit; er warf sich in einen Sessel, und nach einer kleinen Pause hob er an:

»Ich komme so spät noch zu Euch, Messer Copernigo, weil mich eine Prophezeihung drückt, die ich mit allem Sinnen nicht enträthseln kann und welche ich vor wenigen Stunden erhalten; hört. Ich lag, es war um die zwölfte Stunde, müßig in meinem Sessel im Vorgemach der Herzogin; des Dienstes immer gleiche Einförmigkeit, die Langeweile des Hofes, und vielleicht mehr als dieses, der Ueberdruß am Leben selbst hatten mich in einen unmuthigen Trübsinn versenkt; die Erscheinungen des äußern Sinnes verhüllten sich allgemach vor mir und die innern Bilder des Traums stiegen in prophetischem Ernste vor meinem umdüsterten Blick auf. Mein Geist ward aus den glänzenden Gemächern des Pallastes in die düstern Gewölbe der Kathedrale von St. Marco entführt, wo die Gebeine meiner Ahnen ruhen; dort, unter zertrümmerten Särgen, wandelte ich, der einzige Lebendige unter den königlichen Todten, ich, der auf keine Krone hoffen kann.

Beschäftigt noch mit den Gedanken des Staubes, wurde ich plötzlich inne, daß die Pforten des Gewölbes sich öffneten; Licht quoll herein, und in dem Lichte trat ein himmlisch schönes Weib hervor. Es war Annonziata, die jüngste Schwester des Herzogs; sie nahte sich mir, und indem eine entzückende Geberde des Stolzes und der Liebe um ihre begeisterten Züge schwebte, zeigte sie mit der Rechten nach oben, die Gewölbe wichen und mein Auge erblickte den Sternenhimmel in seiner ganzen Pracht, über mir das stolze Diadem des Orion, dieses hehre Sternbild unsers Hauses. Errathe, Meister, welche Gefühle meinen Busen bestürmten; mir schwindelte, ich mußte mich auf einen Sarkophag stützen, die Blicke drohten zu erblinden. Die Hand eines Kämmerers rüttelte mich aus dem Traume wach,zornig fuhr ich in die Höhe; siehe, da flogen die Thüren auf und in ihrer ganzen Herrlichkeit, mit dem Zeichen der herzoglichen Würde geschmückt, rauschte Annonziata durch den Saal. Jezt deute mir, was will der Traum, was das Wachen mir sagen?«

Der Prinz schwieg nach diesen Worten und sein finsteres Auge blieb auf die ehrwürdigen Züge des Gelehrten geheftet.

»Hoheit,« erwiderte dieser, »verkennst mich und mein Wissen, wenn Du meinst, ich gehöre zu jenen betrügerischen Leuten, die aus den Sternen wahrsagen; ich weiß Dir nichts zu erwidern. Die Träume sind farbige Blumen, die der dunkle Quell des erregten Bluts treibt, Schatten der Leidenschaften, die uns im Wachen beherrschen. Du hast an die Möglichkeit gedacht, Hoheit, den Thron Deiner Väter zu besitzen, und siehe, der träumerische Schmeichler der Schattenwelt verheißt Dir dessen Besitz; er zeigt dir die Krone aus der Hand der Geliebten.«

Der Jüngling war aufgesprungen, eine helle Glut goß sich auf seine Wangen aus, er faßte krampfhaft beide Hände des Meisters, indem er mit leiser Stimme über die Flamme des Lichts hin ihm zuflüsterte: »Also das ist auch Dein Gedanke, Meister? das also verbeißen mir die Sterne? Habe Dank. Aber,« sezte er wiederum in Sinnen versunken hinzu, »aber Alfredi lebt und Giacomo ist ein rüstiger Jüngling; zwei Häupter zwischen mir und dem Throne! Und Annonziata, ist sie nicht Giacomos Braut?« –

»Was heute besteht, kann schon morgen nicht mehr seyn!« entgegnete der Meister ruhig.

»Du hast Recht, Alter! Weh dem Kleinmüthigen, der an keinen glücklichen Wechsel glaubt! Die Sterne lügen nicht. Hier, nimm dieses zum Dank; Benedetto ist Dir ewig verpflichtet für die Beruhigung, die Du in seine Brust gesenkt.«

Der Jüngling hatte eine kostbare Goldkette von seinem Halse gelöst und sie auf den Arbeitstisch des Gelehrten hingeworfen, der verwundert und fast beleidigt das Geschenk wieder zurückgeben wollte, allein jener war schon mit einem flüchtigen Gruße verschwunden.

»Die Thoren!« rief der Zurückbleibende zornig; »da sehen sie mich nun alle hier für einen Astrologen und Zeichendeuter an. Ja freilich deute ich Zeichen; doch, wer wird mir glauben, wer sie verstehen? Du ewiger, wahrhafter Himmel, du, in den ich zu schauen gelernt habe, wie ich einst in das klare Auge meines Vaters schaute, um Wahrheit und Liebe daraus zu lesen, wann wird dein Licht siegen? Ich fühle es, in den verworrenen Händeln einer trüben Zeit steh' ich einsam da, ein unbekanntes, unglaubliches Evangelium predigend. So wie es Geister gibt, die ihrem Jahrhundert voraneilen, so gibt es andere, die zu einer Zeit erscheinen wo gerade das, was sie lieben und verehren, zu Grabe getragen wird; in ihrem unverstandenen Schmerze erscheinen dann solche der Menge thöricht und verworren. Gleich wie vom Gewölk, das den nächtlichen Himmel bedeckt, ein Theil noch dem entschwundenen Tage nachsieht, indeß der andere einer kommenden Sonne schon entgegenleuchtet, so sehen allezeit aus dem engen Fenster der Gegenwart eine Menge Menschen nach Zukunft und Vergangenheit. Ich darf meine Blicke nur auf die Zukunft richten.«

Er that noch einige unruhige Gänge durch's Gemach, ehe er wieder Fassung genug errang, die begonnenen Studien fortzusetzen.

Giuseppe, der Famulus des Meisters, hatte von den Frauen den Auftrag erhalten, die geliehenen Theaterkleider wieder in's Kloster zu bringen, woselbst eine Menge solch abentheuerlichen Putzes zum Behuf der heiligen Vorstellungen, mit denen die Mönche sich hie und da beschäftigten, angehäuft lag. Als der wohlbekannte Alte erschien, fand er in der Halle die gewöhnliche Gesellschaft lustiger Brüder beim Weine beisammen.

»Nun, Gott segne Dich, Seppe!« rief der dicke, freundliche Mann, der das Amt des Schenken versah.

»Nennt mich nicht Seppe oder Giuseppe, ich mag das fremde Namengeklimper durchaus nicht hören; habe ich Euch doch oft gesagt, ich heiße Peter Johann Fürchtegott Joseph Bartel und bin aus dem herrlichen Magdeburg gebürtigt, wo die tugendsamsten Frauen und die schönsten Männer wohnen.« –

»Hm, das sehen wir ja!« rief der Wirth, indem er mit einem gutmüthigen Spottblick die kleine verwachsene Gestalt mit dem breiten, blatternarbigen Gesichte betrachtete; »nun Seppe, oder Joseph aus Magdeburg, was habt Ihr denn mit den bunten Kleidern gemacht? etwa eine heilige Komödie?« –

»Was?« fuhr Joseph in die Höhe, »was heilige Komödie! Ihr meint wohl, der Meister finde auch an derlei Possenspielen Gefallen, wie Ihr sie hier im Kloster der Menge auftischet? weit gefehlt! unser Geschmack ist fein und gebildet, wir haben eine astrologisch-tellurisch-astralische Tragödie aufgeführt.«

Mehrere der Gäste drückten bei diesen Wonnen ihr äußerstes Erstaunen aus, andere fragten neugierig, was dieses sey, und Joseph nahm eine sehr wichtige Miene an, indem er den Finger auf den Mund legte und seine kleinen listigen Augen bedeutsam im Kreise herumgehen ließ.

»Ich darf nichts verrathen,« antwortete er endlich; »nur so viel will ich Euch sagen, um Eure ungeheure Unwissenheit in derlei Dingen etwas zu bannen: es wurde nämlich in der Tragödie nichts Geringeres bewiesen, als daß die Erde gleich einer Kugel sich dreht, sich immer gedreht hat von Anbeginn der Welt an.« –

»Oho! Joseph aus Magdeburg!« rief der Wirth, »die Erde sich drehen?« –

»Nicht anders,« erwiderte der Sprecher, »die Erde, dieses alte, wunderliche Stück, auf dem wir so fest und behaglich sitzen, das dreht sich mit uns und läuft mit uns noch dazu um die Sonne herum.« –

»Erkläre uns das, Seppe!« rief ein breitschultriger Waffenschmied mit einer drohenden Miene; »ich will bei Sankt Petrus nicht glauben, daß Du Deinen Scherz treibst; sprich! was soll's mit dem Drehen der Erde?« –

»Nun gebt Achtung, ihr Leute,« nahm mit der wichtigsten Amtsmiene, die der kleine Mann auf seinem breiten Gesichte finden konnte, der Famulus das Wort; »seht Freunde, wir wollen annehmen, es erhebe sich Jemand in die Luft, um die Stadt Rom von oben zu betrachten, wie Kraniche, Störche, Schwalben und sonstige unvernünftige reisende Vögel es täglich thun, ohne den gehörigen Nutzen von ihren Reisen zu ziehen, und es gelänge ihm, oben etliche Stunden sitzen zu bleiben, indem er auf das Eifrigste die Stadt Rom, ihre Kirchen, Palläste und Gärten in's Auge faßte, so würde er seltsam genug bemerken, daß die Thürme anfangen unter ihm weg zu spazieren, ja daß zulezt die ganze volkreiche Stadt wie ein Traumbild dahinschwindet und statt ihrer andere Städte, ja wohl Fluß, Meer und Landschaft an die Stelle tritt, was dann natürlich spaßhaft genug anzuschauen seyn muß. Ist es nun ein leidenschaftlicher Mann, der dort oben, und hat er nicht genug Kenntniß von der ars astronomica, so wird auch ihm, wie jenen einfältigen Reisenden, der Nutzen seines hohen Standpunkts völlig entgehen, und er wird dann Alles für Blendwerk und Lüge halten. Ein weiser Mann zieht jedoch aus solchen Erscheinungen den Schluß, daß die Erde sich drehe mit Allem, was auf ihr befindlich. Doch Ihr, verehrtet Meister Waffenschmied, was dreht Ihr Eure dicken Fäuste denn so unablässig hin und her? meint Ihr, daß die Klötze, beim Lichte besehen, sich zierlicher ausnehmen?«

»Ich meinte,« bemerkte der Angerufene, »daß Ihr ein Spaßvogel seyd, wie ich noch keinen gesehen. Drehen, sagt Ihr? die Erde sich drehen? Ei, ei! schaut doch her, was auf meiner Hand oben sizt, bleibt sitzen, drehe ich aber den Ballen, so muß es herab. Wie kommt es denn nun, Meister Joseph aus Magdeburg, daß Niemand unter uns von der Erde herabfällt?«

Die andern stuzten bei dieser Bemerkung und begleiteten sie mit einem fragenden Blick auf den Redner, dieser , zeigte jedoch sein volles Uebergewicht, indem er mit gelehrtem Stolze ausrief:

»Ei, ei, Meister Giottino! Ihr seyd doch sonst ein kluger Mann; könnt Ihr Euch denn dieses nicht selbst erklären? Woher kommt es denn, daß in der Nacht am meisten Leute sowohl als Dinge verschwinden, so daß man durchaus nicht begreift, wo sie bleiben? warum läßt der Podesta immer Nachts die Wachen verdoppeln auf den Straßen, um die Leute alle in die Häuser zu schicken, und sind dessen ungeachtet nicht noch vor wenig Wochen sechs Gauner, die in den Pallast einbrachen und die die heilige Justiz schon am Kragen hatte, verschwunden, spurlos verschwunden? Da habt Ihr nun die Erklärung: herabgefallen sind sie, bei einem besonders raschen Umschwung wundert mich das durchaus nicht. Ihr seht, daß dergleichen Umschwünge mit so heftigen Stürmen begleitet sind, daß den Häusern die Dächer und den Leuten die Hüte abgerissen werden.« –

»Das ist wahr!« rief der Wirth, »ich kann's bezeugen, am St. Christophstage ist mir die halbe Scheune eingerissen worden, nur durch ein Wunder ist das alte Wohngebäude stehen geblieben.« –

»Seht,« fuhr Joseph fort, »das ist nun wieder so ein leidenschaftlicher Umschwung gewesen, wie manchesmal die alte Erde vollführt; gleich einem eiteln, gichtbrüchigen Mütterchen, die es der Jugend im Tanze gleichmachen will und deren Glieder nun wider Willen in eine so wilde Gelenkigkeit gerathen, daß sie durch den Saal schaukelt und schwankt und man ihr nur mit Graus nachsteht, wie die Röcke fliegen und das Haar auseinander stäubt.« –

»Ei, daß sie die Tarantel stäche, die Alte!« rief ein Schneider, dessen hochgeröthete Nase die Masse des genossenen Landweins und den Grad seiner Gläubigkeit anzeigte; »ja, ja, ich spüre, der sehr ehrwürdige und gelehrte Ausländer mag ganz Recht haben, sitze ich doch selbst nicht mehr fest auf der Bank; wer hätte auch nur auf solche Tücke rathen können.«

Seine beiden Nachbarn pflichteten ihm bei, nur der dicke Wirth rief: »Was wollt Ihr uns aufbinden, Freund Magdeburger? bin ich doch in Ehren meine sechzig Jahr alt geworden und habe von dem Teufelszeuge nichts gehört.« –

»Weil Ihr überhaupt nichts hört,« erwiderte Giuseppe. »Ihr lebt hier im Sacke, Freund, allein kommt nur zu uns nach Deutschland, und Ihr werdet ein Dutzend Ohren aufsperren dürfen und werdet dennoch nicht all das Neue und Treffliche vernehmen, was täglich bei uns auf den Gassen vorkommt.« –

»Von Deutschland her kam auch das Ketzerthum!« tönte eine dumpfe Stimme aus der Ecke der Halle, wo ein hagerer, blasser Mönch Platz genommen.

Bei dem Klang dieser unheilbringenden Worte bekreuzigten sich in der Stille alle Gäste, nur Joseph nicht. »Freilich!« rief er, ist Euch jedes Ding Ketzerei, das nach Kunst, Wissenschaft und höherer Erkenntniß schmeckt.«

Der Mönch erhob sich und verließ die Halle, nicht ohne einen finstern, drohenden Blick auf den Sprecher zu werfen. Der dicke Wirth zeigte sich bekümmert.

»Was habt Ihr gemacht?« flüsterte er Josephen in's Ohr; »wißt Ihr denn nicht, daß nicht einmal im Scherz dergleichen Worte hier gehört werden dürfen! wo denkt Ihr auch hin mit all den wunderlichen Reden? Freund, bedenkt, daß Ihr und Euer Meister schon in der Stadt Aufsehen machet. Nehmt Euch in Acht!«

Joseph wollte auf diese gutgemeinte Warnung etwas erwidern, als seine und der andern Gäste Aufmerksamkeit auf eine eben hereintretende Gestalt gerichtet wurde. Es war ein Mann in dürftiger Kleidung, sein bleiches Antlitz war nicht vom Alter in so tiefe Falten gelegt, das Erleiden eines fürchterlichen Schmerzes hatte es verzerrt und ihm seinen natürlichen Ausdruck genommen, ebenso war der Körper, früher wohl lang und aufgerichtet, jezt tief gebeugt und auf der einen Seite gelähmt, aus dem Blicke der irr umhergehenden Augen sprach der Wahnsinn. Mühsam schleppte er sich auf den von den Andern gesonderten Platz, den der Wirth ihm anwies.

»Seht,« sezte dieser seine leise Rede fort, »seht, liebwerthester Seppe, das lebendige Zeugniß von dem, was ich Euch eben gesagt: jener da, der gleich einem Gespenste nur noch im Dunkeln herumschleicht, dessen Antlitz und Körper Spuren einer furchtbaren Verwüstung tragen, noch vor wenig Jahren habe ich ihn als einen großen, stolzen, äußerst gelehrten Herrn gekannt, der mit Fürsten und Herrn der Kirche Umgang pflog, an den Höfen wohlgelitten war, wegen seiner Gelehrsamkeit, seiner angenehmen Sitten, und nun seht, eine Nacht, eine fürchterliche Nacht, Giuseppe, eine Nacht unter den Foltern der Inquisition – still, mein Sohn, stille! – diese eine Nacht hat den gesunden, schönen Mann zu einem häßlichen Krüppel, den Liebling der Fürsten zum Gespött des Pöbels, den gelehrten Meister in den trübseligen, wahnsinnigen Narren, der er jezt ist, verwandelt. O, mein Schatz, laß Dir sagen, auch bei ihm brannte spät um Mitternacht die einsame Lampe, auch er blätterte viele alte Bücher auf, auch er hatte einen kleinen puckligen Diener, wie Du bist, auch er hatte Dinge entdeckt, alberne, nichtsbedeutende Dinge; aber Gott sey dem Sünder gnädig! der heiligen Brüderschaft gefielen diese Dinge schlecht, sie zog ihn vor Gericht, und es kam, wie ich Euch gesagt. Jezt läuft der Blödsinnige umher und predigt, wer es hören will, ein wunderliches Evangelium, das nach der Folterbank schmeckt; ja, er ist ein gänzlich verrücktes Haupt.«

Joseph, dem in dieser ganzen Rede nur der Umstand einiger Aufmerksamkeit werth schien, daß es das Ansehen hatte, als wolle man sich über seine Gestalt lustig machen, rief jezt im Zorn, indem er den Wirth von sich stieß und in ein boshaftes Gelächter ausbrach:

»Ja wohl, Ihr habt ganz Recht, mein Meister steht mit dem Teufel im Bunde, und zwar bin ich der Leibhaftige, der ihm dient und der euch Allen nächstens über Nacht die Hälse umdrehen wird; die Köpfe stehen euch ohnedies verdreht genug.«

Mit dieser Drohung, die bei Einigen Lachen, bei Andern Unwillen erregte, verließ der kleine erzürnte Mann die Halle.

Vier Tage waren vergangen seit der Darstellung des Schauspiels und jenen eben erzählten Begebenheiten, als wiederum spät in die Nacht hinein der Meister Copernicus in seinem Studierzimmer saß und arbeitete. Von einem Blatte, auf dem vielfach ineinander gehende Kreise mit Sauberkeit hingezeichnet waren, schaute jetzt der Gelehrte auf, als leichenblaß im Gesicht ein alter Diener des Hauses sich an der Thüre zeigte.

»Was ist Dir, Checco? was bringst Du so spät?« –

»Unglück, Herr!« stammelte der Alte; »unten steht ein Diener des Herzogs mit noch zwei andern Herrn; sie bringen den Befehl, daß Ihr Euch sogleich anschickt, ihnen in den Pallast zu folgen.« –

»Jezt, in der Nacht? Du träumst, Checco.« –

»Ich träume nicht, Herr; Ihr könnt selbst die Leute unten sprechen; mit Mühe ist es mir gelungen, sie abzuhalten, daß sie nicht selbst die Stiege herankamen; sie hätten ja das ganze Haus wieder wach gepoltert.« –

»So gib mir meinen Mantel, meinen Hut und Stock,« rief der Gelehrte, nachdem er nachdenkend ein paar Schritte im Zimmer auf und abgegangen. Der Diener that, wie ihm befohlen, allein mit den Zeichen der äußersten Besorgniß und Furcht.

»Aengstige Dich nicht,« rief sein Herr ihm zu, »wecke auch Niemanden im Hause auf; wer weiß, was der Herzog mir Besonderes mitzutheilen hat; vielleicht will er in der sternenhellen Nacht Beobachtungen anstellen; in einer halben Stunde bin ich wohl wieder da.«

Diese Worte, mit der ruhigsten Miene ausgesprochen, vermochten doch nicht, die Besorgnisse des Alten ganz zu verbannen; er folgte seinem Herrn auf dem Fuße die Stiege hinab und hörte, wie er unten die in Mäntel gehüllten Gestalten begrüßte, mit ihnen Worte wechselte, und endlich, von ihnen eingeschlossen, leise aus der Hausthüre trat. Checco sah dem stillen, unheimlichen Zuge nach, wie er im weißlichen Mondschein sich über die einsame Gasse hinbewegte.

Der Gelehrte, der sich im Innern nicht so ruhig fühlte, als er sich äußerlich gegen seinen alten Diener gezeigt, ließ einen Theil seiner Besorgnisse schwinden, als er, in einer Seitenabtheilung des Pallastes angelangt, in ein höchst angemessenes, ja sogar mit Bequemlichkeiten aller Art versehenes Gemach geführt wurde. Nach einem kurzem Schlummer hörte er gegen die Morgenstunde den Hauptmann der Wache die Thür öffnen, einem jungen Menschen den Eingang gestattend, der Niemand anders als der Student Paul war, welcher trotz der erzwungenen Fassung den Meister mit höchst bekümmerter Miene begrüßte. Dieser, um dem in der Stube bleibenden Offizier allen Verdacht zu benehmen, als waltete hier ein Geheimniß ob, rief seinem jungen Freund mit heiterer Miene zu, er möge nur frei und ohne Umstände Alles sagen, was er auf dem Herzen habe.

»Wir sind Euretwegen nicht wenig in Sorgen, verehrter Meister,« nahm der Jüngling nach dieser Aufforderung das Wort, »und wissen nicht, was Eure Herberufung zu bedeuten hat, besonders, könnt Ihr Euch denken, sind Eure beiden Muhmen untröstlich, sie haben vor, sich im Pallaste vorstellen zu lassen, um dem Herzog Euretwegen einen Fußfall zu thun und um Eure Freigebung zu bitten, falls Ihr dieses Vorhaben billiget.«

Copernicus schüttelte das Haupt; er selbst, erwiderte er, sehe in seiner Lage nichts Schlimmes und erwarte überall das Beste von der Zukunft, da er sich durchaus keines Unrechts bewußt, und so möge man auch zu Hause sich in Ruhe fassen. Hiermit übereinstimmend, traf er noch einige Anordnungen, befahl herzliche Grüße den Frauen und dem alten Jacobus zu bringen, und reichte dem Studenten, der sich noch immer die Thränen abtrocknete, die Hand.

Beim Namen Jacobus winkte der junge Mann mit den Augen, so daß der Hauptmann es nicht gewahr wurde, und zog ein kleines Buch hervor: »Dieses schickt Euch der Professor, damit Ihr hier Eure Zeit nicht nutzlos verlieren möget, Euren Liebling, den Pindar.«

Der Offizier trat hinzu und bat sich sehr artig das Buch zum Durchblättern aus, er warf einen Blick hinein und sagte sehr beruhigt: »das sind lateinisches Gebete, die sollt Ihr lesen.«

Als Paul und der Hauptmann fort waren, untersuchte Copernicus das Buch, und wirklich fand sich in demselben, wie er gehofft, ein Papier, welches von Jacobus Hand folgende Worte enthielt:

»Theurer Freund, wir sind Deinetwegen in Verzweiflung. Du bist verrathen, auf das Schändlichste verrathen! Deine Feinde in Padua haben Mittel gefunden, den Inquisitoren zu Bologna Deine große Entdeckung als die fluchwürdigste Ketzerei anzugeben; das ganze Kloster hast Du gegen Dich. Der Herzog, der Dich kennt und schäzt, seine willkommene Gegenwart in dieser Stadt ist unser aller Trost; läßt er Dich vor sich, so ist das einzige Rettungsmittel, daß Du Alles für Lug und Trug erklärst und jede Behauptung öffentlich widerrufst. Deine große Entdeckung kann hiebei nichts leiden, und wenn Du auf diesem Lande der Falschheit und der trüben Vorurtheile wieder heraus bist, dann magst Du desto freier handeln.« –

»Nein, edler, aber zu besorglicher Freund!« rief Copernicus, den Brief zusammenfaltend, »verleugnen will ich mein Verdienst nicht; ist es gleich gering, so ist es doch die Frucht redlichen Willens, unausgesezter, jahrelanger Thätigkeit, und eine eitle Menschenfurcht soll sie mir jezt zerstören? Nein, mein Battista, auch der Gelehrte muß etwas vom Helden an sich haben; fordert ihn ein feindseliger Haufe heraus, so soll er ihm die offene, freie Stirn bieten. Wie seltsam!« sezte er, in Gedanken verloren, im Gemach auf- und abschreitend, seine Rede fort, »die Bitten meiner Freunde haben nichts über mich vermocht, die Uebelwollenden aber bringen mich zum Geständniß.«

Eine Stunde hierauf erschien der Hauptmann von Neuem und beschied den Gelehrten in die Gemächer des Herzogs hinauf. Er folgte sogleich und trat, indem er seinen Geist mit Fassung rüstete, in den Saal, dessen Mitte ein Tisch einnahm, der mit Papieren bedeckt war und an dem ein paar Schreiber Platz genommen hatten.

Der Gelehrte, der sie ehrfurchtsvoll begrüßte, erfuhr von seinem Begleiter, daß er im Gemach des Geheimschreibers des Herzogs sey, und daß der Pater Robertus, der jenes Amt bekleidete, sogleich erscheinen werde. Copernicus kannte diesen Mann als einen beschränkten Kopf, zugleich aber auch als einen arglistigen, boshaften Unterhändler im Dienste des Beichtvaters des Herzogs; unruhig wandte er daher seinen Blick auf die Gestalten, die jezt herein traten, fühlte sich aber nicht wenig beruhigt, als mit jenem Robertus ein junger Jesuitenpater, Vinzentius von Bartola, eintrat. Diesen liebenswürdigen und klugen Jüngling kannte er gar wohl, er hatte ihn wenige Wochen hindurch zum Schüler gehabt und seine gelehrten Forschungen, die sich das gleiche Ziel gewählt, geleitet, jezt aber, da er Erzieher eines kleinen Prinzen des herzoglichen Hauses geworden, verließ er nur selten den Pallast. Ein paar andere Herrn, von denen der eine ein rundes, schelmisches Gesicht hatte, traten ebenfalls ein und blieben an der Thüre stehen, so daß man sie für Leute vom Hofstaat halten mußte.

Der Pater, nachdem er einige Papiere zusammengeschoben und mit den Schreibern ein paar Worte gewechselt hatte, bat durch einen gütigen Wink den Gelehrten, näher zu treten. Als dieses geschah, fragte er mit krächzender Stimme: »Wie heißt Ihr, Herr, wer war Euer Vater und wo seyd Ihr geboren?« –

»Nicolaus Copernicus, Ehrwürdiger,« war die Antwort! »mein Vater war ein rechtlicher Bürger der Stadt Thora, und in dieser genannten Stadt habe ich auch das Licht der Welt erblickt« –

»Hm, warum habt Ihr denn Euer Vaterland verlassen und seyd hieher gekommen?« –

»Der Ruhm der italienischen Gelehrten und besonders der Stadt Bologna hat mich zu dieser Reise vermocht.«

Der Mönch bewegte sich schwerfällig in seinem Stuhl: »Die heilige Jungfrau gebe, daß Ihr ein andermal zu Hause bleibt!« murmelte er in sich hinein, dann wandte er sich an die Schreiber: »Jezt gebt Acht, was ich fragen werde. Es hat verlautet, Nicolaus Copernicus, als habest Du während Deines Aufenthalts hier große Forschungen angestellt und ein Geheimniß der Natur entdeckt, von dem noch Niemand eine Ahnung gehabt; ist dem so?«

Die beiden Herren an der Thür sprachen lachend und flüsternd mit einander, mit einem drohenden Blick sah sie der Pater an und gebot Stille.

»Ja,« erwiderte der Gelehrte mit freudiger Stimme, »dem ist so, ehrwürdiger Herr. Zwar findet sich in den Schriften der alten Autoren Einiges, welches schon auf eine dunkle Kenntniß hinzudeuten scheint; aber doch kann ich sagen, daß ich mit Hülfe meiner Freunde eine ganz neue Entdeckung gemacht.« –

»Und welche ist diese?« fragte der dicke Geheimschreiber nach einer Pause.

Die Gruppe an der Thür bewegte sieh wiederum flüsternd, der junge Jesuit hob sich hinter der Lehne des Stuhls höher empor, und während der Gelehrte eben bedachte, daß an den nächsten Worten, die seine Lippe im Begriff stand auszusprechen, das Wohl oder Weh seines ganzen künftigen Schicksals hing, that sich die Thüre auf und ein Kopf mit rothem Haar, einer langen gebogenen Nase und ein paar blassen Augen im Gesicht steckte sich hindurch, mit dem Ausdruck von Lächeln und Neugier auf den Gelehrten sehend. Dieser erkannte nicht sobald den Herzog, als er in der Verwirrung Anstalten zum Gruße machte, doch der Pater winkte, daß er es unterlassen möchte, und der Kopf blieb lauschend zwischen den Thürflügeln stehen. Ja in der Stille, die entstand, während der Meister, im Innersten befangen, zu Boden blickte, hörte man die Worte im Kabinet: »Nun, was wird er sagen? was werden wir zu hören bekommen?« –

»Du antwortest nicht!« rief der Pater und lehnte sich vorbeugend auf den Tisch.

»Ehrwürdiger,« entgegnete der Gefragte, »Ihr wißt selbst gar wohl, daß im Felde der Wissenschaft sich manches ergeben kann, was dem Auge des Laien und Weltmanns als nichtig und unmerkwürdig erscheint; so ist es auch mit meiner Entdeckung beschaffen; mir ist sie eine köstliche Perle, der Welt möchte sie jedoch nur als gemeiner Kiesel erscheinen. Bedenkt, daß ich es bloß mit jenen kleinen Lichtfünkchen dort oben zu thun habe, und da werdet Ihr selbst gestehen, daß solches Spielzeug sehr unschädlich ist.« –

»Ihr umgeht die Bekanntmachung dessen, was ich eigentlich begehre,« rief der Pater; »laßt Euch nicht auf Nebendinge ein, nennt uns vielmehr jezt die Entdeckung, die Ihr gemacht.«

Der Kopf zwischen der Thür, der auf einige Zeit verschwunden, kam jezt wieder hervor und die Hofleute wichen zurück.

»Ich habe einen neuen Planeten entdeckt,« sagte der Gelehrte endlich zögernd.

»So?« rief der Pater, »wie heißt er?« –

»Er ist Euch sehr wohl bekannt, frommer Vater.«

Der Jesuit hinter dem Stuhle griff während der Pause in eine Blumenvase auf dem Fenster und ließ die Erde hoch durch die Finger fallen, so daß ein Theil derselben auf das Papier des Geheimschreibers sich hinstreute. Copernicus mußte lächeln, der Pater jedoch blies emsig die schwarzen Theilchen fort und rief verdrießlich:

»Ich ihn kennen? Ihr irrt, Meister, wie soll ich das Ding kennen, das vielleicht hunderttausend Meilen über meinem Haupte dahin läuft und dort leuchtet? wißt. daß ich die Nächte nicht bei so magerem Zeitvertreib zu durchschwärmen pflege, wie Ihr. Noch einmal, heißt das Ding?«

Der Gelehrte erwiderte mit heiterem Lächeln: »Herr Pater; Ihr-werdet doch Euer Gemach kennen, in dem Ihr die Geschäfte des Tages betreibt, Euer Lager, auf das Ihr Euch niederlegt?« –

»Freilich, doch was soll das?« –

»Nun so kennt Ihr auch meinen Planeten; glaubt mir, Ihr seyd nicht weiter von ihm entfernt, als der kleine Sprung auf diesem Fenster in den herzoglichen Garten ausmacht.« –

»Beim heiligen Hieronymus,« schrie der Pater, »ich glaube, Ihr unterfangt Euch, Herr, im Beiseyn dieser würdigen Herrn Euern Spaß mit mir zu treiben?«

Ein starkes Gelächter im Kabinet. Der Geheimschreiber erhob sich ächzend, wischte sich den Angstschweiß von der Stirn und that ein paar unruhige Schritte im Gemach; dann gab er Befehle an einen Diener, der sich sogleich entfernte.

»Laßt sehen!« rief der verdrießliche Mann; »wenn Ihr nicht bekennen wollt, so wird Eurem Famulus die Zunge leichter zu lösen seyn.

Copernicus sah mit Verwunderung auf und in das leichenblaße, verzerrte Gesicht seines armen Dieners, der, von der Wache begleitet, eben in den Saal trat und nur einen schüchternen Blick auf seinen Meister wagte. Der Unmuth über die Behandlung seines Gehülfen stieg jezt in ihm auf.

»Nun gesteh, alter Schwätzer!« rief der Geheimschreiber dem Eintretenden zu: »gestehe, was Du neulich vor Zeugen von den Geheimnissen Deines Meisters berichtet hast. Leugne nichts, verdrehe kein Wort, sonst könnte es Dir übel gehen.« –

»Seht verehrte Herrn,« begann der Arme nach einer Pause, während welcher er abwechselnd seinen Herrn und die Gruppe am Tisch angesehen hatte; »ich soll gestehen? Geheimnisse soll ich offenbaren? Du lieber Gott, hier steht ja der, dem es allein zukommt, in gelehrten Dingen Antwort zu geben. Ihr habt mich trefflich bezeichnet, Ehrwürdigster, ja ich bin ein alter Schwätzer, ein Mann, der trotz seines grauen Bartes noch nicht aus den Kinderschuhen heraus ist, der nicht weiß, was er redet, und auf dessen Worte einmal für alle nichts zu geben ist.« –

»Verdammtes Gezüchte!« brummte der Pater in den Bart; »ich möchte lieber die Stadt Bologna niederreißen und wieder aufbauen, als hier noch eine Stunde mich plagen. So haltet ihm seine Sünden vor, Schreiber!«

Der Angerufene ergriff ein Blatt und trug mit eintöniger Stimme folgendes vor: »Der Famulus Giuseppe Bartelli –«

– »Ich bitte Euch,« flüsterte der Aengstliche, »nicht Giuseppe, Joseph, Joseph Bartel!« –

»Schweigt!« rief der Pater von seinem Sitze aus, und der Schreiber fuhr fort: »Er bekennt, daß im Hause seines Meisters hier in Bologna gotteslästerliche Komödien sind dargestellt worden, in welchen die Personen des heiligen Vaters und der Apostel in Frauenkleidern erschienen sind: zweitens, daß sein Meister Zaubermittel erfunden, durch die er die Sonne zum Stillestehen zwingen kann; drittens, daß er machen könne, daß keine fromme Seele die Himmelsthüre findet, und daß der Wache in Bologna Nachts unter den Händen die Gauner verschwinden; viertens –«

– »Genug!« rief der Pater, »erst antwortet hieraus, Ihr loser Mann! was habt Ihr gegen diese Anschuldigungen einzuwenden?«

Joseph wandte sich mit einer Verbeugung gegen seinen Herrn und sagte, indem jener schalkhafte Zug in seinem Antlitz wieder über Furcht und Schrecken die Oberhand gewann:

»Vergebt mir, gnädigster Meister, wenn ich nun in Eure r Gegenwart von hochgelehrten Dingen Bescheid geben soll; aber Ihr seht, die weisen und ehrwürdigen Herrn da zwingen mich, den Mantel der christlichen Bescheidenheit von mir zu thun, um in meinem ursprünglichen Glanze zu erscheinen. Ja, Verehrte, es ist nicht anders, ihr seht in mir einen sogenannten großen Mann, einen erleuchteten Kopf, der seinem Jahrhundert vorangeschritten ist, und den man, wie alles Treffliche und Ungemeine, verfolgt und anfeindet. Das Geheimniß muß heraus. Und Ihr, Meister, so sehr ich Euch verehre, so oft ich Euch versprochen habe, vor der Welt Euch den Ruhm zu lassen, so werdet Ihr jezt einsehen, daß dieses Bündniß nicht länger Bestand haben kann, da ich einmal doch schon aus der Schule geschwazt habe.« –

»Zur Sache!« rief der Pater, »zur Sache!« –

»Nun seht,« hob der Sprecher wieder an: »es geht wohl manchesmal ganz gescheuten Leuten so, daß sie sich für etwas Besseres hatten, als sie eigentlich sind; der Diener will gern den Herrn, der Söldner einen Hauptmann, der Laie einen gelehrten Examinator darstellen; glückt es, so erbeuten solche wohl Ehre und Ruhm, allein nur so lange, bis die wahren Kenner hervortreten und den gläubigen Haufen eines Bessern überführen. In diesem Fall einer betrügerischen Einbildung sind nun nicht allein jene denkenden Wesen aller Art befangen, sondern sogenannte leblose Geschöpfe, hinter denen man eine solche Schalkheit gar nicht suchen sollte, zum Beispiel dieses wunderliche alte Stück Schöpfung, das Geschiebe von Kies, Metall und Gewächs, auf dem wir und unsere Väter und Großväter leben und gelebt haben, diese sogenannte Erde, tellus, oder wie sie sonst heißen mag. Wer sollte nun meinen, daß diese recht eigentlich vom Hochmuthsteufel besessen, und daß es ihr gelungen ist, Jahrhunderte lang die gelehrtesten Leute an der Nase herumzuführen? Allein ihre Zeit ist gekommen, an mir hat sie ihren Mann gefunden. Berechnungen habe ich angestellt, verehrte Herrn, höchst schwierige Berechnungen, gelauscht habe ich am alten Himmelshaus, und weil das Gebäude nicht mehr ganz haltbar ist, so ist mir durch die Ritzen und Spalten allerlei ganz wunderliches Zeug zu Gesicht gekommen. Ich konnte ganz deutlich sehen, wie sich manche Gestirne puzten, andere sich ihre Narben verklebten, wieder andere die von durchschwärmten Nächten bleich gewordenen Wangen roth bemalten; nicht selten hört' ich Zank und Verwirrung unter den hohen Herrschaften, denn diese standen spät auf, jene früh, die wanderten langsam mit gichtischen Beinen, und kamen nicht selten denen in den Weg, die jung und ohne Sorgen unbesonnen dahinschwärmten. Kurz, meine Herrn, es war oft eine wahre Schande, es mit anzusehen. Bei der Gelegenheit kam ich nun auch hinter die Schliche unserer alten Mutter Erde. Uns, die wir ihr im Schopf sitzen und aus zärtlichen Rücksichten blind für ihre Schwächen sind, uns hat sie weiß gemacht, sie habe am Himmelsraum den vornehmsten Platz inne; ja, die Sonne und alle übrigen Sterne seyen nur da, um ihr zu dienen. Wie erstaunte ich nun, als ich einmal auf meinem Lauerposten gerade das Umgekehrte fand? Ich paßte ihr auf, wie sie es am wenigsten vermuthete, und entdeckte die Alte, wie sie in ihrem groben Dienerkittel zugleich mit dem andern Pöbel herumtollte. Wie sah sie da so welk und kümmerlich aus, wie demüthig erbat sie sich das wenige Licht, das ihr zukam, von der Sonne; hatte sie es aber erhalten, dann puzte sie sich schnell hell und glänzend heraus, spielte wieder die alte, übermüthige Thörin, bis die Gabe verschwendet war und sie neue erbetteln mußte. Dieses that sie jedoch immer Nachts, wenn ihre Kinder schlafen, damit keines es erfahre. Allein uns Gelehrten, die auf der Erde vertheilt, spät bei ihren kleinen Lichtern aufsitzen und grübeln, uns kann sie nicht täuschen. Dieses, meine hochverehrten Herrn, ist nun meine Entdeckung, ich sage meine, und keines andern Menschen. Wollt Ihr mir nun dafür hunderttausend Dublonen geben, so laßt sie mir und keinem andern auszahlen, und wollt Ihr mich aus den Scheiterhaufen bringen, so laßt nur mich, ich bitte Euch, Niemand anders verbrennen als mich.«

Der Eindruck, den diese merkwürdige Rede des alten Mannes auf die Anwesenden machte, gewann die Oberhand. Der Herzog war fast ganz hervorgetreten, man sah ihn herzlich lachen, und natürlich theilte auch sein Hofstaat diese frohe Laune, obgleich die wenigsten begriffen; wohin eigentlich jene Scherze zielten. Copernicus selbst, von jeder Befangenheit, von allem Unmuth befreit, hatte auch seine Stimme im fröhlichen Gelächter ertönen lassen, und nur der alte Schwätzer, der diese günstige Wendung hervorgebracht, sah kummervoll zur Erde nieder, und auf das Seltsamste zuckte es in den vielen Runzeln seines klugen Antlitzes.

Der Pater war zornig und durch das Gelächter jezt auf's Aeußerste gebracht; er warf seine funkelnden Augen im Gemach umher und traf überall auf Spott, den er auf sich bezog.

»Ihr sollt,« herrschte er dem Famulus zu, »in kurzen Worten sagen, was Eure Entdeckung ist.« –

»In kürzern Worten,« entgegnete Giuseppe, »kann ich's unmöglich ausdrücken, als: ich habe entdeckt, daß die Erde sich um die Sonne und nicht die Sonne um die Erde dreht.« –

»Schreibt es nieder!« gebot der Pater, »und Ihr,« wandte er sich zum Gelehrten, »Ihr erkennt an, daß jene neue, so merkwürdige Entdeckung einzig von jenem Manne ausgegangen, daß Ihr durchaus keinen Theil an ihr gehabt?«

Copernicus zögerte, auf diese Frage zu antworten, der Stolz regte sich in ihm, er war entschlossen gewesen, die Früchte so vieler Anstrengungen und durchwachten Nächte in einem raschen, kurzen Geständniß der Welt hinzugeben; dann wieder traten, während Josephs Rede warnende Geister ihm nahe, die Stimmen seiner Freunde wurden laut, und jezt, wo es noch in seine Macht gegeben war, die guthmüthige Fürsorge des Alten abzulehnen, jezt verwirrte ihn dessen bittender Seitenblick, der Ausdruck von Sorge und. Bekümmerniß, der auf dem Antlitz des jungen Jesuiten lag, und endlich der leise, abmahnende Wink, den er in der Miene des Herzogs zu lesen glaubte. Er antwortete daher, daß er wohl wisse, wie sich sein Famulus mit gelehrten Dingen schon frühe abgegeben, daß er ihm dankbar sey für manche geleistete Hülfe, und daß er ferner nicht zweifle, jene Entdeckung könne auch wohl Joseph Bartel gemacht haben.

»Recht so!« rief der Alte freudig, »gesteht nur immerhin jenem armen Joseph Bartel auch einiges Verdienst zu, und wollt nicht immer Alles selbst entdeckt und gemacht haben; und nun, ihr Schreiber, sezt jenes Bekenntniß nur auf's Papier.« –

»Halt!« rief der Pater, »Ihr habt noch immer nicht auf die ersten Beschuldigungen geantwortet.«

Im Kabinet wurde wieder gelacht und man vernahm die Stimme des Herzogs, die da rief: »Hört, hört, was wird er nun antworten?« –

»Ich, ehrwürdiger Herr!« rief Bartel, »ich kann Euch versichern, daß wir im Hause des Meisters nichts als eine lustige Kinderkomödie aufgeführt haben, und daß in derselben weder gegen den Staat, noch gegen die Kirche das Geringste vorgekommen, und was nun vollends jene Anschuldigung betrifft, als könne ich die Gefangenen den Wachtmeistern und Bütteln entziehen, so seht Ihr's ja an mir; ich habe ihnen nicht entgehen können, und wahrlich, verstände ich ein solches Kunststückchen, so stände ich nicht hier.«

Der Herzog lachte, er schloß die Thür und mit seinem Verschwinden war auch dieses sonderbare Verhör beendet. Die Schreiber packten ihre Schriften zusammen, und der Pater verließ mit dem Jesuiten den Saal, nicht ohne vorher auf den Meister und seinen Famulus einen finstern drohenden Blick zu werfen. Joseph wurde wieder von der Wache fortgeführt, die es nicht gestattete, daß er mit seinem Herrn noch einige Worte wechselte.

In der Einsamkeit seiner Gemächer angelangt, fand Copernicus Zeit, das Geschehene im Geiste zu ordnen und zu überdenken. Die Nacht überraschte ihn noch am Arbeitstische. Das Fenster vor demselben war mit einem kleinen Ballon versehen, der auf eine enge, finstere Seitengasse ging. Der Anblick des klaren gestirnten Himmels, für den Gelehrten immer und in seiner jetzigen Lage doppelt erquickend, wurde ihm durch die hohen gegenüberstehenden Häuser fast entzogen; dennoch suchte er einzelne ihm besonders liebe und vertraute Sternbilder, und war in ihrem Anschauen vertieft, als sich unten in der Gasse Jemand mit leisem Husten vernehmen ließ.

Der Gedanke, es könne einer seiner Freunde seyn, bewog den Gelehrten, die Lampe zu ergreifen und hinabzuleuchten; aber wie entsezte er sich, als ihm aus der Finsterniß unten die gräßliche beinerne Larve eines Todtenschädels entgegengrinste. Der Kopf starrte aus den weiten Falten eines schwarzen Mantels hervor und dumpf ertönten die Worte:

Fühlst du die Hand, die dich verfolgt,
Die schwerverrathne Erde rächend?
Wohin du fliehest, du entgehst ihr nicht!

Der Meister trat zurück, er schloß das Fenster, und die Lampe an ihren Ort stellend, ging er jezt schweigend auf und ab. Sein klarer Blick, vor sich hinschauend, schien die Nachtgespenster, die sich um ihn sammeln wollten, zu zerstreuen.

»Ich hätte nie hieher kommen sollen!« rief er bei sich selbst; »weht nicht in diesem Lande ein geistiger Scirocco, der aus den glühenden Wüsten des Aberglaubens kommend, jede gesunde Erscheinung des Lebens wie der Wissenschaft mit Tod anhaucht.«

Der Hauptmann im Vorgemach trat jezt anmeldend herein und ihm folgte jener junge Jesuit, der sich mit abgemessenem Gruße dem Meister näherte. Auf seinen Wink verließ der Offizier das Gemach und jezt warf sich der junge Mann mit dem Ausdruck einer stürmischen Zärtlichkeit und Verehrung an die Brust des ältern Freundes.

»Bersonnet!« rief dieser; »was bringt Euch so spät noch zu mir?« –

»Sorge um Dich,« entgegnete der Jüngling; »Du mußt fliehen, mußt Bologna verlassen, ehe drei Tage dahin gehen!«

»Ihr scherzt, habt Ihr nicht heute selbst mit angehört, wie leicht, wie scherzend jedes Bedrängniß sich gelöst hat?« –

»Glaube das nicht!« rief der Jesuit, und eine hohe Röthe färbte seine Wangen; »die Klugheit, die unübertreffliche List des Alten hat Dich heute gerettet; er hat als Dein guter Engel Dich von jedem Geständniß abgehalten. Aber meinst Dir, daß sich Deine Feinde alle so grob täuschen lassen werden, wie jener bösartige Mönch? Denke an den allgewaltigen Beichtvater des Herzogs, ihn, den Du in der Gunst seines Herrn so verdrängt hast; denke an den Prior des Franziskanerklosters, dessen stolze Unwissenheit Du einst in einem gelehrten Disput vor seinen Untergebenen in ihrer Blöße aufgedeckt! Ach, denke an Deine große Entdeckung selbst und an die Zeit, in der wir leben!« –

»Wie« rief Copernicus erstaunt; »auch Euch, Bersonnet, erscheine ich als ein ketzerischer Fantast?« –

»Mann des Geistes!« entgegnete der Jüngling mit Begeisterung, »wunderbarer, räthselhafter Sterblicher, der Du, ein mächtiger Gigant, den Himmel erstürmt hast! unbegreiflicher Geist, Lehrer kommender Jahrhunderte! laß mich Dein Vertrauter, Dein Bewunderer seyn! Unerhörte Dinge geschehen vor unseren Augen, was der ausgebildetste Verstand für ein Mährchen erklärt hätte, wird zur großen, unumstößlichen Wahrheit und hinabsinkt, was Jahrhunderte im Glauben bekannten, worauf die ergraute Welt als auf ein Evangelium baute, hinabsinkt es zu einem läppischen Ammenmährchen, und dieses Werk ist das Werk eines Mannes, eines schwächlichen, aus Staub zusammengesezten Geschöpfes, gebrechlich wie wir alle, ein Sandkorn am Ufer des Meeres! Und: mir, o Himmel, gönnst du das Entzücken, diesen Mann umarmen zu dürfen, das entsiegelte Auge zu schauen, am Busen zu ruhen, der das Schicksal kommender Geschlechter bewahrt, die Hand zu drücken, die das Weltgebäude anders gerückt hat!« –

»Ihr schwärmt,« rief Copernicus, als der junge Pater inne hielt, doch Ihr schwärmt auf eine Weise, die mir willkommen seyn muß; gleichwohl, mein Freund, bleibt es Schwärmerei: was ich gefordert und aufgedeckt, hätte früher oder später auch ein Anderer gefunden, ja Ihr selbst waret durch Eure eifrigen Forschungen nahe daran.« –

»Still!« rief der Jesuit, »still! nichts von dem!« Er sah sich im Gemach um, ob Niemand lauschte.

»Seltsam!« begann der Meister wieder; »weiß ich denn nicht nach Euren eigenen Worten, aus Euren Angaben und Mittheilungen, wie weit Ihr schon gediehen wart?«

Der junge Mann stürzte zu den Füßen des Gelehrten: »Bei den Wunden Christi!« rief er leidenschaftlich, »wollt Ihr mich wahnsinnig machen? Ich weiß nichts von jenen Forschungen, nie hab' ich ein Wort mit Euch über diese Dinge gesprochen!«

Copernicus erhob sich unwillig und drohend, der Jesuit umklammerte seine Knie, seine Wangen waren bleich, die Lippen bebten.

»Ehe Du mich als Theilnehmer Deiner Entdeckungen nennst, ehe stoße einen Dolch in diese Brust!«

Der Meister stand ganz verwundert.

»Schöne, herrliche Seele, durch Kindeslächeln und Einfalt, wie durch weiche, süße Fittige geschirmt!« rief der junge Mann, indem er sich bittend überneigte; »Du spielst mit Sonnenstrahlen wie mit Blumen, und weißt nicht, daß das grobe irdische Auge der Welt an jenen Strahlen, die Du ihnen lächelnd reichst, erblindet! – Wußte ich's doch,« rief er träumerisch lächelnd vor sich hin, »Damals, als Du mir zum erstenmal erschienst am Ufer des Arno, dahinwandelnd, gleich einem großen seligen Schatten der Vorzeit, die Blicke hinaufgewendet in unermeßliche Räume und in's verwandte Antlitz des Himmels; sagte mir nicht damals schon eine Stimme: diesem Manne; diesem Gott in irdischer Gestalt, ihm strebe nach, er wird einst einen großen Namen tragen, und ich hörte die Blumen, die irdischen Sterne, zusammenklingend Deinen Namen lispeln.«

»Junger Freund!« rief Copernicus, »ich fasse weder Eure zu große Begeisterung, noch Eure übertriebene Furcht.« –

»Unglückseliger! seyd Ihr denn so blind für die Verhältnisse der Welt? Euer Ausspruch ist wenig verschieden von dem des Antichrist, vernichtend, umstürzend, was der Glaube vieler Jahrhunderte gewesen, was die Satzungen der Kirche angenommen und bestätigt, worauf eine ganze ehrwürdige Reihe von Päbsten bestanden; Kaiser, Könige und Fürsten, hocherleuchtete Männer des Staats und der Kirche, deren Namen staunende Ehrfurcht allen kommenden Zeiten einprägt, alle haben die Wahrheit des Satzes anerkannt und sind im Glauben an den Satz gestorben, den Ihr jezt umstoßt. Rasender, habt Ihr dieses bedacht? –

»Ihr seyd ein leidenschaftlicher, kranker Mann!« rief der Meister und löste seine Rechte aus der umklammernden Hand des Religiosen, der ihn noch immer mit flammendem Auge und hoch gehobenem Arm ansah; »Ihr widersprecht Euch selbst, soll ich nun Eurer frühern Begeisterung oder Eurem jetzigen Haß glauben?« –

»Haltet beide für wahr,« entgegnete der Jüngling, »sie sind beide marternde Flammen dieser Brust.« Er verhüllte sein Antlitz und sezte mit dumpfer Stimme seine Rede fort: »Ich verbarg Euch, Meister, die finstern, drohenden Anfälle, die ich damals erlitt, als ich noch mit Euch arbeitete, wenn ich in der Stille meiner Studierkammer, beschäftigt mit jenen verbotenen Dingen, mit Schaudern inne ward, daß ich immer mehr mich vorm Glauben entfernte. Damals in der Einsamkeit lag ich über meinen Büchern oft in Thränen der Buße aufgelöst und bat dem Himmel die Beleidigung ab, die ich ihm durch verbotenes Forschen nach dem, was er gütig dem erdgeschaffenen Auge verbirgt, angethan. O Meister! wie verderblich ist jenes Wissen, wie zerstörend das Gelüste, Geheimnisse zu ergründen und zu offenbaren!«

Copernicus hatte während dieser lezten Worte die Farbe gewechselt, in seinem Auge brannte die lebhafte Flamme des Unwillens.

»Genug!« rief er, »genug! wenn Ihr selbst so sprecht, Bersonnet, dann muß ich ja fast glauben, daß Mein Leben gefährdet ist, und alle jene als thöricht abgewiesenen Besorgnisse treten mir wieder nah.« –

»So willst Du also fliehen? Du willst Dich uns, deinen Rettern, anvertrauen?« –

»Verlaßt mich jezt,« entgegnete der Gelehrte; »es ist Euch gelungen, die Ruhe aus meinem Gemüthe zu verscheuchen; ich muß Zeit haben, um wieder zu mir selbst kommen zu können; verlaßt mich, ich bitte Euch, und erwartet morgen nähern Bescheid.«

Der Jesuit entfernte sich und der Meister blieb allein. Eine Stunde ungestörten Nachdenkens kostete es, und er war fest entschlossen, seine Wohnung nicht zu verlassen, um durch eine verdächtige Flucht sich und seiner Sache nicht zu schaden.

Es war in der Nacht des zweiten Tages hierauf, als gegen die Morgenstunden der Gelehrte, aus dem Schlummer aufgeschreckt, ein anhaltendes, tobendes Geschrei vernahm, welches den Pallast umtönte. Ans Fenster eilend, sah er wilde, unbändige Haufen Volks durch die Gassen schwärmen, zwischendurch Soldatenabtheilungen, die sich vergeblich mühten, jene zur Ruhe zu bringen; eine Prozession, aus einer nahen Kirche hervortretend, stob wild aus einander, und mehrere der Geistlichen in ihren fliegenden Chorkleidern retteten sich in die enge Seitengasse, die der Wohnung des Gelehrten am nächsten war. Aus dem verworrenen, dumpfen Gelärm konnte dieser nur so viel merken, daß ein Vorfall im Pallast Ursache dieser Bewegung sey.

Als er jezt die Blicke wieder auf die Gasse richtete, drängte sich ein Schreckensschrei aus seiner Brust, er erkannte, von einem wilden Haufen eingeschlossen, seinen alten Famulus, Joseph Bartel, der mit noch ein paar andern unglücklichen Schlachtopfern, mehr geschleppt als geführt, sich über den Platz, der die beiden angrenzenden Straßen verband, hinüberbewegte. Er wollte ihn beim Namen rufen, Hülfe herbeischreien! doch im nächsten Moment erkannte er, wie nutzlos dieses sey, ja wie jede auffallende Handlung jezt seine eigene Sicherheit in Gefahr bringen könne.

So mit sich selber kämpfend, seinen Muth und seine Entschlossenheit zusammennehmend, stand er noch auf dem Absatz des Fensters, als die Bewegung unter demselben und auf dem Platze sich verstärkte und sich ihn zum Gegenstand ihrer erhöhten wilden Thätigkeit ausersah. Scheltende Stimmen tönten nahe in sein Ohr, tausend und aber tausend Blicke richteten sich auf das Fenster, und schon begannen Steine dagegen zu fliegen. Eine Gestalt, in eine Kutte gehüllt, warf sich durch die Menge, drang vor bis an die Mauer und schleuderte, indem sie die eiligen und aus der Umhüllung nur dumpf hervortönenden Worte schrie: »Fort, fort vom Fenster!« einen mächtigen Stein in's Gemach, der polternd zu den Füßen des Gelehrten niederfiel. Dieser wurde kaum die Papiere gewahr, welche den Stein umhüllten, als er begierig darauf losstürzte und seinen Fund besichtigte. Er enthielt von Battista's Hand folgende Worte:

»Dein Schicksal hat dies allerböseste Wendung genommen. In der Nacht ist ein Mordanschlag auf den Herzog vollführt worden; Deinen Feinden ist es gelungen, Dich und noch ein paar hier lebende fremde Gelehrte als Mitschuldige des Verbrechen verdächtig zu machen und der Wuth des Volks zu überantworten. Die Inquisition streckt ihre Krallen nach Dir aus, so wie sie den armen Joseph Bartel schon ergriffen hat; nur eine klug und vorsichtig angestellte Flucht kann Dich retten. Wir sind hiezu schon gerüstet; durch den Klumpen geschmolzenen Goldes, der in diese Papiere gehüllt ist, mußt Du Deinen Wächter zu bestechen suchen; da sie Dich hier Alle jezt für einen Schwarzkünstler halten, so kannst Du den Offizier, der, wie alle Trabanten des Herzogs, habsüchtig ist, glauben machen, daß Du die Kunst besitzest, Gold zu machen; vielleicht flieht er dann mit uns in Erwartung noch größerer künftigen Schätze. Halte Dich in einer Stunde bereit; während die große Feierlichkeit die meisten Menschen in die Kirche lockt, der Pallast und die Wachen noch in Verwirrung sind, wird uns unser Vorhaben gelingen. Wir hoffen und beten darum zu allen Heiligen.«

Die Unruhe, in der sich der Gelehrte befand, erlaubte ihm erst nach einer Weile, die Hüllen der für einen Stein gehaltenen Masse vollends abzustreifen, wo ihm nun das kostbare Unterpfand der aufopfernden Fürsorge seiner Freunde in die Hände fiel. Allein die drängende Zeit ließ nicht viel Betrachtungen; er trat an seinen Tisch, ordnete die wichtigsten Papiere, die er mitzunehmen beschloß, und war eben im Begriff, an den Jesuiten Bersonnet ein freundliches, dankendes Lebewohl zu schreiben, als dieser, gefolgt von dem Offizier, ins Gemach trat. Seine Miene war streng und die Stimme befehlend, mit der er dem Meister zurief, sich sogleich anzuschicken, ihm in das Franziskanerkloster zu folgen. »Herr, Euer leztes Stündchen hat geschlagen!« flüsterte der Offizier dem Gefangenen zu.

Der Jesuite schritt voraus, ungehindert und ohne sich umzuschauen, durch alle Säle und Gänge. Copernicus fühlte sich auf das Schändlichste verlassen und verrathen; Schrecken, Todesangst und Verwirrung bemächtigten sich seiner; mit Mühe suchte er so viel Fassung zu erringen, um dem Hauptmann, der ihm immer dicht zur Seite schritt, jenes Anerbieten zu machen; doch als er zu diesem Zwecke das Klümpchen Gold hervorholen wollte, überfiel ihn der beschämende Gedanke, daß er sich jezt wirklich zu dem elenden Gaukler herabwürdige, für den die unwissende Menge ihn hielt. Doch hier half kein langes Zögern; schüchtern fing er eben die Unterhandlungen an, als der Jesuit sich plötzlich umschaute und das Gold gewahr wurde.

»Wer es wagt, von einem zum Tode verdammten Ketzer etwas anzunehmen,« herrschte er dem Hauptmann zu, »der wird mit ihm gerichtet.« –

»Die Heiligen bewahren mich vor diesem Verbrechen,« flüsterte jener.

»Das ist also Dein Freund, Dein. Schüler!« rief Copernicus bei sich mit Bitterkeit; »so lohnt sich Liebe, Treue, Anhänglichkeit in diesem Lauheit.«

Der Jesuit schien die lezten Worte gehört zu haben, er hielt an in einem dunkeln Gange und winkte den Gelehrten näher zu sich. Hier, im Schatten der Mauer, dem Hauptmann versteckt, ergriff er die Hand des unglücklichen und verehrten Mannes, und sie mit Wärme an seine Brust drückend, rief er: »Scheltet dieses Land nicht, Meister! es gibt auch hier Herzen, die fähig sind, für eine große, erhabene Idee zu schlagen. Seyd unbesorgt, Ihr seyd gerettet; um Euch zu nützen, mußte ich mich für Euern erbitterstern Feind ausgeben.« Copernicus schloß mit stummer Rührung den wiedergefundenen Freund in die Arme. »Verhaltet Euch ruhig in diesen Gemächern, bis die eingetretene Dunkelheit mir vergönnt, Euch zu den Eurigen, denen ich bereits Kenntniß von Eurem Schicksal gegeben, zu führen.«

»O, noch ein Wort!« rief der Gelehrte; »ehe Ihr geht; sagt mir, was ist aus meinem streuen Joseph geworden? werd' ich ihn bald wieder sehen?«

Der Jesuit schüttelte das Haupt: »Ueberlaßt ihn seinem Schicksal, nur so kann es mir gelingen, Euch zu retten; er hat auf seiner Aussage bestanden und hartnäckig alle Schuld auf sich genommen; er hat sich für Euch geopfert.« –

»Der Himmel verhüte, das dies geschehe!« rief Copernicus. »Eilt, verehrter Freund, eilt, thut Euer Möglichstes für ihn, – überlaßt mich meinem bösen Sterne!« –

»Ich kann nur Einen schützen und retten!« entgegnete eilig und besorgt der Jüngling; »haltet Euch ruhig, in wenig Stunden sehe ich Euch wieder.«

Er führte den Gelehrten in ein kleines, enges Gemach und entfernte sich; der Hauptmann nahm seinen Platz vor der Thüre ein.

»So ist denn erfüllt,« rief der Meister bei sich, indem er den Blick auf die dicken schwarzen Mauern seines Gefängnisses richtete, »was jene finstere, wunderbare Prophezeihung mir an jenem Abend ankündigte: aus dem Schooße des Glücks, der Ruhe und Heiterkeit hat mich der tückische Dämon gescheucht, um in dieses Grab mich herabzustoßen! Und werde ich das Licht der Sonne, das Antlitz der Meinigen jemals wieder sehen? So hätte ich umsonst gelebt und gewirkt!«

Bei diesem Gedanken, dem empfindlichsten und schmerzhaftesten, den seine Seele beherbergte, brachen die Thränen aus seinen Augen und er sank, das Haupt auf die Hand gestüzt, seufzend auf die Ruhebank nieder. Die tiefe Einsamkeit, die Stille des Grabes, die ihn einschloß, ließen seinem Geist volle Freiheit, sich in's Reich der gefürchteten Möglichkeiten zu verlieren; abgespannt von dieser quälenden Beschäftigung, ermüdet von den angreifenden Begebnissen des unruhigen Tages, versank er in jenen Halbtraum, in dessen geheimnißvollem Zustand sich oft prophetische Bilder der Zukunft mischen.

Dem geistigen Auge des Gelehrten schwebten jezt die frühern Scenen seiner Kindheit vor. Er fand sich am Ufer der Weichsel; neben ihm wandelte sein früher Lehrer und väterlicher Freund Regimontan; er zeigte dem staunenden Knaben die unermeßliche Sternenschöpfung, welche in ihrem leuchtenden Glanze sich über ihren Häuptern hinverbreitete und ihren Widerschein auf den dunkeln Wellen des Flusses schweben ließ. Entzücken, Ahnung und süße Schauer füllten die junge Brust, mit dem ersten feurigen Wunsche einer noch ungebeugten Seele strebte sie nach oben.

Da stiegen aus den Nebeln des Horizontes finstere Wolken empor und verhüllten immer mehr und mehr die herrliche Schaubühne; der Knabe fing an zu weinen, er hätte mit den kleinen Händen die dunkle Decke hinwegreißen mögen; doch Regimontan sagte mit gütigem Ernst:

»Harre aus; der, der diese Nebel steigen läßt, wird sie auch wieder sich zerstreuen heißen; eine dunkle Zeit ist für den Kampf der Geister ersprießlich! Sieh hin, die Namen derer, die aus der Verwirrung, aus der Bedrängniß ihrer Zeit siegreich hervorgegangen!«

Der Knabe richtete ängstlich seine Blicke nach oben, der Wolkenschleier flog zerrissen nieder, und welch ein liebliches Wunder! die Sterne flammten und spielten durcheinander, bis sie sich zu herrlichen Namenszügen formten: es waren die Namen derer, die ein großes Verdienst erst spät anerkannt sahen, es waren die Schöpfer und Verbesserer der Sternkunde. Seltsame, sagenhafte Namen aus dem grauen Alterthume Egyptens führten den Zug an, ihnen folgten arabische, chaldäische Weise, dann in leuchtendem Glanze griechische Philosophen. Kein verehrter Name fehlte von jenen Egyptiern, die Martlan Capella aufgeführt, des Ptolemäischen Systems glänzenden Stützen, Pythagoras, Aristoteles, Platos, Hipparchs und Archimedes Weisheit, dann die dem Gelehrten so theuren Namen Nicetas, Heraclides, Ekphontus, sie, die in ihren Schriften vorahnend seine große Entdeckung schon angedeutet, sie, die gleich ihm von ihrer Mitwelt verkannt, vergessen und verhöhnt wurden.

Der Knabe lauschte noch verwundert, als er einzelne Sterne sich zu einem neuen Namen formen sah; er forschte den werdenden Zügen nach, begierig, den neuen Gegenstand der Liebe und Verehrung kennen zu lernen, als er mit staunendem Schrecken seinen eigenen Namen erkannte. Die Besinnung drohte ihm zu schwinden; er wollte sich an Regimontans Seite halten, doch dieser hatte sich wegbegeben. Allein, verlassen von aller Welt, mit seinem Entzücken, seinem Schmerz und seinen Zweifeln sich selbst hingegeben, stand er da.

Mit diesem quälenden und doch erhebenden Bewußtseyn erwachte er. Bersonnet stand vor ihm. Der Meister warf sich an seine Brust.

»Jezt führt mich zum Tode!« rief er; »ich weiß, ich weiß, daß ich lebe!«

Der Jesuit faßte ihn tröstend und beruhigend; sorgsam empfahl er ihm Stille und Besonnenheit. Beide traten jezt ihren Weg an, nachdem der Hauptmann auf Befehl des Paters am Eingang des Vorgemachs zurückgeblieben.

Dunkelheit herrschte schon auf der Gasse; doch unter der Decke derselben schlich Verrath und Tücke mordgierig umher. In die Kutte gehüllt, die ihm Bersonnet gegeben, schritt der Gelehrte mit klopfendem Herzen den wohlbekannten Weg dahin; endlich schimmerten die Lichter seiner Wohnung; er glaubte sich am Ziele, als er mit Staunen den Jesuiten vorbeilenken sah.

»Die Deinigen befinden sich nicht mehr in diesen Mauern,« sagte der junge Mann; »sie haben sie verlassen, und das Volk beruhigt sich, indem es Dich und Deine Familie im Gefängniß weiß. Doch erschrick nicht, hier in diesem kleinen baufälligen Hause wirst Du sie finden. Sie erwarten Dich um diese Stunde; Alles ist zur Flucht bereitet. Eile, mein väterlicher Freund; fände Dich die morgende Sonne noch in Bologna, so hätte ich keine Mittel, Dich ferner zu schützen.«

Mit diesen Worten wandte der Jüngling sein Antlitz weg, Thränen fielen auf die Hand des Gelehrten.

»Du willst mich doch nicht verlassen, mein Freund und Schüler?« fragte dieser bange. –

»Suche zu vergessen,« war die Antwort, »was ich Dir einst gewesen; vergiß es zu Deinem, wie zu meinem Heil!« Er drückte noch einmal die ihm dargebotene Hand und war in der Dunkelheit verschwunden. Der Meister blickte ihm trübe nach; indeß wurde es in der kleinen Hütte lebendig, man sah ein Licht erscheinen, flüsternde Stimmen ließen sich hören, und endlich traten drei Gestalten hervor, die, so viel es die schwache Hellung, die aus dem Fenster drang zuließ, sich ängstlich umschauten.

Copernicus erkannte die beiden Muhmen; doch waren auch sie wunderlich verhüllt und seltsam gekleidet; er stand dicht neben ihnen, ohne daß sie ihn, durch die Kutte getäuscht, erkannten. Als er sie bei Namen rief, stürzten sie mit einem Freudenruf aus ihn zu. Frau Genevra klagte sich bitter an, daß sie durch jenes Schauspiel die unschuldige Ursache so vielen Elends geworden; auch Fräulein Therese schalt sich und ihre Unbedachtsamkeit; die Klagen und Entschuldigungen der Weiber schienen kein Ende nehmen zu wollen, bis endlich Battista hervortrat und ernstlich an's Fortgehen mahnte.

Der kleine Zug ordnete sich in der Stille und Dunkelheit, ein treuer Führer stellte sich an die Spitze; das Gepäck, so viel man davon mitnehmen konnte, war unter des jungen Pauls Aufsicht schon einige Stunden früher abgesendet worden. Des Gelehrten Bücher, die kostbarsten und wichtigsten derselben, hatte Frau Genevra sich nicht nehmen lassen, selbst zu tragen, indem sie sie unter ihren weiten Mantel verbarg. Battista stüzte seinen Freund, und beide Männer schritten in tiefer Rührung stillschweigend neben einander.

Copernicus dachte schmerzlich an seinen treuen Diener, er hatte noch zulezt mit Bersonnets Hülfe seine Befreiung zu erreichen getrachtet, und nur als dieser geradezu und auf's Bestimmteste jede Dienstleistung der Art von sich wies, suchte er sich jezt mit dem traurigen Gedanken vertraut zu machen, den guten Alten nicht mit in's Vaterland zu bringen.

Als sie sich dem Thore näherten, versperrte ihnen ein Volksgedränge den Weg. Waffen glänzten, Geschrei ertönte und zwischendurch ein wilder Jubelruf, Fackeln warfen ihr rothes, zweifelhaftes Licht auf die bewegten Gruppen. Unsere Flüchtlinge suchten sich an der Mauer hinschleichend Bahn zu machen. Da rief eine Stimme:

»Seht, seht einen der fremden Zauberer und Giftmischer, die unserem Herzog das Leben genommen!« –

»Wo, wo?« schrieen andere.

Der geschlossene Haufe that sich auf und von den Häschern geführt, wurde Joseph Bartel sichtbar. Ihm zur Seite schritt jener blasse Mönch aus der Klosterhalle mit hoch gehobenem Kruzifix und fliegendem Gewande, der Laienbruder und der dicke Waffenschmied zeigten sich im Gefolge; voran aber schwankte eine Gestalt, die mehr dem Tode als dem Leben anzugehören schien. Den blassen, todtenähnlichen Schädel umflatterten graue, spärliche Locken, im rothen Schein der Fackeln sprühten zwei finstere, tiefliegende Augen aus ihren Höhlen hervor ihr fürchterliches Feuer, und eine Stimme, die aus dem Grabe hervorzutönen schien, rief:

»Herbei, herbei, Mann oder Weib, zu schauen die Ketzer, die Erd' und Himmel verrathen haben!«

Das entsezliche Schauspiel machte, daß die Flüchtlinge unwillkührlich stehen blieben und ihre Blicke darauf wendeten; Copernicus erkannte nicht sobald seinen Diener, als er einen Schrei des Schreckens ausstieß; zum Glück erstarb er ungehört im allgemeinen Lärm.

Die Gruppe machte Halt und den armen Schlachtopfern wurde eine kleine Erquickung gereicht; der Laienbruder ließ es sich nicht nehmen, seinem frühern treuen Kunden noch den lezten Trank zu reichen. Joseph nahm ihm das Gefäß aus der Hand und wollte eben einen Zug thun, als seine Blicke denen seines Herrn begegneten, und entsezt fiel die Schaale aus seinen Händen. In dem Moment hatte jener Wahnsinnige auch den Meister erkannt und mit einem Sprunge auf seine Beute zustürzend, sie mit beiden dürren Armen fassend, schrie er laut:

»Du mehr als Schändlicher, den meine Zung' nicht nennt
Weil deines Namens Klang gleich Schwefel sie verbrennt!
Wohin du fliehen magst, entgehen wirst du nicht
Der tiefverrathnen Erd' und ihrer Rachepflicht!«

»Hier seht Ihr den Hauptketzer!« schrie er, seine tolle Rede gegen dies Menge fortsetzend, indem er den Meister umklammerte und sich wie der Tod würgend an ihn hängte, so daß Battistas, der Frauen Bemühungen, den unglücklichen Freund zu befreien, fruchtlos blieben. Sie wurden von der Wache zurückgedrängt, der Franziskaner bemächtigte sich seines Opfers und führte es vor Bartels Augen.

»Gestehe, Elender!« rief er diesem zu, »wer ist dieser Mann und warum entseztest Du Dich vor seinem Anblick?«

Das Antlitz des Alten, indem er den Meister anblickte, drückte jezt die größte Ruhe und Unbefangenheit aus; das Geschrei der Menge wich einer tiefen Stille, und Aller Blicke waren auf die Hauptpersonen der nächtlichen Gruppe gerichtet.

»Was fragt Ihr mich!« rief jezt der Famulus, »ich kenne den Mann nicht, habe ihn nie gesehen.« –

»Du sollst Deinen Herrn und Meister nicht kennen?« rief eine Stimme aus dem Haufen, »den fremden Teufelsbanner, der mit Dir gefangen worden?« –

»Gestehe!« rief der Mönch, »Du kannst Dein Leben retten, wenn Du eingestehst.« –

»Ei, hochwürdiger Herr,« entgegnete Bartel, »Ihr fangt Eure Sache sehr klug und fein an; wäre ich nun ein Schurke und Schelm, was ich zum Glück nicht bin, so brauchte ich jezt nur zu sagen: ja, der da ist Copernicus, mein Herr und Meister, und ich wäre frei, und jenen armen, friedfertigen Reisenden kostete es Hals und Kragen; aber wir Teufelsbanner und Magier sind ehrliche, treffliche Leute, die dadurch sich von den sogenannten anständigen, moralischen, in Amt und Würden stehenden Menschen unterscheiden, daß sie noch eine kleine Scheu vor Lügen, Betrügen, Morden und Verbrennen haben. Fragt den guten Mann selbst, er wird ja am besten wissen, wer er ist und was er will.«

»Ihr irrt Euch Leute!« riefen mehrere Stimmen, »der Pilgrim da ist erst heute in die Stadt gekommen.«

Der Wahnsinnige überschrie alle, indem er sich auf den Boden hinwarf, seinen Leib in Zuckungen umherwand und die schwärzesten Flüche und Anklagen gegen den Gelehrten ausstieß; »Wer Ihr auch seyd,« reif der Mönch, indem er der Wache einen Befehl ertheilte, »Ihr erscheint verdächtig, und ich befehle Euch, mir zu folgen.«

Diese Worte tönten einem Donnerschlag gleich in das Ohr Battistas und der Frauen; diese rangen jammernd die Hände, wirklich schien Alles jezt verloren. Der Zug ordnete sich wieder, schwankend und in wilden Sprüngen tanzend, bewegte sich die dürre Gestalt des Wahnsinnigen im Scheine der Fackeln, aus seinem Munde tönten wieder jene grausigen Anklagen und Flüche. Dem Meister erschien alles um ihn als Wahnsinn, Zerstörung und Entsetzen, er war kaum seiner Besinnung mächtig.

Als man um die Straßenecke biegen wollte, kam ein Reiter mit einer Begleitung angesprengt, die Menge wich ihm aus.

»Der junge Herzog!« riefen mehrere Stimmen; »macht Platz!«

Copernicus blickte auf, er erkannte den Prinzen Benedetto und rief ihn an, als jener, durch's Gedränge aufgehalten, nahe bei ihm hielt. Der Fürst erblickte kaum den in harter Bedrängniß Schwebenden, als er, sogleich mit scharfem Auge des Geistes die Lage der Dinge auffassend und überschauend, dem Zug ein donnerndes Halt zurief.

»Wie kommt Ihr hierher, Anselm? ich glaubte Euch schon nahe bei Rom auf Eurer Pilgerfahrt,« sezte der Prinz, mit gütiger Stimme zum Meister gewendet, hinzu.

»Wie? und in dieser, Begleitung!« Der dicke Waffenschmied hatte allein den Muth, hervorzutreten und in einigen übel zusammenhängenden Worten den Verdacht, der gegen die Reisenden laut geworden, vorzubringen.

»Nichtswürdiger!« schrie der erzürnte Herr, »Ihr wagt es, meinen treuen Diener festzuhalten? fort mit der Wache! und Ihr, Anselm, was auch der Grund der Verzögerung Eurer Reise sey, besteigt jezt eines der Pferde und folgt mir.«

Copernicus küßte mit stummer Rührung die Hand seines Retters. Er wollte sich eben auf das vorgeführte Roß schwingen, als sich mit Geheul der Wahnsinnige an seine Knie klammerte:

»Ich lass' ihn nicht!« schrie die entsetzliche Erscheinung; »ich lass' ihn nicht, er ist mein, mir gehört er, den beleidigten Erdgeistern, die sein Gebein verschlingen wollen! Ich, ich bin der Geist der Erde, in meiner dunkeln Kammer soll er büßen, die finstersten Grotten will ich ihm aufschließen; dort soll sich in das Tosen der unterirdischen Gewässer sein Klagelaut mischen, alle Schrecken will ich gegen ihn loslassen, Jahrhunderte soll er dort unten überdauern, bis eine Steinkruste, härter wie der Diamant, seinen verruchten Leib überzieht, inwendig aber soll ewig rege der brennende, blutige Karfunkel, das Herz brennen, im peinigenden Vorwurf, in stets wacher Selbstklage!«

Der Herzog hatte seinen Blick fest auf den Unglücklichen geheftet, jezt gab er einen Wink, und er wurde weggerissen.

Der Zug bewegte sich weiter und auch das Gefolge ordnete sich neu; für Battista und die Frauen war ebenfalls gesorgt worden, sie befanden sich auf bequemen Sätteln und in Sicherheit.

Bald war das Thor erreicht, und erst als sich die finstern Mauern hinter ihnen schlossen, athmeten die armen Verfolgten wieder frei. Copernicus durfte neben dem Herzog reiten, und dieser sagte zu ihm, als sie in einiger Entfernung Von der Stadt waren:

»Erkennet verehrter Herr, in dem, was der Zufall mich vor wenig Stunden für Euch thun ließ, einen kleinen, mir sehr willkommen Gegendienst für jene frohe Stunde, die Ihr mir damals, vor ziemlich langer Zeit schon; durch Eure günstige Prophezeihung bereitet habe. Ich glaubte zuversichtlich an Eure Worte, obgleich ich nicht begriff, auf welche Weise sie in Erfüllung gehen könnten. Der Himmel hat meine Kleingläubigkeit bestraft, ich trage jezt den herzoglichen Hut, und was diesem hohen Geschenk den größten Werth verleiht, ich bin in seinen Besitz ohne Vorwurf gekommen; meine Brust fühlt sich bei jenem unglücklichen Ereigniß völlig frei von jeder Mitschuld. Mein Oheim, obgleich nie gütig gegen mich, war mir stets ein hochverehrtes Haupt; um alle Schätze der Erde hätte ich nicht an sein Leben tasten wollen. Doch seinen vielen Feinden, unter denen jener heimtückische Priester, der Schlange gleich, die man unwissend am Busen wärmt, sich am thätigsten zeigte, ich meine den Beichtvater, der auch Euer Feind ist, gelang jenes Bubenstück, ohne daß ich's verhindern konnte; doch sie sollen sich um den Lohn betrogen haben. Dem Alfredi, dem Sohn des Herzogs, diesem kränklichen, halb blödsinnigen Knaben glaubten sie die Herrscherzügel in die Hand zu drücken, doch der Schwächling hat die Früchte dieser Schandthat nicht erlebt; auch Giacomo, mein Vetter, der nähere Rechte als ich hatte, ist vor wenig Tagen in einem Zweikampf gefallen, und so ist wahr geworden,was die Sterne mir geweissagt. Ihr aber, verehrter Meister, seyd der Gründer meines Glücks.«

Copernicus lehnte diese Danksagungen auf das Ernstlichste von sich ab, er berief sich auf seine eigenen Worte damals, die der Prinz falsch gedeutet; doch je eifriger er sich von einem ihm mit Unrecht zugeschriebenen Verdienste lossagte, desto mehr bestand der junge Herr darauf, ihn mit Lohn und Dank zu überschütten.

»Den schönsten und glänzendsten Bestandtheil meines Glückes,« sezte er seine Rede fort, »kennt Ihr noch nicht; doch Ihr sollt ihn kennen lernen. Schon sind wir nicht mehr ferne dem Landschlosse, wo Ihr und Eure Frauen Euch gefallen lassen müßt, für diese Nacht meine Gäste zu seyn. Wie glücklich bin ich, Euch dort vor jedem fernern Angriff des dummen Pöbels sicher zu wissen. Von dort aus gebe ich Euch ein sicheres Geleite, das Euch mit meinen besten Segenswünschen bis übers die Grenzen hinausführen soll.«

Der Gelehrte dankte auf's Herzlichste. Nicht lange dauerte es, so wurden jezt die erleuchteten Fenster eines stolzen Gebäudes sichtbar, das auf einer Anhöhe, umgeben von einigen befestigten Anlagen, sich in den Nachthimnel emporhob. Die Reisenden stiegen am Thore ab, nachdem sie über eine stattliche Brücke dahingetrabt, die Gefährten des Prinzen hoben die Damen aus den Sätteln und führten die Erstaunten und freudig Ueberraschten über die Gänge und Stiegen des Schlosses.

Der Herzog war verschwunden; erst am Morgen, als seine Gäste durch einen erquickenden Schlummer von den Bedrängnissen der überstandenen bangen Tage sich in etwas erholt hatten, ließ er den Gelehrten und die Damen zu sich entbieten. Die leztern waren erstaunt über die Pracht der ganzen Anordnung, über die kostbaren Stoffe und die Prunkgefäße, die überall vertheilt standen. Copernicus wurde jedoch vom Fürsten-in ein Gemach geführt, wo eine junge Dame von außerordentlicher Schönheit sich bei seinem Eintritt aus dem Sessel erhob.

»Dieses,« flüsterte der Herzog dem Gelehrten zu, »dieses, Meister Copernigo, ist mein größter Schatz. Ihr seht die Prinzessin Annonziata vor Euch, jezt noch heimlich meine Braut, bald, nach verflossenem Trauerjahr, meine Gemahlin. Jezt könnt Ihr mir glauben, wenn ich Euch meines Glückes versichere.«

Die Prinzessin kam mit einem gütigen Gruße auf die beiden Männer zu; sie hörte mit Theilnahme dem Herzog zu, der ihr die traurigen Schicksale des eben der Gefahr Entronnenen erzählte; auch sie hatte von diesen Begebnissen sprechen gehört, sie achtete und ehrte den Fremden, über dessen Verdienste sie aus des Geliebten Munde so vielfache Lobsprüche vernommen. Von diesen Gegenständen ging das Gespräch auf jene Stifter des Aufruhrs über, und der Herzog erwähnte auch hier jenes Wahnsinnigen, indem er sagte:

»Ich muß Euch über diesen Mann, verehrtester Meister, der sich so seltsam in Euer Schicksal eingemischt hat, ja der gleichsam als finsterer Prophet Euch dessen ganze künftige Wendung vorhergesagt hatte, noch einige erklärende Worte sagen, da ich jenen Unglücklichen in bessern Tagen wohl gekannt habe. Mein Oheim, der sich einige Zeit viel mit Erforschung geheimnißvoller Dinge abgab, und unter diesen sich auch die Kunst, Gold zu machen, aneignen wollte, pflegte Leute um sich zu versammeln, die entweder im eingebildeten oder wirklichen Besitz jener verborgenen Kenntnisse sich befanden. So brachte er einstmals von seinen Reisen jenen Roberto mit, der frei1ich damals nicht von ferne an das Gespenst, welches Ihr gestern saht, mahnte. Die Versuche, die dieser nun in seiner Zauberküche anstellte, mißlangen durchaus, und es schien, als verschließe sich das Geheimniß desto hartnäckiger vor ihm, je eifriger er es suchte.

Es war nicht zu leugnen,« fuhr der Herzog fort, »daß Roberto sich damals schon thöricht und verrückt zeigte; er schloß einen förmlichen Bund, wie er es nachher gestanden, mit den Erdgeistern, die er zwingen wollte, ihm die verborgene Mischung zu offenbaren. Zwei herumziehende Magier gesellten sich zu ihm, und der Unfug wurde nun in's Große getrieben; die geistlichen Gerichte, aufmerksam gemacht, fanden Ursache, mit jenen Verirrten nach der ganzen Strenge ihrer Gesetze zu verfahren, und so ereignete sich nun mit dem Armen jene traurige Verwandlung. Der Grund seiner eigentlichen Raserei war der Gedanke, der ihn nie wieder verließ, daß er über die Erde einen Fluch ausgestoßen habe, im Unwillen, daß sie ihm ihre Schätze nicht überliefere, und daß sie, wenn er nun sterbe, ihn nicht in ihrem Schooß aufnehmen werde. Ihr findet auch jenen Gedanken in den Versen ausgesprochen, mit denen er Euch drohte und die er von seinem Zustand auf Euch übertrug. Vielleicht hatte er von den Mönchen oder Eurem Famulus von Eurer Entdeckung reden hören, und sie nun auf seine Weise phantastisch und seltsam genug aufgefaßt; vielleicht, und dieses ist mir nicht unwahrscheinlich, ist in dunklem Ahnungsvermögen ihm dieselbe Idee aufgestiegen, die sich bei Euch zum klaren Bewußtseyn gestaltete, denn er war ein gelehrter Mann, der sich auch mit Eurer Wissenschaft beschäftigte, und eine neue große Idee kann ja wohl, wenn sie sich nicht zum Besten der Welt zum Lichte ringen kann, den umgekehrten Weg einschlagend, in die Nacht des Geistes hineinragen, wo wir dann als Wahnsinn vor ihr und ihrem unverständlichen Antlitz zurückbeben.

Geht es denn mit den Dichtern anders? nur Einem von der großen Anzahl in jeder Zeit verleiht Natur oder Zufall die volle Uebereinstimmung aller Kräfte, räumt jedes, auch das kleinste Hinderniß aus dem Weg, und er darf in voller Gesundheit nach Außen hin die prophetische Stimme klingen lassen, indessen neben ihm an derselben herrlichen Gabe andere, wie an einem fürchterlichen Gift, das jeden Keim frühe ertödtet, dahinwelken.

Ihr, verehrter Meister, gehört nun gewiß nicht zu diesen leztern; zieht hin in Euer freies, schönes Vaterland, und gebt Ihr dort jene Schätze offen hin, die man Euch hier verkümmert hat, so denkt im, Vollgenuß jeglichen Glückes auch zuweilen an dasjenige zurück, welches Eure tiefe Weisheit hier hat begründen helfen.«

Er neigte sich hiemit zu seiner schönen fürstlichen Geliebten, und ein dankendes Lächeln begegnete seinem zärtlichen Blicke.

Nach zwei in glücklicher Ruhe, verlebten Tagen nahm nun der Gelehrte von seinem vornehmen Gastfreunde und Beschützer Abschied. Die Prinzessin hatte den beiden Muhmen kostbare Geschenke überreichen lassen, auch die kleine Sophie war nicht vergessen worden. Dem Meister, als er sich die Treppe hinabwegte, wurde ein kostbar gezäumtes, stolzes Pferd vorgeführt, allein es fand sich, daß, als der Gelehrte es besteigen wollte, seinem Muth weder die Kräfte noch die Geschicklichkeit des Reiters gewachsen waren; dieser bestieg also den alten gewohnten Reisegaul und der junge Paul genoß der Ehre, das kostbare, stolze Thier einstweilen zu zügeln.

So trat nun der kleine Zug, von einigen Reitern des Fürsten eingeschlossen, die weite Heimreise an. Je näher sie den Alpen kamen, desto leichter athmete die Brust des Gelehrten, und als er jene Grenze erreicht hatte, schaute er mit einem wehmüthigen Blicke zurück auf das Land, welches er einst mit so großen Hoffnungen betreten hatte, und daß er jezt gleichsam als Flüchtling wieder verließ. Er hatte den treuen Joseph, die Rettung dieses Unglücklichen noch auf's Dringendste dem Herzog empfohlen,und so durfte er auch hier noch das Beste hoffen und erwarten.

Als er nach einem Gespräch hierüber zu den Frauen zurückkehrte, fand er sie Klagen ausstoßend und in Thränen schwimmend. Der Grund dieser Betrübniß war die Nothwendigkeit, sich von dem jungen Studenten zu trennen, der jezt wieder in sein Vaterland heimkehren sollte. Der Jüngling selbst stand ungewiß und zweifelnd da, die Blicke gesenkt, die Zügel seines Rosses in den Händen; nicht weit von ihm, hinter eine der Tannen halb versteckt, stand Sophie und trocknete sich die Thränen. Frau Genevra trat endlich zum Gelehrten, und indem sie ihn etwas bei Seite führte, sagte sie leise:

»Wie wäre es, liebster Vetter, wenn Ihr jenen jungen Menschen statt Giuseppes zu Eurem Famulus annähmet? so dürfte er mit uns die Reise machen, und wenn er daheim ein sicheres Brod findet, so könnte ja wohl seine Absicht auf unsere Nichte Euch und uns eben gelegen seyn.« –

»Ihr Weiber,« rief der Gelehrte lächelnd, »kaum sind wir der Bedrängniß und den Gefahren aller Art entronnen, so denkt Ihr schon daran, Ehen zu stiften. Nun, meinethalben, will der Bursche sein Vaterland um des Mädchens willen verlassen, so mag er's thun. Zur Wissenschaft ist aber solch junges Blut lange noch nicht tauglich. Weiß ich's doch selbst! in seinen Jahren waren mir die liebsten Sterne die Augen meines Mädchens, und ich wußte von keinem andern Himmel, als dem ewig heitern ihrer lieben Stirne.«

Der Jüngling, die Frauen und der alte Battista vereinten sich dankend um ihn, und Copernicus breitete segnend seine Hände über sie aus.

»Gott sey gelobt!« rief er, »der Fluch ist nicht in Erfüllung gegangen, ich werde bald wieder frei und glücklich in meinem Vaterland athmen; doch dieses schwöret mir, Ihr Lieben, nie komme ein Wort von meiner neuen Lehre über Eure Lippen; gefühlt habe ich's, daß sie einem zweischneidigen Schwerte gleicht, fürchterlich werdend in der Hand des Aberglaubens und der Bosheit. Erst wenn ich dahin seyn werde, wenn über meinem Grabe eine bessere Zeit wird erschienen seyn, dann soll die Welt in ausführlichen Schriften meinen reichen Schatz, den goldnen Inhalt meines Lebens dahinnehmen.«

Er reichte seine Hände hin, und schweigend gaben ihm Alle das geforderte Versprechen. Dann sezten sie frohen Muthes ihre Reise fort.

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