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III.
Vindicta

Der Titel wird unten S. 27 f. erklärt: »Der Römische Sclav trug Verlangen, mit dem Freiheitsstabe, mit der vindicta, berührt zu werden ... Auch uns verlangt nach dem Freiheitsstabe.«

Forschungen über das Räthsel der mannmännlichen Liebe.

»Vincula frango.«

Von

Numa Numantius. Ulrichs benutzt zwar auch hier noch sein Pseudonym Numa Numantius, gibt aber, beginnend mit dieser Schrift, soviele Informationen über sich, daß er leicht zu identifizieren war.

*

»Vindicta.«

Kampf für Freiheit von Verfolgung.

Criminalistische Ausführungen und legislatorische Vorschläge. Forderung einer Revision der bestehenden Criminalgesetze. Urnische Tageschronik.

Dritte Schrift über männliche Liebe.

 

»Der Mensch soll nicht denken,
Ein andrer sei schlecht:
Von Gott hat ein jeder
Das nämliche Recht.«

»Unter der Erde« von F. v. Suppé.

 

Von Numa Numantius,

Mitglied des Deutschen Juristentages, Verfasser der zu Göttingen gekrönten academischen Preisschrift »de foro reconventiunis« und der zu Berlin des academischen Preises für würdig erkannten Schrift »de pace Westphalica«.

Leipzig, in Commission bei Heinrich Matthes. 1865.

*

Abkürzungen:

U, Us, Uen = Urning, Urnings, Urningen.
D, Ds, Den = Dioning, Dionings, Dioningen.
urn. = urnisch.
dion.= dionisch.

*

Vorbericht.

 

»Ich hab's gewagt!«

 

I. Erlebnisse von »Vindex« und »Inclusa« vor den Behörden, in der Presse und im Publikum.

a. »Vindex« und »Inclusa«, so jung sie sind, haben doch schon eine kleine Lebens- und Leidens-Geschichte. Und ebenso hat auch der Kampf schon eine kleine Geschichte, den ich begann durch das Wagniß ihrer Veröffentlichung.

b. Inclusa erschien im April 1864, Vindex im Mai. Am 20. Mai hat in Leipzig bei meinem Herrn Commissionsverleger H. Matthes das Königl. Sächsische Polizeiamt beide Schriften mit Beschlag belegt und sämmtliche vorhandenen Exemplare ihm genommen. Von Inclusa waren indeß 1350 Exemplare bereits versandt in alle Theile Deutschland's, zum Theil auch in's Ausland. Von Vindex dagegen fielen fast sämmtliche Exemplare der Polizei in die Hände.

c. Als ich diese Nachricht erhielt, schrieb ich, in erklärlicher Aufregung, die Worte nieder:

»Der heilige Hieronymus Hieronymus (350-420): Ich will nicht, daß jemand, der eines Vergehens verdächtigt wird, gegenüber denen, die um seine Unschuld nicht wissen, voller Geduld ist. sagt (epist. 38.):

»Nolo, in suspicione« alicujus peccati »quemquam esse patientem apud eos, qui ignorant ejus innocentiam.«

Das sind Worte der Gerechtigkeit. Von mir aber verlangt man, den Verdacht der Schuld schweigend zu ertragen. Und

» Audiatur et altera pars« Auch die andere Seite muß gehört werden: »Uralter Rechtssatz, nicht erst römisch«. Vgl. Liebs, Lateinische Rechtsregeln S. 32.

sagt ein altes Wort, das auf der ganzen Erde anerkannt ist. Wohlan! ich begehrte, gehört zu werden von Wissenschaft und Vernunft schweren Beschuldigungen gegenüber, die man maßlos aufhäuft auf mein und meiner Schicksalsgenossen Haupt. Mir aber schneidet man polizeilich die Vertheidigung ab. Statt mich zu widerlegen, haltet ihr mir den Mund zu. Erröthet ihr nicht?«

d. Am 26. Mai 1864 gelangte die Beschlagnahme vor dem Königl. Sächsischen Bezirksgericht zu Leipzig zur Verhandlung.

Der Staatsanwalt Hoffmann beschuldigte meine Schriften verschiedener Verstöße wider das Strafgesetz, namentlich wider Art. 127. u. 360. (!) Art. 127. verbietet: α. die Rechtsinstitute der Ehe oder der Familie herabzuwürdigen, β. verbotene Handlungen als ehrenvoll oder verdienstlich darzustellen. Art. 360. verbietet Verletzung der Sittlichkeit durch unzüchtige Reden.

e. Das Gericht erkannte:

»in den Schriften sei nichts zu finden, was gegen die Art. 127. u. 360. verstoße. Der gewählte Stoff sei vielmehr in durchaus ernster wissenschaftlicher Form behandelt. So weit er nicht erörtert werden konnte ohne Berührung geschlechtlicher Verhältnisse, sei dies geschehen unter unverkennbar vorsichtiger Vermeidung von Verstößen gegen Sittlichkeit und Schamgefühl

f. Außerdem ist noch ein anderer Satz des Urtheils vom 26. Mai von Interesse:

»Der Inhalt scheine geeignet, die Meinung zu erwecken, gewisse von den bestehenden Gesetzen verpönte Handlungen seien moralisch, ja schon nach den geltenden Gesetzen, nicht strafbar. Insofern könne nun derselbe zwar wohl für gefährlich erachtet werden, jedoch noch nicht für verbrecherisch.«

Die angebliche Gefährlichkeit muß ich bestreiten. Ist es nicht gefährlich, dem protestantischen Christen die Bibel in die Hand zu geben, um selbstständig darin zu forschen und über den Inhalt derselben wissenschaftlich zu discutiren, so kann es auch nicht gefährlich sein, wenn ich über den Inhalt der bestehenden Deutschen Strafgesetze wissenschaftlich discutire. Mehr aber habe ich nicht gethan. Habe ich falsch discutirt, so steht es cuilibet ex populo jedermann frei, mich zu widerlegen. Anerkennt aber das Gericht, der Inhalt meiner Schriften sei geeignet, die Meinung zu erwecken, angeblich unter das Strafgesetz fallende Handlungen seien nach der richtigen Interpretation nicht verpönt, so ist er offenbar gar nicht dem Gesetze selbst gefährlich, sondern nur derjenigen von mir als irrig bezeichneten Interpretation des Gesetzes, welche factisch in Uebung steht. Eine factisch in Uebung stehende Interpretation des Gesetzes aber unter Anführung theoretisch-wissenschaftlicher Gründe als irrig zu bezeichnen, ist in der civilisirten Welt noch nie ein Verbrechen gewesen und kann m. Er., wenigstens im Rechtsstaat, auch nie als gemeingefährlich gelten. Daß aber das Gericht durch obigen Ausspruch indirect meine Schriften der in Uebung stehenden Interpretation für gefährlich erklärt, kann ich mir nur zur Ehre anrechnen.

g. Demgemäß gab nun das Gericht beide Schriften wieder frei und der Staatsanwalt erklärte ausdrücklich, bei dem Ausspruche des Gerichts fasse er Beruhigung; wie er denn auch noch am selben Tage die 1128 Stück arretirter Hefte Herrn Mattbes wieder zur Verfügung stellte.

Jedenfalls haben sich Richter und Staatsanwalt in Leipzig als vollkommen fähig bewiesen, bei Prüfung meiner Schriften lediglich den objectiv prüfenden Verstand walten zu lassen und der blinden Leidenschaft subjectiver Antipathie jede Einflußnahme auf die Prüfung zu versagen.

»Vincula frango!« mit dieser Loosung traten beide Schriften auf den Kampfplatz. Nun, sie haben ihren Schlachtruf wahr gemacht.

h. Beschlagnahme und Freigabe machten Aufsehen in der Presse. Drei Leipziger Zeitungen vom 20. bez. 21. Mai, »Deutsche Allg. Z.«, »Nachrichten« und »Tageblatt«, meldeten die Beschlagnahme, zum Theil in äußerst gehässigen Worten, z. B.: »durchaus unsittlicher Inhalt« (Tageblatt), »aller Sittlichkeit Hohn sprechender Inhalt« (D. A. Z.). Während übrigens das Tageblatt erklärte: »der Titel sei nicht einmal geeignet, öffentlich genannt zu werden«, wollten die »Nachrichten« die Verschämtheit doch wenigstens nicht bis zu diesem Grade steigern, indem sie vielmehr unbedenklich den vollen Titel brachten.

Hinterher brachten alle drei Blätter ziemlich kleinlaut die gerichtliche Freigabe, ohne indeß obige für Verfasser und Verleger so kränkenden Ausdrücke zurückzunehmen.

i. »D. A. Z.«, deren herrlichtönendes Motto ich anrief: »Wahrheit und Recht, Freiheit und Gesetz!«, gewährte mir am 18. Juni die Gerechtigkeit, ein Eingesandt von mir unverkürzt aufzunehmen, worin ich dem angeblichen »Hohnsprechen gegen die Sittlichkeit« gegenüberstelle die mich rechtfertigenden Worte des gerichtlichen Urtheils. In einer Redactionsbemerkung erklärt »D. A. Z.«, der gebrachte erste, kränkende, Artikel enthalte nicht das Urtheil der Redaction. (Dagegen schweigt sie zu einem Satze des Eingesandt, den sie nur einfach abdruckt: »Jene gleichzeitigen« (die kränkenden) »Artikel trugen an ihrer Stirn das Gepräge, dem Schooße des Polizeibureau ihr Dasein zu verdanken.«) – Durch die Aufnahme meiner Erwiederung hat »D. A. Z.« ihrem Motto Ehre gemacht und in der That bewiesen, daß es ihr mehr ist, als eine ausgehängte Schelle.

k. Am 22. Juli brachte auch das »Tageblatt« eine Erwiederung von mir. Darin gewährte es mir namentlich die Genugthuung, daß es diesmal, die frühere Prüderie abstreifend, den Titel vollständig nannte, und zwar sogar mit gesperrter Schrift.

Auch die »Mitteldeutsche Volkszeitung« zu Leipzig (vom 17. Juni), die sich bis dahin noch nicht betheiligt hatte, brachte eine Rechtfertigung, die ich ihr gesandt.

l. Weniger Gerechtigkeitsgefühl für die von mir vertheidigte Sache fand ich bei anderen Deutschen Zeitungen. So namentlich bei einer Zeitung, die Zeit ihres Bestehens sich stets ganz besonders laut gerühmt hat zu kämpfen für »Wahrheit und Gerechtigkeit«. Ich meine die in Hannover erscheinende » Zeitung für Norddeutschland«. Ihr sandte ich am 11. Juni 1864 einen ähnlichen Artikel, wie den drei zuletztgenannten Leipziger Zeitungen, und schrieb dabei der Redaction:

»An der öffentlichen Erwähnung der beiden Schriften ist mir gelegen, um in Kreisen der Wissenschaft, bei Aerzten und Juristen, endlich einmal Prüfung und Discussion mit Vernunftgründen zu veranlassen statt des bisherigen – freilich bequemeren – Wegwerfens durch die blinde Antipathie. Meine Schriften sind die Stimme einer social gänzlich unterdrückten Menschenklasse, welche sich aufrafft zu der Forderung:

gehört zu werden.

Wäre es nicht grausam, ihr den Mund zu verschließen, damit niemand ihre Vertheidigung höre? Gerade die Presse sollte des allgemeinen Menschenrechts auf Vertheidigung eingedenk sein. Ich appellire daher an das Gerechtigkeitsgefühl der Redaction, wenn ich diesen Artikel aufzunehmen bitte.«

»Z. f. N.« ist aber über meinen Schriften zur Tagesordnung übergegangen. Ganz wie die Leipziger Polizei, hat sie gethan, was in ihren Kräften stand, meine Schrift, d. i. meinen Schrei um Gerechtigkeit, zu ersticken. – So viel von dem Gerechtigkeitssinn der »Z. f. N.«

m. Ein anderes in Hannover erscheinendes Blatt, »Neue Hannover'sche Anzeigen«, hat am 12. Juli einen ausführlichen Artikel über Beschlagnahme und Freigabe gebracht.

Kleine Notizen darüber sind außerdem aus den Leipziger Zeitungen in die meisten Deutschen Blätter übergegangen.

Die Leipziger »Illustrirte Zeitung«, deren ich unten (§. 3. §. 4.) erwähne unter den »für Wahrheit und Gerechtigkeit kämpfenden« Blättern, hat meiner (§.4. ausgesprochenen) allgemeinen Meinung über solche Blätter entsprochen. Schon eine einfache Ankündigung der beiden Schriften hat sie abgelehnt. Andere dagegen, wie z. B. Berliner » Volks-Zeitung« und » Allgemeine Zeitung« (Augsburg), haben die Ankündigung gebracht.

Größere Notiznahmen in der Presse scheinen fast (z. B. in Oesterreich oder am Rhein) stattgefunden zu haben, ohne mir jedoch speciell bekannt geworden zu sein.

mm. Die Staatsbibliothek der freien Stadt Frankfurt hat beide Schriften ihrem Bücherschatze einverleibt.

Im Mai 1864 überreichte ein Urning dem Polizeidirector einer Deutschen Hauptstadt »Vindex«. Im Juni flüsterte dieser ihm zu: »So etwas verbreitet man nicht!«

Nach den Mittheilungen meines Herrn Buchhändlers aus dem August scheint sowohl von Vindex wie von Inclusa die Auflage bereits fast vergriffen zu sein. Der Absatz scheint sich ganz speciell beschränkt zu haben auf Sachsen, Rheinpreußen, Baden und Oesterreich.

II. Aeußerungen von Dioningen über den Inhalt meiner Schriften.

n. Ein günstiges Zeichen, dessen entschiedener Werth nicht unterschätzt werden kann, ist der Umstand, daß die nachstehend erwähnten Zuschriften sämmtlich frei sind von jenem Hohne und jener Bitterkeit, womit Dioningsäußerungen über urnische Liebe bisher unumgänglich stets gesättigt und getränkt sein mußten.

o. 1) Herr Otto Rösler in Leipzig schreibt mir am 23. Juli 1864:

»... Ihre Schrift hat mich lebhaft interessirt, weil sie etwas ganz dunkles aufhellt ... Mir ist es indeß zweifelhaft, ob Sie die rechte heilige Liebe erfaßt haben, oder ob Sie vielleicht nur auf einer Stufe zur Liebe befangen sind.«

Ich habe Herrn Rösler bereits aufmerksam gemacht: das müßten doch eigenthümlich organisirte Menschen sein, jedenfalls nicht echte Männer, sondern ebenfalls wieder abnorme Naturen, denen mit der Pubertät zuerst weibliche Liebe komme, und erst nach dem 30., 40. oder 50. Lebensjahre, wenn die Zeugungskraft bereite dahin ist, die männliche. Dem echten Manne kommt ja männliche Liebe sofort mit der Pubertät, ohne alle weibliche Zwischenstufe. Nein, Herr Rösler: wir Urninge haben wirklich die rechte heilige Liebe erfaßt.

p. 2) Herr Pastor B. zu O. in Hannover, Protestant, schreibt mir am 2. August 1864 über sich und seinen Sohn, einen Arzt von Ruf in der Hannover'schen Stadt C.:

»Ich habe die Inclusa mit dem größten Interesse gelesen. Auch mein Sohn hat sie geprüft. Wir haben darüber ein weites und breites mit einander gesprochen, freilich ohne bislang zu einem Resultat gelangt zu sein. Ich kann Ihre Ansicht nicht reimen mit dem Glauben an einen vollkommenen Schöpfer, auch nicht mit dem an einen gerechten Gott.« (Aber Zwitter und Mißgeburten?) (Folgt eine Theorie über Entstehung urnischer Liebe, die ich im folgenden Hefte, »Formatrix«, beleuchten werde.) » Mein Sohn dagegen neigt sich zu Ihrer Ansicht ... Zu Ihrem Trost kann ich Ihnen jedoch sagen, daß Ihr Buch in mir das Gefühl des Mitleidens um vieles vergrößert hat und daß ich wünsche, Ihr Buch möge dazu beitragen, das traurige Schicksal derselben zu mildern. Ich bin sehr gespannt, von den Wirkungen desselben zu vernehmen.«

Diese Aeußerung des würdigen Geistlichen halte ich für eine echt Christliche!

q. 3) Herr Obergerichtsanwalt Weinhagen in Hildesheim schreibt mir am 19. Juni 1804:

»Im allgemeinen stimme ich mit Ihren angedeuteten Ansichten überein, namentlich insofern, daß der Staat die Hand vom Tisch lassen soll

r. 4) Ein mir aufrichtig befreundeter Dioning, Namens T. Heinrich August Tewes (1831-1913), Rechtsprofessor in Graz, der mit Ulrichs bis zu dessen Tod freundschaftlich verbunden blieb., Professor der Jurisprudenz an einer süddeutschen Universität, schreibt mir am 15. August 1864:

»Ich habe bemerkt, daß die meisten der hochgebildeten gegen Aufklärung in dieser Sache absichtlich sich sträuben. Mir fällt dabei immer ein Leibnitz und die Hexenprozesse.«

Er scheint ein wahres Wort gesprochen zu haben. Ich möchte sagen:

Es ist leichter, daß ein Kameel durch ein Nadelöhr gehe, denn daß ein Dioning seinen Verstand frei mache von seiner blinden Antipathie gegen urnische Liebe.

Daß diese Emancipation dennoch aber möglich sei, und zwar selbst bei hochgebildeten, beweist eben mein Freund selbst. Früher schrieb er mir stets: »in diesem Punkte sei er durchaus nicht klar über mich.« Jetzt aber schreibt er unumwunden und rückhaltlos:

»Deine beiden Schriften« (Vindex und Inclusa) » haben mich vollständig auf deine Seite gebracht

Ferner schreibt er:

»Du wirst lachen: ich stehe hier fast im Verdacht, selber Urning zu sein, da ich so oft das Gespräch darauf bringe.«

So ungezwungen sind Dioninge also doch fähig sich über urnische Liebe zu äußern. Das nenne ich wahre Freisinnigkeit! Tausend solcher Dioninge in Deutschland: und wir Urninge haben gewonnen Spiel!

In meinem Kampfe steht er jetzt so sehr auf meiner Seite, daß er einen Aufsatz über die Leipziger Affaire durch einen Italiäner, ebenfalls Dioning, hat in's Italiänische übersetzen lassen und ihn an eine Triester Zeitung gesandt hat, welche ihn freilich nicht aufgenommen.

s. 5) Herr Professor der Medicin R. Virchow (1821-1902) begründete die Zellularpathologie. Hirschfeld merkt in der Neuausgabe von 1898 (S. 16) an: »Später Unterzeichnete Virchow das Gutachten der königl. preussischen wissenschaftlichen Deputation für das Medizinalwesen vom 24. März 1869, welches energisch für die Abschaffung des Urningsparagraphen eintrat.« Siehe XII. Critische Pfeile S. 25 f. in Berlin schreibt mir am 19. August 1864:

»Geehrter Herr!

»Obgleich eben im Aufbruch zu einer größeren Reise, habe ich doch Ihre interessante Schrift gelesen und mit gerechtem Ernste überdacht. Ich will Ihnen in Kürze meine Meinung sagen.

Ihre Darstellung scheint mir nicht offen genug zu sein ...

» Gegen Ihre Auseinandersetzungen von dem weiblichen Gemüth in einem männlichen Körper habe ich nichts einzuwenden. Dem Manne Ihrer Wahl, Ihrem Geliebten, fühlen Sie sich als Weib gegenüber. Im Gegentheil: das ist ein überaus wichtiger Gegenstand, und Ihre Ausführungen haben ihn in der That nicht ohne Erfolg dargelegt.«

Die Schlüsse freilich glaubt Virchow anfechten zu können, die ich ziehe aus dem Angeborensein dieses Organismus auf das Erlaubtsein urnischen Liebesgenusses. Bei meinen Aeußerungen über den urnischen Liebesgenuß habe ich zugleich das Unglück, von ihm mißverstanden zu werden. Seine Einwürfe werde ich in »Ara spei« prüfen. Seine Zustimmung zu meiner Theorie von dem weiblichen Gemüth im männlichen Körper ist jedoch für die Sache des Uranismus jedenfalls von dem entschiedensten Werthe.

III. Urnische Tageschronik.

t. Schon während des Druckes und seither erfuhr ich, theils durch Berichte von Urningen, über Criminaluntersuchungen und Verhaftungen, welche man neuerdings wegen urnischer Liebe über Urninge verhängt hat. Namentlich dreier Fälle will ich erwähnen. In allen drei Fällen sind die Persönlichkeiten mir völlig fremd.

u. 1. In Darmstadt war ein Urning Namens L., ein noch junger Kaufmann, in Haft. Ich wußte nicht, bei welchem Gericht. Gleichwohl hielt ich mich entschieden berufen, zu seinen Gunsten einzuschreiten. Am 13. December 1863 sandte ich daher von Achim aus ein gedrucktes Exemplar des damals noch nicht publicirten Vindex an das großh. Hess. Justizministerium zu Darmstadt. Im Begleitschreiben, in welchem ich ein Petitum ausdrücklich nicht stellte, sagte ich:

»Ich nehme vielmehr an, großh. Justizministerium werde das allerhöchste eigene Interesse daran haben, daß im Großherzogthum von den Gerichten nicht aus naturwissenschaftlichem Irrthum die schreiendsten Gesetzwidrigkeiten vollzogen werden gegen vollkommen unschuldige.

»Sollte etc. L. bereits von Haft befreit sein, so wird die Aufklärung des unseligen naturwissenschaftlichen Irrthums, die meine Schrift hoffentlich enthält, dennoch früh genug kommen, um tausend andere unglückliche zu retten vor unverdienten und gegen sie m. Er. durchaus ungesetzlichen Criminaluntersuchungen.«

Was that das Hessische Justizministerium? Ich muß gestehen, ich war selber gespannt. Da ich Namen und Wohnort von mir angegeben hatte, so übersandte es Vindex und Begleitschreiben an das kön. Hannoversche Justizministerium mit dem Ersuchen, beides mir zurückzugeben und mir zugleich eröffnen zu wollen:

»Weitere Eingaben in gleichem Betreff werde das großh. Justizministerium unberücksichtigt lassen.«

Das Hannover'sche Justizministerium aber entledigte sich dieses Ersuchens, indem es zugleich seinerseits vor Publication ähnlicher Schriften mich » entschieden warnte«.

Ohne alle Frage war diese letzte Warnung eine subjectiv durchaus gutgemeinte; wie ich denn vor dem Manne, von dem sie ausging, wahre Hochachtung hege. Daher kam es denn, daß dieselbe in der That des tiefsten Eindrucks auf mich nicht verfehlte.

Am 6. Januar 1864 erbat ich daher schriftlich Aufklärung: welcher Art die Motive der mir ertheilten Warnung seien? mit der Erklärung: eventuell sei ich gar nicht abgeneigt, von der Publication einstweilen abzustehen. Es war ja denkbar, daß das Hannover'sche Ministerium die Publication unlieb ansehe, materiell aber meine Schriften zu berücksichtigen geneigt sei, dann aber zu hoffen, durch solches sein Beispiel, wie etwa durch Communication mit anderen Regierungen, werde es für meine Sache wirken. Als nach Monaten eine Antwort nicht erfolgte, hielt ich mich an die abgegebene Erklärung nicht mehr gebunden. Unter diesen Umständen erschien mir vielmehr eine längere Zögerung mit der Publication der beiden Schriften als eine Versündigung an der Sache der Gerechtigkeit, deren Vorkämpferschaft ich zu ergreifen entschlossen war.

So ließ ich denn im März der Publication freien Lauf.

v. 2) Am 31. Mai 1864 brachte das Hannover'sche »Tageblatt« die Nachricht von einer in Hildesheim gegen einen Urning Namens E–d, vormaligen Staatsdiener, eingeleiteten Criminaluntersuchung. Eingesandts an Hannover'sche und Hildesheimer Blätter, sogar an das Tageblatt selbst, wurden schnöde zurückgewiesen, obgleich der Verleger des einen ein naher Verwandter des E–d ist. Um doch etwas für ihn zu thun, wandte ich mich an den Hildesheimer Obergerichtsanwalt W. Dieser rieth mir, meine beiden Schriften dem dortigen Staatsanwalt wie auch dem Untersuchungsrichter einzusenden. Dies habe ich demnach auch sofort gethan.

w. 3) Im Juli 1864 ward mir berichtet, in Mannheim sei ein Urning in Haft Namens E–r Johann Baptist Schweitzer; siehe zu II. Inclusa S. 35.. In Mannheim hatte man auch im J. 1862 jenen in Haft gehabt und bestraft, dessen Inclusa §. 51. Note erwähnt. Schon damals hatte ich eine Art von Vertheidigung für diesen zusammengestellt und durch die Post in zwei Briefen an den verhafteten gesandt. Damals war der eine Brief – indeß nur durch ein Versehen – dem verhafteten zu Händen gelangt. Den anderen hatte der Untersuchungsrichter zu den Untersuchungsacten genommen. Darum sandte ich denn jetzt (am 10. Juli 1864) den Vindex an den Untersuchungsrichter in Mannheim mit ausdrücklicher Bitte, ihn zu den Untersuchungsacten nehmen und dem Vertheidiger zugänglich machen zu wollen. Angekommen und angenommen ist die Sendung ohne Zweifel. Zurückgesandt wenigstens ist sie nicht.

Zugleich glaubte ich für die moralische Ehrenrettung des verhafteten das meinige thun zu müssen. Ich erließ daher ein zweimaliges Insert an die »Badische Landeszeitung« (vom 13. und 15. Juli 1864), worin ich, auf Vindex hinweisend, sage:

»Ob, was hier vorliegt, ein unnatürliches Laster sei? wolle man doch nicht nach dem äußeren Scheine ohne Prüfung bejahen.«

Dem Vermittler dieses Inserts (Herrn E–e in Karlsruhe, Dioning) sage ich nochmals meinen Dank. Weniger Dank bin ich schuldig dem Redacteur, welcher mir versprach, den Aufsatz »möglichst billig«, und zwar als Eingesandt, zu behandeln, hernach aber die volle Gebühr von mir einzog und für mein volles Geld dem »Eingesandt« noch dazu den allerungünstigsten Platz unter den Inserten anwies.

x. Das Resultat aller drei Untersuchungen ist mir leider noch nicht bekannt, da man mir mangelhaft berichtet, freilich auch nicht wohl anders berichten kann. Nur die Hildesheimische scheint niedergelegt zu sein. Aus welchen Gründen? ist mir jedoch unklar. Der Mannheimer Angeklagte ist, laut eines Briefes vom Mittelrhein vom 5. Sept., noch immer in Haft.

y. Beim Consistorium zu Hannover ist gegenwärtig ein Ehescheidungsprozeß anhängig zwischen einem verheiratheten Urning aus dem Dorfe G. und seiner Ehefrau, in welchem im Laufe d. J. zu den Acten constatirt worden ist, daß der U nur ein einziges Mal, nämlich in der Hochzeitsnacht, versucht hat, seinen ehelichen Pflichten zu genügen, daß dieser Versuch aber, trotz vielfacher beiderseitiger Bemühungen, ein gänzlich vergeblicher gewesen ist.

z. Belgien. Vor kurzem wurden drei Urninge, den reichsten und ältesten Familien des Landes angehörig, ein Comte Méry d'Argenton, ein Comte de Villekers und ein Comte Cornès, wie man mir mittheilt, in Brüssel in flagranti ergriffen und ein jeder zu zwei Jahren Zuchthaus verurtheilt.

α. Der bekannte Führer der Belgischen Liberalen, der gefeierte Deputirte Baron Armand Perceval, mußte auf den bloßen Verdacht hin fliehen, ebenfalls ganz kürzlich, und lebt nun in Paris.

β. Am 31. August 1864 erfolgte, nach den Zeitungen, zu Wien eine Gerichtsverhandlung wegen »Verbrechens der Unzucht gegen die Natur«. Sie endete mit Schulldlossprechung.

γ. Für Mitte Septembers stehen in Wien die Gerichtsverhandlungen an wider Andreas Neudasti und August Wlach wegen »Verbrechens der Unzucht gegen die Natur«.

γγ. Nachtrag vom 1. Oct. In Hamburg Ende September zwei fremde Arbeiter verhaftet wegen »unnatürlicher Lüste«. »Weitere Verhaftungen werden folgen. Die Sache hängt noch zusammen mit der früheren von St. Georg und scheint zur Wiederaufnahme der Untersuchung zu führen.« (»H. Ref.«)

δ. Schließlich habe ich noch einen Fall aus Botzen in Tyrol zu registriren, welcher beweist, mit welch' rasender Verblendung noch immer gegen urnische Liebe gewüthet wird. Ich berichte über ihn nach der Wiener »Presse«. Am 3. Sept. 1864 stand vor den Schranken des Botzener Kreisgerichts ein Geistlicher Pfarrer Hofer, der in IV. Formatrix namentlich genannt wird. aus Passeier, 43 Jahr alt. Das Gericht war mit fünf Richtern besetzt. Er ward angeklagt der »Schändung, der Unzucht wider die Natur und der Verführung zur Unzucht«. (O Gott, wie erfinderisch seid ihr doch gewesen in der Schaffung beschimpfender Ausdrücke für eine Beschimpfung nicht verdienende Sache! »Verführung«?! Klingt es nicht wie Spott? Ein erwachsener junger Mann und sich »verführen« lassen! Ein erwachsener junger Mann wird nicht verführt: er giebt seine Einwilligung!) Dabei ward als erschwerend angeführt, daß er schon zwölf Jahre lang die jungen Männer verführte. (Es ist doch wirklich großartig! Der Mann ist 43 Jahr alt, hat also bis zum 31sten Jahre den schrecklichen Kampf gegen die Natur heldenmüthig gekämpft und erst von da an der Natur ihre Rechte gewährt: und das soll eine Erschwerung sein? Wie macht ihr es denn, ihr Herren, die über ihn zu Gericht gesessen haben, die ihn denunciirt, die ihn angeklagt haben? Wie machen Sie es, Herr Correspondent, der Sie diesen Fall der »Presse« berichtet haben, und Sie, Herr Redacteur der »Presse«, der den Artikel ausgenommen hat, und Sie, meine Herren Redacteure des »Frankfurter Journals« und der übrigen Zeitungen, die ihn abgedruckt haben? Haben Sie wohl gekämpft bis zum 31. Jahre, bis Sie der Natur den Tribut zollten? Und Sie entblöden sich nicht, meine Herren, vor dem einfältigen Publikum, das den Zeitungen auf's Wort glaubt, hier von einer Erschwerung reden zu wollen?) Als erschwerend ward ferner angeführt, daß er selbst den Beichtstuhl mißbrauchte. (In diesem einen Punkte trifft den Angeklagten auch nach meinem Dafürhalten eine Schuld, und zwar eine sehr schwere. Dies ist eine arge Entweihung des heiligen Sacraments. Nicht aber gebe ich euch Recht, wenn ihr dies geltend zu machen euch erdreistet, z. B. ihr Herren vom »Fr. Journal«, in dessen Spalten unter anderem vor zwei Jahren einmal anstatt der Taufe auf den dreieinigen Gott plaidirt ward für eine Taufe auf Freiheit, Wahrheit und Genius. Die Entweihung des Beichtstuhls gehört meines Erachtens auch nicht einmal vor den weltlichen Richter, sondern, als Disciplinarsache, vor den Bischof. Daß er aber der Natur ihren Tribut zollte, obgleich er Geistlicher war, sollte doch billig denkenden nicht als erschwerend erscheinen. Ist denn der Geistliche geschlechtsloser Eunuch oder geschlechtsloser Engel vom Himmel? Hat nicht die Natur auch ihm wie euch den Geschlechtstrieb gegeben? Daß er endlich der Natur den Tribut zollte, obgleich er als katholischer Geistlicher ein Gelübde abgelegt hatte: das solltet doch ihr wenigstens verschmähen zu urgiren, die ihr – mit mir – gegen die Ablegung solcher Gelübde eifert. Für deren Uebertretung, wenn die Natur pochend und stachelnd ihr Recht fordert, solltet doch ihr wenigstens Worte der Milde haben. Was den Staat betrifft, so hat er ihm ein Gelübde nicht geleistet. Das Gelübde, das er ablegte, ist res inter alios acta Res inter alios acta alteri non nocet: Abmachungen unter den einen schaden keinem andern. Vgl. Liebs, Lateinische Rechtsregeln S. 188.. Den Staat kann daher der Bruch des Gelübdes nicht kümmern. Er hat kein Recht, ihn zu strafen.) Auf 17 junge Männer fiel der Verdacht der »Mitschuld« (d. i. der Verdacht, ihm Gunst gewährt zu haben). Indeß wurden nur 7 in die Untersuchung mit hineingezogen. Diese waren am 3. Sept. Mitangeklagte. »Darunter einige wohl über 20 Jahr alt«, sagt wörtlich der Correspondent: und doch nennt er das »Verbrechen« leichtfertig hin » Knabenschändung«! [Ich setze voraus, daß Gewaltthat und sonstige Excesse (s. unten §. 51.) nicht vorliegen.] Die Verhandlung vom 3. Sept. war geheim. Am 4. Sept. ward das Urtheil gesprochen. Der Gerichtshof nahm »fast den höchsten Strafsatz« an: er verurtheilte den Hauptangeklagten zu neun Jahren schweren Kerkers, verschärft mit Fasttagen, die Mitangeklagten zu Freiheitsstrafen von zwei bis vier Monaten.

Haltet ein! besinnt euch! ihr Verfolger. Man möchte wahrlich rufen: »Vater, vergieb ihnen, denn sie wissen nicht, was sie thun!« Neun Jahre schweren Kerkers dafür, daß ein Mensch, ein Mensch! seiner Natur gefolgt ist! Von Menschen zuerkannt! Hört es, ihr Dioninge! Dies muß, dies wird anders werden!!

Vor allen anderen wende ich mich an die Abgeordneten des Oesterreichischen Reichstages – denn die Verantwortung trifft ja weniger die Richter, als die Gesetzgeber – und an die Oesterreichischen Mitglieder des Deutschen Juristentages, damit sie beiderseits einwirken mögen auf die eben jetzt in Wien berathende Commission zur Revision des Oesterreichischen Strafgesetzbuchs von 1852.

Uebrigens bin ich heute, am 10. September, da ich diese Nachricht zu Gesicht bekomme, sofort vorläufig eingeschritten durch eine Sendung an Staatsanwalt und Kreisgericht zu Botzen. Sobald gegenwärtige Schrift erschienen sein wird, werde ich mich auch berufen fühlen, ein Exemplar derselben an das k. k. Justizministerium einzusenden mit der Bitte um Gnade.

IV. Urnischer Sprechsaal.

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ε. Durch Vermittelung meines Herrn Buchhändlers sind mir verschiedene Zuschriften zugegangen, theils anonyme, theils Unterzeichnete, die sich wohlwollend über beide Schriften aussprechen, nicht nur von Urningen, sondern auch von Dioningen, aus Deutschland wie von jenseit der Deutschen Gränzen. Meinen Dank!

Numa Numantius.

Aufforderung. Hirschfeld merkt in der Neuausgabe von 1898 (S. 23) an: »Trotzdem heute die ganze Frage wesentlich geklärter liegt wie zur Zeit des ersten Erscheinens von Vindicta, so nimmt auch noch jetzt die Spohr’sche Verlagsbuchhandlung in Leipzig Material über homosexuelle Verfolgungen, Vorgänge etc. bereitwilligst entgegen.«

ζ. Alle Urninge, aber auch alle nach Wahrheit ringenden Dioninge, ersuche ich, durch Vermittlung der auf dem Titel genannten Buchhandlung Zur Spohrschen Verlagsbuchhandlung vgl. Manfred Herzer, Max Spohr, Adolf Brand, Bernhard Zack – drei Verleger schwuler Emanzipationsliteratur in der Kaiserzeit, in: Capri. Zeitschrift für schwule Geschichte, 4. Jg. (1991) Nr. 1, S. 15-30. mir wahrheitsgetreue thatsächliche Einzelheiten mitzutheilen, seien es Unterzeichnete, seien es anonyme, über alles, was urnische Liebe direct oder indirect betrifft, anthropologische oder sociale Mittheilungen, namentlich:

  1. über den weiblichen oder nicht weiblichen Habitus und die sonstigen Eigenthümlichkeiten der Urninge,
  2. über zarte und edle Charakterzüge der Urninge,
  3. über Uranodionäismus und männlich liebende Weiber,
  4. über die Verfolgungen urnischer Liebe.

Namentlich wünsche ich fortlaufend zu veröffentlichen sämmtliche Criminaluntersuchungen und polizeilichen Maßregelungen wegen urnischer Liebe, welche seit der Freigabe meiner beiden Schriften (26. Mai 1864) erfolgt sind; und zwar die Criminaluntersuchungen mit der schließlichen Verurtheilung oder Freisprechung. Dabei wünsche ich die Namen zu nennen der mitwirkenden Staatsanwälte, Richter, Polizeibeamten und Denuncianten, um nämlich diese Namen dem Urtheile der Nachwelt zu erhalten. Dies wünsche ich namentlich bei dem vorerwähnten entsetzenerregenden Botzener Falle.

Ebenso wünsche ich die Namen aller zu nennen, welche hinfort im Druck sich über urnische Liebe äußern, und dabei jedesmal anzugeben, ob die Aeußerung erfolgt sei mit der bisher unvermeidlich gewesenen terrorisirenden Zuthat von Haß und Verachtung, oder nicht.

Alle Dioninge ferner, die im Wesentlichen meinen Sätzen beipflichten, ersuche ich, solches mir gefälligst mittheilen zu wollen.

Ich meinerseits erkläre mich bereit, den sich an mich wendenden jede gewünschte Aufklärung zu ertheilen, bitte jedoch einen jeden, sich mir sofort zu bezeichnen nach seiner geschlechtlichen Naturanlage, also als Urning, Dioning, Uranodioning etc., oder für die Nichtbezeichnung wenigstens einen Grund anzugeben.

Auch wären mir Aeußerungen lieb, ob meine Idee gebilligt werde: demnächst eine gemeinsame Eingabe zu richten an Deutschland's Regierungen und Kammern, betreffend Revision der bestehenden Gesetze. Nach meiner Idee sollten jedoch auch Nichturninge, vorurtheilsfreie Dioninge, aufgefordert werden, die Eingabe mit zu unterzeichnen.

Numa Numantius.

Ankündigung.

η. Der Stoff schwillt mir an unter den Händen. Noch mehrere Hefte werden daher erscheinen: zunächst »Formatrix«, »Ara spei« und »Nemus sacrum«. Gegenwärtige Abtheilung des »Vorberichts« zu denselben eröffne ich, durch Vermittlung meines Herrn Buchhändlers, allen Freunden der Wahrheit zu Inserten (Unterzeichneten oder anonymen) und als Sprechsaal.

Numa Numantius.

Bitte.

ϑ. Mir wird mitgetheilt, seit dem Bekanntwerden der Bayerischen Gesetzgebung durch Vindex §. 19. Note seien bereits mehrere Urninge nach München übergesiedelt. Da diesem Beispiele leicht noch andere nachfolgen mögen, so darf ich wohl, im Namen der gemeinsamen Sache, wohlmeinend darauf aufmerksam machen, wie wünschenswerth es sei, daß dieselben sich, wie überhaupt, so namentlich dort, in allen Stücken möglichst strenger Selbstzügelung befleißigen: damit nicht etwa, statt unseres Zieles, d. i. statt der Ausbreitung der Bayerischen Gesetze über das übrige Deutschland, umgekehrt der Bestand derselben in Bayern selber gefährdet werden möge.

Numa Numantius.

V. Die Arena ist geöffnet!

ι. Mein Hauptwurf ist mir gelungen! Das danke ich dem Geschick und der von Leidenschaft unbestochenen lauteren Prüfung der Leipziger Richter! Die wissenschaftliche Discussion über meine Sätze, und zwar die vollkommen freie, kann nun nicht mehr im Keim erstickt werden! Ich verlange ja nicht blinde Anerkennung meiner Sätze, sondern nur Prüfung und Discussion derselben, nicht freilich eine Discussion, die unter dem Drucke stehe des Terrorismus, den bisher die Dioninge der Wissenschaft ausübten, so oft sie urnische Liebe behandelten, sondern freie Discussion, die uneingeschüchtert sei durch den Fluch, den diese Männer, befangen in blinder Einseitigkeit, bisher auf unsere Liebe geschleudert haben. Für solch' uneingeschüchterte Discussion ist die Arena, die bisher sargartig zugemauert war, für ganz Deutschland, ja über seine Gränzen hinaus, jetzt endlich geöffnet: und keiner Macht der Erde wird es jetzt mehr gelingen, sie wieder zuzumauern. Die erste Staffel ist erreicht!

Am 10. September 1864.

Numa Numantius.

*

»Vindicta.«

I.
Ich fordere Gerechtigkeit.

 

»La mia voce è troppo debole contro
i tumulti e lo grida di tanti, cho son guidati
dalla cicca consuctudine. Ma i pochi
saggi, ehe sono sparai sulla faccia della
terra, mi faranno eco nei loro euori.« »Meine Stimme ist zu schwach gegen das Geschrei und das Toben so vieler, welche sich von dem blinden Herkommen leiten lassen. Aber die wenigen Weisen, welche über die Oberfläche der Erde zerstreut sind, werden mir Echo machen in ihren Herzen.«

Beccaria siehe zu II. Inclusa S. 25. de’ delitti e delle pene §. 28.

 

§. 1. Ich bin ein Insurgent. Ich lehne mich auf gegen das bestehende, weil ich dasselbe halte für einen Zustand der Ungerechtigkeit. Ich kämpfe für Freiheit von Verfolgung und Beschimpfung. Ich fordere Anerkennung urnischer Liebe. Ich fordere sie von der öffentlichen Meinung und vom Staat. Gleichwie angeborne dionische Geschlechtsliebe von Staat und öffentlicher Meinung als berechtigt anerkannt werden, so begehre ich von beiden, daß sie ebenso auch urnische angeborne Geschlechtsliebe als berechtigt anerkennen.

§.2. Fragt euch doch einmal selbst, ihr, die ihr ein geschlechtlos machendes Gelübde nicht abgelegt habt. Was würdet ihr sagen, wollte man euch durch Infamerklärung und durch Criminalstrafen zwingen zu dem Eunuchenleben unbedingter lebenslänglicher Nichtbefriedigung des angebornen Triebes?

§. 3. Am 5. Februar 1864 erließ der Sultan von Marocco einen Befehl, worin es heißt:

»Es ist unser Befehl, daß alle Juden und Christen von unseren Gouverneuren und von unseren Muhamedanischen Unterthanen behandelt werden sollen im Einklang mit den ebenmäßigen Wagschalen der Gerechtigkeit, und daß dieselben auch in den Gerichten den Muhamedanern gleichgestellt sein sollen, so daß nicht einmal ein Bruchtheil von Ungerechtigkeit sie erreiche. Alle Menschen haben gleichen Anspruch auf Gerechtigkeit.«

Die Leipziger »Illustrirte Zeitung« vom 23. April 1864 sagt dazu:

»Es ist unnöthig, in Europa Namen und Adressen zu nennen, an welche das biblische Wort gerichtet werden könnte: Gehet hin und thut desgleichen!«

§. 4. Schöne Worte! sowohl des Sultans als der »Illustrirten Zeitung.« Von letzterer sollte man nach ihrer Ausdrucksweise fast meinen, sie fordere Gerechtigkeit auch für die verfolgte urnische Liebe. Doch das kommt dionischen Gemüthern nicht in den Sinn, selbst jenen nicht, die sich rühmen, ausdrücklich für »Wahrheit und Gerechtigkeit« zu kämpfen. Noch wenigstens nicht.

Daß unterdrückten heterodoren Minoritäten Gerechtigkeit geschehe, welche nicht glauben, was die herrschende Majorität glaubt: ja, in der That, dafür kämpfen sie; und es ist ehrenvoll, daß sie dafür kämpfen.

Daß aber auch einer anderen unterdrückten Minorität Gerechtigkeit widerfahre, einer weit schwächeren, einer weit gedrückteren, jener Classe von Menschen, welche die Natur nicht lehrte so zu lieben, wie die herrschende Majorität liebt: o nein, das wäre doch zu viel verlangt.

Sie lehren so schön: andersgläubigen oder nichtglaubenden gegenüber zu handeln nicht nach den Eingebungen blinden Widerwillens, sondern nach den Vorschriften der Gerechtigkeit. Uns gegenüber aber finden sie doch den blinden Widerwillen bequemer, als die Gerechtigkeit. Uns gegenüber »Einklang mit den ebenmäßigen Schalen der Gerechtigkeit«? Hier reißt der Faden ihrer schönen Worte.

II.
Uns bindet kein Gelübde.

Vergl. Vindex §. 28.

§. 5. Der Christliche Dichter Prudentius, Dioning, welcher unter Theodosius dem Großen und Honorius lebte, sagt sehr wahr von den Vestalischen Jungfrauen zu Rom, welche das Gelübde der Keuschheit abgelegt hatten:

»Man fängt sie in zarten Jahren, ehe sie Freiheit des eigenen Willens haben. Ihre Sittsamkeit, glühend für den Ruhm der Keuschheit und aus Liebe zu den Göttern, wird, als eine Gefangene, gekettet an undankbare Altäre. Die Sinnlichkeit haben sie zwar verachtet, aber sie stirbt nicht in diesen beklagenswerthen. Nur vorenthalten ist sie dem unberührten Körper. Die Gedanken bleiben nicht unberührt. Dem (nächtlichen) Lager ist keine Ruhe gegeben. Auf dem Lager seufzt das ehelose Mädchen über die versteckte Wunde und über den Verlust der Brautnacht.«

Prudentius eigene Worte sind diese:

... »Parvae teneris capiuntur in annis:
Ante voluntatis propriae quam libera secta (se. eis est).
Laude pudicitiae fervens et amore Deorum
Captivus pudor ingratis addicitur aris.
Nec contemta perit miseris, sed ademta voluptas
Corporis intaeti. Non mens intacta tenetur.
Nec requies datur ulla toris. Quibus innuha caecum
Vulnus
et amissas suspirat femina taedas.«

(Prudentius contra Symmachum lib. II. v. 1066-1073.)

Das ist gewiß schrecklich. Aber ist es nicht wahrhaft empörend, durch Verhängung von Infamie und Criminalstrafen und durch polizeiliche Verfolgungen einen Menschen zu solchem Eunuchenleben zu zwingen, der gar kein Gelübde abgelegt hat?

§. 6. Ebenso haben in unseren Zeiten, nach Luther's Vorgang, protestantische Geistliche sehr oft und, wie mir scheint, sehr wahr dargelegt, wie beklagenswerth das Loos sei der ebenfalls gebundenen katholischen Weltgeistlichen, Mönche und Nonnen. Sehr richtig haben sie warnend gesagt:

»Der Kampf gegen die Natur bleibt nicht ungerächt.«

Und hier steht ihnen des großen Haufens Meinung vollkommen zur Seite. Wie aber, ihr protestantischen Herren Geistlichen? Wie aber, du großer Haufen? Wenn wir die Befriedigung am Weibe, die uns naturwidrige, mit Verachtung verschmähen: so wollt ihr uns auferlegen, was ihr Mönchen und Nonnen so entschieden nicht auferlegt wissen wollt: den unbedingten Versagungskampf gegen den angebornen geschlechtlichen Trieb? Von uns allein wollt ihr verlangen, dem geschlechtlichen Naturbedürfniß die Befriedigung unbedingt zu versagen, von uns allein fordern, die Natur lebenslänglich um ihre Rechte zu betrügen?

III.
Ehrenhaftigkeit der Urninge.

§. 7. Bei der Frage nach unserer Ehrenhaftigkeit wird es bei Männern von Gerechtigkeit und von eigner Ehrenhaftigkeit nicht ankommen auf die quaestio facti:

»ob man uns unserer Liebe wegen verfolgt und beschimpft habe

sondern auf die quaestio des moralischen Rechts:

»ob wir dafür, daß wir unserer geschlechtlichen Natur folgten, wie ihr der eurigen, Verfolgung und Beschimpfung verdient haben?«

IV.
Selbstmorde.

 

»An meinem Grabe findet euch
Und predigt die Tyrannenwuth,
Die süßer Liebe Glück zertritt;
Und lindert und begütigt
Die schmerzlich heiße Gluth.«

Hafis. persischer Dichter (1325-1390).

 

§. 8. Zweier Selbstmorde, aus neuerer Zeit, die ihr zu verantworten habt, erwähnte ich bereits, beide aus Frankfurt a. M.

Hinsichtlich des Inclusa §. 55. erwähnten Falles geht mir die Berichtigung zu, daß der Selbstmord nicht im Gefängniß stattfand. Der Urning war Pfarrer zu G. bei Frankfurt a. M. Er erhängte sich.

Dem Inclusa §. 91a erwähnten Falle ging voran, daß ein Korbmachergeselle, welcher in Darmstadt wegen Diebstahls in Haft war, urnisches über den Hofmarschall aussagte. Als die Nachricht von der Entleibung nach Darmstadt kam, war die Großherzogin außer sich vor Schmerz über den vortrefflichen Mann.

§. 9. Auch aus Frankreich habe ich aus neuerer Zeit zwei dergleichen Selbstmorde zu registriren. Der Pariser Schriftsteller de Germigny, wie man mir berichtet, erschoß sich, und der Abgeordnete Martin du Nord nahm Gift, beide um Untersuchung und Beschimpfung wegen urnischer Liebe zu entgehen.

§. 10. Auch der mehrerwähnte U Blank ist als ein Opfer euerer Verfolgungen aufzuführen, speciell der Verfolgungen der Anhaltischen und Preußischen Gerichte: und zwar auch er m. Er. als ein moralisch unverdientes. Denn was ihm auch zur Last fallen mag: was er gethan hat in seiner Richtung, unwissentlich oder wissentlich, es ist nicht mehr, als was Dioninge in der ihrigen gar nicht selten thun, und zwar ohne darum der Schande oder irgend welcher Verfolgung ausgesetzt zu sein. (Darin liegt das Unrecht. Zügellos grausam und ungerecht seid ihr gegen uns: gegen euch selbst engelmild.) Unter euch selber weiß ja mancher davon zu erzählen, wie schlimm es ist, daß es in der Welt nun einmal gewisse Krankheiten giebt. Mißbrauch unmannbarer wirft selbst der auf ihn so erboste Herr Kreisphysicus Fränkel ihm nicht vor. Wegen seines geschlechtlichen Umgangs mit mannbaren Burschen (von denen zwei allerdings erst 16-17jährig waren) verhängte man mehrfache Criminaluntersuchungen über ihn. Bei der ersten gebührt das Verdienst, dieselbe veranlaßt zu haben, dem Herrn Kreisphysicus, welcher dabei den Denuncianten spielte; dessen er sich a. a. O. noch dazu rühmt! Sein Ruhm verdient darum auch erhalten zu werden. Die letzte nahm folgenden Verlauf. Wie einen Spitzbuben ergriff man ihn und auf einem Transportwagen, begleitet von Gensdarmen, führte man ihn dem Untersuchungsgefängnis zu. In dunkler Nacht, es war im April 1853, passirte der Wagen eine Brücke, welche über die Mulde führt, hart vor den rauschenden Rädern einer Wassermühle. Den Augenblick wahrnehmend, sprang er, den Schergen glücklich entweichend, über Wagenrand und Brückengeländer hinweg. Unter den Rädern der Mühle fand er in den Wellen Freiheit und Tod.

V.
Conflict zwischen Amtspflicht und Ueberzeugung auf Seiten amtlicher Verfolger urnischer Liebe.

§. 11. Staatsdiener, namentlich Richter, Staatsanwälte und Polizeibeamte, werden vielleicht in die Lage kommen, daß ihre Amtspflicht von ihnen verlangt, zur Verfolgung urnischer Liebe mitzuwirken: während ihre Ueberzeugung ihnen sagt, solche Verfolgung sei moralisch nicht zu rechtfertigen.

§. 12. Wie ist dieser Conflict zu lösen?

Die übliche und bequemste Art ihn zu lösen ist:

»Ich kann nicht anders. Der Dienst fordert von mir, gegen meine persönlichen Wünsche zu handeln. Ich wasche meine Hände in Unschuld.«

Daß diese Lösung wirklich ein Wasser der Unschuld sei, möchte ich bezweifeln.

§. 13. Ich kenne einen andern Weg, welcher zwar schwieriger als dieser, aber, meines Bedünkens wenigstens, der einzig mögliche ist für den, dem moralische Pflichten heilig sind. Er besteht darin, daß der Beamte, statt sich herzugeben zu einer Verfolgung, deren moralisches Unrecht er erkennt, um seine Entlassung bittet.

Ehre, Manneswürde und Pflicht, meine ich, kennen keinen andern Weg. Wenn von einem Minister die Ehre fordert, seine Entlassung zu nehmen, sobald Parlament oder Souverain von ihm verlangt, was er nicht den Staatsinteressen entsprechend findet: welche Forderung stellt einem Beamten die Ehre, wenn er in Conflict zu gerathen droht mit seinem Gewissen?

§. 14. Dieser Weg würde auch zugleich der wirksamste sein zur thatsächlichen Abschaffung der bezeichneten Verfolgungen. Sobald erst vier oder sechs Beamte sich so charakterfest gezeigt haben, bin ich doch begierig zu sehen, wie lange es dann noch dauern wird, bis man zu einer Revision schreitet aller Verfolgungsparagraphen in Gesetzen und Polizeivorschriften.

§. 15. Jeden Beamten, der hinfort sich noch dazu hergeben wird, wissentlich mitzuwirken zur Verfolgung exceßloser urnischer Liebe, mache ich hiefür verantwortlich vor Mitwelt und Nachwelt, vor seinem eigenen Gewissen und vor Gott.

VI.
Juristische Folgen des error legislatoris.

Nachtrag zum juristischen Theil des Vindex. unter: Widerlegung eines Einwandes.

Vindex S. 46-55.

 

»Die Gerichtspflege soll nicht des Naturforschers Resultaten die Thür verschließen um als bloßer Würge-Engel zu erscheinen, sondern diesen Resultaten entsprechen.«

Dr. med. v. Krafft-Ebing.

 

»Sie werden nicht vergessen, meine Herren Richter, daß Sie Ihren Eid geleistet haben auf das Gesetz, nicht auf Irrthümer oder Vorurtheile

Generalstaatsprocurator Dupin. Die beiden Epigramme stammen von Richard von Krafft-Ebing (1840-1902), dem späteren Verfasser der Psychopathia sexualis (1. Aufl. 1886), und André Dupin (1783-1865), lange Jahre oberster Staatsanwalt in Frankreich.

 

a. Gesichtspunkt der mangelnden Absicht des Gesetzgebers, Liebesuebungen der Urninge mit Strafe zu bedrohen.

§.16. Deutschland's Gerichte genießen im Volke hoher Achtung. Schlimm aber stände es um dieselbe, wären sie durch das Gesetz gezwungen, diese Achtung selber zu untergraben durch Fällung von Strafurtheilen, welche moralisch unverdient sind.

Urnische Liebe zu bestrafen sind dieselben aber nicht durch das Gesetz gezwungen, sondern nur durch Irrthum veranlaßt. Dies habe ich großen Theils bereits in Vindex ausgeführt. Hier habe ich dem noch folgendes anzufügen.

§. 17. Ich sagte (Vindex §.52.): auch die neuere Deutsche Strafgesetzgebung wurzele noch in der Carolina. Aber nehmen wir auch an, dies sei nicht der Fall. Dann kommt noch immer in Betracht, daß bisher allen, mithin auch dem Gesetzgeber, die naturwissenschaftliche Kunde fremd war:

»es giebt männlich gebaute Individuen, welche gleichwohl nicht Männer sind, sondern zwitterartige Ue.

Allerdings ist nämlich anzunehmen: bei seiner Strafbestimmung über naturwidrige Liebesübungen dachte der Gesetzgeber auch an Liebesübung männlich gebauter Individuen an Männern. Allein aus dieser Unkenntniß folgt nun, daß er doch nur an eines Mannes Liebesübung an einem Manne gedacht habe, also an die eines Ds, nicht eines Us.

§. 18. Nehmen wir also an, die neuere Strafgesetzgebung wurzele in der Carolina, oder nicht: in beiden Fällen steht so viel fest:

An eines Urnings Liebesübung an einem Manne hat der Gesetzgeber nicht gedacht. Diese hat er also auch nicht mit Strafe zu bedrohen beabsichtigt.

Ganz sicher wollten die übrigen Deutschen Gesetzgeber nichts anderes als naturwidrig mit Strafe bedrohen, als was z. B. der Vindex §. 52. erwähnte Oesterreichische von 1851 (lies 1852) als naturwidrig mit Strafe bedroht hat, d. i. Mann an Mann.

b. Gesichtspunkt der zweifelhaften Absicht des Gesetzgebers, Liebesübungen der Urninge mit Strafe zu bedrohen.

§. 19. Aber auch noch aus einem anderen Gesichtspunkt ist der error legislatoris von juristischer Bedeutung.

1. Aufstellung eines Rechtssatzes.

Ich stelle den Rechtssatz auf:

»Bestrafung kann nicht eintreten, sobald der Gesetzgeber, »indem er eine Handlung mit Strafe bedrohte, in naturwissenschaftlichen Irrthümern befangen war, welche für ihn zur Strafandrohung die wesentliche Veranlassung waren; sobald es also zweifelhaft ist, ob er die Strafandrohung würde ausgesprochen haben, wenn er in jenen Irrthümern nicht befangen gewesen wäre.«

2. Begründung des Rechtssatzes.

§. 20. α) Dieser Rechtssatz folgt aus der juristischen Vernunft.

β) Vollkommen vereinbar ist er mit dem andern Rechtssatze: »Cessante ratione legis non cessat lex ipsa« cessante ratione legis cessat ipsa lex: fällt der Sinn eines Gesetzes weg, so fällt das Gesetz selbst weg. Vgl. Liebs, Lateinische Rechtsregeln S. 38.; nach welchem z. B., wenn die Bevölkerungspolitik, die ratio, cessirt, doch deßhalb noch nicht jene Gesetze cessiren, welche diese Politik veranlasst hat, z. B. die Bestimmung, daß, wer drei Kinder gezeugt hat, frei sei von der Pflicht Vormund zu werden. Von ratio legis, Zweck des Gesetzgebers, ist eben verschieden error legislatoris.

γ) Mein Satz ist aber auch positiv recipirt von Deutschland's criminalistischer Praxis. Die Carolina und jüngere Deutsche Strafgesetze, z. B. noch der Bayerische Codex Maximilianeus von 1751, waren, neben anderen Irrthümern, auch in diesen beiden naturwissenschaftlichen Irrthümern befangen:

  1. »Der Mensch könne zaubern, hexen, Vieh behexen, bös Wetter machen, z. B. Sturm und Hagel hervorrufen, etc.«
  2. »Ein Weib könne sich mit dem Teufel leiblich begatten.«

Auf gewisse bestimmt bezeichnete Indicien hin, z. B.

zu 1) wenn jemand mit abenteuerlichen Geräthschaften umgeht,
zu 2) auf noch seltsamere Indicien hin, soll deßhalb nach diesen Gesetzen Criminaluntersuchung und Folter eintreten:

gerichtet auf Hexerei, bez. auf Begattung mit dem Teufel Criminaluntersuchungen wegen Begattung mit dem Teufel sind in Bayern nach Publication des Codex Maximilianeus auch wirklich noch vorgekommen. Van einer derselben meldet näheres der Kreitmayr'sche Commentar zu diesem Codex.. Von den naturwissenschaftlichen Irrthümern jener Zeiten sind einzelne, durch die Wissenschaft verdrängt, aus den Deutschen Gerichtssälen bereits geschwunden. So namentlich die beiden aufgeführten, welche diese Vorschrift veranlaßt hatten. Sobald sie schwanden, ließen die Gerichte trotz des etwaigen Vorhandenseins jener Indicien Untersuchung und Folter nicht mehr eintreten:

weil es ihnen eben zweifelhaft war, ob der Gesetzgeber unter der Zahl der mit Strafe bedrohten Handlungen Hexerei und Teufelsbegattung würde aufgeführt haben, wenn er in den bezeichneten naturwissenschaftlichen Irrthümern nicht befangen gewesen wäre.

3.  Anwendung des Rechtssatzes.

§. 21. Insofern nun in den neueren Deutschen Strafbestimmungen über naturwidrige Liebesübungen auch Liebesübung männlich gebauter Individuen an Männern mit Strafe bedroht ist, ist auch diese Strafandrohung erlassen, während der Gesetzgeber in einem naturwissenschaftlichen Irrthum (Vorurtheil, voreiliges Urtheil,) befangen war, und zugleich ist sie wesentlich veranlaßt worden durch denselben; durch den Irrthum nämlich:

»jedes körperlich männlich gebaute Individuum sei Mann.«

Darum ist es denn thatsächlich völlig zweifelhaft: was der Gesetzgeber würde vorgeschrieben haben, wenn er in diesem veranlassenden Irrthum nicht befangen gewesen wäre? ob er einem U Strafe würde angedroht haben für die Liebesübung, welche die Natur ihn lehrt? und insonderheit: ob er solche Bestrafung des Us abhängig würde gestellt haben von einer auf Seiten des gewährenden Theils etwa vorhandenen Naturwidrigkeit?

Da nun dieses alles thatsächlich völlig zweifelhaft ist, so kann auch hier eine Bestrafung nicht eintreten, und zwar insonderheit auch nicht wegen einer auf Seiten des andren Theils etwa vorhandenen Naturwidrigkeit.

§. 22. Hienach ist also eine auf Seiten des Ds etwa vorhandene Naturwidrigkeit juristisch überhaupt nicht in Betracht zu ziehen. Wäre sie aber dennoch in Betracht zu ziehen, so würde doch die juristische Vernunft fordern, die naturwissenschaftliche Frage: » ob auf jener Seite eine Naturwidrigkeit wirklich vorhanden sei?« erst einer Prüfung zu unterwerfen, und zwar einer naturwissenschaftlichen Prüfung.

VII.
Ist es dem Dioning wirklich naturwidrig, dem Urning Liebesgunst zu gewähren?

Vindex §. 53. Inclusa 99. 100.

§. 23. Aus der dem jugendlichen D angebornen Fähigkeit, dem Weibe, dem U und dem Urningszwitter Den männerliebenden Zwitter glaube ich paßlicherweise » Urningszwitter» nennen zu dürfen, da er mit dein U gemein hat den weiblichen auf Männer gerichteten Liebestrieb. den vollen reinen Liebesgenuß zu gewähren, und aus seiner daraus folgenden mehrfachen geschlechtlichen Naturbestimmung (Inclusa §. 100.) ergiebt sich, daß die Liebesumarmung, die der D dem U gewährt, dem D in objektiver Rücksicht bestimmungsgemäß und naturgemäß ist.

§.24. Aber auch in subjektiver Rücksicht kann ich nicht mehr zugestehen, die Liebesumarmung zwischen U und D (Liebesübung, Liebesgunst) sei dem D, wenn er sie ohne eigene geschlechtliche Activität gewährt, naturwidrig. Das in Vindex §. 53. dieserhalb ohne Grund gemachte Zugeständniß muß ich vielmehr zurücknehmen und statt dessen behaupten:

Subjektiv betrachtet steht der ohne eigene Activität gewährende D lediglich auf dem Indifferenzpunkt.

In Rücksicht auf naturgemäß oder naturwidrig ist ihm dies Gewähren eine Sache ohne Gewicht, ein Adiaphoron: ganz wie einer jungen Person das erwähnte Zubringen mit alten Personen in Rücksicht auf naturgemäß ein Adiaphoron ist.

§. 25. Einzuräumen ist allerdings, daß in der Liebesumarmung zwischen U und D der gewährende D einen Liebesgenuß, namentlich auch die magnetische Durchströmung, nicht genießt. Allein daraus folgt nicht, diese Umarmung sei ihm naturwidrig, sondern eben nur: dieselbe ist ihm in Rücksicht auf naturgemäß ein Adiaphoron.

Das Gewähren des Liebesgenusses ist ja nicht identisch mit dem Genießen des Liebesgenusses. Dies ist entscheidend. Uns berührt hier nicht die Frage: »Ist es dem D naturwidrig, am U Liebesgenuß zu genießen?« Wäre sie aber zu bejahen, so würde daraus doch noch nicht folgen: daß es ihm nun auch naturwidrig sei, demselben Liebesgunst ohne eigene Activität zu gewähren.

§. 26. Und ferner ist einzuräumen, daß der D gegen die einem U auch ohne eigene Activität zu gewährende Umarmung einen gewissen horror naturalis empfindet Freilich ist dieser sehr häufig längst nicht in dem Grade vorhanden, als man anzunehmen scheint. Von den Spartanern z. B. sagt Meier, der D, (a. a. O. S. 162.):
»Dem Liebenden gestattete das Gesetz die innigste körperliche Berührung mit dem Geliebten, und der Geliebte pflegte nicht spröde zu sein
Auch die heutigen jungen De sind spröde weit weniger wegen des horror naturalis, als vielmehr aus Furcht vor der Beschimpfung, die ihnen von Seiten dritter droht. Diejenigen, denen die herrschende Infamirung unbekannt ist, pflegen ganz und gar nicht spröde zu sein.
Ein Freund in A. dagegen, den ich liebte, daß manche Thräne um ihn floß, schrieb mir einst:
»Wollte ich deine Freundschaft erwiedern, so müßte ich gegen dich zärtlich sein. Das kann ich nicht.«
Alle Aeußerungen meiner innigen Zuneigung zu ihm berührten ihn unangenehm. Freilich waren Einflüsterungen zwischen ihn und mich getreten. In der ersten Zeit unseres Freundschaftsverhältnisses hatten sie ihn nicht unangenehm berührt. Uebrigens lehnen die angeführten Worte doch nur die erwiedernde Freundschaft ab, nur das active Zärtlichsein, nicht gerade das Dulden von Zärtlichkeiten.
Auch wird der erwähnte Horror noch geringer werden, sobald des Us weibliches Wesen dem D sich kund giebt.
. Allein auch dies beweist nichts für die fragliche subjective Naturwidrigkeit.

Denn einen solchen Horror empfindet auch eine junge Person bei jenem Zubringen, sobald dabei Körperberührung eintritt.

Ja, einen horror naturalis empfindet der D unter Umständen selbst gegen den einem Weibe (mit eigener Activität) zu gewährenden Beischlaf. Zwei Fälle nenne ich:

  1. wenn das Weib alt, abschreckend häßlich oder irgendwie verunstaltet ist Auch hier wird der D eine magnetische Durchströmung sicher nicht genießen.;
  2. wenn die Geschlechtsteile des Weibes von einer gewissen außergewöhnlichen Gestaltung sind.

Trotz dieses horror naturalis aber ist auch in diesen Fällen der dem Weibe gewährte Beischlaf dem gewährenden D nicht naturwidrig, nicht objectiv, aber auch nicht einmal subjectiv. Objectiv ist derselbe vielmehr dem D vollkommen naturgemäß und bestimmungsgemäß, sobald das Weib nach ihm in Liebe verlangt, subjectiv aber nur indifferent, nicht naturwidrig.

Auch der horror naturalis beweist also nichts für die fragliche subjective Naturwidrigkeit Dieser Satz fehlt (aus Versehen?) in der Neuausgabe von 1898..

§. 27. Neben der objektiven Naturmäßigkeit kann ich hienach in subjektiver Rücksicht nur die Indifferenz einräumen, nicht eine Bestimmungswidrigkeit oder Naturwidrigkeit: sobald der D nur ohne eigene geschlechtliche Activität dem U die Liebesgunst gewährt.

VIII.
Martialis
über des Dionings geschlechtliche Bestimmung.

Martialis (um 40-102), römischer Dichter, dessen Epigramme Ulrichs häufig zitiert, hier 11, 22:
Daß du die weichen Lippen des schneeig weißen Galaesus
reibst mit dem rauhen Gesicht, nackt Ganymed bei dir liegt,
ist schon zuviel ...
Die Natur hat, was männlich, geteilt. Ein Teil ist für Mädchen
einer für Männer bestimmt, Nimm also, was dir gehört! (Übersetzung R. Helm)

Inclusa §. 100.

§. 28. Ich sagte: die Natur bestimmte den D geschlechtlich nicht nur für das Weib, sondern auch für den U.

Eine seltsame, theils hiemit übereinstimmende, theils hievon abweichende, Ansicht von der Naturbestimmung des Ds äußert Martialis (wahrscheinlich D). Eins seiner an Ue gerichteten Epigramme beginnt:

Mollia quod nivei duro teris ore Galesi
Basia, quod nudo cum Ganymede jaces.

In demselben sagt er:

Divisit natura marem. Pars una (des Ds eine Hälfte) puellis,
Una viris genita est.

§. 29. Zwar geben diese Worte meine Ansicht nur unter einer Modifikation, und zwar unter einer solchen, die ich nicht anerkennen kann. Nach ihm ist nämlich die eine Hälfte des Mannes (des Ds) für Weiber geboren, die andere dagegen für Männer (für Ue): während nach meiner Ansicht der ganze D für Weiber, der ganze D für Ue, ja der ganze D auch für Urningszwitter geboren ist. Nach Martialis Ansicht würde für die Zwitter vom D nichts mehr übrig bleiben.

§. 30. Allein auch er nimmt doch eine mehrfache geschlechtliche Bestimmung des Ds an. Auch er geht doch davon aus, der Mann (D) sei nicht nur für Weiber, sondern, zum Theil wenigstens, wirklich auch für Männer geboren, d. i. die Natur habe ihn geschlechtlich auch für Männer bestimmt, nämlich für Ue.

IX.
Zeugniß eines Schicksalsgenossen über urnische Liebe. Seine Forderungen. Meine Hoffnungen.

§. 31. Am 23. Mai 1864 erhielt ich durch Vermittlung meines Verlegers, des Herrn H. Matthes zu Leipzig, einen an mich gerichteten Brief von einem ungenannten U, welcher »Inclusa« gelesen hatte, nicht auch »Vindex.« Er ermächtigt mich zur Veröffentlichung. Mit seinen Ansichten und mit seinen Forderungen stimme ich vollständig überein. Höchst merkwürdig scheint mir der mitgetheilte Selbstumwandlungsversuch des jungen Geliebten. Er schreibt folgendes:

§. 32. »Geehrter Herr!

»Einem Schicksalsgefährten, den ein an bitteren Erfahrungen reiches Leben ruhig und bescheiden gemacht hat, wollen Sie gestatten, Ihnen für Ihre Schrift aufrichtig zu danken. Sie haben den Muth gehabt, diesen Gegenstand vor die Oeffentlichkeit zu bringen, der vor der Hand wohl noch ohne Aussicht ist auf richtiges Verständniß. Aber vielleicht ist Ihr Versuch doch der erste Nothschrei, der Discussionen veranlassen wird. Da unsere Sache einmal so weit gekommen ist, so zweifle ich nicht am Erfolg. Wir zählen tüchtige und begabte Leute zu den unseren, Menschen, die sowohl aus Büchern und im Hörsaal gebildet sind, als auch in der schweren Schule des Seelenleidens.

»Dem Kampfe, den Sie begonnen haben, bin ich entschlossen beizutreten.

§. 33. »Alles, was Sie von Beobachtungen in Ihrer Schrift niedergelegt haben, stimmt mit meinen Erfahrungen in allem Wesentlichen überein.

»Das geschlechtliche Seelenleben ist, sagen Sie, an das körperliche Geschlecht nicht gebunden. Davon bin auch ich überzeugt.

»Wenn wir unseren Gegnern sagen, ein Blick in das geliebte Auge beglücke uns, ein Kuß erfülle uns mit der ganzen Wonne der Liebe: wahrlich, sie müßten doch ohne alle Einsicht sein in die Erscheinung der geschlechtlichen Liebe, wollten sie in unserer Empfindung nicht wahre geschlechtliche Liebe erkennen.

§. 34. »Als halberwachsener Jüngling von 16 Jahren liebte ich zum ersten Male, nämlich einen etwas jüngeren Schulkameraden. Mein Gefühl zu ihm war nicht etwa schwärmerische Freundschaft, sondern wabre Liebe, jenes Gefühl des eifersüchtigen Besitzergreifens. Niemals kam jedoch in meine Sehnsucht zu ihm ein sinnlicher Beigeschmack.

§. 35. »Etwa 20 Jahre alt, in einem fremden Orte, entdeckte ich mich einem Arzte. Der gute Mann war im höchsten Grade erstaunt. Er meinte, das Ganze sei eine fixe Idee, der ich nicht nachhangen dürfe. »Eine fixe Idee!« Jede blühende Männergestalt brachte meine ganze Ideenwelt in den lebhaftesten Schwung. Vergeblich kämpfte ich. Vergeblich verdammte ich mein Gefühl. Es war da! Es kehrte immer wieder. Ja, es verließ mich keinen Augenblick. Es war eben ein Theil meines Seins.

»Ich litt namenlos. Es begann ein Kampf in mir zwischen der nun völlig ausgebildeten Begierde und einer Entsagung, die mir das Leben so leer und ekelhaft erscheinen ließ, daß ich fürchtete, es nicht zu ertragen.

§. 36. »Jetzt faßte ich einen energischen Entschluß. Den Segen der Familie wollte ich nicht verloren geben. Ich wollte Weiber lieben. Ein hübsches Mädchen fand sich, durch die ich hoffte den Reiz für das weibliche Geschlecht, den mir unbekannten, in mir zu wecken. Aber vergebens. Was ein einziger Blick in die Augen eines schönen Jünglings bewirkte, das erreichte weder die intimste Nähe des wirklich schönen und lebhaften Geschöpfes, noch die Gluth ihrer begehrlichen Küsse.

§. 37. »Jahre vergingen. Da ward ich aufmerksam auf einen achtzehnjährigen jungen Mann. Ich nahm mich seiner an und er? er war mir liebevoll dankbar. Aber er war auch schön, sehr schön. War ich ihm nahe, so schlug mir das Herz. Seiner aufrichtigen Anhänglichkeit war ich gewiß. Ich gestand ihm meine Liebe. Er hörte mir aufmerksam zu; dann schlang er seine Arme um meinen Hals und sagte:

»Von Ihnen kann mir nichts schlechtes geschehen. Ich bin glücklich, wenn ich Sie glücklich machen kann. Nehmen Sie mich ganz hin!«

Nach einiger Zeit bemerkte ich an ihm große Niedergeschlagenheit. Ich drang in ihn. Nach langem Zögern gestand er mir: »er habe gehofft, seine Natur von den Mädchen abwenden zu können, um ganz mit mir übereinzustimmen. Aber er sehe ein, er habe sich getäuscht.«

§. 38. »Nun ihr Moralisten und ihr Gesetzgeber: » wo steckt hier das Laster, wo das Verbrechen?«

Wenn dort mein redliches Streben die Abnormität meiner Natur nicht besiegen konnte; wenn hier ein edles, echt menschliches, Gemüth sich bestrebte, den Widerstand der eingebornen Natur zu überwinden: was wollt ihr verdammen und was bestrafen?

»Die Erfahrungen, die ich unter Kummer und Thränen gesammelt, ich gebe sie nicht gegen eure Weisheit. Wo das edelste menschliche Gefühl mit den Naturgesetzen im Kampfe liegt, da zeigt sich ja die Menschheit von ihrer höchsten Seite.

§.39. »Unbedingt nothwendig scheint mir, daß die Gesetze in dieser Hinsicht revidirt werden Oder wenigstens vom Richter richtig interpretirt. Übrigens halte doch auch ich die Revision für noch besser. Dem Verlangen nach einer solchen schließe ich mich daher an. (S. unten §. 51 ff.) Numa Numantius..

Ich verlange, daß man im 19. Jahrhundert nicht Gesetze bestehen lasse, die in die Zeiten der Verfolgungen der Ketzer und Hexen gehören« Die Erwähnung der Ketzer und Hexen geschieht durchaus unabhängig von mir. Der Verfasser hatte meinen Vindex, wie gesagt, gar nicht gelesen. N. Num..

Wir Zum Theil nicht Verfassers, sondern meine Worte. N. N. lieben nicht unentwickelte Knaben, sondern erwachsene junge Männer, die also nicht dem »schwachen Geschlecht« angehören, sondern sich selber schützen können Und, setze ich hinzu, wir sind ihnen gar nicht gefährlich, wie z. B. dem Mädchen der junge D gefährlich ist, da wir ja nicht Anziehung, sondern Abstoßung auf sie ausüben. Inclusa §. 33. Absatz 2. Vindex §. 47. Absatz 2.  N. N.. Darum sind sie (abgesehen von Excessen) des äußeren Schutzes gegen uns durch gegen uns gerichtete Strafgesetze gar nicht bedürftig Ja, während die Mädchen dem schwachen Geschlecht angehören, also schon an sich schutzbedürftig sind, und während ihnen der jugendliche D sehr gefährlich ist: hält man es dennoch für überflüssig, sie anders zu schützen gegen die De durch gegen diese gerichtete Strafgesetze, als bei Excessen. N. N..

»Von dem Augenblick an, da Polizei und Gericht sich einmischen in urnische Liebe, pflegt die Sache erst zum öffentlichen Scandal zu werden« Vergleiche unten §. 52. N. N.

§. 40. Außerdem Zum Theil nicht Verfassers, sondern meine Worte. N. N. wuchert in größeren Städten unter dem Schatten der gegen uns gerichteten Strafgesetze der schwärzeste Verrath und die habsüchtigste Erpressung. Der Verräther, jung und schön, schmeichelt lächelnd sich ein. Im ausersehenen Augenblick wirft er die Maske ab, droht zornig mit Denunciation, ruft nach der Wache und verlangt die Börse. Wer wird, angesichts euerer Gesetze, der Denunciation die Stirn bieten, um die Börse zu behalten? Wer bedarf hier des Schutzes? der junge Bursch gegen uns oder wir gegen ihn? In Bayern, dank seiner gerechten Gesetze (Vindex §. 19. Anm.), fällt hier Verrath und Erpressung völlig hinweg. Der Denunciation darf dort der U getrost die Stirn bieten. Den Erpressungen ist das Handwerk gelegt. In Bayern ist der D uns gegenüber lediglich sich selber überlassen. Ihn schützt gegen uns (abgesehen von Excessen) kein Gesetz. Und doch ist Bayern an Ordnung und an guten Sitten mindestens ebenso reich, als z. B. Preußen, wo jedem U das Zuchthaus droht, und in dessen Städten gerade jene Erpressung, in Folge dessen, in üppigster Fülle gedeiht. In Preußen glaubt das Gesetz, den D vor dem U mehr schützen zu sollen, als das Mädchen vor dem D. In Bayern unterläßt man es, den jungen Mann vor dem jungen Mädchen noch zu bevorzugen. Nicht den jungen Mädchen bat darum in Preußen das Gesetz es erleichtert, mit vorgespiegelter Liebe Erpressung zu treiben: nur den jungen Burschen. In Bayern jenen nicht und diesen nicht. N. N. In der Neuausgabe von 1898 mußte Hirschfeld anmerken (S. 46): »Diese bevorzugte Sonderstellung Bayerns hat mit Einführung des Reichsstrafgesetzbuches aufgehört.«

»In Berlin ist folgender Fall vorgekommen. Der junge Mann folgte dem Herrn in seine Wohnung zur Empfangnahme der verlangten 25 Thaler. Nach dem Empfang erbot er sich aus freien Stücken, ihm zu Willen zu sein gegen eine kleine Zugabe Solche Folgen haben eure Gesetze, welche angeblich den jungen Mann vor uns schützen. Wen schützen sie eigentlich? Allerdings den jungen Burschen: aber nicht vor uns, sondern vor dem Bestraftwerden wenn er an's Erpressen geht. Aur. Vict, im Philippus: »Verumtamen manet. Quippe, loci conditione mutata, pejoribus flagitiis agitatur.« (Vergl. Inclusa §. 67.) Sind aber das nicht Aurelius Victor's pejora flagitia, unter denen Uebung urn. Liebe fortbesteht, sobald sie unter die Drohung der Criminaluntersuchung gestellt ist? N. N.Aurelius Victor, siehe zu II. Inclusa S. 39..

§. 41. »Nehmt nur den Fluch von unserem Haupte, die ewig drohende Schande öffentlicher Brandmarkung; duldet unsere ohnehin so bedauernswerthe Eigenthümlichkeit: und bald sollt ihr erkennen, daß wir Menschen sind, so tüchtig und brav wie ihr, begabt mit Zartgefühl, sittlicher Würde und edlen Bestrebungen. Gebt und das Recht zu leben zurück; und ihr sollt sehn, wir wissen auch, auf die rechte Art zu lieben. Mancher junge Mann würde eine Stütze finden in einem der unseren. Manches Talent würde gehegt werden mit hingebender Aufopferung, ohne Schaden zu nehmen an Leib oder Seele. Aber nehmt den Fluch von unserem Haupte!

»Mit welchem Recht, frage ich, wollt ihr zwei Menschen hindern, mit Leib und Seele einander anzugehören, um dadurch ihren Antheil zu erlangen an der irdischen Glückseligkeit, zu der doch alle Menschen berufen sind?«

§. 42. So weit der Anonymus, mein nunmehriger Kampfgenosse. Auch ich zweifle nicht an dem Erfolg. Unser Recht ist zu klar, um, einmal ausgesprochen, verkannt werden zu können. Schon in Vindex (§. 34.) sprach ich die Hoffnung aus, noch im Laufe dieses Jahrzehents werde die Verfolgung unserer Liebe abgeschafft sein. Bei dieser Hoffnung beharre ich auch noch; wenigstens was die staatliche Verfolgung, die durch Strafen und Polizeimaßregeln, betrifft. Daneben freilich sehe ich ein: Kampf wird unsere Sache auch hier noch kosten.

§. 43. Von meiner Hoffnung aber schreckt mich nicht zurück der Gedanke, daß Juristen und Theologen gegen mich auftreten werden mit Schriften, beweisend, daß und warum unsere Verfolgung nicht abgeschafft werden dürfe.

Auch als der wackere Jesuit Spee S. 19 Friedrich von Spee (1591-1635), Autor der Cautio criminalis (1631). Leyser: Theologen- und Juristenfamilie in sächsischen und preußischen Diensten. Vgl. Neue Deutsche Biographie, Band 14 (1985) S. 435-439. gegen die Hexenverfolgungen aufgetreten war, schrieben die Juristen Abhandlungen, weßhalb man dieselben nicht abschaffen dürfe.

In der Mitte des vorigen Jahrhunderts trat jemand mit der Ansicht hervor: »es sei doch nicht länger zu rechtfertigen, daß, wer 20 fl. gestohlen habe, mit dem Galgen bestraft werde. Die Summe von 20 fl. dürfe doch nicht mit einem Menschenleben aufgewogen werden.« Da trat aber der berühmte Jurist Leyser auf, allen Juristen bekannt durch seine vielfach noch jetzt brauchbaren Decisionen, und deducirte: »bei dieser Bestrafung werde keineswegs die Summe von 20 fl. einem Menschenleben gleichgestellt. Des Staates Wohl sei es, das durch diese Todesstrafe gesichert werde. Darum dürfe sie nicht abgeschafft werden.« Du Todesstrafe für den 20 fl.-Diebstahl, wo bist du geblieben trotz Leyser's dich rechtfertigender Schutzschrift!

§. 44. Auch das schreckt mich nicht zurück von meiner Hoffnung, daß am 20. Mai 1864 die kön. Sächsische Polizei zu Leipzig meine zwei ersten Schriften, Vindex und Inclusa, beide mit Beschlag belegt und sämmtliche vorhandenen Exemplare weggenommen hat. Auch Beccaria, dem edlen Verfechter der Menschenrechte gegen die Grausamkeit früherer Strafen und gegen die Folter, ist ja das gleiche widerfahren mit seinem berühmten Buche Dei delitti e delle pene. Erfolgte doch unmittelbar nach seinem Erscheinen sogar von Maria Theresia ein Erlaß, welcher gegen die Tortur zu schreiben oder zu reden auf das strengste verbot. Und wo sind deine Werkzeuge geblieben, Tortur, trotz Confiscation und Verbot?

§. 45. Und worin lag die siegende Allgewalt der Sache, die Spee vertheidigte, der Sache, die Leyser bekämpfte, und jener, die Beccaria verfocht? Ich glaube doch: in dem moralischen Recht, welches für sie stritt. Das moralische Recht hat gesiegt: und sein Siegeslauf ist noch nicht geschlossen.

Non hoc opus aut Jovis ignem Tergeminum, ... non carceris horret!

Statius, silvae Statius (um 45-96), römischer Dichter, hier Silvae 1, 1, 91 f.:
Non hoc imbriferas hiemes opus aut Iovis ignem
tergeminum, Aeolii non agmina carceris horret ...
Dies (Standbild) erzittert nicht vor den Regen bringenden Wintern, nicht vor Jupiters Blitzen und nicht vor den aus Aeolus’ Kerker entkommenen Winden ...
.

X.
Folgen des Erlaubtseins und des Unterdrücktseins des Uranismus.

§. 46. In Griechenland waren die Ue die tüchtigsten, edelsten und brauchbarsten Mitglieder der menschlichen Gesellschaft. Das kam von dem Erlaubtsein und dem unbeschränkt offenen Auftreten des Uranismus. Er konnte sich naturgemäß, organisch, entwickeln.

§. 47. Die auf Unverstand gegründete widersinnige Verfolgung und Beschimpfung hat ihn in Heimlichkeit gehüllt: und Heimlichkeit und Verfolgung und Beschimpfung haben den edlen Trieb, den auszurotten man vollkommen machtlos war, umgeprägt zu einem ekelhaften Laster.

Der Uranismus aber in dem Gewande des heimlichen Lasters: entsetzlich schädlich hat er eingewirkt auf den Charakter, namentlich der Geliebten, der jungen De. Auf dieser Seite tritt heute der Uranismus in Formen auf, die erschreckt aufschreien machen.

§. 48. Auch in Griechenland und Rom gab es Cinäden der passive Homosexuelle, hier als Prostituierter aufgefaßt.. Aber sie waren doch nicht sittenloser, als unsere gewöhnlichen Dirnen. Was für eine Sorte aber habt ihr heranerzogen durch euer System in einer Classe euerer eigenen Geschlechtsgenossen, in mindestens einem Drittel der dionischen Cinäden unserer Hauptstädte?

Diese Cinäden mit ihrer Erpressung Ein U schreibt mir am 5. Juli 1864 aus Mitteldeutschland: »Wie viel wackere Männer sind nicht schon durch solche Erpressungsversuche in's Unglück gestürzt! Weil die Gesetze so verkehrt sind, liegen die bravsten Charaktere in den Banden solcher Individuen. Das Individuum verlangt Geld und immer mehr Geld, und endlich denunciirt es wegen »Verführung«. Unter zehn Fällen, die vor Gericht gelangt sind, ist sicher in neun Fällen der Denunciation erst eine auf diese Weise versuchte Erpressung vorangegangen.«
Ein anderer U schreibt mir am 10. Juni 1864 aus Norddeutschland sehr wahr:
»Das Gespenst der schleichenden Denunciation mit den entsetzlichen Folgen, jedem edlen Aufschwung raubt es die Kraft.«
und mit ihrer heimtückischen Verrätherei! O der sittlichen Entrüstung, die sie in ihren Zornesblicken spielen lassen, wenn sie nach Polizei und Wache schreien! O der Tugendmiene, mit der sie ihn zu Protokoll denunciiren, den schrecklichen Angriff auf ihre Sittlichkeit, den sie, durch ihr Herandrängen an den nichts ahnenden U, als ihn die Leidenschaft blind machte, selber provocirten! O des Ernstes, mit dem sie denunciiren, nachdem sie splendid zahlenden ihre Ehre bereits hundertmal verkauften! O der Kaltblütigkeit endlich, mit der sie denunciiren, wissend, daß sie ihr Opfer in Kerker und Schande stürzen werden!

§. 49. Und diese Menschen stehen, factisch unantastbar, unter dem Schirm eurer Gesetze!

Sollte man nicht glauben, meine Worte seien eitel Lug und Trug?

O daß ich löge!

Und doch ist diese Schilderung unwahr nur in Bayern mit seinen musterhaften Gesetzen: in allen übrigen Deutschen Landen trifft sie zu.

Der U aber, ich wiederhole es, mit seiner angebornen weiblichen Liebe ist ein ebenso braver Mensch, als der D mit seiner männlichen.

§.50. Wohlan denn: durch Aufhebung der Verfolgung und Beschimpfung stellet den edlen Trieb in seiner Reinheit wieder her; schlagt sie wieder in Ketten, die beiden wüthenden Hetzhunde, die uns zerfleischen, die ihr gegen und losgelassen habt – die Erpressung und den Verrath; und nehmt dadurch zugleich Fürsorge für die Ausrottung moralischer Schändlichkeiten unter einer Classe euerer eigenen Geschlechtsgenossen.

XI.
Revision der Gesetze.

§.51. Unter Excessen verstehe ich namentlich: Anwendung von Gewalt, Mißbrauch noch nicht mannbarer Personen, anvertrauter Pfleglinge und ihres Verstandes nicht mächtiger Personen.

§.52. Der Begriff » Erregung öffentlichen Aergernisses« ist so vag und elastisch, daß, namentlich nach der Wortfassung einzelner Deutscher Gesetze Hannover straft schon bei der Möglichkeit eines entstehenden Aergernisses; »wenn ein solches mit Grund zu befürchten war«: aber, wohlverstanden, mir bei unsren, nicht auch bei euren Geschlechtsacten!!, α) eine laxe Interpretation schon die bloße Besprechung eines Privatfalles im Publikum darunter bringen kannα ist schon jetzt bestimmt ausgeschlossen durch die correcte Bayerische Fassung, welche erregtes Aergerniß und »Vornahme an einem öffentlichen Ort« voraussetzt. In anderen Ländern ist z. B. auch Trunkenheit strafbar, welche öffentliches Aergerniß erregt. Dennoch würde es dort keinem Richter einfallen, den zu strafen, der z. B. in seinem Kämmerlein (also Privatfall) so betrunken gewesen ist, daß die Bewohner des ehrsamen Städtchens, die von seinen Hausgenossen davon erzählen hörten, das höchste Aergerniß daran nahmen. Bei geschlechtlichen Acten aber sollte man dasselbe Gesetz doch nicht willkürlich laxer, d. i. schärfer, in pejus, interpretiren, das man bei Trunkenheit in melius interpretirt.;

β) die Polizei das Aergerniß durch Einmischung erst hervorrufen und so die an sich gar nicht vorhandene Strafbarkeit herbeiführen kann. Wo bleibt da die Rechtssicherheit?!

Außerdem scheint man bisher ganz übersehen zu haben, daß die Erregung öffentlichen Aergernisses diese vier Zeilen fehlen (aus Versehen?) in der Neuausgabe von 1898.doch wohl nur äußerst selten anders als durch Fahrlässigkeit erfolgt: während z. B. Verbreitung unzüchtiger Gemälde, und ebenso die obengenannten Excesse, stets bösen Vorsatz voraussetzen.

§. 53. Aus diesen Gründen, namentlich auch um der Gefahr β. vorzubeugen, schlage ich hinsichtlich des öffentlichen Aergernisses folgende bestimmte, nicht verschiebbare, Wortfassung vor, welche D und U gemeinsam trifft:

»Wer geschlechtliche Handlungen so vornimmt, daß ihre Vornahme den Umständen nach öffentlich erblickt werden konnte und öffentlich erblickt worden ist, wird bestraft a. wenn ihn dabei böser Vorsatz trifft, mit Gefängniß, b. wenn nicht, mit Geld.

Erblickten jedoch im Falle b. die Vornahme nur Kinder unter zehn Jahren, ihres Verstandes nicht mächtige Personen, Diener der öffentlichen Sicherheit und sonstige öffentlich angestellte Denuncianten, oder endlich wer absichtlich aufgelauert hat: so findet Bestrafung nicht Statt« Von den genannten Personen hat nämlich keine Anspruch auf Schutz ihres Schamgefühls, namentlich die beiden letzteren Kategorien nicht..

§.54. In der Hauptsache schlage ich vor, die Paragraphen der Strafgesetze, welche von »naturwidriger Unzucht« handeln, ganz zu streichen (wie solches in Bayern und im Französischen Code pénal längst geschehen ist), da dieselben ja doch hauptsächlich nur gegen uns gerichtet sind, und, wenn wir ausfallen, kaum noch etwas zu strafen übrig bleibt. Auch würde das übrigbleibende bei öffentlichem Aergerniß ja unter den vorigen § fallen, Excesse aber, z. B. Gewalt, möglicherweise unter strafbare Thierquälerei.

Eventuell schlage ich aber zu diesen §§. der bestehenden Strafgesetze folgende authentische Interpretation vor:

»Unter vorstehenden Paragraphen fällt nicht, wer geschlechtliche Handlungen begeht, versucht oder duldet, welche entweder der ihm selber oder der dem andern Theile angebornen Richtung des geschlechtlichen Liebestriebes gemäß sind.«

§. 55. Noch halte ich folgenden Zusatz für dringend nothwendig, um uns vor Hinterlist geschildeter Art zu schützen:

»Wer durch thätliche Zudringlichkeiten einem anderen geschlechtliche Zumuthungen macht, wird, auf dessen Strafantrag, wie ein Beleidiger wegen thätlicher Beleidigung bestraft.

»War jedoch des anderen Benehmen derart, daß die gemachten Zumuthungen diesem Benehmen als entsprechend erscheinen, oder waren sie durch dasselbe provocirt, oder sonst den Umständen entsprechend: so ist dem Strafantrage nicht stattzugeben; ebenso, wenn er ausdrücklich oder stillschweigend, z. B. durch Annahme eines Geschenks, schon verziehen hat.

»Bis das Strafurtheil die Rechtskraft beschritten hat, kann der Strafantrag zurückgenommen werden.

»Eine geschlechtliche Zumuthung ist straflos, wenn sie nur in dem Versuch des einen Theils besteht, des anderen Theils freiwillige Einwilligung zu erlangen.«

§.56. Mein Anonymus schreibt mir im Juni 1864:

»Will man mehr bestrafen, als die Excesse und das öffentliche Aergerniß: so bestrafe man die jungen De, die sich den Uen gewerbmäßig (für Geld) überlassen, also die männliche Prostitution. Das nicht prostitutionsmäßige freiwillige Uebereinkommen aber zum Verbrechen zu machen, ist in der That unwürdig der Bildung unserer Zeit und ein ungerechtfertigter Eingriff in die persönliche Freiheit.

Die Gesellschaft wird schon selbst dafür sorgen, daß urn. Liebe nicht überhand nehme.

Außerdem wird jeder vernünftige U selber alles aufbieten, um ein Bekanntwerden seiner Richtung zu verhüten, womit doch stets eine gewisse Isolirung verbunden bleibt.«

§. 57. Im allgemeinen bin ich zwar gleicher Ansicht. Indeß doch drei Bemerkungen.

1) Die Bestrafung der männlichen Prostitution bringt den U in die Lage, nach Willkür zu denunciiren, d. i. in jene Lage, in welcher sich bisher der junge D dem U gegenüber befand. So unwürdig die letztere: als eine eben so unwürdige muß ich meines Orts die erstere verschmähen.

Oft übrigens ist auch die Grenze schwer zu finden zwischen Prostitution und Nichtprostitution. Nichts aber halte ich für gefährlicher für die öffentliche Sittlichkeit, als ein Criminalgesetz mit elastischen Grenzen für die Strafbarkeit, weil dann die einzelnen nie davor sicher sind, in Criminaluntersuchung gezogen zu werden. Die Strafe aber wirkt kaum so verderblich auf den Charakter, als die ewig drohende Gefahr einer Untersuchung.

Selbst das Gewähren gegen Lohn möchte ich keinesweges unbedingt für strafbar erklärt wissen. So gut wie die Amme und der Bursch, der bei einem Reconvalescenten in körperlicher Berührung zubringt, mit vollem Recht Lohn verdienen: ebenso verdient Lohn m. Erm. auch der D, der behuf medicinischer Heilung, ja blos zur Nervenstärkung, sei es auf ärztliche Anordnung oder nicht, einem U Liebesgenuß gewährt. (Vergl. die folgenden Schriften »Formatrix« und »Ara spei«.)

Meines Erm. folge man lediglich dem Bayerischen Vorbilde und strafe nur die Excesse und das öffentliche Aergerniß.

2) Daß wir auch künftig noch Auftreten sollen unter der Maske eines Geschlechtslosen oder gar dion. Gefühle erheuchelnd, scheint mir ebenso unpraktisch wie unwürdig. Als Urninge sollen und müssen wir auftreten, mit offenem Visir! Nur dann erobern wir uns in der menschlichen Gesellschaft Boden unter den Füßen, sonst niemals. Jene Isolirung wird dann eben aufhören.

3) Für das Nichtüberhandnehmen des Uranismus allerdings wird die Gesellschaft selber schon sorgen durch die Macht einer geläuterten öffentlichen Meinung.

Hiefür sorgen wird aber auch die Natur, da nämlich der Uranismus weder aus freiem Willen entspringt, noch, wie Masern und Blattern, ansteckt. Sehr wahr schreibt mir hierüber (in demselben Monat) ein anderer:

»Diese Richtung bleibt naturgesetzlich in ihren Grenzen. Wer von Natur entschieden Mann ist, wird nie in sie hineingerathen: und schriebe man Prämien dafür aus.«

Der D wird nun und nimmermehr zum U.

In Bayern nimmt der Uranismus nicht überhand. In der Neuausgabe von 1898 (S. 55) merkt Hirschfeld an: »Die Wiedereinführung der Bestrafung in Bayern nach sechzigjähriger Pause hat nach sachverständigem Urteil weder auf die Abnahme noch auf die Zunahme, noch überhaupt auf die Verbreitung des Uranismus den geringsten Einfluss gehabt, ein weiterer Beweis für die Ueberflüssigkeit und Nutzlosigkeit derartiger Strafbestimmungen.« Gerade unter sittsameren Formen tritt er dort auf, als z. B. in Frankfurt a. M. und in Berlin, wo das Schwert des Damokles unmittelbar über seinem Haupte hängt.

§.58. Ich komme also lediglich auf meinen Vorschlag zurück (§§. 53-55.) und erinnere nochmals an das Wort meines Kampfgenossen:

»Mit welchem Recht wollt ihr zwei Menschen hindern, mit Leib und Seele einander anzugehören, um dadurch ihren Antheil zu erlangen an der irdischen Glückseligkeit, zu der doch alle berufen sind?« »Wilde Ehen« verbietet der Staat, um Ehe und Geborenwerden ehelicher Kinder zu befördern, also aus Rücksichten, welche hier nicht zutreffen.

Wenn ihr hinfort nicht revidirt, so gebt ihr uns ein Recht, euch vorzuwerfen:

»Dafür, daß die Natur anders waltet, als ihr ihr vorschreiben möchtet, wagt ihr uns zu strafen

XII.
Eingesandt.

§.59. Unter dem 21. Juni 1804 schreibt mir ein Nichtdeutscher, welcher Inclusa gelesen hatte:

»Die höchste Spitze erlangt diese Ideenfolge, kommt man, schon aus praktischer Beobachtung, zu der Ueberzeugung: dieser verkehrten Geschmacksrichtung liege zum Grunde nicht entfernt freier Wille oder lasterhafte Angewöhnung, sondern angeborene Naturanlage; wenn ich auch nicht gerade eingehen will auf Ihre Theorie der Verwechslung der Triebe. Wir haben es hier also zu thun: entweder mit einer Monstrosität der Natur, oder mit einer krankhaften Manie, wahrscheinlich aber mit einem höchst bedauerlichen, tiefes Mitleid erregenden, noch nicht ergründeten, Naturgesetz: demnach aber wahrlich nicht mit einem Verbrechen noch auch mit einem Sichauflehnen gegen die Sittlichkeit, überhaupt nicht mit sittlich schlechten oder verderbten Gemüthszuständen. Darum ist es denn eine Grausamkeit des Herzens nicht nur, nein, es ist eine Schande für den Geist unseres Jahrhunderts, jährlich hunderte der anständigsten, ehrlichsten und sittlichsten Menschen herabzudrücken in die Classe der Verbrecher

XIII.
Ein Arzt über naturwissenschaftliche Irrthümer als Quelle von Justizmorden.

§.60. Darf ich den edleren unter den Den trauen, so ist – wenigstens mit ihnen – eine Verständigung unmöglich noch fern. So sagt z. B. Dr. med. v. Krafft-Ebing: In einem vortrefflichen Aufsatz über Sinnestäuschungen in »Friedreich's Blättern für gerichtliche Medicin.« Nürnberg 1864. S. 244.

»Erst als die Gerechtigkeitspflege aufhörte, des Naturforschers Resultaten die Thür zu verschließen um als bloßer Würgeengel zu erscheinen: konnte ein Ende finden die endlose Reihe der Justizmorde, Hexenprozesse und Verfolgungen.

»Freuen wir uns der Gegenwart, die beseelt ist vom Geiste der Humanität, die bemüht ist, die Fehler der Vergangenheit gut zu machen, die sich stützt auf nüchterne Forschung, die zu ergründen sucht die Gesetze menschlichen Denkens, Wollens und Empfindens im kranken und gesunden Zustande, und die die daraus gewonnenen Resultate zum alleinigen Maßstab macht für die Beurtheilung menschlichen Handelns. Ist die Gegenwart wirklich so gerecht? Darf ich der Botschaft glauben?

»Auch in foro ist die Nothwendigkeit, die naturwissenschaftlichen Thatsachen zu kennen, durchgedrungen. Der Richter hat gelernt einzusehen, es sei nicht erlaubt, daß »Gesetz und Rechte sich wie eine ewige Krankheit forterben«, »Gesetz und Recht« (Verfasser meint offenbar: die Gerechtigkeitspflege) » müsse vielmehr entsprechen den Resultaten des Forschens

»Wo die Fähigkeit der freien Willensbestimmung gehindert ist durch einen abnormen somatischen oder psychischen Prozeß, befindet sich das Individuum in einem psychisch unfreien Zustand.«

Alle, welche so wahr und so schön sprechen, lade ich nun aber ein, es nicht bei diesen allgemeinen Wahrheiten bewenden zu lassen, sondern vorurtheilsfrei sie anzuwenden auch auf angeborne urn. Liebe.

XIIIa.
Nachtrag.

§. 60. a. Ihr, die ihr gewohnt seid uns zu beschimpfen: ich möchte doch wissen, ob unter euch allen ein einziger sei, der, wäre ihm Uranismus angeboren, nicht Dionäismus, anders handeln würde, als wir?

Nach der bestehenden Gerechtigkeitspflege wird auf Denunciation eines Burschen hin gegen einen U Criminaluntersuchung eingeleitet und Criminalstrafe ausgesprochen, auf welche hin eine Denunciantin, die einen D in's Unglück stürzen wollte, höchstens ausgelacht werden würde.

Stellt ihr hinfort euere criminelle Verfolgung nicht ein, so ist, meine ich, euere Justizpflege hinfort eine Justizpflege nicht der Gerechtigkeit, sondern des Hasses, nämlich des Hasses gegen eine bestimmte Menschenklasse.

XIV.
Vindicta.

§.61. Mein Kampf ist ein Kampf um Freiheit.

Der Römische Sclav trug Verlangen, mit dem Freiheitsstabe, mit der vindicta, berührt zu werden.

»Servos ... horum suppliciorum omnium metu ... vindicta liberabit.« [ Cicero, Rabir. perd. 5. prope fin.]

»Vindicta Cicero: Von der Furcht vor all diesen Strafen befreit die Sklaven die Vindicta.... imposita ... formidine privet.« [ Horatius, satir. II. 7. v. 77.]

Auch uns verlangt nach dem Freiheitsstabe.

§. 62. Wir fordern ihn als unser klares Recht. Auch wir sind zur Freiheit geboren. Ihr habt nicht das Recht, uns zu unterdrücken, zu verfolgen und zu beschimpfen.

§. 63. Dennoch ist er schwer, mein Kampf.

Der Gegner, gegen den ich ihn zu führen habe, ist ja nicht der Irrthum allein, der naturwissenschaftliche. Stände ich nur diesem gegenüber: meine Stellung wäre nicht gar schwierig. Der unbefangen prüfende Verstand ist besserer Einsicht ja zugänglich.

Blinde Antipathie aber, instinctartiges vernunftloses Gegengefühl, steht dem Irrthum zur Seite, und zwar die vernunftlose Antipathie einer erdrückenden Majorität. Von meinen beiden Gegnern ist diese Antipathie der weitaus widerstandsfähigere und hartnäckigere: die vernunftlose Antipathie, welche Menschenalter hindurch sich gesträubt bat, Ketzern und Juden gegenüber den rechtswidrig occupirten Urtheilsstuhl dem prüfenden Verstande zu überlassen. Der Kampf gegen sie ist ein Riesenkampf. Er gleicht jenem gegen die zähe alte und blinde graue Katze der Zeit, die selbst ein Asathor in Einem Griff nicht vom Boden zu heben vermochte.

§. 64. Mein Kampf fordert daher nicht nur Energie, sondern auch Ausdauer und ein nie ermüdendes Ringen, ein vielleicht oft zu erneuerndes, selbst nach etwa erfochtenen Siegen.

Allein nur nach einem solchen Kampfe ist der Sieg ein vollständiger. Zu behaupten ist ja alles errungene nur durch erneuertes Ringen. »Jisdem tantum artibus victoria retinetur, quibus initio parta est. Iisdem tantum artibus: Der Sieg wird nur durch die gleichen Anstrengungen erhalten, mit denen er anfangs gewonnen wurde.« Und

»Das ist der Weisheit letzter Schluß:
Nur der erringt sich Freiheit und das Leben,
Der täglich sie erobern muß
Das ist der Weisheit letzter Schluß:
Faust, . 2. Teil, 5. Akt:
Nur der verdient sich Freiheit wie das Leben,
der täglich sie erobern muß. (Vers 11 574 f.)

Geschrieben zu Aurich und bei Hannover
im Frühling und Sommer 1864.

Numa Numantius.


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