Ludwig Uhland
Walther von der Vogelweide
Ludwig Uhland

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Siebenter Abschnitt.

Walthers Kunst und Kunstgenossen.  Nithart.  Der Meißner.  Reinmar.  Walters Standpunkt in der Geschichte der deutschen Dichtkunst.

Wie sehr Walther von der Vogelweide seiner Kunst wegen von den Zeitgenossen geschätzt war, beweist nicht bloß die Gunst, der er sich von den angesehensten Fürsten, zumal demjenigen, der, auch dem Geiste nach, vor allen glänzte, von Kaiser Friedrich II., zu erfreuen hatte; auch die gleichzeitigen Meister des Gesanges zollen ihm hohe Achtung.

Dem gepriesenen Wolfram von Eschenbach ist er wohl bekannt, wie wir bereits aus einer Stelle des Parcifal ersehen haben, in welcher ein jetzt verlorenes Lied von ihm angeführt ist. Im Titurel, woselbst Walther als einer der hohen Meister genannt wird,Im 6. Kapitel des Titurel wird der Aventeure, d. h. der romantischen Überlieferung, welche von dem seligen Leben der Hüter des heiligen Grales Kunde giebt, entgegengehalten, daß sie mit hohen Meistern in Widerspruch gerate:
    Ich mein', daß mein Herr Walther konnte sprechen,
    Hulde Gottes und Gut und weltlich' Ehre
    Mitsamt wär' niemand habende.
Das Lied von Walther, worin die angezogene Stelle vorkommt (Man. I, 102), ist zuvor, Abschnitt 2, ausgehoben worden.
und im Wilhelm von Orleans des Rudolf von EmsNach v. d. Hagens Anführung aus der Kasseler Handschrift (Mus. I, 2, S. 563):
    Nun seid ihr doch einander gram,
    Frau Minne und auch die Kindheit,
    Als uns Meister Walther seit
    Von der Vogelweide,
    Der sang, daß ihr beide
    Wäret gar einander gram.
Walthers Worte sind diese:
    Minne und Kindheit sind einander gram.   (I, 112a.)
ist gleichfalls auf Aussprüche von ihm Bezug genommen. Der Rolle, die er im Kriege auf Wartburg spielt, haben wir erwähnt.

Meister Gottfried von Straßburg, der selbst als ein feiner Hauptschmied güldene Gedichte wirkte,So spricht von ihm Konrad von Würzburg in seiner goldenen Schmiede V. 97 ff.  Grimm, Altdeutsche Wälder B. II, S. 219.) hat in der Stelle seines Tristan, welche von den deutschen Dichtern handelt, auch den unsrigen verherrlicht. Die Liederdichter vergleicht er mit Nachtigallen, die ihre süße Sommerweise singen. Wer aber, fragt er, soll dieser Nachtigallen Panier jetzt tragen, seit die von HagenauDocen (Mus. I, 1, S. 167) vermutet unter dieser Bezeichnung nicht unwahrscheinlich Reinmar den Alten; v. Groote (Anm. zu V. 4778) glaubt, daß Hartmann von Aue darunter verstanden sei, was mir, schon nach dem Zusammenhang der Stelle, bedenklicher scheint. verstummt ist? wer soll die lebende Schar führen und weisen? Ihre Meisterin kann es wohl, die von der Vogelweide. Hei! wie die 343 über Heide mit hoher Stimme schallet! was Wunder sie stellet! wie spähe (kunstvoll) sie organieret! wie sie ihren Sang wandelieret! Die soll der andern Leiterin sein, die weiß wohl, wo man suchen soll der Minne Melodie. (Tristan, von Grootes Ausg. V. 4750 ff.)

Auch die Späteren erkennen Walthers Meisterschaft an. Insbesondere rühmt noch ein Meistergesang des vierzehnten Jahrhunderts seine schönen und reinen Töne.Diesen Meistergesang des Lupolt Hornburg hat Docen im Mus. II, 1, S. 18 ff. aus der Würzburger Handschrift geliefert.

Von einer Handschrift, welche mit den Singweisen seiner Lieder ausgestattet war, sind nur noch traurige Überreste vorhanden.Docen Mus. II, 1, S. 26. Aber der innere Wohllaut seiner Gesänge, der sich in schönen und mannigfaltigen Formen ausdrückt, welchen man oft ihre Singweise anzuhören meint, giebt den Lobpreisungen Gottfrieds von Straßburg und dem Zeugnisse des Meisterliedes volle Glaubwürdigkeit.

Das Gepräge der Meisterschaft erkennen wir an den Liedern unsres Dichters vornehmlich in dem Einklange von Inhalt und Form. Der Gegenstand ist durch die Form harmonisch begrenzt und die Form ist durch den Gegenstand vollständig ausgefüllt. Für das bloße Spiel mit Formen ist Walther zu gedankenreich. Eben darum sind auch seine Formen in der Mannigfaltigkeit einfach.

Es ist eine ansehnliche Stufenleiter von Tönen, aus der er sich vom einfachsten Volksliede bis zu jenen großartigen Königsweisen erhebt. Nach Abzug desjenigen, was sich der Unechtheit verdächtig macht, kann man in seinen Gedichten noch immer etliche und achtzig verschiedene Töne zählen. Er führt uns durch den hohen, den niederen und den mittleren Sang (I, 105b). Er singt, wie ein andrer von ihm meldet, was er will, des Kurzen und des Langen viel (I, 113b). Aber stets geht der Inhalt gleichen Schrittes mit der Form und schon der äußere Bau seiner Gedichte läßt auf ihren Gegenstand schließen. Der fröhlichen Weise des Volksliedes entspricht die Lebensfrische des Inhalts und die volleren, gezogenen Töne sind in Übereinstimmung mit der Würde der Person, an die das Lied gerichtet ist, mit der Wichtigkeit des Gegenstandes, mit der Fülle der Gedanken. Die Spiele der Reimkunst sind ihm zwar nicht unbekannt, doch bedient er sich ihrer mäßig und versteht sie scherzhaft anzuwenden.Z. B. in dem wunderlichen Winterliede (I, 125), das durch alle Selbstlauter reimt. Der Truchseß von Singenberg (I, 157b) und Rudolf der Schreiber (II, 181b) haben es nachgeahmt. Reime am Anfang und Schlusse der Zeilen finden sich in der Strophe: »Ob ich mich selbsten rühmen soll« u. s. w. (I, 121b) und den drei folgenden. Er hat zu gewissen Formen Vorliebe und kehrt häufig zu ihnen zurück, aber auch hierin verfährt er nach richtigem 344 Ermessen. Die Betrachtung und die bildnerische Darstellung lieben Stetigkeit, die Leidenschaft, die Empfindung den Wechsel der Formen. Wir haben es bei seinen Minneliedern schön gefunden, wenn er das Erscheinen einer herrlichen Frau in derselben Weise darstellt, worin er sonst die Könige feiert. Jene Gesänge vom ersten Auftreten Friedrichs II. bis wo der Dichter das Lehen empfängt, sind alle in gleicher oder verwandter Form gedichtet, sie treten dadurch in näheren Zusammenhang und bilden gewissermaßen ein episches Ganzes. Eben die Einfachheit der Formen macht sie geeignet, vielfacherem Inhalt zu dienen. Selbst die großartigsten, und gerade diese wiederholt Walther am öftesten, sind nicht vielfach verschlungen; fast kunstlos folgt sich in drei lang hingezogenen Zeilen der dreimalige Reimschlag. Es ist der volle Wellenzug eines anschwellenden Stromes.

Walthers Gedichte bilden großenteils nur eine Strophe. Der Bau eines solchen Gesätzes ist aber genugsam in sich gegliedert, um für eine vollständige Darstellung auszureichen. Man darf Gesätze, die in derselben Weise über denselben Gegenstand gedichtet sind, darum noch keineswegs als Teile eines Gedichts betrachten; sie können sich aufeinander beziehen, eines kann aus dem andern entsprungen sein und doch jedes dabei seine Selbständigkeit behaupten, wie etwa bei einer Reihe von Sonetten über den nämlichen Gegenstand. Unser Meister setzt seine Gedichte nicht zusammen, er schafft sie von innen heraus. Eben diese lebendige Entfaltung des Gedankens, des Bildes sichert dem Gedicht seine Selbständigkeit und bedingt seine Begrenzung. Ist der Gedanke dargelegt, das Bild hingestellt, so ist auch das Gedicht abgeschlossen. Bedarf ja doch gerade der kräftigste Gedanke, das klarste Bild, zu seiner vollständigen Erscheinung am wenigsten der Ausführlichkeit.

In einem Teile von Walthers Gedichten findet sich die Grundform, keineswegs aber die überkünstliche Verwickelung des späteren meistersängerischen Strophenbaues. Ebenso ist die prunkende Gelehrsamkeit und der überladene Bilderschmuck der späteren Dichter ihm fremd. Er ist mehr gestaltend, als bilderreich.

Wenn Frauenlob (st. 1317) in seinem Liederstreite mit Regenbog sich selbst als den Meister aller rühmt, die je gesungen und noch singen, als einen Koch der Kunst und einen Vergolder des Sanges der alten Meister, Reinmars, Eschilbachs und des von der Vogelweide, die neben kunstreicher Straße den schmalen Steig gefahren seien (Man. II, 214 f.), so wird uns dieses nicht abhalten, den unvergoldeten Sang und den schmalen Naturpfad jener älteren Dichter vorzuziehen. Wir werden auf Regenbogs Seite treten, der, als 345 erklärter Kämpfe der letzteren, behauptet, die Kunst Walthers und der andern stehe noch immer frisch belaubt und bewähre die Kraft ihrer Wurzeln (ebd. 215b); übereinstimmend mit dem Marner, der ebenfalls Walther von der Vogelweide an die Spitze der hingegangenen Sangesmeister stellt, aus deren Garten er, unwillkürlich, Blumen lesen müsse (II, 173a).

Walther selbst ist sich seiner Meisterschaft bewußt. Er spricht von seinem werten Sange (I, 118a). Er klagt, daß man ihn so arm lasse bei reicher Kunst (I, 131a). Er spricht es aus, daß die Frau, von der er singe, durch seinen Sang geehrt werde; daß nicht leicht jemand sie besser loben könne; daß, wenn er seinen Sang lasse, alle, die sie jetzt loben, dann sie schelten werden; daß sie tot sei, wenn sie ihn töte (I, 123b, 124b). Ein schöner Stolz aber ist es, wenn er zugleich sich dessen rühmt, daß sein Gesang tausend Herzen froh gemacht.

Rührend ist folgende Äußerung:

Und hat der Winter kalt und andre Not
Viel gethan zuleide.
Ich wähnte, daß ich nimmer Blumen rot
Sähe an grüner Heide.
Doch schad't es guten Leuten, wäre ich tot,
Die nach Freuden ringen
Und die gerne tanzen und springen.   (I, 138b)

Die Kunst ist Walthern eine hohe Sache. Darum entrüstet er sich denn auch vielfältig gegen die Verderber und Entwürdiger derselben. Die Fuge, die Höfischheit, das höfische, hofeliche Singen stellt er dem Unfuge, der Dörperheit,Man. I, 117b. In der Pf. Hdschr. 357, Bl. 38b kommt die Strophe: »Uns will schiere wohl gelingen« u. s. w. samt den übrigen des Mailiedes unter den Liedern Lütolts von Seven vor. dem unhofelichenI, 107b, 3 unhofescheit. Singen, die Meister den SchnarrenzernBertholds Predigten S. 165: gesneren, sneren. 194. 289. 331. gegenüber. Die Worte höfisch, höflich hatten aber dazumal einen andern und höheren Sinn, als wie sie heutzutage genommen werden. Sie bedeuteten die edlere Bildung, die feinere Sitte, wie sie an den Höfen gesangliebender Fürsten blühte.

Ungefüge Töne, so klagt er, haben das hofeliche Singen zu Hofe verdrungen, seine Würde liegt danieder, Frau Unfuge hat gesiegt. Die das rechte Singen stören, deren ist jetzt ungleich mehr, denn die es gerne hören. Wer will noch harfen bei der Mühle, wo der 346 Stein so rauschend umgeht und das Rad so manche Unweise hat? Die so freventlich schallen, sie thun wie die Frösche in einem See, denen ihr Schreien so wohl behagt, daß die Nachtigall davon verzagt, so sie gerne mehr sänge. Wer doch die Unfuge von den Burgen stieße! Bei den Bauern möchte sie wohl sein, von denen ist sie hergekommen (I, 112)Vgl. Lachmanns Walther S. 103 u.

Das Letztere deutet merklich darauf hin, was unter diesem ungefügen Sange hauptsächlich zu verstehen sei. Es scheint damals in den ritterlichen Gesang die Gattung von Liedern eingedrungen zu sein, welche man unter dem Namen der Nitharte begreift, Darstellungen aus dem Dorfleben, Schwänke mit den Bauern, derb und rüstig, aber auch manchmal sehr ungezogen und schmutzig. Den Eingang des Liedes macht häufig eine Beschreibung des Frühlings. Mit dem Frühling rühren sich Freude und Mutwill, und so folgt nun im Liede allerlei ländliche Lustbarkeit, Tanz und Schlägerei.

Von der angegebenen Art sind nicht bloß die meisten Lieder, welche unter dem Namen des Herrn Nithart auf uns gekommen sind, auch viele andre ritterliche Sänger haben in derselben Weise gedichtet. Der Schauplatz von Nitharts Darstellungen ist die Umgegend von Wien. Einige seiner Lieder betreffen den Fürsten Friedrich in Osterland (Friedrich den Streitbaren), von dessen milder Gabe ihm ein silbervoller Schrein geworden (Man. II, 72a). Der Bischof Eberhard, an den er sich gleichfalls wendet (II, 79a), ist ohne Zweifel der Erzbischof von Salzburg dieses Namens, der von 1200–1246 auf dem erzbischöflichen Stuhle saß.Chron. Salisb. ad ann. 1200. 1246. Auch erzählt Nithart von einem Zuge über Meer, den er mit Kaiser Friedrich gemacht und auf dem ein heidnischer Pfeil ihn verwundet.Leipziger Litteratur-Zeitung 1812, Nr. 162.  H. v. d. Hagen, Briefe in die Heimat, B. I, Breslau 1818, S. 65.

Schon durch diese Anzeichen, denen sich weitere beifügen ließen, wird Nithart der Zeit und dem Orte nach, wenngleich als jüngerer Zeitgenosse, unsrem Dichter nahe gerückt. Es sind aber auch Spuren vorhanden, daß Nithart auf Walthers Gedichte in derjenigen Weise angespielt, die wir Parodie nennen und die vielleicht unter dem früher erwähnten Verkehren des Gesanges begriffen ist.

Die mehrfache Anspielung ist in nachstehendem Liede Nitharts, dessen Name schon auf Schlimmes deutet, kaum zu verkennen:

Sie fragen, wer sie sei, die Säldenreiche,
Der ich so hofelichen habe gesungen. 347
Sie wohnt in deutschen Landen sicherliche,
Das sag' ich den Alten und den Jungen.
Sie ist in einem Kreise, der ich diene,
Von dem Po bis auf den Sand,
Von Elsaße bis Ungerland,
In der Enge ich sie fand,
Sie ist noch zwischen Paris und Wiene.   (II, 73b.)

Säldenreiche] Heilbringende, Wonnereiche. – Sand] Meeresufer.

Man erinnere sich hiebei derjenigen Stellen, worin Walther von seiner Länderkunde spricht, und seines zuvor (Abschnitt V) ausgehobenen Gedichts:

Sie fragen und fragen aber allzuviel
Von meiner Frauen, wer sie sei.   (I, 122a.)

Ergötzlich ist auch sonst der Spott, den jene derberen Dichter mit dem Minnesang und dessen Überzartheit treiben. Ein solcher, Gedrut, macht sich über den Minnesänger Wachsmut von Künzingen lustig; Herr Wachsmut minne seine Fraue über tausend Meilen, dennoch sei sie ihm gar zu nahe; es thäte ihm so sanft, wenn er sie auf einem hohen Turme schauen und von ihrer Hand ein Ringlein empfangen sollte, das küßt' er tausendmal, läg' er aber bei der Wohlgethanen mit ihrem roten Munde, nimmer würd' er sie berühren (Pf. Hds. 357, Bl. 24b). DerselbeBei Man. II, 119a ist das Lied Herrn Geltar zugeschrieben. äußert, wär' es denen Ernst, die sich also um Minne härmen, in Jahresfrist lägen sie tot; sie seien zu feist bei der Not, von der sie klagen (ebd.).

In Beziehung auf Walthern von der Vogelweide wird, außer dem schon eher genannten Stolle, noch eines Herrn Volknant (in der Pf. Hds. 357 heißt er Wicman) als eines solchen gedacht, der den Meistern ihre meisterlichen Sprüche treten (Pf. Hds. irren) wolle. Walther und Volknant werden verglichen. Jener ist das Korn, dieser die Spreu; singet Volknant eins, so singet Walther drei; sie gleichen sich wie der Mond und ein gewisser runder Teil des menschlichen Körpers. Herr Walther singet was er will, des Kurzen und des Langen viel, so mehret er der Welt ihr Spiel; Volknant jagt wie ein falscher Leithund nach Wahne (I, 113). Das Lied, welches diese Vergleichungen anstellt, in einer von Walthers Weisen gedichtet, ist gleich andern, welche nicht ihm angehören, aber auf ihn Bezug haben, unter die seinigen gekommen.

348 Von dem Verfalle der Kunst, den schon unser Dichter beklagt, zeugen auch, durch eigenes Beispiel, die Gedichte des Tanhuser, der, wie Nithart, in Friedrichs des Streitbaren Dienste war; meist Tanzreihen, zum Teil in Nitharts Geschmack, mit allerlei Gelehrsamkeit überladen und durch widerliche Sprachmengerei aus dem Französischen verunstaltet.Z. B.
    Daß ich wäre ihr dulz amis u. s. w.
    Ein' Riviere ich da gesach (sah),
    Durch den Fores ging ein Bach
    Zuthal über ein' Planüre.
    Ich schlich ihr nach, bis ich sie fand,
    Die schöne Creatüre.
    Bei dem Fontane saß die Klare, Süße von Statüre.   (II, 61a.)
Vgl. Man. II, 236a, 1: Stature. Anklänge aus Walthers Liedern sind auch in diesen Gedichten unverkennbar.Z. B. Ich bin Gast und selten Wirt, das Leben ist unstete. (II, 67b.) Tanhuser überlebte den Fürsten Friedrich und beklagt dessen Tod mit der drolligen Äußerung, wer nun Thoren (Hofnarren) so gut halte, als Er gethan (Man. II, 69a).

Freundlich sind die Verhältnisse der Kunstgenossenschaft, in welchen Walther mit dem Missener, Meißner, stand. Daß er unter dieser Benennung einen der meißnischen Markgrafen verstehe, ist nicht bloß aus dem Liede, worin er den Meißner zu den Fürsten zählt, welche die Zurückkunft des Kaisers nach dessen Krönung treulich erwarten (I, 103b), sondern mehr noch aus dem äußerlich untergeordneten Verhältnisse zu schließen, in welches Walther auch da, wo er von dem Meißner als einem Dichter spricht, sich zu demselben stellt. Daß sodann unter den Markgrafen von Meissen, welche in Walthers Zeit fallen, Heinrich der Erlauchte gemeint sei, dafür stimmt teils das Zeugnis Tanhusers, welcher, unter offenbarer Beziehung auf jenes Lied unsres Dichters, Heinrich den Missener aufführt (II, 64 f.),Die Wörte Tanhusers: »Der sein' Treue nie zerbrach« u. s. w. entsprechen augenscheinlich dem Schlusse von Walthers Lied: »Von Gotte würde ein Engel eh' verleitet.« Auch die weitere Zeile von Tanhuser: »Er sollte des Reiches Krone tragen« deutet auf die Stelle in einem andern Liede Walthers:
    Möcht' ich ihn han gekrönet,
    Die Krone wäre heute sein.   (I, 136b.)
Die letzteren Worte bezeichnen abermals einen fürstlichen Freund unsres Dichters. So singt Tanhuser von Friedrich von Österreich:
    In kurzen Zeiten das geschieht,
    Daß man wohl eine Krone
    Schöne auf seinem Haupte sieht.   (II, 59.)
Köpke a. a. O. S. 13 bezieht die politische Strophe »Herr Kaiser, ihr seid willekommen« u. s. w. (I, 103b) auf Otto IV. und den Markgrafen Dietrich, Heinrichs Vater. Mit der Stelle bei Tanhuser (II, 64b), soferne man solcher Beweiskraft beilegen will, läßt sich diese Annahme nicht vereinigen. Der Beziehung auf Friedrich II. ist es zwar nicht günstig, daß dieser erst vierzehn Jahre, nachdem er zu Rom gekrönt worden, nach Deutschland zurückkam, und so kann auch gegen die Beziehung auf Heinrich den Erlauchten die bedeutende Altersverschiedenheit angeführt werden, welche notwendig zwischen ihm und Walthern stattgefunden: Heinrich ist im Jahr 1218 geboren. Allein auch Otto IV. blieb nach seiner Krönung zum römischen Kaiser noch dritthalb Jahre von Deutschland abwesend und die Verschiedenheit des Alters ist kein entscheidendes Hindernis. Der junge Markgraf (jugendlich ist er auch in der manessischen Handschrift vor seinen Liedern dargestellt) mag von dem alten Meister gelernt haben. Die Strophe »Mir hat ein Lied von Franken« u. s. w. (I, 111a) beweist, daß der Meissner Walthern mit Achtung behandelte, und in den Liedern Heinrichs von Meissen (I, 5. 6) könnten einige Spuren von Walthers Einflusse bemerklich gemacht werden. Man sieht, daß hier weitere Untersuchungen nicht überflüssig sind. Ein Aufsatz über Heinrich den Erlauchten als Minnesänger und Förderer deutschen Minnesangs, von K. Förster, ist neuerlich in Kinds Muse, 1821, II, 3 erschienen.
teils der Umstand, daß der Markgraf Heinrich 349 von Meissen selbst unter den Minnesängern erscheint. Er war von mütterlicher Seite Enkelsohn Hermanns von Thüringen, befand sich in seiner frühesten Jugend am Hofe von Österreich und vermählte sich 1234, sechzehn Jahre alt, mit Konstantia, der Schwester Friedrichs des Streitbaren. Die meißnische Chronik meldet von seiner Prachtliebe und seinem ritterlichen Hofhalt.Albinus, Meißnische Land- und Berg-Chronika. Dresden 1589. S. 195.

Walther hat den Meißner im Liede gelobt, er darf nun erwarten, daß derselbe ihm wandle, Wandels Recht biete, d. h. das Lob erwidre. Für alles andre, was er sonst dem Meißner gedient, will er diesem den Lohn erlassen, nur auf das Lob verzichtet er nicht. Wird ihm das nicht, so will er auch seines zurücknehmen, zu Hof und an der Straße (I, 136). Der Künstlertrotz, womit er hier auf seinem Sängerrechte besteht, soll, wie es scheint, nur beweisen, wie hoch er eine Erwiderung von diesem Fürsten anschlagen würde.

Besser zufrieden zeigt er sich, als ihm der Meißner aus Franken ein Lied mitgebracht hat:

Mir hat ein Lied von Franken
Der stolze Meissener gebracht,
Das fährt von Ludewige.
Ich kann es ihm nicht danken
So wohl, als er mein hat gedacht,
Als daß ich tief ihm neige.
Könnt' ich, was jemand Gutes kann,
Das teilte ich mit dem werten Mann,
Der mir so hoher Ehren gann;
Gott müsse auch ihm die seinen immer mehren!
Zufließe ihm alles Segens Fluß,
Nichts Wildes meide seinen Schuß,
Seins Hundes Lauf, seins Hornes Duß
Erhalle ihm und erschalle ihm wohl nach Ehren!   (I, 111a.)

Ludewige] es ist noch unerraten, wer dieser Ludewig sei. – gann] gönnt. – Duß] Getöse, Schall.

350 Daß Walther den Tod Reinmars im Liede betrauert, ist bereits erwähnt worden. Reinmar der Alte, den Walther am Hofe zu Wien kennen gelernt haben mochte, ist ein trefflicher Minnesänger, berühmt unter den älteren Meistern. Seine zahlreichen Lieder sind einfach und innig, sie atmen eine sanfte Schwermut. Er hat, wie er einmal singt, die Minne noch stets in bleicher Farbe gesehen (Man. I, 66a). Auch äußert er, es werde mancher ihn nach seinem Tode klagen, der jetzt leicht seiner entbehrte (I, 71a). Unser Dichter scheint nicht in völlig gutem Vernehmen mit ihm gestanden zu sein; doch beklagt er, selbst schon am Ziele seiner Jahre, den Tod desselben auf eine würdige Weise.

Zwei Gesätze Walthers sind dieser Klage gewidmet. In dem einen versichert er: wenn Reinmar nichts gesungen hätte, als die eine Rede »So wohl dir, Weib, wie rein dein Name!«, so hätt' er verdient, daß alle Frauen stets für seine Seele bitten würden.Diese Strophe steht in der Pf. Handschr. 357, Bl. 41b unmittelbar vor der andern auf Reinmars Tod. Sie ist Walthers nicht unwert; nur ist der Text in jener Handschrift verdorben. Das Lied Reinmars, worauf sie sich bezieht, ist noch vorhanden (I. 67a). So finden sich auch unter Walthers Liedern zwei Gesätze (I, 137), welche auf Strophen von Reinmar (I, 64b. Vgl. 68b, 7) in der gleichen Tonweise wettstreitend antworten.

Das andre lautet so:

Fürwahr, Reinmar, du reuest michVgl. Robin (CLXIII):
    Reinmar, mich reuet sehre
    Dein Sinn und auch dein Tod u. s. w.

Vieles härter, denn ich dich,
O du lebtest und ich wär' erstorben.
Ich will's bei meinen Treuen sagen:
Dich selben wollt' ich wenig klagen,
Ich klage dein' edle Kunst, daß sie ist verdorben.
Du konntest all der Welte Freuden mehren,
So du's zu guten Dingen wolltest kehren.
Mich reuet dein wohlredender Mund und dein viel süßer Sang,
Daß die verdorben sind bei meinen Zeiten.
Daß du nicht eine Weile mochtest beiten!
So leistet' ich dir Gesellschaft, mein Singen ist nicht lang.
Deine Seele müsse wohl nun fahren, deine Zunge habe Dank!   (I, 105a.)

reuest] schmerzest. – du's] du sie, die Kunst. – beiten] warten. – ist nicht lang] währt nicht mehr lange.

Die Beziehungen, worin wir unsern Dichter zu den vorgenannten Kunstgenossen gefunden, die achtungsvollen Äußerungen, welche wir von gleichzeitigen und späteren Meistern über ihn vernommen, führen auf die Frage, welches die Stelle sei, die derselbe in der Geschichte der deutschen Dichtkunst überhaupt einnehme.

Der innere Wert, die Menge und Mannigfaltigkeit seiner Lieder, die Länge und die poetische Wichtigkeit des Zeitraums, in welchem er gesungen, müssen ihm schon auf den ersten Anblick eine bedeutende Stelle sichern. Sein dichterisches Wirken umfaßt vollkommen die glänzendste Zeit der altdeutschen Liederkunst. Er reicht hinauf in die erste Blüte des Minnesangs im letzten Viertel des zwölften Jahrhunderts, er reicht hinunter in den Übergang dieser Dichtungsweise zur Betrachtung und zum Lehrhaften gegen die Mitte des dreizehnten; ja er selbst erscheint als derjenige, der zuerst das jugendlich spielende Lied zur Männlichkeit gekräftigt. Aus der Blüte der Phantasie und der Empfindung reift ihm die Frucht des Gedankens, die Formen des Minneliedes dehnt er aus, damit sie vermögend seien, die Sache des Vaterlandes, die Angelegenheiten des Reiches und der Kirche zu fassen. Wenn er gleich über den Zerfall des Minnesanges Klage führt, so hat doch gewiß er selbst, nur in andrem Sinne, zerstörend auf denselben gewirkt. Je mehr die Wichtigkeit des Stoffes sich geltend machte, um so merklicher mußte das zartere Spiel der Poesie erliegen, und wenn in Walthers Liedern noch der Ernst des Gedankens überall mit Poesie getränkt und umkleidet ist, so tritt dagegen bei seinen Nachfolgern immer mehr die Betrachtung in einseitiger Trockenheit und prosaischer Blöße hervor.

Soll die Fortbildung der Dichtkunst nach den bedeutendsten Meistern bezeichnet werden, so grenzt Walther in aufsteigender Reihe zunächst an Reinmar den Alten, in absteigender an Reinmar von Zweter. Der erstere lebt noch ganz in den Empfindungen und dem Tönereichtum des Minnesanges, der letztere, fast nur noch in einem streng gemessenen Tone dichtend, hat sich völlig der Betrachtung und der Lehre zugewendet; und in demselben Verhältnis, in welchem Walther den ersteren an Kraft und Reichtum der Gedanken übertrifft, zeichnet er sich vor dem letzteren durch Farbenglanz und mannigfaltige Anmut der Behandlung aus.

Wie häufig Walthers Lieder nachgeahmt wurden, kann schon die flüchtigste Ansicht der alten Liedersammlungen ergeben.Beispiele sind, besonders in den Anmerkungen, manche ausgehoben worden. Was als Gebrauch dichterischen Gemeinguts und als wirkliche Nachahmung anzusehen sei, darüber mögen freilich im einzelnen Falle die Ansichten verschieden sein. Daß er von der Singschule unter die zwölf Altmeister des Gesanges, die Stifter der Kunst, gezählt wurde, ist gleich eingangs berichtet worden.

352 Meister hieß zu Walthers Zeiten jeder, der sich der Ausübung irgend einer Kunst mit Auszeichnung widmete. Meister hießen daher auch unter den Dichtern vorzugsweise diejenigen, welche die Sangeskunst zu ihrer eigentlichen Beschäftigung gemacht hatten. Diejenigen dagegen, welche den Gesang weniger ausschließlich und fruchtbar treiben, denen zugleich schon durch ihren Stand ein anderwärtiger Hauptberuf angewiesen war, Fürsten und Ritter, wurden mit ihren fürstlichen oder adligen Namen bezeichnet, obgleich ihre Kunst dem Wesen nach dieselbe war. Es ist hiernach leicht zu erachten, daß Walther von Gleichzeitigen und Späteren als Meister benannt wird. Wenn übrigens der Truchseß von Singenberg ihn »unsres Sanges Meister« nennt (Pf. Hds. 357, Bl. 20b) und wenn derselbe Dichter (Man. I, 154a), sowie der Marner (I, 173a) und ein Ungenannter in der Pf. Hds. 350 »mein Meister« von ihm sprechen, so kann hieraus, nach der Sprache der Zeit, kein Verhältnis des persönlichen Unterrichts gefolgert werden. Es heißt nicht mehr, als wenn im Titurel (Kap. 6. Str. 632) gesagt wird: »mein Herr Walther«. Am wenigsten aber darf aus dem Meisternamen überhaupt auf damaliges Bestehen einer förmlichen Dichtergilde geschlossen werden.

Zwar liegt es in der Natur der Sache, daß eine so ausgebildete Dichtkunst, wie die deutsche in der ersten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts, eine Dichtkunst, die mit wirklichem Gesang und begleitendem Saitenspiel innig verschwistert war, nicht wild wachsend sich verbreitete, sondern durch Unterricht fortgepflanzt wurde. Davon giebt unser Dichter klares Zeugnis, wenn er meldet, daß er in Österreich singen und sagen gelernt habe. Zugleich weisen seine Lieder nicht bloß im allgemeinen durch ihren wohl abgemessenen Bau, sondern auch durch einzelne nähere Andeutungen, auf Kunstregel und Kunstgebrauch, z. B. wenn er von dreierlei Art des Sanges spricht, wenn er die Meister den Schnarrenzern gegenüberstellt, wenn er Wandels Recht begehrt. Nirgends aber, weder bei ihm noch bei den andern Dichtern seiner Zeit, findet sich der Beweis, daß unter den Sangesmeistern des dreizehnten Jahrhunderts zunftmäßige Genossenschaften sich gebildet hatten, wie sie unter den Meistersängern der späteren Jahrhunderte bestanden.

Gleichwohl ist zwischen beiden unleugbar ein geschichtlicher Zusammenhang.Diesen hat J. Grimm (Über den altdeutschen Meistergesang, Göttingen 1811) überzeugend nachgewiesen; ebenso die Identität der Meister des dreizehnten Jahrhunderts mit sämtlichen Minnesängern, nicht minder, daß die Meistersängerschule den Grundsatz der Dreiteiligkeit von den älteren Meistern ererbt. Nur scheint es mir, besonders in Betrachtung der Gedichte Walthers, daß die Abteilung in Stollen und Abgesang bei den älteren nicht in dem Maße herrschend gewesen, als Grimm annimmt. Es sind verschiedene Stufen einer stetigen 353 Entwickelung und Ausbildung, Entartung und Erstarrung des deutschen Gesanges. Die Regel wurde stets enger gezogen und der Geist entschwand. In der Singschule der Handwerker war es der Form nach auf mühsame Künstlichkeit, dem Inhalt nach auf nützliche Erbauung angelegt. Aber auch in diesem Zustande vergaß die Kunst ihres Ursprungs nicht. Die Meister dieser Singschulen erhielten, wie billig, das Gedächtnis ihrer geschichtlichen Verbindung mit jenen alten Meistern. Walther wird mit Eschenbach, Ofterdingen, Klinsor, Reinmar u. a. zu den Stiftern der Kunst gezählt und einige nach ihm benannte Töne (der lange, der übergüldte, der Kreuzton Walthers von der Vogelweide) laufen in den Töneverzeichnissen der Schule fort. Das Kolmarer Meistergesangbuch enthält Gedichte von ihm nebst Meisterliedern vom Ende des sechzehnten Jahrhunderts.

Bis zu diesem Verhallen seiner Töne sind wir dem künstlerischen Wirken des Dichters gefolgt. Wenn aber seine Wirksamkeit, sofern er sie durch den Inhalt der Lieder ausübte, vollständiger gewürdigt werden soll, so ist es nötig auf den Schauplatz der politischen Bewegungen zurückzukehren.

 


 


 << zurück weiter >>