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Vierter Theil.
Erste Abtheilung.

Waldgespenst.

Ein Mährchen.

———————

In einem dichten, unabsehbaren Walde lebte seit einigen Jahren ein Förster. Er hatte geheirathet und wohnte mit seinem Weibe in einer Hütte, die er sich selbst erbaut, auf dem finstersten und verstecktesten Platze Kinder waren ihm vom Himmel versagt worden, Freunde und Bekannte hatte er nicht, und einen alten Oheim seines Weibes ausgenommen, der des Jahres einmal in den Wald zu kommen pflegte, betrat die einsame Herberge kein Menschenfuß. Die tiefe Einsamkeit, die dadurch Frühling, Sommer und Herbst über herrschte, schien dem seltsamen Manne auch ganz recht zu seyn. Er konnte Stundenlang dann wohl auf dem Bänkchen vor seinem Hause sitzen, und während er in die tiefste Waldnacht hineinblickte, horchte sein Ohr dem wunderbaren Rauschen im Forste und dem Tosen der wilden Gebirgswasser, die, sich in mannichfaltigen Richtungen kreuzend, den Wald durchzogen. Dabei sah er bleich und abgefallen aus, seine grüne, weite Kleidung umschloß einen langen, dürren Körper, und den Zügen seines feinen, blassen Gesichts gaben ein Paar hellblaue, glanzlose Augen einen schmerzlichen, krankhaften Ausdruck; man wußte sogleich, wenn man ihn ansah, daß er ein trauriges Daseyn führe.

Nur wenn die Zeit der Frühlings Tag- und Nachtgleiche heranrückte, wenn der heftigere Lauf der Gebirgswasser das Brechen des Eises und die Entkleidung der Fluren vom Schnee ankündigte, wenn der Waldkrokus seine Knospe spaltete, die Drossel und der Pfingstvogel ihre ersten Frühlingslaute durch den Wald schallen ließen, dann ging auch mit dem einsamen Förster eine seltsame Veränderung vor; er saß nicht mehr Tagelang vor seiner Hütte, sondern schritt rüstig und munter den Waldweg entlang, in der Ferne hörte man den lustigen Knall seines Rohrs, sein Auge sah beweglich um sich, ein leichtes Roth färbte die eingefallenen Wangen, und nicht selten hörte man ihn ein kleines Jägerlied pfeifen, dessen Töne munter klangen. Um diese Zeit pflegte er auf eine, wohl auch auf zwei Nächte seine Wohnung zu verlassen und nicht weit davon, tiefer in den Forst hinein, unter einer dicken, weitragenden Tanne eine kleine Strohhütte aufzubauen. Dieser Platz hatte etwas Besonderes an sich. Hohes Tannen- und Fichtengehölz umgab mit seinen schwärzlichen Schatten einen kleinen Teich, dessen Gewässer, rings geschüzt, immer schwarz und unbeweglich dastanden; nur das Geflüster des hohen Schilfgrases, das den Boden umgab, störte die tiefe Todtenstille um den Waldsee herum. Selbst das Geflügel, das sich hin und wieder auf den finstern Spiegel niederließ, verließ diesen bald wieder, und es schien, als duldete das geheimnißvolle Wasser durchaus keine Einmischung eines lebenden Wesens im Bezirk seiner träumerischen Ruhe.

Einst, es mochte gegen den Herbst gehen, kehrte der Förster am Abend in seine Wohnung heim. Er sah ungewöhnlich bleich aus, sein Haupt hing tief auf die Brust und sein Fuß hob sich nur mühsam und scharrend in den Haufen herabgefallenen Laubes, das der kalte Herbstwind kräuselte. Als er die kleine Pforte seines Hofes öffnete, gewahrte er sein Weib, wie sie an dem niedrigen Fenster saß und mit einem Waldröschen spielte. Sie schien ihn nicht zu bemerken, hielt die Blume bald an ihre Lippen, bald an ihre Wangen, bald drückte sie sie an's Auge.

Dem armen Gotthold wurde bang zu Muthe; er dachte daran, wie er die, die da saß, mit der Blume spielend, und die jezt blaß und ältlich aussah, wie er sie als junges blühendes Mädchen gekannt, wie er sie damals als sein Weib in seligen Träumen heimgeführt, und wie Alles darauf so ganz anders und traurig geworden. Er mußte fast mitleidig lachen über das alte, häßliche Weib, das mit der verliebten frischen Blume so schön that; es sah ihm wie Spott aus. Zu gleicher Zeit fiel es ihm schwer auf's Herz, daß sein Leben nun abgethan, daß seine Jugend nun auf immer vorüber sey. Er konnte sich nicht zurechtfinden, wo nun endlich sein Leben geblieben, er dachte hin und her, und die Angst schnürte seine Brust zusammen; fast kam es ihm vor, als liege er in einem dunkeln und schweren Traum, so kalt und dumpf umfing ihn die Gegenwart, so drohend rauschte es in den Zweigen über ihm, so spottend und höhnend tönte der ferne Waldbach. Er rief sich mit Gewalt das Bild seiner Eltern in's Gedächtniß, er dachte an so Manches, was ihm lieb und theuer gewesen; doch dieses alles, das fühlte er deutlich, hatte ihn nun auf immer verlassen, und er war auf immer in seine trostlose Einöde zu seinen quälenden Träumen verstoßen.

Er schleppte sich jezt gedankenvoll zu der Bank vor dem Hause, doch als er seinen gewohnten Platz einnehmen wollte, bemerkte er, daß dieser schon besezt war. Ein Fremder saß dort und blickte unverwandt in den Kelch einer hohen gelblichen Blume, die er dicht vor sich hielt. Gotthold warf einen erstaunten Blick auf seinen Gast, und dieser sah in dem Augenblicke auf. Es war ein einfach gekleideter, schon ältlicher Mann, dessen schöne gelben, herabwallenden Locken sonderbar gegen die gefurchten Züge des Gesichts abstachen. Beide Männer begrüßten sich jezt und der Fremde brachte unter Entschuldigungen die Bitte um ein Nachtlager vor, da er auf seiner Reise von der Dunkelheit überrascht worden, und ein Fehlgehen im fremden, weitläuftigen Forste fast unvermeidlich sey. Gotthold sagte ihm zu und bat seinen Gast, einzutreten. Als man in der Stube sich niedergelassen, und Maria, Gottholds Weib, die Anordnung zu einem Nachtessen traf, brachte der Fremde mancherlei Gespräche vor. Das Unerwartete der Erscheinung eines Gastes, sowie dessen Reden, milderten bald Gottholds finstere Stimmung; er konnte sich nach und nach auf seine Lage wieder besinnen und fing an, seinen Gast, den ihm ein günstiges Geschick hergesandt zu haben schien, näher zu betrachten.

»Ihr wohnt hier in einem wunderlichen Walde,« fuhr dieser fort; »es ist hier recht dunkel und geheimnißvoll; habt Ihr denn durchaus keine Furcht vor der Einsamkeit, daß Ihr Euch so allein herbegeben? es thut keinem lebenden Geschöpfe wohl.« –

»Wie meint Ihr das?« fragte der Förster; »Furcht vor der Einsamkeit?« –

»Ihr versteht, was ich sagen will: werdet Ihr nie beunruhigt vom Treiben und Schaffen der Elementargeister? die Dunkelheit und Einsamkeit gibt ihnen Macht über das Herz des Menschen.«

Der Fremde blickte bei dieser Frage auf und Gotthold fühlte den Strahl seines Blickes tief durch sein Inneres dringen; er wollte etwas erwidern, doch der Fremde erhob sich eben, öffnete ein Fenster und sah in die Finsterniß des nahen Waldes hinein. Der Nachtwind strich kalt vorbei und hob seine langen blonden Locken, daß sie im Wehen sich kräuselten.

»Ihr wundert Euch,« fuhr er fort, »daß ich Euch dergleichen frage; doch Ihr müßt wissen, daß ich mich auf das Studium der tiefern Naturwissenschaft gelegt habe, und pflege daher meine eigenen Unterscheidungen und Benennungen bei mir zu führen, die Ihr vielleicht nicht erkennt, obgleich die Gegenstände selbst Euch nicht fremd seyn werden.«

Gotthold bejahte, ohne zu wissen was, denn seine Gedanken waren wieder weit weg, und überdies klang die Stimme des Fremden so undeutlich und sonderbar, als töne sie fern von ihm aus der Waldesnacht hervor.

Marie brachte jezt das einfache Abendbrod, und nachdem noch mancherlei Gespräche gewechselt worden, wies die Hausfrau dem Fremden seinen Ruheplatz an.

Am andern Tage gingen Gotthold und sein Gast zusammen in den Forst. Der leztere hatte von Marien Abschied genommen und wollte sich nun auf den Weg zur Fortsetzung seiner Reise machen. Als sie beide lange Zeit schweigend nebeneinander gewandelt waren, hob der Fremde endlich zu fragen an:

»Aber sagt mir doch, mein lieber Mann, wie Ihr in diese Waldöde gekommen seyd.« –

»Meine frühern Schicksale,« erwiderte der Förster, »sind so einfach und unmerkwürdig, daß die Erzählung derselben Euch ohne Zweifel langweilen würde.« –

»Ihr weicht mir aus,« sagte der Fremde mit einem fragenden Blicke; »thut das nicht; Ihr habt bei mir keine Entweihung Eurer Geständnisse zu fürchten, auch frage ich nicht bloß des Fragens wegen, sondern weil ich Theil an Euch nehme.«

Gotthold ließ sich jezt in eine umständliche Erzählung seiner Jugendjahre ein. »Ich habe von jeher eine wunderbare Anhänglichkeit an einen großen, mächtigen Wald gehabt. Meine Eltern wohnten in einem Städtchen, dessen lezte Häuser in einen Forst ausliefen. Jene Häuser, die enge kleine Straße, in die Niemand am späten Abend gehen mochte, weil die Nähe des mächtigen, schauerlichen Waldes abschreckte, der alte Waldbrunnen, wo meine Mutter das Wasser schöpfte, alle diese Dinge stehen noch jezt lebhaft vor meiner Seele. Mein Vater hatte mich zum Landmann bestimmt und deßwegen auch in die Lehre zu einem Pächter gegeben; aber die Arbeit wollte mir nicht behagen. Das flache, heiße Feld, die regelmäßige Eintheilung, das immer wiederkehrende Zeitmaß der Aussaat und Ernte, und endlich der ermüdende Anblick der weiten Flächen voll trockener, gelber Halme, mit denen das staubige Wesen in der Mühle zusammentraf, sagten mir so wenig zu, daß ich den engen, gemeinen und alltäglichen Sinn meiner Eltern und Verwandten größtentheils diesem traurigen und verkümmernden Gewerbe beimaß. Ganz anders kam mir dagegen der alte Wald mit seinen weiten, laubigen Hallen vor; sein dunkles Grün erfreut das Auge, die harzige, kräftige Luft macht die Brust breit und regsam, die engen Waldwege und verbauten Stege geben kräftige Schenkel und Beine; die ganze Blume des menschlichen Wuchses wird gleichsam vom gewürzigen Erdharze genährt und schießt, von kalten Forstquellen getränkt, mit den Tannen und Buchen um die Wette, schlank und zierlich empor. Daher konnte ich auch nie ein Grauen fassen vor dem Wald, und jene unheimliche Forstgasse war mir gerade die liebste. Einst spielte ich in ihr mit einigen meiner Kameraden. Die eintretende Dunkelheit verscheuchte diese alsbald, ich aber blieb allein und ging, ohne zu wissen, was ich that, dem Walde zu. Anfangs war der Weg licht und geräumig, doch wurde er immer enger, und als ich nach einiger Zeit mich umblickte, ob ich das Haus meiner Eltern noch sehen könnte, war dieses sowohl, als die ganze Stadt aus meinen Blicken verschwunden. Ich empfand eine kleine Bangigkeit; zudem ragten die Gipfel der hohen Bäume so dicht zusammen, daß ich den blauen Himmel nur stückweise durchsehen konnte. Rings um mich rauschte es, als ginge ein Gespräch durch den Wald und die entferntesten Bäume antworteten. Bunte Vögel flogen auf und sezten sich oben in die Gipfel, die sich schwankend bewegten; gold- und braungezeichnete Käfer krochen über den Weg und verschwanden unter den schlangenartigen Knoten der alten Baumwurzeln. Ein unbeschreibliches Wohlbehagen bemächtigte sich meiner; dennoch wagte ich nicht weiter zu gehen; stille stehend lehnte ich an einen Baum und sah den Waldsteg hinauf, bis er in der tiefen, grünen Finsterniß sich verlor. Da war es plötzlich – o lieber Herr, wie soll ich Euch das beschreiben, und wie kann ich Euch überhaupt nur begreiflich machen, was ich empfand! Ihr werdet nicht einsehen, wie ich aus so geringfügigem Dinge etwas so Wichtiges machen könne; doch vernehmt nur: ich hörte plötzlich einen Laut zu mir herübertönen, der meine Seele bis in's Innerste erfaßte. Noch jezt weiß ich nicht, wie mir war, und ich werde wohl diese Seligkeit in meinem Leben nicht wieder empfinden.« –

»Wie?« rief hier der Fremde, »ein Ton brachte solches zuwege?« –

»Nicht anders; es war ein Laut – wie soll ich ihn Euch beschreiben? – fast wie der langausgezogene Akkord einer Luftharfe so mächtig, doch aber auch wieder so mild wie Flötengesäusel. Am liebsten möchte ich ihn mit einer überaus herrlichen Mädchenstimme vergleichen, die aus einem von unendlicher Sehnsucht geschwellten Herzen so recht seeleauflösend getrieben wird. O Herr, so etwas könnt Ihr Euch durchaus nicht vorstellen, und Alles, was ich Euch sage, führt Euch nicht zur Wahrheit. Mein kleines Knabenherz ward so mächtig erschüttert, daß ein Strom von Thränen augenblicklich aus meinen Augen schoß und ich in's Gras niederfiel. Am Boden liegend fühlte ich einen unsäglichen Schmerz, gleich als riefe mich Jemand, der im Sterben läge, und der mich glühend liebte, und ich könnte nicht von der Stelle, um ihn zu retten und zu trösten, und er riefe immer lauter und schmerzlicher und stürbe eben mit einem gräßlichen, schreienden Seufzer. Meine Sinne vergingen mir; als ich erwachte, fand ich mich in der Stube meiner Eltern; man hatte mich in's Bett gelegt und meine Hände verbunden; sie waren blutig gewesen und man hatte mich gefunden, wie ich mit ihnen tief in die Erde gewühlt.«

»Das ist wohl recht seltsam,« erwiderte der Fremde. »Vermuthlich zog ein Jagdzug in der Ferne vorüber, und da hörtet Ihr zum ersten Mal den Ton eines Waldhorns. Doch erzählt weiter; vielleicht erhieltet Ihr in der Folge Licht über dieses Ereigniß.« –

»Ein Jahr darauf,« fuhr Gotthold fort, »machte mein Vater eine kleine Reise in's Gebirge, bei welcher er mich mitnahm. Ich sah viel Neues und Seltsames, und es war mir schon ganz recht, daß wir eines Abends nicht in der großen Herberge an der Straße, sondern seitwärts bei einem alten Köhler einsprachen. Mit uns kehrte ein Wandersmann ein, dessen ganzes Wesen mir dunkel sagte, daß er ein Waidmann seyn müsse. Ich hatte mich nicht geirrt; des Fremden Gespräche betrafen meistens das Forstwesen und die mannichfachen Reisen, die er zur Erweiterung seiner Kenntnisse frühzeitig unternommen. Als wir nun so im Halblichte traulich beisammen saßen, erzählte er auch manches recht wunderliche Mährchen, das wohl mehr als Mährchen gewesen seyn mag; unter anderm sprach er von einer seltsamen und unerklärlichen Erscheinung, von jener wunderbaren Waldstimme, die hie und da von alten Waidmännern soll beobachtet worden seyn, und die an schauerlicher, durchdringender Gewalt mit keinem andern Laut in der Natur zu vergleichen sey. Ihr mögt denken, wie gespannt ich aufhorchte; ein kalter Schauer überlief meinen Rücken; doch fand ich so viel Besonnenheit, den fremden Jäger um den Grund jener Erscheinung zu befragen. Er sah mich lange an und sagte endlich lächelnd: Alberner Bursche, ja wenn man das wüßte, so wäre keine taube Nuß dabei zu verdienen; nun aber ist mancherlei vor unserm Auge verborgen. Kühne Jägersleute, die das Ding haben erforschen wollen und die den Ton einmal dicht in ihrer Nähe vernommen haben, sind sogleich todt zur Erde gefallen und ihre ganze Gestalt ist in ein paar Stunden darauf in Asche zerfallen. Es geht die Sage, daß kein menschliches Ohr dreimal jenen entsetzlichen Ton vernehmen kann; wer ihn aber auch nur einmal gehört hat, dem liegt von Stund an eine süße, tödtliche, wollüstige Sehnsucht im Herzen, er sehnt sich nach einem unbekannten Gut, er weiß sich nicht zu fassen, seine Kräfte schwinden, bis endlich der Ton sich seiner erbarmt und kommt, um ihn abzurufen. Erfahrene Leute wollen behaupten, es sey der Ruf der alten heidnischen Göttin Diana, womit sie die armen Seelen in ihre teuflischen Liebesnetze lockt. So sprach der Jägersmann.«

Gotthold hatte diese lezten Worte mit unsicherer Stimme vorgebacht, und als er geendet, verbarg er sein Antlitz, und der Fremde gewahrte, wie dasselbe hinter den vorgehaltenen Händen bis zum Tode erbleichte; nach einer Pause nahm dieser das Wort:

»Laßt Euch durch dergleichen Dinge nicht anfechten, lieber Gotthold; wißt Ihr denn auch, ob das Ganze nicht ein Mährchen ist? Ich für meine Person wenigstens habe doch manche Forstreise gemacht, ohne von Seltsamkeiten der Art auch nur das Mindeste erfahren zu haben.«

Gotthold schüttelte das Haupt und sagte leise: »Wollte Gott, theurer Herr, es wäre dem so, und mein Leben und meine Jugend ständen noch vor mir, und ich hätte den entsetzlichen und doch so lieblichen Ruf nicht gehört – so aber –«

– Er verfiel bei diesen Worten von Neuem in tiefe Trauer, und der Fremde sah sich in die Nothwendigkeit versezt, ihn aus derselben emporzureißen, indem er fragte:

»Und was wußte der Jägersmann über die Ursache jener Stimme zu sagen?« –

»Nur Vermuthungen,« entgegnete Gotthold; »es gehe eine alte Sage, daß in weiten und wenig betretenen Wäldern, tief im undurchdringlichen Dickicht eine seltsame Blume blühe, die, wenn sie nach fünfzig oder hundert Jahren zum ersten Mal wieder blüht und ihre Krone dem Licht öffnet, jenen gräßlichen Ton von sich geben soll. Wie die Blume aussehe, hatte ihm niemand zu sagen gewußt; denn es sey das Seltsame an ihr, daß sie, wenn sie in der Mitternacht aufblühe, auch schon eine Stunde darauf in Staub zerfallen müsse. Wälder, wo die Stimme gehört worden, wo also die unheilbringende Blume wächst, werden von kundigen Waidmännern geflohen wie die Pest. Ach, hätte ich mich damals dem Jäger entdeckt, vielleicht wäre mir noch zu rathen gewesen, aber nun –«

– »Wie!« rief der Fremde, »Ihr gebt doch nicht alle Hoffnung auf?«

Gotthold erwiderte leise: »Wer einmal den Ruf vernommen, der muß ihm folgen, er mag wollen oder nicht.« –

»So verlaßt doch diesen häßlichen Wald,« rief der Begleiter heftig.

»Diesen häßlichen Wald?« erwiderte Gotthold weich; »nimmermehr! ich ihn verlassen? – und wo soll ich hinfliehen? die Bäume würden mich doch nicht hinauslassen, und draußen wüßte ich doch, daß ich vor Sehnsucht, hierher zurückzukehren, nicht leben könnte. Kann ich doch nicht einmal in die Kirche kommen, die ja nur ein Stündchen aus dem Forst hinausliegt. Ach, manchmal kommt es mir so vor, wenn ich das helle Kirchengeläute aus der Ferne höre, und dabei ganz schwach das goldene Morgenroth von dort herüber die Waldnacht durchbricht, als würde mein ganz tiefes Elend augenblicklich enden, wenn ich nur ein einziges Mal im schönen, hellen Gotteshause recht innig beten könnte; überhaupt wenn ich auch nur eine Stunde unter Menschen, unter lustigen, fröhlichen Menschen, bei kräftigem Sonnenschein froh seyn könnte und dabei ein lautes Gespräch geführt würde, nicht dieses leise Sprechen, wie die Bäume es pflegen, und wie's meine Seele verwundet und mich nicht schlafen läßt. Einst machte ich mich hinaus zum Dorfschulzen und saß mit den Lustigen lustig am Tische, da überfiel es mich auf einmal wie der Tod, wie der gewappnete Tod; mein Herz packte eine ungeheure Sehnsucht, zagend schleppte ich mich an das dunkle Fenster – siehe – da stand auch schon ein langer Baum vor der Hausthüre, welchen die andern Bäume nach mir geschickt hatten; er rauschte und sprach vernehmlich: In den Wald, in den Wald zurück! fort in den Wald! komm mit! – Fast ohnmächtig riß ich mich los von den Kameraden und stürzte fort; hinter mir humpelte der Baum, und alle Blätter und Zweige des Waldes rauschten und klatschten schadenfroh zusammen, als sie mich daherrennen sahen. Und so werde ich hier bleiben müssen, bis endlich der furchtbare und doch so unendlich süße Ton kommt und mich von der Erde nimmt.« –

»Ihr seyd krank, sehr krank!« rief nach einer Pause der Fremde, indem er bedenklich Gottholds Hand erfaßte. »Veränderung Eurer Lage und des Wohnorts wird das Beste thun, und ich werde dafür sorgen, daß Ihr von diesem Gewerbe, zu dem Ihr ganz und gar nicht tauglich seyd, je eher je lieber entfernt werdet.«

Beide brachen jezt das Gespräch ab und der Gast bemühte sich, heitere Gegenstände zur Sprache zu bringen. So gingen sie lange zusammen weiter; endlich bemerkte Gotthold, daß sie einen Irrweg eingeschlagen hatten, der tiefer in den Forst hineinleitete; da überdies der Tag sich zu neigen begann, lud der Förster den Fremden ein, auch diese Nacht wiederum sein Gast zu seyn, welches dieser auch nach einigen entschuldigenden Worten annahm. Beim Abendbrod ward mit keinem Worte mehr des vorhergegangenen Gesprächs gedacht. Man saß traulich beisammen bis spät in die Nacht hinein; der Fremde war ungewöhnlich heiter und seine gute Laune wuchs sichtlich, als es ihm nach und nach gelungen, seinen trübsinnigen Wirth merklich zu beleben.

Erst als die Sterne über dem einsamen Waldhause flimmerten, fand sich Gotthold in seinem stillen Zimmer allein. Der Schlaf floh ihn hartnäckig, immer neue und wunderliche Bilder fingen an, vor seinem Geiste aufzusteigen; er machte sich heftige Vorwürfe, daß er dem fremden Manne, den doch kein Interesse an ihn und sein Schicksal fesseln konnte, seine Geschichte erzählt hatte; dazu erschien ihm der Unbekannte, je länger er über ihn und sein plötzliches Erscheinen nachdachte, sonderbar und räthselhaft; er besann sich, daß er weder dessen Namen, noch etwas über sein Schicksal erfahren, und dennoch habe es ihm geschienen, als brauche er gar nicht nach dergleichen zu fragen, als sey eben dieser Fremde sein bester und innigster Vertrauter, mit dem er schon Jahrelang zusammen gelebt. Je mehr er diesen Gedanken sich ausdachte, desto gewisser wurde ihm seine Vermuthung; mancher Blick, manche Bemerkung des Fremden erschien ihm jezt klar und verständlich; er beschloß, augenblicklich hinzugehen und ihn zur Rede zu stellen.

Der Mond stand hell am Himmel und warf sein bläuliches Licht durch das offene Fenster, als er durch das Zimmer ging, wo sein Weib schlief. Sie lag im tiefen Schlafe, ihr Haupt hing weit zurück und ihre Rechte hielt noch immer das Waldröschen; Gotthold nahm die Blume, und ohne daß er wußte, was er that, zerknickte er sie und warf sie zum Fenster hinaus; ein Laut wie ein ängstlicher Seufzer entriß sich in diesem Augenblick dem Busen der Schlafenden, doch der Jäger schritt, ohne darauf zu achten, zum Zimmer hinaus. Auf der Hausflur merkte er am hellen Schein, der auf die Bäume vor dem Fenster fiel, daß der Fremde noch Licht in seinem Zimmer brenne, also noch wach sey. Er wollte sofort in's Zimmer, da fiel ihm ein, wie er leicht seinen Gast stören könne, und entschloß sich, leise an's Fenster hinauschleichend, zu erlauschen, womit dieser noch so spät beschäftigt seyn möchte.

Als Gotthold vor dem Fenster stand, gewahrte er, daß ein bläulicher Vorhang dieses verdecke; dennoch aber blieb zur Seite eine geringe Oeffnung übrig, die einen Blick in das Innere gestattete. Das Gemach war leer, in der Mitte auf einem Tischchen stand eine Kerze, nirgends zeigte sich der Fremde. Plötzlich gewahrte Gotthold zu seinem Schreck, daß dicht neben ihm der Schatten einer Gestalt hinfuhr, und in demselben Moment sank vor der Kerze eine Mädchengestalt nieder, deren lange goldgelbe Locken den schönsten Nacken überwallten. Ein leichtes helles Gewand lag den zarten Formen des Leibes an, die Arme und Hände waren frei und überaus schön; das Streiflicht der Kerze zeigte den Umriß der Wange und einen Theil des Busens. Nie hatte der Jäger eine reizendere Gestalt gesehen; eine Sehnsucht, wie er sie noch nie so mächtig empfunden, bemächtigte sich seines Wesens und ein unnennbares Entzücken füllte seine Brust.

Als er immer näher hinblickte, gewahrte er, daß das, was er für eine Kerze gehalten hatte, eine glänzende gelbe Blume war, die die blendenden Strahlen aus ihrem Kelch in magischer Fülle über Zimmer und Gestalt ausgoß; dabei glaubte sein Ohr Töne zu vernehmen, die aus weiter Ferne, wie in leisen harmonischen Schwingungen, durch die stille Luft zitterten und so lieblich, wie ein in Musik gebrachtes Geflüster der Waldbaume, mit dem Rauschen der Gebirgswasser verbunden, klangen. Gottholds Seele war ganz Entzücken. Alle wilden Gefühle seiner Jugend, die damals sein Glück gemacht, kehrten zurück und warfen eines nach dem andern ihre wilden Pechkränze in seine Brust; heller Sonnenglanz floß in seine Seele herab, mit weichem Flügelschlage berührten glänzende Geister sein Inneres und weiteten es zu einem Feenpallast aus, drinnen seine Sinne wie verkörperte Flammen herumgingen, und jeder streckte tausend glühende Arme nach der süßen Gestalt aus.

Seiner selbst nicht mehr mächtig, stürzte er auf das Fenster zu; doch in dem Augenblick fühlte er einen stechenden Schmerz im Auge, die knieende Gestalt sah sich um und Gotthold erkannte das gefürchtete Antlitz des Fremden; statt der Blume brannte eine gewöhnliche trübe Kerze vor ihm und ein aufgeschlagenes Buch lag auf dem Tische. Erschreckt und beschämt entwich der Jäger und kehrte, wie im Traume, in sein Gemach zurück. Der Mond war indeß untergegangen, die Morgenluft fuhr recht widrig durch's Fenster, und in vollem Unmuth hüllte er sich dicht in seine Decken, um in einen kurzen und unruhigen Schlummer zu sinken.

Am andern Morgen war der Fremde schon fort; bei Marien hatte er einen Gruß und Dank an Gotthold hinterlassen. Dieser hörte es wie im Traume und ging hinaus in den Wald. Bald darauf nahm das Leben wiederum seinen einförmigen, gewohnten Gang, nach wie vor, und des Fremden und jener Erscheinung ward weiter nicht mehr gedacht.

Der Winter war vergangen und der Frühling ließ seine Annäherung durch einen ganz besonders erquickenden Duft, der sich im ganzen Forst verbreitete, spüren. Der Förster, der bis jezt trübe und verstimmt gewesen, lebte nach alter Weise wieder auf, und es nahten die Tage, wo er die kleine Waldhütte am See zu beziehen pflegte. Um diese Zeit langte der alte Oheim von Gottholds Weibe im Forste an; er freute sich nicht wenig über das gute Aussehen und das lebhafte Wesen des Försters. Es wurden nun mancherlei fröhliche Gespräche geführt, und dem alten Manne ging das Herz auf und er that den Beiden die gute Botschaft kund, die ihn diesmal etwas früher als gewöhnlich in das Forsthaus geführt habe.

Wie er wohl merke, sprach er, so rücke ihm jezt das hohe Alter mit starken Schritten näher, und die gewohnte Ausübung seiner Berufspflicht, sowie die Handhabung der Geschäfte falle dem müden Körper und der geschwächten Seele immer schwerer, er sey darum gesonnen, sich in Ruhe zurückzuziehen und Gottholden, sowie seinem Weibe, die ansehnliche Wirtschaft abzutreten.

»Dann kannst Du auch, lieber Sohn,« fuhr er, zum Jäger gewendet, fort, »endlich einmal die magere Forststelle und den häßlichen Wald verlassen, in dem Du bis jezt, wie durch böse Künste gebannt, Dein Leben nur verkümmert genossen hast. Draußen im schönen sonnigen Thale, in der freien Gotteswelt ist es ein ganz anderes Ding, und ich mag mein Städtchen nicht um den Besitz des ansehnlichsten Forstes vertauschen, besonders wenn am lieben Sonntage der Schall der hellen Glocken von den leuchtenden Gebirgswänden wiedertönt, und des Abends in der Schenke beim Jubel der Geige und des Horns die bunte Jugend sich herumdreht.«

Gotthold zog bei diesen Worten des Greises ein unmuthiges Gesicht, aber sein Weib fing sie begierig auf, sie jauchzte laut, als der Oheim jezt weiter ging und erklärte, er sey dieses Mal lediglich deßwegen in den Forst gekommen, um ihnen beiden anzukündigen, daß er sie am liebsten jezt gleich mitnähme, da nach seinen Verordnungen im Städtchen Alles zu ihrem Empfang bereit stehe.

Marie wollte entzückt dem Greis um den Hals fallen, da gewahrte sie Gottholden, der ihr einen drohenden gebietenden Wink gab. Er war kaum wieder zu erkennen, sein Antlitz hatte eine starke Röthe überzogen, seine Augen rollten, und er rief scharf und laut:

»Blödsinniger alter Thor, so schweigt doch, und Du gemeines, plumpes Weib! schweigt, oder Ihr sollt meinen ganzen Zorn fühlen!«

Der Ohm und die Frau schracken bei diesen plötzlichen, wilden Zornworten so heftig zusammen, daß sie keines Lautes fähig waren und mit scheuer Angst dem Erzürnten in das verzerrte Antlitz blickten; dieser aber fuhr nach einer kleinen Pause fort:

»Ich möchte ganz neue Worte und Gedanken finden, um auszudrücken, wie grenzenlos zuwider Ihr mir seyd, und ganz besonders der einfältige Ohm, der es sich in den Sinn kommen läßt, meinen herrlichen Wald zu schelten. Hätte ich doch in meinem Leben mich nie mit Euch und dem Weibe da eingelassen, denn leider nur zu deutlich fühle ich, daß das Erdige, Koboldartige, Gemeine und Staubige, das Euren weiten grauen Aeckern, Landstraßen und Gebirgen anklebt, auch in eure plumpe Bildung übergegangen ist und meine klaren Sinne, meine kühle, frische Körperform verzerrt hat. Merkt man es denn nicht sogleich Euren blöden rothen Augen an, daß sie Jahrelang auf dem rauchigen Jammer da draußen, auf Feld, Kirche und Schenke gehaftet haben! Der heiße Strahl hat das Gebilde Eures Antlitzes zu einem Pilze aufgebläht, in dessen Mitte sich eine lallende Zunge mühsam regt, um all das ungesunde Zeug vorzubringen, das Euer verbranntes Gehirn ausheckt. Wie anders schaut der Waldmann, das Auge licht und hell, wie ein Vogelaug', das Gesicht blaß und zart, und ein kühler, grünlicher Waldschatten liegt beständig darauf und glättet es; die feinen Lippen sind wie Blumen am Waldquell, der ganze Bau des Körpers ist ein frischer Baum, in dessen glänzenden grünen, beweglichen Blättern der Frühlingswind lustig rauscht, und den bunte zierliche Vögel mit lautem singenden Gelächter beständig umschwärmen. Ich weiß es ja, daß meine Seele früher im Gewebe eines schönen Baumes verborgen schlief und so glücklich träumte; denn unter seinem Schatten sah ich die herrliche Waldblume blühen, und ich durfte ihr entzückt Jahrelang ins helle Antlitz schauen und mein Ohr weiden an den Himmelsklängen ihrer Stimme! O des holden Antlitzes, der süßen Stimme, der überirdischen Seligkeit! – Wann werde ich dich wiederschauen? wann werde ich den süßen Laut todbringender Sehnsucht wieder vernehmen? O Himmel, Himmel! – Wo bleibt dein entzückender Ruf, der die Bande dieses Leibs zerreissend, die bebende Seele zu dir bringt, Geliebte! Doch ich will nicht zürnen, mir ahnet, sie ist nah, die süße Stunde, und mein ganzes Wesen geht ihr mit Andacht, mit zitternder Bewegung leise entgegen.«

Gotthold ging, und ehe die Beiden sich von ihrem Erstaunen erholen konnten, hatten sie schon die dünne, grüne Gestalt des wunderlichen Mannes aus den Blicken verloren. Der Ohm war in tiefe Gedanken versunken, Marie weinte, und nur das Rauschen der Bäume im Forst, die ein nahendes Unwetter verkündeten, tönten durch die Stille, die nach dem Verschwinden des Jägers im Gemach herrschte.

Endlich nahm der Greis das Wort und sprach: »Unsere liebe Sonne, das herrliche grüne Gottesland da draußen schelten, und mit so bösen Worten – nein, das will mir nicht gefallen, das deutet auf eine schwere Verirrung. Gebe Gott, das die guten Geister seine Seele erfassen, damit sie nicht ins Verderben geht; laß sehen, meine Tochter, ob meine Stimme Gewalt über ihn hat, wenn ich im Namen dessen zu ihm rede, der aller Kreatur gebietet.« –

Das Gewitter war indeß herangerückt und schüttelte die alten hundertjährigen Eichen des Forstes, der Regen schoß in Strömen herab und jähe Blitze durchschnitten die Finsterniß, die sich über die Stube und den Wald draußen verbreitet hatte. In den Stößen des Sturmwindes klang es oft, als riefen mannichfaltige fremde Stimmen durch den Forst, ja, als zöge ein wilder Jagdzug mit Hundegebell und Hörnerklang dicht am Hause vorbei. Der Ohm hatte ein Gebetbuch aufgeschlagen und betete still vor sich hin, während Marie laut um den Abwesenden jammerte.

Dies bewog den Greis, seinen schon gefaßten Entschluß auszuführen. Indeß Marie sich auf einen Augenblick entfernte, schlich er sich aus dem Hause und machte sich auf den Weg in den tiefen Wald hinein, nach der Richtung zu, wo, wie er von Marien erfahren hatte, Gottholds Waldhütte sich befand. Der enge Fußpfad, bald mit Gestrüpp bedeckt, bald durch Baumäste verbaut, verzögerte die eilenden Schritte des alten Mannes; immer heftiger tobte das Wetter, immer lauter krachten die Donnerschläge, und oft mußte er Minutenlang stille stehen, ehe ein neuer leuchtender Blitz ihn die Umgebung und seinen Weg erkennen ließ.

Endlich war er an die Ufer des stillen Waldsees gelangt, ohne den Jäger zu finden; die Hütte war leer und öde, wie die Gegend umher; nur Waldraben und wildes Raubgeflügel fuhren laut kreischend durch die vom Sturm aneinander geschleuderten Bäume und flüchteten sich in den Schilf, der seine hohen, dürren Halme, von Regen und Wind gepeitscht, über sie zusammenschlug. Unschlüssig und zagend stand der Greis auf dem schauervollen Platz und gedachte schon, den Rückweg unverrichteter Sache anzutreten, als er plötzlich neben sich ein blasses Menschenantlitz gewahrte, welches ihn aus starren, gebrochenen Augen anblickte. Entsezt wich er zurück, doch als er nochmals hinblickte, erkannte er seinen Neffen, der an einen Baum gelehnt, unbeweglich starr dastand und das Haupt krampfhaft zurückgelehnt hatte. Er redete den Unglücklichen an, er schrie seinen Namen; doch immer blieb das verzerrte Todtenantlitz beim Leuchten der Blitze unbeweglich an seinem Platze; endlich rührte sich die Gestalt und gab Zeichen des Lebens.

Als Gotthold den Ohm erkannte, warf er sich mit ängstlichem Entzücken ihm um den Hals und rief mit seltsam aufgeregter Stimme: »Dem Himmel Dank, daß Ihr gekommen, edler Greis! ja, Ihr werdet, Ihr sollt mich retten; fort, fort von hier; sonst bin ich des Todes! Kommt, kommt, was Eure Kräfte vermögen.« –

»Mein Sohn, mein Sohn,« sprach der Greis gerührt, »mein armer Sohn, ja, ich bin gekommen, Dich zu retten. Dein unerklärliches böses Betragen hat mir gezeigt, daß Du in großer Gefahr bist; in einer Gefahr, aus der nur die barmherzige Allmacht Dich, Gefallenen, retten kann. Noch ist Zeit; in dem Namen Gottes verscheuche ich hiemit das schwarze Gesindel, die bösen Geister dieses Orts, und gebiete Dir, mir zu folgen.«

Er hatte es kaum geredet, als ein fürchterlicher Donnerschlag erscholl; der See rauschte, in seinen innersten Tiefen aufgerührt, mit grünlich weißem Schaume empor; wilde, kreischende und gellende Töne ließen sich in den Lüften hören, und in der Ferne im Forste hörte man das Krachen und Zusammenstürzen uralter Stämme.

Gotthold war ängstlich und bebend an des Alten Brust gesunken, jetzt klammerte er sich mit wildem Entsetzen an seinen Hals und hob sich auf seinen Rücken empor, indem er laut schrie: »Nur fort, Alter, laufe, was Deine Kräfte vermögen; fort, sonst ist Alles verloren.«

Der Greis strengte seine ganze Kraft an; dennoch drohten ihm die Knie zu brechen vor Erschütterung und der schweren Last. Als er dicht am See vorbeischritt, kreischte der Jäger auf und schrie: »Ha, Entsetzen, Entsetzen – da – da kommt es auf mich zu – es streckt die Arme nach mir aus – er ist's, er ist's – die gelbe Blume leuchtet auf seinem Haupt – hinab, hinab zu ihm!«

Mit diesen Worten stürzte die Last von den Schultern des Greises hinab, und in demselben Augenblicke schlugen auch die Wellen des schwarzen Sees über dem Jammervollen zusammen; durch die Ferne des Waldes ging aber ein Ton, der, lang und langsam verhallend, wie der erste Akkord eines feierlichen Chorals, mit dem dumpfen Rollen des Donners zusammenklang. Der Greis war in Ohnmacht dahingesunken.

Die Leiche des Försters wurde in den nächsten Tagen am Ufer des Sees gefunden, und die arme, unglückliche Wittwe verließ in Gesellschaft des Ohms den fürchterlichen Wald, den sie nie wieder betreten hat. Die Forststelle blieb lange Zeit ledig, denn die Sage vom gespenstigen Wald lebte im Munde des Volks lange Zeit fort.

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