Ludwig Uhland
Walther von der Vogelweide
Ludwig Uhland

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Neunter Abschnitt.

Des Dichters Alter.  Seine Religionsansichten.  Sein Tod.

Es ist eine Reihe von mehr als dreißig Jahren, durch die wir unsrem Dichter seit den ersten Liedern, denen sich die Zeit ihrer Entstehung nachweisen läßt, d. h. vom Jahr 1198 an, unter dem Fingerzeig der Geschichte gefolgt sind, und schon jene Lieder tragen den Ausdruck männlicher Reife. Wir haben ihn sagen gehört, daß er vierzig Jahre und drüber von Minne gesungen. Sonach ist nicht zu zweifeln, daß er ein ansehnliches Alter erreicht habe.

Wie wenig sein Leben durch äußere Glücksumstände begünstigt war, darüber läßt er sich bald schmerzlich, bald launig vernehmen. Aus letztere Weise in folgendem:

Frau Sälde teilet rings um mich
Und kehret mir den Rücken zu,
Da kann sie nicht erbarmen sich;
Nun ratet, Freunde, was ich thu'!
Sie steht ungerne gegen mir;
Geh' ich hinfür, ich bin doch immer hinter ihr,
Sie geruhet nicht mich anzusehen;
Ich wollte, daß ihr Aug' an ihrem Nacken stünde,
So müßt' es ohn' ihren Dank geschehen.   (I, 119a.)

Frau Sälde] Frau Glück, die Segensgöttin, – gegen mir] mir zugewendet. – ohne ihren Dank] gegen ihren Willen.

369 In ähnlichem Tone hat er seinen letzten Willen aufgesetzt. Er will, eh' er hinfährt, sein fahrend Gut und Eigen austeilen, damit niemand darum streite, dem er es nicht zugedacht. All sein Unglück bescheidet er jenen, die sich dem Haß und Neid ergeben; seinen Kummer den Lügnern; seinen Unverstand denen, die mit Falschheit minnen; den Frauen: nach Herzeliebe sehnendes Leid. (I, 115b.)

Eben die Ungunst des Geschickes, womit er vielfältig zu kämpfen hatte, konnte frühzeitig seinen Sinn auf das Höhere lenken. Die mannigfachen Erfahrungen einer langen Lebensbahn waren geeignet, ihm die Nichtigkeit der irdischen Dinge aufzudecken. Mit dem vorrückenden Alter sehen wir ihn auch immer mehr in das Gebiet ernster und frommer Betrachtung hingezogen. Wenn wir an einem Teile seiner Minnelieder die Wärme der Empfindung vermißten, so finden wir die Heimat seiner tieferen Begeisterung da, wo es von Sachen des Vaterlandes und der Religion sich handelt. Sein Zeitgenosse Reinmar der Alte ist so sehr Minnesänger, daß er auch noch als Pilgrim seiner Gedanken nicht Meister wird; den Gott, dem er dienen soll, helfen sie ihm nicht so loben, wie er es bedürfte (I, 72a.).So gesteht auch Friedrich von Husen, sein Leib wolle gern fechten gegen die Heiden, aber seinem Herzen liege ein Weib nahe (Man. I, 93b) und der von Johannsdorf bittet die Minne, ihn so lange frei zu lassen, bis er die reine Gottesfahrt vollendet habe, dann soll sie ihm wieder willkommen sein. (I, 176b.) Unser Dichter dagegen hat mit dem ungeteiltesten Eifer die Sache des Kreuzes ergriffen.

Jetzt, da er sich am Abend seines Lebens befindet, wird es angemessen sein, eben die religiöse Seite seiner Dichtungen völlig hervorzuheben. Das Irdische schwindet ihm, so wie beim Sinken der Sonne die Thäler sich in Schatten hüllen und bald nur noch die höchsten Gipfel beleuchtet stehen.

Den Vorzug der wahren und dauernden Freuden vor den eiteln und flüchtigen bezeichnen nachstehende Lieder:

Ich bin einer, der nie halben Tag
Mit ganzen Freuden hat vertrieben.
Was ich je daher der Freuden pflag,
Der bin ich hier entblößt geblieben.
Niemand kann hie Freude finden, sie zergeh',
Wie der lichten Blumen Schein.
Darum soll das Herze mein
Trachten nach falschen Freuden nimmermeh.   (I, 114a.)

sie zergeh'] sie zergehe denn. 370

Oh weh! wir müßigen Leute, wie sind wir versessen
Zwischen zwei Freuden nieder an die jämmerliche Statt!
Aller Arbeit hatten wir vergessen,
Da uns der kurze Sommer sein Gesind' zu werden bat.
Der brachte uns fahrende Blumen und Blatt,
Da trog uns der kurze Vogelsang.
Wohl ihm, der nur nach steten Freuden rang!

Weh geschehe der Weise, die wir mit den Grillen sangen!
Da wir uns sollten warnen gegen des kalten Winters Zeit.
Daß wir viel Dummen mit der Ameise nicht rangen,
Die nun viel würdiglich bei ihren Arebeiten leit!
Das war stets der Welte Streit:
Thoren schalten stets der Weisen Rat.
Man sieht wohl dort, wer hie gelogen hat.   (I, 103b.)

versessen] falsch gesessen. – zwei Freuden] der irdischen und der ewigen. – Da uns u. s. w.] Als uns der flüchtige Sommer einlud, sein Gefolge zu sein. – fahrende Blumen] vergängliche, unstete, gleich den fahrenden Leuten (Vgl. Man. I, 70a, 7.  I, 170a, 7); das Bild entspringt dem obigen Gesinde. – Blatt] Blätter. – gegen] vor. – leit] liegt.

Wie der Dichter dem Minnesang absagt, den er so lange Zeit geübt, wie er von der vergänglichen Minne sich zu der ewigen wendet, ist schon oben gezeigt worden.

In einem Zweigespräche mit Frau Welt (I, 111b) nimmt er von dieser seiner bisherigen Pflegerin feierlich Abschied. Sie spricht ihm zu, bei ihr zu bleiben; er soll gedenken, was sie ihm Ehren bot und wie sie ihm seinen Willen ließ. Frau Welt, erwidert er, ich habe zu viel gesogen, ich will entwohnen, es ist Zeit. Gott gebe dir, Frau, gute Nacht! Ich will zur Herberge fahren.

Welt, ich habe deinen Lohn ersehen, sagt er in einem ähnlichen Gedicht (I, 122b), was du mir giebst, das nimmst du mir. Wir scheiden alle nackt und bloß von dir. Ich hatte Leib und Seele tausendmal gewagt um dich, nun bin ich alt und hast mit mir dein Spiel, und zürn' ich des, so lachest du. Lach' uns noch eine Weile so! dein Jammertag wird bald auch kommen.

Traum und Spiegelglas, heißt es anderswo, gelten bei der Stete dem Winde gleich. Laub und Gras, das stets meine Freude war, dazu Blumen mannigfalt, die rote Heide, der grüne Wald, der Vögelein Sang, der Linde Süßigkeit haben ein traurig Ende. Den thörichten Wunsch zur Welt, ich sollt' ihn lassen, damit er nicht 371 meiner Seele große Not bringe. Der Buße wäre hohe Zeit. Nun fürchte ich siecher Mann den grimmen Tod, daß er kläglich über mich komme. Vor Furcht bleichen mir die Wangen. Wie soll ein Mann, der nichts denn sündigen kann, hohen Mut gewinnen? Seit ich an weltlichen Dingen Übel und Gut zu erkennen begann, griff ich, wie ein Thor, zur linken Hand recht in die Glut und mehrte stets dem Teufel seinen Sieg. Ich war mit sehenden Augen blind und aller guten Dinge ein Kind, wie ich auch meine Missethat der Welt hehlte. Heiliger Christ, mache du mich rein, eh' meine Seele versinke in das verlorene Thal! (I, 141b.)

Mit tiefschmerzlicher Empfindung ist die Nichtigkeit des Irdischen besonders in dem großen Klaggesange dargelegt, den der Dichter anstimmt, nachdem er in späteren Jahren in das Land seiner Geburt zurückgekommen ist. Alles findet er umgewandelt, er wird an der Wirklichkeit irre, ihm ist jetzt das Leben ein Traum. Lautes Wehe erhebt er über die Verderbnis und den Unbestand der Welt. Er will sich hinüber retten in das Heilige.

O weh! wohin verschwanden alle meine Jahr'?
Ist mein Leben mir geträumet oder ist es wahr?
Das ich stets wähnte, daß es wäre, war das icht?
Danach hab' ich geschlafen und so weiß ich's nicht.
Nun bin ich erwachet, und ist mir unbekannt,
Was mir hievor war kundig, wie mein' andre Hand.
Leute und Land, dannen ich von Kinde bin geborn,
Die sind mir fremde worden, recht als ob es sei verlorn.
Die meine Gespielen waren, die sind träge und alt,
Bereitet ist das Feld, verhauen ist der Wald,
Nur daß das Wasser fließet, wie es weiland floß.
Fürwahr! ich wähnte, mein Ungelücke würde groß.
Mich grüßet mancher träge,Vgl. Barlaam 121, 9: Tracliche gruozt er in. der eh' mich kannte wohl;
Die Welt ist allenthalben Ungenaden voll.
Wenn ich gedenke an manchen wonniglichen Tag,
Die mir entfallen sind, wie in das Meer ein Schlag:Vgl. Meister Gervelyn S. 57, CXCVIII: eyn wazzer-slac.
                Immermehr o weh!

O weh! wie jämmerlich die jungen Leute thunt,
Denen nun viel traurigliche ihr Gemüte stund!
Die können nichts, denn sorgen; o weh! wie thun sie so?
Wo ich zur Welt hinkehre, da ist niemand froh. 372
Tanzen, Singen zergeht mit Sorgen gar.
Nie Christenmann noch sah so jämmerliche Jahr'.
Nun merket, wie den Frauen ihr Gebände staht!
Die stolzen Ritter tragen dörferliche Wat.
Uns sind unsanfte Briefe her von Rome kommen,
Uns ist erlaubet Trauren und Freude gar benommen.
Das mühet mich inniglichen sehr, wir lebten sonst viel wohl,
Daß ich nun, für mein Lachen, Weinen kiesen soll.
Die wilden Vögel betrübet unsre Klage,
Was Wunder ist, wenn ich davon verzage?
Was spreche ich dummer Mann durch meinen bösen Zorn?
Wer dieser Wonne folget, der hat jene dort verlorn
                Immermehr, o weh!

O weh! wie uns mit süßen Dingen ist vergeben!
Ich sehe die bittre Galle mitten in dem Honige schweben.
Die Welt ist außen schöne weiß, grüne und rot
Und innen schwarzer Farbe finster, wie der Tod.
Wen sie nun verleitet habe, der schaue seinen Trost!
Er wird mit schwacher Buße großer Sünde erlost.
Daran gedenket, Ritter! es ist euer Ding.
Ihr traget die lichten Helme und manchen harten Ring,
Dazu die festen Schilde und das geweihte Schwert.
Wollte Gott, ich wäre solches Sieges wert!
So wollte ich notiger Mann verdienen reichen Sold,
Doch meine ich nicht die Huben, noch der Herren Gold:
Ich wollte selber Krone ewiglichen tragen,
Die möchte ein Söldener mit seinem Speer bejagen.
Möchte ich die liebe Reise fahren über See,
So wollte ich danne singen: wohl! und nimmermehr: o weh!   (I, 141b f.)

icht] irgend etwas. – kundig u. s. w.] bekannt, geläufig, wie der einen Hand die andre. – von Kinde] von Kindheit auf. – Ungenaden] Ungunst, Mißgeschick. – Immermehr] immerfort. – thunt] thun. – stund] geworden, beschaffen ist. – zur Welt] auf der Welt. – unsanfte] unerfreuliche; die Bannbriefe. – mühet] betrübet, quälet. – vergeben] Gift gegeben. – schwacher] geringer. – euer Ding] eure Sache. – Ring] Panzerring. – Huben] Grundstücke, Lehengüter. – möchte] könnte. – bejagen] erjagen, erwerben.

Es kann mit Recht gefragt werden, was nach der Verschmähung 373 des Irdischen, dem Dichter das Göttliche sei, das ihn entschädige und erhebe.

Das zuletzt ausgehobene Gedicht benennt uns den Kampf unter der Fahne des Kreuzes. Es ist bemerkenswert, wie der Dichter, der sonst um das Gold der Fürsten geworben, jetzt, dieses verschmähend, selbst eine Krone, die himmlische, erwerben möchte. Das heilige Land ist ihm die durch Gottes irdischen Wandel verklärte Erde, der Kampf um dieses Land eine höhere Weihe, ein Übertritt vom Dienste der Welt in den des Himmels; der Tod in diesem Kampfe der geradeste Pfad nach dem Reiche Gottes.

Große Verehrung widmet Walther der Königin der Engel, deren keuscher Leib den umfing, den Höhe, Breite, Tiefe, Länge nie umgreifen mochte (I, 133a).So auch Meister Friedrich von Sunnenburg, CCCXCVIII: »Den all die Welt an Breite, an Länge nicht umgreifen möchte, den umgriff die Reine alleine.« Vgl. Rumelant, CCCLXXV.  Boppo II, 233a, 3.

Er teilt diese besondere Verehrung der heiligen Jungfrau mit den andern Dichtern seiner Zeit. Sie hing selbst mit dem Minnesange zusammen. »Der Welt Hort,« sagt Reinmar von Zweter (II, 143a), »liegt gar an reinen Weiben, ihr Lob, das soll man höhen und treiben; was Gott je erschuf, das übergelten sie, es ward geboren sein selbes Leib von einer Magd, das gab er ihnen zu Steuer.« Und es geht wohl aus dieser Ansicht von der höheren Weihe der Frauen hervor, wenn derselbe Dichter meint: »flüchtete sich ein Wolf zu Frauen, man sollte ihn um ihretwillen leben lassen« (II, 152b).

Auch über den Kriegsheeren schwebte die heilige Jungfrau. In seinem Kreuzgesange (I, 125b) ruft Walther die Königin ob allen Frauen an.Der von Johannsdorf (I, 174b) findet einen gewichtigen Beweggrund für die Kreuzfahrt in der Schmähung der Heiden, daß Gottes Mutter nicht eine Jungfrau sei. »St. Marie, Mutter und Magd, unsre Not sei dir geklagt!« sangen die Heere, wenn sie in die Schlacht zogen. (Horneck, Kap. 440. 682. 683.)

Ein vorzüglicher Grund des Mariendienstes im Mittelalter lag in dem Glauben, daß Gott keine Fürbitte seiner Mutter unerhört lasse. Walther singt: »Nun loben wir die süße Magd, der ihr Sohn nimmer nichts versagt! Sie ist des Mutter, daß von Hölle uns löste. Das ist uns ein Trost vor allem Troste, der man da zum Himmel ihren Willen thut« (I, 126a). Aus andern Dichtern könnten ähnliche Stellen angeführt werden. So wie aber der Sohn die Mutter erhört, so wird hinwieder die Mutter bei dem Namen des Sohnes 374 gemahnt. »Hilf mir durch deines Kindes Ehre, daß ich meine Sünde büße!« ruft Walther zu ihr (I, 133a).Schön führt Meister Stolle (III) dieses aus: Wer sie des mahnet, daß sie Christum gebar, dem wird geholfen. Mehr noch ist ihrer Gnaden, wenn sie daran gemahnt wird, wie ihr wehe ward, als sie ihn an das Kreuz schlugen. Wer sie aber der großen Freude mahnt, als ihr Sohn vom Tode aufstand, der machet sich von seinen Sünden bloß.

Es war sonst schon Anlaß, seine Gedichte mit Gemälden zu vergleichen. Wie zuvor den Kirchenzug des Königs oder den Ausgang einer herrlichen Frau, so stellt er uns jetzt geistliche Bilder auf aus der Geschichte Mariens und ihres göttlichen Sohnes. Besonders schön sind zwei derselben, die Kreuzigung und der Tod Jesu, rührend durch die bloße Darstellung, ohne allen Erguß der Empfindung:

Sünder, du sollt an die große Not gedenken,
Die Gott um uns litt, und sollt dein Herz in Reue senken.
Sein Leib war mit scharfen Dornen gar versehret,
Und noch ward mannigfalt sein' Marter an dem Kreuze gemehret.
Man schlug ihm dreie Nägel durch Hände und auch durch Füße.
Jammerlichen weinte Maria, die Süße,
Da sie ihrem Kinde das Blut aus beiden Seiten fließen sach.
Traurigliche Jesus von dem Kreuze sprach:
»Mutter, ist doch Euer Ungemach
Mein zweiter Tod! Johann, du sollt der Lieben Schwere büßen.«   (I, 133a.)

sach] sah. – Schwere büßen] Kummer stillen.

Der Blinde sprach zu seinem Knechte: »Du sollt setzen
Den Speer an sein Herze, so will ich die Marter letzen.«
Der Speer gegen all der Welte Herren ward geneiget.
Maria vor dem Kreuze trauriglichen Klage erzeiget;
Sie verlor ihr' Farbe, ihr' Kraft, in bitterlichen Nöten,
Da sie jämmerlich ihr liebes Kind sah töten
Und Longinus den Speer ihm in sein' reine Seite stach.
Sie sank unmächtig nieder, daß sie nicht hörte und nicht sprach.
In dem Jammer Christe sein Herze brach.
Das Kreuz begunnte sich mit seinem süßen Blute röten.   (Ebend.)

letzen] endigen. – Longinus] der h. Longinus ist, nach der Legende, der Kriegsknecht, welcher die Seite Jesu mit dem Speer öffnete. Von dem niederströmenden Blute soll ein Blinder geheilt worden sein.

375 Niemand wird sich wundern, den Dichter in den Vorstellungen seiner Zeit befangen zu finden. Aber auch in freier Bewegung zeigt sich uns derselbe.

Von eigener Aufrichtigkeit ist nachfolgende Beichte.

Viel hochgelobter Gott, wie selten ich dich preise!
Da ich von dir doch beides habe, Wort und Weise,
Wie wag' ich so zu freveln unter deinem Reise!
Ich thu' nicht rechte Werke, noch hab' ich wahre Minne
Zu meinem Nebenchristen, Herre, noch zu dir.
So hold noch ward ich ihrer keinem je, als mir.
Gott Vater und Gott Sohn, dein Geist berichte meine Sinne!
Wie sollt' ich den wohl minnen, der mir übel thut?
Mir muß der immer lieber sein, der mir ist gut.
Vergieb mir andre meine Schuld! ich will noch haben den Mut.   (I, 131a.)

Von Walthers freimütigen Äußerungen gegen die Priesterherrschaft ist umständlich gehandelt worden. Wenn er zum Kampfe für die Erlösung des heiligen Grabes eifrig ermuntert, so ist er darum nicht eben vom blinden Hasse gegen nichtchristliche Mitmenschen beherrscht. »Räche, Herr!« betet er, »dich und deine Mutter an denen, die eures Erblandes Feinde sind! Laß dir den Christen gleich wenig gelten, als den Heiden! Du weißt wohl, daß nicht die Heiden allein dich irren, die sind wider dich doch öffentlich unrein; zeige die in ihrer Unreine, die es mit jenen heimlich gemein haben (I, 103a)!«Diese Äußerungen haben wohl dieselbe Beziehung, wie die in der Anm. S. 367 ausgehobenen des Freigedank. Als den Vater aller Menschen erkennt er den Herrn, wenn er ausruft: »Ihm dienen Christen, Juden und Heiden, der alle lebende Wunder nährt« (I, 128b). Um vieles duldsamer und freidenkender, als der Freigedank (V. 481 bis 484), den es gewaltig verdrießt, daß Gott Christen, Juden und Heiden gleiches Wetter giebt.

Am reinsten aber und über allen Wahn der Zeit erhaben erscheint seine Anbetung da, wo er vor Gott sich niederwirft, als dem Unbegreiflichen, den zu erforschen alle Mühe bei Tag und bei Nacht verloren ist, den keine Predigt und keine Glaubenssatzung erklärt:

Mächtiger Gott, du bist so lang und bist so breit.
Gedächten wir daran, daß wir unsre Arebeit
Nicht verlören! Dir sind beide ungemessen: Macht und Ewigkeit.
Ich weiß an mir wohl, was ein andrer auch drum trachtet;Bertholds Predigten S. 120: trahten.  S. 160: betrahten.  S. 179: ertrahten. S. 289.
Doch ist es, wie es stets war, unsern Sinnen unbereit.
Du bist so groß, du bist zu klein; es ist ungeachtet.
Dummer Gauch, der daran betaget oder benachtet!
Will er wissen, was nie ward geprediget noch gepfachtet?   (O, 102b.)

unbereit] unzugänglich. – ungeachtet] unermessen, ungeschätzt. – daran betaget oder benachtet] Tag oder Nacht darauf wendet, damit hinbringt. (Vgl. II, 112a.) – gepfachtet] in Satzungen gefaßt, von Pfacht, Satzung, Gesetz.

Unsre Blicke sind dem Dichter in das Gebiet des Unendlichen gefolgt und hier mag er uns verschwinden. Es ist uns keine Nachricht von den äußeren Umständen seiner letzten Zeit geblieben, gleich als sollten wir ihn nicht mehr mit der Erde befaßt sehen, von der er sich losgesagt, und von seinem Tode nichts erkennen, als das allmähliche Hinüberschweben des Geistes in das Reich der Geister.

Davon jedoch ist Kunde vorhanden, wo seine irdische Hülle bestattet worden. In der Würzburger Liederhandschrift, aus der ersten Hälfte des vierzehnten Jahrhunderts,Und zwar in der alten Vorrede zu dem S. 343, 1. Anm. angeführten Meisterliede des Lupolt Hörnburg, Mus. II, 1. S. 22. findet sich die Nachricht, daß Herr Walther von der Vogelweide zu Würzburg zu dem Neuenmünster in dem Grasehofe begraben liege. In einer handschriftlichen Chronik aber ist eine liebliche Sage mit folgendem aufbewahrt: im Gange des Neuenmünsters, gewöhnlich Lorenzgarten genannt, sei Walther begraben unter einem Baume. Dieser habe in seinem Testament verordnet, daß man auf seinem Grabsteine den Vögeln Weizenkörner und Trinken gebe; und, wie noch jetzt zu sehen sei, hab' er in den Stein, unter dem er begraben liege, vier Löcher machen lassen zum täglichen Füttern der Vögel. Das Kapitel des Neuenmünsters aber habe dieses Vermächtnis für die Vögel in Semmeln verwandelt, welche an Walthers Jahrestage den Chorherren gegeben werden sollten, und nicht mehr den Vögeln. Im Gange des vorbesagten Gartens, gewöhnlich im Kreuzgang, sei von diesem Walther noch folgendes, in lateinischen Versen, in Stein gehauen, zu lesen: »Der du bei Leben, o Walther, der Vögel Weide gewesen bist, Blume der Wohlredenheit, Mund der Pallas, du starbest. Damit nun deine Frömmigkeit den himmlischen Kranz erlangen möge, so spreche, wer dieses liest: Sei Gott seiner Seele gnädig!«Oberthür in der Schrift, welche S. 295, 4. Anm. angeführt worden ist, S. 30, giebt diese Stelle mit der Bemerkung, daß Ignaz Gropp solche in einer geschriebenen Chronik gefunden habe. Die Stelle, worüber die Recension des oberthürischen Buches in den Göttingischen Gelehrten Anzeigen 1818, S. 2054 bis 2056 zu vergleichen [Aufseß' Anzeiger 1833, Sp. 70] lautet so: In novi monasterii ambitu, vulgo Lorenzgarten, sepultus est Waltherus sub arbore. Hic in vita sua constituit in suo testamento, volucribus super lapide suo dari blanda (blada?) et potum; et quod adhuc die hodierna cernitur, fecit quatuor foramina fieri in lapide, sub quo sepultus est, ad aves quotidie pascendas. Capitulum vero N. M. hoc testamentum volucrum transtulit in semellas, dari canonicis in suo anniversario, et non amplius volucribus. In ambitu praefati horti, vulgo im Kreuzgang, de hoc Walthero adhuc ista carmina saxo incisa leguntur:
    Pascua qui volucrum vivus Walthere fuisti,
    Qui flos eloquii, qui Palladis os oblivisti,
    Ergo quod aureolam probitas tua poscit habere,
    Qui legit, hic dicat: Deus istius miserere!

Nach einer neueren Mitteilung im Morgenblatt 1821, Nr. 19, sind diese vier gereimten Hexameter auch in die Würzburger Handschrift Bl. 212b eingezeichnet. (Statt oblivisti heißt es hier besser obiisti, statt poscit steht possit.) Voran stehen die Worte: De milite Walthero dicto von der Vogelweide, sepulto in ambitu novi monasterii Herbip.; in suo epitaphio sculptum erat: u. s. w.

377 Name und Wappen des Dichters mögen zu jener Sage Anlaß gegeben haben.

Der Truchseß von Sankt Gallen betrauert den Tod Walthers auf ähnliche Weise, wie dieser den Tod Reinmars beklagt hat: Uns ist unsres Sanges Meister, den man eh' von der Vogelweide nannte, auf die Fahrt, die nach ihm uns allen unerlassen bleibt. Was frommet nun, was er eh' der Welt erkannte? Sein hoher Sinn ist worden krank. Nun wünschet ihm um seines werten, hofelichen Sanges willen, daß sein der süße Vater nach Gnaden pfleget (Pf. Hds. 357, Bl. 20b.)Böhmers Fontes I, XXXVI.


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