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Voltaire in Ferney.

Eine Novelle.

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Ein Brief Voltaire's an die Schauspielerin
Mademoiselle Gaussin.

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Ferney, 1760.

Ich weiß, schöne Freundin, wie gerne Sie etwas Wunderbares erzählen hören; kommen Sie hieher, ich verspreche Ihrer Neugier eine besondere Ergötzlichkeit und Ihrer Phantasie eine Nahrung, welche Sie bis jezt vielleicht nur im Gebiete des Mährchens gefunden hat. Kommen Sie, und lockt Sie nicht der Wunsch, einen Freund wieder zu sehen, der sich um Ihre Neigung und Achtung stets unermüdet beworben, so erröthen Sie nicht, diesmal von der bloßen Neugier Ihre Schritte lenken zu lassen. Seit einigen Wochen befindet sich auf meinem Landgute die Gräfin von Belleson mit ihrem Gemahl. Sie ist eine Dame voll Geist und Schönheit, der Mann ein gewöhnlicher Mensch; ihr Reichthum, so wie ihre sonstigen Glücksumstände entsprechen, so viel mir bekannt, durchaus ihren Wünschen, und dennoch – sollten Sie es glauben, daß diese Dame sich höchst elend fühlt? Sie wird verfolgt von einem Gespenste, von einem hartnäckigen, bösartigen Unholde, der ihr über die Alpen nachgewandert ist und ihr bis an den Eispol nachwandern wird, wenn sie sich entschlossen, bis dorthin vor dem Entsetzlichen zu fliehen. Ich habe noch nie eine so fürchterliche Verfolgung gesehen; der Gedanke daran raubt der schönen Frau die Ruhe ihrer Nächte, das Feuer ihrer Augen, die Röthe ihrer Wangen. Das Ungethüm hat keine Zeit bestimmt, wo es sein Opfer erfassen will, doch wir fürchten, daß es unser Schloß zum Schauplatz einer so tragischen Handlung ersehen hat. Ihre Phantasie, meine Theure, bildet sich gewiß schon die Gestalt dieses Gespenstes so entsetzlich wie möglich, doch erfahren Sie, daß seine ganze Fürchterlichkeit in seiner Liebenswürdigkeit besteht; es hat die Bedingung gemacht, von der Gräfin selbst eingeladen zu werden: sie soll es rufen, zu sich bitten, der glühendste Wunsch ihrer Seele soll seyn, den in ihre Arme zu schließen, den sie wie den Tod flieht, den mit den süßesten Tönen der Zärtlichkeit zu locken, vor dem sie sich in den Schooß der Erde verbergen möchte. Fassen Sie diese Widersprüche und den Zustand der armen Frau? Sie werden erwidern: welche Macht kann mich zwingen, das glühend herzuwünschen, was ich mit Abscheu fliehe? Und doch, Mademoiselle, es gibt seltsame Verhältnisse im Leben, Sie sollen wissen, daß – Doch still, Sie kommen selbst; ich will nicht, wie ein schlechter Taschenspieler, vor der Zeit ausplaudern, womit ich meine Gaste zu überraschen gedenke. Die Herzogin von St. Martin, unsere Freundin, ist mit meinen Wünschen vollkommen einverstanden; ihre muthwilligen Einfälle verspotten meine Gräfin und mich, ich brauche eine Verbündete, und die sollen Sie seyn.

Seit einem Monat steht meine kleine Bühne schon errichtet; doch der Altar der Musen wird ohne Opfer bleiben, so lange die freundlichen Göttinnen ihre Gespielin missen. Man hat mich überredet, ein Schäferspiel zu dichten, oder vielmehr meine eigene Thorheit gab mir zu diesem Zweck die Feder in die Hand, denn ich kann es nicht lassen, Ihrem glänzenden Talent meine geringen Schöpfungen anzuschließen, damit sie auf diese Weise in den Tempel des Nachruhms einziehen; noch einmal, ich zähle auf Ihr Erscheinen.

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Mademoiselle Gaussin, eine fünfzigjährige Schöne, die durch ihr Spiel dem großen Poeten vielfache Triumphe verschafft hatte, wußte, was sie auf eine solche Einladung zu thun hatte; sie verließ Paris und gelangte, in Gesellschaft des Schauspielers Lecain, nach ununterbrochener Reise in der Einsiedelei zu Ferney an. Der Glanz jenes Aufenthalts, den der verbannte größte Mann der Nation um sich zu verbreiten wußte, bildete einen vortheilhaften Kontrast zu dem Begriff von Strafe, Elend, schwerer Verbannung, über die der Dichter stets klagte. Hier in den Gemächern, an deren glänzenden Wänden das Lichtmeer von tausend Kerzen niederfloß, wo die verfeinerten Genüsse aus den Pariser Salons dem Mann, der an ihnen hing, gefolgt waren, hier unter den zahllosen Erinnerungen aus einem eiteln Leben voll Triumphen, hier sah man den bescheidenen Bewohner dieser Säle wandeln, hier empfing der arme, einfache und unglückliche Einsiedler von Ferney die lieben guten einfachen Landleute, die aus der Umgegend ihn zu besuchen kamen, und die zufälligerweise aus lauter Herzogen, Grafen, Marquis, Prinzen und Prinzessinnen bestanden, welche es zur Gründung ihres Rufs von Frivolität und gutem Geschmack für nöthig hielten, dem großen Mann ihre Ehrfurcht zu bezeugen.

Es war spät am Abend, als die Schauspielerin mit ihrem Gefährten anlangte und schon unten in der Schenke erfuhr, daß die Gesellschaft oben im Schloß, dessen Fensterreihe hellerleuchtet niederblinkte, heute ganz besonders zahlreich sey, ja daß man sogar noch Gäste aus Genf erwarte. Marie Gaussin drängte es, ihren alten Liebling zu sehen; sie hoffte ihn im Dunkel des Sommerabends vielleicht träumend im Garten zu finden und durchschritt eiligst dessen geraden, starren Taxusgänge. Doch der Dichter der Merope mußte oben im Salon weilen, von wo eben die raschen, hellen Töne einer Tanzmusik in den stillen, duftenden Garten niederschwammen. Sie stieg hinauf, beseitigte das Heer der Diener, die das Vorgemach anfüllten, und trat mit dem sichern Schritt einer antiken Clytemnestra in den Saal; ihrem blöden Auge das Glas vorhaltend, musterte sie das Gewimmel der rothen, gelben, grünen Atlasröcke, der breiten wehenden Staatsroben, der nickenden Federbüsche und der duftenden Fächer; da stand der Mann ihres Herzens, da stand er am Ende des Saals – ja, er war es, die rothen Strümpfe, der bescheidene schwarze Anzug mit der stolzen Spitzenkrause, die Perrücke, die mit ihrem weißen glänzenden Lockensturz die schmalen Schultern, die dürftige Brust des Eremiten einschloß, die kleinen, scharfblickenden Augen, die mächtige Nase, der Mund mit dem runzelvollen Zug von Lächeln und die gebückte und dennoch überlegene Haltung. Als der Poet seine Freundin bemerkte, rief er ein Witzwort, das den ganzen Kreis in ein erschütterndes Gelächter brachte.

»Sieh da!« rief er; »Mademoiselle, Sie beweisen, daß Sie Ihr Stichwort nicht vergessen haben, indem Sie zur rechten Zeit auf den Brettern erscheinen; wohlan, Sie sollen sehen, auch ich kenne meine Rolle.«

Hiermit ergriff er den Arm der Dame, und die zurückweichende Menge bildete dem Paar eine Straße, durch die es wie im Triumphe schritt; oben im Saal blieb Voltaire stehen, und nachdem er seine Begleiterin auf die in einiger Entfernung an einem Spieltisch sitzende Gräfin von Belleson aufmerksam gemacht hatte, sagte er halblaut: »Haben Sie ein schöneres Profil gesehen? Diese Augen, wie voll Feuer! dieser Mund, wie zart und edelgeformt!«

Die Gräfin sah sich bei diesen Worten um. Die Diamanten an Ohr und Haupt umspielten sie blitzend, sie erröthete und Voltaire rauschte mit einem zufriedenen Lächeln vorüber.

»Und die Geschichte dieser Dame, auf die Sie mich so neugierig gemacht?« fragte die Schauspielerin.

»Später, Mademoiselle, später; jezt wird man von uns verlangen, daß wir die Zaire lesen.«

Dieses Wort war kaum seinen Lippen entflohen, als sogleich eine Menge junger Herren, die darauf gelauscht hatten, in den Saal stürzten und laut aussprengten: »Zaire! Zaire! auf die Plätze, meine Herrn und Damen!« Eine magere alte Dame, eigentlich ein wandelndes Gebirge von Fischbein, Blonden, Federn, Bändern, sah mit rother Nasenspitze durch die Thür und näselte: plait-il? An den Spieltischen erhob man sich lärmend, die Musik hörte auf, es bildete sich eine lange Gasse, durch welche paarweise die Herren und Damen zu ihren Plätzen gingen. Diener liefen hin und her, Voltaire war verschwunden: er änderte seine Toilette; bald darauf erschien er wieder, an einem Arm die Gräfin Belleson, am andern eine kleine gelehrte deutsche Prinzessin, die seit längerer Zeit in Ferney wohnte und von der man behauptete, daß sie Voltaire den Pantoffel küsse. Die Witzlinge im Salon bemerkten, daß Voltaire diesmal die Stelle der Erde einnehme zwischen der großen strahlenden Sonne und dem kleinen häßlichen, vernarbten Mond.

»Hier ist,« rief der Poet, indem er Mademoiselle Gaussin den Damen vorstellte, »hier ist Jemand, dem ich meinen ersten Ruhm verdanke; es war zur glorreichen Zeit, als der Einsiedler noch am Hofe seines Königs lebte, als bei der Aufführung der Merope Mademoiselle durch ihr Spiel so entzückte, daß das Publikum für die paar elenden Verse den Eremiten herausrief und ihn mit Geschrei zwang, in der Loge der Frau Marschallin von Villars zu erscheinen; ja es forderte sogar, die Herzogin, ihre Schwiegertochter, sollte öffentlich mit einem Kuß den Verfasser der Tragödie belohnen, was auch geschah – ja wahrhaftig, meine Damen und Herrn, es geschah!«

Man lächelte über diese bekannte Anekdote aus dem Jugendleben des großen Mannes; die Herzogin von St. Martin, jene Dame mit der spitzen Nase, hüstelte auffordernd, Alles ließ sich nieder, und eine tiefe Stille herrschte. Voltaire stand frei da, das Haupt mit der wallenden Perrücke stolz zurückgebeugt, das Buch, in das er nur flüchtige Blicke that, in der rechten Hand haltend. Das Gespräch zwischen Zairen und Fatimen begann, und Alles lauschte gespannt, als die reinen, seelenvollen Töne den schönen Lippen der reizenden Gräfin, Klänge wie Musik, entflossen.

Girard, der junge Porträtmaler, stand in der Menge und faßte die Züge der Leserin auf, welches Bild später in Paris, theils durch die Schönheit des Gegenstandes, theils durch dessen seltsames Schicksal, von dem diese Blätter sprechen, ein ungemessenes Interesse fand. Ihr gegenüber, als Fatime, saß Mademoiselle Gaussin; den jungen Franzosen, den feurigen, verliebten Chatillon, las der junge Travenol, ein Offizier und Begleiter der Gräfin; die Herzogin näselte die beiden Trabanten des Sultans ab.

Gleich nach dem ersten Gespräch zwischen Fatime und Zaire ertönte jezt Voltaire's Stimme, der mit Pathos, dessen Eleganz und Würde die Gesellschaft staunen machte, die wohlklingenden Verse des Orosmane sprach:

– – En tous lieux, sans manquer de respect,
Chacun peut désormais jouir de mon aspect.
Je vois avec mépris ces maximes terribles,
Qui font de tant de rois des tyrans invisibles!

Ein allgemeines Geräusch entstand, man klatschte und die kleine Prinzessin warf Voltairen Küsse zu. Die Stelle, wo der edle Nerestan die Worte spricht:

Seigneur, il est bien dur, pour un coeur magnanime,
D'attendre des secours de ceux qu'on mésestime:
Leurs refus sont affreux, leurs bienfaits font rougir.

wiederholte der ganze Chor der Zuhörer. Die Erkennungsscene zwischen dem alten Lusignan und Zairen war ein Wettstreit zwischen Schönheit und Kraft, der die Zuhörer außer sich brachte; ein Theil der Damen schwamm in Thränen, als die schöne Gräfin folgende Worte wie aus der Tiefe des zerrissenen Herzens hervorrief:

Je ne puis vous tromper: sous les lois d'Orosmane –
Punissez votre fille – – elle étoit musulmane.

Als der Akt zu Ende war, rauschte der Beifall unaufhaltsam dahin; die kleine Prinzessin erhob sich, indem sie sagte: »Nicht wahr, man darf in diesem Falle das französische Publikum nachahmen und dem größten und liebenswürdigsten Mann des Jahrhunderts einen Kuß anbieten, der ihm die Verehrung und Zärtlichkeit seiner Getreuen zeigt?«

Sie trat auf den Dichter zu, der ihr mit einer galanten Wendung zuvorkam und sich herabbeugte, um seine kleine Verehrerin zu küssen; Travenol, der junge Offizier, konnte ein Lächeln nicht verbergen, das Voltaire bemerkte und ihm nie verzieh; darauf umarmte die Prinzessin auch die Gräfin und sagte: »Erlauben Sie, schöne Zaire, daß man bedauert, Sie nicht im Besitz des alleinseligmachenden Glaubens zu sehen, da man Sie im Besitz der höchsten Schönheit, Tugend und Liebenswürdigkeit sieht.«

Man klatschte diesem Kompliment Beifall zu, doch die Herzogin von St. Martin schrieb in dem Moment ein beißendes Epigramm auf die Prinzessin nieder, das später ganz Versailles und Paris lachen gemacht hat.

Nach Beendigung des dritten Akts begann der vierte, da ereignete plötzlich ein seltsamer Auftritt. Bei den Worten ZaiZairen's:

Où suis-je malheureuse? o tendresse! o douleur!

schlägt die Gräfin den Blick auf, und dieser trifft einen jungen Mann, welcher vor nicht langer Zeit in den Saal getreten; sie wiederholt die Verse fast schreiend, ihr Blick bleibt starr auf jene Erscheinung gerichtet, mit einem dumpfen Seufzer fällt sie in den Sessel zurück und liegt ohnmächtig da. Man kann sich den Lärmdenken, der jezt die Stille der Zuhörer unterbrach; die Damen stürzten mit Riechflaschen herbei, Alles rannte im Tumult durcheinander. Als die Kranke sich wieder erholt hatte, wünschte sie, unverzüglich in ihre Wohnung gebracht zu werden.

Die Gesellschaft blieb beisammen, allein sie entbehrte ihrer schönsten Zierde; die Vorlesung ward nicht beendet. Kein anderer Stoff zum Gespräch kam auf, als die Schicksale der Gräfin, ihr seltsames, im Dunkel schwebendes, sie ewig verfolgendes Verhängniß, und Jedermann, der nichts davon wußte, glaubte sich doch berechtigt, dem wunderbaren Räthsel immer noch einen neuen abenteuerlichen Zusatz aufzubürden.

Am Morgen des folgenden Tages ließen sich Voltaire, die Prinzessin und Mademoiselle Gaussin zum Lever bei der Gräfin melden; sie wurden vorgelassen und das Gespräch kam sogleich auf die Kranke selbst, die sich noch immer von gestern unwohl fühlte. Das erste Wort, das sie sprach, enthielt eine Frage an Voltaire, ob er jenen Mann bemerkt, der sich gestern plötzlich gezeigt und dessen Anblick ihr die Ohnmacht zugezogen?

»Madame,« erwiderte der Dichter, »es war der Marquis Rosier, ein reicher Privatmann, der mir aus Paris empfohlen worden; weiter weiß ich nichts von ihm.« –

»Unmöglich!« rief die Gräfin, »er ist weder Marquis, noch heißt er Rosier – aber,« unterbrach sie sich selbst, »o Himmel! was sage ich! – meine Sinne, von Neuem durch das Entsetzen gelähmt, welches sich in mein Leben stiehlt, drohen mir den Dienst zu versagen! Ach, mein Leiden wird sich nur mit dem lezten Athemzuge enden!« –

»Zaire!« rief die Prinzessin, indem sie die Hand der Gräfin ergriff, »Zaire, was fehlt Ihnen? – Ich begreife Sie nicht: kann ein schöner Mann, wie der Marquis, Ihnen ein Entsetzen einflößen, wahrlich, so muß ich glauben, daß dieses durch die Stärke seiner Leidenschaft erregt wird; denn er hat Sie mit Blicken angesehen, mit Blicken, schöne Zaire, die Ihr Orosmane nicht glühender auf den Gegenstand seiner Wahl hätte heften können; er liebt Sie, schöne Frau, und Sie hassen ihn?«

Die Gräfin bat, dieses Gespräch abzubrechen, indem sie versicherte, daß dergleichen Worte ihr wie Schwerter in den Busen schnitten.

»Nun wohl!« rief die Prinzessin, »ich schweige, doch nur unter der Bedingung, daß Sie uns die Ursache jenes Entsetzens mittheilen, das uns alle gestern für Ihr schönes Leben zittern gemacht hat.«

Voltaire und die Schauspielerin vereinigten ihre Bitten mit diesem Wunsche, und obgleich die Gräfin wiederholt versicherte, ein solcher Bericht habe nächst den Schmerzen, den er ihr verursache, nur für sie selbst ein lebendiges Interesse, Andern möge die Erzählung nur geringfügig erscheinen, nahm sie endlich das Wort und sprach:

»Es werden jezt sechs Jahre, daß ich mich mit meinem Gemahl in Neapel aufhielt, um in dieser paradiesischen Gegend einen Sommer zuzubringen. Ich war zwanzig Jahre alt. Die Gunst des Himmels hatte mir unverdient ein eben so glänzendes, als an innerer Zufriedenheit reiches Loos bescheert. Während die Gespielinnen meiner Kindheit darbten, tausend bessere und edlere Geschöpfe ihr Leben verwaist und der Glücksgüter beraubt zubrachten, durfte ich mit einem Herzen, das der Himmel offen und empfänglich geschaffen, den Blick frei in die Welt richten, und sah Reichthümer und Schönheiten zu meinen Füßen hingebreitet, über welche der unbefangene, heitere Sinn der Jugend noch zahllose Reize mehr ausgoß. Mit einem Worte, ich war glücklich, und als eine Glückliche übermüthig. Die Welt war mein, und ich ging mit diesem geschenkten Gut wie mit einer Puppe um, die ich nach Gefallen behandelte, je nachdem die augenblickliche Laune es mir eingab.

Es konnte nicht fehlen, daß ich auf diese Weise zahllose thörichte Einfälle ausführte und mir Verstöße gegen bestehende Gesetze der Gesellschaft zu Schulden kommen ließ, die man zwar geneigt war, meiner Jugend zu verzeihen, deren Folgen aber spät oder früh auf eine höchst empfindliche Weise sich zu rächen pflegen. Obgleich ich mir dieser Fehler wohl bewußt war, so habe ich doch nie darnach gestrebt, sie zu verheimlichen, und diese Offenheit meines Charakters und meiner Gesinnung war vielleicht gerade eine Eigenschaft, auf die ich, als auf die einzige gute, hätte stolz seyn dürfen; doch der Himmel fügte es, daß gerade diese Freimüthigkeit jenes Ereigniß herbeiführte, von dem sich mein Elend und meine jetzige Unruhe herschreibt, und welches ich jezt mit kurzen Worten Ihnen, mein verehrter Freund, und den beiden Damen eröffnen will.

Mein Gemahl und ich bewohnten eine Villa, die nah am Meere lag und uns die Aussicht auf das göttliche Panorama des Golfs mit seinen Inseln eröffnete. Gab es etwas, was die günstige Lage dieser Besitzung uns verkümmerte, so war es der Umstand, daß der Galeerenhof nahe daran stieß und daher unsere Blicke, ohne es zu wollen, öfters auf Gemälde trafen, die das menschliche Elend, die Verworfenheit und tiefste Erniedrigung mit grellen Farben in unsere Seele prägten. Wer beschreibt das Leben dieser Unglücklichen, ihre Existenz, die kaum eine zu nennen ist; denn eine taube Gefühllosigkeit, eine gräßliche, durch die lange Dauer des Unglücks hevorgerufene Lethargie bemeisterte sich dieser Schlachtopfer. Sind die Armen von der Galeerenbank befreit, auf der sie, mit Ketten gefesselt, gefühllosen Automaten gleichen, so bringen sie die wenigen Augenblicke, die ihnen zur Erholung gegönnt werden, mit rohen thierischen Genüssen zu, die dann auch jeden noch keimenden Funken edler menschlicher Kräfte in ihnen ersticken. Die Elemente, die freigebornen Söhne der Schöpfung, die nur da zu seyn scheinen, um das Leben des Menschen auf das Mannichfaltigste zu verschönen, für jene Unglückliche bilden sie eben so viel Martern. Das Licht brennt mit seinem Strahl ihre Haut zur Farbe des Negers und zerstört durch seine Glut die Bildung ihres Körpers; das Meer, dessen Anblick uns beseligt und erfrischt, ihnen ist es eine endlose Marterbank, wo sie jede Welle der ungeheuren Fläche mit einem Seufzer messen; in ihr enges Gefängniß strömt die Luft nur sparsam ein, und selbst die Erde, ein Tummelplatz der Freuden und Genüsse für eine Welt glücklicher Menschen, wird für sie nur ein frühes Grab. O entsetzlich, meine Freunde! was haben wir gethan, daß uns ein günstiges Geschick mit seinen Liebkosungen überhäuft, uns geboren werden ließ in einem Laude, das sich mit dem reichsten Schmuck der Kultur ziert, zu einer Zeit, wo unsterbliche Geister durch ihre glänzenden Verdienste ein ganzes Jahrhundert adeln und beglücken!«

Die Gräfin warf hier einen Blick auf Voltaire und fuhr dann in ihrer Erzählung fort. »Ich muß erwähnen, daß mein Leichtsinn, den ich öfters hier anklagen muß, sich so weit verging, mir den Plan in den Kopf zu setzen, einen jungen Grafen, der schon mehrere Siege gefeiert hatte, und den eine Anzahl Damen, in einer nicht zu billigenden Schwäche, für unüberwindlich erklärt hatten, in mich verliebt zu machen. Wirklich erreichte ich meinen Zweck; doch ehe ich Zeit gewann, über meinen Triumph zu frohlocken, mußte ich leider bemerken, daß der Gegenstand meiner unwürdigen, kindischen Bewerbungen nicht der Zeit werth war, die ich damit hingebracht hatte, ein Ziel zu erreichen, welches mir so wenig Ehre machte. Der eitle Jüngling, das für wahre Flamme haltend, was nur Spielerei meiner Eitelkeit war, fing jezt alles Ernstes an, mich mit seiner Zärtlichkeit zu bestürmen, und ich war in der That bestraft genug, denn ich wußte nicht, wie ich den albernen, zudringlichen Laffen wieder los werden sollte.

Eines Tages, wo mein Widerwille gegen ihn, so wie seine Dreistigkeit gegen mich auf's Höchste gestiegen waren, befand ich mich gerade mit ihm auf einem Spaziergang am Gestade des Meeres; vor uns lag eine Gruppe jener Elenden, die ich beschrieben habe, und wurde von ihren grausamen Wächtern gehütet; einige stießen Flüche und Verwünschungen aus, andere sprachen uns um eine Gabe an, einer jedoch aus der Gesellschaft lag unbeweglich, in seine Lumpen gehüllt, am Wege abwärts, und schien sich nicht darum zu kümmern, daß die Wellen des Meers sein Haupt von Zeit zu Zeit nezten; er schien, unter der Last seines martervollen Daseyns bis zur äußersten Gefühllosigkeit abgestumpft, halbtodt da zu liegen, ein wahrhaft fürchterlicher Anblick, der mich jezt in der Erinnerung noch auf's Aeußerste ergreift.

Ich weiß nicht, wie ich auf den mehr als wahnsinnigen Einfall gerieth, dem Grafen, der kurz vorher mich auf's Aeußerste gebracht hatte, im Zorn und mit dem Lächeln eines giftigen Spottes zuzurufen: ›Ehe ich mich so weit vergesse, Ihre Liebe zu erwidern, ehe soll jenes Scheusal, das an den äußersten Grenzen der Menschheit zu Hause ist, der Gegenstand meiner Wahl seyn.‹

Kaum waren die Worte ausgestoßen, als in dem Moment die Gestalt, auf die sie gingen und die ich im tiefen Schlafe begraben meinte, sich langsam aufrichtete, und indem sie einen Laut ausstieß, der wie der gräßliche dumpfe Ton eines zum Tode getroffenen Thiers klang, sich auf den rechten Arm stüzte und jezt einen Blick auf mich richtete, der mein Blut in allen seinen Pulse erstarren machte. Es lag in diesem Blick, meine Freunde, ach! wie soll ich es beschreiben! alles, alles zusammengedrängt, was in der Seele eines Menschen sich nur von Schmerz, tief verhaltener Wuth, unsäglicher Wehmuth und kaltem Grimm findet. O Himmel, rettet mich – ich sehe es vor mir, das hohle, bleifarbene Antlitz mit dem tiefen, brennenden Auge – mich trifft der Blick!«

Die Erzählerin schwieg, ihr Gefühl, auf's Aeußerste gereizt, verstattete ihr keine Worte mehr, sie lag mit heftig arbeitendem Busen in die Polster zurückgelehnt, das Taschentuch vor's Antlitz gepreßt; beide Frauen bemächtigten sich ihrer Hände und überhäuften sie mit Liebkosungen und Bitten, in ihrer Erzählung fortzufahren. Als die Gräfin sich erholt hatte, schien ein anderes beengendes Gefühl die Oberhand über's Entsetzen zu gewinnen, sie heftete den Blick wie in Gedanken auf den Boden, eine heftige Röthe färbte ihre Wangen und sie erhob sich von ihrem Sitz, wobei es den Anschein gewann, als wolle sie ihre Erzählung gerade in dem Moment unterbrechen, wo sie die Aufmerksamkeit der beiden Zuhörerinnen auf's Höchste gefesselt hatte.

»Madame!« rief die Prinzessin, »was wollen Sie? uns verlassen? – Unmöglich! wir wollen wissen, was geschah, was der entsetzliche Mensch unternahm.« –

»Ich kann meinen Bericht nicht vollenden,« stammelte die Dame, noch heftiger erröthend; »Sie, Herr von Voltaire, Sie kennen mein Unglück, befriedigen Sie die gütige Theilnahme dieser Damen und sprechen Sie aus, was meine Lippen nie nennen sollen.« Mit diesen Worten hing sie sich an den Arm ihres Gemahls und verschwand in ein Seitengemach.

Kaum war sie fort, als die beiden Dame mit Leidenschaft über den Dichter herfielen, der sie auch nicht länger warten ließ. »Meine Damen!« rief der vorsichtige und galante Mann, »was ich jezt zu sagen im Begriff stehe, sind die rohen Worte eines beleidigten Galeerensklaven, die ich Ihnen treu wieder gebe. – ›Elende!‹ rief die aus den schwarzen Lumpen sich emporarbeitende Gestalt; ›Elende, die du es wagst, eines so tief Gedemüthigten noch zu spotten, wisse, daß du einst in meinen Armen ruhst und daß dann diese Nacht die lezte deines Lebens ist!‹« –

» A ciel!« schrie die Prinzessin, »das Ungeheuer!«

Mademoiselle Gaussin schwieg, indem sie den Blick ihrer großen geistreichen Augen auf den Dichter heftete, dessen Antlitz ein ungewöhnlicher Ernst beschattete und der an der Erfüllung jener seltsamen, fürchterlichen Prophezeihung, die er eben mit tönender Stimme ausgesprochen, nicht zu zweifeln schien.

Der Graf trat eben in's Gemach, und der Dichter konnte nur noch die Worte hinzusetzen: »Seitdem glaubt sich die unglückliche Dame ewig von jenem Ungethüm verfolgt; nirgends ist sie sicher, denn unter jeder Verkleidung kann er ja verborgen seyn, und so glaubte sie auch gestern ihn im Marquis Rosier erkannt zu haben, was denn nun ganz gewiß ein großer Irrthum ist, denn der schöne Mann, wenn er auch ein Italiener wäre, hat doch nicht die mindeste Ähnlichkeit mit jenem Scheusal, welches sie uns eben mit so lebendigen Farben geschildert hat.« –

»Und dennoch,« fügte der Graf hinzu, »läßt es sich nicht läugnen, daß der Marquis ein ächt italienisches Gesicht hat, besonders seine tiefliegenden, schwarzen Augen –«

»Ich bin ganz außer mich selbst gesezt!« rief die Prinzessin. »Führwahr! die Geschichte ist schrecklich und pikant. Man sehe nur, wie schwierig die Lösung der Aufgabe ist, die der Unhold sich gesezt. Er zählt erstens darauf, daß die Gräfin ihn nicht erkennt, und dieses ist am wahrscheinlichsten, denn ein in Schmutz und Lumpen daliegender Bettler kann wohl durch sorgfältige Bemühungen sich im Zeitraum von ein paar Jahren zum Marquis umwandeln; zugleich aber will er das Herz der Dame gewinnen, die er so grausam strafen möchte, er will, als Liebhaber zur höchsten Gunst im Tempel der Liebe eingelassen, die Stätte seines Triumphs zur Gerichtsstätte machen, wo er ein Opfer hinschlachtet, das nichts weiter verbrochen hat, als im Leichtsinn einige unvorsichtige Worte auszustoßen. Entsetzlich! man mache mir nicht weiß, daß hier irgend eine Befürchtung sich gegründet finde, und gäbe ich auch Alles zu, so muß schon deßhalb der schwarze Anschlag scheitern, weil er gegen eine Dame gerichtet ist, die eben so sehr durch Schönheit, wie durch die strengste Tugend glänzt.«

Diese Worte wurden lauter ausgesprochen, weil sie halb an den Grafen gerichtet waren, dem man etwas Angenehmes sagen wollte, obgleich Jedermann wußte, daß der Graf eben so schläfrig und indifferent, als seine junge, feurige Gattin schön und lebenslustig war. Die Herzogin pflegte, wenn man ihr von dieser Geschichte sprach, zu erwidern, sie sehe hier ein ganz gewöhnliches Kunststückchen eines eifersüchtigen und dennoch bequemen Ehemanns, der sich nicht anders vor gefährlichen Nebenbuhlern zu retten weiß, als indem er sich hinter einen durchtriebenen Schelm steckt, der der Schönen weiß machen muß, daß ihr bei der nächsten Uebertretung ihrer ehelichen Treue das Messer eines Bravos in den Busen fährt, wobei sie leichtgläubig genug ist, das Mährchen für Wahrheit zu nehmen. »Nun ja, ich habe nichts dagegen und wünsche dem Grafen Glück zu seiner treuen Gattin, denn das Schreckbild ist klug genug gewesen, keine Zeit zu bestimmen, und so wird sich die Dame bis in ihr spätestes Alter in Acht nehmen.«

Ein Theil der Gesellschaft stimmte unbedingt dieser, durch den bekannten Witz der Herzogin unterstüzten Ansicht bei, ein anderer Theil, und zwar die Anhänger romantischer Verhältnisse, denen Mademoiselle Gaussin und die Prinzessin beitraten, entschied sich für die unbedingte Wahrheit der Thatsache, wie die unglückliche schöne Frau sie erzählt hatte. Auf jeden Fall war hier ein weites Feld für die interessanteste Intrigue eröffnet. Alle Blicke der Gesellschaft waren auf den maskirten, entsetzlichen Galeerensklaven gerichtet.

Die Verehrer der Gräfin, deren eine große Anzahl war, fingen an, sich unter einander mit mißtrauischem Auge zu betrachten, so wie sie wiederum der Gegenstand der Aufmerksamkeit der Menge waren. Wer ein paar schwarze Augen hatte, war und blieb verdächtig; das zweite Merkmal, das die Gräfin genannt hatte, das schwarze Haar, konnte nicht gelten, denn eine Perrücke sah aus wie die andere; dagegen untersuchte man die Gestalt, und viele schmalschultrige, dünnbeinige Leute waren froh, daß man sich darüber vereinigte, bei ihnen sey durchaus nicht die Gestalt eines handfesten Galeerensklaven zu finden, sie fuhren daher dreist in ihren Bewerbungen fort, indeß mancher schöne Knabe, dem die Natur einen kräftigen Wuchs und feurige Augen gegeben, durch das Urtheil der Menge seine Hoffnungen schwinden sah.

Der Marquis Rosier, den man sorgfältig beobachtete, spielte, ob mit oder ohne Grund, den Unbefangensten; ja er äußerte sogar, als man über jene Begebenheit in Neapel sprach, er bezweifle die Richtigkeit der Thatsache nicht einen Augenblick, denn es sey ihm nur zu bekannt, wie rachsüchtig seine Landsleute seyen, und daß es gar wohl Charaktere gebe, die den Plan einer so raffinirten Rache fassen könnten; doch glaubte er der Gräfin, nächst dem Schirm, den ohnedies ihre Tugend gebe, die Versicherung ertheilen zu können, daß, da sechs Jahre bereits dahingegangen, jener Elende entweder nicht mehr lebe, oder wenn er aus der Haft freigesprochen worden, wohl indeß auf andere Gedanken gekommen sey und seinen Vorsatz aufgegeben habe.

Diese Worte, ohne das mindeste Zeichen von Befangenheit ausgesprochen, nur vom warmen Gefühl für die Dame eingeflößt, löschten einen Theil des Verdachtes aus, und man fing an, daran zu denken, daß es, auch außer dem Gefürchteten, Italiener geben könne mit dunkeln Augen und einer gelben Gesichtsfarbe. Waren die schwarzen Augen in so schlechtem Rufe, so schienen die blauen dagegen dazu bestimmt, ohne Schwierigkeit zu siegen; allein auch hier drohte der Schönen Verderben; denn konnte man wohl so genau die Farbe von ein paar schönen Augen untersuchen, ohne sich in die Gefahr zu begeben, so tief in sie hineinzusehen, daß gerade dadurch ein Unheil herbeibeschworen wurde, das man zu vermeiden die Absicht hatte? Es blieb darum kein anderes Mittel, und die Witzlinge gingen so weit, es hinter dem Rücken der Gräfin laut auszusprechen, als das Gelübde gänzlicher Weltabsonderung zu thun. Allein durfte man einen solchen Rath einer Dame geben, die wie eine Rose blühte und ein Heer von Schmetterlingen um sich sah?

Inzwischen gab sich der Eremit von Ferney Mühe, die Aufmerksamkeit seiner Gäste auf sich und seine Poesien zu lenken; das Schäferspiel, von dem er seiner Freundin geschrieben, war fertig und die Rollen ausgetheilt. Es schilderte das Leben Apolls unter den Hirten. Der Eremit hatte, von seinen Freundinnen verführt, sich überreden lassen, mitzuspielen und die Rolle des als Hirten verkleideten Götterjünglings zu übernehmen. Die Rolle einer spröden, träumerischen Hirtin hatte die schöne Gräfin erhalten, der Marquis bekam eine kleine Heerde, die er weidete, Mademoiselle Gaussin wurde auch beschäftigt, und für die Prinzessin war der Anzug einer Flußnymphe fertig, ein Reifrock von wasserblauem Atlas, mit Schilfrosen garnirt; oben auf der gepuderten Frisur à la belle Garbrielle sollte ein kleiner Kranz von Schilf prangen, und für den Busen hatte die Prinzessin eine schimmernde Wasserlibelle aus Diamanten machen lassen, die an eine Zitternadel befestigt werden sollte. Jedermann freute sich auf die Aufführung, besonders auf die Figur, die die kleine häßliche Person als Flußnymphe zum Besten geben würde.

Vor der Aufführung hatte sich jedoch das Mißgeschick verschworen, Voltairen einen häßlichen Streich zu spielen. Eine Bande Puppenspieler hatte sich in Genf niedergelassen; gelockt durch die Menge der Gäste, die in Ferney sich vereinigt hatten, waren sie mit einer Truppe von Affen und Hunden herübergezogen, und der Wirth des Hotels, in dem die schöne Gräfin wohnte, räumte zu den Spielen einen Vorsprung am ersten Geschoß ein, der eine Art von Balkon bildete und von dessen freistehender Erhöhung ein paar Affen und eine Anzahl Hunde, die Akteurs dieser Bühne, sich dem unten versammelten Publikum am günstigsten zeigen konnten.

Es war am Abend des Tages, da im Schlosse die Aufführung des Singspiels vor sich gehen sollte, als Voltaire, der seine Toilette für die Bühne vollendet hatte, vom Kitzel getrieben wurde, sich in seinem Kostüm dem Auge der schönen Gräfin zu zeigen. Seine Kleidung bestand aus einem Rock von rosenrothem Atlas; Weste und Kniehosen weiß, die Strümpfe jedoch wieder roth mit hoch hinaufgehenden goldgestickten Zwickeln, auf den Schuhen Rosetten nebst goldenen Schnallen; in der Rechten hielt er einen Schäferstab, über die Schulter lief ein rothes Band, an dem eine zierliche kleine Hirtentasche befestigt war, auf der ein paar Blumensträuße und Virgils Bucolica, in Maroquin gebunden, hervorguckten, ein dritter Blumenstrauß prangte an dem Busen, der Schäferhut war mit einem Lorbeerkranz geschmückt und in jeder Locke der Perrücke steckte ein Lorbeerblatt, in der Linken ruhte eine goldene Leier.

In diesem Kostüm schlüpfte der Dichter durch den verbindenden Gang, der aus seinem Schlosse zum Hotel der Gräfin führte, und erschien mit einem leichten, tänzelnden Schritt in dem Zimmer derselben. Es war leer; behutsam steigt er in den ersten Stock herab und begegnet einer Zofe, die ihn versichert, ihre Dame habe sich eben erst hier gezeigt; Voltaire tänzelt weiter und trifft in einem Gemach, von dem eine Thüre auf den Balkon führt, den jungen Travenol, der müßig und träumend auf einem Stuhl liegt, und der jezt aufspringt, da sich der gepuzte Puderkopf des Poeten langsam in die Thüre steckt. Der muthwillige Jüngling verbeißt das Lachen, das bei diesem Anblick in ihm aufsteigt; er erkundigt sich, was der gnädige Herr befehle, und da Voltaire seinen Wunsch gesteht, die Gräfin zu sehen, öffnet jener, ob aus Muthwillen, oder weil er wirklich glauben mochte, die Dame befinde sich dort, die Thüre auf den Balkon, und das Mißgeschick will, daß der Dichter gerade unter die spielenden Hunde tritt, als der Direktor der Truppe eben mit lauter Stimme ausruft: »Hier, meine geehrten Zuschauer, tritt nun der große Affe als Schäfer auf!« –

Man kann sich das Erstaunen, den Zorn des Dichters denken, der, Anfangs die Worte des Direktors für unerhörten, dreisten Spott haltend, ihn auf's Heftigste zur Rede stellen will, bald aber aus dem Befremden desselben und aus dem Umstand, daß dicht hinter ihm das angekündigte Thier erscheint, merkt, daß hier ein unglücklicher Zufall sein Spiel treibe. Schnell sich zurückziehend, konnte er glauben, daß keiner der unten versammelten Zuschauer ihn in der Kleidung erkannt habe, und wirklich war der größte Theil zweifelhaft gewesen, für was sie die plötzlich hervortretende abenteuerliche Gestalt halten sollten; Andere aber hatten Voltairen erkannt, und man kann sich denken, daß schon nach einer Stunde die lustige Anekdote im ganzen Schlosse erzählt wurde.

Die alte Herzogin von St. Martin wußte sich vor Lachen nicht zu lassen, als sie das Histörchen vernahm. »Man sehe!« rief sie, »nicht zufrieden mit dem Ruhm, der beste Kopf in Europa zu seyn, treibt ihn die Eitelkeit so weit, sogar einem armen Affen den Rang ablaufen zu wollen.«

Die Witzlinge konnten sich über diesen Vorfall nicht zufrieden geben; aber die Verehrer des Eremiten, er selbst an der Spitze, schäumten vor Wuth, und man ging so weit, dem jungen Travenol die ganze häßliche Intrigue zuzuschreiben.

Als die Gräfin ihren jungen Freund entschuldigen wollte, sagte der Dichter gereizt: »Madame, es bedarf hier keines Wortes; Sie werden mir Glauben schenken, wenn ich Ihnen sage, daß ich Feinde habe, hartnäckige, bösartige Feinde, Feinde, deren Wuth und Rachsucht desto höher steigen, je weniger ich ihre Bosheit bemerke, und je wirkungsloser bis jezt ihre giftigen Pfeile an dem Panzer meiner Klugheit und dem der Thätigkeit meiner Freunde abgeglitten sind. Und nun besonders dieser Travenol stammt von einer Familie ab, Madame, die sich vereinigt hat, mich auf's Gröblichste zu beleidigen. Sie kennen meinen Prozeß mit dem Musiker Travenol und seinem Vater, die beide nachher auf meine Veranstaltung im Bicêtre saßen; diese Ungeheuer hatten den Muth, Schmähschriften gegen mich in's Publikum zu streuen, welche man sogar über's Meer nach England brachte; zum Glück endigte sich die ganze Angelegenheit auf eine Weise, die da zeigte, daß, wenn einige Unwürdige einen großen Mann zu kränken wagen, er dieses dadurch rächt, daß er verzeiht und großmüthig schweigt. Jezt aber erwächst mir in jenem unruhigen Blondkopf, dem Sie, Theuerste, ganz ohne Grund ein so zärtliches Vertrauen schenken, ein neuer Feind, der Lust zu haben scheint, die Händel seiner saubern Verwandten fortzusetzen; allein es soll ihm übel bekommen. Sein Einfall war es ohne Zweifel, mich auf jene boshafte und schimpfliche Weise der Menge vorzuführen, und jenes Lächeln bei der Vorlesung der Zaire ist mir ebenfalls nicht entgangen; doch er soll es büßen, der Hohlkopf, der Gelbschnabel, der Geck!«

Die Gräfin legte dem Dichter die schönen Finger auf den Mund, indem sie lispelte: »Still! dürfen dergleichen Ausdrücke über Lippen, die noch vor wenig Tagen uns so unsterbliche Verse gespendet haben?«

Voltaire küßte ihre Hand, bestand aber darauf, daß Travenol auf irgend eine Weise von ihr bestraft werden müsse. Als die Gräfin darauf erwiderte, sie könne Niemand bestrafen, über den sie keine Autorität ausübe, sagte der Dichter mit boshaftem Lächeln: »Madame, ganz Ferney weiß, daß der junge hübsche Mensch keine andere Gebieterin hat als Sie, und daß er sich von diesen Fesseln um so weniger befreien wird, je mehr Sie darauf bedacht sind, das Daseyn derselben zu läugnen.«

Die schöne Gräfin lachte, ihre schönen Augen sahen mit einem eigenthümlichen Ausdrucke von Schalkheit den schmunzelnden Poeten an, und das Köpfchen auf die Seite gebogen, lispelte sie: »Glauben Sie? – Nun wohl, man straft nicht, was man liebt.« Sie stand auf, und mit einer lächelnden Verbeugung war sie verschwunden.

Voltaire blieb sitzen, er nahm langsam eine Prise aus einer Dose, die sein eigenes Bild als gekrönten Dichter zeigte und welche die Marquise du Chatelet ihm verehrt hatte; dann erhob er sich und in seinem Innern reifte der Plan, wie er sich rächen könne für die abschlägige Antwort, die er so eben erhalten.

Am andern Morgen wußte es das ganze Schloß, daß der junge Genfer Offizier, Hyppolit Travenol, der erklärte Liebling der schönen Gräfin sey; doch Voltaire's hämische Tücke ging noch weiter, er verband sich mit der Prinzessin, der Herzogin von St. Martin und der Mademoiselle Gaussin, um eine Farce einzuleiten, die die meisten Gäste für das unterbliebene Schäferspiel schadlos halten sollte. Die Hauptintrigue war auf die Entzweiung der Dame mit ihrem Geliebten gerichtet; dieser Zweck sollte erreicht werden, indem man einen jungen Bildhauer, der sich in Genf seit einiger Zeit aufhielt und dessen Anblick, wie man bemerkt hatte, der Gräfin nicht gleichgültig gewesen, auf irgend eine Weise, gleichsam wie zufällig, mit der Dame zusammenbringen wollte. Voltaire, der den jungen Mann schon in Italien kennen gelernt, und der wußte, wie auch jener sich in der Stille für die gefeierte Schöne interessirte, nahm die Ausführung dieses Theils des Anschlags ganz auf sich; die vereinigten Damen versprachen dagegen, des jungen Travenols Treue in den Augen seiner Geliebten verdächtig zu machen, und so durch die Eifersucht und Rache die Kraft der Triebfeder zu verstärken, die Voltaire in Bewegung sezte. Außer daß man den jungen Travenol stürzte, gewann man noch durch dieses Kunststückchen den Vortheil, die Gräfin von ihrer abergläubischen Furcht zu heilen; ja um den Scherz zu vollenden, sollte sich der treue Geliebte im Augenblick seines zärtlichen Empfangs als Galeerensklave zu erkennen geben; Strafe genug wäre alsdann der Schreck, den die Schöne empfinden mußte.

Alle vier Verbündeten klatschten sich Beifall zu, als dieser Plan so weit gediehen war; nun aber trat die Prinzessin mit der Bemerkung auf, daß die Furcht der Belleson vor ihrem Rächer erst entfernt werden müsse, ehe man hoffen könne, daß sie in die gelegte Falle gehe, und hie;u schien kein passenderes Mittel, als den Marquis, der indeß in seinen Bewerbungen um die Gunst der Dame auf's Eifrigste fortgefahren war, als den fürchterlichen Maskirten anzugeben; auch dieser Aufgabe unterzog sich der Dichter, und die Damen ließen ihm vollkommen freie Hand.

Indeß diese Maschinerie nun von allen Seiten in Bewegung gesezt wurde, ahnete der Gegenstand derselben nicht die mindeste Gefahr. Die Gräfin schien das drohende Gespenst ziemlich vergessen zu haben. Sie war die Heiterkeit, der Muthwille selbst. Auf einer Fahrt nach Genf, die sie in Gesellschaft der Prinzessin und der Herzogin unternahm, sprang die erste Mine der Verbündeten. In einem artigen Hause, in dem man einkehrte, erblickte die Dame den jungen Offizier, wie er eben in einer ziemlich vertraulichen Stellung einem jungen hübschen Mädchen Unterricht in der Musik gab; dieses Mädchen war Niemand anders, als das Kammermädchen der Prinzessin, das seine Rolle meisterlich spielte und, von ihrer Gebieterin unterrichtet, als die Damen sie zur Rede stellten, einen recht artigen Roman erzählte, ja zulezt mit verstellter Unbefangenheit einen Ring zeigte, den man dem jungen Travenol geschickt entwendet hatte und der ein Geschenk der Gräfin war, wie man wohl wußte. Diese hörte den Bericht mit verstellter Gleichgültigkeit an, im Innern jedoch verwirrt und entrüstet, nicht wissend, was sie zu einem so schlagenden Beweise von Untreue denken solle. So fuhr sie mit bekümmertem Herzen weiter, nachdem die verbündeten Damen eine Unterredung mit dem Offizier zu hintertreiben verstanden hatten.

In Genf angelangt, stellt sich Voltaire plötzlich von dem Einfall begeistert, die Büste der schönen Frau zu besitzen, um sie in seinem Salon in Ferney aufzustellen; die Prinzessin äußerte ihren Beifall, und trotz der Weigerungen der Belleson fährt man zu Herrn Sinelli und dort wird alles in Richtigkeit gebracht; die Gräfin entschließt sich, ihm zu einer Büste in Marmor zu sitzen; der junge Künstler zeigt sich teilnehmend, liebenswürdig, gesprächig, die Frauen hören ihm mit Begeisterung zu, und als man heimfährt, will Jede bemerkt haben, daß der schöne Mann Eindruck auf das Herz ihrer Freundin gemacht habe. Bei der Gelegenheit erzählt Voltaire ein glänzend erfundenes Mährchen, das er mit Allem ausstattet, was nur die Phantasie aufbieten kann, um dem Herzen einer schönen und geistreichen Frau Interesse einzuflößen.

»Ich kenne diesen jungen Mann,« sagte er, »schon aus Italien her; doch ach! wie ganz anders waren damals seine Verhältnisse; er war wohlhabend, unabhängig, der Neffe eines reichen Prälaten, des Kardinals Sinelli, und so schienen seine Ansprüche auf eine ausgezeichnete Lebensstellung durchaus begründet; er gehörte zu den seltenen Menschen, die ich gekannt.« –

»Der Neffe des Kardinals Sinelli!« rief die Gräfin; »ist's möglich? und was hat ihn seines Namens und Glücks beraubt?« –

»Eine unglückliche Liebe,« erzählte der Dichter; »er lernte ein Mädchen kennen, das, wie er mich damals glauben machen wollte, nichts besaß, als ein zärtliches, edles Herz und einen unbescholtenen Namen, Schätze, deren Werth ein Mann, wie der Kardinal, nicht anzuerkennen vermochte. Der junge Mann verließ sein Vaterland, sein Vermögen, und verband sich mit dem Mädchen, welches diese Opfer dadurch vergalt, daß sie bald nach der Hochzeit mit einem schändlichen Freunde entfloh und ihn der Verzweiflung Preis gab, vor der jedoch seine große Seele ihn bewahrte. Ja, als nach wenigen Jahren der treulose Freund mit der Entführten in die tiefste Armuth versank, so unterstüzte der Edle sie mit dem, was er durch die Arbeit seiner Hände erwarb, ohne zu leiden, daß jene ihren Wohlthäter kennen lernte.«

Die Prinzessin und die Herzogin waren entzückt über so viel Edelmuth, die schöne Belleson neigte ihr Haupt, und indem sie vor sich hin sprach: »Armer Betrogener!« entrollte eine Thräne ihren schönen Augen. Die Prinzessin warf Voltairen einen Kuß zu, den dieser mit einem triumphirenden Lächeln beantwortete, indem er ihr zu schweigen winkte.

Am Morgen darauf fährt die Gräfin allein zu Sinelli, denn die beiden Damen haben eine Menge Gründe, warum sie sie nicht begleiten konnten. So werden die Besuche eine Woche lang alle Morgen fortgesezt, auch die zweite Woche geht so hin. Voltaire ist indeß in Ferney gewesen; als er zurückkommt, findet er zwar die Büste lange noch nicht vollendet, dagegen macht er eine Entdeckung, die er nicht anders als unter vier Augen seiner Freundin mittheilen will.

Als er bei ihr eintritt, ruft er laut: »Um Gott, Madame, was haben Sie gemacht? Der Graf Sinelli liebt, liebt schwärmerisch; kaum habe ich ihn wieder erkannt, so sind seine Züge verändert.« –

»Voltaire!« rief die Gräfin, »warum sagen Sie mir das?«

»Warum! schöne Seele! weil Ihre Unbefangenheit auf Kosten eines unglücklichen Jünglings, meines Freundes, sich den Schein der Unschuld gibt. Sie wollen von nichts wissen, indeß jener am Rande des Grabes schwebt? Undankbare! so vergelten Sie meine reine Absicht, die Züge eines Antlitzes auf die Nachwelt zu bringen, die eben so gefährlich und tückisch als schön sind?«

Ein schwärmerisches Lächeln zog über das Antlitz der reizenden Frau, sie antwortete mit keiner Sylbe, allein sie verließ Genf, um ihren Gemahl, der ihre Rückkehr wünschte, in Ferney zu sehen. Indeß hatten die verbündeten Damen den jungen Travenol gegen seine Freundin einzunehmen verstanden; er verließ Ferney, noch ehe die Gräfin zurückkehrte; statt seiner erschien Sinelli, um die Probearbeit seiner Büste der Versammlung zu zeigen. So zurückhaltend und den Gesetzen einer ritterlichen, ehrerbietigen Ergebenheit gemäß auch sein Betragen gegen die Gräfin war, so entging einem nur im mindesten scharfblickenden Auge nicht, daß jene Glut, die Voltaire geschildert, wirklich sein Inneres durchtobte; oft sah man ihn Stunden lang, wenn er sich unbemerkt glaubte, den Blick seiner schwarzen blitzen den Augen auf die Gräfin richten, mit einem Ausdruck, der, wie die Herzogin von St. Martin bemerkte, eben so viel von der verderblichen Eigenschaft des Feuers, als von seinem Glanz hatte.

Doch je lastender das Gewicht eines leidenschaftlichen Schmerzes auf der Seele des unglücklichen jungen Mannes zu liegen schien, desto mehr schien im Gemüth seiner schönen Geliebten ein finsterer Schatten aufzusteigen, der sie daran zu mahnen schien, daß für sie über jeder üppig erschlossenen Blüthe ein bleicher, mahnender Todesengel schwebe. Sey es, daß dieser Gedanke für eine schöne, von der höhern Romantik der Liebe begeisterte Frau mehr Anziehendes als Abstoßendes hatte, sey es, daß zum erstenmal Gefühle in ihrem Herzen keimten, deren Stärke und Glut jede andere Rücksicht verschlangen, genug, die von ihrer Stirn geschiedene Heiterkeit, das entflohene Lächeln ihres Auges und die Einsamkeit, die sie suchte, waren für die Verbündeten Zeichen genug, daß der Pfeil, mit dem sie gespielt hatten, das Opfer, wider ihren Willen, bis in's Herz verwundet hatte.

Die Gräfin glaubte, indem sie sich mit ihrem Platz am Krankenbette ihres Gemahls vor der Gesellschaft, rücksichtlich ihrer Trennung von derselben, entschuldigte, sich vollkommen vor Nachreden sicher gestellt; es kam ihr nicht in den Sinn, zu vermuthen, daß ihr Schicksal jezt gerade die Aufmerksamkeit der Gesellschaft auf's Lebhafteste fesselte. Es war ausgemacht, daß es jezt zur Katastrophe kommen mußte, und Voltaire arbeitete darauf hin, indem er einen Brief dichtete, in welchem er sich melden ließ, daß der Marquis Rosier ein Mensch niedern Standes sey, der wegen eines Verbrechens einige Jahre auf der Galeere gesessen habe. Diese Verläumdung, die bloß der Gräfin mitgetheilt werden sollte, wurde durch eine seltsame Fügung des Zufalls unnütz gemacht.

Ehe Voltaire jenen Brief zu Stande brachte, erschien ein Polizeibeamter aus Lausanne, der in Auftrag des päbstlichen Geschäftsträgers ein Schreiben überbrachte, in welchem die Auslieferung eines durch mannichfaltige begangene Verbrechen den Gesetzen anheimgefallenen Menschen an die Polizeibehörde von Lausanne anbefohlen wurde, da man in Kenntniß gebracht, daß der Flüchtling unter dem Namen eines Marquis Rosier sich auf dem Schlosse zu Ferney aufhalte. Man kann sich den Schreck und die Verwunderung des Dichters denken, als er jezt den Steckbrief las, der die genaueste Beschreibung der Gestalt des Marquis enthielt.

»Ich war,« schrieb er in einem Briefe an den Schauspieler Lecain, »wie vom Donner gerührt, als ich einen Menschen dem Gerichte übergeben sah, in dem Moment, als ich, vom Geiste einer wunderbaren Ahnung getrieben, ihm das Verdammungsurtheil schreiben wollte, bloß um auf eine, vielleicht etwas leichtsinnige Weise ein gutes Werk zu stiften und eine junge, liebenswürdige Dame, ihr über einen kleinen Skrupel hinweghelfend, in die Arme der edelsten Freundschaft zu führen.«

Die Nachricht von des Marquis Verhaftung und endlich von seiner Flucht erfüllte das ganze Schloß mit Schreck und Entsetzen. Niemand zweifelte jezt, den furchtbaren Galeerensklaven vor sich gesehen zu haben; man verglich einzelne Züge, das Betragen und Wesen des Flüchtlings, Aeußerungen, welche ihm entschlüpft waren, und jeder dieser Pinselstriche trug dazu bei, das entsetzliche Gemälde zu vollenden, welches die volle Gefahr schilderte, in der die unglückliche Gräfin bis jezt geschwebt. Man überhäufte sie mit Glückwünschen, und da nach einigen Tagen die Ergreifung und Verhaftung des Marquis bekannt wurde, baten sie die ängstlichsten Leute, sich jezt aller Sorge und Angst zu entschlagen, da der fürchterlich drohende Begleiter ihres Lebens verschwunden sey.

Diese Worte und mehr noch dasjenige, was vor ihren Augen vorgegangen war, blieben auch nicht ohne Wirkung auf die Dame; sie wurde wieder heiterer und Jedermann hielt eine Angelegenheit für beendigt, mit der so lange die Köpfe einer so angesehenen und auserlesenen Gesellschaft sich beschäftigt hatten; ja die Verbündeten gingen so weit, ihre Stellen förmlich niederzulegen. Die Prinzessin machte sich wieder an die unterbrochene Uebersetzung der Poesien des großen Dichters, die Herzogin von St. Martin schickte sich an, nach Paris zurückzureisen, und Mademoiselle Gaussin wollte Ferney verlassen, da die Jahreszeit, schon merklich vorgerückt, sich dem Herbst näherte und man eben zu Versailles beschäftigt war, eine neue Darstellung des Mahomet zu veranstalten.

So schien die Farce beendet, die Voltaire entworfen, die Schauspieler entledigten sich ihres Theaterkostüms und traten wiederum in's prosaische Leben. Aber ach! wer hätte es geglaubt, daß die tragischen Götter selbst im finstern, verhüllenden Gewölk sich droben versammeln würden, um mit drohendem Ernst die leichtfertige Posse zu beschließen, die ein paar müßige, eitle Menschen unten angelegt! Als Voltaire sich in Genf ein paar Tage aufgehalten hatte, empfing er folgenden Brief, dessen Inhalt ihn mit Entsetzen erfüllte:

»Wenn Sie diese Zeilen empfangen, großer Mann, so ist die That schon vollbracht, die ich, dem heiligsten Eidschwur folgend, zum Inhalt meines Lebens gemacht hatte. Vor einer Stunde erhielt ich ein Billet, dessen Inhalt einen Andern an meiner Stelle zum Glücklichsten auf der Erde gemacht hätte; mich ruft es zur Rache. Wenn das leuchtende Gestirn des Orion, den ich in den Tagen meines tiefsten Elends herableuchten sah in die Wellen des Golfs, während mein starres Auge über meine dahingelagerten unglücklichen Gefährten dahinglitt, wenn dieses segensreiche Gestirn am nächtlichen Himmel die schlafmüde Welt zur Ruhe ladet, dann, o Freund, schleiche ich sichern Fußes in den Tempel der Liebe, um dort mein Opfer zu erspähen.

Sie erschrecken, Sie wissen nicht, wie Sie diese Worte nehmen sollen, und Ihr geschwinder Witz hilft ihnen sogleich, sie für einen Übeln Scherz zu erklären. Zu früh! Seelenmaler, der Sie seyn wollen, werfen Sie den Pinsel weg, erklären Sie, daß Sie es nie verstanden, Charaktere zu malen, die, auf das Entsetzlichste von den Menschen mißhandelt, sich jezt mit der ganzen Kraft ihres Wesens rächend entgegensetzen; erklären Sie dieses, wenn Sie meinen Entschluß für unmöglich halten. Wahrlich, Ihre Tyrannen, Ihre Wütheriche haben kein Leben! Hauchen Sie Ihnen ein den Athem eines Busens, der, wie der meinige, von zwei mit einander kämpfenden Flammen, von Haß und Liebe, durchglüht wird.

Ja, ich liebe die Gräfin; doch weil ich sie liebe, so muß die tückische Verrätherin sterben; auf sie ist meine Wahl gefallen, sie möge büßen, was das Geschlecht an mir verschuldet, und wer könnte besser zu diesem Opfer dienen, als eine Seele, die in der reizendsten, einschmeichelndsten Hülle so kalten, tödtlich verwundenden Spott birgt! Die Worte, die ich jezt noch aufsetze, betrachte ich als ein Vermächtniß an Sie, mein Herr, das ich Ihrem Eifer, mir zu dienen und meine Plane zu fördern, schuldig zu seyn glaube; wären Sie nicht gewesen, ich stände vielleicht noch weit von meinem Ziel.

Die Geschichte meiner Leiden, die Sie der Gräfin wieder erzählt haben, ist nicht erdichtet, wie Sie es glauben. Das Geschick fing damit an, daß es mir einen Vater gab, den ich verachten, den ich hassen mußte; es vergiftete somit die frühe Quelle, aus dem die keimende Jugend Unschuld, Liebe und Erbarmen trinkt; ich lernte an denen, die mir am nächsten standen, was Schande, Laster und Verbrechen heißt. Doch wie fürchterlich die Schule war, die ich durchgemacht, einem Weibe kam es zu, mein Elend auf's Aeußerste zu bringen.

Genug, mein Herr! ich will keine jener Bitterkeiten noch einmal durchkosten; gestürzt, tief gesunken, von Stufe zu Stufe durch Laster und Verbrechen getrieben, reifte meine Jugend der Verzweiflung zu und wäre dem gewissen Tode anheim gefallen, wenn nicht jener Augenblick, da ich jene verhängnißvollen Worte vernahm, mich plötzlich dem Daseyn wieder gegeben hätte; ich klammerte mich mit ganzer Kraft wieder an die Menschheit an, und jener Plan einer ausgesuchten Rache wurde der Lebensathem in meiner Brust.

Mein Blick verfolgte jezt oft heimlich sein Opfer mit stiller Genugthuung; ich wußte es, sie war mein; keinen Moment zweifelte ich, mein Ziel zu erreichen, nur auf welchem Wege ich hinstreben wollte, diese Betrachtung wurde jezt der Inhalt meiner schlaflosen Nächte. Ich wußte, daß nach einem Jahre meine Befreiung mir bevorstand, und nun ging ich im Geist alle Verhältnisse durch, welche dazu dienen konnten, meinen Zweck zu erreichen; freilich konnte ich damals nicht ahnen, daß mir Frankreichs berühmtester Geist die Hand bieten würde, um mit Einem Schritte mich an's Ziel zu führen.

Als meine Befreiung erfolgt war und ich erfahren hatte, daß die Gräfin Italien verlassen, folgte ich ihr nach Frankreich, hoffend, sie am glänzenden Hofe ihres Monarchen zu finden; doch sie war nicht dort. Niemand fand ich, der mir über ihren Aufenthalt hätte Auskunft geben können; endlich folgte ich einer dunkeln Spur und ging nach Wien. Hier fand ich sie; unter verschiedene Masken versteckt, suchte ich ihr zu nahen, doch meine studirtesten Plane scheiterten, und ich mußte bemerken, wie die schöne, sonst als freidenkend bekannte Frau von innerer Furcht zurückgehalten wurde, sich mir sowohl als irgend Einem zu nähern; dennoch tröstete mich die Gewißheit, von ihr nicht erkannt zu seyn. Sie verließ Wien und begab sich zu Ihnen nach Ferney, auch ich folgte; doch es war mein Plan, mich zuerst beobachtend in ihrer Nähe niederzulassen; darum wählte ich Genf und erneuerte in der Stille meine Bekanntschaft mit Ihnen.

Wie der Zufall später meinen Wünschen zuvorgekommen, die Verhaftung jenes Mannes, den ich nie gekannt, noch von seinen Schicksalen etwas gewußt – alle diese Dinge fügten sich, die Katastrophe herbeizubringen. Ich bin da, wo ich seyn wollte.

Mann des Entsetzens, ich sehe, wie Sie erbleichen; doch fürchten Sie nichts, ich komme nicht, um Sie in's Komplott zu ziehen, Ihre gepuderte Perrücke, Ihr Atlasrock könnten nur auf einem solchen Gange verdorben werden; denn mein Weg führt mich in eine schaurige Gegend, in eine Gegend, wo Ihresgleichen nie zugelassen werden. Ich aber liebe jene Plätze, und meine Seele athmet frei. Dort, in kühler Nachtluft, zwischen moderndem Gebein stehe ich und werfe immer neu jene Fragen gen Himmel, vor denen das Antlitz verflossener, wie kommender Jahrhunderte erbleicht und zurückbebt.

Ja, mein Herr, von der Leiche der Gräfin gehe ich in den Gerichtssaal, um mich selbst anzugeben. Ich bin der Welt überdrüssig, denn ich sehe, daß ich sie zu lenken im Stande bin. Ich fordere nicht, daß Sie mit mir übereinstimmen; dem Sänger der Pucelle wird eine That ewig unbegreiflich bleiben, die nicht den Witz des Salons, nein, den Witz der Hölle in sich trägt, eine That, die man nicht bespötteln kann, weil mitten im Spott ein kalter Schauder unsere Seele übermannt. –

Mir ist's genug, mitten in Ihr lüsternes, perfides Spiel gedrungen zu seyn, auf den Schauplatz Ihrer modernen Alltäglichkeit meine großartige That hingesezt zu haben, einen Koloß unter Puppen. Eine Seele hat sich gezeigt, wo früher nur Larven gingen, eine erwünschte Erscheinung für Sie, wenn Sie das waren, was Sie nicht sind – ein Dichter.«

Voltairen, den dieser Brief traf, als er eben beim Buchhändler Gryot zu Abend speiste, schien eine Ohnmacht anzuwandeln; er sank in seinen Sessel zurück, und als sich die Familie um ihn versammelte, den Inhalt jenes unglücklichen Briefes zu erfahren, bat der Dichter, man möchte vor allen Dingen seinen Wagen vorfahren lassen. In diesen wirft sich der Entsezte, und als eben der Mond seine stille Wanderung am nächtlichen Himmel beginnt, stiegen die gepeitschten Rosse in stäubender Eile mit dem Dichter die Straße nach Ferney hin. Er langt an, und, o des Kontrastes! die Ruhe der Unschuld, der sichere Schlaf eines ungetrübten Friedens liegt über die Gegend hinverbreitet; kein Laut regt sich, nur das Geräusch des einfahrenden Wagens tönt in der Einsamkeit wider.

Der Dichter läßt vor dem Hotel der Gräfin halten; es ist in tiefe Ruhe begraben, er fährt vor sein Schloß, steigt aus und geht mit einem Licht, allein und mit fast bebenden Knieen, in die Gemächer der Gräfin hinüber. Ueberall tiefe Ruhe, der Mond wirft seine lange Lichtstreifen in die verlassenen Zimmer – jezt ist er am Schlafgemach – er lauscht, kein Athemzug rührt sich – der Dichter weiß sich vor Entsetzen nicht zu lassen, er glaubt noch die Tritte des Mörders zu hören, der sich so eben fortgeschlichen hat – endlich öffnet er behutsam die Thür; »Madame!« ruft er leise, dann etwas lauter: »Madame!« Keine Antwort; jezt fällt es ihm ein, daß es besser wäre, das Kammermädchen aufzuwecken, doch seine Unruhe läßt ihm keine Ueberlegung; er will gehen, bleibt dennoch, und endlich kommt es ihm vor, als stöhne Jemand im Kabinet; schnell reißt er die Thür auf und – das Licht droht seinen Händen zu entsinken: auf dem Sopha ruht die Gräfin, ihr Gewand, ein Theil der Polster mit Blut besprizt!

Der Dichter bleibt regungslos stehen, da tönt eine schwache Stimme: »Sind Sie es, Freund, Retter!«

Voltaire stürzt zu ihren Füßen nieder, die Dame erhebt sich, ihr leichenblasses Gesicht ist von feuchten schwarzen Locken umflossen, noch perlt die kalte erstarrte Thräne der Todesangst ihr auf der Wange.

»Sie leben, Theure, Sie leben!« ruft der Dichter; »dem Himmel Dank! die Wunde, welche die bewaffnete Faust des Wahnsinns schlug, ist nicht tödtlich gewesen!«

Der Schmerz der Gräfin löst sich in Thränen auf, sie sinkt wieder zurück und der Freund entfernt sich, um einen Arzt zu suchen. Dieser erscheint und bestätigt, was Voltaire versichert hat; dieser ist wie ein Kind vergnügt, und indem er sich unzählige Mal über die Hand der Schönen küssend beugt, versichert er, für diese Augenblicke, wenn es so seyn müßte, sogar die Ehre hingeben zu wollen, der Verfasser der Henriade zu seyn.

Die Kranke lächelt milde und verzeihend auf ihn herab; jezt kommt der Gemahl herbei, der sich verwirrt mit seinem festen Schlaf entschuldigt; Voltaire lacht ihm in's Gesicht und entfernt sich, um mit dem Polizeibeamten zu sprechen, der im Vorgemach wartet. Er findet in ihm einen würdigen Mann, der die Achtung des Publikums besizt.

Der Dichter liest ihm jenen unglückseligen Brief vor, unter dem Lesen entfällt er ihm und er ruft einmal über's andere aus: »O Himmel! ist eine solche That je erhört! entsetzlich, fürchterlich!«

Der Beamte zeigt ihm an, daß er schon Maßregeln getroffen habe, sich des Sinelli zu versichern.

»Der Wahnsinnige!« ruft Voltaire. »Erklären Sie mir, Victoire, erklären Sie mir, theurer Mann, was ich höre und sehe; ich meine, wir sind im Traume!« –

»Wüßten Sie keine Mitschuldigen dieses unerhörten Verbrechens?« –

»Ich?« rief der Dichter, »ich weiß von nichts. Wie Gyot, der dem rasenden Roland Rede stehen soll, kann ich sagen: Herr, mein kleiner Finger weiß mehr von dieser Geschichte, als ich.« –

»Und doch,« entgegnete Victoire, »Sie kannten, Gnädigster, den Sinelli –«

– »Kannten?« schrie der Dichter und fuhr mit Lächeln zurück; »und wen kenne ich nicht? und wer kennt mich nicht? Um Gotteswillen, Freund, nicht diesen Vorwurf! Kann ich etwas dafür, daß eine Million Menschen täglich meinen Namen nennt? Bin ich nicht der Erste, der immer wieder sich die Mühe gibt, zu beweisen, daß an einem gewissen Herrn von Voltaire, der sich einen Dichter und Philosophen nennt, nichts gelegen sey? Glaubt man mir aber? Ich habe es jedoch gleich gesagt, so lange sich der allerchristlichste König so weit vergißt, jenen unbedeutenden Versemacher zu verfolgen, ihn aus dem Lande zu verbannen, so können wir durchaus nichts gegen ihn ausrichten und sein Ruhm wächst von Stunde zu Stunde.«

Der Beamte lächelte und sagte nach einer Pause: »Sollten nicht vielleicht Personen hier im Schlosse –«

– Voltaire schüttelte das Haupt. »Unmöglich!« rief er; »doch, da fällt mir ein Name ein, gewiß, ein recht widriger Name: der junge Travenol, ein naseweiser, nichtsbedeutender Bursche, den man, ich weiß nicht aus welchem Grunde, in eine Uniform gesteckt; er ist der Gräfin nachgegangen – es könnte seyn, daß, erbittert durch Hintansetzung –«

– »Sie meinen also?« sagte der Präfekt.

»Ich meine nichts!« rief der Dichter verstimmt; »der ganze Handel geht mich nichts an; Sie sind Diener der Gerechtigkeit, ich bin Herr von Voltaire, der sich Ihnen hiemit freundlichst empfiehlt.«

Er stand auf und ließ den Gerichtsrath allein, der ihm mit einem Lächeln nachsah. »Travenol! armer Travenol! so sollst du noch büßen! O, die Geschichte ist mir bekannt, wie Sohn und Vater im Gefängniß schmachten mußten, bloß, weil es Ihnen gefiel, großer Mann, eine lose Verläumdung gegen sie auszustreuen. Wie hämisch! nur zu sicher bin ich, daß der Jüngling unschuldig ist.«

Er erhob sich und trat vor das große Wandgemälde, das die Versammlung der Musen darstellte, in deren Mitte Apoll die Henriade aus den Händen Clio's empfängt.

»Schmählicher Hochmuth!« rief der würdige Mann vor sich; »wie erscheinst du mit einem so glänzenden Talente gepaart!«

In drei Wochen war die Gräfin fast ganz hergestellt; Voltaire schrieb darüber an die Schauspielerin Gaussin:

»Hier, meine Freundin, schicke ich Ihnen mit einigen Papieren alle jene schwarzen Stunden, die wir erlebt haben, vereinigt zu; gewiß ein Stoff für die Tragödie, oder, lassen Sie es mich gestehen, eher für die Komödie. Ein zerlumpter Sklave, der am Ende ein Duc ist, ein paar leichtfertige Worte von den Lippen einer schönen Frau, darauf ein Rendezvous, ein Brief, in dem man mir schnöde Dinge sagt, die ich höchst komisch finde, und endlich, um den Wirrwarr vollständig zu machen, ein Dolchstoß! Hat Ihnen jemals etwas Phantastischeres geträumt? – Doch ich sitze am Bette einer schönen Frau, deren Brustwunde eben jezt erst geheilt ist, es ist darum kein Traum. Ich schicke Ihnen die Briefe und alle nähern Umstände; gehen Sie damit durch die Straßen von Paris und machen Sie ein öffentliches Geheimniß daraus; die Sache läßt sich doch nicht verschweigen; bald vielleicht ist's mir vergönnt, mit der schönen Geretteten nachzufolgen. Sinelli wird seine Strafe empfangen; ich hoffe, daß man ihn als einen Wahnwitzigen milde behandeln wird, und so wäre die Geschichte aus. Ich endige diese Zeilen, denn so eben läßt sich ein junger Mann bei mir melden, der wichtige Dinge mit mir zu besprechen haben soll.«

Dieser junge Mann war Niemand anders als Hippolit Travenol, der auf das gegebene Zeichen mit einer militärischen, raschen Bewegung in's Kabinet trat, wo er den befremdeten Dichter sich so eben vom Schreibtisch erheben sah.

»Was steht zu Befehl, mein Herr? womit kann ich dienen?« Bei diesen Worten erschrack der feine Mann über die rothe, wilde Jugend, die auf den Wangen des Jünglings wie Zorn brannte; die ganze schlanke Gestalt, in die blitzende Uniform gespannt, schien von einem raschen, bebenden Nerv gelenkt; er rief:

»Sie haben sich, Herr von Voltaire, wie mir mein Oheim St. Bruce gestanden, gegen den Polizeibeamten Aeußerungen erlaubt in Betreff meiner, die Sie jezt verfechten sollen.« –

»Verfechten?« wiederholte der Dichter mit einem trüben Lächeln, »fechten? Junger Mann, Ihr Oheim und ich sind in dieselbe Fechtschule gegangen, und er wird sich zu erinnern wissen, wie wenig ich damals Vortheil gezogen von den Lehren unsres guten alten Maitres.«

»Sie sind ein Unwürdiger!« rief der polternde Knabe, »hier ist ein Degen! Die Ehre eines trefflichen Mannes haben Sie gemordet, eine Familie haben Sie in's Elend gestürzt, und,« sezte er hinzu, indem seine Stimme brach und eine Thräne über seine vollen Wangen rann, »einem ehrlichen Knaben das Herz seiner Dame gestohlen. Ziehen Sie, vertheidigen Sie sich, oder zittern Sie vor dem Ausgang dieser Stunde!«

Voltaire sah zu Boden, sein Auge hing an seinen Schuhschnallen, er machte eine Bewegung, um die Klingel zu ergreifen, doch der Offizier versperrte ihm den Weg.

»Hier ist der Degen!« rief der Jüngling.

Der Dichter griff darnach, doch indem sich Travenol zum Kampf bereit stellte, schlüpfte jener an die Klingel und zog aus Leibeskräften daran. Zwei Diener traten herein und waren Zeugen der Scene; der Dichter trieb sie an, seinen Dränger zu entfernen; eine hohe Zornröthe überflammte das Antlitz des Jünglings, er warf einen langen und verachtenden Blick auf den Zurückbleibenden, steckte ruhig seine Waffe ein und schritt mit festem Tritt an den Schergen vorüber.

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