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Das Grab des armen Andrej.

Ein Nachtstück aus dem Leben
der Kaiserin Elisabeth.

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Auf der Straße, die von Petersburg nach dem kaiserlichen Lustschloß Zarskoiselo führt, findet sich ein schönes, nicht eben sehr großes, doch in dem elegantesten Geschmack damaliger Zeit aufgeführtes Gebäude, welches die Kaiserin Elisabeth, als sie noch Prinzessin war, erbauen ließ und es einige Sommerwochen bewohnt hat. Gegenwärtig steht es öde und verlassen, seine Mauern sind dem Verfall nahe und die Gegend umher ist in ihren ursprünglichen wilden und einsamen Zustand zurückgekehrt, aus dem die Hand der Kaiserin sie gerissen hatte. Die Geschichte dieses Schlosse ist die rührende Geschichte eines treuen Herzens, das fürstlicher Uebermuth und die Tyrannei weiblicher Laune zertrat; diese verfallenen Gemächer schmückte einst die Liebe, ihr Scharfsinn schuf den Plan zum Gebäude und ihr Zauberstab ließ die traurige Einöde sich mit den Reizen eines blühenden Gartens schmücken. Dieses Alles ist nun dahin! Die Tage des Glanzes sind verschwunden, und nur die traurige Kunde bleibt von Thaten, welche uns aus der Nacht jener Zeiten voll Willkühr und Uebermuth überliefert werden.

Es war ein trüber Herbstabend, als ich den Kirchhof eines kleinen Dorfes besuchte, welches nicht weit von jenem Schlosse seine einsamen Hütten am Ufer eines Baches ausbreitet. Herbstliche Nebel füllten die Luft und die frühe Dämmerung, welche die Gegend einzuhüllen begann, zeugte von der Annäherung des langen, trübseligen Winters. Das Geräusch auf der Hauptstraße, die von zahllosen Wagen bedeckt war, welche entweder den Weg zur Hauptstadt suchten, oder von dorther kamen, verhallte bald gänzlich, und mit jedem Schritte, den ich näher dem Ruheplatz der Todten that, umgab mich auch mehr und mehr jene tiefe, melancholische Einsamkeit und träumerische Ruhe, die den Charakter nordischer Gegenden so treffend bezeichnet. Zwischen den Gräberreihen hinwandelnd, brachte ich meine Zeit damit zu, die Namen auf den Kreuzen und Steinen zu lesen.

Ich betrat ein Plätzchen im fernsten Winkel, wo sich meinem Auge ein einfacher Stein ohne Namen, noch sonstiges Merkmal zeigte. Hohes Gras wölbte seine Spitzen über ihn, Moos bedeckte zum Theil seine Fläche, und seine tief eingesunkene Lage zeigte, daß man den, der unter ihm schlummerte, schon vor langer Zeit hier versenkt habe. Aber warum kein Name? War der Busen des Unglücklichen mit so schwarzer Schuld belastet, daß man sich scheute, seinen Namen dem Stein einzugraben? wie, oder ist dieses Grab das einzige, von dem die bezeichnende Hand der Liebe, sonst an jedem noch so anspruchlosen Kreuze weilend, sich abwandte, dessen einsamer Bewohner Niemanden hatte, den er sein nannte? –

»Armer Schläfer!« rief ich, »so bist du der Einzige, der ungerufen, wie ein Dieb in der Nacht, dich hast zu deiner kalten, engen Ruhestätte stehlen müssen! Der Engel, der einst über diese Gräber rauschend dahinziehen wird, wenn er sie alle aufruft, die hier liegen, wie soll er dich nennen? Doch er wird die Sonnenblume fragen, die dort zu deinen Häupten einsam dasteht; sie, die aus deinem Herzen entsprossen ist, wird die Geschichte desselben wissen und manchen theuern Namen nennen, den deine Mitbrüder entweder aus Haß oder Furcht verschwiegen haben.«

In diesen Betrachtungen störte mich ein alter Mann, der mich schon lange mit Theilnahme betrachtet hatte. Er schien hier im Bereich der Gräber vollkommen zu Hause zu seyn; als ich mich zu ihm wandte mit der Frage: wer unter jenem Stein begraben liege, erhob er seine Stimme und mit einem Ausdruck von feierlichem Schmerz rief er die Worte:

»Wen die Ungnade des Gesalbten des Herrn verfolgt, dessen Name ist aus dem Buche der Geschaffenen gestrichen, er hat nie gelebt!«

Nach einer Pause fügte er mit milderem Ausdruck hinzu:

»Lieber Herr, wollt Ihr wissen, wer dort liegt, so kann Euch dieses Niemand im ganzen Dorf besser sagen als ich. Seht, wenn der Himmel es nicht anders gelenkt hätte, so wäre ich jezt nicht der arme Astaf, der Todtengräber, und jener, der da liegt, trüge einen Namen, den auf die Nachwelt zu tragen, Marmor, Gold und Edelgestein viel zu niedrige Stoffe wären. Aber Ihr dürft mich nicht verrathen, thut das nicht, lieber Herr; denn sind gleich die Zeiten vorbei, wo die große Zarewna herrschte, kennt Niemand in der großen Stadt den armen Andrej und seinen Bruder, den alten Todtengräber, so ist Bosheit und Tücke doch noch nicht ausgestorben und ich habe einen Enkel, der Tambour bei der kaiserlichen Garde ist.«

Er hielt inne und näherte sich dem einsamen Grabsteine, den Hut in den gefaltenen Händen, und sein weißes Haar flatterte im Abendwinde. Wie im Gebete sprach er:

»Die Wege des Himmels sind wunderbar! er hat das Herz der großen Kaiserin gewendet, die goldne Sonne ihrer Gnade ging ihm unter, und das frische Blut seiner Wangen sprühte unter die finstere Erde gleich einer Quelle, die jauchzend und prächtig vom Berge niederfällt, goldfunkelnd im Morgenglanz, dann aber, ehe sie zum segensreichen Fluß anschwellen kann, vom gierigen Sand der Wüste gefressen, ohne Namen spurlos in die Erde sinkt. Das ist das Leben des armen Andrej.«

Ich sezte mich auf den Stein nieder, und als die lezten Strahlen der den Nebel durchbrechenden Sonne eben die nahe Kirchhofsmauer färbten, horchte mein Ohr dem Flüstern im falben Grase und den Tönen des Windes, der, über die öde Fläche dahinfahrend, die Häupter der Herbstblumen auf den Grabhügeln wiegte. Astaf, der Todtengräber, stand vor mir, auf seinen Stab gelehnt; die traurige Stätte noch einmal mit seinem Blicke messend, hob er mit einem tiefen Seufzer an, die nähere Geschichte seines unglücklichen Verwandten zu erzählen. Seine einfachen Worte hüllten sich, wo sie sein bewegteres Gefühl ausdrücken sollten, in jenen Schmuck der Rede, der dem gemeinen Mann eigen zu seyn pflegt und den orientalischen Ursprung des Volks anzudeuten scheint.

»Mein Gedächtniß ,« hub er an, »wenn es sich jener Zeiten des Glanzes erinnert, ist treu wie der Hund, der die kostbaren Kleider seines Herrn noch bewacht, da sie diesem längst nicht mehr angehören; so sehe ich noch die Gesalbte des Herrn, die große Zoreyna (Zarewna), wie sie vor uns stand und ihr Auge auf mich und meinen Bruder fiel. Es war damals die große Truppenmusterung, der Türkenkrieg bewegte das Land, und die Hauptaufstellung war in der Nähe unseres Dorfes. Jene Ebene, die Ihr vor uns seht, die ihre öde, trübe Fläche weithin vor uns ausstreckt, damals hättet Ihr sie sehen sollen! Unabsehbar, keinem Auge ermeßlich, dehnten sich die Reihen der Krieger aus; Offiziere, Generale flogen unaufhörlich auf stolzen Rennern die Linien dahin. Trommelschlag, Kommandowort, kriegerisch Spiel tönte betäubend durcheinander, von den stampfenden Rossen erdröhnte weithin dumpf der Heideboden, und ich glaube, die Vögel des Himmels, erschreckt und verschüchtert, verloren sich auf Jahre auf dieser Gegend.

Die Prinzessin verließ gleich am Anfang der Musterung ihre Kutsche; auf ihr stolzes Leibroß sich schwingend, zeigte sie sich inmitten des Haufens der Generale, stets in reger Bewegung. Nun geschah es, daß sie, bei einer Abtheilung Halt machend, im Gespräche mit einem Offiziere ihren Handschuh fallen läßt. Ehe jener vom Pferde sich herabschwingen kann, tritt der junge Andrej hervor, hebt den Handschuh auf und reicht ihn kniend der Prinzessin dar. Sie blickte auf ihn und auch auf mich, der ich neben ihm stand, und jener Blick, Herr, ist es, den ich nie vergessen werde. Der junge Andrej war ein schöner Bursche, der schönste hier im Dorfe und wohl noch weiter hinaus; er war mein Bruder!

Wenn Ihr jemals, lieber Herr, den Stamm der jungen Birke gesehen habt, wie sie, nicht beengt von dem am Boden klebenden niedrigen, gemeinen Gesträuch und nicht vom gierigen Schlingkraut umsponnen, von schmutzigem Moose gänzlich frei, schlank und biegsam ihre frische, balsamduftende Krone in die klaren Frühlingslüfte emporhebt, ein schöner Jüngling unter den alten Stämmen des finstern Waldes, so war Andrej, ein Sohn, wie das Gebet jedes Vaters ihn vom Himmel erbittet, ein Bursche, wie ihn sich jede schöne Dirne mit heimlichem Seufzer wünscht. Unter den muthigen jungen Kriegern war er der muthigste, die Gesänge, die damals das ganze Dorf kannte, die noch jezt mancher alte Graukopf seinen Enkel lehrt, er sang sie zuerst zur Balalaika – und er gerade sollte der einzige seyn, der den allgemeinen Ruhm der kaiserlichen Waffen nicht miterwerben durfte; er allein war ausgeschlossen aus der Reihe der Tapfern, welche ihr Blut verspritzen durften in jenen ewig merkwürdigen Tagen.

Armer Andrej! noch sehe ich dich an jenem Baume dort gelehnt; in die Ferne war dein Auge gerichtet, und wie der Blick des Geliebten die Spur seines Mädchens verfolgt, so verfolgte der deinige die tapfern Schaaren, die im Strahl der Morgenröthe mit klingendem Spiel zum Felde der Ehre, zum Schlachtfelde zogen. Das Dorf war wie ausgestorben, Alles, was noch Kraft und Muth im Busen spürte, hatte sich willig dem Zuge angeschlossen, nur Greise, Weiber und Kinder waren nachgeblieben. Zu diesen zählte sich der arme Andrej jezt, er verbarg sich, damit kein Blick der Gefährten ihn treffe und seiner spotte. Verzweiflung nagte an seinem Herzen und Thränen rollten über seine Wangen; doch die Zarewna wollte es nicht anders.

Wen die Sonne bescheint, den kleidet sie in Gold und Purpur, und sollten auch Bettlerlumpen seine Glieder umhüllen. Wie es auch immer kommen möge, der Sohn des Glückes steigt unaufhaltsam, und bald sieht man seinen Fuß dort, wo die Häupter der Menge sich befinden, sein Haupt jedoch über alle erhoben, die ersten Segnungen des jungen Tages trinkend. Jenen Pallast, den Ihr dort gesehen, ließ damals die Zarewna bauen; es hieß, sie wolle hier die schöne Jahreszeit allein und ferne von dem Geräusch der Stadt hinbringen; Andrej aber durfte um sie seyn.

Sie fand Gefallen an seiner Treue, seinen einfachen Sitten, seiner demuthsvollen Ergebenheit. Wenn er sie mit einer Thräne im Auge immer wieder bat, ihn ziehen zu lassen, in den Krieg, so bestrafte kein zürnender Blick seine Keckheit. Sie, die Kaisertochter, in Purpur geboren, ließ sich herab, um die Gunst des armen Sohnes der Haide zu werben. Sie selbst unterwies ihn in mancher Wissenschaft und Kunst. Die einsamen Winterabende blieb sie mit ihm allein; beim Schein einer vertrauten Lampe, Auge in Auge, gingen die flüchtigen Stunden im zärtlichen Gespräche, von keinem fremden Ohr behorcht, dahin. Lockte ein günstiger Himmel in's Freie, so zeigten sich in den stillen Gängen des einsamen Gartens seine beiden Bewohner entweder zu Roß oder zu Fuß, immer aber beisammen. Wie das Mädchen des Dorfes ihrem Erwählten zur Seite geht, so wandelte die Kaisertochter an seiner Seite.

Wer damals die Worte der Liebe hätte belauschen können, die Verheißungen, die von den Lippen der hohen Frau tönten, er hätte etwas Anderes vorher gesagt, als daß der Bruder des schönen Günstlings am Abend seiner Tage den Spaten schwingen werde, um seinen Mitbrüdern eine Ruhestätte vor den Stürmen des ewig wechselnden Schicksals zu bereiten. Ja, Herr, die Launen des menschlichen Schicksals sind wie der nächtliche Wind der Haide, wie das Gewölk, das über ihre traurige Oede dahinflieht, ewig wechselnd. Laßt mich meinen Bericht schließen, damit die Worte, welche jezt kommen, nicht das Ohr eines dieser Schläfer hier treffen.«

Er schwieg und eine Thräne rollte über seine gefurchte Wange. Mein Blick weilte mit Interesse auf seinem Antlitz, ich suchte mir die Züge des schönen Andrej zu vergegenwärtigen, und meine Phantasie sezte sie aus der Aehnlichkeit mit dem noch höchst wohlgebildeten Greisenkopfe zusammen.

»Nun,« rief ich ungeduldig nach einer ziemlich langen Pause, »du vergißt, mir Andrej's weiteres Schicksal zu erzählen.« –

»Herr,« entgegnete Astaf, der Todtengräber, »erlaßt mir den umständlichen Bericht; ich bin überzeugt, auch Euch macht die Geschichte Kummer, obgleich Ihr ihn nicht gekannt, den Stolz meiner Jugend, die Freude meiner Tage. So laßt mich denn kurz seyn. Die Prinzessin gewann bald einen andern Mann lieb, der, erfahren in den Händeln des Hofes, ihr Herz dauerhafter zu umstricken wußte. Den armen Andrej traf ihr ganzer Ueberdruß; er sollte auf immer aus ihrem Antlitz, und wenn die Großen etwas wollen, so ist es schon geschehen, ehe sie noch ihren Willen ganz ausgesprochen. Ein Offizier, ein nichtsnutziger Raufbold, mußte auf ihren Befehl mit dem Jünglinge anbinden; dieser natürlich forderte ihn und – man sagt, daß dem armen Jungen ein blindgeladenes Pistol gegeben wurde – sie schossen sich auf wenige Schritte, und der fremde Offizier hätte nicht eben nöthig gehabt, im Rufe des sichersten Schützen zu stehen, sein Ziel wäre ihm doch nicht entgangen; er schoß den guten Knaben gerade in's Herz, und somit war die Liebesgeschichte aus. Die Leiche wurde bei Nacht und Nebel hier begraben, über seinem Haupte ward der Degen zerbrochen, sein Name, als der eines im Duell Gefallenen, der Vergessenheit übergeben. So begräbt man den, welchen das Auge des Gesalbten meidet, der gestorben ist im Schatten der Ungnade! Schlaft wohl, armer Andrej!«

Astaf, der Todtengräber, hatte seine Geschichte beendet; ich wußte nun, wessen Körper der namenlose Stein barg, und mein Auge füllte sich mit einer Thräne.

»Fürstenliebling!« rief ich, »armer Knabe, wie schwer hast du dafür gebüßt, daß sich ein fürstlicher Busen mit all seiner verstohlenen Glut, mit all seinem verführerischen Glanz an deine Seite lehnte! Ach, warum mußtest du fallen, so ruhmlos fallen! Wärest du lieber dahingezogen mit deinen Brüdern; der Tod auf dem blutigen Felde der Ehre, unter zusammenrauschenden Siegesfahnen, wie wünschenswerth erscheint er gegen dieses geheime, lautlose Verschwinden, gegen dieses stille, vergessene Liegen im einsamen Kirchhofwinkel. Ja, dir darf keine Grabschrift blühen, denn eine Weiberthräne der Scham würde sie stets wieder auszulöschen trachten; sie wäre ja ein Denkmal, wie Fürsten lieben!«

Astaf hatte meine Worte vernommen; er näherte sich mir jezt geheimnißvoll, und als fürchtete er, in der Nacht, die uns jezt umhüllte, die Lauschertritte nahen zu hören, flüsterte er mir in's Ohr:

»Der Himmel ist gerecht! In der Jahresnacht des Todes des armen Andrej verläßt sie die prangende Fürstengruft, in der sie schlummert, und kommt hieher. Ich selbst habe sie auf jenem Grabsteine sitzen sehen und weinen. Der Himmel ist gerecht!«

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